Das kleine Paradies

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Kapitel 4

Julia musste nicht lange nach Liam suchen. Kaum hatte sie die Tür geschlossen, stand er auch schon vor ihr.

»Na, konnte er sich endlich von dir trennen?«, fragte er sarkastisch.

»Ja!«, sagte sie nur kurz angebunden. Sie hatte keine Lust mit Liam über Kevin zu sprechen.

»Gut! Komm mit, ich zeige dir jetzt dein Zimmer.«

Er wollte ihre Hand nehmen. Um es zu verhindern, steckte sie ihre Hände in ihre Jackentasche. Galant überging er es und ging die Treppe hinauf. Julia folgte ihm.

»Mein Vater hat gesagt, dass du nur eine Woche bleibst?«

Wieder antwortete sie nur mit einem JA. Dass sie eine Woche verlängern muss, verschwieg sie ihm. Sie hatte bereits beim Hierherfahren beschlossen, die nächste Woche bei Jack zu bleiben. Sie fand ihn nicht unsympathisch, jedoch hatte er gegenüber Kevin keine Chance. Oben angelangt, drehte er sich um und zeigte mit der Hand nach links.

»Hier entlang, am Ende des Flures, ist mein Zimmer. Dein Zimmer ist rechts.«

Er ging wieder vor und blieb vor der dritten Tür stehen. Der Flur schien endlos zu sein. Zumindest kam es Julia so vor. An den Wänden hingen alte Bilder und Wandteppiche. Der Fußboden war mit dunklem Parkett ausgelegt. Er öffnete die Tür und machte eine Handbewegung, dass sie vorgehen sollte. Auch dieses Zimmer war mit schweren Eichenmöbeln ausgestattet. Er sah Julias prüfenden Blick.

»Ich weiß, es ist ziemlich altmodisch eingerichtet. Aber mein alter Herr liebt es.«

»Es ist schon in Ordnung. Es ist sehr freundlich von deinem Vater, mich hier übernachten zu lassen.«

Er grinste leicht.

»Tja, er ist wirklich sehr freundlich.«

Sie fand, dass es verbittert klang, ging aber nicht darauf ein. Sie schaute sich um und stellte fest, dass das Zimmer ein riesiges Fenster hatte. Sie ging darauf zu und versuchte etwas von dem Ausblick zu erkennen. Doch es war bereits dunkel geworden.

»Du schaust von hier aus direkt auf den Park. Mein Vater hat ihn vor gut 20 Jahren für meine Mutter anlegen lassen.«

»Dein Vater ist nicht nur freundlich sondern auch ein Romantiker«, stellte sie fest.

»Oh ja. Das kann man so sagen. Stehst du auf Romantik?«

Sie drehte sich zu ihm um.

»Natürlich. Wer nicht?«

Er ließ diese Frage unbeantwortet und lächelte nur.

»Rechts durch die Tür ist das Schlafzimmer, von dort geht auch das Bad ab. Wenn du etwas benötigst«, er zeigte auf eine moderne Sprechanlage neben der Tür, »dann kannst du hiermit Lewis beauftragen.«

Sie nickte.

»Aber du kannst natürlich auch mir Bescheid geben. Dazu brauchst du nur im Haustelefon die 1 wählen. Ich werde alles tun, damit es dir hier bei uns gefällt.«

»Danke!«

Die Freundlichkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören. Ihr Unwohlsein, durch Kevins Bedenken hervorgerufen, verschwand langsam. Er zeigte auf den Koffer.

»Möchtest du erst auspacken, oder wollen wir erst essen?«

»Ich glaube, ich werde erst einmal auspacken. Ich habe auch noch gar keinen Hunger. Ist es sehr schlimm, wenn wir später essen?«

»Aber nein. Durchaus nicht. Ich muss noch ein paar Telefonate tätigen. Lass dir ruhig Zeit. Wenn du fertig bist, kommst du einfach runter. Ich bin im Büro.«

»Wo finde ich das?«

»Ach ja, entschuldige bitte. Du gehst wieder die Treppe hinunter und immer geradeaus, bis zur letzten Tür. Du kannst es nicht verfehlen. Die Tür ist so riesig... na ja, du wirst schon sehen. Mein Vater liebt es, wenn sein Statussymbol größer ist als alles andere.«

Er verdrehte dabei die Augen.

»Okay, bis später dann.«

Er ging zur Tür und drehte sich noch einmal um.

»Habe ich schon erwähnt, dass ich gerne für dich meinen Urlaub unterbrochen habe?«

Ihre Anspannung ließ immer mehr nach. Ihre Natürlichkeit, die Kevin so mochte, kam zurück und sie erwiderte: »Oh ja, das hast du. Mein schlechtes Gewissen wird dadurch nicht besser. Wenn du also möchtest, dass ich von hier verschwinde, dann sage es nur häufiger.«

Sie lächelte dabei und ihre Augen funkelten.

»Okay! Ich habe verstanden. Kein Wort mehr darüber. Also dann bis später.«

Sie nickte und er schloss die Tür. Beim Hinuntergehen überlegte er, wen er alles anrufen müsste, um seine Verabredungen für diese Woche abzusagen. Er wollte die ganze Zeit für Julia reservieren. Nicht, dass sie seine Traumfrau war. Nein! Er liebte den Konkurrenzkampf, vor allem, wenn er als Sieger hervor ging. Er hatte Kevin beobachtet. Er war ein ebenbürtiger Gegner und er zeigte starkes Interesse an Julia. Das reichte, um seinen Jagdinstinkt zu wecken.

Er wollte sie haben!

Er wollte sie besitzen!

Er bekam immer das, was er wollte!

Kevin bog an der Ausfahrt links ab und fuhr in Richtung Aberdeen. Er musste ständig an Julia denken. Er hatte schon lange nicht mehr das Gefühl gehabt, eine Frau zu begehren. Bei ihr war alles anders. Mit ihr hätte er die ganze Nacht verbringen wollen. Ein Lächeln legte sich um seinen Mund. Sie machte ihn verrückt und er spürte, wie sein Verlangen wuchs, sie in die Arme zu nehmen, sie zu küssen und noch vieles mehr. Wie war das nur möglich, nach so kurzer Zeit? Er glaubte nicht an die Liebe auf den ersten Blick, jedoch fühlte er sich in ihrer Gegenwart so unbeschwert, als wenn er sie schon ewig kannte. Und nun war sie bei dem Widerling und er fuhr nach Hause. Wut kam in ihm hoch und er umfasste das Lenkrad so stark, dass seine Finger fast schmerzten. In seinen Gedanken sah er Liam, wie er versuchte sich Julia zu nähern.

»Verdammt!«, schrie er laut.

Er griff sich ins Haar und holte tief Luft. Bevor er sich jedoch weiter Gedanken über Liam und Julia machen konnte, bog er bereits in die Einfahrt von Jacks Haus. Er wollte auf dem direkten Weg in sein Zimmer gehen, wurde aber von Jack im Flur aufgehalten. Es passte ihm gar nicht. Er wollte seine Ruhe haben und einfach nur an Julia denken.

»Na? Ist alles glatt gegangen?«

»Hm. Allerdings war der alte Lord wirklich nicht da. Nur sein Sohn«, blaffte er Jack an und verzog das Gesicht.

»Ich hatte Recht, stimmt’s? Er ist ein Idiot!«

Kevin nickte und wollte gehen.

»Warte. Wollen wir noch zusammen was trinken?«

Jack war neugierig und wollte noch mehr über seinen Tag mit Julia wissen. Kevin lehnte ab.

»Nein, heute nicht. Ich muss mir noch ein Skript durchlesen.«

Was ja irgendwie auch stimmte. Die Gedanken an Julia behielt er für sich. Die wollte er nicht teilen. Auch nicht mit seinem Freund.

»Sie gefällt dir, stimmts?«

Diese Frage überraschte ihn nicht sonderlich. Diese Frage stellte Jack immer und er gab darauf nie eine Antwort. Doch zu seiner eigenen Überraschung gestand er diesmal: »Oh ja!«

Julia betrat das Schlafzimmer. Auch hier alte schwere Möbel und ein riesiges Bett; da passten bequem 3 Leute hinein. Alles war geschmackvoll aufeinander abgestimmt und sehr liebevoll eingerichtet. Nicht ihr Geschmack, aber sehr beeindruckend. Das Fenster hatte hier, im Gegensatz zum Wohnzimmer, schwere Übergardinen, die farblich zur Bettwäsche passten. Sie packte ihren Koffer aus und legte sich aufs Bett. Sie griff nach ihrem Smartphone und wählte die 1.

»Hi Kleines, bist du jetzt beim Lord?«

Das ‚Kleines‘ überhörte sie freundlich, da sie ja dafür grünes Licht gegeben hatte. Rose vergisst so etwas natürlich nicht.

»Hi Rose. Ich bin zwar in dem riesigen Haus, oder sollte ich besser Schloss sagen, aber der Lord ist wirklich nicht da.«

»Das tut mir echt leid, Kleines. Ich wusste nichts davon, ehrlich. Tom hat auch nichts gewusst. Der Lord musste bestimmt kurzfristig abreisen.«

»Das sagte Liam auch.«

»Liam? ...ist Liam also auch dort?«

»Ja.«

»Und wie findest du ihn?«, fragte sie neugierig. Julia vernahm eine kleine Unsicherheit in Rose Stimme.

»Nett und gutaussehend. Mehr nicht. Wieso fragst du?«

»Hör zu, Julia. Ich möchte, dass du auf nichts eingehst. Egal wie nett er ist, egal was er für tolle Dinge zu dir sagt. Hast du verstanden?«

Sie sagte dies mit einer so ernsten Stimme, dass Julia für Sekunden nicht antworten konnte. Rose sagte ihr nicht alles, das war klar. Aber warum nicht?

»Rose, mach dir keine Gedanken. Ich will nichts von ihm und er nichts von mir. Er ist einfach nur nett.«

»Julia, glaube mir bitte. Er ist nicht einfach nur nett.«

»Hey, was verschweigst du mir? Erst soll ich auf keinen Fall bei Jack bleiben, dann hörst du, dass der Lord nicht da ist, dann soll ich auf einmal doch bei Jack bleiben. Hallo? Hab ich irgendetwas nicht mitbekommen?«

Rose druckste herum und seufzte. Julia wurde wütend.

»Rose!«, rief sie warnend. »Wenn du nicht möchtest, dass ich mein Smartphone aus dem Fenster schmeiße, es kaputt geht und du mich nicht mehr erreichen kannst, dann sage mir jetzt endlich, was du mir wirklich damit sagen möchtest!«

Aber auch diesmal schwieg Rose, bzw. versuchte sie von dem Eigentlichen abzulenken.

»Ich verheimliche dir nichts. Er ist eine Casanova. Er ist dort in den Kreisen bekannt dafür. Bitte pass einfach nur auf, okay?«

»Ein Casanova ja? Und warum willst du mir so etwas vorenthalten? Ist ein Casanova nicht ein Mann, der genau weiß, was Frauen wollen?«, scherzte sie.

»Julia!«, rief sie aufgebracht, »das ist nicht witzig!«

»Wenn du es nicht witzig findest, warum hast du mich nicht früher gewarnt?«

 

»Weil ich dachte, dass du das Angebot, wenn du ihn kennen gelernt hast, dankend ablehnst.«

»Deine Ausrede klingt schwach, Rose. Du kennst mich doch. Wie kann ich nein sagen, wenn jemand höflich und freundlich ist. Außerdem stammt die Empfehlung von dir... schon vergessen?«

»Herrje Julia, kannst du nicht einmal so reagieren, wie man es erwarten würde?«

»Nein! Und das weißt du. Und du bist schuld, dass ich hier jetzt alleine mit diesem Liam rumhänge.«

»Okay, okay... ist ja schon gut! Ich mache mir halt Sorgen um dich.«

»Ja, die hattest du dir auch gemacht, als ich dir von Kevin erzählt habe. Die waren bereits schon in deinem Kopf, als ich dir von diesem Job erzählt habe. Sag, gibt es auch mal was, worüber du dir keine Sorgen machst?«

»Ja, wenn du wieder hier bist und ich dich im Blickfeld habe«, scherzte sie und fügte hinzu, »was macht eigentlich dein kleiner Promi? Konnte er dich nicht davon abhalten?«

»Oh, Kevin hat es versucht. Aber du weißt doch wie ich reagiere, wenn man mir etwas ausreden möchte.«

»Der arme Kerl! Da lernt er dich ja gleich richtig kennen... ich hab ein wenig Mitleid mit ihm.«

Sie hörte Rose glucksen.

»Hey, ich kann mich eben nicht verstellen. Warum sollte ich auch!«, protestierte Julia.

»Siehst du ihn morgen wieder?«

»Ja. Er holt mich morgen früh ab.«

»Ehrlich? Obwohl du so bist wie du bist?«

»Vielleicht gerade deswegen.«

Rose kicherte.

»Ich zweifle nicht an dir, meine Süße. Aber wenn man den Medien glauben schenken kann, hat man ihn schon lange nicht mehr mit einer Frau gesehen. Ein Sahneschnittchen ohne Frauengeschichten. Was fällt dir da sofort ein?«

»Das glaube ich nicht! Wenn du diesen Blick sehen könntest, mit dem er mich immer fixiert. Oh nein, er kann nicht schwul sein.«

Den Kuss verschwieg sie.

»Du wirst es herausfinden, Kleines. Halte mich bitte auf dem Laufenden. Und vergiss nicht... lass dich nicht mit dem Casanova ein, verstanden!«

Julia räusperte sich. Sie hatte noch eine Frage und wusste nicht, wie sie sie taktvoll stellen sollte.

Also fragte sie ohne Umschweife: »Rose, hattest du was mit Liam?«

Stille.

»Rose?«

»Herrgott Julia... ja ich hatte was mit ihm. Ich bereue es zutiefst. Deswegen möchte ich auch nicht, dass er dich auch nur schief anschaut. Bitte Julia, höre nur das einzige Mal auf mich. Versprich es mir!«

»Ja doch. Ich sagte dir bereits, dass er nur nett ist«

»Okay Kleines. Bitte rufe mich morgen wieder an. Schlaf gut! Hab dich lieb!«

»Gute Nacht! Hab dich auch lieb.«

Julia warf ihr Smartphone aufs Bett und drehte sich auf den Rücken. Sie starrte an die Decke und musste an Kevin denken. Er war nicht nur gutaussehend, er hatte dieses gewisse Etwas. Sie sah sein Gesicht vor sich. Sie sah seine Augen, die halb zugekniffen waren und Wärme ausstrahlten. Sie fühlte seine Hand, die ihre umschloss. Sie hob die Hand und starrte diese einige Sekunden lang an.

»Dich vermisst er!«, sagte sie laut.

Sie rollte sich zur Seite und zog ihre Beine an. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie Kevin sie küsste. Wie er langsam immer näher kam. Wie seine Lippen warm und verlangend sich auf ihre legten. Der Traum war so real, dass sie die Lippen ein wenig hob. Abrupt setzte sie sich hin und lachte laut.

»Oh Gott, ich werde verrückt! Ich hab sie nicht mehr alle.«

Sie stieg vom Bett und lief ins Bad. Sie kühlte ihr Gesicht mit Wasser und blickte hoch. Ihr Spiegelbild schaute sie skeptisch an.

»Sag du mir nicht auch noch, was ich tun oder lassen soll!«, schnauzte sie ihr Gegenüber an. Sie drehte sich weg und griff nach dem Handtuch. Sie band ihre Haare hoch, zog Jeans und ein Sweatshirt an. Sie lief zur Tür, durch den Flur und die Treppe hinunter. Am Ende des Flures sah sie die besagte riesige und wuchtige Tür. Sie schritt darauf zu und klopfte an. Das Holz musste sehr dick sein, denn sie hörte nur ein gedämpftes: »Komm herein!«

Sie musste beide Hände nehmen und ihr ganzes Körpergewicht einsetzen, um die Tür zu öffnen. Das letzte Stück ging allerdings sehr leicht auf und sie schoss durch ihren Körpereinsatz regelrecht ins Zimmer und direkt in seine Arme. Als wenn er es gewusst hatte, wie sie sich anstellen würde, fing er sie auf.

»Hoppla! Genau richtig… in meine Arme!«

Sie klammerte sich an ihm fest, da sie für eine Sekunde ihr Gleichgewicht suchte. Er griff ihr um die Taille und zog sie an sich heran. Sie stieß ihn weg und zischte: »Schon gut, danke! Es geht schon wieder.«

Er hob die Hände und lächelte süffisant.

»Keine Ursache! Immer wieder gern.«

Das glaube ich dir gerne, dachte sie. Er ging zum Schreibtisch, der nicht weniger riesig wirkte, und klappte eine Mappe zu.

»Okay, hast du jetzt ein wenig Hunger? Unsere Köchin hat extra für dich etwas gekocht.«

»Ihr habt eine Köchin?«, staunte sie. Aber eigentlich war das ja klar. Die Küche hatte der kleine Lord bestimmt noch nie betreten. Armseliger Casanova.

Er jedoch musste schmunzeln. Er bildete sich ein, sie sei wie all die anderen Frauen die er kannte, und das waren nicht wenige. Er dachte, er könnte vor ihr mit seinem Personal angeben. Er gab gerne damit an. Meistens machten das die fehlenden 20% aus, wenn sich die Damen nicht sicher waren, ob sie mit ihm schlafen wollten oder nicht. Reichtum hatte eine Anziehungskraft auf manche Frauen und genau diese Frauen suchte er sich aus. Denn durch Charakterstärke wäre er wohl selten ans Ziel gekommen. Ob er dabei Herzen brach, war ihm egal. Er war ein Egoist und Narzisst, wie er im Buche stand. Erst kommt er... dann die anderen. Bei Julia sollte er sich jedoch die Zähne ausbeißen.

»Wir haben auch einen Gärtner und einen ...«

Sie unterbrach ihn forsch: »Lass mich raten... einen Pool-Boy?«

Sie sagte das allerdings so sarkastisch, dass man es unmöglich als Neid empfinden konnte. Er räusperte sich und versuchte ein Lächeln hinzubekommen. Es schlug fehl.

Julia tat das natürlich gleich wieder leid und sagte: »Entschuldige bitte. Ich wollte nicht so herablassend klingen, aber ich kenne wirklich keinen, der eine Köchin oder einen Gärtner hat. Bitte verzeih!«

Sie blickte verschämt nach unten. Er schloss daraus, dass er mit ihr ein leichtes Spiel haben wird und wog sich bereits auf der Siegerspur. Er ergriff ihren Arm und legte ihn um seinen.

»Komm, wir gehen jetzt essen.«

Sie gingen durch den Flur bis ans andere Ende. Die Tür stand bereits offen und sie betraten das Esszimmer. In der Mitte stand ein langer Tisch - Platz für 20 Personen. Mit schnellem Blick erkannte sie, dass für zwei am Ende des Tisches gedeckt war. Sie dachte schon, sie müsse über eine Distanz von 6 Metern mit ihm reden. Er zog ihr den Stuhl vor und sie nahm Platz, er ihr gegenüber. Sie suchte die kleine Glocke, mit der er den Butler rief und musste schmunzeln als sie keine sah.

Jetzt übertreibst du Julia. Hör auf, die Klischees abzuarbeiten .

Sie schüttelte ihren Kopf, als wenn sie damit ihre unsinnigen Gedanken loswerden konnte.

»Warum schüttelst du den Kopf?«

Verdammt, er hat das gesehen! Was sag ich jetzt?

Sie fühlte sich ertappt und wurde rot. Er fand das Farbwechselspiel super. Sie schien sensibel und sehr anständig zu sein. So etwas hatte er noch nicht.

»Ach weißt du, ich habe gerade über den Tag nachgedacht.«

»Und? Wie war er?«

»Ganz okay!«

Sie musste schon wieder an Kevin denken.

Hör auf damit Julia‘, ermahnte sie sich.

Dass der Tag absolut verrückt war, erzählte sie ihm nicht. Auch nicht, dass sie Kevin nicht aus ihrem Kopf bekam. Er fragte noch viele andere belanglose Dinge und sie antwortete jeweils nur knapp. War der Grund vielleicht die Vorsicht, die sie durch Rose eingeimpft bekommen hatte? Vielleicht war er ja gar nicht so ein schlechter Kerl. Sie wollte es aber nicht testen. Nicht heute Abend. Vielleicht morgen.

Nach dem Essen fragte er charmant: »Wollen wir noch etwas zusammen trinken?«

»Bitte entschuldige, ich würde gerne schon zu Bett gehen. Ich muss morgen früh aufstehen.«

Er belächelte ihre Antwort, obwohl er sauer wurde. Liam war nicht erfreut über den Verlauf des Abends. Auch, dass sie so schnell zu Bett gehen wollte, missfiel ihm. Er hatte eher auf einen amüsanten Abend gehofft.

»Schade, ich hätte gerne noch deine Gesellschaft genossen. Vielleicht morgen?«

»Vielleicht!«

Sie wusste bereits, dass sie eher den Abend mit Kevin verbringen würde. Falls er Zeit hatte. Ob er auch so dachte und sich den Abend für sie freihielt? Die Hoffnung schwand als Liam sagte: »Mein Vater hat für uns morgen Abend einen Platz bei George reserviert. Das ist das beste Restaurant in Aberdeen. Normalerweise muss man da 3 Monate vorher reservieren. Mein Vater jedoch hat nur für dich seine Beziehungen spielen lassen.«

Sein Lächeln dazu war atemberaubend. Wenn Rose sie nicht gewarnt hätte, wäre sie spätestens jetzt auf ihn hereingefallen. Sie überlegte, ohne einen Blick von ihm zu wenden. Liam spürte ihre Unentschlossenheit und setzte nach.

»Ach komm. Es wäre unhöflich, das abzuschlagen. Außerdem würde mein Vater mir die Schuld für dein NEIN geben und mich sofort enterben.«

Er legte seinen Kopf schief und lächelte und lächelte und lächelte....

Scheiße, jetzt hat er mich. Verdammt, woher weiß er, dass er nur das Wort – unhöflich – sagen muss?«

»Ich weiß nicht«, druckste sie herum. Sie wollte es auf keinen Fall. Aber was, wenn Kevin gar keine Zeit für sie hatte? Vielleicht hat er ja bereits eine Verabredung mit einer Frau. Bei der Vorstellung verkrampfte sie.

Diplomatisch sagte sie: »Wir werden sehen.«

»Bitte gib mir keinen Korb. Ich muss heute Abend schon auf dich verzichten.«

Durch sein flehen wurde ihre Entscheidung nicht leichter.

Warum sah er nur so verdammt gut aus. Hätte er nicht klein und dick sein können? Mit fettigen Haaren und einer Warze auf der Nase? Sein Lächeln hätte auch hässlicher sein können. Verdammt!

»Ich werde es morgen entscheiden. Lass mich erst einmal den morgigen Tag überstehen. Okay?«

Er verzog das Gesicht. Um seinen Mund sah man aber ein kleines Lächeln. Zufrieden war er nicht, aber einen kleinen Schritt weiter.

»Gut! Ich warte ab, was mir aber nicht leicht fällt.«

»Danke. Ich wünsche dir eine gute Nacht, Liam.«

»Halt!«, rief er und stand auf. Er kam auf sie zu und nahm ihre Hand. Sie stand ebenfalls auf. Er blickte ihr tief in die Augen und sagte mit weicher Stimme: »Ich wünsche dir auch eine gute Nacht. Träum etwas Schönes. Ich freue mich auf morgen.«

Er wollte sie an sich ziehen, doch sie ließ es nicht zu.

»Hey, ich wollte dir nur einen Gute-Nacht-Kuss geben.«

Sie machte einen Schritt zurück: »So weit sind wir noch lange nicht!«

Sie drehte sich um und wollte gehen, er hielt sie jedoch am Arm fest.

»Julia, was ist schon ein Kuss?«

»Für mich bedeutsam!«

Sie schaute auf ihrem Arm, den er immer noch festhielt und dann wieder zu ihm. Er ließ jedoch nicht los.

»Liam?!«

Er gab sie frei und strich sich durch die Haare.

»Verzeih, aber es war einfach zu verlockend.«

Er wirkte verlegen, jedoch nahm sie ihm das nicht ab.

»Gute Nacht Liam!«

Sie verließ das Zimmer und war froh endlich alleine zu sein. Er war ihr unheimlich. Blöder Casanova!

Bevor sie ins Bett ging, schrieb sie Kevin eine Whatsapp: Hallo Kevin, vielen Dank für den schönen Tag. Schlaf gut! Lieben Gruß, Julia.

Mit Herzklopfen und das Smartphone ganz fest an ihre Brust gedrückt, wartete sie auf eine Antwort. Wie ein Teenager kam sie sich vor. Sie wollte schon die Sekunden zählen, da vibrierte ihr Smartphone.

Ihr Herz setzte aus als sie las: Liebe Julia, dieser Tag wurde nur durch dich schön. Ich bereue keine Sekunde. Ich werde von dir träumen und du bist schuld daran, Kevin.

Sie stieß ein Zufriedenheits-Glücklichsein-Seufzer aus. Sie schwebte ins Bad und schlief danach glückselig ein.