Auf zum Nullarbor

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V I C T O R I A


Ich erreiche bald den Staat Victoria. Und was dann kommt – der Highway ist sehr schön und daneben für mich ein guter und glatter Fahrradstreifen -, das ist der Gestank der an der Seite verwesenden Känguru-Kadaver. Die Landschaft besteht aus uralter Natur, einem Naturpark. Als ich später weiter in die Nähe von Lake Cullulleraine komme, sehe ich auch wieder Stoppelfelder.

Ach ja, das eine Känguru drüben an der anderen Straßenseite, ein ganz fahles, sieht von weitem aus, als läge dort ein totes Pferd. Ich sehe von meinem Blickwinkel aus nur das tote Tier ab der Schulter. Das ist ein riesiges Känguru. Die Autofahrer leben hier gefährlich. Und die Fahrradfahrer müssen dauernd die Stinkluft vom Aas einatmen.

Da ich mit starkem Schiebewind dahinrase, überlege ich mir, ob ich nicht doch gleich bis Mildura weiterfahren soll. Aber meine Beine und mein Popöchen sind entschieden dagegen. Und so viel Wasser, wie ich heute auf dieser Tagestour trank, habe ich auf keiner meiner anderen Etappen getrunken.

Die Abzweigung auf diesen Caravan Park ist befestigt. Deshalb fahre ich überhaupt dorthin. Aber dann ist es damit zu Ende. Der befestigte Weg führt direkt an den See. So steige ich ab und schiebe mein Rad die letzten 300 m. Bei der Anmeldung brauche ich nur $10 für eine Nacht zu bezahlen. Das hebt dann die hohen Kosten von Renmark wieder ein wenig auf.

Und was bei solch kostengünstigen Caravan Plätzen üblich ist, das ist, dass es hier keinen gekühlten Raum gibt, weder die Toiletten noch die Laundry. So schwitze ich also so vor mich hin. Das überlebe ich auch noch.

Ich glaube, bei einer Temperatur von 26°C erreichte ich den Caravan Park. Nun, da ich schon zwei Stunden hier in der Laundry sitze und schreibe, ist die Temperatur auf 35°C angestiegen. Dabei sollte es doch kühler werden. Naja, morgen ist ja auch noch ein Tag.

Nun möchte ich mich mit kühlem Wasser duschen und in mein Zelt krabbeln. Wenn mir wieder zu heiß werden sollte, dann dusche ich eben wieder mit kühlem Wasser. Dafür habe ich ja schon bezahlt. Und Trinkwasser darf jederzeit aus dem Wasserhahn der großen Wassertanks, die bei den sanitären Anlagen stehen, gezapft werden. Dann kann ich also nicht verdursten. Hoffentlich ist es morgen früh wieder schön kühl.

Für die kühle Nacht besitze ich ja nun meine kleine Fleece-Decke mit aufgedruckter australischer Fahne. Bin ja gespannt, ob ich sie heute Nacht einsetzen muss.

26. Januar 2013: Lake Cullulleraine – Mildura: 60 km

Habe die neue Decke gebraucht. Aber sie wärmt nicht genug. Nun muss ich unbedingt etwas ändern. So geht es nicht weiter. Nachts brauche ich meinen Erholungsschlaf. Also: in Mildura einen neuen Schlafsack kaufen.

Im Baum über mir sitzt ein grünes Papageien-Pärchen, kleine Papageien. Beim Abbauen meines Zeltes, kommt die junge Mutter einer Familie mit ihren drei kleinen Kindern zu mir und unterhält sich mit mir. Ihre kleine Tochter Emmely und ihr kleiner Bruder Thommy stehen mit ihrem Kinderfahrrad bei ihr. Dass ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, imponiert auch den Kindern. Diese radeln hier barfuß auf ihren Rädern herum und sind sagenhaft glücklich.

Die Zufahrt vom Highway bis hier herunter an den See ist nicht geteert. Deshalb schiebe ich hinauf. Es wird schon wieder recht warm.

Als ich über eine neue Kreuzung fahre, umfliegt mich ganz dicht – ich in rosafarbener Windbluse – ein großer Schwarm der rosa Gallah Kakadus. Sie setzen sich sogar auf den Seitenstreifen und gucken mich an. Sehen sie in mir einen ihresgleichen aufgrund meiner rosa Windbluse? Und die Sonne strahlt auf meinen Sturzhelm, dass er weiß leuchtet? Drollig! Ich spreche sie an. Das löst ihren Bann. Sie fliegen weg.

Bei Gegenwind und wenig Autoverkehr radle ich gen Osten. Von hier aus sehe ich überwiegend auf einer Seite Stoppelfelder. Das ist wohl der Grund dafür, dass hier nur ein einziges verwesendes Känguru an der Straßenseite liegt und stinkt. Weinplantagen kommen auch wieder in Sicht. Aber überwiegend handelt es sich hier um Stoppelfelder.

10 km vor Mildura steht links ein Roadhouse mit dem roten Schild Post. Heute möchte ich meinen kleinen Daunenschlafsack und die neue Fleece-Decke nach Hause schicken, natürlich mit anderen hier zu verschmerzenden kleinen Gegenständen. Aber diese Post beinhaltet Post der hier wohnenden Menschen mit ihrer Post-Office-Box-Nummern. Die Leute holen sich hier also ihre Post allein ab. Wenn das die deutsche Post zu wissen bekommt, müssen wir das in Zukunft sicher auch machen, um die Postzusteller einsparen zu können. Hoffentlich kommt es nicht dazu.

Der Inhaber dieses Geschäftes malt mir auf, wo ich die Post und die beiden anderen Geschäfte, in denen ich etwas kaufen möchte, finde. Mit einem eiskalten Schokoladengetränk verlasse ich das Haus.

Die restlichen Kilometer bilden für mich keine Hürde mehr. Und da ich ja schon weiss, wo ich meinen Caravan Park und die Geschäfte finde, rolle ich beim ersten Caravan Park bis zum Office und erhalte für nur $5 einen kleinen Rasenplatz zum Aussuchen. Eine große Traube blauer, zuckersüßer Trauben schenkt mir der Mann auch. Ich glaube, er fuhr früher wohl auch Fahrrad.

Nach dem Zeltaufbau wandere ich zur Post und schicke ein großes Paket nach Hause. Mein zweiter Weg führt ins BIG W, wo ich mir einen Sommerschlafsack kaufe. Und worauf ich ganz besonders Appetit habe, kaufe ich daneben im Woolworths Geschäft: eine Knoblauch-Zwiebel, Pumpernickel, ein halbes Pfund Butter und einen vollen Salzstreuer.

Mit meinen Schätzen bepackt, wandere ich zum Caravan-Park. Der Name kitchen – Küche – strahlt mich einladend an. Dort setze ich mich hinein, hole mir ein Messer und einen Teller, packe mein Brot, die Butter, die Knoblauchzwiebel samt Salzstreuer aus meiner Tasche und beginne, mir mein Knoblauchbrot zu streichen. Hmmmm, schmeckt das aber gut! Nach dem Abwaschen und Aufräumen verlasse ich dieses Haus und möchte zu meinem Zelt.

Das kann ich aber beim besten Willen nichr finden. Ein freundliches und hilfsbereites Ehepaar läßt sich von mir erzählen, auf welchen Caravan Park ich heute fuhr. Na, das erzähle ich ihnen. Da lachen sie lustig auf und meinen: „Sie stehen im falschen Caravan Park. Ihrer ist der dort gegenüber. Können sie ihn sehen?“

„Ja, kann ich. Auch sehe ich das Verkehrsschild, zu dem ich tatsächlich dort von links aus der Richtung Renmark kam. Vielen Dank.“ So wandere ich vorsichtig über die breite Verkehrsstraße. Ja, dort bin ich richtig und finde sofort mein Zelt samt Rad. Im Zelt hole ich den neuen Schlafsack. Das ist einer ohne Kopfteil, quadratisch und lässt sich zu einer breiten Decke aufzippen. Na, ob der in der Nacht warm genug ist? Werde ich heute Nacht ja erfahren. Auf jeden Fall ist die dunkelblaue Fleece-Decke nun per Post nach Kiel nach Hause auf der Reise.

In der Küche schreibe ich meine e-Post und lege mich danach schlafen. Morgen wartet ein langer Fahrradtag mit 100 km gen Süden gegen den starken Wind auf mich.

Verfahren, ich Kamel!
27.01.2013: Mildura – Ouyen: 104 km

In den sanitären Anlagen zwitschert ein Vögelein und flattert herum. Ich öffne ihm die Tür ganz weit. Aber es will nicht hinausfliegen. Es hängt festgekrallt mir gegenüber an dem Fliegengitter und guckt mich an. Als ich es anspreche, fliegt es nach hinten und ist weg. Ich sehe nach, wo es geblieben sein kann. Da erblicke ich ein zum Teil geöffnetes Querfensterchen. Das ist also sein Ein- und Ausflugloch. Eine lustige Begrüßung.

Da ich trotz des neuen Schlafsacks wie gehabt gegen 4.00 Uhr vor Kälte aufwache und nicht ausgeschlafen habe, wie die ganzen Nächte vorher auch, sitze ich wie ein trostloses Häuflein Unglück in meinem Zelt und weiss nicht, wie ich das ändern kann. Nach dem Duschen lege ich mich noch etwas schlafen. Auf diese Weise starte ich heute erst um 9.00 Uhr.

Es radelt sich ganz gut. Da wir heute nicht nur Sonntag, sondern auch einen australischen Feiertag haben, überholt mich den ganzen Tag nur ein einziger Road Train. Und die wenigen Autos, die mich auf der 100 km langen Strecke überholen, hätte ich zählen können. Beidseitig des Highways stehen die hier üblichen Mallee Trees. Ich staune, als ich sehe, dass sie zu blühen beginnen und fertigte ein Foto an.

Gerade stecke ich meinen Fotoapparat wieder in seine Tasche und wende mich meinem Rad zu, da hält gerade vor mir ein weißer Pkw. Heraus springt eine junge Frau, die auf mich zuläuft und mich fragt: „Brauchen sie Hilfe?"

„Nein“, antworte ich dankend und lächle. „Ich habe eben nur ein Foto geschossen. Vielen Dank für ihre angebotene Hilfe.“ Sie strahlt, kann sie doch gleich wieder in ihren Wagen steigen und weiterfahren.

So radle ich hier zur Zeit der Mallee Tree Blüte. Bis zu 50 km bleibt auch die Luft sauber, danach stinkt es wieder von Zeit zu Zeit von den überfahrenen Kängurus, bis beiderseits das Land bestellt ist, bzw. Stoppelfelder liegen. Es geschieht nichts Außergewöhnliches. Wenn eine Raststelle angeboten wird, gehe ich hinein, trinke und ruhe mich aus, setze mich aber nie hin. Ich habe Angst, dass unter der Sitzfläche eine „Schwarze Witwe“, die giftigste Spinne Australiens, hängt und auf Nahrung lauert. Ich möchte nicht dazu gehören.

Am Nachmittag gegen 13.30 Uhr erreiche ich wieder ein Roadhouse. Meine Beine und mein Popöchen schreien nach einer Erholungspause. Ich also nichts wie hinein. Außer mir ist kein Gast zu sehen.

 

Und während ich in dieser großen Pause unter dem Terrassendach am Holztisch sitze und esse – mein Fahrrad steht auf der anderen Seite des Tisches – kommen fünf Menschen, davon ein Junge von wohl zwölf Jahren, neugierig und freundlich zu mir und möchten wissen, was es mit dem bepackten Rad auf sich hat. Während mir die ältere Frau und ihr Mann Fragen zu meiner Tour stellen, hören der jüngere Mann, seine Frau und ihr Sohn interessiert zu. Als ich vom Nullarbor und dem Road Train erzähle, beginnt der Mann, mir von den Fahrradtouren so einiger Australier durch das Nullarbor zu erzählen. „Sie fahren alle mit Gepäckbegleitung und radeln auf ihren Rennrädern. Allein mit schweren Packtaschen hat es noch niemand gemacht. Das tut hier keiner. Und einmal, als eine größere Gruppe auf ihren Rennrädern das Nullarbor entlang fahren wollte, passierte das Unglück, so dass von dem Sog eines Road Trains die Rennradfahrer ins Schleudern und einer unter die Räder kam – tot.“

Der Mann guckt mich so an, als wollte ich auf den Road Train schimpfen. Aber ich habe gar keine Zeit, dem Mann zu erzählen, dass der Eyre Highway nur zweispurig ohne Seitenstreifen ist und diese Spuren nicht breit sind. Sobald also ein Road Train oder großer Truck ankam, hätten sie alle anhalten und von der Straße gehen müssen. Hatten sie aber nicht getan. Ich wollte dieses nicht mit dem Mann diskutieren. Ich weiss es nun aus meiner Erfahrung besser.

Und seine Frau erzählt mir: „Die Straße von Mildura nach Melbourne ist schon von vielen Fahrradfahrern und Fahrradfahrerinnen gefahren worden.“

„Aber mit Gepäckbegleitung?“

„Ja, mit Gepäckbegleitung.“

„Das war dann einfach und nicht mit meiner Leistung zu vergleichen.“

Die Frau meint: „Ich hätte große Lust, sie mit meinem Auto zu begleiten. Aber die näheren Umstände zu Hause lassen es leider nicht zu. Mein Mann und ich sind mit dem Auto unterwegs, das einen Trailer samt kleinem, auf dem Kopf liegendem Motorboot hinter sich herzieht. Wir sind unterwegs zum Murray River.“ Gemeinsam verabschieden sie sich von mir und wünschen mir eine sichere Weiterfahrt.

Aber langsam schmerzen meine Hände. So rolle ich unter Schmerzen nach Ouyen hinein, suche mir den Caravan-Park und stelle gleich mein Zelt auf, obgleich ich todmüde bin.

Ich nehme mir zum ersten Mal meine zu Hause ausgearbeitete Streckenführung hervor und prüfe nach, welche Orte ich von hier bis Melbourne vorgesehen habe. Da stelle ich zu meinem Schrecken fest, dass ich mich verfahren habe. Eigentlich wollte ich am Murray River weiter gen Osten radeln. Das tut mir nun sehr leid. Deshalb werde ich morgen anstatt in Richtung Melbourne, gen Osten an den Fluss fahren. Dann bin ich wieder auf Spur.

Heute Nachmittag findet hinter diesem Platz ein Pferderennen mit Sulky statt. Ich höre lautstark den Sprecher, kann aber nichts sehen. Die Pferdebesitzer verlassen hinterher mit ihren Tieren den Platz. Ich denke, dass nun Ruhe herrschen wird. Dem ist aber absolut nicht so. Total lautstark spielt in der Nähe auf der Wiese eine Kapelle alte Schlager. Da hier ja ein australisches Volksfest gefeiert wird, kann es sein, dass das so die ganze Nacht hindurch geht.

Währenddessen esse ich mein Pumpernickel-Brot mit ganz dick Butter und einer Knoblauchzehe pro Stulle. Hinterher zieht es mich in die Dusche. Falls ich diese Nacht nicht friere, würde ich wegen der lauten Musik nicht schlafen können. Aber ich bin so sehr müde, dass mich die Musik auch nicht mehr stört.

Dazu trägt sicher auch die viele Garderobe bei, die ich mir einfach übereinander ziehe. Der dünne Pyjama liegt zum eventuellen Gebrauch neben dem Schlafsack. Ein riesiger Vollmond steht tief am Himmel.

28.01.2013: Ouyen – Tooleybuc: 104 km

Ich schlafe tatsächlich bis 6.00 Uhr durch. Die morgendliche Dusche weckte mich vollends auf. Bei aufgehender Sonne schiebe ich auf dem groben Weg des Caravan-Parks zur Straße, 200 m zurück und ich biege in die B12 ein, die mich ganz bis zum Murray River nach Tooleybuc bringen soll. Der geringe Autoverkehr ist wohl darauf zurückzuführen, dass heute ein australischer Feiertag ist.

Die gestrigen Schmerzen meiner Hände sind über Nacht verschwunden. Werden sie heute auf dieser langen Strecke noch einmal durchhalten?

Die Landschaft gleicht der gestrigen mit den beidseitig stehenden Mallee-Trees. Auf der Hälfte finde ich den Ort Manangatang. Im dortigen Supermarkt esse und trinke ich. Glücklich nehme ich die Straße gen Osten nach Tooleybuc wieder unter die Räder.

Nach 104 km erreiche ich meinen in der völlig ruhigen Natur am Murray-River gelegenen Caravan-Park. Der Inhaber fährt sein Auto gleich von seinem Rasenparkplatz und stellt ihn mir zum Zelten zur Verfügung. Darüber hängen große Tücher, die Schatten bieten. Diese Art des Schattengebens gibt es auch bei großen Kaufhäusern für die Autos ihrer Käufer.

Ich skype mit Gudrun in Spanien. Wir verabreden uns für das nächste Video-Telefonieren auf Sonntag. Ich freue mich jetzt schon darauf. Sie hat dann Zeit. Auch kann ich dann mit meiner kleinen Enkeltochter Anna-Lena sprechen.

In der Dusche – es sind nur zwei vorhanden und die eine ist besetzt – erblicke zu meinem Entsetzen auf den weißen Fliesen ein schwarzes Ungeziefer mit länglichem, dickem Bauch und mit Beinen nach allen Seiten. Da denke ich, dass es sich um die Schwarze Witwe handelt und möchte absolut nicht darin duschen. Aber anfassen möchte ich es auch nicht, auch nicht mit meinen Flip-Flops darauf treten. So stehe ich fassungslos mit meiner Waschtüte davor und hypnotisiere es, um aufzupassen, wohin es läuft. Aber es bleibt brav sitzen. Da erscheint eine junge Koreanerin, der ich dieses Tier zeige. Sie meint: „Lebt es noch?“

„Ich glaube, ja. Ist es die Schwarze Witwe?“

„Ich glaube nicht.“ Sie holt den Aufwischmob und will das Tier damit fangen. Es läuft weg. Da merke ich, dass es ein schwarzer, dicker Käfer, eine Kakerlake, ist. Auf jeden Fall befördert sie das Tier nach draußen. Unser Gespräch hört der Inhaber des Caravan-Parks und kommt heraus. Er tötet das eklige Tier. Na, die Ureinwohner hätten es bestimmt gern verspeist. Ich nicht. Auf diese Weise kann ich dann doch duschen, aber nicht in dieser, sondern in der anderen Dusche, aus der die Freundin der jungen Koreanerin tritt.

Wieder in meinem Zelt gelandet, telefoniere ich noch mit meinem Klaus-Otto. Mir wird richtig warm ums Herz.

Der Tanz mit den Road Trains
29.01.2013: Tooleybuc – Kerang: 109 km

Nach einer bis 4.30 Uhr währenden Nacht mache ich mich fertig, esse mein Müsli und lege mich noch einmal in meinen Schlafsack. Mit meinem Goretex-Windhemd und der rosa Windbluse unter der gelben Fleecejacke bin ich gegen die kalte Luft draußen warm angezogen. Um 6.30 Uhr starte ich bei 16°C und Sonnenschein. Fast 4 km muss ich zurücklegen, um wieder auf den Highway 400 zu kommen. Aber dann geht es gegen den kühlen Wind zur Sache.

Wer schon einmal an der Westküste Schleswig-Holsteins gen Norden radelte, der weiß, wovon ich rede. Da gibt es kaum Windschutz. Da pfeift der Wind!

Um diese Zeit sind die Straßen noch fast leer. Ich radle durch eine ziemlich platte Landschaft, die anfangs von großen Weinplantagen flankiert wird. Danach sieht beidseitig alles ziemlich ausgetrocknet aus. Früher war der Murray River noch nicht von den Weißen eines großen Teiles seines Wassers beraubt worden. Da gab es hier überall noch viel Grundwasser. Aber da das ja nun zum Teil abgesogen wird, sind der Wasserspiegel und dementsprechend auch das Grundwasser sehr abgesunken. Das bedeutet für die Landschaft, dass die Pflanzen vertrocknen. Ein trauriger Anblick. Er erinnert mich an die Lüneburger Heide bei uns in Norddeutschland, wo auch das wunderbar schmeckende Grundwasser für andere Städte abgezapft wurde. Als dann aber dort durch den niedrigen Grundwasserstand auf der Oberfläche große Schäden angerichtet wurden, wurde es verboten.

Aber können die Menschen hier in Südaustralien das auch machen? Ich glaube es nicht. Sie sind auf das Wasser dieses einzigen für sie zuständigen großen Flusses angewiesen.

Mir wird richtig flau zumute. Meine Beine wollen nicht so richtig Geschwindigkeit machen. Der Wind ist zu stark. Und dann erinnere ich mich, dass ich gestern überhaupt kein Abendbrot aß, sondern aufgrund der großen Hitze nur zwei Liter sehr kalter Milch trank. Nun muss ich für Abhilfe sorgen. In Swan Hill fahre ich beim Roadhouse vor und versorge mich.

Wieder mit einem guten Gefühl in der Magengegend besteige ich mein bepacktes Rad und radle weiter. Kurze Zeit später stürze ich beinahe mit meinem Rad beim Fotografieren durch den Sog eines vorbeifahrenden Road Trains. Ich halte es gerade noch stramm genug vorn fest. Hinten liegt es schon auf der Seite. Dabei bricht mein einer Flaschenhalter ab. Nun besitze ich nur noch eine kleine Trinkflasche am Fahrradrahmen. Mit Schwund muss ich wohl rechnen.

Nicht allzu lange danach, reisst mir der Windsog hinter einem Road Train meinen Sturzhelm bis auf den Hinterkopf. Wie kann das nur passieren? Ich halte an und ziehe die Riemen, die unter meinem Kinn zusammengeschoben werden, kürzer. Hatte sie vorher wohl nicht richtig festgestellt. Und weiter geht es.

Gegen 14.00 Uhr setzt sich die Sonne wieder mit voller Kraft gegen die Kälte der Nacht durch. Mein Thermometer zeigt 30°C an. Deshalb ziehe ich die warme Garderobe aus. Die Luft, die nun an meinen Körper gelangt, tut mir richtig gut. Sehr oft lege ich eine Trinkpause ein.

Nun befinde ich mich im Gebiet einiger Seen. Da der Lake Boga ziemlich dicht am Highway liegt, radle ich hin und fotografiere dort. Die anderen Seen sind weiter entfernt.

Nach zehn Stunden erreiche ich Kerang. Ein mich freundlich grüßender Rennradfahrer mit Gepäck hinter dem Sattel und einem kleineren Rucksack auf dem Rücken kommt mir entgegen und hält. Auch er fährt mit Sturzhelm-Rückspiegel, aber einem viel stabileren, als dem meinen. Er heißt Ron, befindet sich auf einer Marathonstrecke und will noch bis zum Abend – dabei ist es schon Abend – nach Tooleybuc rasen, wo ich heute früh startete. Er aber hat den großen Vorteil, vom Sturm geschoben zu werden. Er ist ein sehr interessanter Mann von 58 Jahren. Wir lachen, weil wir uns beide schon in unserer fortgeschrittenen zweiten Jugend befinden. Wir beide sind Vegetarier. Eigenartig, dass die Vegetarier schlank bleiben und ein fröhliches Gemüt aufweisen. Auch sind davon viele sehr sportlich. Wir beide beschliessen, noch lange so jung zu bleiben, indem wir weiterhin so leben und Fahrrad fahren. Wir lachen. Wir fotografieren uns gegenseitig. Er will mir das Foto, das er von mir schoss, per Email senden. Sein Rennrad besitzt ein noch viel stärkeres E-werk als meins. Mit seinem kann er eine doppelte Beleuchtung an seinem Lenker einschalten. Er bittet mich: „Komm im nächsten Jahr Mitte Januar wieder nach Australien und mache die Fahrradrennen mit.“

„Aber von diesen ekligen Bergrennen halte ich nichts. Mir sind flache Strecken lieber.“

Er lächelt und fischt aus seiner kleinen Tasche eine Creme gegen meine aufgeplatzte Unterlippe, drückt einen kleinen Schnirks darauf, den ich verteile. Diese halbvolle Tube schenkt er mir, weil er noch eine – er zeigt sie mir auch – in der Tasche hat. Heute Abend soll ich unbedingt vor dem Schlafengehen wieder meine Unterlippe eincremen. Ron ist ein selten sympathischer Mann, der auch an andere, die er eigentlich nicht kennt, denkt und für sie sorgt.

Beim Caravan Park erhalte ich für $10 einen Zeltplatz. Beim Supermarkt in 200 m Entfernung kaufe ich ein. Weil ich so müde und so hungrig bin, lasse ich mein Rad im Park stehen und esse gleich hier. Fliegen umschwirren mich und landen laufend auf meinem Gesicht. Also, das mag ich nicht, hole meinen Mücken- und Fliegenspray heraus und befeuchte damit mein Gesicht. Da verschwinden sie.

Da, wo ich mein Zelt aufstellen soll, befinden sich viele Mauselöcher und –gänge. Nein, Besuch möchte ich nicht in meinem Vorzelt haben. Bald sitze ich in der Laundry und schreibe meine Erlebnisse auf, während die Mücken mir unten da in die Beine durch meine dicken Socken stechen, wo meine Hosenbeine zu Ende sind. Gemein! Habe mir keine Zeit genommen, mich mit dem Spray dort auch einzureiben. Um 22.00 Uhr lege ich mich schlafen.