H. G. Wells – Gesammelte Werke

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X. Im Sturm

Lea­ther­head ist etwa zwölf Mei­len vom May­bu­ry-Hü­gel ent­fernt. Ein Duft von fri­schem Heu war in der Luft, als wir zu den üp­pi­gen Wie­sen jen­seits von Py­r­ford ka­men, und den He­cken auf je­der Sei­te des We­ges gab eine Men­ge wil­der Ro­sen einen lieb­li­chen far­benglän­zen­den Schmuck. Das hef­ti­ge Schie­ßen, das be­gann, als wir den May­bu­ry-Hü­gel hin­ab­fuh­ren, hör­te eben­so un­ver­mu­tet auf, als es ein­ge­setzt hat­te. Der Abend war wie­der fried­lich und still. Wir ka­men ohne je­den Un­fall, um neun Uhr un­ge­fähr, nach Lea­ther­head. Das Pferd ras­te­te eine Stun­de, wäh­rend ich mit mei­nen Ver­wand­ten das Abend­brot nahm und mei­ne Frau ih­rer Ob­hut emp­fahl.

Mei­ne Frau war wäh­rend der Fahrt auf­fal­lend schweig­sam ge­we­sen, und schi­en auch jetzt durch böse Vorah­nun­gen be­drückt zu sein. Ich ver­such­te sie in je­der Wei­se auf­zu­hei­tern, be­wies ihr, dass die Mars­leu­te durch ihr Schwer­ge­wicht an die Gru­be fest­ge­bun­den sei­en, dass sie im güns­tigs­ten Fall nur ein we­nig aus ihr her­aus­krie­chen könn­ten. Aber sie gab mir nur ein­sil­bi­ge Ant­wor­ten, hät­te sie nicht das Ver­spre­chen, das ich dem Wirt ge­ge­ben hat­te, ab­ge­hal­ten, so hät­te sie wohl in mich ge­drun­gen, jene Nacht in Lea­ther­head zu blei­ben. Woll­te Gott, dass ich es ge­tan hät­te! Ich er­in­ne­re mich noch, wie weiß ihr Ge­sicht war; als wir Ab­schied nah­men.

Was mich be­traf, so war ich den gan­zen Tag fie­ber­haft er­regt, ge­we­sen. Eine Wal­lung, sehr nahe dem Kriegs­fie­ber ver­wandt, das ge­le­gent­lich je­des ge­sit­te­te Ge­mein­we­sen er­fasst, war in mein Blut ge­fah­ren. Und in mei­nem Her­zen war ich nicht sehr be­küm­mert, dass ich jene Nacht noch nach May­bu­ry zu­rück muss­te. Ich fürch­te­te so­gar, dass je­nes letz­te Ge­wehr­feu­er, das ich ge­hört hat­te, die Ver­til­gung un­se­rer Ein­dring­lin­ge vom Mars be­deu­tet hat­te. Mei­ne Ge­müts­ver­fas­sung kann ich am bes­ten aus­drücken, wenn ich sage, dass ich ge­ra­de­zu das Be­dürf­nis hat­te, bei ih­rem Tode zu­ge­gen zu sein.

Es war fast elf Uhr, als ich mich zur Rück­fahrt an­schick­te. Die Nacht war un­er­war­tet fins­ter. Als ich aus dem er­leuch­te­ten Flur des Hau­ses mei­ner Ver­wand­ten her­austrat, schi­en sie mir ge­ra­de­zu schwarz; und sie war heiß und schwül wie der Tag. Über uns jag­ten die Wol­ken, wenn auch kein Luft­hauch das Busch­werk um uns be­weg­te. Der Die­ner mei­ner Ver­wand­ten zün­de­te bei­de Wa­gen­lam­pen an. Zum Glück kann­te ich die Stra­ße ganz ge­nau. Mei­ne Frau stand im Lich­te der Ein­fahrt und blick­te nach mir, bis ich mich in den Wa­gen schwang. Dann wand­te sie sich plötz­lich um und ging hin­ein. Sie über­ließ es un­se­ren Ver­wand­ten, mir eine glück­li­che Fahrt zu wün­schen.

An­fangs war ich ein we­nig ge­drück­ter Stim­mung, in­dem die ängst­li­che Stim­mung mei­ner Frau mich an­ge­steckt hat­te. Sehr bald aber kehr­ten mei­ne Ge­dan­ken zu den Mars­leu­ten zu­rück. Ich war da­mals noch völ­lig im Dun­keln, wie der Kampf am Abend ver­lau­fen war. Ich kann­te nicht ein­mal die Um­stän­de, die den Zu­sam­men­stoß be­schleu­nigt hat­ten. Als ich durch Ock­ham kam (denn das war der Weg, den ich zur Rück­fahrt ge­wählt hat­te, nicht den über Send und Alt-Wo­king), sah ich am west­li­chen Ho­ri­zont einen blut­ro­ten Schein, der, als ich nä­her­kam, lang­sam am Him­mel kroch. Die trei­ben­den Wol­ken des dro­hen­den Ge­wit­ters ver­meng­ten sich dort mit Un­men­gen schwar­zen und ro­ten Rau­ches.

Die Ri­pley Street war ver­las­sen, und au­ßer ei­ni­gen be­leuch­te­ten Fens­tern ver­riet das Dorf nicht ein Zei­chen von Le­ben. Aber ich ent­ging nur mit knap­per Not ei­nem Un­fall an der Ecke der Stra­ße, die nach Py­r­ford führt. Dort hat­te sich ein Hau­fen von Leu­ten ge­bil­det, die mir alle den Rücken kehr­ten. Sie rie­fen mir nichts zu, als ich an ih­nen vor­über­fuhr. Ich weiß nicht, wie viel sie von den Vor­gän­gen wuss­ten, die sich jen­seits des Hü­gels zu­tru­gen. Ich weiß auch nicht, ob die schwei­gen­den Häu­ser, an de­nen mich mein Weg vor­bei­führ­te, in sorg­lo­sen Schlaf ver­sun­ken, oder ver­las­sen und öde wa­ren, oder ver­wüs­tet und der Schre­cken har­rend, wel­che die Nacht noch brin­gen soll­te.

Von Ri­pley bis Py­r­ford fuhr ich im Tale des Wey, und der rote Feu­er­schein war mir ver­bor­gen. Als ich den klei­nen Hü­gel jen­seits der Kir­che von Py­r­ford hin­auf­fuhr, kam der Schein wie­der in Sicht und die Bäu­me um mich her­um beb­ten un­ter den ers­ten An­zei­chen des Stur­mes, der sich über mir zu­sam­men­zog. Dann hör­te ich von der Py­r­for­der Kir­che hin­ter mir Mit­ter­nacht schla­gen, und dann kam die Sil­hou­et­te des May­bu­ry-Hü­gels her­aus, mit sei­nen Baum­wip­feln und sei­nen Dä­chern, die sich schwarz und scharf von der Röte ab­ho­ben.

Als ich so hin­sah, er­hell­te ein fah­ler, grü­ner Schein die Stra­ße vor mir, und be­leuch­te­te den fer­nen Wald ge­gen Add­le­sto­ne. Ich spür­te einen Riss an den Zü­geln. Ich sah, wie die ja­gen­den Wol­ken durch­sto­chen wur­den wie von ei­nem Fa­den grü­nen Feu­ers, das ihre wil­den For­men er­hell­te und auf das Feld zu mei­ner Lin­ken ein­schlug. Es war der drit­te fal­len­de Stern!

Un­mit­tel­bar nach sei­nem Er­schei­nen zuck­te, durch den Ge­gen­satz blen­dend vio­lett, der ers­te Blitz des sich zu­sam­men­bal­len­den Stur­mes, und ein Don­ner­schlag folg­te ihm wie der Knall ei­ner Ra­ke­te. Das Pferd nahm den Zaum zwi­schen die Zäh­ne und ging durch.

Zum Fuße des May­bu­ry-Hü­gels führt ein sanft ab­stei­gen­der Weg, und auf dem ras­sel­ten wir nun hin. Jetzt, da das Ge­wit­ter los­ge­bro­chen war, ras­te es in ei­ner der­ar­ti­gen Auf­ein­an­der­fol­ge von Blit­zen, wie ich es kaum je ge­se­hen hat­te. Die Don­ner­schlä­ge, die mit selt­sa­men kra­chen­den Ne­ben­ge­räuschen dicht ein­an­der folg­ten, gli­chen eher dem Ar­bei­ten ei­ner rie­si­gen elek­tri­schen Ma­schi­ne als den ge­wöhn­li­chen wi­der­hal­len­den De­to­na­tio­nen. Das fla­ckern­de Licht wirk­te blen­dend und ver­wir­rend, und ein dün­ner Ha­gel peitsch­te mein Ge­sicht, als ich den Ab­hang hin­un­ter­jag­te.

An­fangs ach­te­te ich auf nichts als auf die Stra­ße vor mir; plötz­lich aber wur­de mei­ne Auf­merk­sam­keit durch et­was er­regt, das mit ra­sen­der Schnel­lig­keit sich auf dem ge­gen­über­lie­gen­den Ab­hang des May­bu­ry-Hü­gels her­un­ter­be­weg­te. Zu­erst hielt ich es für das nas­se Dach ei­nes Hau­ses; aber ein Blitz, der ei­nem an­de­ren un­mit­tel­bar folg­te, zeig­te es mir in ra­scher rol­len­der Be­we­gung. Es war eine flüch­ti­ge Er­schei­nung, ein Au­gen­blick ver­wir­ren­der Dun­kel­heit, ge­folgt von ei­nem taghel­len Blitz, dann tra­ten die ro­ten Mau­ern des Wai­sen­hau­ses, nahe dem Hü­gel­kamm, die grü­nen Wip­fel der Fich­ten­bäu­me und die­ser zwei­fel­haf­te Ge­gen­stand deut­lich und scharf und glän­zend her­aus.

Und nun sah ich das Ding! Wie soll ich es be­schrei­ben? Ein un­ge­heu­rer Drei­fuß, hö­her als vie­le Häu­ser, fuhr über die jun­gen Fich­ten­bäu­me und schmet­ter­te sie in sei­nem Lau­fe zur Sei­te; eine wan­deln­de Ma­schi­ne aus glit­zern­dem Me­tall, die jetzt über die Hei­de fuhr; ge­glie­der­te Stri­cke aus Stahl hin­gen von ihr her­ab, und der ras­seln­de Lärm sei­ner Fahrt ver­misch­te sich mit dem Ge­tö­se des Don­ners. Ein Blitz, und sie kam deut­lich zum Vor­schein, wie sie über einen Weg setz­te mit zwei Fü­ßen in der Luft, um zu ver­schwin­den und, wie es schi­en, beim nächs­ten Blitz etwa hun­dert Yard nä­her wie­der zu er­schei­nen. Man mag sich etwa einen um­ge­kipp­ten und hef­tig den Bo­den ent­lang­ge­schleu­der­ten Melk­stuhl vor­stel­len. Das war der Ein­druck, den jene kur­z­en Blit­ze zu ge­win­nen er­laub­ten. Aber statt ei­nes Melk­stuhls den­ke man sich den ge­wal­ti­gen Kör­per ei­nes Ma­schi­nen­werks, auf ei­nem drei­fü­ßi­gen Ge­stell.

Da teil­ten sich plötz­lich die Bäu­me des Fich­ten­ge­höl­zes auf der An­hö­he vor mir, so wie sich brü­chi­ge Schilf­roh­re tei­len, wenn ein Mann durch sie bricht. Sie bra­chen kurz­weg ab, fie­len der Län­ge nach hin, und ein zwei­ter un­ge­heu­rer Drei­fuß tauch­te auf, der, wie es schi­en, ge­ra­den We­ges auf mich zu­ras­te. Und ich fuhr ihm eilends ent­ge­gen! Aber beim An­blick des zwei­ten Un­ge­tüms war es um die Kraft mei­ner Ner­ven ge­sche­hen. Ohne mich lan­ge mit Be­trach­tun­gen auf­zu­hal­ten, riss ich den Kopf des Pfer­des rechts her­um, und im nächs­ten Au­gen­blick stand der Wa­gen über dem ge­stürz­ten Pfer­de; die Deich­sel zer­brach un­ter Ge­tö­se und ich wur­de zur Sei­te ge­schleu­dert und fiel mit al­ler Wucht in eine seich­te Was­ser­pfüt­ze.

Ich kroch auf der Stel­le hin­aus und duck­te mich, mei­ne Füße noch im Was­ser, hin­ter ei­nem Gins­ter­busch. Das Pferd lag re­gungs­los da (dem ar­men Tier war das Ge­nick ge­bro­chen) und bei den flam­men­den Blit­zen sah ich die schwar­ze Mas­se des um­ge­stürz­ten Wa­gens, und die Um­ris­se des Ra­des, das sich noch lang­sam dreh­te. Im nächs­ten Au­gen­blick fuhr das rie­si­ge Ma­schi­nen­werk an mir vor­bei und wand­te sich auf­wärts Rich­tung Py­r­ford.

Nä­her be­se­hen, sah der Ge­gen­stand un­glaub­lich selt­sam aus, denn er war nicht eine blo­ße sinn­lo­se Ma­schi­ne, die da­hin roll­te. Eine Ma­schi­ne war er wohl, in me­tal­lisch klin­gen­der Be­we­gung und mit lan­gen, bieg­sa­men, glit­zern­den Ten­ta­keln ver­se­hen, (von de­nen ei­ner einen jun­gen Fich­ten­baum er­fass­te), die schwin­gend und ras­selnd von dem selt­sa­men Kör­per her­ab­hin­gen. Das Ding bahn­te sich selbst sei­nen Weg, wie es so ein­her­fuhr, und das eher­ne kap­pen­ar­ti­ge Ge­häu­se, das es über­deck­te, be­weg­te sich hin und her und er­weck­te so den zwin­gen­den Ein­druck, als sei es ein Kopf, der um­her­sah. Hin­ter dem Haupt­teil der Ma­schi­ne be­fand sich ein un­ge­heu­rer Ge­gen­stand aus weißem Me­tall, wie ein rie­si­ger Fi­scher­korb. Mas­sen grü­nen Rau­ches ent­wi­chen stoß­wei­se aus den Ge­len­ken sei­ner Glie­der, als das Un­ge­tüm an mir vor­beis­aus­te. Und im Nu war es wie­der fort.

 

So viel sah ich da­mals, beim Fla­ckern des Blit­zes al­les un­deut­lich, ein­mal in blen­dend hel­lem Lich­te, ein­mal in tie­fem schwar­zen Schat­ten.

Als es an mir vor­bei­kam, er­scholl aus ihm ein frohlo­cken­des und be­täu­ben­des Heu­len, das den Don­ner über­tön­te: »Alu-u, Alu-u!« In der nächs­ten Mi­nu­te war es mit sei­nem Ge­fähr­ten ver­ei­nigt und bück­te sich, eine hal­be Mei­le ent­fernt, über einen Ge­gen­stand, der auf dem Fel­de lag. Ich hege nicht den lei­ses­ten Zwei­fel, dass die­ser Ge­gen­stand auf dem Fel­de, der drit­te je­ner zehn Zy­lin­der war, die man vom Mars auf uns ge­feu­ert hat­te.

Ei­ni­ge Mi­nu­ten lag ich da und späh­te trotz Re­gen und Dun­kel­heit beim Schein ge­le­gent­li­cher Blit­ze nach je­nen rie­sen­haf­ten me­tal­le­nen We­sen, die sich in der Fer­ne auf und nie­der be­weg­ten. Ein dün­ner Ha­gel fiel her­ab und wie die Blit­ze ka­men und gin­gen, wur­den die Ge­stal­ten je­ner ne­bel­haft oder strahl­ten in hel­lem Schein wie­der auf. Hie und da trat eine län­ge­re Pau­se im Blit­zen ein, und dann ver­schlang die Nacht al­les.

Ich war oben vom Ha­gel und un­ten vom Pfüt­zen­was­ser völ­lig durch­nässt Es währ­te ei­ni­ge Zeit, ehe mei­ne läh­men­de Ver­blüf­fung es mir er­laub­te, mich in eine tro­ckene­re Lage durch­zu­kämp­fen und über­haupt über die Ge­fahr, die mich be­droh­te, nach­zu­den­ken.

Nicht weit von mir ent­fernt stand die klei­ne Holz­lüt­te ei­nes Wald­bau­ers, die aus ei­nem Zim­mer be­stand, und von ei­nem klei­nen Kar­tof­fel­gar­ten um­säumt war. Ich brach­te mich end­lich wie­der auf die Füße und, mich du­ckend und jede Ge­le­gen­heit ei­nes Ver­stecks be­nüt­zend, lief ich auf die Hüt­te zu. Ich häm­mer­te an der Türe, fand aber bei den Leu­ten kein Ge­hör (wenn an­de­re Leu­te da wa­ren). Nach ei­ni­ger Zeit gab ich es auf, und wäh­rend des größ­ten Tei­les mei­nes We­ges von ei­nem pfüt­zen­ar­ti­gen Gra­ben Ge­brauch ma­chend, ge­lang­te ich krie­chend und von je­nen rie­si­gen Ma­schi­nen un­be­merkt, in das Fich­ten­ge­hölz von May­bu­ry.

Un­ter dem Schut­ze der Bäu­me tas­te­te ich mich, nass und durch­frös­telt, bis zu mei­nem Haus durch. Ich ver­such­te, im Wald ge­hend, den Fuß­weg zu fin­den. Es war völ­lig dun­kel im Ge­hölz; die Blit­ze wur­den sel­te­ner, und der Ha­gel, der in Strö­men nie­der­klatsch­te, fiel in Säu­len durch die Lücken der dich­ten Zwei­ge.

Hät­te ich die Be­deu­tung al­ler der Er­schei­nun­gen, die ich ge­se­hen hat­te, klar er­fasst, dann hät­te ich wohl un­ver­züg­lich den Weg über Byfleet nach Street Chob­ham ein­ge­schla­gen und wäre auf die­se Wei­se zu­rück­ge­kehrt, um mich mit mei­ner Frau in Lea­ther­head wie­der zu ver­ei­ni­gen. Aber in je­ner Nacht ver­hin­der­ten mich die Selt­sam­keit mei­ner Er­leb­nis­se und mein elen­des kör­per­li­ches Be­fin­den dar­an; denn ich war zer­schun­den, er­mat­tet, bis auf die Haut durch­nässt, und vom Sturm be­täubt und ge­blen­det.

Ich hat­te nur ganz un­be­stimmt den Plan, nach mei­nem Haus zu ge­lan­gen, und das war der ein­zi­ge Ge­dan­ke, der mich er­füll­te. Ich stol­per­te über die Baum­strün­ke, fiel in eine Pfüt­ze, ver­letz­te mei­ne Knie an ei­ner Plan­ke, und stapf­te mich end­lich bis zu dem Wege durch, der vom Gast­haus »Zum Col­le­ge-Wap­pen« hin­un­ter­führt. Ich sage stapf­te, denn das stür­mi­sche Was­ser schwemm­te den Sand in schmut­zi­gen Wild­bä­chen den Hü­gel hin­ab. In die­ser Dun­kel­heit tau­mel­te plötz­lich ein Mann ge­gen mich und stieß mich fast zu Bo­den.

Er stieß einen Schre­ckens­schrei aus, sprang zur Sei­te und rann­te wie be­ses­sen da­von, be­vor ich mei­ne Ge­dan­ken so weit sam­meln konn­te, um mit ihm zu spre­chen. Aber die Wut des Stur­mes war ge­ra­de an die­ser Stel­le so hef­tig, dass ich nur mit dem Auf­ge­bot mei­ner gan­zen Kräf­te den Weg hü­gel­auf­wärts ge­win­nen konn­te. Ich ging dicht an das Ge­län­der zu mei­ner Lin­ken her­an und tas­te­te mich an den Plan­ken wei­ter.

Nahe der Spit­ze des Hü­gels stol­per­te ich über et­was Wei­ches und beim Zu­cken ei­nes Blit­zes, sah ich zu mei­nen Fü­ßen eine Mas­se schwar­zen Tu­ches und ein paar Stie­fel. Be­vor ich deut­lich er­se­hen konn­te, in wel­chem Zu­stand der Mann dalag, war das Fla­ckern des Lich­tes wie­der ver­schwun­den. Ich blieb über ihn ge­beugt ste­hen und war­te­te auf den nächs­ten Blitz. Als er kam, sah ich, dass es ein kräf­ti­ger Mann war, ein­fach aber nicht schä­big ge­klei­det, sein Kopf war un­ter sei­nem Kör­per ver­bor­gen, und er lag zu­sam­men­ge­krümmt hart am Ge­län­der, als wäre er hef­tig ge­gen den Zaun ge­schleu­dert wor­den.

Den Wi­der­wil­len, der bei ei­nem Men­schen, wel­cher noch nie zu­vor einen to­ten Kör­per be­rührt hat­te, na­tür­lich war, be­kämp­fend, bück­te ich mich nie­der und kehr­te ihn um, nach sei­nem Her­zen füh­lend. Er war tot. Of­fen­bar war sein Ge­nick ge­bro­chen. Ein drit­ter Blitz zuck­te, und das Ge­sicht des Man­nes leuch­te­te auf. Ich sprang auf mei­ne Füße. Es war der Wirt des »Ge­fleck­ten Hun­des«, des­sen Wa­gen ich ge­mie­tet hat­te.

Ich stieg be­hut­sam über ihn und eil­te den Hü­gel wei­ter hin­auf. Ich nahm mei­nen Weg an der Po­li­zei-Wach­stu­be und dem »Col­le­ge-Wap­pen« vor­bei nach mei­nem Haus. Nichts brann­te auf der Hü­gel­sei­te, aber auf der Wei­de sah man einen ro­ten Schein und ein wil­des Qual­men rot­gel­ben Rau­ches kämpf­te mit dem nie­der­strö­men­den Ha­gel. So­weit ich es beim Licht der Blit­ze un­ter­schei­den konn­te, wa­ren die Häu­ser in mei­ner Um­ge­bung meist un­ver­sehrt. Vor dem Gast­haus lag eine dunkle Mas­se auf der Stra­ße.

Von der Stra­ße, ab­wärts ge­gen die May­bu­ry-Brücke zu, hör­te ich Stim­men und das Geräusch von Fü­ßen. Aber ich hat­te nicht den Mut zu ru­fen oder hin­zu­ge­hen. Ich öff­ne­te die Türe mit mei­nem Haus­schlüs­sel, trat ein, ver­schloss und ver­rie­gel­te das Tor, stol­per­te bis zum Fuß der Trep­pe und setz­te mich nie­der. Mei­ne Ein­bil­dungs­kraft war er­füllt von je­nen sau­sen­den me­tal­li­schen Un­ge­tü­men, und von dem to­ten Kör­per, der ge­gen das Ge­län­der ge­schleu­dert war.

Ich ver­kroch mich am Fuß der Trep­pe, mei­nen Rücken an die Mau­er leh­nend und fie­ber­te hef­tig.

XI. Am Fenster

Ich habe be­reits er­wähnt, dass die Stür­me mei­ner Er­re­gung die Ei­gen­heit ha­ben, sich zu er­schöp­fen. Nach ei­ni­ger Zeit ent­deck­te ich, dass ich kalt und nass sei, und be­merk­te ei­ni­ge klei­ne Was­ser­pfüt­zen, die sich auf dem Stie­gen­tep­pich ge­bil­det hat­ten. Ich stand fast me­cha­nisch auf, ging ins Spei­se­zim­mer und trank et­was Whis­key. Dann erst fühl­te ich die Not­wen­dig­keit, mei­ne Klei­der zu wech­seln.

Nach­dem ich das ge­tan hat­te, ging ich die Stie­ge hin­auf in mein Stu­dier­zim­mer; aber warum ich das tat, weiß ich nicht. Das Fens­ter mei­nes Stu­dier­zim­mers blick­te über die Bäu­me und die Ei­sen­bahn hin­weg, auf die Hor­sell-Wei­de. In der Hast un­se­rer Abrei­se war die­ses Fens­ter of­fen­ge­blie­ben. Der Weg war dun­kel, und im Ge­gen­satz zu dem Bild, das der Fens­ter­rah­men ein­schloss, schi­en die­se Sei­te des Zim­mers un­durch­dring­lich fins­ter zu sein. Ich blieb auf der Tür­schwel­le ste­hen.

Das Ge­wit­ter war vor­über. Die Tür­me der ori­en­ta­li­schen Schu­le und die Fich­ten­bäu­me, die sie um­ge­ben hat­ten, wa­ren ver­schwun­den. In wei­ter Fer­ne war, von ei­nem leb­haf­ten ro­ten Schein er­hellt, die Wei­de um die Sand­gru­ben her­um sicht­bar. Jen­seits des Lich­tes be­weg­ten sich rie­sen­große, schwar­ze Ge­stal­ten, gro­tesk und selt­sam, und lie­fen ge­schäf­tig hin und her.

Es schi­en in der Tat so, als stün­de das gan­ze Land in je­ner Ge­gend in Flam­men. Eine brei­te Hü­gel­sei­te war be­sät mit win­zi­gen Feu­er­zun­gen, die in den Wind­stö­ßen des ster­ben­den Stur­mes sich wan­den und dreh­ten und einen ro­ten Wi­der­schein auf die Wol­ken­zü­ge über ih­nen war­fen. Von Zeit zu Zeit trieb ein Rauch­schlei­er, der von ei­ner nä­he­ren Feu­ers­brunst kam, am Fens­ter vor­bei und ver­hüll­te die Ge­stal­ten der Mars­leu­te. Ich konn­te nicht se­hen, was sie mach­ten, noch ver­moch­te ich deut­lich ihre For­men aus­zu­neh­men; am al­ler­we­nigs­ten war ich im­stan­de, die schwar­zen Ge­gen­stän­de zu er­ken­nen, mit de­nen sie sich so ge­schäf­tig be­fass­ten. Auch konn­te ich das nä­he­re Feu­er nicht ent­de­cken, ob­wohl sein Wi­der­schein an den Wän­den und der De­cke mei­nes Stu­dier­zim­mers tanz­te. Ein schar­fer, har­zi­ger Ge­ruch von Feu­er war in der Luft.

Geräusch­los schloss ich die Türe und schlich ge­gen das Fens­ter zu. Je nä­her ich kam, de­sto mehr wei­te­te sich mein Aus­blick, bis er auf der einen Sei­te die Häu­ser am Bahn­hof von Wo­king, auf der an­de­ren das ver­kohl­te und ge­schwärz­te Fich­ten­ge­hölz von Byfleet er­reich­te. Un­ten am Fuße des Hü­gels, bei der Ei­sen­bahn, nahe dem Schwib­bo­gen, war ein Licht zu be­mer­ken, und meh­re­re Häu­ser an der May­bu­ry Road und in den Gas­sen beim Bahn­hof wa­ren nichts als glim­men­de Trüm­mer. Das Licht auf der Bahn­stre­cke mach­te mich zu­erst stut­zig; ich sah eine schwar­ze Mas­se und einen leb­haf­ten Schein, und rechts da­von eine Rei­he gel­ber Recht­e­cke. Da er­kann­te ich, dass es ein zer­stör­ter Zug war, die vor­de­ren Tei­le zer­schmet­tert und in Flam­men, die hin­te­ren Wa­gen noch auf den Schie­nen.

Zwi­schen die­se drei Haupt­feu­er­her­de, die Häu­ser, den Zug, und das bren­nen­de Land bei Chob­ham scho­ben sich un­re­gel­mä­ßi­ge Stre­cken dunklen Bo­dens, hie und da durch­bro­chen von Strei­fen schwach glim­mern­den und rau­chen­den Erd­reichs. Es war ein über­aus selt­sa­mes Schau­spiel, die­se weit­hin aus­ge­dehn­te, mit feu­ri­gen Punk­ten über­sä­te Flä­che. Mehr als an al­les an­de­re er­in­ner­te es mich an Töp­fe­rei­en zur Nacht­zeit ge­se­hen. Leu­te konn­te ich zu­erst nicht ent­de­cken, ob­wohl ich eif­rig nach ih­nen aus­blick­te. Spä­ter sah ich in der Rich­tung des Lich­tes auf dem Bahn­hof von Wo­king eine An­zahl schwar­zer Ge­stal­ten, die eine nach der an­de­ren über die Licht­li­nie eil­ten.

Und das war die klei­ne Welt, in der ich jah­re­lang so sorg­los ge­lebt hat­te, die­ses feu­ri­ge Cha­os! Was ei­gent­lich in den letz­ten sie­ben Stun­den ge­sche­hen war, wuss­te ich noch im­mer nicht. Noch er­kann­te ich nicht, ob­wohl ich es all­mäh­lich zu er­ra­ten be­gann, den Zu­sam­men­hang zwi­schen je­nen me­cha­ni­schen Un­ge­heu­ern und den schwer­fäl­li­gen Klum­pen, die der Zy­lin­der aus­ge­spien hat­te. In ei­nem ei­gen­tüm­li­chen Ge­fühl un­per­sön­li­chen In­ter­es­ses schob ich mei­nen Schreib­tisch­stuhl ans Fens­ter, setz­te mich nie­der und starr­te hin­aus in die ge­schwärz­te Land­schaft, und be­son­ders auf jene rie­si­gen schwar­zen Un­hol­de, die dort im Licht­schein bei den Sand­gru­ben auf- und nie­de­reil­ten.

Sie schie­nen er­staun­lich ge­schäf­tig. Ich be­gann mich zu fra­gen, was sie wohl sein könn­ten. Wa­ren sie ver­nunft­be­gab­te Mecha­nis­men? Doch ich fühl­te, so ein Ding sei un­mög­lich. Oder saß in je­dem ein Mars­mann, der es be­herrsch­te, be­weg­te und lei­te­te, so wie das Ge­hirn des Men­schen in sei­nem Kör­per sitzt und herrscht? Ich fing an, die­se Din­ge mit mensch­li­chen Ma­schi­nen zu ver­glei­chen, mich zum ers­ten Mal in mei­nem Le­ben zu fra­gen, was wohl ein ver­nünf­ti­ges aber tiefer­ste­hen­des We­sen von ei­nem Pan­zer­schiff, ei­ner Dampf­ma­schi­ne den­ken möge.

Der Sturm hat­te den Him­mel ge­klärt, und über dem Rauch des bren­nen­den Lan­des ver­sank der klei­ne ver­blas­sen­de Steck­na­del­kopf des Mars im Wes­ten, als ein Sol­dat in mei­nen Gar­ten kam. Beim Gar­ten­zaun hör­te ich ein lei­ses Schar­ren und, aus der Er­star­rung, die mich er­fasst hat­te, mich auf­raf­fend, blick­te ich hin­ab und sah ihn un­deut­lich, wie er über die Plan­ken klet­ter­te. Beim An­blick ei­nes an­de­ren mensch­li­chen We­sens ver­ließ mich mei­ne Be­täu­bung, und ich lehn­te mich, eif­rig lau­schend, aus dem Fens­ter.

»Pst!«,rief ich lei­se.

Er blieb, wie im Zwei­fel, auf dem Ge­län­der rei­tend. Dann stieg er her­über und kam über den Ra­sen zur Ecke des Hau­ses. Er ging vor­ge­beugt und trat nur lei­se auf.

»Wer ist da?«, rief er im glei­chen Flüs­ter­ton. Er stand un­ter dem Fens­ter und späh­te her­auf.

»Wo­hin ge­hen Sie?«, frag­te ich.

»Gott weiß es.«

»Wol­len Sie sich ver­ste­cken?«

»Ja­wohl.«

»Mein Gott!«, sag­te er, als ich ihn her­ein­zog.

 

»Kom­men Sie ins Haus«, sag­te ich.

Ich ging hin­ab, öff­ne­te die Tür und ließ ihn her­ein. Dann schloss ich die Türe wie­der ab. Sein Ge­sicht konn­te ich nicht se­hen. Er war ohne Hut, und sein Rock war of­fen.

»Was ist denn ge­sche­hen?«, frag­te ich.

»Was ist nicht ge­sche­hen?« Selbst in der Dun­kel­heit konn­te ich se­hen, wie er eine Ge­bär­de der Verzweif­lung mach­te. »Sie ha­ben uns weg­ge­wischt — ein­fach weg­ge­wischt«, wie­der­hol­te er im­mer wie­der.

Er folg­te mir fast me­cha­nisch ins Spei­se­zim­mer.

»Neh­men Sie et­was Whis­key«, sag­te ich und schenk­te ihm ein tüch­ti­ges Glas voll ein.

Er trank es aus. Dann setz­te er sich plötz­lich an den Tisch, leg­te sei­nen Kopf auf sei­ne Arme und be­gann zu wei­nen und zu schluch­zen wie ein klei­nes Kind, in ei­ner ge­ra­de­zu lei­den­schaft­li­chen Er­re­gung. Ich stand in ei­ner merk­wür­di­gen Ver­ges­sen­heit mei­ner ei­ge­nen eben emp­fun­de­nen Verzweif­lung voll Stau­nen ne­ben ihm.

Es dau­er­te eine Wei­le, ehe er sei­ner Ner­ven so weit Herr wur­de, um mei­ne Fra­gen zu be­ant­wor­ten, und dann konn­te er nur ver­wor­ren und ge­bro­chen spre­chen. Er war Kut­scher in der Ar­til­le­rie und war erst um sie­ben Uhr ins Ge­fecht ge­kom­men. Zu je­ner Zeit war das Ge­schütz­feu­er auf der Wei­de schon in vol­lem Gan­ge. Man sag­te, dass die ers­te Ab­tei­lung der Mars­leu­te lang­sam zum zwei­ten Zy­lin­der hin­kroch, un­ter dem Schut­ze ei­nes Me­tall­schil­des.

Spä­ter er­hob sich die­ser Schild auf ein drei­fü­ßi­ges Ge­stell und wur­de die ers­te je­ner Kriegs­ma­schi­nen, die ich ge­se­hen hat­te. Das Ge­schütz, das er lenk­te, war bei Hor­sell in Stel­lung ge­bracht wor­den, mit dem Be­fehl, die Sand­gru­ben zu be­strei­chen, und sei­ne An­kunft hat­te den Kampf be­schleu­nigt. Als die Protzwa­gen­ka­no­nie­re sich zur Nach­hut be­ga­ben, trat sein Pferd in ein Ka­nin­chen­loch, kam zu Fall und schleu­der­te ihn in eine ein­ge­sun­ke­ne Erd­stel­le. Im sel­ben Au­gen­blick ex­plo­dier­te die Ka­no­ne hin­ter ihm, die Mu­ni­ti­on flog in die Luft, al­les um ihn her­um stand in Flam­men und er fand sich un­ter ei­nem Hau­fen ver­kohl­ter Lei­chen und to­ter Pfer­de lie­gen.

»Ich lag ganz still«, er­zähl­te er, »be­sin­nungs­los vor Schre­cken, das Vor­der­teil ei­nes Pfer­des auf mir. Wir wa­ren weg­ge­wischt wor­den. Und der Ge­ruch — gu­ter Gott! Wie ver­brann­tes Fleisch! Mein gan­zer Rücken war wund durch den Sturz des Pfer­des, und ich muss­te dort lie­gen blei­ben, bis ich mich bes­ser fühl­te. Eine Mi­nu­te vor­her war es ganz so wie bei ei­ner Pa­ra­de ge­we­sen — dann ein Stol­pern, ein Kra­chen, ein Zi­schen!«

»Weg­ge­wischt!«, sag­te er.

Lan­ge Zeit lag er un­ter dem to­ten Pferd ver­bor­gen; nur ver­stoh­len späh­te er auf die Wei­de hin­aus. Die Män­ner des Car­di­gan-Re­gi­ments hat­ten einen Sturm ver­sucht, in Plän­kel­ord­nung,1 auf die Gru­be los, um ein­fach aus dem Le­ben hin­aus­ge­fegt zu wer­den. Dann hat­te sich das Un­ge­tüm auf sei­ne Füße er­ho­ben und wan­der­te ge­mäch­lich zwi­schen den we­ni­gen Flüch­ti­gen die Wei­de ent­lang auf und ab. Da­bei dreh­te sich sei­ne kopf­ar­ti­ge Be­da­chung nach al­len Sei­ten, ge­nau so wie der Kopf ei­nes mit ei­ner Ka­pu­ze be­klei­de­ten Men­schen. Eine Art Arm trug einen kom­pli­zier­ten me­tal­li­schen Be­häl­ter, aus dem grü­ne Blit­ze sprüh­ten, und aus ei­nem dar­an be­fes­tig­ten Trich­ter fuhr der Hit­ze­strahl.

So­weit der Sol­dat se­hen konn­te, war auf der Wei­de nach we­ni­gen Mi­nu­ten kein le­ben­des We­sen mehr üb­rig ge­blie­ben, und je­der Busch, je­der Baum, der nicht schon ein ge­schwärz­tes Ge­rip­pe war, stand in Flam­men. Jen­seits der Bo­den­er­he­bung wa­ren die Husa­ren auf der Stra­ße ge­stan­den, aber er sah kei­ne Spur von ih­nen. Er hör­te noch ei­ni­ge Zeit die Ma­xim-Ge­schüt­ze2 ras­seln, aber dann wur­de al­les still. Das Un­ge­heu­er schon­te den Bahn­hof von Wo­king und die Häu­ser­grup­pe um ihn bis zu­letzt; dann aber wur­de plötz­lich der Hit­ze­strahl hin­ge­lenkt, und die Stadt wur­de ein Hau­fen bren­nen­der Trüm­mer. Da­rauf schloss die Ma­schi­ne den Hit­ze­strahl und be­gann, in­dem sie dem Ar­til­le­ris­ten den Rücken wand­te, ge­gen das glü­hen­de Fich­ten­ge­hölz zu wat­scheln, das den zwei­ten Zy­lin­der barg. Im sel­ben Au­gen­blick er­hob sich ein zwei­ter glit­zern­der Ti­tan aus der Gru­be.

Das zwei­te Un­ge­tüm folg­te dem ers­ten, und dann erst be­gann der Ar­til­le­rist sehr be­hut­sam, über die hei­ße Hei­dea­sche hin nach Hor­sell zu krie­chen. Es ge­lang ihm, le­bend bis zu ei­ner Pfüt­ze im Stra­ßen­gra­ben zu ge­lan­gen, und so ent­kam er nach Wo­king. Von da an be­stand sein Be­richt nur aus wir­ren Aus­ru­fen. Durch den Ort zu kom­men war un­mög­lich. Nur we­ni­ge Leu­te schie­nen noch am Le­ben zu sein, die meis­ten wa­ren wahn­sin­nig, vie­le mit Brand­wun­den oder halb­ver­brüht. Er ging um das Feu­er her­um, und ver­barg sich un­ter ei­ni­ge, fast ver­sen­gend hei­ße Trüm­mer zer­bors­te­nen Mau­er­werks. Da kehr­te ei­nes der Mar­sun­ge­heu­er zu­rück. Er sah, wie es einen Mann ver­folg­te, ihn mit ei­nem sei­ner stäh­ler­nen Füh­ler er­griff und sei­nen Kopf ge­gen den Stamm ei­ner Fich­te schmet­ter­te. End­lich, nach Ein­bruch der Nacht, lief der Ar­til­le­rist in ei­li­ger Hast zum Bahn­damm und ge­lang­te glück­lich hin­über.

Seit­dem hat­te er sich wei­ter ge­gen May­bu­ry zu fort­ge­schli­chen, in der Hoff­nung, wei­te­ren Ge­fah­ren zu ent­rin­nen, wenn er die Rich­tung nach Lon­don ein­schlug. Die Leu­te hiel­ten sich in Grä­ben und Kel­lern ver­bor­gen, und vie­le der Über­le­ben­den hat­ten sich nach Wo­king Vil­la­ge und Send auf­ge­macht. Der Mann war fast ver­schmach­tet vor Durst, bis er end­lich in der Nähe des Brücken­bo­gens der Ei­sen­bahn ein ge­bors­te­nes Was­ser­rohr ent­deck­te, aus dem das Was­ser wie aus ei­ner Quel­le sich auf die Stra­ße er­goss.

Das war der Be­richt, den ich Stück für Stück aus ihm her­aus­be­kam. Wäh­rend des Er­zäh­lens wur­de er ru­hi­ger und ver­such­te, mir die Din­ge so an­schau­lich zu ma­chen, wie er sie ge­se­hen hat­te. Seit Mit­tag, sag­te er mir gleich an­fangs, hat­te er kei­nen Bis­sen zu sich ge­nom­men. Ich fand et­was Ham­mel­fleisch und Brot in der Spei­se­kam­mer und brach­te es ins Zim­mer. Wir zün­de­ten kei­ne Lam­pen an, aus Furcht, die Auf­merk­sam­keit der Mars­leu­te auf uns zu len­ken. Und im­mer wie­der stie­ßen un­se­re Hän­de zu­sam­men, wenn wir nach Brot oder Fleisch lang­ten. Wäh­rend er sprach, tra­ten die Ge­gen­stän­de um uns dun­kel aus der Dun­kel­heit her­aus, und die nie­der­ge­tre­te­nen Bü­sche und Ro­sen­sträu­cher drau­ßen wur­den deut­lich sicht­bar. Es sah aus, als hät­te eine Schar Men­schen oder Tie­re den Ra­sen zer­stampft. All­mäh­lich nahm ich auch das Ge­sicht mei­nes Gas­tes wahr; es war ge­schwärzt und ein­ge­fal­len, wie ohne Zwei­fel auch das mei­ne.

Nach­dem wir un­se­re Mahl­zeit be­en­digt hat­ten, tapp­ten wir uns lei­se in mein Stu­dier­zim­mer hin­auf, und ich blick­te wie­der durch das of­fe­ne Fens­ter. In ei­ner ein­zi­gen Nacht war aus dem Tal eine Aschen­stät­te ge­wor­den. Die Feu­er wa­ren jetzt her­un­ter­ge­brannt. Wo Flam­men ge­we­sen wa­ren, sah man jetzt nur Rauch­säu­len. Aber die zahl­lo­sen Trüm­mer ein­ge­stürz­ter und ver­wüs­te­ter Häu­ser, die ge­bors­te­nen und ge­schwärz­ten Bäu­me, wel­che die Nacht ver­hüllt hat­te, er­ho­ben sich nun un­heim­lich und furcht­bar in dem un­barm­her­zi­gen Schein der Mor­gen­däm­me­rung. Hie und da aber war ein Ge­gen­stand glück­lich dem Ver­der­ben ent­ron­nen — hier ein wei­ßes Ei­sen­bahn­si­gnal, dort das Ende ei­nes Glas­hau­ses, weiß und heil in­mit­ten der Ver­hee­rung. Nie vor­her in der Ge­schich­te der Kriegs­füh­rung war eine Zer­stö­rung so wahl­los und all­ge­mein vor sich ge­gan­gen. Und be­leuch­tet von dem auf­stei­gen­den Licht im Os­ten, stan­den drei je­ner me­tal­li­schen Rie­sen bei der Gru­be. Ihre Dach­kap­pen dreh­ten sich im Krei­se her­um, als über­blick­ten sie die Ver­wüs­tung, die sie an­ge­rich­tet hat­ten.