H. G. Wells – Gesammelte Werke

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17 – Der Kampf in der Höhle der Mondschlächter

Ich weiß nicht, wie weit wir klet­ter­ten, ehe wir an ein Git­ter ka­men. Vi­el­leicht wa­ren wir nur erst ein paar hun­dert Fuß ge­stie­gen, aber da­mals schi­en es mir, wir könn­ten uns wohl eine Mei­le weit oder mehr senk­rech­ter Stei­gung em­por­ge­zo­gen und ge­scho­ben und ge­sto­ßen und ge­keilt ha­ben. So oft ich an die Zeit den­ke, kommt mir das schwe­re Klim­pern un­se­rer gol­de­nen Ket­ten in den Kopf, das je­der Be­we­gung folg­te. Sehr bald wa­ren mir Knö­chel und Knie wund, und auf ei­ner Ba­cke hat­te ich eine Beu­le. Nach ei­ni­ger Zeit ließ die ers­te Ge­walt un­se­rer An­stren­gun­gen nach, und un­se­re Be­we­gun­gen wur­den über­leg­ter und we­ni­ger müh­sam. Der Lärm der ver­fol­gen­den Se­le­ni­ten war völ­lig er­stor­ben. Es schi­en fast, als hät­ten sie uns doch den Riss hin­auf nicht nach­ge­spürt, ob­gleich der be­red­te Hau­fen von Pil­zen dar­un­ter ge­le­gen ha­ben muss. Zu­zei­ten wur­de der Spalt so eng, dass wir uns kaum hin­auf­quet­schen konn­ten; zu an­de­ren er­wei­ter­te er sich zu dru­si­gen Höh­lun­gen, die mit stach­li­gen Kris­tal­len be­setzt wa­ren oder dicht be­wach­sen mit stump­fen, leuch­ten­den, schwam­mi­gen Fin­nen. Bis­wei­len wand er sich spi­ral­för­mig, und zu an­de­ren Zei­ten schräg­te er sich fast bis zur ho­ri­zon­ta­len Rich­tung ab. Hin und wie­der hör­ten wir das in­ter­mit­tie­ren­de Tröp­feln und Rie­seln von Was­ser ne­ben uns. Ein- oder zwei­mal schi­en es uns, als wä­ren uns klei­ne Le­be­we­sen aus der Arm­wei­te fort­ge­ra­schelt, aber was es war, sa­hen wir nie. Nach al­lem, was ich weiß, kön­nen es gif­ti­ge Bes­ti­en ge­we­sen sein, aber sie ta­ten uns nichts zu lei­de, und wir wa­ren jetzt in ei­ner Ver­fas­sung, in der ein un­heim­li­ches, schlei­chen­des We­sen mehr oder we­ni­ger nichts mehr aus­mach­te. Und zu­letzt kam weit über uns wie­der das ge­wohn­te bläu­li­che Licht, und dann sa­hen wir, es rann durch ein Git­ter her­ab, das uns den Weg ver­sperr­te.

Wir flüs­ter­ten, als wir ein­an­der dar­auf auf­merk­sam mach­ten, und wir wur­den in un­serm Auf­stieg im­mer vor­sich­ti­ger. Dann ka­men wir dicht an das Git­ter, und wenn ich das Ge­sicht ge­gen sei­ne Stan­gen press­te, konn­te ich einen be­schränk­ten Teil der Höh­le da­hin­ter se­hen. Es war of­fen­bar ein großer Raum und er­leuch­tet ohne Zwei­fel von ei­nem Rinn­sal des­sel­ben blau­en Lich­tes, das wir aus der po­chen­den Ma­schi­ne hat­ten flie­ßen se­hen. Nahe an mei­nem Ge­sich­te fie­len hin und wie­der in­ter­mit­tie­ren­de Was­ser­trop­fen durch die Stä­be hin­durch.

Mei­ne ers­te Be­mü­hung war na­tür­lich, zu se­hen, was auf dem Bo­den der Höh­le sein moch­te, aber un­ser Git­ter lag in ei­ner Sen­kung, de­ren Rand un­se­ren Au­gen all das ver­barg. Dann kehr­te un­se­re ver­ei­tel­te Auf­merk­sam­keit zu den An­deu­tun­gen der man­nig­fa­chen Töne zu­rück, die wir hör­ten, und als­bald fiel mein Blick auf eine An­zahl schwa­cher Schat­ten, die über das dunkle Dach weit zu Häup­ten spiel­ten.

Un­be­streit­bar wa­ren meh­re­re Se­le­ni­ten, viel­leicht eine be­trächt­li­che An­zahl, in die­sem Rau­me, denn wir konn­ten die Töne ih­rer Un­ter­hal­tung hö­ren, und noch schwa­che Schal­le, die ich als ihre Schrit­te er­kann­te. Wir ver­nah­men auch eine Fol­ge sich re­gel­mä­ßig wie­der­ho­len­der Schal­le – schwipp, schwipp, schwipp – die an ein Mes­ser oder einen Spa­ten er­in­ner­ten, mit dem man in et­was Wei­ches hackt. Dann kam ein Ras­seln wie von Ket­ten, ein Pfei­fen und Rum­peln, wie wenn ein Kar­ren über et­was Hoh­les läuft, und dann wie­der je­nes schwipp – schwipp – schwipp. Die Schat­ten spra­chen von Ge­stal­ten, die sich schnell und rhyth­misch im Ein­klang mit je­nem re­gel­mä­ßi­gen Schall be­weg­ten und ruh­ten, wenn er auf­hör­te.

Wir ta­ten die Köp­fe nah zu­sam­men und be­gan­nen die­se Din­ge mit ge­räusch­lo­sem Flüs­tern zu er­ör­tern.

»Sie sind be­schäf­tigt«, sag­te ich, »sie sind ir­gend­wie be­schäf­tigt.«

»Ja.«

»Sie su­chen uns nicht und den­ken nicht an uns.«

»Vi­el­leicht ha­ben sie noch nicht von uns ge­hört.«

»Die an­de­ren ja­gen da un­ten her­um. Wenn wir hier plötz­lich er­schie­nen – –«

Wir blick­ten ein­an­der an.

»Es könn­te mög­lich sein zu ver­han­deln«, sag­te Ca­vor.

»Nein«, sag­te ich. »Nicht, wie wir sind.«

Eine Zeit lang blie­ben wir still, je­der mit sei­nen ei­ge­nen Ge­dan­ken be­schäf­tigt.

Schwipp, schwipp, schwipp mach­te das Ha­cken, und die Schat­ten be­weg­ten sich hin und her.

Ich sah mir das Git­ter an. »Es ist nicht stark«, sag­te ich. »Wir kön­nen zwei von den Stan­gen bie­gen und durch­krie­chen.«

Wir ver­schwen­de­ten ei­ni­ge Zeit mit un­be­stimm­ter Dis­kus­si­on. Dann fass­te ich eine der Stan­gen mit bei­den Hän­den und stemm­te die Füße ge­gen den Fel­sen, bis sie mit mei­nem Kop­fe fast auf ei­ner Höhe wa­ren, und zog dann an der Stan­ge. Sie bog sich so plötz­lich, dass ich fast fiel. Ich klet­ter­te her­um und bog die be­nach­bar­te Stan­ge in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung, nahm dann den leuch­ten­den Pilz aus der Ta­sche und warf ihn den Spalt hin­un­ter.

»Tun Sie nichts Übe­reil­tes«, flüs­ter­te Ca­vor, als ich mich durch die er­wei­ter­te Öff­nung hin­auf­wand. Ich be­kam, als ich durch das Git­ter hoch­stieg, flüch­tig ge­schäf­ti­ge Ge­stal­ten zu se­hen und bück­te mich so­fort wie­der, so­dass mich der Rand der Sen­kung, in der das Git­ter lag, vor ih­ren Au­gen ver­barg; ich leg­te mich flach hin und gab Ca­vor durch Zei­chen Ratschlä­ge, als auch er An­stalt mach­te, her­auf­zu­kom­men. Bald la­gen wir Sei­te an Sei­te in der Sen­kung und späh­ten über den Rand in die Höh­le hin­ein und nach ih­ren In­ha­bern.

Die Höh­le war viel wei­ter, als wir nach un­serm ers­ten Blick ver­mu­tet hat­ten, und wir blick­ten von der nied­rigs­ten Stel­le ih­res ab­schüs­si­gen Bo­dens hin­auf. Sie er­wei­ter­te sich, je mehr sie von uns fort­lief, und ihr Dach senk­te sich und ver­barg uns den ent­fern­te­ren Teil völ­lig. Und ihre gan­ze Län­ge ent­lang, schließ­lich in der rie­si­gen Per­spek­ti­ve weit­hin ver­schwin­dend, la­gen in ei­ner Rei­he eine An­zahl rie­si­ger Ge­stal­ten, rie­si­ger blei­cher Rümp­fe, an de­nen die Se­le­ni­ten ar­bei­te­ten. Erst schie­nen es große wei­ße Zy­lin­der un­be­stimm­ten In­halts zu sein. Dann fie­len mir die Köp­fe an ih­nen auf, die uns zu­ge­wandt la­gen, au­gen- und haut­los wie die Köp­fe von Scha­fen bei ei­nem Schläch­ter, und ich be­merk­te, dass es die Lei­chen von Mond­käl­bern wa­ren, auf­ge­schnit­ten, wie etwa die Mann­schaft ei­nes Wal­fisch­fän­gers einen ver­an­ker­ten Wal­fisch auf­schnei­den moch­te. Sie schnit­ten das Fleisch in Strei­fen ab, und an ei­ni­gen der ent­fern­te­ren Rümp­fe sah man die wei­ßen Rip­pen. Ihre Bei­le hat­ten je­nes Geräusch – das Schwipp-schwapp-schwipp – ge­macht. In ei­ni­ger Ent­fer­nung lief et­was wie ein Roll­wa­gen­ka­bel, das Klum­pen lo­sen Flei­sches auf Kar­ren zog, den Hang des Höh­len­bo­dens hin­auf. Die­se un­ge­heu­re lan­ge Rei­he von Rümp­fen, die als Nah­rung die­nen soll­ten, gab uns ein Ge­fühl von der rie­si­gen Be­völ­ke­rung der Mond­welt, das nur der Wir­kung un­se­res ers­ten Blickes in den Schacht hin­un­ter nach­stand.

Mir schi­en erst, die Se­le­ni­ten müss­ten auf Plan­ken1 ste­hen, die von ei­nem Holz­ge­rüst ge­tra­gen wur­den, und dann sah ich, dass die Plan­ken und die Stüt­zen und ihre Bei­le in Wirk­lich­keit von der­sel­ben Blei­far­be wa­ren, die mei­ne Fes­seln ge­zeigt hat­ten, ehe wei­ßes Licht auf sie ge­fal­len war. Eine An­zahl sehr dick aus­se­hen­der He­be­stan­gen lag am Bo­den um­her; sie hat­ten of­fen­bar ge­dient, das tote Mond­kalb auf die Sei­te zu kip­pen. Sie wa­ren viel­leicht sechs Fuß lang und hat­ten ge­form­te Grif­fe; sie sa­hen als Waf­fen sehr ver­lo­ckend aus. Der gan­ze Raum wur­de von drei Qu­er­strö­men der blau­en Flüs­sig­keit er­leuch­tet.

Eine lan­ge Zeit la­gen wir da und be­ob­ach­te­ten die­se Din­ge schwei­gend. »Nun?«, sag­te Ca­vor schließ­lich. »Wenn sie die­se Kör­per nicht mit ei­nem Krahn her­ab­ge­las­sen ha­ben«, sag­te ich, »müs­sen wir der Ober­flä­che nä­her sein als ich dach­te.«

»Wa­rum?«

»Das Mond­kalb springt nicht, und es hat kei­ne Flü­gel.«

Er späh­te wie­der über den Rand der Sen­kung. »Ich wun­de­re mich jetzt …« be­gann er. »So sind wir schließ­lich über­haupt nicht weit von der Ober­flä­che fort­ge­kom­men – –«

Ich un­ter­brach ihn, in­dem ich ihn am Arm pack­te. Ich hat­te ein Geräusch aus der Spal­te un­ter uns ge­hört!

Wir wand­ten uns her­um und la­gen to­ten­still, mit je­dem Sinn auf der Hut. Nach ei­ni­ger Zeit zwei­fel­te ich nicht mehr, dass ir­gend et­was in dem Spalt her­auf­stieg. Sehr lang­sam und sehr ge­räusch­los si­cher­te ich mir einen fes­ten Griff an mei­ner Ket­te und dann war­te­te ich, dass das Et­was er­schei­nen soll­te.

»Se­hen Sie noch mal eben nach den Ker­len mit den Bei­len«, sag­te ich.

»Da ist al­les ru­hig«, sag­te Ca­vor.

Ich ziel­te pro­vi­so­risch ein­mal nach dem Loch im Git­ter. Jetzt konn­te ich das lei­se Ge­zwit­scher der auf­stei­gen­den Se­le­ni­ten, das Klap­sen ih­rer Hän­de an den Fel­sen und den Fall des Stau­bes un­ter ih­ren Grif­fen beim Klim­men ganz deut­lich hö­ren.

Dann konn­te ich er­ken­nen, dass sich in der Schwär­ze un­ter dem Git­ter­dun­kel et­was be­weg­te, aber was es sein moch­te, konn­te ich nicht un­ter­schei­den. Die gan­ze Sa­che schi­en einen kur­z­en Mo­ment zu ver­sa­gen – dann krach! ich war auf die Füße ge­sprun­gen und hat­te wild nach et­was ge­schla­gen, was auf mich her­auf­ge­blitzt war. Es war die schar­fe Spit­ze ei­nes Speers. Ich hat­te mir seit­her über­legt, sei­ne Län­ge müs­se bei der Enge des Spalts ver­hin­dert ha­ben, dass man ihn ge­nü­gend neig­te, um mich zu er­rei­chen. Auf je­den Fall schoss er wie eine Schlan­gen­zun­ge aus dem Git­ter her­vor, fehl­te, flog zu­rück und blitz­te von neu­em her­vor. Aber das zwei­te Mal griff ich zu, fass­te ihn und rang ihn fort, doch nicht ehe ein zwei­ter wir­kungs­los ge­gen mich em­por­ge­schos­sen war.

 

Ich schrie tri­um­phie­rend auf, als ich den Se­le­ni­ten mei­nem Zug einen Mo­ment wi­der­ste­hen und dann nach­ge­ben fühl­te, und dar­auf sto­cher­te ich un­ter Quie­ken aus dem Dun­kel durch die Stä­be hin­un­ter, und Ca­vor hat­te den an­de­ren Speer auf­ge­schnappt und sprang ne­ben mir und schwang ihn und voll­führ­te wir­kungs­lo­se Stö­ße. Da ras­sel­te es durch das Git­ter her­aus, und eine Axt schwirr­te durch die Luft und schlug ge­gen den Fel­sen hin­ter uns, um mich an die Flei­scher bei den Leich­na­men oben in der Höh­le zu er­in­nern.

Ich dreh­te mich um, und sie ka­men alle in of­fe­ner Ord­nung ge­gen uns an­ge­rückt und schwan­gen ihre Äxte. Es wa­ren kur­ze, di­cke, klei­ne Bett­ler, auf­fal­lend an­ders als die, die wir zu­vor ge­se­hen hat­ten. Wenn sie noch nicht von uns ge­hört hat­ten, müs­sen sie die Si­tua­ti­on mit un­glaub­li­cher Schnel­lig­keit er­fasst ha­ben. Ich starr­te sie einen Mo­ment an, den Speer in der Hand. »Be­wa­chen Sie das Git­ter da, Ca­vor«, rief ich, heul­te, um sie ein­zu­schüch­tern, und stürz­te ih­nen dann ent­ge­gen. Zwei von ih­nen fehl­ten mit ih­ren Bei­len und die üb­ri­gen flo­hen so­fort. Dann spran­gen auch die bei­den mit ge­ball­ten Hän­den und ge­senk­ten Köp­fen durch die Höh­le da­von. So habe ich Men­schen nie­mals lau­fen se­hen.

Ich wuss­te, der Speer, den ich hat­te, konn­te mir nicht viel nüt­zen. Er war dünn und zer­brech­lich, nur zum Wurf zu ge­brau­chen, und zu lang, um ihn rasch wie­der ge­fasst zu ha­ben. Da­her jag­te ich die Se­le­ni­ten nur bis zum ers­ten Leich­nam, hielt dort an und hob eine der He­be­stan­gen aus, die dort um­her­la­gen. Sie fühl­te sich tröst­lich schwer an und schi­en im­stan­de, jede Zahl von Se­le­ni­ten zu zer­schmet­tern. Ich warf mei­nen Speer fort und hob für die an­de­re Hand eine zwei­te He­be­stan­ge auf. Ich fühl­te mich fünf­mal so stark wie vor­her, als ich den Speer trug. Ich schüt­tel­te die bei­den dro­hend ge­gen die Se­le­ni­ten, die in ei­nem klei­nen An­lauf weit oben in der Höh­le Halt ge­macht hat­ten, und dreh­te mich dann um, nach Ca­vor aus­zu­schau­en.

Er sprang von Sei­te zu Sei­te um das Git­ter her­um und stieß dro­hend mit sei­nem ge­bro­che­nen Speer hin­ab. Das ge­nüg­te. Es wür­de die Se­le­ni­ten un­ten hal­ten – auf je­den Fall eine Zeit lang. Ich blick­te wie­der in die Höh­le hin­auf. Was auf al­ler Welt wol­len wir jetzt be­gin­nen?

Wir wa­ren schon auf eine Art in die Enge ge­trie­ben Aber die­se Schläch­ter oben wa­ren über­rascht wor­den, sie wa­ren wahr­schein­lich ver­ängs­tigt, und sie hat­ten kei­ne be­son­de­ren Waf­fen, nur die­se ihre klei­nen Bei­le. Und in der Rich­tung lag der Aus­weg. Ihre un­ter­setz­ten klei­nen Ge­stal­ten wa­ren auf eine Wei­se über den Hang zer­streut, die be­redt von Un­ent­schie­den­heit sprach. Ich hat­te den mo­ra­li­schen Vor­teil ei­nes tol­len Bul­len in ei­ner Stra­ße. Aber trotz al­lem schi­en ihre Zahl un­ge­heu­er zu sein. Sehr wahr­schein­lich. Die­se Se­le­ni­ten un­ten im Spalt hat­ten auf je­den Fall ein paar ver­dammt lan­ge Spee­re. Es konn­te sein, dass sie noch an­de­re Über­ra­schun­gen für uns hat­ten … Aber zum Hen­ker! wenn wir die Höh­le hin­auf­stürm­ten, muss­ten wir sie hin­ter uns her­aus­las­sen, und ta­ten wir es nicht, so wür­den die­se klei­nen Bes­ti­en oben in der Höh­le wahr­schein­lich Ver­stär­kung ho­len. Der Him­mel al­lein moch­te wis­sen, was für furcht­ba­re Kriegs­ge­rä­te – Ka­no­nen, Bom­ben, ir­di­sche Tor­pe­dos – die­se un­be­kann­te Welt un­ter un­se­ren Fü­ßen, die­se wei­te­re Welt, de­ren blo­ße Haut wir erst durch­sto­chen hat­ten, als­bald zu un­se­rer Ver­nich­tung em­por­sen­den wür­de. Mir wur­de klar, das ein­zi­ge, was wir tun konn­ten, war an­grei­fen! Es wur­de mir noch kla­rer, als die Bei­ne ei­ner An­zahl fri­scher Se­le­ni­ten er­schie­nen, die die Höh­le auf uns nie­der­lie­fen.

»Bed­ford!«, rief Ca­vor, und sie­he! er war halb­wegs zwi­schen mir und dem Git­ter.

»Ge­hen Sie zu­rück!«, rief ich. »Was ma­chen Sie –«

»Sie ha­ben – es ist wie eine Flin­te!«

Und zwi­schen je­nen ver­tei­di­gen­den Spee­ren im Git­ter em­por­rin­gend er­schie­nen Kopf und Schul­tern ei­nes merk­wür­dig ha­ge­ren und wink­li­gen Se­le­ni­ten, der einen kom­pli­zier­ten Ap­pa­rat trug.

Ich sah ein, wie ab­so­lut un­fä­hig Ca­vor für den Kampf war, den wir zu füh­ren hat­ten. Ei­nen Mo­ment lang zö­ger­te ich. Dann stürz­te ich an ihm vor­bei, in­dem ich mei­ne He­be­stan­gen schwang und schrie, um das Zie­len des Se­le­ni­ten zu stö­ren. Er ziel­te auf die wun­der­lichs­te Art, mit dem Ding an sei­nem Bauch. »Sss­ss« das Ding war kei­ne Flin­te; es ging eher wie eine Arm­brust los und traf mich mit­ten in ei­nem Satz.

Ich fiel nicht nie­der, ich kam nur ein we­nig frü­her zu Bo­den, als ich ge­kom­men wäre, wenn ich nicht ge­trof­fen wäre, und nach dem Ge­fühl in der Schul­ter konn­te das Ding mich ge­trof­fen ha­ben und dann ab­ge­glit­ten sein. Da­rauf schlug ich mit der Lin­ken ge­gen den Schaft und ich merk­te, dass mir eine Art Speer halb durch die Schul­tern stak. Den Mo­ment dar­auf war ich mit der He­be­stan­ge in der Rech­ten da und traf den Se­le­ni­ten kreuz und quer. Er brach zu­sam­men – zer­malmt und zer­bro­chen – den Kopf wie ein Ei aus­ge­schla­gen.

Ich ließ eine der Stan­gen fal­len, zog mir den Speer aus der Schul­ter und be­gann ihn durch das Git­ter ins Dun­kel hin­un­ter­zu­sto­ßen. Je­dem Stoß folg­te ein Krei­schen und Zwit­schern. Schließ­lich schleu­der­te ich den Speer mit al­ler Kraft auf sie nie­der, sprang auf, fass­te die Stan­ge wie­der und stürm­te auf die Men­ge oben in der Höh­le los.

»Bed­ford!«, rief Ca­vor. »Bed­ford!«, als ich an ihm vor­beiflog.

Mir ist, ich höre noch sei­ne Schrit­te hin­ter mir lau­fen.

Schritt, Sprung … Klapp, Schritt, Sprung … Je­der Sprung schi­en Jahr­hun­der­te zu dau­ern. Mit je­dem öff­ne­te die Höh­le sich wei­ter und mehr­te sich die Zahl der Se­le­ni­ten sicht­lich. Zu­erst schie­nen sie alle wie Amei­sen in ei­nem ge­stör­ten Amei­sen­hau­fen um­her­zu­lau­fen; ei­ner oder zwei schwan­gen Bei­le und ka­men mir ent­ge­gen, ei­ni­ge schos­sen seit­lich zwi­schen die Kalbs­lei­chen hin­ein, dann ka­men an­de­re in Sicht, die Spee­re: tru­gen, und dann noch an­de­re. Was ich sah, war au­ßer­or­dent­lich: lau­ter Hän­de und Füße, die un­ter Schutz eil­ten. Wei­ter hin­aus wur­de die Höh­le dunk­ler. Sch! Flog et­was über mei­nem Kopf weg. Sch! als ich mit­ten im Satz durch die Luft flog, und ich sah einen Speer einen der to­ten Lei­ber zu mei­ner Lin­ken tref­fen und be­bend ste­cken blei­ben. Dann, als ich den Bo­den er­reich­te, traf ei­ner die Erde vor mir, und ich hör­te das fer­ne ssss! mit dem ihre Ge­schos­se ge­feu­ert wur­den. Sch! sch! einen Mo­ment war es ein Schau­er. Es wa­ren Sal­ven!

Ich hielt an.

Ich glau­be nicht, dass ich klar dach­te. Mir ist, ich er­in­ne­re mich ei­ner Art ste­reo­ty­per Phra­se, die mir durch den Geist lief: »Feu­er­zo­ne, De­ckung su­chen!« Ich weiß, ich mach­te einen Vor­stoß auf den Raum zwi­schen zwei der Lei­chen und blieb dort atem­los und mit dem Ge­fühl des Elends ste­hen.

Ich blick­te mich nach Ca­vor um, und einen Mo­ment war es, als sei er aus der Welt ver­schwun­den. Dann kam er aus dem Dun­kel zwi­schen der Lei­chen­rei­he und der Fel­sen­wand der Höh­le her­vor. Ich sah sein klei­nes Ge­sicht, dun­kel und blau, vor Schweiß und Er­re­gung glän­zend.

Er sag­te et­was, aber was, dar­auf ach­te­te ich nicht. Mir war klar ge­wor­den, dass wir uns die Höh­le von Mond­kalb zu Mond­kalb hin­au­f­ar­bei­ten konn­ten, bis wir nahe ge­nug wa­ren, um kräf­tig an­grei­fen zu kön­nen. Es hieß An­griff oder nichts. »Kom­men Sie!«, sag­te ich und führ­te.

»Bed­ford!«, rief er, ohne et­was zu er­rei­chen.

Mein Geist war ge­schäf­tig, als wir die enge Gas­se zwi­schen den Lei­chen und der Höh­len­wand hin­auf­lie­fen. Die Fel­sen bil­de­ten einen Bo­gen – sie konn­ten uns nicht be­strei­chen. Ob­gleich wir in die­sem schma­len Rau­me nicht sprin­gen konn­ten, wa­ren wir doch mit un­se­rer erd­ge­bo­re­nen Kraft noch weit schnel­ler zu ge­hen im­stan­de als die Se­le­ni­ten. Ich rech­ne­te, wir wür­den bald mit­ten un­ter ih­nen sein. Wa­ren wir ein­mal über ih­nen, so wa­ren sie etwa so furcht­bar, wie schwar­ze Kä­fer. Nur! – vor al­lem wür­de zu­nächst eine Sal­ve kom­men. Ich dach­te an eine Kriegs­list. Ich riss mir im Lau­fen mei­ne Fla­nell­ja­cke vom Lei­be.

»Bed­ford!«, keuch­te Ca­vor hin­ter mir.

Ich blick­te zu­rück. »Was?«, sag­te ich.

Er zeig­te über die Käl­ber in die Höhe. »Wei­ßes Licht!«, sag­te er. »Wie­der wei­ßes Licht!«

Ich blick­te hin und es war wirk­lich so: eine blas­se wei­ße Spur von Zwie­licht in dem fer­ne­ren Höh­len­da­che. Das schi­en mir dop­pel­te Kraft zu ge­ben.

»Blei­ben Sie nah«, sag­te ich. Ein lan­ger fla­cher Se­le­nit blitz­te aus dem Dun­kel auf, quiek­te und floh. Ich hielt an und ge­bot Ca­vor mit der Hand halt. Ich hing mei­ne Ja­cke über das He­be­ei­sen, tauch­te um den nächs­ten Leich­nam, ließ Ja­cke und Stan­ge fal­len, zeig­te mich und schoss zu­rück.

»Ssss – scht!«, kam ein ein­zi­ger Pfeil. Wir wa­ren nahe an den Se­le­ni­ten, und sie stan­den in ei­nem Hau­fen, brei­te, kur­ze und lan­ge zu­sam­men, und eine klei­ne Bat­te­rie ih­rer Schuss­ge­rä­te zeig­te die Höh­le hin­ab. Drei oder vier wei­te­re Pfei­le folg­ten dem ers­ten, und dann hör­te ihr Feu­ern auf.

Ich steck­te den Kopf hin­aus und kam um Haa­res­brei­te da­von. Dies­mal lock­te ich ein Dut­zend Schüs­se oder mehr her­vor, und ich hör­te die Se­le­ni­ten beim Schie­ßen wie vor Auf­re­gung ru­fen und zwit­schern. Ich hob Ja­cke und Stan­ge wie­der auf.

»Jetzt!«, sag­te ich und hielt die Ja­cke hin­aus.

Ssss – sss –sss – ssst! In ei­nem Mo­ment war mei­ne Ja­cke zu ei­nem dich­ten Bart von Pfei­len ge­wor­den, und über der gan­zen Lei­che hin­ter uns zit­ter­ten sie. Im Nu zog ich die Stan­ge aus der Ja­cke her­aus, ließ die Ja­cke fal­len – nach al­lem, was ich weiß, liegt sie noch da oben auf dem Mond – und stürm­te auf sie los.

Eine Mi­nu­te lang viel­leicht war es ein Blut­bad. Ich war zu wild, um Un­ter­schie­de zu ma­chen, und die Se­le­ni­ten wa­ren wahr­schein­lich zu er­schreckt, um zu flie­hen. Auf je­den Fall kämpf­ten sie in kei­ner Wei­se ge­gen mich. Ich sah schar­lach, wie man zu sa­gen pflegt. Ich er­in­ne­re mich, es war, als wa­te­te ich un­ter die­sen le­dri­gen, dün­nen We­sen, wie ein Mensch durch ho­hes Gras wa­tet, und ich mäh­te und traf, erst rechts, dann links; klatsch, klatsch. Klei­ne feuch­te Trop­fen flo­gen um­her. Ich trat auf Din­ge, die zer­bra­chen, schri­en und schlüpf­rig wur­den. Die Men­ge schi­en sich wie Was­ser zu öff­nen und zu schlie­ßen und zu strö­men. Sie schie­nen kei­ner­lei ge­mein­sa­men Plan zu ha­ben. Mich um­flo­gen Spee­re; ei­ner streif­te mich am Ohr. Ein­mal wur­de ich in den Arm ge­sto­chen, und ein­mal in die Ba­cke, aber das fand ich erst spä­ter her­aus, als das Blut Zeit ge­habt hat­te, zu flie­ßen und ab­zu­küh­len, so­dass es sich feucht an­fühl­te.

Was Ca­vor tat, weiß ich nicht. Eine Zeit lang war es, als hät­te die­ses Kämp­fen seit Ewig­keit ge­dau­ert und müs­se ewig so wei­ter­ge­hen. Dann war plötz­lich al­les vor­bei, und es war nichts mehr zu se­hen als Hin­ter­köp­fe, die auf und nie­der­hüpf­ten, wäh­rend ihre Be­sit­zer in al­len Rich­tun­gen da­von­lie­fen … Ich schi­en ganz un­ver­letzt. Ich lief schrei­end ein paar Schrit­te vor­wärts und wand­te mich dann um. Ich war ver­blüfft.

Ich war in rie­si­gen, flie­gen­den Sät­zen ge­ra­de durch sie hin­durch­ge­kom­men; sie wa­ren alle hin­ter mir und rann­ten hier­hin und dort­hin, um sich zu ver­ste­cken.

Ich fühl­te ein großes Er­stau­nen über die Ver­duns­tung des großen Kamp­fes, in den ich mich ge­stürzt hat­te, und nicht ge­rin­ges Frohlo­cken. Mir schi­en nicht, dass ich ent­deckt hat­te, die Se­le­ni­ten sei­en un­er­war­tet zer­brech­lich, son­dern ich sei un­er­war­tet stark. Ich lach­te stumpf­sin­nig. Die­ser fan­tas­ti­sche Mond!

Ich blick­te einen Mo­ment auf die zer­schmet­ter­ten und sich win­den­den Lei­ber, die über den Höh­len­bo­den zer­streut la­gen, und hat­te eine un­be­stimm­te Idee von wei­te­rer Ge­walt­tat; dann eil­te ich hin­ter Ca­vor her.

 

1 Ich ent­sin­ne mich nicht, ir­dend­wel­che Din­ge aus Holz auf dem Mon­de ge­se­hen zu ha­ben; Tü­ren, Ti­sche, al­les, was un­se­rer ir­di­schen Schrei­ner­ar­beit ent­spricht, war aus Me­tall, und ich glau­be, zum großen Teil aus Gold, das sich als Me­tall – wenn die an­de­ren Din­ge gleich wa­ren – durch die Leich­tig­keit sei­ner Be­ar­bei­tung, sei­ne Zä­hig­keit und Dau­er­haf­tig­keit ganz von sel­ber emp­fahl. <<<