In der inneren Welt

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Jetzt musste ihr Wolfgang allerdings recht geben. „Und womit fliegen diese Dinger?“

„Was heißt womit? Ich verstehe deine Frage nicht?“

„Mit Benzin, Diesel oder Kerosin?“

„Ich weiß nicht, was diese Begriffe bedeuten, aber ich habe deine Frage jetzt verstanden. Du denkst sehr bildhaft. Das hilft mir. Unsere Transporter fliegen mit freier Energie. Ich müsste jetzt sagen, sie haben einen elektrischen Antrieb, obwohl das nicht ganz richtig ist. Aber mit Implosivantrieb wirst du nicht viel anfangen können.“

„Womit?“, fragte er erstaunt und starrte sie an.

„Einem Implosivantrieb!“

„Davon habe ich noch nie etwas gehört. Was ist das?“

„Ich weiß auch nur, dass das fünfdimensionale Technik ist. Ich bin kein Techniker.“

„Fünfdim… Wo bin ich?“, rief Wolfgang fassungslos, obwohl er ja die Antwort kannte.

„In Posid!“, kam prompt die Antwort von der lachenden Diane.

„Ich geb’s auf. Diese Welt werde ich wohl nie ganz verstehen. Und ich glaube, es hat nicht viel Sinn darüber nachzudenken. Von mir aus können wir in das Ding einsteigen. Ich mache ab jetzt alles mit!“

Sie stiegen ein und der Transporter hob ab.

„Woher weiß dieses Ding überhaupt, wo wir hin wollen?“, fragte nun Wolfgang doch etwas verwundert.

„Bei uns wird vieles mit Gedanken gesteuert. Und so rufen wir nur in telepathisch einen Transporter, wenn wir einen benötigen und genau so sagen wir ihm auch, wohin wir wollen. Alles andere macht das Gehirn des Transportes selbstständig.“

„Was denn, dieses UFO hat ein Gehirn?“ Er konnte es einfach nicht annehmen, was er gerade gehört hatte.

„Na ja, nicht so eins wie wir. Es ist zum Teil organisch und zum Teil technisch, doch es funktioniert ohne Störungen. Gibt es irgendwelche Dinge zu reparieren, dann fliegt der Transporter selbstständig dorthin, wo er repariert werden kann.“

Da schüttelte Wolfgang nur noch mit dem Kopf. Er dachte an die Computer in seiner Welt, die ständig korrigiert und angepasst werden mussten. Ohne Hilfe vom Service war man da aufgeschmissen.

Nach einigen Minuten landeten sie und Diane erklärte, dass hier ihr Clan lebe. Doch Wolfgang sah ringsherum keine Häuser oder ähnliches. Da stand nur ein riesiger Trichter in der Natur, der nach oben immer breiter wurde. Als ob da eine riesige Fanfare mit der Öffnung nach oben in der Erde steckte. Er schätzte diesen Trichter zwanzig oder dreißig Meter hoch. „In dem Ding lebt ihr?“ Dabei sah er auf das fremdartige Bauwerk, was da auf der Wiese stand.

„Du wunderst dich über unser Wohngebäude? Das ist ein Kristallhaus. Es besteht aus Bergkristall.“

„Bergkristall!“ Wolfgang schüttelte fassungslos mit dem Kopf. Er sah weder Fugen noch etwas anderes, was auf eine Ziegel- oder Plattenbauweise hinwies. Der Trichter sah wie aus einem Stück aus. „Wo um alles in der Welt habt ihr so einen riesigen Bergkristall herbekommen?“

„So große Bergkristalle gibt es nur ganz selten und es ist nicht erlaubt sie zu entfernen, denn das sind Erdenhüterkristalle. Dieses Bergkristall-Gebäude haben unsere Vorfahren materialisiert. Es ist schon mehrere tausend Jahre alt.“

„Materialisiert? Was soll ich denn darunter verstehen? Und warum ist dieser Bau in Trichterform?“

Nun lächelte Diane wieder. „So ein Wohngebäude stört die Natur nur wenig, da die Grundfläche relativ klein ist. Was ist daran … oh, ich muss mich erst noch daran gewöhnen, dass ihr auf der äußeren Erde vieles nicht könnt, weil bei euch doch nur die restlichen zwei DNS arbeiten. Materialisieren heißt, mit Kraft der Gedanken Energie zu einer beliebigen Materie zu komprimieren beziehungsweise zu verdichten. Mit zwölf DNS ist das etwas Normales. Wir stellen alles so her, was wir benötigen.“

„Alles?“ Wolfgang verlor fast den Boden unter den Füßen. „Das würde ja bedeuten, dass es bei euch überhaupt keine Industrie gibt.“ Dann aber lächelte er ebenfalls und stellte eine Fangfrage. „Stellt ihr das Obst auch so her?“

Diane schüttelte lachend den Kopf. „Nein, das natürlich nicht. Es wächst doch allein. Man braucht es nur zu ernten.“

Wolfgang gefiel diese Welt immer mehr. Sie war unkompliziert und an vielen Stellen sehr bequem. Er musste nur seine mitgebrachten Gewohnheiten ablegen.

Als Diane Wolfgang ihrem Clan vorstellte, begrüßten ihn alle freundlich, als würden sie sich schon länger kennen. Das verwirrte Wolfgang nun wieder. Er war doch hier völlig fremd und auch sein Aussehen wies ihn eindeutig als Nichtatlanter aus. Seine Anzugsordnung unterschied sich sehr von der einheitlichen weißen Kleidung der Atlanter, von den einzelnen farbigen Streifen im Gewand mal abgesehen. Dazu kam, dass Dianes Verwandte alle mindestens 2,00 bis 2,30 Meter groß waren. Auch hier gehörte Diane zu den Kleinen. Wolfgang hingegen war mit seinen 1,71 Meter aber noch wesentlich kleiner. Ein gewisses Unbehagen stieg in ihm hoch. Unwillkürlich dachte er an ein Buch, welches er als Kind einmal gelesen hatte. Es hieß Gullivers Reisen. Dort berichtete der Seefahrer Gulliver, dass er einmal in einem Land der Riesen war. Ob diese Geschichte vielleicht doch nicht nur erfunden war und dieser Jonathan Swift, der diese Erzählung geschrieben hatte, von der inneren Erde und ihren Bewohnern wusste? Inzwischen hielt Wolfgang alles für möglich.

Doch Diane, die nun fast ständig seine Gedanken mitlas, beruhigte ihn. „Das muss dich nicht beunruhigen. Wir hatten hier in der inneren Erde hin und wieder Besucher aus eurer Welt. Auch sie waren schockiert, dass hier die Menschen viel größer sind. Aber nach einer Weile gewöhnten sie sich daran. Es gibt doch auch bei euch Tiere, die viel größer sind als ihr und ihr habt damit kein Problem.“

„Ja schon, aber Tiere sind keine Menschen. Da denkt man eben anders.“

Diane bat die Mitglieder ihres Clans, dass sie Deutsch sprechen mögen, damit Wolfgang sie verstehen könne. Nun stellte Diane ihm ihren Clan vor. Als sie vor Arebe standen, erklärte Diane: „Sie hat mich geboren.“

„Das ist deine Mutter?“, fragte Wolfgang überrascht.

Diane konzentrierte sich auf seine Gedanken und sagte dann: „Ja. Bei euch würde man Mutter sagen.“

„Bei euch nicht?“ Verwundert sah Wolfgang sie an.

Diane schüttelte den Kopf. „Bei uns ist das nicht so wichtig wie bei euch. Ich habe fünfzehn Mütter. Davon hat mich eine geboren.“

Mit großen Augen sah Wolfgang sie jetzt total überrascht an. „Aber das … Ich meine, eine Mutter ist doch eine Mutter. Zu ihr hat man doch eine ganz andere Beziehung als zu anderen.“

Diane nickte. „Das stimmt schon, weil man auch mit ihr energetisch verbunden ist. Aber ich werde von allen im Clan gleich geliebt. Deshalb ist es wieder nicht so wichtig, welche Frau mich geboren hat.“

„Ich weiß nicht, ob ich so leben könnte. Und wie ist das mit deinem Vater?“

Diane las jetzt erst einmal in Wolfgangs Gedanken. Dann lächelte sie und meinte: „Alle siebzehn Männer im Clan sind meine Väter.“

„Ja, aber du musst doch trotzdem einen Vater haben! Ich meine einen biologischen Vater.“

„Ja, sicher habe ich den, aber das ist nicht wichtig. Meine Väter lieben mich alle gleichermaßen.“

„Heißt das, du weißt nicht, wer dein biologischer Vater ist?“

„Wozu? Weshalb ist das für dich so wichtig?“

Wolfgang schüttelte den Kopf. Er wollte Diane schon fragen, ob wenigsten ihre Mutter das weiß, aber er fand diese Frage ungehörig und vergaß dabei völlig, dass Diane seine Gedanken oft mitlas.

Und schon lächelte sie wieder und sagte ihm: „Auch für Arebe ist das nicht wichtig.“ Dann bekam er noch mit dem Finger einen freundschaftlichen Stipps auf die Nase. Dabei lachte Diane und Wolfgang nun auch. Doch plötzlich wurde er wieder ernst, als er über das gehörte nachdachte.

„Was? … Oh Gott … Aber das …!“ Er schwieg. Das musste ja dann ein völliges Durcheinander sein, dachte Wolfgang. Er sah erschüttert in die Runde der Männer und Frauen.

Wieder wies ihn Diane darauf hin, dass er nicht mit außenweltlichem Maßstab messen könne. „Wir leben so sehr glücklich. Für mich war es als Kind wunderschön, dass immer jemand für mich da war. Egal wer es war. Immer hatten sich ein paar bereit erklärt mit mir zu spielen. Wird ein Kind geboren, dann hat es eine Mutter und etwa dreißig liebevolle Tanten und verständnisvolle Onkel. Das Wort Vater ist bei uns nicht wichtig.“

Wolfgang schüttelte den Kopf. Er dachte an seine Welt und stellte fest: Undenkbar! Dann sah er sich um. Er verspürte Hunger. „Gibt es in diesem Trichter auch einen Speiseraum?“

„Du möchtest etwas essen?“, fragte Diane.

„Ja! Du nicht?“

Sie überlegte kurz und meinte dann: „Warum eigentlich nicht? Komm mit. Ich zeige dir, wo du immer etwas zu essen findest.“ Sie nahm ihn an die Hand und zeigte ihm eine Obstplantage, die etwas abseits vom Wohntrichter lag. „Hier kannst du essen, so viel du willst.“

„Aber das gehört doch jemandem!“

Erst stutzte Diane und sah Wolfgang unverständlich an. Doch als sie seine Gedanken empfangen hatte, lachte sie und meinte kopfschüttelnd: „Ja! Es gehört uns allen.“

„Das gehört eurem Clan?“

„Nein, uns allen.“

„Wie jetzt? Das verstehe ich nicht. Wem denn noch?“

„Na, einfach allen! Jeder kann hier essen, wenn er das Bedürfnis hat. Ob er zu unserem Clan gehört oder von weither kommt. Bei uns gibt es das nicht, was ihr Eigentum nennt.“

„Eine merkwürdige Welt!“ Wolfgang konnte nicht begreifen, wie das funktionieren sollte, wenn alles allen gehört. „Wenn man an etwas Freude hat und ein anderer nimmt es einfach, das muss doch zwangsläufig zu Frust führen.“

Diane schüttelt mit dem Kopf. „Nein. Niemand nimmt einem anderen etwas weg. Jeder materialisiert das, was er gerade braucht. Das ist doch gar nicht so schwer zu verstehen.“ Nun lächelte sie ihn wieder an.

 

„Ja, das Materialisieren! Das hatte ich jetzt übersehen. Könnt ihr auch Obst materialisieren?“

„Ja, das ist möglich. Doch diesen Früchten würde auf jeden Fall die Sonnenschwingung fehlen und sie würden somit nur wenig Geschmack haben. Deshalb tun wir das selten. Es ist doch viel schöner zwischen den Bäumen zu wandeln und die Früchte zu essen, die uns die Bäume zur Verfügung stellen.“

„Jetzt übertreibst du aber. Die Bäume lassen die Früchte doch nicht für euch wachsen!“

„Doch! Für uns und für die Tiere. Dafür kümmern wir uns um sie. Arebe, du würdest sagen meine Mutter, hat sich bereiterklärt, die Bäume und Sträucher zu pflegen. Dort drüben wachsen auch Beeren, wenn du lieber diese essen möchtest.“ Dabei zeigte sie nach rechts.

„Gibt es bei euch auch Gemüse?“

„Da musst du in Mikahs Reich hinter den Beeren. So nennt er seine Gemüsefläche. Ihr würdet sicher Beete dazu sagen.“

„Und dort kann auch jeder essen, was er möchte?“

„Ja selbstverständlich. Meistens bedienen sich dort aber nur die Tiere. Wir essen lieber Obst.“

Nun griff Wolfgang erst einmal richtig zu und aß sich auf der Obstplantage satt. Als sie wieder gehen wollten, fragte Diane etwas traurig: „Hast du nichts vergessen?“

Verständnislos sah Wolfgang sie an.

„Du hast von den Bäumen bekommen, was dein Herz begehrte, aber du hast dich noch nicht dafür bedankt.“

Da sah er Diane etwas skeptisch an. War das jetzt ernst gemeint, dachte er. Doch als er sie nicken sah, wusste er, dass sie seine gedachte Frage schon kannte und das Nicken die Antwort dazu war. „Und wie macht man das?“

„Ganz einfach. Sprich mit ihnen und bedanke dich.“

„Ich kann doch nicht einfach mit einem Baum reden. Die sollen mich wohl wegfangen.“

Verständnislos blickte Diane ihn an. „Wird man bei euch eingesperrt, wenn man mit einem Baum spricht? Ist das bei euch verboten?“

„Nein, natürlich nicht. Aber es könnte sein, dass man glaubt, ich sei verrückt geworden und man liefert mich in die Psychiatrie ein.“

Nun lachte Diane und schüttelte den Kopf. „Das passiert dir hier ganz bestimmt nicht. Wir sprechen mit allen Lebewesen und Krankenhäuser gibt es bei uns nicht. Also besteht für dich keine Gefahr.“ Dann wurde sie aber wieder ernster und sagte: „Es gebietet der Anstand sich zu bedanken, wenn man etwas bekommen hat. Ist das bei euch nicht so?“

„Wenn man von einem Menschen etwas bekommen hat, ja. Aber von Bäumen …“ Wolfgang schüttelte mit dem Kopf.

„Aber das sind doch auch Lebewesen, die dir mit ihren Gaben eine Freude machen.“

„So habe ich das noch nie gesehen. Das ist für mich alles noch sehr ungewohnt. Kannst du das verstehen?“

Diane nickte verständnisvoll und sah ihn dabei liebevoll an. Das verstand sie wirklich. Je länger sie Kontakt mit ihm hatte, um so mehr erkannte sie, wie anders doch seine Welt im Äußeren war.

Wolfgang drehte sich den Bäumen zu und sagte verlegen: „Danke!“ Dann wendete er sich wieder ihr zu und fragte: „War das so richtig?“

„Ja, wenn es vom Herzen kam. Aber wenn du es nur ausspricht, um deine Pflicht zu erfüllen, dann wären die Bäume und auch ich traurig, denn dann hättest du es nicht verstanden.“

„Es kam von Herzen!“, beteuerte Wolfgang.

„Ich weiß. Ich habe es gefühlt.“ Sie streichelte ihn.

Für einen Moment vergaß er, was er eigentlich noch wollte und genoss dieses Streicheln. Doch als sie damit aufhörte, fragte Wolfgang: „Und wie geht es jetzt weiter?“

„Wir können zu meinem Clan zurückgehen und mit ihnen meditieren. Es wird langsam Zeit, denn wir haben schon Mittag.“

Auf der Wiese vorm Wohntrichter fanden sie die Mitglieder des Clans, die nicht beschäftigungsmäßig unterwegs waren. Sie saßen dort im Gras und bereiteten sich offensichtlich auf die mittägliche Meditation vor. Diane und Wolfgang setzten sich dazu und sie meinte zu ihm: „Du musst wenigstens wieder deinen Oberkörper frei machen.“

Wolfgang zog sein Hemd aus und bemerkte, wie Arebe zustimmend nickte, als sie das sah. Dann fragte er leise: „Diane, wie muss ich jetzt richtig meditieren?“

„Das ist ganz einfach. Wenn du bequem sitzt, stellst du dir vor, wie ein dicker Sonnenstrahl durch dein Kronenchakra in den Körper dringt, entlang der Kundalini nach unten fließt und aus deinem Wurzelchakra den Körper wieder in die Erde verlässt.“

Fragend sah Wolfgang sie an. „Was ist mein Kronenchakra, was eine Kundalini und was ist mein Wurzelchakra?“

„Oh, verzeih bitte! Ich hatte vorausgesetzt, dass du das weißt. Ihr wisst bei euch darüber nichts?“

Wolfgang schüttelte mit dem Kopf.

„Chakren sind trichterförmige Energiewirbel in unserer Aura. Durch sie können wir Energie aufnehmen und abgeben“, erklärte sie leise, weil die ersten vom Clan schon meditierten.

„Und wo sind sie?“, fragte er prompt, aber genau so leise.

„Es gibt sieben Hauptchakren und dazu noch mehrere untergeordnete Chakren. Es reicht aber, wenn du die Hauptchakren kennst.“

Jetzt rückte sie nah an ihn heran und berührte die Mitte seiner Schädeldecke. Dann sagte sie zu ihm: „Hier sitzt dein Kronenchakra. Damit kannst du das Sonnenlicht in deinen Körper holen.“ Dann berührte sie die Stirn in der Mitte etwas über den Augenbrauen. „Hier sitzt dein Stirnchakra.“ Danach berührte sie leicht den Kehlkopf und meinte: „Hier befindet sich dein Halschakra.“ Nun legte sie ihre Hand auf die Mitte seiner Brust in Herzhöhe und sagte: „Hier ist dein Herzchakra.“ Anschließend tippte sie mit Zeige- und Mittelfinger kurz über seinen Bauchnabel. „Hier ist dein Solarplexuschakra.“ Dann aber lächelte Diane kurz und fuhr fort. „Auf Höhe deiner Blase sitzt das Sakralchakra und am Ende deines Rumpfes, genau zwischen den Beinen, dort wo sie beginnen, sitzt das Wurzelchakra. Dieses hat eine direkte Verbindung zum Kronenchakra. Diese Verbindung ist in Form einer Spirale und wird auch Kundalini genannt. Sie ist die verwirbelte Säule, die wir alle im Körper haben.“

„Und das gibt es alles wirklich?“, fragte Wolfgang ungläubig. Diane nickte. „Aber das mit der Wirbelsäule kann nicht ganz stimmen. Das ist doch die Knochensäule, die den Körper aufrecht hält.“

„Nein. Das wird bei euch nur falsch gelehrt. Der Name Wirbelsäule sagt doch schon, dass es sich um Wirbel und eine Säule handelt. Wo aber wirbelt etwas bei dem Knochengerüst? Siehst du nun, dass man bei euch den Begriff falsch benutzt? Es ist sehr schade. Ihr auf der äußeren Erde wisst so wenig über energetische Dinge. Dabei sind gerade diese Dinge so wichtig. Kein Wunder, dass ihr so oft krank seid und nicht wisst, wie ihr das verhindern könnt. Viele Krankheiten haben einen energetischen Ursprung.“ Jetzt schüttelte sie mit dem Kopf. „Es ist wirklich traurig, dass man das bei euch nicht lehrt.“

Um auf die Meditation zurückzukommen fragte Wolfgang sie nun: „Und ich muss mir jetzt vorstellen, wie dieser Lichtstrahl durch meinen Kopf kommt und weiter nach unten durch meinen Körper strahlt, unten wieder austritt und in der Erde verschwindet. Ist das alles?“

Diane nickte. „Ja!“

„Ich denke, das kriege ich hin.“

Er schloss die Augen und begann sich diesen Lichtstrahl vorzustellen. Am Anfang brauchte er dazu viel Konzentration. Doch nach und nach floss das Licht ganz allein durch ihn durch. Am Anfang war es nur hell, doch später konnte er verschiedene Farben erkennen. Mal war das Licht blau und grün, mal gelb und rosa und am Ende hatte es eine helle violette Färbung. Irgendwann war der Lichtfluss zu Ende und er öffnete die Augen. Da sah er, dass alle anderen Anwesenden noch meditierten. Weil er aber nicht unangenehm auffallen wollte, begann er das Ganze noch einmal von vorn. Diesmal kamen die verschiedenen Farben schon wesentlich schneller. Manchmal war das Licht auch weiß. Wolfgang empfand dabei eine innere Zufriedenheit. Es war schön, das Farbenspiel zu erleben. Als das Licht zum zweiten Mal aufhörte zu strahlen, öffnete er erneut vorsichtig die Augen. Diesmal sah er, dass auch schon andere ihre Meditation beendet hatten. So legte er sich jetzt geräuschlos ins Gras und streckte die Beine, die schon wieder eingeschlafen waren.

Kurze Zeit darauf streichelte eine Hand seinen Oberkörper. Er schlug die Augen auf und sah in Dianes lächelndes Gesicht. „Wie war deine Meditation heute?“, fragte sie leise, um die anderen nicht zu stören.

„Viel schöner.“ Und er erzählte ebenso leise, was er gesehen hatte. Da umarmte sie ihn und er bekam einen Kuss auf die Wange.

„Du hast diesmal richtig meditiert. Am Anfang habe ich dir ein wenig geholfen, doch dann konnte ich mich aus deinem Bewusstsein zurückziehen und mich auf meine Meditation konzentrieren. Ich hatte das Gefühl, dass du meine Hilfe nicht mehr brauchst.“

Nun richtete er sich auf, umarmte sie und hauchte in ihr Ohr: „Danke!“

Inzwischen hatten auch die anderen ihre Meditation beendet und verließen die Wiese. Wolfgang sah Diane fragend an und dachte daran, was sie jetzt unternehmen könnten.

Und schon fragte sie ihn: „Wenn du Interesse hast, zeige ich dir unseren Wald, der ebenso schön ist, wie der an der Herbergsschule.“

Erwartungsvoll sah er Diane an, doch sie schüttelte lachend ihren Kopf. „Ich wollte dir nur unseren Wald zeigen.“

Verlegen sah Wolfgang zu Boden. Er hatte schon wieder vergessen, dass sie seine Gedanken las. Aber Diane nahm ihm diese ihr eher fremden Gedanken nicht übel. Er kam aus einer völlig anderen Welt und dort waren sicher viele Dinge normal, die sie hier in der inneren Erde nicht kannten.

Nun zeigte sie ihm ihren Wald, in dem sie als Kind oft gespielt hatte. Wasserfälle gab es hier nicht, aber kleine Bäche durchzogen auch hier den Wald. Ab und zu trafen sie auf Tiere, die neugierig auf die beiden zugingen und manche ließen sich auch streicheln. Wolfgang dachte immerzu, was für eine wunderbare Welt. Er kam sich vor wie im Märchen und neben ihm lief die gute Fee.

Da fing Diane plötzlich an zu lachen. „Nein, eine Fee bin ich bestimmt nicht.“ Trotzdem umarmte sie ihn und war glücklich, dass sie sich dafür bereit erklärt hatte, ihn während seines Aufenthaltes hier in Posid zu begleiten. Von ihm konnte sie so viel über das Leben in der Außenwelt lernen.

Nun lächelte auch Wolfgang. „Ich weiß, Feen sind Märchenfiguren, aber ich komme mir ja hier auch wie im Märchen vor.“

„Du bist immer sehr vorschnell mit deiner Meinung. Ist das bei euch normal?“ Wolfgang zuckte mit den Schultern und Diane sprach weiter: „Natürlich gibt es Feen. In euren Märchen sind Wahrheiten und Wunschvorstellungen eng miteinander verknüpft. Ich würde an deiner Stelle nicht alles der Fantasie zuschreiben.“

Er zog die Augenbrauen zusammen und fragte skeptisch: „Du meinst, die vielen Märchenfiguren gibt es wirklich?“ Er dachte dabei an Feen, Elfen, Zwerge, Nixen, Drachen, Riesen, Geister und all die anderen, die er als Kind durch die Märchen kennen gelernt hatte.

Diane nickte. „Alle diese Wesen haben einen realen Ursprung, aber nicht alle den gleichen. Sirai aus unserem Clan hat mir als Kind viele eurer Märchen vorgelesen. Sie hatte sie von den Deutschen in Neuschwabenland, die sie mit hier in die innere Erde gebracht hatten. Es waren größtenteils schöne Märchen von Prinzessinnen und mutigen Rittern. Damals wollte ich immer eine Prinzessin in eurer Welt sein.“

Wolfgang nickte lächelnd. „Genau das wollen auch bei uns die kleinen Mädchen.“

Diane erzählte weiter: „Aber es gab auch traurige Märchen. Die habe ich nicht so gern gehört. Ich denke da an die kleine Seejungfrau und besonders an das kleine Mädchen, was sich mit kleinen brennenden Hölzern aufwärmen wollte, aber dann doch gestorben ist.“

„Erfroren! Du meinst das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern. Das fand ich auch sehr traurig. Als kleiner Junge wollte ich ihr immer helfen, damit sie nicht erfrieren musste, und verstand anfangs nicht, warum das nicht ging.“

„Was ist eigentlich erfrieren? Man hat mir damals gesagt, dass es bei euch nicht immer so warm ist wie bei uns.“

Wolfgang stutzte. „Wird es bei euch nie kälter?“

Diane schüttelte den Kopf. „Nein, bei uns ist es immer so warm wie jetzt.“

„Was denn, es gibt keine …?“ Er sah nach oben und schaute in die Sonne, die direkt über ihm stand. Dann nickte er und meinte: „Ja klar, wenn die Sonne immer im Zenit steht, gibt es keine Jahreszeiten. Bei uns ist das nicht so. Im Winter ist es bei uns so kalt, dass das Wasser zu Eis gefriert. Wer da nicht warm genug angezogen ist, kann erfrieren.“

 

„Das ist aber keine schöne Welt bei euch.“

„Mir gefällt sie. Wenn man sich warm anzieht, stört einen die Kälte nicht. Dafür haben wir aber Schnee im Winter. Ich glaube, dass es das bei euch hier vielleicht nie gibt.“

Diane schüttelte mit dem Kopf. „So etwas gibt es hier nicht. Aber ich habe davon gehört.“

„Dann können die Kinder hier auch nie Schlittenfahren? Ich glaube, da würde mir etwas fehlen.“

„Nun gefällt dir wohl unsere Welt gar nicht mehr?“, fragte Diane enttäuscht.

„Oh doch!“, verbesserte er sich schnell. „Sie ist wunderschön. Viel schöner als bei uns, aber es gibt eben auch Dinge, die bei uns schön sind.“

Inzwischen kamen sie auf einer kleinen Waldwiese an. Diane meinte: „Lass uns hier noch einmal meditieren. Du musst noch Sonne tanken.“

„Wie? Noch einmal?“, fragte er verwundert.

„Ja, aber es ist besser, wenn du alle deine Sachen dabei ablegst, damit die Sonne deine Haut erreichen kann. Vorhin auf der Wiese bei unserem Clan hattest du sicher Probleme mit dem Ausziehen, doch hier ist außer uns niemand.“ Wolfgang nickte und sah, wie sie auch ablegte. Eh er fragen konnte, antwortete sie schon lachend: „Nein. Ich müsste das nicht, aber ich habe in deinen Gedanken gelesen, dass du ein Problem hättest, wenn ich meine Togadile anbehalten würde und du nur allein alles ablegen müsstest. Ich möchte aber, dass du dich hier bei uns wohlfühlst. Also habe ich dir zuliebe auch abgelegt. Das ist dir doch so recht?“

Als sie seine großen Augen sah und dazu seine Gedanken las, musste sie wieder lächelnd den Kopf schütteln. „Warum drehen sich deine Gedanken ständig um Sexualität? Eure Welt ist schon merkwürdig.“

Er hob seine Schultern und antwortete vorsichtig: „Ist das schlimm?“ „Nein.“ Sie lachte. „Nur völlig ungewohnt. Lass uns jetzt meditieren.“

Sie setzten sich und er musste daran denken, wie anders man hier mit der Nacktheit umging. Ob ich mich daran gewöhnen kann, fragte er sich.

„Lass diese Gedanken einfach los“, ermahnte sie ihn. „Du musst versuchen, alle Gedanken loszuwerden. Dann erst hat diese Meditation die volle Wirkung.“

Er versuchte es, aber es gelang ihm nur zum Teil. Nach seiner Schätzung tankten sie so etwa zwei Stunden lang Sonnenenergie. Als er die Augen wieder aufschlug, saß eine Kaninchenfamilie mit ihren Jungen fünf Meter vor ihm in der Sonne. Vielleicht tankten sie auch Sonne, dachte er.

„Ja, das tun sie“, hörte er Diane leise sagen. „Störe sie bitte nicht. Wenn du sie streicheln willst, musst du warten, bis sie zu dir kommen. Erst dann weißt du, dass sie das Streicheln auch wollen.“

Wolfgang nickte. Er bewunderte die Atlanter, wie respektvoll sie doch mit allen Tieren umgingen. Wenn er da an seine Welt dachte. Oh Gott, wie viel müssten die Menschen da noch lernen. Diane nickte und freute sich zugleich, dass er begriffen hatte, dass das Verhältnis der Menschen zu den Tieren falsch ist. Sie setzte sich hinter ihn und umarmte ihn jetzt über dem Bauch. Er hatte in der kurzen Zeit schon so viel gelernt, dachte sie. Dadurch wurde ihr Wolfgang immer sympathischer.

Da setzte sich plötzlich ein Schmetterling auf Wolfgangs Hand. Er war viel bunter, als es Wolfgang aus seiner Welt kannte. Weil es aber krabbelte, wollte er ihn wegjagen. Da hielt Diane ihn zurück. „Warum willst du ihn verscheuchen? Sei doch froh, dass er zu dir kommt. Oder ist es bei euch normal, dass sich die Schmetterlinge auf eure Körper setzen?“

„Fliegen und Mücken ja, aber Schmetterlinge nicht.“

Diane lauschte intensiv seinen Gedanken, eh sie antwortete. „Diese Fliegen und Mücken gibt es bei uns nicht. Ich musste erst einmal deinen Gedanken dazu lauschen, um zu wissen, was du meinst. Auch die anderen Plagegeister, wie du sie nennst, gibt es bei uns nicht. Schmetterlinge hingegen gibt es schon. Auch bei uns ist es nicht normal, dass sie sich auf unsere Körper setzen. Man kann sie auf einen Finger klettern lassen, wenn man ihn hinhält. Aber dass sie einen direkt anfliegen, habe ich nur selten gesehen.“

Wolfgang hob wieder seine Schultern. Er wusste auch nicht, weshalb der Schmetterling bei ihm auf der Hand gelandet war. Sie betrachteten nun beide, wie sich das kleine Insekt auf seiner Hand in der Sonne wohlfühlte. Nach einer Weile flog er wieder weg und jetzt bedauerten sie es beide, dass er fort war. Nun sahen sie ihm zu, wie er über die Wiese flatterte. Doch es dauerte gar nicht lange, da saß er auf der anderen Hand von Wolfgang. Jetzt schüttelte Diane den Kopf. „Das ist kein Zufall!“ Nun schloss sie die Augen und verharrte eine Weile. Kurz darauf lächelte sie und sagte begeistert: „Der Schmetterling ist dein Krafttier. Wusstest du das?“

Wolfgang schüttelte vorsichtig den Kopf. „Was ist ein Krafttier?“

„Das ist ein Geistwesen mit der speziellen Schwingung des jeweiligen Tieres. Es ist dein Seelengefährte und spiritueller Wegbegleiter. Dass es bei dir der Schmetterling ist, hätte ich nicht gedacht. Viel mehr hätte ich den Tiger vermutet.“

Ehrfürchtig betrachte Wolfgang das Insekt. In Gedanken streichelte er das kleine Tier. Wenn es sein Wegbegleiter war, dann sollte dieser Schmetterling auch wissen, dass er ihm willkommen war.

Als das bunte Insekt wegflog, standen sie auf, zogen sich an und wanderten langsam zurück zu Dianes Clan. So trafen sie dann am späten Nachmittag wieder im Bereich des Clangebäudes ein. Wolfgang aß noch ein wenig im Obstgarten und anschließend setzten sie sich zu den anderen auf die Wiese vorm Wohntrichter. Die Clanmitglieder waren stolz auf Diane, dass sie durch ihr jüngstes Clanmitglied jetzt direkten Kontakt mit einem Bewohner der äußeren Erde hatten. Vor allem, dass sie sich frei mit ihm unterhalten konnten.

Ephros fragte ihn vorsichtig: „Gefällt es dir bei uns in Posid?“

Wolfgang nickte heftig. „Ja, sehr! Es ist alles wunderschön. Nur Schnee habt ihr keinen.“

„Du meinst dieses pulverförmige gefrorene Wasser?“

„Ja. Als Kind hätte ich nicht auf ihn verzichten wollen. Heute ist er mir beim Autofahren manchmal schon lästig.“

„Bei uns weiß niemand, was Autofahren ist. Könntest du uns das bitte erklären?“

Da forderte Diane ihn auf: „Lass sie doch für heute Abend in deine Gedanken sehen. Dabei können sie viel mehr lernen, als wenn du es nur erzählst. Du würdest ihnen eine große Freude damit machen.“

„Den ganzen Abend?“ Diane nickte und der restliche Clan blickte gespannt auf ihn. So eine Bitte ist nur ganz selten an jemanden angetragen worden. Das wusste auch Diane. Aber da Wolfgang das schon einmal in der Klasse gemacht hatte, fiel es ihm jetzt nicht schwer ja zu sagen. Er nickte.

„Du hast uns da einen bewundernswerten Gast mitgebracht, Diane“, meinte Trondis. „Es ist außergewöhnlich, dass er so schnell zustimmt. Weiß er auch, worauf er sich einlässt. Er kommt schließlich von außen und kann selbst keine Gedanken lesen. Oder kann er es doch?“

Wolfgang antwortete gleich selbst. „Ich kann keine Gedanken lesen. Ich wollte, ich könnte es. Aber wir haben etwas ähnliches gestern auch in der Schule gemacht, damit alle Schüler so viel wie möglich aus meiner Welt kennenlernen konnten. Deshalb ist es für mich nicht neu. Ich werde jetzt die Augen schließen und ihr dürft an meinen Gedanken teilhaben. Aber bitte nur heute.“

„Ja selbstverständlich. Niemand würde deinen Gedanken ohne deine Erlaubnis lauschen“, versicherte Arebe.

Nun begann Wolfgang noch einmal an seine Welt, das Autofahren und dann auch an sein bisheriges Leben zu denken. Mit dem Wanderurlaub, Goseck, der Herbergsschule und Toni schloss er ab.

Alle aus Dianes Clan waren überwältigt. Diese Fülle an Informationen hatten sie nicht erwartet. Mikah fragte Wolfgang als erster vorsichtig, um die Stille zu brechen: „Dir gefällt mein kleiner Gemüsegarten? Du darfst davon essen, so viel du willst. Ich würde mich freuen, wenn du dort etwas für deinen Geschmack findest.“

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