Gender - Sprache - Stereotype

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2.3 Auseinandersetzungen mit dem Thema Frau und Sprache

Die Thematisierung von Frauen und Sprache erfolgte bis weit in das letzte Jahrhundert hinein intuitiv und aus männlicher Sicht. Otto Jespersen gehört zu denjenigen Sprachwissenschaftlern (m.), die in diesem Zusammenhang sehr oft zitiert werden, weil er Anfang des letzten Jahrhunderts nicht nur auf das andere Sprachverhalten der Frau hinwies, sondern auch Erklärungen dazu formulierte: Die Sprache der Frau sei insgesamt primitiver, para- und nicht hypotaktisch, inhaltsärmer, unvollständiger. Frauen hätten einen kleineren Wortschatz und bewegten sich in jeder Beziehung im durchschnittlichen Bereich. Jespersen verdanken wir Beobachtungen wie

[…], daß manche männer unverbesserliche wortspieler sind, während die frauen im allgemeinen langsam im begreifen eines solchen wortwitzes sind und kaum jemals selbst etwas derartiges verbrechen […], daß die Frauen viel öfter als die männer mitten in der rede aufhören und den satz unbeendet lassen, weil sie zu sprechen anfangen, ohne das, was sie sagen wollen, zu ende zu denken (Jespersen 1925: 233f.).

Auch Überlegenheit wird uminterpretiert:

Nicht nur, daß sie [die Frauen] schneller lesen konnten als die männer, sie waren auch imstande, bessere rechenschaft über den absatz als ganzen zu geben. Eine dame z.b. konnte genau viermal so schnell lesen als ihr mann und überdies noch einen vollständigeren bericht niederschreiben als er von dem kleinen stück des absatzes, das er zu bewältigen vermochte. Aber es ergab sich, daß diese geschwindigkeit kein beweis für geisteskraft war (ibd.: 236).

Die Gründe dafür suchte Jespersen bei Unterschieden in der Ausbildung, in den täglichen Anforderungen und der Arbeitsverteilung. Im Gegensatz zu einigen außereuropäischen Sprachen gibt es für den deutschen Sprachraum aber keine „FrauenspracheFrauensprache, <i>women’s language</i>“ mit grammatischen, lexikalischen und / oder phonologischen Eigenheiten und damit auch kein geschlechtsspezifisches Sprachverhalten, sondern nur mehr oder weniger typische Merkmale.

Die SoziolinguistikSoziolinguistik, -isch nahm den Faktor Geschlecht Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre mit in ihren Untersuchungskanon zu Sprachvariation auf, beginnend mit William Labov und Peter Trudgill. Zunächst waren oft genug nur männliche Probanden untersucht worden (Thorne/Henley 1975b, Hellinger 1990: 20). Die Studien mit Frauen zeigten, dass sie im Vergleich zu Männern eher standardnah sprechen.

Eine erste auf tatsächlichen Belegen beruhende Abhandlung über 1500 Spott-, Scherz- und Schimpfnamen für Frauen in der schweizerdeutschen Volkssprache legte 1935 Luise Frei (Frei 1981) vor mit einer erstaunlichen Menge und Bandbreite an affektiven, zumeist negativ konnotierten Begriffen zu den Themenbereichen ‚hässlich‘, ‚dick‘, ‚faul‘, ‚geschwätzig‘, vor allem ‚moralisch fragwürdig‘, und aus zahlreichen Wortschatzbereichen wie TierenTier oder Objekten. So wurden Behälter, Gefäße oder allgemeiner Hohlräume in Übertragung auf weibliche Organe verwendet (Schmutzsack, Stinkloch, Schmutzampele). Alle Bezeichnungen waren laut Autorin von Männern geschaffen. Das sagt nun aber hauptsächlich etwas über die Männer und über das, was ihnen wichtig ist, aus (Wyss in Frei 1981: 9).

Batliner (1981) argumentierte ähnlich. Er überprüfte statistisch Denotate und Konnotate von Nomen und Nominalphrasen mit Bezug auf Frauen und Männer (angefasste Apfelsine für eine Frau, ein Bär von einem Mann) in einem Synonymwörterbuch. Zunächst ging es ihm um die Häufigkeitsverteilung und darum zu zeigen, dass die Sprache eher von Männern als von Frauen geprägt wird. Zahlenmäßig überwiegen ganz klar die Denotate für die Frau (418, für den Mann 44; Batliner 1981: 325). Inhaltliche Aspekte verstärken dann die Argumentation: Attribute für Frauen beziehen sich auf das äußere Erscheinungsbild, auf das Verhalten gegenüber Männern und auf Themen wie ‚jungfräulich‘ oder ‚liederlich‘, während der Mann Machtansprüchen gewachsen ist oder nicht, vgl. bei der Frau schön, attraktiv, sexy, dumm, zanksüchtig gegenüber dem Mann potent, fruchtbar, jugendlich, schwach, senil (Batliner 1981: 320ff.). Anhand der Ausdifferenzierung bei den Bezeichnungen für die Frau werden die inhaltlichen Tendenzen und die vielen Rollenklischees sichtbar, die in dieser Ausrichtung und Breite den männlichen Sprachbenutzern offenbar wichtig sind.

Ruth Römer (1973) untersuchte das Weltbild, das Lehrbücher vermitteln. Sie sammelte Beispielsätze aus renommierten Grammatiken in Hinblick auf Erwähnung, Rollen und Tätigkeiten von Frauen und Männern und fand die klassische Verteilung und Stereotype. Hauptsächlich agieren Männer, Frauen sind selten berufstätig, sondern mit Kindern und Haushalt beschäftigt. „Während er alles weiß, weiß sie nichts.“ „Der Mann ist gebildet. Das Mädchen ist reizend.“ „Der Vater liest. Er liest ein Buch. Die MutterMutter liest Erbsen“ (Römer 1973: 77f.). Solche Untersuchungen gab es später noch öfter (Kap. 11, 12).

Die aktuelle Auseinandersetzung mit der Thematik fand ihren Anfang u.a. mit Key (1972, ausführlich 1975). Sie beleuchtete in Anlehnung an Arbeiten von z.B. Jespersen die Unterschiede der Sprache von Frauen und Männern in einigen Kulturen und trennte dabei auch zwischen gender (‚GenusGenus‘) und sex. Darüber hinaus stellte sie Vorüberlegungen zu unterschiedlichem sprachlichen Verhalten als auch zu Unausgewogenheiten in der sprachlichen Behandlung an, etwa bei den Pronomina, beim Sprechen über Frauen, vgl. „[w]omen fret […]; men get angry. Men have careers; women have jobs“ (Key 1972: 22), „[m]en yell; women scream (or squeal)“ (Key 1975: 81), oder bei der Gruppierung, vgl. „the blind, the lame, and the women“ (Key 1972: 23), „minors, the mentally incapacitated, and sometimes special groups such as married women, convicts, and aliens“, „women, minors, convicts, and idiots“ (ibd.), „Women and dogs and other impure animals“ (ibd.). Kurz darauf erschien Lakoff (1973) und führte die beiden Themen, wie Frauen sprechen und wie über sie gesprochen wird, fort. Sie überlegte, unser Sprachverhalten zu nutzen, um daran unsere unbewussten Einstellungen zu erkennen. Über beide Wege erfahren Frauen Diskriminierung, wenn sie auf unterwürfige Aufgaben („subservient functions“) degradiert werden. Die Autorin sieht die Gründe bereits in der frühen Sozialisation. Schon kleine Mädchen müssen lernen, sich wie ein „richtiges“ Mädchen zu verhalten und damit auch „ordentlich“ zu sprechen. Dann bedienen sie als Erwachsene aber wieder die bestehenden Stereotype mit dem typischen Frauenverhalten und werden als unfähig eingestuft. Wenn sie es nicht tun, sind sie unweiblich.

So a girl is damned if she does, damned if she doesn’t. If she refuses to talk like a lady, she is ridiculed and subjected to criticism as unfeminine; if she does learn, she is ridiculed as unable to think clearly, unable to take part in a serious discussion (Lakoff 1973: 48).

Beide Wege führen dazu, dass den Frauen Führungskompetenzen und Machtpositionen verweigert werden, jeweils mit der Begründung, nicht intelligent genug oder aber zu aggressiv und hart zu sein. Ein Dazwischen gibt es nicht. Dieses Manko an Neutralität bei den Entscheidungsmöglichkeiten der Frauen und die damit verbundene unlösbare double-bind-Problematik bleiben Themen, die bei den Untersuchungen von Kommunikationsverhalten auch heute noch aktuell sind. Anders der Begriff women’s language: Er erwies sich für unseren Kulturraum als unpassend.

Lakoff (u.a. 1973, 1977) sprach zwar von FrauenspracheFrauensprache, <i>women’s language</i>, listete aber zahlreiche Unterschiede im sprachlichen Verhalten auf. Es ging nicht um zwei verschiedene grammatische bzw. lexikalische Systeme, sondern um andere Gewohnheiten, was die Verwendung des Begriffs Frauen- bzw. MännerspracheFrauensprache, <i>women’s language</i> nicht rechtfertigte. Lakoff stellte fest, dass Frauen über mehr Farbbezeichnungen als Männer verfügen (mauve, lavendel, beige), die von Männern aber als unwichtig erachtet werden. Sie verwenden „bedeutungslose“ Partikeln wie oh dear, dear me oder goodness. Andere frauentypische Begriffe sind charming, lovely, sweet, Intensivierungen wie so, such, Euphemismen, Diminutiva, Modalverben, HeckenausdrückeHeckenausdrücke, <i>hedges</i> (sorta, more or less) und tags wie isn’t it (Lakoff 1977: 22ff.). Solche Ausdrücke können zwar eine gewisse Differenziertheit zum Ausdruck bringen, schwächen eine Behauptung aber oft ab, um eine klare Aussage zu vermeiden, um Unstimmigkeiten zu mildern und um Kompromisse und Anpassung zu fördern. Das wird wiederum als Unsicherheit gedeutet. Ähnlich wirkt das Anheben der Stimme zum Ende eines Aussagesatzes, wie es eigentlich für Fragen typisch ist. Auf diese Weise klingen Frauen zwar höflicher, aber auch etwas unsicher und werden daher nicht ganz ernst genommen (Lakoff 1973: 57).

Lakoff führte einige AsymmetrienAsymmetrie auf der Sprachsystemebene auf wie die Pronomina, die Verwendung von master (‚Herr, Meister‘) gegenüber mistress (‚Geliebte‘), was im Übrigen nicht allein stehen kann, sondern immer nur in Bezug auf jemanden (Rhonda is *a / his mistress), oder auch der Unterschied zwischen he / she is a professional. Frauen sind in diesem Zusammenhang Prostituierte, Männer Profis in ihrem Beruf. Diese Asymmetrien reduzieren Frauen darüber hinaus wieder auf eine ihrer wenigen Hauptfunktionen. Hierzu gehörten laut Lakoff weiter auch die Unterscheidung von Miss und Mrs., vgl. sogar Mrs. John Smith, was kein Pendant auf männlicher Seite aufweist. Es zeigte sich außerdem, dass Frauen meist in Abhängigkeitsverhältnissen zu einem Mann dargestellt werden, vgl. auch Mary is John’s widow – *John is Mary’s widower (Lakoff 1973: 63ff.). Diese und andere sprachliche Disbalancen reflektieren soziale Ungleichheit, bezogen auf die Rollenverteilung. Lakoff (1973) trat aber ganz dezidiert nicht dafür ein, die sprachlichen Asymmetrien abzuschaffen.

 

Barrie Thorne und Nancy Henley legten 1975 einen Sammelband vor mit damals neuen Daten aus verschiedenen Erhebungsmethoden und Quellen und konnten die wesentlichen Behauptungen zu AsymmetrienAsymmetrie und männlicher Dominanz in der Sprache dadurch empirisch stützen. Auch sie gingen primär von sozialen Faktoren als Grund für Unterschiede aus und sahen „gender“ als kompliziertes soziales und kulturelles Phänomen (Thorne/Henley 1975b: 14). Insgesamt bot der Band ein zum damaligen Zeitpunkt sehr differenziertes Bild an beteiligten Disziplinen, Untersuchungsmöglichkeiten und Einflussfaktoren.

2.4 Feministische Sprachkritik

Das Thema Frauen und Sprache kam nach Europa, nachdem im Zuge der feministischen Bewegungen auch die Wissenschaft die Rolle der Sprache entdeckt hatte, etwa zehn Jahre nach der Etablierung der Feministischen Linguistik als wissenschaftliche Disziplin in den USA. 1978 veröffentlichte Senta Trömel-Plötz einen Artikel, der für hitzige Debatten sorgen sollte. Sie und ihre Ko-Wegbereiterin der Feministischen LinguistikFeministische Linguistik in Deutschland, Luise F. Pusch, beanstandeten das generische Maskulinum, das manchmal auf Frauen und Männer referiert und manchmal nur auf Männer, was zu Unklarheiten und Missverständnissen führt. Sie beziehen sich dabei auf das Sprachsystem und die entsprechenden Normen. Der zweite Bereich betrifft das Gesprächsverhalten. Frauen haben aufgrund ihrer Verhaltensweisen in der KommunikationKommunikation mit Männern Nachteile. Diese beiden Aufgabenstränge wurden damals bereits für den englischen Sprachraum diskutiert.

Mit ihrem Überblicksartikel von 1978 wollte Trömel-Plötz zunächst nur die Aufmerksamkeit auf das Thema FrauenspracheFrauensprache, <i>women’s language</i> und women’s studies lenken und auf die Ungleichheit der Frau, die sich auch sprachlich ausdrückt. Sie fragte daher, wie Frauen von der Sprache und von den Sprecher/innen behandelt werden. Das generische Maskulinum bevorzugt Männer und benachteiligt Frauen. Darum ist es nicht, wie gern behauptet, geschlechtsindifferent. Einerseits ist die alleinige Verwendung der Maskulinformen oft genug nicht nötig – es gibt Kundin und Käuferin, warum also bei uns ist der Kunde König? Andererseits sind Frauen nur manchmal mitgemeint. Mit der maskulinen Form sind dann allerdings auch nur Männer mental präsent. In jedem Falle ist das grammatische System unausgewogen zum Vorteil der Männer, da es Frauen sprachlich und gedanklich oft ausschließt. Darüber hinaus gibt es weitere AsymmetrienAsymmetrie wie fehlende Gegenformen (*Kindergärtner, *Putzmann), besser konnotierte männliche Varianten (alte Jungfer/Junggeselle), eine große Bandbreite an Schimpfwörtern für Frauen sowie Unausgewogenheiten in SprichwörternSprichwort (vgl. Kap. 5.3.1). Auch die Sprachgewohnheiten von Frauen sind manchmal anders als die der Männer (Verniedlichungen, Euphemismen etc., weniger Vulgärausdrücke, mehr Fragen, Entschuldigungen, Konjunktive, indirekte Aussagen, Wortschatz im Bereich Kindererziehung und Haushalt), was auf traditionelle Rollen bzw. die Strategie der Höflichkeit, Konfliktvermeidung und Abschwächung hinweist. Dies gilt jedoch als Unsicherheit, so dass die Frau nicht ernst genommen wird und es schwer hat, sich zu behaupten. Die Bereitschaft zur Kooperation geht mit dem Verlust an Autorität einher.

Wieder stoßen wir auf die ‚double bind<i>double bind</i>‘ Situation. Um ernst genommen und gehört zu werden, muß die Frau reden wie der Mann. Redet sie aber so wie ein Mann, dann ist sie männlich und wird als Frau entwertet (Trömel-Plötz 1978: 62).

Da die Sprache auf der Ebene des Systems als auch auf der des Handelns die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der Gesellschaft widerspiegelt, sollte sie auch langfristig gleichberechtigt eingesetzt werden. Diese sprachkritischen Überlegungen sehen damit durchaus sprachlichen Wandel vor.

Die Antwort auf den Artikel kam einige Monate später von Kalverkämper (1979a) in Form eines polemischen Aufsatzes mit vielen rhetorischen Figuren und unsachlichen, provozierenden, stark wertenden und diskreditierenden Anteilen. Er ging auf die eigentliche Problemlage nur am Rande ein. Der Begriff Übersichtsartikel wird in Anführungszeichen gestellt und dadurch ironisiert, die inhaltliche Darstellung zu einem „plakativen Geschlechterstreit und Rollenkampf“ (Kalverkämper 1979a: 56). Ausdrücke wie „grob-globale[s] Freund-Feind-Bild“ und Fragen wie „Wer hat bloß für solche Thesen Pate gestanden? Das Modell des Heimchens am Herde und der Marlboro-Mann?“ (Kalverkämper 1979a: 67) wirken in einem wissenschaftlichen Artikel deplatziert. Ironisch gemeint ist auch seine „Hoffnung, auf die Diskussion um ‚die Frau und die (d.h. ihre) Sprache‘ einen beruhigenden Einfluß ausüben zu können“ (ibd.: 56). Neben diesen groben stilistischen (und menschlichen) Schwächen sieht aber Kalverkämper das eigentliche Problem nicht: Er ignoriert die Handlungsebene der Sprache. Auf Systemebene postuliert er eine völlige Unabhängigkeit des Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus vom GenusGenus gemäß Saussures Postulat der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens. Er wirft Trömel-Plötz deswegen Methodenfehler vor, da sie eine Verbindung zwischen sprachlichen Zeichen und außersprachlichen Aspekten anerkennt und die „Grundprinzipien der struktural-funktionalen SemantikSemantik, -isch und somit der Linguistik überhaupt außer acht“ (ibd.: 62) lässt, ihre Argumentation sei „unlinguistisch“ (ibd.: 60). Vor diesem Hintergrund gebe es nur die LangueLangueLangueParole1, die zählt, und keinen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken. Die Argumentation zur ParoleParole, in der es Unterschiede geben mag, wird nicht als seriös akzeptiert (ibd.: 67). Kalverkämper ignoriert, dass bei Bedarf maskuline Formen durchaus nur auf Männer bezogen werden, so dass Frauen dadurch nach Belieben ausgeschlossen werden können, etwa in der Argumentation der Schweiz gegen ein Wahlrecht für Frauen, das laut Gesetz eben nur „Schweizern“ zusteht (Trömel-Plötz 1982: 201f., Kusterle 2011: 22). Warum bei PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung grundsätzlich die maskulinen Formen gewählt werden, bleibt ebenfalls offen. Auf beide Umstände zielt jedoch Trömel-Plötz ab. Kalverkämper versäumt es aber nicht nur, in seinem Artikel auf alle vorgetragenen Argumente einzugehen, er stellt auch Trömel-Plötz’ fachliche Kompetenz infrage. Beides ist wissenschaftlich unangemessen. Dies und der emotionale, provokative Stil führen die Debatte von der wissenschaftlichen Ebene in die Polemik, die Pusch (1979) fortsetzt. Sie fasst zunächst die Argumente von Trömel-Plötz zusammen, ergänzt sie um weitere Beispiele, um dann auf Kalverkämpers Kritik einzugehen: Die strukturalistische Denkweise sei nur eine von mehreren Möglichkeiten. Kalverkämper ignoriere sozio- und psycholinguistischePsycholinguistik, -isch Alternativen. Die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens gelte nicht in hundert Prozent aller Fälle, die feministische Kritik ziele auf Referenz- und Assoziationsprobleme ab, da mit einem angeblich neutralen PronomenPronomen man oder jedermann an Mann gedacht werde und nicht an Frauen (Pusch 1979: 93). Gerade im Bereich der Personenbezeichnungen, aber nicht nur hier, decken sich im Übrigen Genus und Sexus, die Trömel-Plötz keineswegs verwechselt, sondern bewusst – und kritisch – beleuchtet. Diese Replik von Pusch ist zwar auch stilistisch stark markiert und für sie der Beginn zahlreicher Streitschriften und glossenartiger Artikel. Sie basiert aber außerhalb der provokativen Passagen immer noch auf wissenschaftlicher Argumentation. Doch Kalverkämper (1979b) antwortet noch heftiger als zuvor mit Quo vadis linguistica? – oder: Der feministische Mumpsimus in der Linguistik. Er bleibt bei einer prinzipiellen Trennung von Genus und Sexus und schließt mit der Feststellung, dass die Feministische LinguistikFeministische Linguistik für die Sprachwissenschaft nichts Substantielles beizutragen habe (Kalverkämper 1979b: 105), worauf dann wieder Pusch (1980) teils sachlich, teils ironisch-übertrieben antwortet. Leser/innen befinden sich dadurch in der schwierigen Situation, die tatsächlichen Fakten herauszufiltern, ohne sich emotional zu beteiligen. Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema war fast unmöglich, da die Gegner/innen der sprachkritischen Position kaum bereit waren, sich ernsthaft mit der Thematik zu befassen und auf alle Argumente einzugehen, wie ein weiteres Beispiel zeigt.

Auf ein Buch, das alternative Schreibweisen wie man oder frau verwendet, gibt es ebenfalls eine extreme Reaktion mit stark emotionalen, disqualifizierenden und beleidigenden Passagen. Griesbach (1985) rezensiert Herrad Meese mit wenig wissenschaftlichen Ausführungen. „Man muß sich wirklich fragen, wer – um Himmels willen – hat denn der Autorin diesen Stuß im Manuskript durchgehen lassen?“ (Griesbach 1985: 50), „Für was für Ignoranten ist dieses Buch eigentlich bestimmt?“ (51). „‚Linguistinnen‘ nennen sich die, die in ihrer entwaffnenden Ahnungslosigkeit etwas im Deutschen entdeckt zu haben glauben, was in ihr feministisches Konzept paßt, aber ebenso töricht wie falsch ist“ (ibd.: 50). Auf die Verfasserin (und die Gruppe der Sprachkritiker/innen) wird referiert als „Einäugige“ (50), „Verbohrte“ (51), „empfindliche[…] Linguistinnen und ihre Anbeter“ (51) mit ihren „verworrenen Vorstellungen“ (51). Die sprachlichen Alternativen seien „ein geradezu geni(t)aler Einfall, der von einem bedrückenden Mangel an Sachkenntnis zeugt und entmutigende Rückschlüsse auf die derzeitige Qualität ihrer Ausbildung und ihres Studiums herausfordert“ (51). Auch Griesbach verweist auf die strikte Unabhängigkeit von GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus und der daraus resultierenden völlig neutralen Verwendung des Genus. Diejenigen, die das verwechseln, werden als inkompetent hingestellt. Zu Recht fragt sich Herrad Meese (1985) in ihrer Replik, „was Heinz Griesbach dermaßen in Rage geraten läßt“ (Meese 1985: 53). Was veranlasst Wissenschaftler (m.) wie Kalverkämper und Griesbach, die bislang als seriös und kompetent wahrgenommen wurden, zu solch emotionalen Ausbrüchen? Darüber hinaus darf auch gefragt werden, warum wissenschaftliche ZeitschriftenZeitschrift solche Texte im Rahmen einer eigentlich akademischen Debatte akzeptieren.

Die weiteren Beiträge verteilen sich mehr oder weniger auf diese zwei Lager: Die Vertreter/innen der feministischen Kritik meinen, die deutsche Sprache sei ungerecht aufgrund zahlreicher AsymmetrienAsymmetrie und der die Frauen benachteiligenden Auswirkungen von Sprache auf Denken und damit auch Handeln (u.a. Guentherodt et al. 1980, Trömel-Plötz et al. 1981, Schoenthal 1985, Müller 1988, Trömel-Plötz 1982, 1984, 1996). Die Gegner/innen argumentieren mit der grammatischen Trennung von GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus und erkennen Asymmetrien, Wechselbeziehungen zwischen Sprache und Denken und Sprachwandelmöglichkeiten nicht an (vgl. auch Ulrich 1988, Lieb/Richter 1990, Leiss 1994). Zwischendurch gab es durchaus auch seriöse und fundierte Kritik an der feministischen Position (Stickel 1988). Es folgten Forderungen, die Menschen sprachsensibler zu machen und Ungerechtigkeiten zu ändern, was wiederum zahlreiche sprachpolitische Maßnahmen nach sich zog. Gisela Schoenthal führte in ihrem Forschungsbericht von 1985 neben der sprachsystematischen und kommunikativen Perspektive dann einen dritten Gesichtspunkt im Rahmen der Diskussion um Sprache und Geschlecht auf – den der Rolle für die sprachliche Sozialisation.

Polemische Debatten und aggressive Reaktionen sind bis heute nicht abgerissen (Kap. 5.5.5). Aber sie waren und sind wohl weniger gegen die eigentliche Sachlage als generell gegen Frauen und Feministinnen gerichtet und der Angst geschuldet, eine privilegierte Position zu verlieren. Die sozialpolitische Situation hatte sich jedoch verändert: Frauen wurden mehr und mehr Rechte zuerkannt mit dem Ziel, eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern aktiv herzustellen. Die feministische Sprachkritik richtete sich darauf, dies auch auf der sprachlichen Ebene sichtbar zu machen. Daher führte sie immer wieder AsymmetrienAsymmetrie an, die fast immer zum Nachteil der Frauen arbeiten. Hätte es ein ausgewogenes Verhältnis der Ungleichmäßigkeiten mit Vor- und Nachteilen für Frauen und Männer gegeben, wäre das Thema nicht so nachdrücklich diskutiert worden. Stattdessen aber liegt gerade in diesem überproportional hohen Nachteil schon die erste Asymmetrie. Die Diskussion wurde erschwert durch die anfänglich eher auf Intuition beruhende Argumentation auf Seiten der Kritiker/innen und die grundsätzlich ablehnende Haltung der Gegenseite, die auf die meisten Argumente nicht wirklich einging.

 

Auf der Ebene des Sprachsystems ist eine Kategorie wie GenusGenus durchaus neutralNeutralform und zunächst nicht an biologische Eigenschaften von Referent/innen gekoppelt, zumal der überwiegende Teil von Nomen für unbelebte Dinge oder Abstrakta steht. Die Diskussion ging von Linguistinnen aus, die sich dieser Tatsache bewusst waren. Aber das war nicht der Punkt. Vielmehr ging es darum, wie eine Form mental verarbeitet bzw. verstanden wird. Beispiele aus anderen Sprachen und anderen Zeitstufen zeigen, dass bei Bedarf eine angeblich neutrale maskuline Form als Beleg für gemeinte männliche Referenten herangezogen wurde / wird. Die feministische Kritik zielte also vorrangig auf das Verständnis außerhalb des Kreises der linguistisch geschulten Sprachbenutzer/innen ab. So kam es auch zur Verwendung des Begriffs Sexismus bzw. sexistische Sprache. Sexismus bedeutet unabhängig davon, welches Geschlecht betroffen ist, Benachteiligung bzw. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, wird jedoch de facto kaum auf Benachteiligung von Männern bezogen. Gefordert wurde daher, Frauen gleichberechtigt zu behandeln, dann aber auch sichtbar zu machen. Dafür bot sich die BeidnennungBeidnennung durchaus an. Darüber hinaus sollte dabei auch sprachlich klar werden, dass eigentlich männlich erlebte Funktionen und Aufgaben auch von Frauen übernommen werden können und dass schließlich sprachlich präziser zu formulieren sei (Müller 1988). Weiterhin haben zwar PronominaPronomen wie man und jedermann keine maskuline Referenz im grammatischen Sinne, nichtsdestotrotz lösen sie Assoziationen aus, die eher nicht weibliche Bezüge haben. Die Argumentationen, die auf eine konsequente NeutralitätNeutralform des Genus abzielen, ignorieren völlig die Tatsachen und gehen auf die eigentliche Kritik nicht ein, dass aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen auch ein veränderter Bedarf besteht, Sprache zu verwenden.

Die feministischen Bedenken richteten sich damit auch gegen die Willkürlichkeit der Interpretation, die rein nach Erfordernis ein Maskulinum als neutral oder männlich (und Frauen damit ausschließend) auslegte. Sie forderten Gleichbehandlung. Die Strukturalist/innen verkennen ein wesentliches Problem des deutschen Genussystems, dass nämlich in einigen Bereichen über ein GenusGenus durchaus auf Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus referiert wird, vgl. der Mann/die Frau, die MutterMutter / der Vater, die Oma/der Opa, die Henne/der Hahn, die LehrerinLehrer/in, -kraft, -schaft/der Lehrer etc. Sexus und Genus sind daher nicht grundsätzlich und ausnahmslos unabhängig voneinander. Dies war aber zunächst noch nicht empirisch bewiesen.

Der feministischen Sprachkritik ging es aber auch um die öffentliche Wahrnehmung: Luise Pusch mit ihren stark übertriebenen, aber nicht unbedingt immer ernst gemeinten Forderungen war sie auf jeden Fall sicher. Wie sich Jahre darauf zeigen sollte, erwies sich die feministische Sprachkritik als effektiv, da sie öffentliche Diskussionen bewirkte, Vorschriften und Gesetzgebungen beeinflusste und die nötigen Sprachwandelerscheinungen auslöste, die heute für mehr Gerechtigkeit in der deutschen Sprache sorgen (weiter auch Kap. 5).