Tante Lisbeth

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Er kümmert sich somit auch nicht um Hortense, sagte sie sich, obwohl er sie alle Tage sieht. Er wird ihr eines Tages einen Gatten im Kreise seiner liederlichen Frauenzimmer suchen!

Das sagte sie lediglich als Mutter, und die regte sich jetzt stärker in ihr als die Gattin; denn sie hörte grade das Lachen von Hortense und Tante Lisbeth, das närrische Lachen der sorglosen Jugend. Es kam ihr vor, als sei dieses nervöse Lachen ein ebenso bedenkliches Anzeichen wie das verträumte einsame Wandeln durch den Garten mit Tränen in den Augen.

Hortense glich ihrer Mutter, nur hatte sie goldnes, natürlich gelocktes und erstaunlich volles Haar. Etwas wie Perlmutterglanz leuchtete darauf. Auf den ersten Blick erkannte man in ihr das Kind einer ehrsamen Ehe und einer durch und durch edlen und reinen Liebe. Im Gesicht des jungen Mädchens lagen Temperament und Frohsinn. Ihre jugendliche Lebhaftigkeit, ihre volle Frische und die strotzende Gesundheit wirkten wie von ihr ausgehende elektrische Ströme. Hortense zog aller Blicke an. Wenn ihre unschuldigen Augen, blau wie das Meer, im Vorübergleiten auf jemandem haftenblieben, so erzitterte der Betreffende unwillkürlich. Ihren reinen Teint entstellten keine Sommersprossen, mit denen die Goldblondinen doch sonst meist ihre helle weiße Gesichtsfarbe bezahlen müssen. Sie verdiente die Bezeichnung »Göttin«, mit der altmodische Dichter so verschwenderisch umgehen. Denn sie war groß und üppig, ohne stark zu sein, und von demselben rassigen Wuchs wie ihre Mutter. So konnte sich denn auf der Straße keiner, der ihr begegnete, des Ausrufes enthalten: »Gott, was für ein Prachtmädel!« Dabei war sie so unverdorben, daß sie, zu Hause angekommen, sagte: »Mutter, was haben sie nur alle, wenn du mit mir gehst, zu schreien: ›Das Prachtmädel!‹ Bist du denn nicht viel schöner als ich?«

Und in der Tat konnte die Baronin, obwohl sie das siebenundvierzigste Jahr hinter sich hatte, von Verehrern der untergehenden Sonne sehr wohl ihrer Tochter vorgezogen werden, denn sie hatte, wie man sagt, noch nichts von ihren Reizen eingebüßt. Eine wunderbare Ausnahme, zumal in Paris, wo die Ninon de Lenclos Aufsehen erregt hat, die dem 17. Jahrhundert seinen Ruf rauben wollte, an häßlichen Frauen reich zu sein.

Die Gedanken der Baronin sprangen von ihrer Tochter auf den Vater zurück. Sie sah im Geiste, wie er von Tag zu Tag, von Stufe zu Stufe bis in den Schmutz der Gesellschaft hinabsank, um vielleicht eines Tages seines Amtes im Kriegsministerium enthoben zu werden. Der armen Frau war der Gedanke an den Sturz ihres vergötterten Mannes und die unklare Vorahnung des Unglücks, das Crevel prophezeit hatte, eine solche Qual, daß sie wie eine Seherin ohnmächtig wurde.

Tante Lisbeth plauderte mit Hortense, wobei sie von Zeit zu Zeit nachsehen ging, ob sie wieder in den Salon zurückkommen könnten. In dem Augenblick jedoch, als die Baronin die Tür, die zugleich Fenster war, wieder öffnete, ward Lisbeth von ihrer jungen Verwandten so mit Fragen bestürmt, daß sie dies nicht wahrnahm.

Lisbeth Fischer, die Tochter des Ältesten der Gebrüder Fischer, war fünf Jahre jünger als Frau von Hulot. Nicht annähernd so hübsch wie ihre Kusine, war sie denn auch außerordentlich eifersüchtig auf Adeline. Der Neid bildete das Grundelement dieses höchst exzentrischen Charakters. Ein Vogeser Bauernkind im wahrsten Sinne des Wortes, mager, braun, mit glänzend schwarzem Haar, dichten buschigen Augenbrauen, langen knochigen Armen, plumpen Füßen und einigen Warzen im länglichen Affengesicht, das ist die Porträtskizze dieser alten Jungfer.

In der gemeinsam lebenden großen Familie wurde das hübsche Mädchen dem häßlichen vorgezogen, so wie man die farbenprächtige Blüte der herben Frucht vorzieht. Lisbeth mußte auf dem Felde arbeiten, während ihre Kusine verhätschelt wurde. So geschah es eines Tages, daß sie, allein mit Adeline, ihr die Nase abbeißen wollte, eine echt griechische Nase, das Entzücken der alten Frauen. Trotz Schläge zerriß und beschmutzte Lisbeth die Kleider und die Halskrausen dieses Lieblings der andern.

Angesichts der märchenhaften Heirat ihrer Kusine beugte sich Lisbeth vor dieser Schickung, wie die Brüder und Schwestern Napoleons sich vor seinem Purpurglanz und seiner Herrschermacht gebeugt hatten. Denn in Paris erinnerte sich Adeline, die außerordentlich gutherzig und sanft war, an Lisbeth und ließ sie im Jahre 1809 zu sich kommen. Sie wollte sie dem Elend entreißen und gut unterbringen. Als man aber die Unmöglichkeit einsah, dieses Mädchen mit den dunklen Augen und den kohlschwarzen Brauen, das obendrein weder schreiben noch lesen konnte, ohne weiteres unter die Haube zu bekommen, was Adeline am liebsten getan hätte, verschaffte ihr der Baron fürs erste eine Stellung als Lehrmädchen in der Kaiserlichen Hofstickerei, bei der berühmten Firma Gebrüder Pons.

So wurde die Kusine, die man »Tante Lisbeth« zu nennen pflegte, Gold- und Silberstickerin. Energisch wie alle Bergbewohner, hatte sie den Mut, noch lesen, rechnen und schreiben zu lernen. Ihr Vetter, der Baron, hatte ihr klargemacht, daß diese Kenntnisse notwendig seien, um später ein Stickereigeschäft selbständig leiten zu können.

Lisbeth wollte auf jeden Fall reich werden, und so wandelte sie sich in zwei Jahren durch und durch. Um 1811 war aus dem Landmädchen bereits eine ganz nette und recht geschickte und kluge Vorstickerin geworden.

In dieser Industrie, der Gold- und Silberstickerei, wurden die Epauletten, Portepees, Achselschnuren und all die Unmenge von glänzenden Dingen verfertigt, die auf den prunkenden Uniformen der französischen Armee und Beamtenschaft blinkten. Als Italiener war der Kaiser ein großer Freund prächtiger Tracht. Er hatte sämtliche Nähte an den Röcken seiner Staatsdiener mit Gold und Silber bespickt – und sein Reich zählte 133 Departements! Diese Zutaten wurden gewöhnlich an die reichen und soliden Schneiderfirmen geliefert oder auch unmittelbar an die Würdenträger. Diese Fabrikation war ein sicheres Geschäft.

In dem Augenblick, als Tante Lisbeth, die geschickteste Arbeiterin im Hause Pons, die Leiterin der Manufaktur, sich hätte selbständig machen können, kam es zum Sturze des Kaiserreichs. Die Friedenspalme in der Bourbonen Hand schreckte Lisbeth ab; sie fürchtete einen Niedergang in ihrem Handelszweig, da nur noch 86 Departements an Stelle von 133 mit Goldstickereien zu versehen waren, abgesehen von der bedeutenden Verminderung des Heeres. Kurz und gut, das wechselnde Glück in der Industrie verblüffte sie derartig, daß sie das Angebot des Barons zurückwies. Er hielt sie daraufhin für verrückt und ward darin bestärkt, denn sie überwarf sich mit Rivet, dem Erwerber der Firma Pons, mit dem der Baron sie hatte assoziieren wollen. So wurde sie wieder einfache Arbeiterin, und die Familie Fischer sank in die unsichere Lage zurück, der sie dereinst durch den Baron Hulot enthoben worden war.

Durch die Katastrophe von Fontainebleau zugrunde gerichtet, traten die drei Brüder aus lauter Verzweiflung in die Freischaren von 1815 ein. Der älteste, Lisbeths Vater, fiel. Adelines Vater, von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt, flüchtete nach Deutschland und starb im Jahre 1820 in Trier. Der jüngste, Hans, kam nach Paris und warf sich der »Königin der Familie« zu Füßen, die angeblich in Gold und Silber schwamm und auf den Bällen die ihr vom Kaiser geschenkten Brillanten trug, die so groß waren wie Haselnüsse. Damals dreiundvierzig Jahre alt, bekam Hans Fischer vom Baron Hulot zehntausend Francs ausgezahlt, um in Versailles einen kleinen Getreidehandel anzufangen, der vom Kriegsministerium durch den heimlichen Einfluß von Freunden, die der ehemalige Generalintendant dort immer noch hatte, unterstützt wurde.

Die Schicksalsschläge in ihrer Familie und die Gewißheit, in jenem großen Wirrwarr von Menschen, Interessen und Geschäften, das Paris ebenso zu einer Hölle wie zu einem Paradiese gestaltet, nur eine Null zu sein, machten Lisbeth zahm. Die unverheiratet Gebliebene verlor alle Lust, um Gleichberechtigung mit ihrer Kusine zu kämpfen, hatte sie doch deren Überlegenheit in verschiedentlichster Hinsicht gespürt. Aber im Grunde ihres Herzens lauerte auch weiterhin der Neid gleichwie ein Pestbazillus, der jeden Augenblick wirken und eine ganze Stadt verwüsten kann, wenn man den verhängnisvollen Wollballen öffnet, in dem er nistet. Von Zeit zu Zeit sagte sie sich: Adeline und ich, wir sind Blutsverwandte; unsere Väter waren Brüder. Sie wohnt in einem Palast und ich in einem Dachstübchen!

Alljährlich erhielt Tante Lisbeth zu ihrem Namenstage und zum Neujahrsfest von der Baronin und dem Baron Geschenke. Der Baron bezahlte ihr auch gnädigst das Brennholz für den Winter. Der alte General Hulot empfing sie regelmäßig einmal in der Woche zu Tisch, und im Hause ihrer Kusine lag stets für sie ein Gedeck bereit. Man machte sich oftmals über sie lustig, niemals aber schämte man sich ihrer. So lebte sie schließlich in Paris leidlich selbständig und nach ihrer Weise.

Lisbeth fürchtete jedwedes Joch. Wenn die Kusine ihr anbot, bei ihr im Hause zu wohnen, fühlte sie sich sofort geknechtet. Verschiedene Male wäre dem Baron die schwierige Aufgabe, sie zu verheiraten, doch noch geglückt. Zunächst ließ sie sich jedesmal bestechen; doch bald schlug sie die Bewerbung aus, weil sie vor dem Gedanken zurückschauderte, man könne ihr alsbald ihre mangelhafte Erziehung, ihre Unwissenheit und ihre Vermögenslosigkeit vorwerfen. Selbst den Vorschlag der Baronin, bei ihrem Onkel zu leben und ihm an Stelle einer sehr kostspieligen Hausdame die Wirtschaft zu führen, lehnte sie ab. Sie begründete das damit, daß sie sich dann gleich gar nicht verheiraten werde.

In ihren Ideen zeigte Tante Lisbeth gewisse Sonderlichkeiten, die man bei allen spät entwickelten Naturen beobachtet, auch bei einsamen Menschen, die viel denken und wenig sprechen. Ihr Bauernverstand hatte übrigens durch die Unterhaltungen in den Werkstätten und durch den Umgang mit den Handarbeitern und Arbeiterinnen pariserische Schärfe bekommen. Ihr Charakter hatte ungemein viel Korsisches an sich; ihr starker Betätigungsdrang sehnte sich nach Befriedigung. Und so hätte sie sich am liebsten zur Beschützerin eines schwächlichen Mannes gemacht. Gebunden an die Großstadt, unterlag ihr äußeres Leben ihren Einflüssen. Ihre mürbe gewordene Seele nahm den matten Pariser Glanz an. Stark empfindlich wie alle wirklich Ehelosen wäre sie wegen ihrer Verbissenheit in jeder andern Stellung zu fürchten gewesen; böse, wie sie war, hätte sie den festesten Familienkreis zerstört.

 

Während der ersten Zeit, als sie noch gewisse Aussichten hatte, in die sie jedoch niemanden einweihte, hatte sie sich dazu verstanden, modische Kleider und Korsetts zu tragen. Damals erlebte sie eine kurze Zeit des Glanzes, während der man ihre Verheiratung für möglich hielt. Lisbeth war da die pikante Brünette aus dem alten französischen Roman. Ihre lebhaften Augen, ihr olivenfarbener Teint, ihr straffer Körper hätten wohl einen älteren Beamten oder Pensionär reizen können; aber sie begnügte sich damit, wie sie lächelnd zu sagen pflegte, sich selber zu bewundern. Im Grunde war sie mit ihrem Leben auch ganz leidlich zufrieden. Wirtschaftliche Sorgen hatte sie keine mehr, und wenn sie auch mit Tagesanbruch zu arbeiten anfing, so ging sie doch regelmäßig zur Hauptmahlzeit in die Stadt. Sie hatte nur für das Frühstück und ihre Miete zu sorgen. Im übrigen versah man sie sowohl mit Kleidern als auch mit allen möglichen Vorräten wie Zucker, Kaffee, Wein und dergleichen.

Im Jahre 1837, nachdem sie siebenunundzwanzig Jahre zur Hälfte von der Gnade der Familie Hulot und ihres Onkels Fischer gelebt hatte, verzichtete Tante Lisbeth darauf, irgend etwas vorzustellen. Sie ließ sich nunmehr sehr leicht behandeln. Zu den großen Gesellschaften kam sie von selber nicht; sie zog die trauliche Geselligkeit vor, die ihr gestattete, zur Geltung zu kommen, und ihr Kränkungen der Eigenliebe ersparte. Überall gehörte sie zum Hause: beim General Hulot, bei Crevel, bei den jungen Hulots, bei Rivet, Pons' Nachfolger, mit dem sie sich wieder versöhnt hatte und von dem sie verwöhnt wurde, sowie bei der Baronin. Auch wußte sie sich überall bei den Dienstboten beliebt zu machen, indem sie ihnen von Zeit zu Zeit ein kleines Trinkgeld in die Hand drückte und immer ein Weilchen mit ihnen plauderte, ehe sie in die Zimmer trat. Diese Vertraulichkeit, durch die sie sich mit diesen Leuten auf eine Stufe stellte, verschaffte ihr deren Gewogenheit und Dienstbarkeit, etwas sehr Wichtiges für Schmarotzer, und das war sie doch nun einmal. »Sie ist eine alte gute Haut!« hieß es ganz allgemein. Ihre, besonders da, wo man sie gar nicht beanspruchte, oft grenzenlose Gefälligkeit war ebenso wie ihre scheinbare Gutmütigkeit eine natürliche Folge ihrer abhängigen Stellung. Kurzum, sie fand sich mit dem Leben ab, da sie sah, daß sie doch von aller Welt abhing. Sie hielt es mit allen. Mit den jungen Leuten war sie vergnügt; man fand sie nett und fiel allgemein auf ihre schmeichlerische Art hinein. Sie erriet und förderte alle Wünsche; sie machte sich zur Vermittlerin und spielte überall die gute Helferin. Ein Recht, selber etwas zu wollen, hatte sie ja nicht. Ihre unbedingte Verschwiegenheit schaffte ihr auch das Vertrauen von Menschen reiferen Alters; sie besaß nämlich gewisse männliche Eigenschaften. Meistenteils richten sich die Vertraulichkeiten des Menschen eher nach unten als nach oben. In geheimen Angelegenheiten werden Tieferstehende viel öfter zu Vertrauten erwählt als Höherstehende; sie werden zu Mitwissern unserer geheimsten Gedanken und zu Ratgebern bei unsern wichtigsten Überlegungen. Die arme alte Jungfer galt für so abhängig von aller Welt, daß sie wie zu ewiger Stummheit verdammt schien. Sie nannte sich selbst den »Beichtstuhl der Familie«. Nur die Baronin blieb mißtrauisch. Sie konnte gewisse Schlechtigkeiten nicht vergessen, die ihr die Kusine in der gemeinsamen Kinderzeit angetan hatte. Auch aus Schamhaftigkeit mochte Adeline ihren häuslichen Kummer nur Gott allein anvertrauen.

Für Tante Lisbeth hatte das Haus der Baronin seinen alten Glanz bewahrt. Sie stutzte nicht, wie der emporgekommene Crevel, vor dem Elend, das auf den abgenutzten Stuhlpolstern, auf den altersschwachen Vorhängen und der zerschlissenen Seide deutlich geschrieben stand. Es geht einem mit den Möbeln, mit denen man lebt, gerade wie mit einem selbst. Man macht es schließlich wie der Baron. Man schaut sich täglich an und hält sich für ewig jung und unverändert, während die andern längst bemerken, wie sich auf unserem Haupte das Haar chinchillaartig verfärbt, wie sich auf unserer Stirn die Krähenfüße mehren und unser Schmerbauch dick wird wie ein Kürbis. Die Hulotsche Einrichtung leuchtete für Lisbeth für immerdar im bengalischen Feuer der kaiserlichen Glorie.

Mit der Zeit hatte Tante Lisbeth mancherlei recht altjüngferliche Gewohnheiten angenommen. So wollte sie sich der Mode nicht unterwerfen, sondern meinte, die Mode müsse sich nach ihren Angewohnheiten und ihrem veralteten Geschmack richten. Wenn ihr die Baronin einen hübschen neuen Hut oder ein Kleid neueren Schnitts schenkte, so hatte sie nichts Eiligeres zu tun, als alles nach ihrer Art bei sich zu Hause umzuarbeiten; so verdarb sie jedes Kleid, indem sie daraus ein Kostüm aus der Kaiserzeit oder ein Stück altlothringischer Landestracht modelte. Hüte, die dreißig Franken gekostet hatten, wurden unter ihrer Hand zu Ungetümen. In dieser Beziehung war Lisbeth geradezu bockbeinig. Nur sich selbst gefallen wollte sie, und sie fand sich wirklich reizend. Diese Manie, alles ihrer Altjüngferlichkeit anzupassen, so einheitlich es auch durchgeführt sein mochte, machte sie so lächerlich, daß man es beim besten Willen nicht fertigbrachte, sie zu größeren Festlichkeiten einzuladen.

Der Widerspruchsgeist, das launenhafte eigenbrötlerische Wesen und die wunderliche Wildheit dieses Mädchens, das dank der Vorsorge des Barons viermal eine gute Partie hätte machen können – es traten nacheinander einer seiner Verwaltungsbeamten, ein Major, ein Geschäftsunternehmer und ein Hauptmann a. D. als Bewerber auf –, und das auch einem Posamentenhändler einen Korb gegeben hatte, der dann sehr reich wurde, gaben die Veranlassung zu dem Spitznamen »Wildkatze«, den ihr der Baron im Scherz anhängte. Dieser Spitzname sollte sich zwar nur auf Lisbeths äußerliche Eigenheiten beziehen, aber dieses Mädchen war und blieb für den schärferen Beobachter doch die Verkörperung der bäuerischen Wildheit. Wie sie als Kind der Kusine die Nase hatte abbeißen wollen, so hätte die Gealterte in Anfällen von Eifersucht sie am liebsten gemordet. Nur durch ihre Welt- und Gesetzeskenntnis zähmte Lisbeth die natürliche Wildheit, mit der Bauern wie Wilde rasch vom Gefühl zur Tat übergehen.

Vielleicht besteht allein hierin der Unterschied zwischen dem Natur- und dem Kulturmenschen. Der Barbar hegt nur Gefühle, der zivilisierte Mensch Gefühle und Gedanken. Darum empfängt das Gehirn des Wilden sozusagen nur schwache Eindrücke von außen; er unterliegt völlig den Gefühlen, die in ihm herrschen, während das Herz des zivilisierten Menschen von der Überlegung beeinflußt und verändert wird. Hier wirken tausend Interessen und vielerlei Empfindungen in einer Menschennatur vereint; im Wilden dagegen gedeiht nur ein einziger Gedanke auf einmal. Tante Lisbeth, im Grunde hinterlistig und eine echte wilde Lothringerin, gehörte zu diesem Schlage von Charakteren, die man unter dem Volke häufiger findet, als man denkt, und die uns das Verhalten der Massen in Revolutionszeiten verständlich machen können.

Zu der Zeit, wo unsere Geschichte beginnt, wäre Tante Lisbeth salonfähig und annehmbar gewesen, wenn sie sich modischer hätte kleiden lassen und sich wie die Pariserinnen daran gewöhnt hätte, nur immer das Allerneueste zu tragen. Graziös war sie allerdings nie und nimmermehr. Und in Paris ist eine Frau ohne Grazie überhaupt keine Frau. Ihr schwarzes Haar, ihre schönen ernsten Augen, die scharfen Gesichtszüge, ihre matte dunkle südländische Hautfarbe, die sie mit den Frauengestalten auf den Bildern Giottos gemein hatte und die sich eine wahre Pariserin gar wohl zunutze gemacht hätte, und vor allen Dingen ihr sonderbarer Anputz verliehen ihr ein so wunderliches Aussehen, daß sie manchmal an jene Äffchen in Frauenkleidern erinnerte, die die kleinen Savoyarden mit sich führen. Da man sie jedoch in allen dem Hause befreundeten und verwandten Familien gut kannte, und da sie ihren gesellschaftlichen Verkehr auf diesen Kreis beschränkte und am allerliebsten bei sich zu Hause blieb, so störten ihre Eigentümlichkeiten niemanden mehr. Außer dem Hause verschwand sie im Riesentrubel des Pariser Straßenlebens, wo man nur die hübschen Frauen anblickt.

Hortenses Lachen in jenem Augenblicke hatte seine Veranlassung in einem Triumphe, den sie eben über Tante Lisbeths Starrsinn davongetragen hatte. Sie hatte ihr ein Geständnis entlockt, das sie ihr drei Jahre lang nicht hatte entringen können.

Mag ein älteres Mädchen noch so verstockt sein, es gibt doch eine Eigenschaft, die ihr Schweigen zu brechen imstande ist: die Eitelkeit. Hortense, seit drei Jahren in gewissen Dingen außerordentlich neugierig geworden, bestürmte ihre Verwandte andauernd mit allerlei Fragen, die übrigens völliger Unschuld entsprangen. Sie wollte wissen, warum sie sich nicht verheiratet hatte. Sie kannte die Geschichte von den fünf abgewiesenen Freiern. Daraus hatte sie sich einen kleinen Roman zurechtgemacht und meinte, Tante Lisbeth müsse eine heimliche Liebe haben. Das gab ihnen fortwährend Anlaß zu übermütigen Streitereien. Hortense pflegte zu sagen: »Wir jungen Mädchen!«, wenn sie von sich selbst und ihrer Tante redete, und Lisbeth hatte wiederholt in scherzendem Tone geantwortet: »Weißt du denn, ob ich nicht einen Verehrer habe?« So war der wahre oder der erdichtete Liebhaber Tante Lisbeths zum Gegenstande harmloser kleiner Neckereien geworden. Schließlich aber hatte Lisbeth nach zweijährigem Scheinkampf auf Hortenses Nachfrage: »Na, wie geht es denn deinem Schatze?« doch einmal geantwortet:

»Ach, er ist ein wenig leidend, der arme junge Mann.«

»So? Er ist wohl sehr zarter Natur?« hatte sich die Baronin lächelnd in die Unterhaltung gemengt.

»Ja, ja! Wie die Blonden nun einmal sind! Ein schwarzes Mädel wie ich kann doch nur einen blonden Mann lieben, einen mondscheinblassen!«

»Na, was ist er denn eigentlich? Was macht er?« war Hortenses Frage. »Er ist gewiß ein Fürst?«

»Ein Fürst in seinem Handwerk, so wie ich eine Königin der Nadel bin. Wie sollte ich armes Mädchen von einem reichen Manne, der ein Haus und Staatsrenten hat, oder von einem Herzog und Standesherrn geliebt werden! Oder gar von einem Prinzen Gnadenreich aus deinen Märchenbüchern?«

»Oh, ich möchte ihn zu gerne einmal sehen!« rief Hortense lachend.

»Wohl um zu wissen, wie der beschaffen sein mag, der sogar die alte Wildkatze lieben kann?« war Tante Lisbeths Antwort.

»Gewiß ist es ein alter Beamter mit einem Ziegenbart!«

»Wenn ihr euch nur nicht täuscht!«

»Also du hast einen Liebhaber?« fragte Hortense mit triumphierender Miene.

»So gewiß wie du keinen hast!« erwiderte die Tante pikiert.

»Aber, wenn du einen Liebhaber hast, Lisbeth, warum heiratest du ihn denn nicht?« fragte die Baronin. »Seit drei Jahren ist von ihm die Rede. Du hast Zeit genug gehabt, ihn gründlich kennenzulernen, und wenn er dir wirklich treu geblieben ist, so solltest du ihn nicht länger schmachten lassen. Das bist du ihm schuldig. Und schließlich, falls er jung ist, wäre es für dich Zeit, dir eine Stütze für deine alten Tage zu sichern.«

Tante Lisbeth hatte die Baronin scharf beobachtet, und als sie sie lachen sah, gab sie zur Antwort:

»Das hieße Hunger und Durst miteinander verheiraten! Er ist Handwerker, ich bin Arbeiterin. Wenn wir Kinder bekämen, müßten sie auch Handarbeiter werden... . Nein, nein, nur unsere Seelen lieben sich. Das ist nicht so kostspielig!«

»Warum versteckst du ihn vor uns?« fragte Hortense.

»Weil er keinen Rock hat!« lautete die lachende Antwort der alten Jungfer.

»Liebst du ihn?« fragte die Baronin.

»Ich denke doch. Ich liebe ihn um seiner selbst willen. Er ist mein Ideal. Jetzt sind es bereits vier Jahre her, daß ich ihn in meinem Herzen trage.«

»Schön! Wenn du ihn um seiner selbst willen liebst«, meinte die Baronin ernst, »und wenn er wirklich existiert, dann bist du sehr grausam ihm gegenüber! Du weißt nicht, was es heißt, wahrhaft lieben.«

»Das wissen wir Frauen doch von Geburt an!«

 

»Nein, denn es gibt Frauen, die lieben und dabei doch Egoisten bleiben. So eine bist du!«

Lisbeth senkte den Kopf über ihre Stickerei, und wenn jemand ihren Blick gesehen hätte, wäre er zweifellos erschrocken.

»Wenn du uns deinen angeblichen Liebhaber vorstellen wolltest, so könnte ihm Hektor eine Stellung verschaffen und ihm behilflich sein, sein Glück zu machen.«

»Das ist unmöglich.«

»Warum denn?«

»Weil er eine Art Flüchtling ist, ein Pole.«

»Ein Verschwörer?« rief Hortense. »Hast du ein Glück! Da hat er wohl viele Abenteuer bestanden?«

»Er hat für Polen gekämpft. Er war Lehrer an einer Hochschule, deren Schüler am Aufruhr beteiligt waren, und da er durch die Gunst des Großfürsten Konstantin dort angestellt war, darf er nicht auf Gnade hoffen.«

»Lehrer? Was lehrte er denn?«

»Zeichnen und Malen.«

»Und nach der Niederlage seiner Partei ist er nach Paris gekommen?«

»Im Jahre 1833 hat er zu Fuß Deutschland durchwandert... .«

»Der Ärmste! Und wie alt ist er?«

»Zur Zeit des Aufstandes war er kaum vierundzwanzig. Heute ist er neunundzwanzig.«

»Fünfzehn Jahre jünger als du«, warf die Baronin ein,

»Wovon lebt er?« fügte Hortense hinzu.

»Von seinem Talent.«

»Ach so, von seiner Lehrtätigkeit?«

»Nein. Jetzt werden ihm Lehren erteilt, und zwar recht harte«, erwiderte Tante Lisbeth.

»Hat er einen netten Vornamen?«

»Stanislaus!«

»Was für eine lebhafte Einbildung doch so ein altes Fräulein hat!« bemerkte die Baronin. »Wenn man dich so reden hört, könnte man dir wirklich glauben, Lisbeth.«

»Ja, siehst du, Mutter, er ist eben ein Pole und an die Knute gewöhnt. Lisbeth erinnerte ihn an diese kleine Annehmlichkeit seines Vaterlandes.«

Darüber hatten alle drei lachen müssen. Hortense sang nach der Melodie »O schöne Adelheid ...«: »Geliebter Stanislaus ...« Für einige Minuten war Waffenstillstand eingetreten.

»Ihr jungen Dinger glaubt«, begann Lisbeth wieder mit einem Blick auf das junge Mädchen, »die Männer könnten sich nur in euch verlieben.«

Als sie dann mit Tante Lisbeth allein war, sagte Hortense: »Beweise mir, daß dein Stanislaus keine bloße Erfindung von dir ist, und du bekommst meinen gelben Kaschmirschal!«

»Er ist sogar ein Graf!«

»Das sind alle Polen!«

»Eigentlich ist er Livländer... .«

»Aber wie heißt er denn?«

»Wenn ich wüßte, daß du ein Geheimnis bewahren könntest... .«

»Tante, ich will stumm sein... .«

»Wie ein Fisch?«

»Ja, wie ein Fisch!«

»Schwörst du mir das bei deinem Seelenheil?«

»Bei meinem Seelenheil!«

»Nein, lieber bei deinem Glück hienieden!«

»Ja.«

»Na, er heißt Stanislaus Graf Steinbock!«

»Ein stolzer Name!«

»Ja, einer der Generale Karls des Zwölften hieß auch so. Das war sein Großonkel. Nach dem Tode des Königs von Schweden ließ sich sein Vater in Polen nieder. Während des Feldzugs von 1812 verlor er sein Vermögen, und als er starb, hinterließ er seinen achtjährigen Sohn völlig mittellos. Wegen des Namens Steinbock nahm sich der Großfürst Konstantin seiner an und schickte ihn auf die Schule... .«

»Ich halte mein Wort!« wiederholte Hortense. »Beweise mir, daß er leibhaftig existiert, und du bekommst meinen gelben Schal. Dieses Gelb steht einer Brünetten wundervoll!«

»Und du wirst mein Geheimnis wahren?«

»Ich vertraue dir dafür meine eigenen an.«

»Gut! Wenn ich das nächstemal komme, erbringe ich dir den Beweis.«

»Aber der Beweis ist dein Verehrer in Person!« forderte Hortense.

Seit ihrer Ankunft in Paris hatte Tante Lisbeth im Banne des Kaschmirschals gestanden, und so war sie selig bei dem Gedanken, diesen gelben Schal besitzen zu sollen. Der Baron hatte ihn 1808 der Baronin geschenkt, und wie das in manchen Familien so üblich, war dieses Schmuckstück 1830 von der Mutter auf die Tochter übergegangen. Seit zehn Jahren sah es zwar etwas abgetragen aus; aber das kostbare Gewebe, das immer in einem Sandelholzkasten lag, kam der alten Jungfer, wie überhaupt der ganze Besitz der Baronin, immer noch neu vor.

Beim nächsten Besuche brachte Tante Lisbeth in ihrem Arbeitsbeutel ein Geschenk mit, das sie der Baronin zu ihrem Geburtstag überreichen wollte. Damit glaubte sie die Existenz ihres so unwahrscheinlichen Verehrers genugsam zu beweisen.

Dieses Geschenk war ein silbernes Petschaft: drei aneinandergelehnte laubumrankte Gestalten trugen den Erdball. Diese drei Gestalten stellten Glaube, Liebe und Hoffnung vor. Ihre Füße stemmten sich gegen Ungeheuer, die sich untereinander bekämpften und aus denen heraus sich die symbolische Schlange wand. Heute, im Jahre 1846, würde dieses Meisterwerk niemanden mehr in Erstaunen setzen, nachdem Fräulein von Fauveau, Wagner, Jeanest, Froment-Meurice, der Holzbildhauer Liénard und andere die Kunst des Benvenuto Cellini von neuem so mächtig vorwärtsgebracht haben. Aber damals mußte ein junges Mädchen, das sich auf Kunstgegenstände verstand, in höchster Verwunderung vor diesem Petschaft stehen, als es Tante Lisbeth mit den Worten vorwies:

»Nun, wie gefällt dir das?«

Die Linienführung, die Behandlung der Gewänder und der Rhythmus der Gestalten deuteten auf die Schule Raffaels hin, aber in der Ausführung erinnerten sie an die Florentiner Bronzekünstler, an Donatello, Brunelleschi, Ghiberti, Benvenuto Cellini, Giovanni da Bologna usw. Selbst in den Werken der französischen Renaissance finden sich fabelhaftere Ungeheuer nicht als die, die hier die Laster verkörperten. Die Palmen, Farne, Binsen und das Schilf um die Tugenden war stilistisch wie technisch bewunderswert. Um die Häupter schlang sich ein Band, auf dem man in den drei Zwischenräumen zwischen den Köpfen ein W, einen Steinbock und das Wort fecit las.

»Wer hat das geschaffen?« fragte Hortense.

»Mein Verehrer«, erwiderte Tante Lisbeth. »In dem Ding stecken sechs Monate Arbeit. Ich mit meiner Goldstickerei verdiene mehr. Er hat mir erklärt, Steinbock sei ein deutsches Wort und bedeute »Gemse« oder so was. Von nun an will er alle seine Werke so signieren. Genug! Jetzt bekomme ich deinen Schal!«

»Wieso?«

»Kann ich mir ein solches Kleinod kaufen oder machen lassen? Das ist doch ausgeschlossen. Also habe ich es geschenkt bekommen. Und wer macht einem solche Geschenke? Ein Verehrer!«

Mit einer Verstellung, die Lisbeth Fischer entsetzt haben würde, wenn sie sie erkannt hätte, hütete sich Hortense, ihre große Bewunderung merken zu lassen, obwohl ihre Seele im Innersten ergriffen war, wie das allen für Schönheit empfänglichen Menschen so geht, wenn sie unverhofft vor einem vollendeten Meisterwerke stehen.

»Gewiß«, sagte sie, »das ist recht hübsch.«

»Ja, ja, es ist hübsch«, wiederholte die alte Jungfer, »aber ein gelber Kaschmirschal ist mir lieber. Siehst du, Kindchen, damit verbringt mein Verehrer seine Zeit. Seit seiner Ankunft in Paris hat er drei oder vier solche Sächelchen verfertigt, und das ist nun die Frucht von vier Studien- und Arbeitsjahren. Er hat bei Formern, Gießern und Goldschmieden gelernt. Was weiß ich? Hunderte und Tausende sind dabei draufgegangen. Nun bildet sich das Kerlchen ein, in ein paar Monaten berühmt und reich zu werden.«

»Aber du siehst ihn doch?«

»Glaubst du denn immer noch, es sei Fabel? Ich habe dir lachend die Wahrheit gesagt!«

»Und er liebt dich?« fragte Hortense lebhaft.