Gender - Sprache - Stereotype

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1.3 Begriffe

Stereotype sind stark vereinfachte, generalisierende und gleichzeitig starre Meinungen über Gruppen.

Geschlechtsstereotype sagen uns, wie Männer und Frauen zu sein und was sie zu tun haben: Männer verdienen das Geld für die Familie – Frauen bleiben zu Hause bei den Kindern. Stereotype sind nicht grundsätzlich schlecht. Sie können anfangs bei der Wahrnehmung und Orientierung helfen, da sie den Interpretationsspielraum einschränken. Daher bedeuten sie eine wichtige Ökonomisierungsstrategie im Umgang mit anderen (vgl. ausführlich Kap. 7). Die emotional aufgeladenen Begriffe Diskriminierung und Sexismus möchte ich weitgehend, wenn auch nicht ganz, umgehen. Sexismus ist „die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts“ (Wetschanow/Wiesinger 2004: 21). Der Begriff entstand in den USA in Anlehnung an Rassismus und wird mittlerweile auch auf konkrete Verhaltensweisen bezogen. Moderner Sexismus heißt, die Diskriminierung von Frauen zu bestreiten und sich gegen Bestrebungen zu stellen, mehr Gleichberechtigung zu schaffen (Sczesny et al. 2016: 6).

1.4 Leitgedanken

Vorstellungen werden durch Erfahrung, Stereotype und Sprache beeinflusst. Erwachsene tragen ihren Teil dazu bei, Geschlechtsunterschiede zu stärken und die Kinder auf stereotypkonformen Bahnen zu halten. Die verschiedenen Faktoren greifen ineinander und sind daher nicht ganz sauber zu trennen.

1 Unabhängig von sprachsystematischer Regularität gibt es eine enge assoziative Verbindung zwischen GenusGenus und Geschlecht.

2 a) Die Sprache behandelt die Geschlechter nicht gleich.b) Sprachlich agieren die Geschlechter nicht gleich.

3 Der Sprachgebrauch beeinflusst Denken und Wahrnehmung und damit Handeln.

4 Mädchen und Jungen unterscheiden sich in der hormonellenHormone Entwicklung, bei neuronalen Strukturen und Funktionen und in kognitiven Leistungen, was zu unterschiedlichem Verhalten, auch auf sprachlicher Ebene, führt. Das formt und stützt Stereotype.

5 Stereotype beeinflussen Denken und Wahrnehmung und damit Handeln. Familie, Institutionen und MedienMedien sind die wesentlichen Quellen für Stereotype. Sie entstehen und etablieren sich sprachlich und durch KontextKontext- und Frequenzwissen.

6 Sprache und Stereotype führen zu Unterschieden im Denken über und im Umgang mit Frauen und Männern. Dies ist nicht zu beanstanden, solange damit eine faire, gleichberechtigte Behandlung nicht gefährdet wird. Geschlechtsstereotype und geschlechterungerechte Sprache lösen jedoch einen voreingenommenen Umgang mit Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männern aus. Das führt zu ungleichen Chancen im täglichen Miteinander, bei Identitätsfindung und Lebensentwurf.

7 Über Sprache lernen wir gesellschaftliche Positionen, Normen und Rollen. Mit Sprache dokumentieren wir sie und geben sie weiter. Damit manifestieren und reproduzieren wir auch Ungleichheit.

8 Wir alle tragen also zur Situation, wie sie ist, mit bei und sorgen dafür, dass sie bleibt. Den wenigsten ist dies jedoch bewusst. Die Analyse von Sprachgebrauch und Sprache soll die Beziehung zwischen Sprache, Denken und Handeln sichtbar machen.

9 Weiterhin sind Richtlinien bzw. politische Vorgaben zur Bewusstmachung von 6. und damit zur Veränderung von 2. (und 5.) nötig.

10 Dies führt zu gendergerechter Sprache im öffentlichen Diskurs (Ämter, MedienMedien).

11 Ein gendersensibler Umgang miteinander kann auch in der Ausbildungssituation erreicht werden (KitaKita, Schule, Universität; Integration von Geflüchteten), indem er durch Lehrkräfte erkannt und umgesetzt und bei Kindern und Jugendlichen gefördert wird. Daher sind die Verantwortlichen über die verschiedenen Zusammenhänge aufzuklären und für die Auswirkungen zu sensibilisieren.

12 Kinder, die genderbewusst aufwachsen, haben gerechtere Chancen im Privaten und im Beruf. Sie können dies wieder an andere weitergeben und als Vorbilder fungieren. Somit sind im Endeffekt gesellschaftspolitische Auswirkungen erwartbar.

Ziel ist es nicht, Frauen und Männer gleich zu machen, sondern die Anerkennung ihrer faktischen Gleichwertigkeit und entsprechend mehr Chancengleichheit zu erreichen.

1.5 Aufbau

Die ersten Kapitel beschäftigen sich mit der historisch-theoretischen Positionierung – die geschichtliche Entwicklung der Genderlinguistik und die gesellschaftspolitischen Einflüsse (2) und verschiedene theoretische Ansätze von Feministischer LinguistikFeministische Linguistik bis hin zu Queer Studies (3). Dies dient einem allgemeinen theoretischen Hintergrund, der u.a. auch helfen soll, die gesellschaftlich begründbaren Widerstände gegen genderlinguistische Themen zu verstehen.

Es folgen sprachwissenschaftliche Grundlagen. Sie betreffen den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken (4), den Zusammenhang zwischen Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus und GenusGenus sowie die Stellung des Genderaspekts innerhalb des Sprachsystems (5). Diese Kapitel sind wichtig, da sie die Themen behandeln, die im öffentlichen Diskurs zumeist ignoriert werden und zu Vorurteilen und Fehleinschätzungen führen, jedoch als linguistisches Fundament für die weitere Argumentation Voraussetzung sind.

Kapitel 6 beschäftigt sich mit dem Einfluss sprachlicher AsymmetrienAsymmetrie und mit dem Einfluss der über Sprache transportierten Stereotype auf unser Denken und Handeln – welche Auswirkungen hat geschlechter(un)gerechte Sprache? Diese Informationen sind für das Erkennen des eigenen stereotypen Verhaltens unabdingbar. Kapitel 7 behandelt die Stereotype – wie entstehen Geschlechtsstereotype und warum sind sie wichtig? Es schließt sich ein Kapitel (8) über die hormonellenHormone, neurologischen und kognitiven Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen an: Welchen Anteil haben diese biologischen Faktoren an gendertypischen Verhaltensweisen und Fähigkeiten? Es folgen Informationen zum Gesprächsverhalten (9), denn das tagtägliche sprachliche Miteinander trägt zu Aufbau und Pflege der Rollenvorstellungen bei. Kapitel 10 zur Genderentwicklung fragt, wie und unter welchen Einflüssen sich das Geschlechtsbewusstsein entwickelt und welche Rolle Stereotype und Sprache dabei spielen.

Das Kapitel 11 zu den MedienMedien thematisiert die Ungleichbehandlung und die klischeehafte Darstellung von Mädchen und Jungen, Männern und Frauen in der medialen Scheinwelt und ihre Rolle bei Herstellung und Zementierung von Stereotypen, auch durch die Sprache. Dazu werden Zahlen und Sprachanalysen aus Zeitung, WerbungWerbung, FernsehenFernsehen und von Bilderbüchern vorgestellt, die veranschaulichen, wie die Medien traditionelle Verhaltensmuster für die Geschlechter schon im frühen Kindesalter und dann permanent weiter pflegen.

Die nächsten Kapitel widmen sich konkret der Rolle der Schule: Welche Bedeutung kommt den Unterrichtsmaterialien zu? Wo finden wir Geschlechtsstereotype und AsymmetrienAsymmetrie (12)? Wie tragen Institution und Unterricht (13) zu Geschlechter(un)gerechtigkeit bei und wie können wir das vermeiden? Kapitel 14 möchte abschließend die Frage beantworten, was in der Unterrichtssituation konkret getan werden kann.

1.6 Zusammenfassung

Obwohl das Recht auf Gleichstellung in der EU gesetzmäßig verankert ist, Mädchen in der Schule meist bessere Noten haben und mehr von ihnen bessere Abschlüsse als Jungen erzielen, verdienen Frauen weniger, verbringen mehr Zeit mit Hausarbeit, Kindern und Altenpflege und enden bei einer wesentlich schlechteren Altersversorgung als Männer.

Dieser Band will über die Entstehung der unterschiedlichen Denk- und Verhaltensweisen bei Kindern und Erwachsenen sowie über Zusammenhänge informieren und dabei die bedeutende Rolle der Sprache betonen. Er will auf die Auswirkungen auf Alltag, Unterricht und die Lehr- und Lernsituation aufmerksam machen und Möglichkeiten des Umgangs damit aufzeigen. Er will die GenderkompetenzenGenderkompetenz der Erwachsenen fördern für die kritische Auseinandersetzung und die Entwicklung einer eigenen Position sowie Anleitungen für die Praxis bieten. Ziel ist mehr Chancengleichheit und Individualität in Alltag und Unterricht.

1.7 Forschungsaufgaben

Stimmt das mit den Stereotypen? Fragen Sie im Bekanntenkreis, wie Ingenieure, Chirurgen oder Bürgermeister aussehen, wie sie sich verhalten. Sind das Vorstellungen, die zu Frauen passen? Kinder können Bilder malen zu LehrernLehrer/in, -kraft, -schaft, Ärzten, Bauern, Metzgern. Malen sie sowohl Frauen als auch Männer? Was ändert sich, wenn Sie Berufe wie Verkäufer, Tänzer oder ErzieherErzieher/in benennen? Welche Veränderungen ergeben sich aus der BeidnennungBeidnennung? Skeptische Leser/innen können auch einige Experimente wiederholen und die Ergebnisse vergleichen, z.B. Levinson (1975), Hay (1996), Riach/Rich (2006).

1.8 Literatur

Statistische Informationen liefern regelmäßig die Bildungs- und Gleichstellungsberichte der einzelnen Länder, die online einsehbar sind, z.B. (jeweils 01.08.2019):

https://www.bildungsbericht.de/de/nationaler-bildungsbericht/bildung-in-deutschland

https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/publikationen/zweiter-gleichstellungsbericht-der-bundesregierung-855554

 

https://www.skbf-csre.ch/news/details/news/der-neue-bildungsbericht-schweiz-2018/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=778131ff7e58b3e9093e1eff919e20d2

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/wirtschaftliche-soziale-situation-bevoelkerung/gleichstellung-frau-mann.html

https://www.bifie.at/material/nationale-bildungsberichterstattung/nationaler-bildungsbericht-2018/

https://bmbwf.gv.at/fileadmin/user_upload/gender/2018/DE_KV_BMBWF_GSD_BFREI_FINAL.pdf

2. Geschichte
2.1 Begriffe

Ausgehend von der aus den reproduktiven Aufgaben sich ergebenden Unterscheidung zwischen Mann und Frau stellte Stoller (1968: 6ff.) beim Verhalten graduelle Unterschiede fest und fragte, welche Aspekte nun angeboren und welche anerzogen sind. Um die Darstellung zu vereinfachen, trennte er im weiteren Verlauf zwischen sex, der Gesamtheit der biologischen Merkmale wie Genitalien, Chromosome,Chromosomen HormoneHormone etc., und gender, was psychologisch und kulturell geprägt ist. Er betrachtete auch die gender identity, die „starts with the knowledge and awareness, whether conscious or unconscious, that one belongs to one sex and not the other“ (Stoller 1968: 10), und die gender role als „overt behavior one displays in society“ (ibd.). Gender behavior ist erlernt und spielt eine wesentliche Rolle beim biologisch bedingten sexual behavior. Ein Problem für Stoller als Psychiater entsteht daraus, dass es Menschen gibt, bei denen gender, gender identity und gender role nicht konform gehen, und dass sexual behavior und gender behavior nicht immer zu trennen sind. Das englische gender (‚Geschlecht‘, auch im grammatischen Sinn wie ‚Genus‘Genus, eigentlich ‚Art, Gattung‘) etablierte sich daraufhin seit den 70er Jahren im englischsprachigen Raum mit dem Aspekt ‚kulturell-sozial und anerzogen‘ als Gegenbegriff zu sex. Das bedeutet ebenfalls ‚Geschlecht‘, aber mit der Zusatzbedeutung ‚natürlich, biologisch‘.

Da das Deutsche keine Möglichkeit für diese Differenzierung bereitstellt, bot sich die Fremdwortübernahme an, so dass im Laufe der 90er Jahre nun Gender im Deutschen in der Bedeutung ‚soziales Geschlecht‘ auch für den wissenschaftlichen Diskurs verwendet wurde. Darum lösten dann die Gender-Studien die frühere feministische Forschung ab.

Im Deutschen verfügen wir über drei Termini, die drei Bedeutungen von Geschlecht unterscheiden: Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus für das biologische, GenusGenus für das grammatische und Gender für das soziale Geschlecht.

Der Begriff Gender bzw. Genderforschung impliziert die Auseinandersetzung mit dem weiblichen und dem männlichen Geschlecht. Das Verb gendern bezieht sich auf die gendergerechte Gestaltung der Sprache. Frauenforschung versteht sich als Forschung über Frauen, allerdings ohne den Einbezug des biologischen Geschlechts neben dem sozialen, wie das bei Geschlechterforschung der Fall wäre (Frey Steffen 2017: 15ff.). Frauenforschung bildet einen Teilbereich der Geschlechterforschung. Letztendlich werden aber alle Begriffe oft genug synonym verwendet. Als wichtige Vorläufer der Frauenforschung gelten die FrauenbewegungenFrauenbewegung und literaturwissenschaftliche Kritik, vgl. Virginia Woolf, A room of one’s own (1929), Simone de Beauvoir, Le deuxième sexe (1949). Deswegen bedeutet die Beschäftigung mit Sprache nur einen von vielen Aspekten.

Der Begriff FeminismusFeminismus für eine politische Theorie bzw. Strömung kam in den 1880er Jahren in Frankreich auf (Gerhard 2009: 7f.). Er wird später auch erweitert auf die FrauenbewegungFrauenbewegung bezogen (Kusterle 2011: 14). Feministische LinguistikFeministische Linguistik beginnt als feministische Sprachkritik und bleibt bis heute deskriptiv-kritisch. Sie wird mittlerweile zumeist anders bezeichnet, etwa als Gender und Sprache oder Genderlinguistik.

2.2 Philosophische, kulturelle und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte

FrauenbewegungFrauenbewegung und Frauenforschung sind eng mit dem Bestreben nach Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie verknüpft und daher immer auch politisch und sozialkritisch motiviert. Sie erhalten wichtige Anstöße aus Politik- und Sozialwissenschaft, aber auch Literaturwissenschaft und Philosophie.

Seit der Antike herrschte das Modell nur eines Geschlechts vor, in dem es verschiedene Ausprägungen des Menschen gab, die sich graduell unterschieden und bei dem die weibliche Variante die weniger gut gelungene war. Zum Ende des 17. Jahrhunderts gab es einige neue medizinische Erkenntnisse über die grundlegenden biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die den bisherigen Blick auf rein Äußerliches erweiterten. Daraufhin etablierte sich im 18. Jahrhundert u.a. durch Rousseau die Vorstellung von der auf natürliche Bedingungen rückführbaren Unterscheidung zwischen Männern und Frauen. Diese waren tugendhaft, sittsam und fleißig und agierten nur zu Hause, zumindest im Bürgertum. Daraus entstanden vor allem die „natürliche“ Unterordnung der Frauen, für den Mann zu existieren, und die Autonomie der Männer. „Rousseau entfaltet in seinen Schriften dasjenige Geschlechtermodell, das bis weit in das 20. Jahrhundert hinein Geltung besitzen wird und die Reichweite männlicher / weiblicher Aktivität definiert“ (Schößler 2012: 19). Die sich hieraus ergebende Arbeitsteilung sieht in dem Anteil der Frauen keine Leistung, denn ihre Arbeit ist unbezahlt und unsichtbar und auch „politisch nicht repräsentiert“ (Schößler 2012: 20). Dieses Modell führte dazu, dass die Hälfte der Bevölkerung die gleiche Tätigkeit (Haushalt und Pflege) zu übernehmen hatte. Diese Vorstellung der Geschlechtertrennung setzt sich im 19. Jahrhundert weiter durch. Unser heutiges binäres Geschlechtermodell, das beiden Geschlechtern klar unterschiedliche körperliche und psychische Eigenschaften zuspricht und damit eine gesellschaftspolitische Hierarchie schafft, ist also noch nicht so alt, es dürfte sich allerdings „um eine (gesellschaftlich-kulturelle) Konstruktion handeln, die auch im Zusammenhang mit den sich professionalisierenden Wissenschaften gesehen werden muss“ (Schößler 2012: 20).

Ende des 19. Jahrhunderts stellten einige Frauen diese „natürliche“ Ordnung infrage. Sie prangerten vor allem die schlechten finanziellen Verhältnisse, fehlende Erwerbsmöglichkeiten und die katastrophale Bildungssituation vieler Frauen an. Die erste Welle der FrauenbewegungFrauenbewegung ab ca. Mitte des 19. Jahrhunderts forderte, Frauen und Männer in Staat und Gesellschaft gleichzustellen, sie als gleichwertig zu betrachten und ihnen die grundlegenden Rechte zuzuerkennen: das Wahlrecht, das Recht auf Bildung und das Recht auf bezahlte Arbeit. Es ging hier also zunächst um entscheidende Bürgerrechte. Dabei hatte die Französische Revolution (1789–1799) einen wesentlichen Anteil. Die Forderung nach Gleichwertigkeit von Frau und Mann, Demokratie und Menschenrechten auch für Frauen brachte einige Vorreiterinnen für Frauenrechte hervor.

Frühe Frauenforschung war sozialwissenschaftlich und empirisch ausgerichtet und zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass die beteiligten Forscherinnen keinen Zugang zu öffentlicher Bildung hatten und sich in der Regel über individuelle Wege und autodidaktisch fortbilden mussten; entsprechend zäh war die Akzeptanz in Akademikerkreisen. Sie wurde höchstens wohlwollend geduldet, aber nicht als ebenbürtig mit den Arbeiten der Männer erachtet, daher nicht diskutiert und weitgehend ignoriert.

In Deutschland initiierte Louise Otto-Peters die FrauenbewegungFrauenbewegung im Zusammenhang mit der 1848er Revolution mit ihren Forderungen, dass Frauen an Staatsinteressen zu beteiligen seien, und gründete 1849 eine eigene politische Frauen-Zeitung (Nave-Herz 1997: 11). Das Recht auf Arbeit und Bildung sollte als kulturelle Bereicherung, aber auch als Grundlage für eine selbstständige Existenz zu verstehen sein, wobei sich hier die bürgerliche von der proletarischen Frauenbewegung unterschied, da die Arbeiterinnen bereits, meist in Fabriken, arbeiteten, jedoch nicht unbedingt freiwillig und für viel zu wenig Lohn. Für sie ging es weniger um Bildung, sondern dringlicher um faire Bezahlung und Mutterschutz. Neben verschiedenen Organisationen und Vereinen1 sind es vor allem die Schriftstellerinnen, die aktiv und kritisch ihre Unzufriedenheit äußern, u.a. Virginia Woolf oder Simone de Beauvoir. Diese führte in Le deuxième sexe (1949) bereits aus, dass Frauen und Männer „gemacht“ werden, denn welche Bedeutung den biologischen Unterschieden tatsächlich beigemessen wird, entscheiden die Menschen.

Seit Anfang des letzten Jahrhunderts kam es ganz langsam zu einigen Verbesserungen bei der Gleichstellung. Zum ersten Mal durften sich Frauen zwischen 1900 (Baden) und 1909 (Mecklenburg) an den Landesuniversitäten immatrikulieren. 1918 erhielten Frauen in Deutschland und Österreich das aktive und passive Wahlrecht, in der Schweiz erst 1971. Im Dritten Reich wurden dann die wesentlichen Zugeständnisse an Frauen wieder zurückgenommen, was Berufswahl und Studienmöglichkeiten betraf. Außerdem wurde das passive Wahlrecht wieder abgeschafft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beteiligten sich deutsche Frauen bewusst am Demokratisierungsprozess. Die mit dem Beginn des Nationalsozialismus aufgelösten verschiedenen Frauengruppierungen formierten sich neu. Für sie waren die Frauenrechte ein wesentlicher Pfeiler einer Demokratie. Im Grundgesetz der BRD wurden so gleich zu Beginn (1949) Frauen und Männer offiziell gleichberechtigt, ohne dass es jedoch sofort zu einer Umsetzung kam. Die väterliche Gewalt etwa wurde erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts durch die elterliche Sorge bzw. Erziehung ersetzt (1965 DDR, 1957/80 BRD, 1970 Österreich, 1978 in der Schweiz, vgl. Guentherodt 1983/84: 277). Vorher hatte der Vater das alleinige Recht, über die Kinder zu verfügen. In Deutschland dürfen verheiratete Frauen erst seit 1962 ein Bankkonto eröffnen, ohne ihren Mann zu fragen. Seit 1969 gelten sie als geschäftsfähig, und erst seit 1977 dürfen sie ohne Erlaubnis des Mannes erwerbstätig werden – das heißt, vorher war Haushalt Verpflichtung gewesen, wenn nicht Bedienstete die wesentlichen Aufgaben übernahmen, und einen Anspruch auf eigenes Geld gab es nicht.2 Die Frauen bewegten sich gezwungenermaßen zu Hause. Der Aufgabenbereich war eindimensional, eine Ausbildung individueller (intellektueller) Fähigkeiten oder gar des Selbstbewusstseins schwierig. Sie hatten somit wenig Chancen, eine eigene Identität zu entfalten. Da dies auch an kommunikative bzw. sprachliche Möglichkeiten gebunden ist, galt es, hier mögliche Ungleichgewichte aufzuspüren, was sich zu einer der Hauptrichtungen der feministischen Sprachkritik weiterentwickelte. Die Unzufriedenheit mit der sozialen und politischen Situation erwies sich als auslösendes Moment für FrauenbewegungenFrauenbewegung, den FeminismusFeminismus und letztendlich die gesamten Gender-Debatten.

Ende der 60er Jahre kam es zur Neuen FrauenbewegungFrauenbewegung (2. Welle) im Zusammenhang mit der Außerparlamentarischen Opposition (ab 1967), der Studentenbewegung (1967/68) und in den USA auch mit Rassenunruhen und den Protesten gegen den Vietnamkrieg. Zu den Themen gehörten Diskriminierung, Missbrauch und Vergewaltigung, faire Bezahlung und Schwangerschaftsabbruch. Nachdem es Anfang des letzten Jahrhunderts bereits erste empirische Studien zur Lage der Frau gegeben hatte, entstanden in den 1960er Jahren in Deutschland und den USA die Women’s Studies. Gleichzeitig erschienen erste kritische Schriften zur Behandlung von Frauen in der und durch die Sprache. Aus den Feminist Studies entwickelten sich die Gender Studies, aus den Gay / Lesbian Studies die Queer Theory (Frey Steffen 2017: 85).

 

Viele der ursprünglichen Forderungen waren umgesetzt. Die Wahrnehmung richtete sich langsam auf individuelles Wohlempfinden, so traten Frauenthemen etwas in den Hintergrund. Die Jüngeren nahmen vieles als selbstverständlich wahr und erkannten dann oft erst bei Eintritt in das Berufsleben die immer noch unfaire Chancenverteilung. Zudem erlitten in Deutschland mit der Vereinigung der zwei deutschen Staaten die FrauenbewegungenFrauenbewegung einen Rückschlag, da ihre Interessen bei der Neuorganisation untergingen (Gerhard 2009: 120ff.). In den 90ern formierte sich trotzdem weltweit die dritte Welle ausgehend von den USA, auch aufgrund antifeministischer Bewegungen. Es gab internationale Frauenkonferenzen und Initiativen, die die Anerkennung der Rechte der Frauen als Menschenrechte und Schutz vor Diskriminierung überall auf der Welt forderten. Zu den Themen gehörte zunehmend auch HomosexualitätHomosexualität. Als Auslöser gilt unter anderem Gender Trouble der Philosophin Judith Butler von 1990 mit der These, dass auch das biologische Geschlecht gesellschaftlich beeinflusst zu sehen ist. Das Werk stieß die Queer Theory mit an. Damit wurde die grundsätzliche Zweiteilung der Geschlechter hinterfragt. Der Schwerpunkt lag nicht mehr auf dem Sichtbarmachen der Frauen, sondern mehr auf der DekonstruktionDekonstruktion von Geschlecht. Eine gesellschaftliche und politische Gleichbehandlung sollte auch durch die sprachliche ergänzt werden.

Die geschichtlichen Tatsachen können teils nicht verständliche, gut etablierte Gewohnheiten erklären. Freiheit und Gleichheit sind für Frauen neu und ungewohnt. Sie blicken auf jahrtausendealte Rechtlosigkeit zurück3. Sie hatten Objektstatus, waren Eigentum von VäternVater oder Ehemännern, hatten keine Rechte, kein Geld, keine eigene Meinung, durften nicht nein sagen – Vergewaltigung in der Ehe war bis 1997 erlaubt und ein Recht des Ehemannes. Sie gilt in Deutschland erst seit 2004 als Offizialdelikt.

Frauen hatten auch keine eigenen Bedürfnisse zu haben und mussten zu Hause bleiben. Der öffentliche Raum gehörte den Männern. Da Frauen bis auf wenige adlige Ausnahmen nie Eigentum hatten, ist es verständlich, dass Männer um Macht kämpften, Frauen jedoch um Männer mit Macht und dass es deswegen auch den Frauen so schwerfiel – und zuweilen immer noch -fällt –, zusammenzuhalten. In diesen wenigen Jahren seit der offiziellen Gleichberechtigung können sie kaum das gleiche Selbstbewusstsein und SelbstwertgefühlSelbstbewusstsein, Selbstwertgefühl entwickeln, wie wir es von den meisten Männern kennen. Dies dürfte die ablehnende Haltung vieler Frauen gegenüber feministischen Gleichstellungsversuchen mit erklären.

Viele Frauen haben eine über Generationen tradierte Tendenz zur Angst vor Macht und vor der Verantwortung, während Männer Angst vor dem Verlust der Macht haben.