Herzensöffnung (2): Versöhnung

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Wolfram antwortete: „Selbstverständlich! Sie sind Teil des Vertrages, den Sie unterschreiben würden. Natürlich würde jeder Vertrag den einzelnen Wünschen und Bedingungen angepasst und ausgerechnet, bevor Sie ihn unterschreiben. Alles wird offen, ehrlich und fair zugehen.“

„Und was verdienen Sie oder Ihre Firma dabei?“

„Ihre Frage ist verständlich. Aber die Antwort wird Sie vermutlich verwundern. Die Preise entsprechen den Kosten für den Bau. Daran verdient weder die Firma noch ich. Es geht vielmehr darum, der Belegschaft bezahlbare Ferienplätze zu schaffen, besonders für Familien mit Kindern. Ich persönlich will Ihnen nur helfen. Ich habe die Gegend um Håp Land lieben gelernt. Es ist die Heimat meiner Frau und jetzt auch ein Stück Heimat von mir.“

Jens Bergströms Sohn Benny fragte nun: „Und wie soll das mit dem Bau vor sich gehen? Kommen da Deutsche, um uns zu zeigen, wie man baut, weil wir das nicht selbst können?“

Und wieder ging ein Geraune im Saal um. Auch im Präsidium blickten jetzt alle gespannt auf Wolfram.

„Nein! Das würde Ihnen nicht viel nützen. Der Bauleiter müsste natürlich aus Deutschland kommen, weil er die Übersicht über das Gesamtprojekt haben wird. Die Bauaufsicht hingegen wird Olaf Jansen übernehmen. Er ist seit heute ebenfalls angestellt bei unserer Firma. Alle Handwerker wird er aussuchen und alle Baumaterialien wird er in Zusammenarbeit mit dem deutschen Bauleiter hier ordern, soweit das möglich ist. Nur spezielle Dinge, die hier nicht zu beschaffen sind, werden aus Deutschland kommen. Wenn sich also Handwerker wie Maurer, Zimmerleute, Klempner, Dachdecker, Elektriker und so weiter unter Ihnen befinden, dann melden Sie sich bei Olaf. Die einzige Bedingung ist, dass die Arbeit in guter Qualität geleistet wird. Ist Ihre Frage damit beantwortet?“

Benny nickte.

Nach einigen belangloseren Fragen, die Wolfram alle zufriedenstellend beantwortete, schloss er mit den Worten: „Wer sich entschließt, dieses Angebot anzunehmen, der möchte sich bitte bei Olaf Jansen melden und alles Weitere mit ihm und Andrea Aglund besprechen. Andrea wird dann alles nach Deutschland schicken und dort wird der Vertrag fertig gemacht und zurückgeschickt. Das geht innerhalb von 24 Stunden. Wenn Sie mit dem Vertrag zufrieden sind, dann unterschreiben Sie und Sie können schon ab Juli mit Urlaubern rechnen. Damit möchte ich die heutige Info-Veranstaltung schließen, aber den Bürgermeister und den Wirt bitten, noch zu bleiben.“

Die Dorfbewohner erhoben sich und verließen diskutierend das Hotel. Vermutlich würden sie über dieses Angebot debattieren, bis sie das Dorf erreicht hatten.

Nun setzten sich die Leute aus dem Präsidium mit dem Bürgermeister und dem Wirt zusammen an einen Tisch. Wieder begann Wolfram: „Wir möchten Sie, Björn Nansen, als Bürgermeister von Håp Land nicht übergehen. Deshalb möchte ich, dass Sie über alles Bescheid wissen. Wie finden Sie diese Idee mit dem Tourismus als Arbeitsquelle?“

Björn nickte leicht. „Wenn das alles so funktioniert, dann wäre es ein Segen für unser Dorf. Aber werden Sie keine Probleme mit den Betreibern des Hotels bekommen?“

Da meldete sich Sven zu Wort. „Das Hotel hat seit heute einen neuen Eigentümer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Probleme gibt, wenn die Auslastung des Hotels darunter nicht leidet. Da hier erst mal nur Betriebsangehörige von Wolframs Firma absteigen, hat das keinen Einfluss auf unseren Hotelbetrieb.“

„Dann kann ich Ihr Vorhaben nur begrüßen“, sagte Björn Nansen.

„Doch nun zu Ihnen, Sören Lundgren. Sie betreiben die Schenke im Dorf. Wir hatten schon mehrfach das Vergnügen. Wie viele Gästezimmer haben Sie?“

„Eigentlich sechs, aber nur vier sind eingerichtet.“

„Sonst haben Sie keine Räume, die man als Gästezimmer nutzen kann?“

„Ja, schon, da wären noch zwei kleine Zimmer für höchstens eine Person. Ich nutze sie als Abstellkammern“, meinte der Wirt.

„Wie wäre es, wenn wir zu ähnlichen Bedingungen wie beim Ferienhausbau Ihre Gästezimmer modernisieren und für das ganze Haus Heizung und warmes Wasser installieren? Sie würden an den Touristen vorerst nichts verdienen, bis die Modernisierungssumme ausgeglichen ist. Aber an der Verpflegung der Gäste verdienen Sie natürlich sofort. Haben Sie hinter dem Gebäude noch Platz, sagen wir 25 Meter?“

„Ja, weshalb?“

„Dann könnte ich mir vorstellen, dass man dort einen kleinen Veranstaltungssaal für Feiern bis hundert Personen anbauen kann. Die Urlauber wollen Tanzabende auch im kleineren Kreis haben. Die großen Veranstaltungen werden sicher im Hotel angeboten. Aber dazu muss man erst mal hinüberlaufen. Nicht alle werden das wollen. Auch könnte man in diesem Raum Kinovorstellungen anbieten. Wie würde Ihnen das gefallen?“

„An sich gut, aber ich kann das nicht finanzieren.“

„Die Finanzierung würde über die Gästezimmer laufen. Ausgleich durch Verdienstverzicht bei den Übernachtungen. Das sagte ich bereits.“

Sören Lundgren fragte weiter: „Wie soll ich hier Kinovorstellungen geben? Ich verstehe doch davon nichts.“

„Auch das ist kein Problem. Sie benutzen einen Videorecorder und schließen daran einen Beamer an. Das ist so etwas Ähnliches wie ein Diaprojektor, geht aber für Filme. Dazu brauchen Sie eine kleine Anlage mit zwei ordentlichen Lautsprechern. Das kostet heute nicht mehr viel. Wenn Sie so ausgerüstet sind, dann können Sie Kino- und auch Tanzveranstaltungen machen. Es empfiehlt sich, in dem Raum in der Mitte so etwas wie einen Raumteiler einzubauen, mit dem sie den Raum bequem bei Bedarf halbieren können. Das spart auch Heizkosten im Winter. Aber darüber können wir reden, wenn Sie sich entschieden haben.“

„Das würde alles Ihre Firma finanzieren?“, fragte der Wirt ungläubig.

„Ja!“, antwortete Wolfram. „Dort folgt man meiner Empfehlung, weil schon lange so eine Naturinsel für ruhebedürftige Angestellte gesucht wird. Sind Sie interessiert?“

„Ja, wenn das so ist, wie Sie sagen, dann interessiert es mich schon.“

„Dann überlegen Sie sich in Ruhe, was Sie verändern möchten, und wir lassen es dann in Deutschland berechnen. Wenn Sie anschließend damit einverstanden sind, können wir den Vertrag machen. Günstig wäre es, wenn es noch vor dem 5. Januar wäre. Wir fliegen am 7. Januar zurück.“

„Das wird sich einrichten lassen.“

„Kino!“, meinte nun der Bürgermeister. „Das hört sich gut an. Da kommt endlich mal etwas Bewegung ins Dorf.“

„Stimmt! Aber es wäre gut, wenn Sie Sören Lundgren bei der Genehmigung behilflich wären. Ich kenne die hier bestehenden Gesetze nicht“, ergänzte Wolfram.

Damit war die Info-Veranstaltung zu Ende. Der Bürgermeister und der Wirt verabschiedeten sich und gingen. Wolfram erklärte Olaf: „Jetzt wird es ernst. Mal sehen, wie viele dieses Angebot annehmen. Vermutlich werden es am Anfang wenige sein. Erst wenn die anderen merken, dass es funktioniert, werden es mehr werden. Sagen Sie mir bitte über Andrea Bescheid, wenn sich jemand für dieses Angebot interessiert. Auch so lange, wie wir noch hier sind.“

„Ich glaube, von denen, denen die Kinder das Aufschnittpaket gebracht haben, werden sich einige interessieren. Ich habe das vorhin beobachtet“, meinte Olaf.

„Schön wäre es für sie“, antwortete Wolfram. „Gerade diese Familien könnten Hilfe gebrauchen.“

Da wendete sich Wolfram an Sven: „Wenn wir in unserer Firma Håp Land als Urlaubsdomizil anbieten, dann wird auch das Hotel dabei sein. Das heißt, es kommt Arbeit auf dich zu. Ich habe mir das so gedacht, dass die Familien mehr im Dorf Urlaub machen und die Alleinstehenden eher im Hotel. Mal sehen, ob mein Konzept aufgeht.“

„Das wäre ja großartig. Unser Hotel braucht dringend Urlauber. Von den Reisebüros kommen immer weniger.“

„Sven, behalte die Reisebüros trotzdem im Fokus. Unsere Urlauber können nur zusätzlich sein. Ich werde vermutlich auch im Sommer mal kommen. Bis jetzt kenne ich Håp Land nur im Winter. Im Sommer ist es hier sicher auch sehr schön.“

„Wenn das mit den Urlaubern klappt, dann wird dir unsere Chefin ewig dankbar sein“, sagte Sven überschwänglich.

Nun verabschiedeten sie sich von Sven und gingen ins Dorf, wo drei kleine Mädchen auf ihre Eltern warteten. Vor Kjelds Haus sagte Wolfram zu Olaf: „Wir haben hier noch etwas zu klären und kommen dann noch mal kurz rüber zu Ihnen, um unsere Kinder abzuholen. Bis nachher!“

Olaf ging und Wolfram betrat mit Maria und Andrea deren Elternhaus. Kjeld kämpfte schon wieder mit dem Videorecorder, als Wolfram ihn fragte: „Pappa, wie ist das mit dir? Wollt ihr dieses Angebot mit dem Ferienhaus annehmen oder nicht?“

„Ich habe mich noch nicht entschieden“, wich Kjeld aus.

„Ich dachte mir, dass es doch toll wäre, wenn wir nicht mehr im Hotel absteigen müssten, wenn wir euch besuchen. Außerdem würdet ihr dabei eine Modernisierung eures Hauses fast zum Nulltarif bekommen. Eine Ölheizung im Haus heißt, keine Kohlen mehr schleppen zu müssen, kein Dreck mehr im Haus und es ist immer warm. Auch gibt es dann immer warmes Wasser in Küche und Bad. Wobei eine Bad-Modernisierung mit dabei sein könnte. Frag mal Andrea, was man aus einem Bad alles machen kann.“

Da sagte Andrea schwärmerisch: „Pappa. Ein Bad, wie es Wolfram und Maria haben, ist traumhaft. Das wäre was für uns.“

„Mal allen Ernstes. Willst du dir dieses Angebot entgehen lassen?“, fragte nun auch Maria.

„Ach, macht doch was ihr wollt“, entgegnete Kjeld ärgerlich.

„Nein, Pappa!“, sagte Wolfram ernst. „Das werden wir nicht tun; nicht über deinen Kopf hinweg. Nur wenn du einverstanden bist. Du wirst es ganz sicher nicht bereuen. Lass uns morgen noch mal darüber reden. Wir müssen jetzt unsere Kinder holen und zurück ins Hotel gehen. Es ist schon spät.“

 

Maria und Wolfram verabschiedeten sich von Andrea und ihren Eltern und verließen das Haus. Bei Jansens wartete man schon mit dem Abendbrot auf sie. „So war das aber nicht gemeint“, sagte Wolfram betroffen.

Ivonne hatte sich riesige Mühe gegeben. „Wir haben so viel Aufschnitt, dass wir den gern mit Ihnen teilen“, erwiderte Olaf lächelnd.

Wolfram nickte und setzte sich mit Maria an den Tisch. Nun aßen alle von dem Aufschnitt vom Vortag. Besonders Kai fand kein Ende. Seine Mutter ermahnte ihn zweimal, bekam aber immer zur Antwort, dass doch so viel davon da wäre. Wolfram schmunzelte. Kai hatte ja recht.

Nach dem Essen besprachen Olaf und Wolfram noch einmal das Angebot. Zum Schluss meinte Wolfram: „Es kann schon im März begonnen werden, wenn der Winter vorbei ist. Ich denke, so vier bis acht Wochen, dann könnte euer Ferienhaus fertig sein. Werden Sie bis dahin alle Handwerker zusammenhaben? Sie müssen aber unbedingt Qualitätsarbeit liefern. Das ist die Bedingung! Es geht nicht darum, billig zu arbeiten. Bitte geben Sie diese Bedingung an die Handwerker weiter. Wer pfuscht, dem wird sofort der Auftrag fristlos gekündigt. Es ist besser, wenn die Handwerker das vorher wissen. Es wird auch so im Auftrag stehen.“

„Wenn ich jetzt schon für März unverbindlich Leute suche, dann werde ich bestimmt alle zusammenhaben. Wie viele von jedem Handwerk werden denn benötigt?“

„Olaf, das weiß ich nicht. Ich gebe Ihnen aber auf jeden Fall nächste Woche über Andrea Bescheid. Wenn Sie die Handwerker bis zum 1. März alle zusammenhaben und auch für das Baumaterial sichere Zusagen haben, werde ich mich dafür einsetzen, dass Ihr Gehalt rückwirkend zum 1. Januar erhöht wird. Das heißt, Sie werden eine Nachzahlung bekommen.“

Olafs Augen glänzten und Ivonne sah Wolfram an, als wäre er Gott. „Ich werde Sie bestimmt nicht enttäuschen“, sagte Olaf.

„Mich? Ich vermittle nur. Es ist unsere Firma, für die Sie arbeiten.“

„Trotzdem! Ohne Sie hätte ich diese Arbeit nie bekommen. Ich danke Ihnen!“

Maria sah Wolfram mit vielsagenden Blicken an. Wusste sie doch manches besser als alle hier in Håp Land. Sie war stolz auf ihren Mann, dass er sich so für die Menschen in ihrem Dorf einsetzte.

In den folgenden zwei Tagen zeigte Wolfram Dagmar und Manfred das schöne Norwegen im Winter. Sie fuhren durch die Gegend und sahen manchen Elch aus der Ferne, wenn sie im Wald spazieren gingen. Am nächsten Tag fuhren sie bis zum Atlantik und jetzt sahen Maria und auch ihre Kinder zum ersten Mal das endlose Meer, das hinter dem Horizont zu versinken schien.

Drei Tage nach Neujahr fuhren Maria und Wolfram nach Bergen, um das Geburtstagsgeschenk für Marias Mutter zu holen. Sie hatten eine Waschmaschine mit integriertem Trockner per Spedition nach Bergen geschickt und wollten sie nun abholen. In den Volvo-Kombi passte sie locker rein. Anschließend fuhren sie noch einmal zum Flughafen, um alte Erinnerungen lebendig werden zu lassen. Im Empfangsgebäude sagte Wolfram zu seiner Maria: „Weißt du noch, wie wir das erste Mal hier waren? Wie begeistert du warst? Und heute ist alles schon so normal geworden.“

„Nein!“, widersprach Maria. „Es ist vielleicht leichter geworden, aber das Fliegen fasziniert mich immer noch. Wenn man über den Wolken schwebt und immer wunderschönes Wetter hat – das wird für mich immer ein Erlebnis sein. Aber sonst hast du natürlich recht. Im Februar hatte ich sogar etwas Angst, als wir hierhergefahren sind. Und heute ist es schon fast selbstverständlich. Wie man sich doch ändert.“

„Wollen wir gleich hier etwas essen?“, fragte Wolfram.

„Um Gottes willen, nein! Mamma und die Kinder warten doch mit dem Mittagessen auf uns.“

„Dann sollten wir jetzt zurückfahren, damit wir nicht zu spät kommen.“ Sie fuhren gleich zum Hotel und stellten dort das Auto in der Tiefgarage ab. So konnte Marias Mamma nicht vorzeitig sehen, was sie in Bergen geholt hatten. Anschließend liefen sie rüber zum Dorf.

Oben auf der Fernstraße meinte Maria zu Wolfram: „Weißt du noch, wie wir uns hier meistens getrennt haben. Auch wenn es manchmal wehtat, es war die schönste Zeit in meinem Leben. Ich denke gern daran zurück. Du auch?“

„Ja“, antwortete er und fügte hinzu: „Aber auch deshalb, weil ich damals höllisch aufpassen musste, dass ich mich nicht verspreche. Ich musste doch den normalen Angestellten spielen. Diese Rolle war für mich sehr neu.“

„Und doch hast du sie ausgezeichnet gespielt. Wir sind alle darauf reingefallen.“ Maria gab ihm lachend einen Stoß in die Seite. „Ich darf gar nicht daran denken, was gewesen wäre, wenn du das nicht gemacht hättest. Niemals wäre ich dir nach Sonnenberg gefolgt. Ich hätte dir deine Liebe nicht geglaubt und wäre sicher sehr unglücklich geworden.“ Maria schüttelte den Kopf, als wolle sie etwas abschütteln. „Heute bin ich dir dankbar, dass du so lange geschwiegen hast.“ Sie blieb stehen und umarmte ihren Mann. Dann folgte ein langer Kuss. „Du bist mein Leben, Wolfram. Ich liebe dich!“

„Ich liebe dich auch sehr“, gestand Wolfram. „Du bist die erste Frau, die ich wahrhaft liebe und bei der ich spüre, wieder geliebt zu werden. Du bist nicht nur die schönste Frau, sondern auch so erfrischend ehrlich, dass ich dich nie vergessen könnte, selbst wenn sich unsere Wege trennen würden. Ohne dich wäre mein Leben öd und leer.“

Noch einmal umarmten sie sich wie zwei Jungverliebte. Dann gingen sie weiter. Es war nur noch ein Stück bis zum Haus von Marias Eltern.

Hier wartete man schon sehnsüchtig auf sie. Marias Mutter hatte zu tun, das Essen warm zu halten, und Andrea hatte die Kinder besänftigt, die ständig fragten, wann es Essen gebe. Nur Pappa war nicht ungeduldig. Er erforschte die Welt seines neuen Videorecorders. Hier waren so viele Dinge in der Beschreibung, die er nicht kannte. Da gab es Funktionen, von denen er nicht einmal wusste, was sie bedeuteten.

Als Wolfram und Maria in der Tür standen, atmeten fünf Herzen auf und eins knurrte, weil es beim Studium des Videorecorders unterbrochen wurde. Beim Essen war aber alles vergessen.

Nach dem Essen sagte Andrea: „Wolfram, du musst noch zu Jansens rüber. Olaf war vor einer Stunde hier und hat gesagt, dass sich noch einige gemeldet haben. Sie wollen den Vertrag machen.“

„Das ist gut. Du und Maria, ihr kommt am besten gleich mit. Eva und Laura, wollt ihr mit Gerda und Kai spielen? Julia muss aber leider ins Bett.“

Ein zweimaliges „Ja!“ und ein trauriges Gesicht waren die Antworten. Also brachte Maria Julia in Andreas Bett und sagte zu ihr: „Wenn du ausgeschlafen hast, dann darfst du auch mit zu Gerda und Kai.“

Annefried beruhigte Maria: „Geh nur mit. Ich passe schon auf Julia auf. Diese Verträge sind doch wichtig?“

Maria nickte. „Danke!“

Olaf erwartete sie schon. Er wollte in seiner neuen Arbeit alles richtig machen und so sprach er: „Alle Familien, denen Sie ein Aufschnittpaket geschickt haben, wollen einen Ferienhausvertrag machen, dazu noch drei andere Familien und der Wirt. Sie wollen diesen Vertrag mit Ihrer Firma machen, wenn sie vorher noch ein paar genauere Informationen zur Finanzierung bekommen würden.“

„Das ist kein Problem. Ich habe alle Zahlen mit. Das wären dann elf Verträge?“

„Richtig!“ Olaf war stolz auf dieses Ergebnis, denn er selbst hatte mit weniger gerechnet.

„Sie selbst wollen diesen Vertrag nicht mehr?“

„Was? … Wieso? … Doch, doch, ich will auch. Das hatte ich doch schon gleich nach der Veranstaltung gesagt“, stammelte Olaf ängstlich.

„Dann sind es aber zwölf Verträge. Bitte seien Sie nicht böse. Es war nur ein Scherz. Natürlich weiß ich, dass Sie der Erste waren, der sich bereit erklärt hat. Deshalb wird der Bau auch bei Ihnen beginnen.“

Olaf war erleichtert. Er vertraute Wolfram und sah in diesem Ferienhausprojekt eine sichere Zukunft für sich und seine Familie.

„Wir werden mit allen, die sich für den Vertrag ausgesprochen haben, noch ein Treffen organisieren. Sagen wir übermorgen, am Sonnabend, 10.00 Uhr in der Dorfschenke. Dorthin werde ich die Verträge mitbringen. So kann jeder unterschreiben, wenn er das wirklich will. Ich möchte niemanden drängen! Würden Sie bitte allen Bescheid geben und natürlich auch den Wirt informieren?“

„Das werde ich tun. Sie können sich auf mich verlassen.“

„Olaf, Sie sind sehr fleißig. Ich bin überzeugt, dass Sie das nicht bereuen werden. So, jetzt schließen wir die Arbeit ab und sind wieder privat! Eines sollten Sie wissen: Marias Freunde sind auch meine Freunde. Schon deshalb möchten wir Ihnen helfen, so gut wir können.“

„Sie helfen uns schon so sehr“, sagte Ivonne unterwürfig.

„Bitte, Ivonne, ich bin nichts Besonderes. Betrachten Sie mich als einen guten Freund. Ich würde das für jeden meiner Freunde tun. Das ist doch selbstverständlich“, wehrte Wolfram ab.

„Hier gibt es einige Familien, die Hilfe sehr dringend brauchen. Sie alle vertrauen Ihnen und Maria. Es wäre für sie furchtbar, wenn die Sache nicht ehrlich wäre“, sagte Olaf sorgenvoll.

„Olaf, sollte irgendjemand finanziell benachteiligt werden, dann hafte ich mit meinem Privatvermögen. Das sage ich nur Ihnen. Aber ich werde es tun! Wissen Sie, ich empfinde Betrug als etwas Abscheuliches. Fragen Sie Maria. Sie kennt mich am besten.“

Da griff Maria in das Gespräch ein: „Wolfram ist genauso ehrlich wie ich! Im Scherz flunkert er auch mal, aber nie, wenn es ernst ist. Er hasst Lügen! Und wenn er sagt, er haftet im Notfall mit seinem Privatvermögen, dann ist das ernst gemeint.“

„Aber das können wir doch von euch nicht verlangen“, meinte nun Ivonne.

Da sagte Wolfram: „Darum geht es nicht. Ich trage hier eine Verantwortung. Deshalb muss ich auch dafür sorgen, dass alles so sein wird, wie ich es versprochen habe. Und ich werde dafür sorgen! Darauf können Sie sich verlassen!“

Olaf und vor allem Ivonne waren verwundert über diese Reaktion. Das passte so gar nicht zu dem, was sie über die Deutschen wussten. Und so sagte Ivonne zu Maria: „Ich verstehe dich immer mehr, weshalb du Wolfram liebst. Im Februar habe ich dich nicht verstanden. Ich glaubte, dass es wieder …“ Erschrocken hielt sie inne und blickte ängstlich zu Wolfram. Plötzlich war ihr bewusst geworden, dass er sie ja verstehen konnte.

Ihm war das nicht entgangen. Er sah Ivonne an und sagte dann: „Ich verstehe Sie sehr gut. Niemand konnte wissen, ob ich ehrlich bin oder nicht. Außer Maria und Andrea hat mir hier wohl niemand vertraut. Ich habe das vor einem Jahr sehr deutlich gefühlt. Besonders Marias Vater war sehr gegen die Verbindung zwischen Maria und mir. Heute ist er froh, dass er sich geirrt hat. Ich verstehe die Menschen hier sehr gut, die mit ansehen mussten, wie Maria immer wieder betrogen wurde. Wir haben uns ausführlich darüber unterhalten. Es ist einfach schlimm, dass es immer wieder Menschen gibt, die andere nur zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Besonders schlimm ist es, wenn das Frauen trifft, weil sie es ungleich schwerer haben. Das kann ihr ganzes Leben zerstören. Ich verstehe nicht, warum Männer so sein können.“

„Dann haben Sie Maria aus Mitleid geheiratet?“, fragte Ivonne.

Olaf wies sie sofort zurecht: „Ivonne!“

„Olaf, lassen Sie Ihre Frau. Die Frage ist doch berechtigt. Ivonne, ich hätte Maria auf jeden Fall geholfen, so gut es mir möglich gewesen wäre. Aber geheiratet hätte ich sie deshalb nicht. Man kann keine Beziehung auf Mitleid aufbauen. Eine solche Beziehung hält nicht ewig. Sie wird früher oder später zerbrechen. Damit wäre Maria ganz sicher nicht geholfen gewesen.“

„Sie sind anders als die Männer hier“, stellte Ivonne fest. Sie wollte noch mehr sagen, aber als sie dem Blick ihres Mannes begegnete, schwieg sie lieber.

„Olaf. Ich möchte nicht, dass durch dieses Gespräch Probleme zwischen Ihnen entstanden sind. Bitte glauben Sie mir. Es ist besser, seine Frau nicht von oben herab zu betrachten. Ich habe hier im Dorf gesehen, dass sich fast alle Männer über ihre Frauen stellen. Von Maria weiß ich, dass das hier normal ist. Versuchen Sie mal, Ihre Frau gleichwertig zu sehen. Sie würden sich wundern, wie das eine Beziehung festigt. Vielleicht unterhalten wir uns ein andermal ausführlicher darüber. Wir werden drüben bei Marias Eltern erwartet.“

„Ja, natürlich“, sagte Olaf versonnen. Irgendwie gaben ihm Wolframs Worte zu denken.

Da klopfte es an die Haustür. Es war Julia. Sie hatte ausgeschlafen und wollte jetzt mit den anderen spielen.

 

Wolfram klopfte Olaf auf die Schulter. „Sie haben eine wundervolle Frau. Seien Sie stolz auf sie und verwöhnen Sie sie ruhig ein wenig. Ich glaube, sie wird es Ihnen tausendfach danken. Bei uns sind die Frauen anders. Sie sind sehr selbstbewusst. Manchmal stört mich das auch, aber sie haben das gleiche Recht wie wir Männer. Keiner ist besser als der andere. Das bedeutet natürlich nicht, dass sie gleich sind. Frauen und Männer sind sehr unterschiedlich. Die einen können dieses besser, die anderen jenes. Nur wenn beide Hand in Hand arbeiten und sich gegenseitig respektieren, wird ihre Beziehung zu ungeahnter Größe wachsen.“

„Jetzt hast du Olaf genug Tipps gegeben“, sagte Maria lachend. „Am besten wäre es, wenn ihr euch das selbst mal anschaut. So, wie Wolfram gestern gesagt hat, ist es sowieso notwendig, dass du, Olaf, deinen neuen Arbeitgeber persönlich kennenlernen musst. Sicher wird man dich irgendwann einladen. Na ja, im Winter vermutlich nicht, aber vielleicht im Sommer. Dann könnt ihr alle zusammen kommen und bei uns wohnen. Und glaube mir, nicht nur unsere Kinder würden sich freuen. Dazu wäre es vielleicht nützlich, wenn ihr etwas Deutsch lernen würdet.“

„Wo sollen wir denn das lernen? Du weißt doch, was Unterricht kostet!“

„Ivonne, bei Andrea und meiner Mutter kostet das gar nichts. Und selbst Sven, Andreas Mann, würde euch sicher helfen. Es ist doch keine Bedingung, sondern nur ein Vorschlag.“

Ivonne war etwas verwirrt. Noch vor Tagen hatten sie Wolfram und Maria vorgerechnet, dass sie es sich nie leisten könnten, nach Deutschland zu fahren, und jetzt war es schon fast sicher, dass sie hinfahren würden. Vorsichtig fragte Ivonne Maria: „Glaubst du wirklich, dass sie Olaf einladen werden?“

Maria lächelte. „Ganz sicher. Und oft laden sie die ganze Familie ein. Damit musst du rechnen.“

„Die ganze Familie? Aber wieso?“

„Unsere Firma macht sehr viel für die Familien der Belegschaft. Vor Weihnachten zum Beispiel gab es eine Weihnachtsfeier, bei der jedes Kind, dessen Eltern in unserer Firma arbeiteten, ein Geschenk bekam.“

„Ja, Tante Ivonne“, bestätigte Eva. „Wir durften alle auf die Bühne und dort hat sich jeder ein Spielzeug heraussuchen dürfen. Ich habe mir eine Barbie genommen.“

„Und ich einen Ken“, sagte Laura.

„Ich eine Puppe“, meldete sich jetzt auch Julia.

„Siehst du, dass ich recht habe?“, fragte Maria. „Und was meinst du, weshalb sie diese Ferienhäuser hier bauen wollen? Sie werden alle mit Kinderzimmern ausgestattet sein, damit Familien hier Urlaub machen können. Im Hotel ist doch alles so unpersönlich.“

„Ich weiß nicht“, gab Ivonne zu. „Ich war noch nie in einem Hotel.“

„Apropos Hotel“, klinkte sich Wolfram in das Gespräch ein. „Wir müssen wieder rüber ins Hotel. Schließlich warten Manfred und Dagmar auf uns.“ Maria nickte und Wolfram erklärte: „Morgen hat Mamma Geburtstag. Könnte ich morgen Früh so gegen 10.00 Uhr mal kurz auf Sie zurückgreifen, Olaf? Es wäre nett, wenn das möglich wäre. Es ist nur für zehn Minuten. Und bitte vergessen Sie nicht das Treffen übermorgen um zehn in der Dorfschenke. Der Bürgermeister sollte auch anwesend sein.“

Sie verabschiedeten sich und gingen noch mal kurz zu Marias Eltern.

„Wann dürfen wir morgen kommen, Mamma?“, fragte Maria.

„Von mir aus könnt ihr gleich nach dem Aufstehen kommen. Dann frühstücken wir zusammen.“

„Gut, dann bis zum Frühstück“, sagte Wolfram.

Daraufhin verabschiedeten sie sich und gingen mit ihren Kindern zurück zum Hotel. Unterdessen unterhielten sich Olaf und Ivonne noch einige Zeit über Wolfram und Maria.

„Manchmal kommt es mir so vor, als ob dieser Wolfram bei Maria unterm Pantoffel steht. Hast du nicht gesehen, wie sie diskutiert, ohne ihn zu fragen?“, meinte Olaf.

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte sie. „Wolfram ist bestimmt nicht der Mensch, der sich unterdrücken lässt. Maria hat mir erzählt, wie er mit Kjeld umgegangen ist. Ich glaube eher, dass Wolfram ein Mensch ist, der genau weiß, was er will. Maria meinte mal zu mir, dass man bei ihm immer auf Überraschungen gefasst sein muss. Aber dass er unter ihrem Pantoffel steht, kann ich mir nicht vorstellen. Ich denke, dass es das ist, was er vorhin sagte, als er davon sprach, dass viele Deutsche ihre Frauen gleichberechtigt sehen.“ Dabei sah sie ihren Mann sehr vielsagend an.

„Bei ihnen mag das vielleicht gehen“, verteidigte sich Olaf. „Aber hier ist alles anders. Weißt du, was die Leute im Dorf sagen, wenn ich das so mache, wie Wolfram erzählt hat?“

„Glaubst du? Ihm nimmt man das nicht übel. Wenn du mal genau hinsiehst, dann kannst du erkennen, dass dieser Sven aus dem Hotel mit Andrea ähnlich umgeht wie Wolfram mit Maria. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“

„Ja, schon, aber ich weiß ja nicht, wie er war, bevor er Andrea kennengelernt hat.“

„Maria hat mir erzählt, dass er durch den Urlaub in Deutschland so geworden ist. Ich bin schon richtig gespannt auf Deutschland. Wolfram hat doch gesagt, dass seine Firma uns einladen wird.“

„Vielleicht, hat er gesagt. Und wenn du dann auch so aufmüpfig wirst, dann überlege ich es mir noch, ob ich euch mitnehme“, sagte Olaf mit einem spitzbübischen Lächeln im Gesicht.

Ivonne übersah das einfach und meinte: „Ich denke nicht, dass sich Andrea verändert hat. Eher denke ich, dass Sven sich dort in Deutschland geändert hat. Vielleicht leben sie gar nicht so weltfremd, eben nur anders. Ich bin so froh, dass du jetzt auch im Winter Geld verdienen wirst und wenn das mit dem Ferienhaus irgendwann losgeht, werde ich für die Touristen so viel Essen machen, wie sie wollen. Stell dir mal vor, ich mache für sie täglich Frühstück und Abendbrot. Das sind am Tag 150,- Kronen. Das Ganze einen Monat lang, dann sind es 4.500,- Kronen. Und wenn sie Mittag essen, kommt noch etwas dazu. Olaf, stell dir das nur mal vor.“

Olaf nickte und meinte: „Meine 4.500,- Kronen kommen ja noch dazu. Ich glaube, ich werde Wolfram wohl mehr zuhören müssen. Ohne ihn hätten wir das alles nicht. Wer hätte das gedacht, dass gerade ein Deutscher uns und den anderen hier im Dorf so hilft.“

„Ja, Olaf. Vielleicht sind sie doch anders, als wir immer dachten.“

Am Freitag gingen Maria und Wolfram mit ihren Kindern nicht im Hotel frühstücken, sondern wie verabredet bei Mamma im Dorf. Sie hatte Geburtstag. Von Sven bekamen sie einen Beutel mit frischen Brötchen aus der Hotelküche und einen großen Strauß Blumen, den Sven aus Bergen mitgebracht hatte. Dann gingen sie in die Tiefgarage und fuhren mit ihrem Leihwagen rüber ins Dorf.

Am Haus von Marias Eltern stellten sie das Auto ab und gratulierten erst einmal der Mamma und Oma. Dann wurde sie von allen einzeln umarmt, bekam den Blumenstrauß und die frischen Brötchen fürs Frühstück.

„Die Brötchen hätten nicht sein müssen. Ich habe extra Brot aufgeschnitten.“

Mamma“, sagte Maria, „wann habt ihr schon mal die Möglichkeit, frische Brötchen zu essen?“

Annefried lächelte glücklich. Ihre Tochter hatte ja so recht. Als die Brötchen auf den Tisch kamen, freute sich sogar Kjeld. Auch Andrea war begeistert. Und so aßen sie alle und hörten erst auf, als kein Brötchen mehr da war.

Wolfram entschuldigte sich mit den Worten: „Ich muss bloß mal kurz rüber zu Olaf. Das dauert höchstens zehn Minuten.“ Und schon hatte er das Haus verlassen.

„Schade, dass Wolfram auch heute arbeiten muss. Es ist doch mein erster Geburtstag, den ich mit ihm feiere“, sagte Annefried traurig. Maria lächelte, wusste sie doch, weshalb Wolfram gegangen war.

Kurz darauf klopfte es an die Tür. Annefried öffnete und herein kamen Wolfram und Olaf mit einer Waschmaschine in der Hand. Die Mamma machte große Augen und wusste nicht, was das bedeuten sollte.

„Das ist unser Geburtstagsgeschenk für dich“, sagte Maria von hinten.