Das kleine Paradies

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Er konnte noch immer nicht aufhören zu lachen. Die Ampel schaltete auf grün und er fuhr rasant an.

»Oh man, habe ich etwas Falsches gemacht?«

Vor Lachen konnte er kaum sprechen: »Nein,.... nein ehrlich nicht... hast du nicht... aber du hast ausgesehen, als wenn du gerade eine Skulptur ausgebuddelt hättest und sie nun nach dem Wert prüfen wolltest.«

Er grinste noch immer. Sie wurde knallrot und legte ihre Hände vors Gesicht. Sie dachte nur ‚Oh lieber Gott, mach, dass er nicht mehr da ist. Bitte, bitte!‘.

Sein grinsen hörte nicht auf. Vorsichtig ergriff er ihre Hand und drückte sie sanft runter.

»Hey, bist du noch da?«

»Nein, Scotty beamt mich gerade weg.«

Er hielt ihre Hand weiterhin fest.

»Oh nein, bleib bei mir. Du bist so... so amüsant.«

»Danke! So nett hat das noch keiner umschrieben.«

»Hey, schau mich an.«

Sie schüttelte ihren Kopf.

»Bitte! Ich lach auch nicht mehr, versprochen!«

»Glaub ich dir nicht!«

»Ich sagte doch vorhin schon, ich halte meine Versprechen.«

»Pah, ich kenne dich doch gar nicht. Das kann jeder sagen.«

Sie blickte schmollend aus dem Fenster. Die Verlegenheit trieb ihr die Hitze ins Gesicht. Ihre Wangen glühten.

Erst jetzt bemerkte sie, dass er ihre Hand noch hielt. Ohne ihn anzuschauen fragte sie: »Bekomme ich meine Hand wieder?«

»Nein. Erst wenn du mich anschaust.«

»Okay, behalte sie. Ich brauche sie nicht.«

Sie hörte ihn nicht lachen, aber ihre Hand vernahm ein Vibrieren.

»Du lachst schon wieder. Toll deine Versprechen!«, zischte sie.

»Nein«, versuchte er sich rauszureden, »das ist der Motor.«

»Von wegen, das Auto hat gar keinen Motor. Ich höre nichts!«

Er kicherte und sie blickte ihn wütend an.

»Höre bitte auf zu lachen!«

»Okay, okay... Hey, ich mach es wieder gut.«, sagte er schnell.

Er ließ ihre Hand los, bremste kurz ab und wendete.

»Was hast du vor?«

»Lass Dich überraschen!«

»Habe ich schon erwähnt, dass ich Überraschungen hasse?«

»Nein, aber das wäre auch egal.«

»Na super. Der Tag wird immer besser.«

Sie schielte zu ihm rüber. Sein breites Grinsen verhieß nichts Gutes.

»Nun sag schon, wohin fahren wir? Wartet Mr. John denn nicht auf uns?«

Sie fühlte sich plötzlich unwohl. Wer weiß, wo er sie hinbrachte.

»Oh ja, stimmt! Danke!«

Er nahm sein Smartphone aus der Brustinnentasche und wählte. Nach ein paar Sekunden: »Hi Jack. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich Julia etwas später zu dir bringe. Wir werden gegen 15:00 Uhr da sein. Ist das okay?«

Es war einen Moment still.

»Das erzähle ich dir später.«

Wieder Stille.

»Nein!«

Stille.

»Das kannst du ihr alles nachher erzählen. Ich werde noch mit ihr Essen gehen und komme dann zu dir.«

Er legte auf. Ihr Unbehagen wuchs. Jetzt wollte er auch noch essen mir ihr gehen.

»Bitte sage mir, was du vorhast.«

Ihre Stimme klang zaghaft und unsicher. Sie versank förmlich in ihrem Sitz und verschloss die Arme vor ihrer Brust. Er dagegen fühlte sich wohl. Er genoss ihre Anwesenheit und die Leichtigkeit mit ihr zu reden.

»Vertrau mir! Du wirst es nicht bereuen. Ich sagte doch, ich mach es wieder gut.«

Sie stieß die Luft schnell aus: »Puh, ich glaube das ist zu viel für den ersten Tag.«

»So wie ich meine Versprechen halte, so kannst du mir auch vertrauen«, versuchte er sie zu beruhigen.

»Das sagte der Kater zur Maus?«

Es sollte ironisch klingen, verfehlte jedoch die Wirkung… er musste wieder schmunzeln.

»Ich glaube, es ist an der Zeit, dass ich meine sorgenvolle Freundin anrufe«, lenkte sie ab.

»Nur zu.«

Sie nahm das Smartphone und wählte wieder die 1. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, begann der Redeschwall von Rose.

»Kleines, bist du verrückt? Warum bist du nicht ran gegangen? Ich wollte schon Scotland Yard anrufen. Was ist denn passiert? Warum wurden wir unterbrochen? Ich kann nicht glauben...«

»Hey Rose, schön deine liebliche Stimme zu hören«, unterbrach sie Rose forsch.

Wenn sie Deutsch sprach, fühlte sie sich sicher. Schließlich war sie hier in Schottland und es war kaum vorstellbar, dass hier einer Deutsch sprach. Am allerwenigsten der sonderbare Mann, der neben ihr saß.

»Ist alles in Ordnung? Nun rede schon.«

»Also wenn du mich zu Wort kommen lassen würdest, könnte ich reden«

Am anderen Ende schnaufte jemand.

»Mir geht es gut. Ich wurde auch, wie versprochen, vom Flughafen abgeholt. Ich sitze jetzt im Auto und wir fahren zum Anwesen... glaube ich jedenfalls. Es ist nichts passiert und ich habe es wieder geschafft, niemanden zu verletzen.«

»Braves Mädchen. Und, sieht er gut aus... ich meine der Typ, der dich abgeholt hat?«

Julia stöhnte und trotz der deutschen Sprache flüsterte sie: »Oh man Rose. Ist es wichtig wie er aussieht? Frage lieber, ob er nett ist.«

»Oh Gott Julia. Ist er etwa nicht nett? Hast du noch das Pfefferspray, dass ich dir gegeben habe?«

»Jaaa doch. Das brauche ich aber nicht. Er ist ja nett.«

»Mensch Julia, erschrecke mich doch nicht so. Dann sieht er also doch gut aus? Nun sag schon... ist er ein Sahneschnittchen?«

Julia musste grinsen. Sie drehte sich weg von ihm und flüsterte so leise wie sie konnte: »Herrje Rose, du bist unmöglich. Jaaaaa, er ist ein Sahneschnittchen.«

Kevin grinste in sich hinein. Schön zu wissen, was sie über ihn dachte. Dass er seine Deutschkenntnisse vor ihr verheimlichte, war zwar nicht okay, aber sehr amüsant für ihn. Er wollte unbedingt, dass es so blieb.

»Wie heißt er denn?«

Sie drehte sich kurz zu ihm und ihre Blicke trafen sich. Sie konnte nicht verhindern, dass sie rot wurde.

»Kevin Brown«, sagte sie mit fester Stimme und sein Blick hielt ihrem kurz stand.

Es herrschte am anderen Ende totale Stille.

»Hey Rose, bist du noch dran?«

Dann ein lautes Atmen.

»Rose? Alles klar bei dir?«

Dann ein lautes Kreischen. Julia erschrak und ihre Braue schoss wieder nach oben. Süß... einfach nur süß, dachte er und wich jetzt ihrem Blick nicht für eine Sekunde aus.

Sie rief ihm erschrocken zu: »Hey, Augen nach vorne, du fährst Auto.«

Brav aber kopfschüttelnd folgte er ihrem Befehl. Er fand diese Fahrt mehr als amüsant.

»Sage mal Kleines, er hat nicht zufällig wahnsinnsblaue Augen, einen supersüßen kleinen Mund, kurze braune Haare, ist groß und ist sehr höflich?«

»Ja, ja, ja, ja und ja“, antwortete sie knapp und gelangweilt auf die fünf Fragen.

«Oh Gott Kleines, ich werde gleich ohnmächtig. Ich glaube das alles nicht.«

»Was ist denn?«

»Du schnallst das nicht, oder? Das ist Kevin Brown. Klingelt es da nicht bei dir?«

»Du kennst ihn?«

Nun begann ihr Puls zu rasen. Sie erkannte, dass der Anruf peinlich enden würde. Und jetzt, wo sie seinen Namen genannt hatte, wusste er auch ohne Deutschkenntnisse, worum es ging. Sie verfluchte sich und ihre Ängstlichkeit. Sie hätte bestimmt nicht angerufen, wenn sie nicht so ein Angsthase gewesen wäre.

»Natürlich kenne ich ihn und du auch. Denke an die Serie Deadly Lies... der Hauptdarsteller.«

»Ich muss auflegen. Ich rufe dich heute Abend noch mal an. Hab dich lieb.«

Ohne auf die Antwort zu warten, beendete sie das Gespräch und warf das Smartphone verärgert in ihre Tasche. Das war wieder mal typisch für sie. Sie sah den Wald vor lauter Bäume nicht. Sie drehte sich zu ihm um und fauchte: »Hättest du mir nicht einfach sagen können, wer du bist?«

»Hab ich doch! Aber... schade, dass du es jetzt weißt.«

»Warum?«

»Weil ich befürchte, dass du jetzt anders bist. Nicht.... nicht mehr so natürlich«, gestand er sanft. Seine Stimme war wie Samt.

Oh Gott, Julia. Bleibe stark und bleibe sauer, dachte sie.

»Hmmm. Natürliche Wesen stehen dir also nicht oft zur Verfügung?«

»Eher selten!«

Seine Antwort kam verbittert rüber. Ihr Ärger verflog.

»Und hier bei Mr. John ist alles anders? Hier bekommst du was du suchst?«

Er verlangsamte die Geschwindigkeit und hielt auf einer kleinen Auffahrt. Er suchte ihren Blick und hielt ihn fest. Ein kleines Lächeln umspielte seinen Mund.

»Na ja, sagen wir mal so. Wenn er nicht gerade irgendwelche Promis einlädt, oder Frauen, die mir das Leben versüßen sollen... ja dann, dann finde ich hier Ruhe. Dann kann ich einfach nur Kevin sein.«

»Hmmm, verstehe! Aber dann hast du einen wirklich schlechten Zeitpunkt abgepasst. Denn ich soll Fotos von einem Promi machen. Da werden bestimmt viele schöne Frauen dabei sein.«

»Ich weiß, schlechtes Timing. Das ist Jack´s Schuld... aber egal. Komm, ich möchte dir was zeigen.«

Sie zögerte. Er schnallte sie ab und rief ihr beim Aussteigen zu: »Vergiss deine Kamera nicht!«

Das war Musik für ihre Ohren. Eilig griff sie nach der Tasche und folgte ihm. Erst jetzt sah sie, dass sie vor einem kleinen Haus standen. Es war alt und sah baufällig aus. Jedenfalls von außen. Ringsherum wucherte das Unkraut und die Bäume waren klein, aber wuchsen in die Breite. Er wartete geduldig und hielt ihr die Hand hin. Sie nahm sie spontan und ließ sich führen.

 

»Wo gehen wir hin?«

»Warte, gleich siehst du es.«

Er zog sie behutsam hinter sich her. Seine Hand war warm und der leichte Druck verstärkte sich, als sie über eine kleine Brücke liefen. Sie bestand aus vielen kleinen Steinen und sah fast so aus, als wenn sie von Kinderhand gebaut wurde. Etwas schief und total uneben. Man musste höllisch aufpassen, dass man nicht stolperte.

»Dürfen wir das denn überhaupt? Das ist doch bestimmt Privatbesitz.«

»Ja, ist es!«

»Und? Dürfen wir es betreten?«

»Ja, es gehört mir?«

»Oh!«, sagte sie überrascht.

Sie liefen über eine kleine Wiese, die von Hecken umsäumt war. Am Ende mussten sie sich bücken, um durch eine mit Unkraut überwucherte Holztür hindurchgehen zu können. Ab und zu drehte er sich um und schaute nach ihr.

Sie hob jedes Mal die Hand und sagte: »Ist schon okay!«

»Bin ich wieder zu schnell?«

»Nein!«

Hinter der Holztür bot sich ein Bild, das sie nie vermutet hätte. Als wenn hinter dieser alten Holztür eine andere Welt anfing. Sie sah eine riesige Wiese, die leicht anstieg. Rechts und links türmten sich kleine Steingebilde, die mit Moos bewachsen waren. Selbst die kurzen Baumstämme waren damit bedeckt. Es war eine unendliche Landschaft, die unsagbar viele Grüntöne freigab. Am Ende der Wiese sah sie das Meer. Sie ließ seine Hand los und versuchte schnell an die Kamera zu kommen.

»Hey, langsam. Die Aussicht rennt uns nicht weg.«

Er half ihr, da sie immer hektischer wurde.

»Ja schon, aber das Licht ist gerade so, wie ich es brauche. Bitte beeile dich!«

Sie griff nach der Kamera und kniete sich nieder. Sie schoss in allen Richtungen. Danach lief sie langsam näher an das Ende der Wiese heran, während sie unentwegt abdrückte. Er beobachtete sie vergnügt. Er hatte diesen Ort schon lange nicht mehr betreten und war überrascht, wie schön er noch immer war. Lag das an ihr?

Ihre Begeisterung steckte an. Er setzte sich auf einen Stein und beobachtete sie mit gemischten Gefühlen und mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Sie kletterte auf einen Stein, sie ging in die Hocke und im nächsten Moment stand sie wieder auf. Sie suchte mit ihren Augen nach immer neuen Motiven. Zwischendurch schoss sie auch Fotos von ihm. Oder er von ihr. Sie lief zu ihm und kniete sich vor ihm hin.

Es sprudelte aus ihr heraus: »Oh Gott Kevin, ich habe noch nie so ein schönes Fleckchen Erde gesehen. Ich kann gar nicht aufhören zu fotografieren... das alles gehört dir wirklich?«

»Jaaa«, sagte er lachend.

»Unglaublich!«

Sie sprang aufgeregt auf. Ihre Wangen glühten.

Er hielt sie am Handgelenk fest und fragte besorgt: »Hey, geht es dir gut? Nicht dass du mir hier umkippst.«

»Mir geht es traumhaft gut! Und das Haus? Gehört dir das auch?«

»Hmm... wieso?«

»Wohnst du hier manchmal?«

»Nein.«

»Nein? Ich meine, das ist doch paradiesisch hier. Warum suchst du die Ruhe bei deinem Jack, wenn du sie hier hast?«

»Das frag ich mich auch oft«, sagte er leise und eher zu sich als zu ihr. Er hielt noch immer ihr Handgelenk fest und sie machte eine Kopfbewegung in diese Richtung.

»Was?«

»Meine Hand? ... kann ich sie haben?«

»Oh, sorry. Natürlich.«

Verlegen ließ er sie los, setzte sich wieder ins Gras und sah ihr einfach nur zu. Sie ging langsam in Richtung Meer und vergewisserte sich, durch einen kurzen Blick in seine Richtung, ob er auch noch da war. Sie lief dicht an eine kleine Steinmauer heran und stützte sich ab. Sie blickte nach unten. Es ging steil abwärts. Die Klippe war, im Gegensatz zu der Landschaft hier oben, sehr karg. Einige riesige Felsbrocken lagen im Wasser und die Gischt peitschte an ihnen hoch. Sie drehte sich um und schrie: »Wie tief geht es hier runter?«

»30 Meter.«

Er stand auf und lief zu ihr. Vor Aufregung wurde ihr nicht bewusst, dass sie sich immer weiter über die Steinmauer lehnte. Er griff nach ihren Schultern und zog sie sachte zurück.

»Vorsicht, es ist zu gefährlich! Es kann vorkommen, dass sich Steine lösen.«

Sie trat einen Schritt zurück und stieß gegen seine Brust. Sie drehte den Kopf zu ihm und blickte ihn mit großen dunklen Augen an.

»Danke, dass du mir das gezeigt hast! Es ist einfach traumhaft hier... und... du hast es wieder gut gemacht, es sei dir verziehen.«

Er grinste.

»Na, das war ja leicht!«

»Ich kann gar nicht lange böse sein«, gestand sie verlegen.

Er nahm ihre Hand und zog sie weiter vom Abhang weg.

»Du machst mich nervös, wenn du so dicht dran stehst.«

»Oh Gott, du hörst dich schon an wie.....«

»Wie dein Freund?«

»Neiiin, wie meine Freundin Rose.«

Wie auf Kommando klingelte ihr Smartphone. Das war bestimmt Rose. Schlechtes Timing fand sie und ignorierte es.

»Willst du wieder nicht rangehen?«

»Nein«, sagte sie knapp.

»Wieso nicht? Vielleicht ist es dein Freund, der nur wissen möchte, ob es dir gut geht?«

Sie verdrehte die Augen.

»Hmm. Wenn du wissen möchtest, ob ich einen Freund habe, dann frage mich doch einfach.«

»Okay, hast du einen Freund?«, schoss es aus seinem Mund.

»Nein!«, gestand sie und lief an ihm vorbei.

Schmunzelnd lief er ihr nach und war froh über ihre Antwort und erstaunt über sich selbst, dass er ihr solch eine Frage gestellt hatte.

»Hey, hast du Hunger?«

»Ein wenig.«

»Super, ich kenne hier in der Nähe ein schönes kleines Restaurant. Das liegt direkt am Meer. Warte, ich zeig‘s dir.«

Er lief auf den kleinen Felsen zu, der links von ihnen lag. Er war nicht groß und man hätte ihn auch als Tisch nutzen können, wenn er nicht in der Mitte ein kantiges Loch gehabt hätte. Er sprang ohne Anstrengung hoch und bot ihr die Hand zur Hilfe an.

»Komm! Von hier oben kannst du das Restaurant sehen.«

Sie hing sich ihre Kamera um den Hals und griff nach seiner Hand. Er umschloss sie fest und zog sie kraftvoll, aber behutsam zu sich hoch.

»Sei vorsichtig, dass du nicht in das Loch fällst«, ermahnte er sie.

Sie nickte und er zog sie nah an sich heran. Ihre Blicke trafen sich und er musste schlucken.

Leise fragte sie: »Das Restaurant???«

Er räusperte sich. »Ach ja, das Restaurant. Schau, dort drüben. Siehst du die Klippe, die weit ins Meer ragt?«

Er zeigte mit der Hand in die vermeintliche Richtung.

»Ja, ich sehe es. Das liegt ja am äußersten Rand der Klippe. Aber nicht so hoch wie hier, oder?«

»Nein, aber hoch genug um sich in den Tod zu stürzen.«

Sie zog die Braue hoch. Er musste grinsen.

»Wieso sagst du das?«

»Damit du gewarnt bist und nicht so dicht an die Steinmauer herangehst.«

Sie stieß ihn in die Seite und er verlor das Gleichgewicht. Mit einer gekonnten Drehung sprang er hinunter und griff dabei ihre Hand. Sie kreischte auf: »Neeeiiiiiin!«

Zu spät.

Beide landeten gleichzeitig auf ihren Füßen, jedoch stolperte Julia und er verstärkte seinen Griff. Langsam zog er sie hoch und schaute in zwei lachende Augen. Sie grinste über das ganze Gesicht und kicherte unentwegt.

Kopfschüttelnd sagte er: »Was machst du nur?«

»Du bist schuld, schließlich hast du mich mit runtergezogen«, erwiderte sie gespielt empört.

Sie entzog sich seinem Griff und kicherte weiter.

»Du hast Recht, es tut mir leid.«

Übertrieben verbeugte er sich, um seine Entschuldigung noch zu unterstreichen.

»Schon gut, schon gut!«, sagte sie schnell, damit er nicht auch noch auf die Idee kam, auf die Knie zu fallen.

Sie liefen zurück zum Auto und er fand es schade, dass er nicht mehr ihre Hand hielt.

Sie schaute auf ihre Armbanduhr und fragte vorsichtig: »Es ist schon 14:00h. Kommen wir nicht zu spät zu mit Mr. John?«

Er blickte kurz auf die Uhr im Auto.

»Das ist nicht so schlimm. Ich rufe nach dem Essen noch mal an, dann ist er beruhigt.«

»Ich möchte nicht gleich am ersten Arbeitstag Ärger bekommen. Das kann ich mir nicht leisten.«

»Oh, ich bin mir sicher, dass er dir alles verzeihen wird.«

Das sagte er so sicher, dass sie aufhorchte. Er biss sich auf die Lippe und verfluchte sich. Er hatte laut gedacht, sie sollte es gar nicht hören. Denn er wusste, dass Jack sie mit offenen Armen aufnehmen wird. Schon alleine deswegen, weil sich ein „Kevin“ für „sie“ interessierte. Aber dies konnte er ihr wohl kaum sagen. Also lenkte er ab, bevor sie Fragen stellen konnte.

»Aber du hast Recht, ich werde kurz anrufen.«

Er nahm sein Smartphone und sie beobachtete ihn.

»Hi Jack. Wir sind jetzt erst auf dem Weg zum Restaurant. Es kann also später werden.«

Julia hielt die Luft an um eventuell die Antwort von dem „Jack“ zu hören. Vergeblich.

»In Little Castle!«

Nun hörte sie doch etwas. Mr. John schrie förmlich ins Telefon: »Das glaub ich jetzt nicht!«

»Hör zu, ich erzähl dir später alles. Bye«, sagte Kevin schnell und tippte auf den roten Hörer.

Er stieß die Luft pfeifend aus und versuchte seine Verlegenheit mit Coolness zu überspielen. Es misslang und er ärgerte sich.

Verdammt, ich bin Schauspieler. Warum kann ich meine Verlegenheit vor ihr nicht verbergen?

Sie fragte vorsichtig: »Ist es dir peinlich, dass du mit mir dort warst?«

»Nein!«

Seine Stimme klang hart.

»Also ich kann schweigen. Wenn du nicht möchtest...«

»Hey«, unterbrach er sie diesmal sanfter, »ich habe es dir gerne gezeigt. Jack kann es ruhig wissen.«

Sie fuhren schweigend weiter und Julia schaute aus dem Fenster. Die Straße führte direkt am Meer entlang; oberhalb der Klippen. Julia fand es atemberaubend. Nach 5 Minuten bog er in einen kleinen Weg ein, der hinauf zur Klippe führte.

Er fuhr langsamer und sagte: »Es wird dir dort gefallen.«

»Schöner, als dein kleines Paradies?«

Er lachte. »Nein, anders!«

Er mochte es, wie sie über Little Castle sprach. Auch er empfand es als paradiesisch. Sie parkten hinter dem Haus. Er half ihr aus dem Auto, hielt ihr die Tür vom Restaurant auf und beim Hineingehen umfasste er ihre Taille. Sie schmunzelte und er bemerkte es.

»Was ist?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Du bist so... na ja... so höflich.«

»Ist das etwas Schlimmes?«

Verlegen kratzte er sich am Kopf. Bevor Julia antworten konnte, stand plötzlich ein Mann vor ihnen. Er war Ende 50 und hatte noch volles, aber fast weißes Haar. Er hatte ein rundliches Gesicht und einen klaren Blick.

»Hey Kevin, schön dich mal wieder hier bei uns zu sehen«, sagte er freundlich und umarmte ihn väterlich.

Kevin erwiderte lächelnd: »Hallo Adam! Ja, es ist schön mal wieder hier zu sein.... Julia, das ist Adam.... Adam, das ist Julia.«

Er gab Julia die Hand und begrüßte sie sehr herzlich: »Julia, es freut mich sie hier begrüßen zu können.«

Sie lächelte ihn freundlich an.

»Adam, hast du noch ein Tisch direkt am Fenster frei?«

Er eilte voraus und sagte im Gehen: »Aber natürlich Kevin. Sogar deinen Lieblingsplatz.«

Kevin schob Julia sanft vor sich her. Sie drehte sich kurz um und flüsterte: »Ihr seid hier alle verdammt höflich. Und... du hast Recht. Es gefällt mir hier.«

Er grinste zufrieden. Das Restaurant war sehr gemütlich eingerichtet. In warmen Erdtönen und vielen Holzbalken. Obwohl der Raum sehr groß war, standen nur wenige Tische darin. Sehr großzügig angeordnet, so dass man ungestört reden konnte, ohne vom Nachbartisch gestört zu werden. Die Fenster gewährten einen Blick auf das, im Moment, unruhige Meer. Das Haus stand fast am Ende der Klippe und zwischen Hauswand und Steinmauer waren es nur 3 Meter.

Adam zog ihr den Stuhl vor und verteilte die Speisekarten: »Darf ich schon etwas zu trinken bringen?«

»Was möchtest du trinken Julia?«

»Einen Milchkaffee, bitte.«

»Aber gern. Kevin? So wie immer?«

»Ja, Danke Adam.«

Er verschwand lautlos und Julia beugte sich zu Kevin hinüber.

»Du bist oft hier?«

Er räuspert sich und antwortete lächelnd: »Na ja. Es gab mal eine Zeit, da war ich regelmäßig hier. Das ist aber schon lange her. Adam freut sich immer, wenn ich mal wieder vorbeischaue.«

»Das hat man gemerkt. Seine Augen glänzten ja richtig.«

 

»Er ist ein guter Freund meines Vaters. Ich kenne ihn schon seit meiner Kindheit.«

»Bist du eigentlich Schotte?«

»Nein, ich bin in England geboren. Als ich drei war, sind meine Eltern nach Amerika gezogen. Sie haben aber ihre Freunde nie aus den Augen verloren. Ich mache, wie du ja bereits schon weißt, oft hier Urlaub, bzw. nehme ich mir eine Auszeit vom Promirummel in Amerika.«

Adam kam mit den Getränken und fragte Julia höflich: »Gefällt es ihnen hier in Schottland?«

»Oh, ich bin erst vor wenigen Stunden angekommen«, sie schaute zu Kevin und zwinkerte ihm zu. Sein Puls raste.

»Aber das, was ich bis jetzt gesehen habe, ist einfach so paradiesisch, dass mir manchmal die Worte fehlen.«

Adam lächelte zufrieden und zu Kevin gewandt sagte er: »Ihr würde Little Castle bestimmt gefallen.«

Sie schwieg und er schaute ihr tief in die Augen und sagte: »Davon spricht sie!«

Adam schaute von einem zum anderen und dann breitete sich ein glückliches Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er legte seine kleine Hand auf Kevins Schulter und drückte sie kurz.

»Das ist gut so, mein Sohn!«, sagte er gerührt und verschwand.

Erst jetzt löste er seinen Blick von Julia und schaute verstohlen auf seine Hände. Sie bemerkte wieder die beklemmende Stimmung und sagte: »Du hättest es ihm nicht sagen müssen. Ich habe es extra nicht erwähnt. Nur du weißt, was ich beschreibe, wenn ich paradiesisch sage.«

»Das war auch sehr freundlich von dir. Wir müssen es aber nicht verheimlichen, ehrlich. Es kann wirklich jeder wissen, dass wir dort waren.«

»Okay! Wie du willst.«

Er berührte kurz ihre Hand. »Nun erzähl von dir ein wenig.«

»Oh je, da gibt es nicht viel zu erzählen. Mein Leben wird neben deinem recht langweilig klingen.«

»Das glaube ich nicht«, sagte er ruhig. „Okay, dann frage ich dich aus.«

Sie grinste und verdrehte die Augen. Sie stützte ihren Kopf mit den Händen ab und sagte: »Okay, was willst du wissen? Ich bin bereit!«

»Also... wo bist du geboren.«

»Hmm, das ist einfach. In Berlin.«

»Wo lebst du?«

»In Berlin.«

»Wo leben deine Eltern?«

»Meine Eltern leben nicht mehr.«

»Das tut mir leid. Bitte verzeih!«

Er nahm spontan Ihre Hand und hielt sie ganz fest. Er wollte sie nicht mehr loslassen und sie ließ es zu; leicht errötet. Sie musste sich eingestehen, dass sie seine Berührungen als sehr angenehm empfand. Schnell sagte sie: »Ist schon gut, das konntest du ja nicht wissen.«

Er schwieg und deshalb sprach sie weiter.

»Meine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ich war gerade 13 und ein unausstehlicher Teenager. Mein Onkel, der Bruder meines Vaters, hat mich großgezogen. Es wäre ungerecht zu sagen, dass ich mit ihm nicht glücklich war. Meine Eltern haben mir aber trotzdem sehr gefehlt. Ich liebe meinen Onkel über alles. Er ist ein warmherziger und gütiger Mensch. Ich habe ihm viel zu verdanken. Auch, dass ich meinen Traumberuf ausüben kann, ist allein sein Verdienst. Er hat mich immer in allem unterstützt. Er sagte immer ‚Julia, du weißt immer am besten, was für dich gut ist. Ich vertraue dir‘. Sein größtes Opfer allerdings war, dass er für mich nach Deutschland gezogen ist. Er verkaufte das Haus meiner Eltern und wir zogen in eine kleine Eigentumswohnung. Das restliche Geld hat er für mich angelegt. Erst als er der Meinung war, dass ich alleine klar komme, ist er wieder nach Spanien gezogen.«

»Es war wirklich sehr gütig und selbstlos von deinem Onkel, dass er sich um dich gekümmert hat.«

»Oh ja. Er hat ein großes Herz. Ich habe meine Eltern vermisst, aber keine Liebe.«

»Du bist auch sehr warmherzig und eine außergewöhnliche Frau. Deine Eltern wären stolz auf dich.«

»Hmm, vor allem darüber, dass ich Katastrophen anziehe?«, scherzte sie verlegen. Auf sein Kompliment war sie nicht vorbereitet. Außerdem konnte sie von jeher nicht mit so etwas umgehen.

»Sag das nicht, oder bin ich eine Katastrophe?«

Er zeigte mit der rechten Hand auf sich. Mit der linken hielt er ihre noch immer fest und dachte auch nicht im Traum daran, sie loszulassen.

»Nein, du nicht! Aber die Woche ist ja noch nicht vorbei.«

»Ich werde vielleicht die ganze Woche da sein. Soll ich auf dich aufpassen?«

Nichts würde er lieber tun. Dann müsste er ständig in ihrer Nähe sein. Der Gedanke war verlockend. Sie ignorierte seine Frage. Stattdessen stellte sie selber eine.

»Bist du fertig mit dem Verhör?«

Er legte seinen Kopf schief.

»Noch lange nicht. Aber wir werden erst einmal das Essen bestellen, nicht dass du mir kraftlos vom Stuhl fällst. Schließlich musst du noch viele Fragen beantworten.«

Plötzlich stand Adam neben ihr. Genau im richtigen Moment. Sie zuckte ein wenig zusammen, da sie ihn nicht hat kommen sehen. Konnte er etwa alles mithören?

Kevin sah ihren fragenden Blick und sagte ruhig: »Er ist ein Profi, weißt du. Er kann an unserer Körperhaltung genau erkennen, wann wir bestellen wollen.«

Adam verdrehte die Augen und stupste Kevin leicht an.

Zu Julia gewandt fragte er höflich: »Was möchtest du essen, Julia?«

»Oh, ich hätte gerne den Zander in Weißweinsoße.«

»Gute Wahl! Den nehme ich auch.«

Er nickte ihm zu und Adam verschwand so leise, wie er gekommen war.

Sie beugte sich wieder leicht über den Tisch und flüsterte: »Es ist ein wenig unheimlich.«

Er beugte sich auch vor und sein Gesicht war jetzt nur noch 20 cm von ihrem entfernt. Er versuchte nicht laut zu atmen, um sich nicht zu verraten, wie aufgewühlt er war. Diese Frau brachte so ziemlich alles an ihm außer Kontrolle. Wie schafft sie das nur?

»Warum flüsterst du?«, fragte er in einer normalen Lautstärke.

»Er kann uns bestimmt hören«, sagte sie weiter flüsternd.

Er passte sich ihrem Flüsterton an.

»Nein, kann er nicht.«

»Er kann Gedanken lesen?«, rät sie weiter.

»Nein, kann er nicht!«

»Dann liest er von den Lippen ab?«, fragte sie ungeduldig.

»Nein, kann er auch nicht.«

Er musste grinsen. Sie war echt amüsant. Und die Nähe zu ihr fand er aufregend. Er hoffte, dass sie noch lange flüsterte.

»Kevin Brown, erzählen Sie mir jetzt endlich, wie er das macht?«

»Na gut. Er hat einen magischen Stein in der Tasche. Wenn er warm wird, dann weiß er, dass die Gäste bestellen wollen.«

Verwirrt und noch leiser fragte sie: »Echt?«

Er riss sich zusammen, um nicht loszulachen: »Quatsch! Keine Ahnung, wie er es macht.«

»Blödmann!«, sagte sie laut und schmiss ihm die Serviette ins Gesicht. Jetzt musste er doch laut lachen.

Adam eilte herbei und fragte Julia: »Ist alles in Ordnung? War Kevin unhöflich zu ihnen?«

Kevin kniff leicht die Augen zusammen und wartete gespannt auf ihre Antwort.

»Oh nein«, sagte sie und hielt seinem Blick stand. »Ich muss mich entschuldigen. Es war nur ein Reflex.«

Adam schaute Kevin, der immer noch grinste, besorgt an: »Kevin, vermassle es nicht.«

Nun blickte Julia zu Adam. Was sollte er nicht vermasseln? Wieso der besorgte Blick? Kaum war Adam außer Sichtweite, fragte sie neugierig: »Was meint er damit... vermassle es nicht?«

Er zuckte mit den Schultern.

»Keine Ahnung? Ich kann auch keine Gedanken lesen.«

Sie wurde langsam wütend.

»Halt, ich weiß es. Du schleppst hier jede Frau her? Ist es das? Ohrfeigen dich die Frauen dann immer zum Schluss und rennen raus? Ich meine, ich könnte die Frauen verstehen? Ich bin kurz davor.«

Er lachte und sagte lässig: »Du bist lustig. Ich glaube, mich hat schon lange keine Frau mehr so oft zum Lachen gebracht, wie du. Und nein... du bist die erste Frau nach 3 Jahren, die ich hier... wie sagtest du? ...die ich hier herschleppe.«

»Oh!«

Es entstand eine kleine Pause.

»Wieso sollte ich dir glauben?«

»Frage Adam!«, sagte er laut und zeigte in Richtung Bar.

»Schscht«, zischte sie. »Ist ja schon gut. Ich glaub dir ja!«

Siegessicher lehnte er sich entspannt zurück. Um seinen Mund lag das berüchtigte charmante Lächeln, für das so manche Frauen sterben würden, um nur einmal von ihm so angelächelt zu werden. Sie wurde verlegen, denn auch sie konnte sich seinem Charme nicht entziehen. Sie schob den Stuhl zurück.

Erschrocken fragte er: »Hey, wo willst du hin?«

»Für kleine Mädchen?«

»Sorry. Ich dachte schon, du wolltest gehen.«

»Mach nur weiter so und ich werde es vielleicht noch tun... nach der Ohrfeige.«

Ihr Lächeln allerdings überzeugte ihn, dass sie es nicht ernst meinte. Trotzdem stand er mit ihr auf, höflich wie er war, und wartete mit dem sich wieder Hinsetzen, bis sie hinter der Tür verschwand. Kaum saß er, kam Adam zu ihm. Neugierig und kurz vor dem Platzen fragte er: »Wer ist sie? Wo hast du sie kennen gelernt? Erzähl schon, ansonsten muss ich sie fragen.«