Steinreich

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11-Überholspur-

Es war schon unglaublich, welche Gedankengänge sich durch mein glücksverseuchtes Gewinnerhirn schlängelten, jetzt, wo mir alle Türen offen standen wie ein Scheunentor. Kaum war ein Kapitel serienreif zur Umsetzung, tauchte schon das nächste Problem auf, das auf eine Lösung wartete. Nicht alle Themen waren angenehm und unkompliziert. Viele davon waren eine Wissenschaft für sich und deshalb Grund dafür, dass ich sie hasste wie eine Seuche.

Die Angelegenheiten mit allem, was sich um Finanzen drehte, gehörten zu diesen eher unangenehmen Themen. Nicht, weil es mich nicht interessierte, sondern weil die Zusammenarbeit mit einer Bank, oder genauer gesagt die mit meinem Banker, ausnahmslos von kritischen Erfahrungen geprägt war. Für mich stand deshalb unverrückbar fest, dass die Bank um die Ecke weder mich noch meine meine Millionen noch einmal zu sehen bekommen würde. Wenn doch, dann wäre es bestenfalls mein Stinkefinger dafür, dass sie mir unaufhörlich zugesetzt haben, dass sie mir für jeden Kram Gebühren abgeknöpft haben, meine Lastschriften nicht eingelöst haben, Kredite verweigert haben -wegen lächerlicher zehntausend Piepen-. Aber was ist das schon? Zehntausend, nichts, einfach lächerlich. Und dann haben sie mir zuletzt sogar noch den Geldhahn zugedreht.

Das alles hatte ich diesem oberspießigen Daniel Ehrlich zu verdanken, der dabei noch so scheinheilig freundlich blieb wie die Politiker auf den Wahlkampf-Plakaten vor den nächsten Kommunalwahlen. Aber das wird nun meine Show, Jungs. Ab nun würden andere Gesetze gelten, nämlich die, die ich mir selber mache, basta. Vielleicht eröffne ich selbst eine Bank. Oder besser doch nicht, nein lieber wollte ich der-Kunde-ist-König-Typ werden. Aber nur ein echter Profi wird die Lizenz bekommen, sich um mein Vermögenspaket zu kümmern. Es war höchste Zeit geworden, dass sich die Dinge endlich zu meinen Gunsten änderten. Darauf wollte ich anstoßen. Nur mit wem?

Es gab Zeiten da waren wir dicke Freunde wie zwei Blutsbrüder, vermutlich unsere beste Zeit als Jungs in unserer Tom-und-Huck-Phase. Manchmal waren wir nur eine Art Zweckgemeinschaft, weil jeder den anderen für etwas gebraucht hat und manchmal sogar richtig und jahrelang verfeindet.

Fix. Groß, schlaksig, kräftiger dunkler Haarwuchs, gutaussehend. Er war anders als ich. Rotzfreche Schnauze, gerissen, immer den entscheidenden Kick schneller als ich. Er war aber auch der Teufelskerl, der meine Crash-Autos wieder zusammenflickten konnte, selbst wenn sie schon reif für den Autofriedhof gewesen waren. Er war der, der immer Ideen hatte, der alles Mögliche organisierte und der die Mädchen besorgte. Gleichzeitig aber auch der gleiche, der sie mir wieder ausgespannte. Fix, Freund, Kumpel aber auch Nebenbuhler und ein ewiger Hurensohn.

Ich dagegen war ich nur der viel zu gutmütige Sündenbock, der die Prügel bekommen hat, wenn wir etwas zusammen ausgefressen hatten. Ich war der, der trotzdem nie nachtragend genug war und nie eine ernsthafte Konkurrenz für ihn. Selbst bei unseren Zerwürfnissen war ich es, der ihm wieder die Hand reichte. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum wir trotz unserer Differenzen -bei denen es immer um das gleiche Mädchen ging- doch immer wieder zusammengefunden haben. Okay, also doch mit ihm saufen … bei meiner nächsten Party.

Ich ließ mich wieder in meine himmlische Gedanken-Hängematte zurückfallen, stellte mir den weißen warmen Sand unter meinen Füßen vor, so weich wie Puderzucker. Mein Kopf war so leicht wie die Flügel eines Schmetterlings, der Wind flüsterte mir zu und meine Zukunftsgedanken rollten weiter wie vom Laufband aus mir heraus.

Zuerst sah ich einen üppigen Palmengarten, dann einen großen ovalen Pool mit schimmerndem smaragdgrünen Wasser, eine ausladende Sonnen-Terrasse und plötzlich stand ich in einem feudal ausgestatteten Haus mit Teppichen, Glasvitrinen, schicken Möbeln, einem tischgroßen Aquarium und einem weißen Flügel in der Mitte des Raumes. So in etwa sollte es aussehen, mein neues Wohlstands-Zuhause. Ob das am Lago Maggiore, an der Cote d`Azur, in Las Vegas oder auf den Bahamas sein sollte, war noch gar so nicht wichtig. Fest stand nur, nie mehr im letzten Hinterhof eines Glasscherbenviertels, in dem es nach Armut und Aussichtslosigkeit stank und der Mief von gescheiterten Existenzen wie wischfeste Farbe an den Wänden klebte. Und nie mehr in einem Kaff, wo jeder deine Schuhgröße kennt und auf die Minute die Uhrzeit nennen kann, wann du das Licht im WC ein und ausgeschaltet hast. Nie mehr direkt am Bahngleis, im nicht beheizten Gartenhaus, in der als Schlafgelegenheit genutzten Garage oder im abbruchreifen Wohnblock, sondern für immer und ewig dem Bruchbuden-Schicksal entfliehen.

In der Wohnung meines Großvaters, in der ich mit ihm bis zu seinem Tod gelebt hatte, war es noch am besten gewesen. Danach ging es nur in eine Richtung, nämlich schnurstracks nach unten. Erst als ich meinen zweiten Beziehungsversuch mit Strapsi einfädelte -und der war viele Jahre später- schaffte ich etwas Ähnliches wie ein kleines wirtschaftliches Zwischenhoch und zusätzlich das, was man als kleine Wohnung bezeichnen konnte. Doch es lag in der Natur der Sache, dass bei einem zum Unglück Verdammten wie mir der Versuch mich mit Strapsi zu beziehen von Vornherein zum kläglichen Scheitern verurteilt gewesen war. Der Einzug kam nicht zustande, die Kaution war futsch.

Meine alte Bude aber, in der ich noch hauste und für die ich eine viel zu hohe Miete bezahlte, wurde das unmittelbare Opfer eines von mir verursachten Wohnungsbrandes. Und weil das immer noch nicht abgrundtief genug gewesen war, folgte darauf der Totalabsturz zum wohnungslosen Tiefpunkt meiner Existenz, so tief und beschämend, dass ich mich nur ungern daran zurückerinnere.

Zumindest hatte ich einige hochprozentige flüssige Freunde und die dazugehörigen Kumpels aus der Suchtklinik gefunden, von denen ich allerlei über das Leben auf der Straße lernen konnte. Drei coole Typen mit reichlicher Erfahrung und guten Beziehungen im Milieu, Weißbier-Hugo, Gamaschen-Ali und Hassan Nakamura. Eine interessante Erfahrung, bis der Winter kam und ich mein provisorisches Bett im Gartenhaus räumen musste.

Die Stimmung in meiner Hängematte war zu herrlich, um das ganze dunkle Kapitel zu rekapitulieren. Es spielte keinerlei Rolle mehr. Irgendwie bin ich wieder aufs Gleis gekommen mit einem Tankstellen-Job und einer bescheidenen Zweizimmer-Wohnung. Selbst mein Führerschein und ich haben wieder zusammengefunden. Der Rest der Geschichte war ein Spießerleben, in dem ich begann, regelmäßig den Lottoschein auszufüllen wie so viele andere. Vielleicht hat es diese Vorgeschichte gebraucht, um mich dahin zu bringen, wo ich nun war.

Ich nippte in Gedanken in meiner Hängematte liegend an einem Mojito mit einem knallbunten Strohhalm und dachte zufrieden lächelnd an meine künftige Villa mit Pool und Meerblick. Das schäbige Innenleben und die Ansammlung des überflüssigen Gerümpels in meiner Bisher-Wohnung konnte ich getrost aus meinen Gedanken löschen. Welch ein beruhigendes Gefühl, so befreiend, einfach himmlisch.

Die geistige Bestandsaufnahme meiner Zukunftspläne wollte kein Ende nehmen, immerhin gab es ein komplettes Leben zu durchdenken und alles das, was auf meiner versäumtes-Leben-Liste noch offen war. Aber dann bohrte sich ein quälender Gedanke in meine Zukunftsvisionen. Was ist, wenn die Leute etwas mitbekommen? Sollte ich mich verstecken, verkriechen, einen Doppelgänger engagieren. Oder sollte ich sofort in ein Hotel oder gleich in eine andere Stadt oder ein anderes Land umziehen?

Die Vorstellung, dass jemand bemerken könnte, dass in meiner Welt etwas Besonderes im Busch war und nach Geld stank, behagte mir ganz und gar nicht. Nein, das Ding musste top secret bleiben, höchste Geheimhaltung. Der Teufel wäre los gewesen. Alle würden etwas von mir haben wollen, und wenn es nur ein paar Geld-Kalorien vom Millionen-Kuchen gewesen wären. Die Nachbarschaft, die Heuchler, die Neider, die Bettler oder Familienmitglieder, die wie Aliens soeben vom Himmel gefallen, sich plötzlich zu meiner Verwandtschaft zählen wollten. Nein, ich wollte mit allen Mitteln vermeiden, dass eine Armee von gierigen Aasgeiern über mich herfällt und an mir nagt wie an einem saftigen Stück Frisch-Fleisch. Hoffentlich hielt Fix dicht. Wieder sah ich sein eigenartiges Grinsen vor mir, aus dem ich mir keinen Reim machen konnte, als ich es ihm erzählte. Vermutlich war es wirklich die einzig vernünftige Option, mich baldmöglichst und unauffällig aus dem Staub zu machen.

12-das Leben ist eine Party-

Während ich meinen Gedanken zuhörte, lachte mich der Mojito in meiner Hand immer noch an und wartete nur darauf, dass ich mit dem bunten Strohhalm in die grünen Minze-Blättchen eintauchte und umrührte. Leider existierte der einzigartige erfrischende Geschmack von Rum, Zucker Minze und Eiswürfel nur in meiner Fantasie. Mein Mund dagegen fühlte sich in Wirklichkeit salzseetrocken an und die Vorstellung alleine konnte bei weitem nicht das immense Durstgefühl nach einem vernünftigen Drink zum Erlöschen bringen. Schade, Flüssigkeit jeglicher Art würde meinem Magen bestimmt gut getan haben.

Mein Trost war die Erfahrung aus allen vorangegangenen Besäufnissen. Auch wenn es dieses Mal die Mutter aller alkoholischen Exzesse gewesen war, die Nachwirkungen mussten irgendwann ein Ende haben, so wie immer. Dann endlich war der Boden unter meinen Füssen wieder fest und hart wie Stein, die Kraft in den Armen und Beinen wieder zurückgekehrt und das schleierhafte milchige Licht vor meinen Augen verschwunden. Mit klarem Blick und den Hirnzellen, die das Alkochaos funktionstüchtig überlebt haben, wollte ich meine visionären Pläne zu Taten werden lassen. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis ich die ganze Welt vor Freude umarmen und meiner Kehle das geben konnte, nach was sie flehend verlangte.

 

Warum sollte ich mich also noch weiter mit den Folgen meiner Sauftour beschäftigen. Die Endorphine in meinem gewinnberauschten Hirn beförderten mich wieder zurück in diese verflucht coole mexikanische Hängematte und schaukelten mich weit weg von jeglichen Gedanken, die meinem Glücksrausch auch im Wege standen.

Was war mit meinen Hobbys? Formel Eins und Schwergewichts-Boxkämpfe kannte ich nur aus den Fernseh-Übertragungen. Nie im Leben hätte ich Geld für ein Ticket dazu gehabt, unbezahlbar. Was muss das für ein wahnsinnig tolles Erlebnis sein, live an der Rennstrecke sein zu können oder einen der begehrten VIP-Plätze am Box-Ring zu ergattern.

Jetzt endlich hatte ich die Möglichkeit, sogar so oft ich wollte. Und wenn ich Lust hatte, zur Abwechslung selbst eine Runde auf dem Nürburgring mit meinem Porsche zu drehen, kostete mich das Vergnügen nur etwas Kleingeld aus der Portokasse. Was ging mich auch dieser Autos-sind-böse-Quatsch an, wenn die grummelnden Porsche-PS unter der Motorhaube nur darauf warteten, das zu tun, wofür sie gebaut wurden. Die Gretas dieser Welt würden unseren Planeten auch nicht retten können, wenn in Brasilien Waldflächen groß wie ganze Bundesländer abgeholzt werden oder A-Länder wie Afrika, Asien, Amerika ihren Plastik-Müll weiterhin ungeniert ins Meer kippten. Zugegeben, nicht schön für unsere Welt, aber gleichzeitig die ebenso traurige Umwelt-Wahrheit.

Langsam leerte sich die Hitliste meiner Wunschgedanken. Bravo, ich war richtig fleißig gewesen. Meine Flügel, mit denen ich immer noch über mir und meinen visionären Träumen schwebte, hielten mich fest in der Position, die sich sphärisch anfühlte und jegliches Zeitgefühl verbannte. Vielleicht fühlte sich so ein Stück Ewigkeit an. Mit Sicherheit war ich galaktisch weit davon entfernt, jemals etwas annähernd Ähnliches in meinem Leben erfahren zu haben. Wenn es keine Ewigkeit war, dann war es vielleicht vergleichbar mit dem Gefühl, von Außerirdischen entführt zu werden.

Natürlich war das Unsinn. Nur in meiner Benommenheit tanzte ich mit links durch ganze Galaxien und Welten und landete im nächsten Trugbild wieder auf meiner imaginären Hängematte. Das Raumschiff ist Teil unseres Gehirns. Es ist gespickt mit unbegreiflichen Möglichkeiten von Zeitreisen und fantastischen Halluzinationen. Aber begannen die Bilder an Intensität zu verlieren, sie wurden blass und schwächer. Eine seltsame alles schluckende Stille legte sich unangekündigt über mein Hängematten-Paradies.

Mit zwölf meine erste Mutprobe

Etwas Neues ging in mir vor. Zuerst fühlte ich unangenehme Kälte, dann zog eine seltsame Schwerkraft an mir. Das unglaublich helle, wärmende Licht wechselte in Schattenfarben, mal grau, mal tiefdunkel, dann wieder sandiges Beige. Der Druck in meinem Magen verstärkte sich deutlich und gleichzeitig konnte ich einen unregelmäßigen Herzschlag wahrnehmen, der beliebig asymmetrisch, dafür unüberhörbar in meiner Brust hämmerte und das Blut in die Lungen pumpte. Ich begann wild in alle Richtungen zu rotieren. Noch immer fühlte ich mich wehrlos, eher wie ein herumspringendes Gummigeschoss. Damit einhergehend schossen schockierende Heiss- und Eiskalt-Zustände unmittelbar nacheinander durch meinen ganzen Körper. Ich fühlte mich wild durchgeschüttelt, eingepackt in einen wattierten Raumanzug wie bei einem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre nach einer galaktischen Weltraumreise, ohne das jemals selbst erlebt zu haben. Danach folgte tiefe Dunkelheit.

13-Hotel California-

Keine Spur von Weltraummission. Die Raumstation, in der ich die Augen aufschlug war eine noble Hotelsuite. Der Blick aus dem Fenster zerstreute meine extraterrestrischen Befürchtungen sogleich. Weder tauchte eine Marslandschaft vor meinen Augen auf, noch zogen Raumschiffe an der Fensterfront vorbei, noch trugen die Leute auf der Straße Raumanzüge. Nein, es war nur eine größere Stadt, Kirchtürme, Geschäftsgebäude, Einkaufsstraßen und mächtig viel Verkehr. Dazwischen Grünzeug, Bäume. In größerer Entfernung so etwas wie Hügel und direkt unter meinem Fenster ein Park, in dem ein paar Mütter ihre Kinderwägen im Kreis schoben und ein paar andere auf einer Bank saßen und eine Zeitung lasen. Meine Hängematte war verschwunden, leider.

Ich lag in einem Kingsize-Bett und sah mich neugierig um. Diese Suite war ein Traum, heilige Scheiße! Es war fast wie ein Palast und ich war mitten drin. Das Room-Service-Frühstück stand auf dem Tisch, eine Schale Obst, Kaffee, Wasser, eine silberne Schale, in der sich vermutlich Wurst, Käse und so was befand.

Die längste Nacht und der unglaublichste Traum meines Lebens lagen hinter mir. Es ließ sich weder annähernd schätzen, wieviel ich geschlafen habe, noch rekonstruieren, wie ich in dieses Hotel gekommen bin. Stattdessen klafft eine Zeitlücke von der Größe eines schwarzen Loches in meiner Erinnerung. Oder gab es mit Ausnahme der Hängematten-Visionen doch noch kleine Erinnerungsreste? Blaulicht, Kneipinger-Orgie, das Grinsen von Fix und massive Übelkeit? Schade, am liebsten wäre ich noch eine Weile in meiner Hängematte geblieben und hätte eine kleine Ewigkeit weitergeträumt. Was war mit dem Radio, es piepste penetrant vor sich hin?

Mein Zustand war zwar nicht der allerbeste, noch plagten mich einige nicht unerhebliche Konzentrations-Schwierig-keiten und zusätzlich das ein oder andere Unwohl-Wehwehchen. Die Fete hatte ihre eindeutigen Spuren hinterlassen, keine Frage. Was nun? Ich saß jetzt auf einem Haufen voller Geld und wollte endlich in die Gänge kommen. Umziehen und ein Haus kaufen oder das Schwierigste zu erst?

Eigentlich hatte ich lange genug gepennt. Kopf oder Zahl würden entscheiden. Zahl und Vernunft siegten. Keine Ahnung wie ich bei dem korrekt gekleideten Banker gelandet bin. Fernsehwerbung, Prospekt oder eine Empfehlung vom Zimmermädchen? Egal, alle würden mir am Arsch sympathischer sein als mein bisheriger Daniel Ehrlich von der Bank um die Ecke mit seinen Sparsam-Ratschlägen.

Ich saß einem neuen Gesicht gegenüber. Ein respekteinflößendes Büro mit gigantischer Fensterfront und einem Designer-Schreibtisch. Es sollte nur schnell gehen, eine diskrete Bankverbindung, einprägsame Kontonummer, eine Kreditkarte und Bargeld, das ich in meinen mitgebrachten Alukoffer stopfen wollte. Aber es dauerte, und ohne lästigen Papierkrieg konnte ich nicht einmal einen einzigen Cent auf mein Konto einzahlen. Trostpflaster waren die Pralinchen und dazu ein Cappuccino, natürlich auch die nette gut aussehende Assistentin mit den dunkelroten Fingernägeln, die schön brav den Computer mit meinen Daten gefütterte, bis ihr geduldiger Laser-Drucker endlich den Papierberg still aber nicht heimlich ausgespuckt hat, den ich dann unterschreiben musste.

Ob der Typ hinter dem Schreibtisch der Banker meines künftigen Vertrauens war, konnte ich noch nicht sagen. Ich sollte nochmal kommen, um mit ihm ein ausführliches Analysegespräch durchzuführen. Eigentlich wollte ich jemanden, der mir den ganzen Finanzmist abnimmt und keinen Arzt der mich von unten bis oben durchleuchtet. Aber so verflucht einfach, wie in meinem Hängemattenplan ausgeklügelt, war das nicht. Von wegen Geld auf das Konto überweisen, liegen lassen und einfach abheben was man braucht. Er hat gequasselt wie ein Telefonbuch. Ich ließ seinen Vortrag von Aufklärungspflichten, Risikostreuung, Analyseberatung und die ganzen anderen Bankisch-Wörter reaktionslos über mich ergehen. Erst als so etwas Ähnliches wie “ „…Vermögen für Sie arbeiten zu lassen“, kam, wurde ich ein kleines bisschen neugierig. Doch kaum meinte ich, Gefallen am Bankgeschäft zu finden, verflüchtigte sich mein Bankinteresse auch schon wieder bei „Finanzamt, Freistellungsauftrag, Solidaritätsabschlag, Steuerberater…“ Viel mehr dagegen interessierte mich die Dame im adretten Bankkostüm. Sie hatte eine Ähnlichkeit mit Strapsi. Aber auch ihr Anblick konnte es nicht wettmachen, dass sich das Gespräch genau in die anstrengende Länge zog, wie ich es befürchtet hatte. Zu allem Überdruss piepste während des ganzen Bankvortrages auch noch der Radioton in meinem Ohr, oder war das so etwas ähnliches wie ein Tinnitus?

Bin ich davor oder danach zum Herrenausstatter? Ich konnte es nicht mehr genau sagen. Tinnitus, Konzentrationsschwäche und Müdigkeit gegen Markenklamotten. Der Punkt ging trotzdem an den Fummelladen, eindeutig. Was für ein geiles Gefühl, in der Kabine einfach alles von Hemd bis zur unfrischen Socke fallen und liegen zu lassen und komplett neu eingekleidet, von den Schuhen bis zur Sonnenbrille, den Laden wieder mit Hilfiger, Calvin Klein, Lacoste, Boss und Co. am Körper zu verlassen. Das Neue-Mensch-Gefühl war tief in mich hineingekrochen und hatte Besitz von mir ergriffen und meine Körpergröße um mindestens zehn Zentimeter wachsen lassen. Jetzt war ich nicht nur der nette Typ von Nebenan, sondern der gutgekleidete nette Typ von Nebenan. Kleider machen also doch Millionäre.

Soweit ich mich erinnern kann, wollte ich sogar noch zum Friseur, vorher zum Massieren und anschließend noch in die Muckibude. Bin ich oder bin ich nicht? Ganz genau konnte ich es nicht beantworten. Da war immer noch das ein und das andere Loch in meiner Erinnerung.

Es war schon eigenartig, jetzt als Millionär liefen die Uhren anders. Wann war es Tag, wann war es Nacht, wann Montag und wann war Freitag? Manchmal schien alles ineinander zu verschwimmen und manchmal hatte ich sogar das verrückte Gefühl, dass die Zeit rückwärts lief. Eigentlich hätte ich mal zum Arzt gehen und meine Oberstube unter die Lupe nehmen lassen sollen. Aber als Millionär hatte ich für so unwichtige Angelegenheiten natürlich keine Zeit. Die Show musste schließlich weitergegen.

Wieder hatte ich auf einem Berg von Papieren meine Autogramme gegeben, irgendwann zwischen Montag und Freitag. Der freundliche Kerl gegenüber mit dem Namensschild P.S.Schnellinger lachte und schüttelte meine Hand. Er sagte sowas wie:

„Gratuliere, dieser Wagen ist wirklich ein exklusives Schmuckstück, das ist nichts von der Stange. Er passt zu Ihnen.“

Klar dass dieser Schnellinger das aussprach, was mit meiner Wahrheit übereinstimmte. Aber diesmal ging das alles so lotti-flotti wie im Schnellvorlauf, schon gar nicht so zäh wie der langatmige Vortrag bei der Bank. Es ging so schnell, dass ich mir für einen Moment gar nicht mehr sicher war, hatte ich nun einen Wagen gekauft oder hatte ich ihn nicht gekauft?

Doch, es sah genau danach aus. Ich hatte einen Autoschlüssel mit dem markanten Porsche-Emblem in der Hand und war damit rechtmäßiger Eigentümer einer PS Rakete mit 450 Pferdestärken. Selbst meine Extrawurst mit dem Wunschkennzeichen M - S 1 war berücksichtigt worden. Bravo, so sollte es gerne immer funktionieren, nicht so schneckenpostlangsam wie die Kreditkarte von Frank Bank oder wie er auch hieß.

Meine Frau, mein Auto, mein Haus. Nein, das war gar nicht die Frage. Jetzt, wo alles möglich war, wollte ich alles zugleich. Nur keine Zeit verlieren. Dabei kämpfte ich ständig gegen meine penetrante Müdigkeit an, erfolglos, wie ich feststellte. Das Leben auf der Überholspur pfiff auf meinen Erholungsbedarf, es forderte eben seinen Preis und die Zeitmaschine hatte den Turbo eingeschaltet.

Ich war nicht irre geworden, ich konnte immer noch eine Million und eine weitere Million addieren, sogar zehn und acht Millionen. Aber phasenweise bildete ich mir ein, dass sich meine Erlebnisse überlappen würden und ich gleichzeitig an mehreren Stellen agierte. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass ein Dagobert-Duck-Dasein so extrem anstrengend sein würde. Warum war ich nicht längst auf einer Hängematte, so wie in meinem Traum, was hinderte mich daran?

Eine Frage, die ich nicht beantworten konnte. Oder war es schlicht die Qual der Wahl? Im Ernst, was machst du, wenn du soviel Geld hast, dass du überall hinfliegen kannst? Einfach zu sagen, dorthin, wo ich noch nie gewesen bin, das wäre ein vernünftiger Anfang. Aber ich bin noch nirgendwo gewesen, außer im Bayerischen Wald und sogar schon mal in Linz. Dabei war Erdkunde sogar eines der wenigen Schulfächer, das mich stets interessierte, weil ich schon immer eine ausgeprägte Sehnsucht nach fernen Ländern verspürte. Ich hatte sogar begonnen, Landkarten zu sammeln, wohin ich später überall mal wollte.

 

Siehe an, jetzt war es endlich später. Also wohin? Auf die Bahamas, nach Key West oder doch Las Vegas und damit ich es nicht vergesse, Australien, Känguruh-Watching? Nur blöd, dass ich nicht gerne fliege. Egal, ich bin noch nie geflogen, zumindest nicht in einem Flugzeug. Ich kannte das Innere eines Fliegers nur aus den Flugzeugkatastrophen-Filmen. Zweihundert und mehr Leute sitzen eingequetscht wie in einer Sardinenbüchse stundenlang dicht an dicht mit einem unfreiwilligen Sitznachbarn zusammen und drücken die ganze Zeit ihre Daumen, dass weder der Blitz einschlug, noch eine Explosion das Flugzeug zerfetzte, oder der Pilot im Sinn hatte, sein Leben zusammen mit unschuldigen Flug-Passagieren zu beenden. Echt krass, was alles passieren konnte dort oben über den Wolken.

Ich zerbrach mir immer noch den Kopf über alle möglichen Risiken des Fliegens, als die Reisetante mit supertollen Bildern auf ihrem Reisebüro-Bildschirm vehement versuchte, mich auf andere Gedanken zu bringen. Sie hatte die längsten blonden Haare, die ich je gesehen hatte, dazu eine gut bestückte Oberweite und sie war ausgesprochen nett. Ich nippte an dem Espresso und zog sie gerade gedanklich aus, Kleidungsstück für Kleidungsstück. Sie hatte sagenhafte Möpse. Die Kombination der traumhaften Brüste und der karibischen Bilder wirkten beruhigend auf mich.

Wo war meine Hängematte? Ich suchte sie auf den herrlichen Bildern der luxurösen Poollandschaften rund um den Globus. Blondie fand sie in Mauritius und noch eine zweite auf Oahu. Und dann versprach sie mir, dass ich in der Business-Class sogar Fliegen im Liegen konnte. Das Mädchen hatte es absolut drauf, mich richtig süchtig auf das Ding mit dem Fliegen zu machen. Sie hatte es verdient, von mir zum Essen eingeladen zu werden wie es sich für einen Gentleman eben gehörte. Noch lieber wäre es mir gewesen, sie einfach als persönliche Begleiterin mitzunehmen. Vielleicht würde sie auch mit mir sexualisieren, immerhin ein guter Anfang für mein Liebesleben als Mann mit viel Kohle. Bei der Einladung zum Essen lächelte sie, statt ja zu sagen. Für mich war das allerdings das Gleiche.

Blondie Sommer gab sich redlich Mühe, sie erkannte in mir den Individual-Typ, dem man etwas Spezielles zusammenstricken musste, wie eine Kombination von Schiff und Flieger. Keinesfalls durfte auch der Anteil an Abenteuer zu kurz kommen und ebenso wenig gehörten vom Massentourismus ausgetretene Trampelpfade dazu. Einen Teil der Länder, der Routen und der Trails, die sie erwähnte, hatte ich noch nie in meinem Leben gehört. Doch allein der fremdartige Klang der exotischen Ortsbezeichnungen zog mich in den Bann des neugierigen Entdeckers. Es erweckte das in mir eingeschlafene Fernweh zu neuem Leben, so intensiv, dass der Piepton in meinen Ohren wie durch Magie plötzlich von selbst verstummt war. Die Welt war gerade meins und ohne jegliches Zutun war das schwebende Gefühl in meiner himmlischen Hängematte in mir gewesen.

Wie so häufig in den letzten Tagen und Nächten fehlte mir ein Erinnerungsstück. Wie war ich von meiner himmlischen Hängematte und der netten Reisebüro-Unterhaltung in mein Hotelbett gekommen, um dort aufzuwachen und mich damit zu beschäftigen, was ich als nächstes machen wollte? Ich betrachtete es als das einfachste, das wiederkehrende Durcheinander in meinem Zeitablauf zu akzeptieren. Falls es normal war, dann gehörte es zu mir und zu meinem neuen Leben. Das Hotel war mein Mittelpunkt und mein Stachus, die Kreditkarte war meine Bank und die Erfüllung meiner Wünsche meine Beschäftigung.

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