H. G. Wells – Gesammelte Werke

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14 – Experimente der Mitteilung

Als wir schließ­lich mit dem Es­sen zu Ende wa­ren, fes­sel­ten uns die Se­le­ni­ten die Hän­de wie­der eng zu­sam­men, lös­ten dann die Ket­ten um un­se­re Füße und ban­den sie wie­der, so­dass sie uns eine be­schränk­te Be­we­gungs­frei­heit ga­ben. Dann lös­ten sie die Ket­ten, die uns um den Leib lie­fen. Um all das zu tun, muss­ten sie uns frei hand­ha­ben, und hin und wie­der kam mir ei­ner ih­rer wun­der­li­chen Köp­fe nah ans Ge­sicht, oder eine wei­che Tas­ter­hand be­rühr­te mir den Kopf oder den Hals. Ich er­in­ne­re mich nicht, dass ich da­mals Furcht hat­te oder dass mich ihre Nähe ab­stieß. Ich glau­be, un­ser un­heil­ba­rer An­thro­po­mor­phis­mus ließ uns in­ner­halb ih­rer Mas­ken mensch­li­che Kör­per an­neh­men. Die Haut sah wie al­les an­de­re bläu­lich aus, aber das lag am Licht; und sie war hart und glän­zend, ganz wie ein Kä­fer­flü­gel, nicht weich oder feucht oder be­haart, wie sie bei ei­nem Wir­bel­tier wäre. Den Kamm des Kop­fes ent­lang lief ein Grat weiß­li­cher Sta­cheln, die von hin­ten nach vorn zeig­ten, und ein weit grö­ße­rer Kamm bog sich auf bei­den Sei­ten über den Au­gen. Der Se­le­nit, der mich los­band, nahm sei­nen Mund den Hän­den zur Hil­fe.

»Sie schei­nen uns zu be­grei­fen«, sag­te Ca­vor. »Be­den­ken Sie, dass wir auf dem Mond sind! Ma­chen Sie kei­ne plötz­li­chen Be­we­gun­gen!«

»Wol­len Sie es mit der Geo­me­trie ver­su­chen?«

»Wenn ich eine Ge­le­gen­heit be­kom­me. Aber na­tür­lich ma­chen sie viel­leicht einen ers­ten Schritt.«

Wir blie­ben pas­siv, und als die Se­le­ni­ten ihre Vor­keh­run­gen be­en­det hat­ten, tra­ten sie von uns zu­rück und schie­nen uns an­zu­se­hen. Ich sage, schie­nen, denn da ihre Au­gen seit­lich stan­den und nicht nach vorn, so hat­te man die glei­che Schwie­rig­keit, wenn man die Rich­tung fest­stel­len woll­te, in der sie blick­ten, auf die man im Fall ei­ner Hen­ne oder ei­nes Fi­sches stößt. Sie spra­chen mit­ein­an­der in ih­ren Flö­ten­tö­nen, die nach­zuah­men oder zu de­fi­nie­ren mir un­mög­lich schi­en. Die Tür hin­ter uns öff­ne­te sich wei­ter, und als ich über die Schul­ter blick­te, sah ich da­hin­ter einen un­be­stimm­ten wei­ten Raum, in dem ein ganz klei­ner Auf­lauf von Se­le­ni­ten stand. Es schi­en ein merk­wür­dig ge­misch­ter Hau­fe zu sein.

»Wol­len sie, wir sol­len die­se Töne nach­ah­men?«, frag­te ich Ca­vor.

»Ich glau­be nicht«, sag­te er.

»Mir scheint, sie ver­su­chen, uns et­was ver­ständ­lich zu ma­chen.«

»Ich kann aus ih­ren Ges­ten nicht klug wer­den. Se­hen Sie die­sen da, der wie ein Mensch in ’nem un­be­que­men Kra­gen mit dem Kopf würgt?«

»Las­sen Sie uns doch den Kopf ge­gen ihn schüt­teln.«

Wir ta­ten das, und da wir es als wir­kungs­los er­fan­den, ver­such­ten wir eine Nach­ah­mung der Be­we­gun­gen der Se­le­ni­ten. Auf je­den Fall be­gan­nen sie alle mit der­sel­ben Be­we­gung. Da das aber zu nichts zu füh­ren schi­en, hör­ten wir schließ­lich auf, und auch sie ta­ten das und be­gan­nen un­ter sich eine pfei­fen­de De­bat­te. Dann kau­er­te sich plötz­lich ei­ner von ih­nen, der kür­zer und sehr viel di­cker war als die an­de­ren und einen be­son­ders wei­ten Mund hat­te, ne­ben Ca­vor nie­der und leg­te Hän­de und Füße in die­sel­be Hal­tung, wie Ca­vors ge­bun­den wa­ren, und stand dann mit ei­ner ge­schick­ten Be­we­gung auf.

»Ca­vor«, rief ich, »sie wol­len, wir sol­len auf­stehn!«

Er starr­te mich mit of­fe­nem Mun­de an. »Na­tür­lich!«, sag­te er.

Und mit vie­lem Win­den und Grun­zen – denn un­se­re Hän­de wa­ren zu­sam­men­ge­bun­den – ge­lang es uns, uns auf die Füße zu ar­bei­ten. Die Se­le­ni­ten mach­ten für un­se­re ele­fan­ten­mä­ßi­gen Be­we­gun­gen Platz und schie­nen noch be­red­ter zu zwit­schern. So­bald wir auf den Fü­ßen stan­den, kam der un­ter­setz­te Se­le­nit, be­fühl­te un­se­re Ge­sich­ter mit sei­nen Tas­tern und ging auf die of­fe­ne Tür zu. Auch das war deut­lich ge­nug, und wir folg­ten ihm. Wir sa­hen, dass vier von den Se­le­ni­ten, die in der Tür stan­den, viel grö­ßer wa­ren als die an­de­ren, und eben­so ge­klei­det wie die, die wir im Kra­ter be­ob­ach­tet hat­ten, näm­lich mit run­den, spit­zi­gen Hel­men und zy­lin­dri­schen Lei­bes­hül­len, und dass je­der der vier einen Treib­stock mit Sta­chel und Schutz­griff trug, der aus dem­sel­ben stumpfaus­se­hen­den Me­tall be­stand wie die Schüs­seln. Die­se vier nah­men uns zwi­schen sich, je zwei zu bei­den Sei­ten von uns, als wir aus un­serm Rau­me in die Höh­le auf­tauch­ten, aus der das Licht ge­kom­men war.

Un­se­ren Ein­druck von die­ser Höh­le er­hiel­ten wir nicht so­fort. Un­se­re Auf­merk­sam­keit war von den Be­we­gun­gen und Hal­tun­gen der Se­le­ni­ten in An­spruch ge­nom­men, die uns un­mit­tel­bar um­ga­ben, und von dem Zwan­ge, un­se­re Be­we­gung zu be­herr­schen, da­mit wir sie nicht durch über­mä­ßi­ge Schrit­te er­schreck­ten und ängs­tig­ten. Vor uns ging das kur­ze, un­ter­setz­te We­sen, das das Pro­blem ge­löst hat­te, uns zum Auf­stehn zu be­we­gen, und er be­weg­te sich mit Ges­ten, die uns fast alle ver­ständ­lich er­schie­nen und uns auf­for­der­ten, ihm zu fol­gen. Sein schna­bel­ar­ti­ges Ge­sicht wand­te sich mit ei­ner Ge­schwin­dig­keit vom einen von uns zum an­de­ren, die of­fen­bar fra­gend war. Eine Zeit lang, sage ich, wa­ren wir von die­sen Din­gen in An­spruch ge­nom­men.

Aber schließ­lich mach­te sich der große Raum, der den Hin­ter­grund zu un­sern Be­we­gun­gen ab­gab, gel­tend. Es stell­te sich her­aus, dass die Quel­le we­nigs­tens ei­nes großen Teils des Tu­mults von Tö­nen, der un­se­re Ohren er­füllt hat­te, seit wir uns von der Er­star­rung durch den Pilz er­holt hat­ten, eine rie­si­ge Mas­se von Ma­schi­ne­rie in Be­we­gung war, de­ren flie­gen­de und wir­beln­de Tei­le un­deut­lich über den Köp­fen und zwi­schen den Kör­pern der Se­le­ni­ten hin­durch zu se­hen wa­ren, die um uns gin­gen. Und nicht nur das Ge­we­be von Tö­nen, das die Luft er­füll­te, rühr­te von die­sem Mecha­nis­mus her, son­dern auch das ei­gen­tüm­li­che blaue Licht, das den gan­zen Raum durch­strahl­te. Wir hat­ten es als et­was Na­tür­li­ches hin­ge­nom­men, dass eine un­ter­ir­di­sche Höh­le künst­lich be­leuch­tet war, und noch jetzt, wo mir doch die Tat­sa­che of­fen vor Au­gen lag, er­fass­te ich ihre Be­deu­tung nicht völ­lig, bis als­bald das Dun­kel kam. Den Sinn und den Bau die­ses rie­si­gen Ap­pa­rats, den wir sa­hen, kann ich nicht er­klä­ren, weil wir bei­de nicht er­fuh­ren, wozu er da war und wie er ar­bei­te­te. Ei­ner nach dem an­de­ren flo­gen di­cke me­tal­le­ne Schaf­te von sei­nem Zen­trum aus und em­por, de­ren Köp­fe eine Kur­ve be­schrie­ben, die mir pa­ra­bo­lisch zu sein schi­en, und je­der warf ein Art bau­meln­des Ar­mes aus, wenn er zu sei­nem Hö­he­punkt auf­stieg und in einen ver­ti­ka­len Zy­lin­der nie­der­tauch­te, den er da­mit ab­wärts zwang. Da­rum be­weg­ten sich die Ge­stal­ten von Wäch­tern, klei­ne Fi­gu­ren, die ir­gend­wie an­ders er­schie­nen als die We­sen um uns. Wenn ei­ner der drei bau­meln­den Arme der Ma­schi­ne nie­der­tauch­te, gab es ein Ge­klirr und dann ein Brül­len, und aus dem ver­ti­ka­len Zy­lin­der floss oben die­ser leuch­ten­de Stoff über, der den Raum er­hell­te; er lief über, wie Milch in ei­nem ko­chen­den Topf über­läuft, und tröp­fel­te un­ten leuch­tend in einen Licht­kes­sel. Es war ein kal­tes blau­es Licht, eine Art phos­pho­res­zie­ren­den Scheins, nur un­end­lich viel hel­ler, und aus den Kes­seln, in die es fiel, lief es in Lei­tun­gen quer durch die Höh­le.

Bum, bum, bum, bum, bum mach­ten die flie­gen­den Arme die­ses un­ver­ständ­li­chen Ap­pa­rats, und die Licht-Sub­stanz zisch­te und floss. An­fangs schi­en uns das Ding nur ziem­lich groß und uns nahe, und dann sah ich, wie au­ßer­or­dent­lich klein die Se­le­ni­ten dar­auf er­schie­nen, und mir wur­de die gan­ze Rie­sen­haf­tig­keit von Höh­le und Ma­schi­ne klar. Ich blick­te nach die­ser rie­si­gen Af­fä­re mit neu­em Re­spekt auf die Ge­sich­ter der Se­le­ni­ten. Ich stand still, und Ca­vor stand still und starr­te die­se ko­los­sa­le Ma­schi­ne an.

»Aber das ist un­heim­lich!«, sag­te ich. »Wozu kann das sein?«

Ca­vors blau­be­leuch­te­tes Ge­sicht war voll von in­tel­li­gen­tem Re­spekt. »Ich kann nicht träu­men! Die­se Din­ge sind doch – Men­schen könn­ten kein sol­ches Ding ma­chen! Se­hen Sie die Arme an, lau­fen die auf Kur­bel­stan­gen?«

Der un­ter­setz­te Se­le­nit war, ohne auf uns zu ach­ten, ein paar Schrit­te wei­ter­ge­gan­gen. Er kehr­te um und blieb zwi­schen uns und der großen Ma­schi­ne ste­hen. Ich ver­mied ihn an­zu­se­hen, weil ich ir­gend­wie er­riet, dass er uns wei­ter win­ken woll­te. Er ging in der Rich­tung, in der er uns vor­wärts ha­ben woll­te, dreh­te sich um und kam zu­rück und schnipp­te uns ins Ge­sicht, um un­se­re Auf­merk­sam­keit zu er­re­gen.

Ca­vor und ich sa­hen ein­an­der an.

»Kön­nen wir ihm nicht zei­gen, dass wir uns für die Ma­schi­ne in­ter­es­sie­ren?«, sag­te ich.

»Ja«, sag­te Ca­vor, »wir wol­len es ver­su­chen.« Er wand­te sich zu un­serm Füh­rer, lä­chel­te, zeig­te auf die Ma­schi­ne, zeig­te noch­mals, zeig­te auf sei­nen Kopf und dann wie­der auf die Ma­schi­ne. Aus ir­gend­wel­chen man­gel­haf­ten Schlüs­sen her­aus schi­en er an­zu­neh­men, ge­bro­che­nes Re­den kön­ne die­se Ges­ten un­ter­stüt­zen.

»Mich ihm se­hen«, sag­te er, »mich ihm sehr hoch­hal­ten. Ja.«

Sein Be­neh­men schi­en die Se­le­ni­ten in ih­rem Ver­lan­gen, dass wir wei­ter­ge­hen soll­ten, einen Mo­ment auf­zu­hal­ten. Sie wand­ten sich ein­an­der zu, ihre wun­der­li­chen Köp­fe be­weg­ten sich, die zwit­schern­den Stim­men wa­ren rasch und flüs­sig zu hö­ren. Dann schlang ei­ner von ih­nen, ein ha­ge­res, großes Ge­schöpf, das au­ßer der Klei­dung der an­de­ren eine Art Man­tel trug, Ca­vor den Ele­fan­ten­rüs­sel-Arm um die Hüf­ten und zog ihn sanft un­serm Füh­rer nach, der wie­der vor­aus­ging.

 

Ca­vor leis­te­te Wi­der­stand. »Wir kön­nen ge­ra­de so gut jetzt be­gin­nen, uns ver­ständ­lich zu ma­chen. Sie könn­ten den­ken, wir sind neue Tie­re, viel­leicht eine neue Art Mond­kalb! Es ist von höchs­ter Wich­tig­keit, dass wir von An­be­ginn ein in­tel­lek­tu­el­les In­ter­es­se zei­gen.«

Er be­gann hef­tig den Kopf zu schüt­teln. »Nein, nein«, sag­te er, »ich eine Mi­nu­te nicht wei­ter kom­men. Mich ihn an­se­hen.«

»Gibt es nicht ir­gend et­was Geo­me­tri­sches, was man à pro­pos die­ses Dings da zei­gen könn­te?«, schlug ich vor, als die Se­le­ni­ten wie­der kon­fe­rier­ten.

»Vi­el­leicht eine pa­ra­bo­li­sche –« be­gann er.

Er schrie laut auf und sprang sechs Fuß hoch oder noch mehr.

Ei­ner der vier be­waff­ne­ten Mond­leu­te hat­te ihn mit sei­nem Sta­chel ge­sto­chen!

Ich wand­te mich mit ei­ner ra­schen, dro­hen­den Ges­te ge­gen den Sta­chel­trä­ger hin­ter mir, und er fuhr zu­rück. Das und Ca­vors plötz­li­cher Schrei und Sprung er­staun­te klär­lich alle Se­le­ni­ten. Sie wi­chen has­tig, uns zu­ge­wandt, zu­rück. Ei­nen je­ner Mo­men­te lang, die ewig zu dau­ern schie­nen, stan­den wir in zor­ni­gem Pro­test da, mit ei­nem zer­streu­ten Halb­kreis die­ser un­mensch­li­chen We­sen um uns.

»Er hat mich ge­sto­chen!«, sag­te Ca­vor mit sto­cken­der Stim­me.

»Ich sah ihn«, ant­wor­te­te ich.

»Zum Hen­ker!«, sag­te ich zu den Se­le­ni­ten, »das las­sen wir uns nicht ge­fal­len! Für was auf al­ler Welt hal­ten Sie uns?«

Ich blick­te rasch nach links und rechts. In großer Fer­ne sah ich durch die blaue Höh­len­wild­nis eine An­zahl wei­te­rer Se­le­ni­ten auf uns zu­lau­fen; brei­te und schlan­ke wa­ren es, und ei­ner hat­te einen grö­ße­ren Kopf als die an­de­ren. Die Höh­le er­streck­te sich weit und nied­rig hin und ver­lor sich nach al­len Rich­tun­gen ins Dun­kel. Ihr Dach, ent­sin­ne ich mich, schi­en sich wie un­ter dem Ge­wicht der un­ge­heu­ren Fel­sen­di­cke, die uns ge­fan­gen hielt, her­ab­zu­bau­chen. Es gab kei­nen Weg hin­aus – kei­nen Weg hin­aus. Oben, un­ten, in al­len Rich­tun­gen war das Un­be­kann­te und die­se mensch­li­chen Ge­schöp­fe mit ih­ren Sta­cheln und Ges­ten, die uns ent­ge­gen­stan­den, uns zwei wehr­lo­sen Men­schen.

15 – Die schwindlige Brücke

Nur einen Mo­ment dau­er­te die­se feind­se­li­ge Pau­se. Ich glau­be, so­wohl wir wie die Se­le­ni­ten voll­führ­ten ei­ni­ges ra­sche Den­ken. Mein klars­ter Ein­druck war der, dass nichts vor­han­den war, wo­ge­gen ich den Rücken stel­len konn­te, und dass wir si­cher wür­den um­ringt und ge­tö­tet wer­den. Die über­wäl­ti­gen­de Narr­heit un­se­rer An­we­sen­heit dort rag­te in schwar­zem, un­ge­heu­rem Vor­wurf über mir. Wa­rum hat­te ich mich je auf die­se wahn­sin­ni­ge, un­mensch­li­che Ex­pe­di­ti­on be­ge­ben?

Ca­vor kam an mei­ne Sei­te und leg­te mir die Hand auf den Arm. Sein blas­ses und er­schreck­tes Ge­sicht sah in dem blau­en Licht ge­spens­tisch aus.

»Wir kön­nen nichts ma­chen«, sag­te er. »Es ist ein Irr­tum. Sie ver­ste­hen uns nicht. Wir müs­sen mit­ge­hen. Wie sie wol­len, dass wir ge­hen.«

Ich blick­te auf ihn nie­der und dann auf die fri­schen Se­le­ni­ten, die ih­ren Ge­nos­sen zu Hil­fe ka­men. »Wenn ich nur die Hän­de frei hät­te –«

»Es nützt nichts«, keuch­te er.

»Nein.«

»Wir wol­len mit­ge­hen.«

Und er mach­te kehrt und führ­te in der Rich­tung, die uns an­ge­ge­ben war.

Ich folg­te, in­dem ich ver­such­te, so un­ter­wür­fig aus­zu­se­hen wie mög­lich, und tas­te­te nach den Ket­ten um mei­ne Hand­ge­len­ke. Mir koch­te das Blut. Ich sah nichts mehr von der Höh­le, ob­gleich es lan­ge Zeit zu dau­ern schi­en, ehe wir hin­durch­ge­gan­gen wa­ren; oder wenn ich noch et­was sah, so ver­gaß ich es, wäh­rend ich es sah. Mei­ne Ge­dan­ken, glau­be ich, wa­ren auf mei­ne Ket­ten und auf die Se­le­ni­ten kon­zen­triert, und be­son­ders auf die be­helm­ten mit den Sta­cheln. Erst gin­gen sie par­al­lel mit uns und in ach­tungs­vol­ler Ent­fer­nung, aber als­bald wur­den sie von drei wei­te­ren ein­ge­holt, und da ka­men sie nä­her, bis sie wie­der in Ar­mes­wei­te wa­ren. Ich zuck­te wie ein ge­schla­ge­nes Pferd, als sie uns nahe ka­men. Der kür­ze­re, di­cke­re Se­le­nit ging erst auf un­se­rer rech­ten Flan­ke, kam aber dann wie­der vor uns.

Wie gut sich mir das Bild die­ser Grup­pie­rung in das Ge­hirn ge­gra­ben hat: der Rücken von Ca­vors ge­senk­tem Kop­fe ge­ra­de vor mir, dar­un­ter sei­ne nie­der­ge­schla­gen hän­gen­den Schul­tern, und dann das star­ren­de Ge­sicht un­se­res Füh­rers, das sich be­stän­dig ruck­wei­se dreh­te, und die Sta­chel­trä­ger zu bei­den Sei­ten, wach­sam, aber mit of­fe­nem Mun­de – ein blau­es Mo­no­chrom. Und schließ­lich er­in­ne­re ich mich doch noch ei­ner Ein­zel­heit au­ßer der rein per­sön­li­chen Sa­che, und das ist, dass als­bald eine Art Gos­se über den Bo­den der Höh­le und dann seit­wärts an dem Fel­sen­pfa­de, dem wir folg­ten, ent­lang führ­te. Und sie war voll von dem­sel­ben hel­len, blau­en, leuch­ten­den Stoff, der aus der Ma­schi­ne floss. Ich ging dicht an ihm hin, und ich kann be­zeu­gen, dass er kein Par­ti­kel­chen Wär­me aus­strahl­te. Er leuch­te­te hell und war doch we­der wär­mer noch käl­ter als ir­gend sonst et­was in der Höh­le.

Bum, bum, bum, ka­men wir ge­ra­de un­ter den He­beln ei­ner zwei­ten rie­si­gen Ma­schi­ne durch, und so ge­lang­ten wir schließ­lich in einen wei­ten Tun­nel, in dem wir so­gar das Klipp-klapp un­se­rer un­be­schuh­ten Füße hö­ren konn­ten, und der, ab­ge­sehn von dem rie­seln­den blau­en Fa­den rechts von uns ganz un­be­leuch­tet war. Die Schat­ten mach­ten auf der un­re­gel­mä­ßi­gen Wand und dem Da­che des Tun­nels gi­gan­ti­sche Tra­ves­ti­en aus un­se­ren Ge­stal­ten und de­nen der Se­le­ni­ten. Hin und wie­der blitz­ten Kris­tal­le in den Tun­nel­wän­den wie Edel­stei­ne, hin und wie­der er­wei­ter­te sich der Tun­nel zu ei­ner Tropf­stein­höh­le, oder er gab Zwei­ge ab, die ins Dun­kel ver­schwan­den.

Wir schie­nen den Tun­nel eine lan­ge Zeit hin­ab­zu­ge­hen. »Tripp, tripp«, lief das flie­ßen­de Licht sehr lei­se, und un­se­re Schrit­te und ihr Echo ga­ben ein un­re­gel­mä­ßi­ges Klipp-klapp. Mein Geist wand­te sich aus­schließ­lich der Fra­ge mei­ner Ket­ten zu. Wenn ich eine Win­dung so ab­streif­te, und sie dann so her­um­zerr­te …

Wenn ich es sehr all­mäh­lich zu tun ver­such­te, wür­den sie da mer­ken, dass ich mein Hand­ge­lenk aus der lo­se­ren Sch­lin­ge zog? Und wenn sie es merk­ten, was wür­den sie tun?

»Bed­ford«, sag­te Ca­vor, »es geht ab­wärts. Es geht fort­wäh­rend ab­wärts.«

Sei­ne Be­mer­kung weck­te mich aus mei­ner fins­te­ren Ein­ge­nom­men­heit.

»Wenn sie uns tö­ten woll­ten«, sag­te er, in­dem er zu­rück­b­lieb, um ne­ben mich zu kom­men, »so ist kein Grund, warum sie es nicht schon ge­tan ha­ben soll­ten.«

»Nein«, sag­te ich, »das ist wahr.«

»Sie ver­ste­hen uns nicht«, sag­te er, »sie mei­nen, wir sind nur frem­de Tie­re, ir­gend­ei­ne wil­de Art von Mond­kalb viel­leicht. Erst, wenn sie uns bes­ser be­ob­ach­tet ha­ben, wer­den sie zu glau­ben an­fan­gen, dass wir Geis­ter ha­ben – –«

»Wenn Sie die­se geo­me­tri­schen Pro­ble­me zeich­nen«, sag­te ich.

»Vi­el­leicht wird das ge­hen.«

Wir trab­ten eine Wei­le wei­ter.

»Sie se­hen«, sag­te Ca­vor, »dies kön­nen Se­le­ni­ten nie­de­rer Art sein.«

»Die höl­li­schen Nar­ren!«, sag­te ich gif­tig, in­dem ich ihre auf­rei­zen­den Ge­sich­ter an­sah.

»Wenn wir er­tra­gen, was sie uns an­tun –«

»Wir ha­ben es zu er­tra­gen«, sag­te ich.

»Vi­el­leicht gibt es an­de­re we­ni­ger stu­pi­de. Dies ist erst der äu­ße­re Saum ih­rer Welt. Es muss hin­un­ter­ge­hen und hin­un­ter, Höh­le, Gang, Tun­nel, hin­un­ter schließ­lich zum Meer – Hun­der­te von Mei­len un­ter uns.«

Sei­ne Wor­te brach­ten mei­ne Ge­dan­ken auf die Mei­le oder so von Fel­sen und Tun­nels, die schon über un­sern Köp­fen lie­gen moch­ten. Es war, wie wenn mir ein Ge­wicht auf die Schul­tern sank. »Fort von der Son­ne und der Luft«, sag­te ich. »Schon eine Mine, die eine hal­be Mei­le tief ist, ist drückend.«

»Dies hier ist es auf je­den Fall nicht. Es ist wahr­schein­lich – Ven­ti­la­ti­on! Die Luft muss von der dunklen Sei­te des Mon­des zur son­nen­be­leuch­te­ten bla­sen, und all die Koh­len­säu­re muss da her­aus­quel­len und die­se Pflan­zen näh­ren. Die­sen Tun­nel, zum Bei­spiel, weht eine or­dent­li­che Bri­se hin­auf. Und was für eine Welt das sein muss! Die Pro­be ha­ben wir in je­nem Schach­te und die­sen Ma­schi­nen – –«

»Und der Sta­chel«, sag­te ich. »Ver­ges­sen Sie den Sta­chel nicht!«

Er ging eine Zeit lang ein we­nig vor mir her.

»Selbst die­ser Sta­chel –« sag­te er.

»Nun?«

»Zu­erst war ich wü­tend. Aber – – Vi­el­leicht war es nö­tig, dass wir wei­ter­gin­gen. Sie ha­ben eine an­de­re Haut und wahr­schein­lich sehr an­de­re Ner­ven. Sie ver­ste­hen viel­leicht un­sern Ein­wand nicht. – Genau wie ein We­sen vom Mars viel­leicht un­se­re ir­di­sche Ge­wohn­heit des Rip­pen­sto­ßes nicht möch­te – –«

»Man täte gut, sich zu be­sin­nen, ehe man mir Rip­pen­stö­ße gäbe!«

»Und mit die­ser Geo­me­trie. Schließ­lich ist ihr Weg auch ein Weg der Ver­stän­di­gung. Sie be­gin­nen mit den Ele­men­ten des Le­bens, und nicht des Den­kens. Nah­rung. Zwang. Schmerz. Sie su­chen fun­da­men­ta­le Be­grif­fe.«

»Dar­über kann kein Zwei­fel herr­schen«, sag­te ich.

Er re­de­te wei­ter von der un­ge­heu­ren und wun­der­vol­len Welt, in die wir ge­bracht wur­den. Mir wur­de all­mäh­lich aus sei­nem Ton klar, dass er selbst jetzt noch nicht völ­lig an der Aus­sicht ver­zwei­fel­te, im­mer tiefer in die­sen un­mensch­li­chen Pla­ne­ten­bau hin­ab­zu­stei­gen. Sei­ne Ge­dan­ken dreh­ten sich um Ma­schi­nen und Er­fin­dung und schlos­sen tau­send dunkle Din­ge, die mich be­dräng­ten, völ­lig aus. Nicht als ob er aus die­sen Din­gen ir­gend­wel­chen Nut­zen zie­hen woll­te, er woll­te sie ein­fach ken­nen ler­nen.

»Schließ­lich«, sag­te er, »ist dies eine ko­los­sa­le Ge­le­gen­heit. Es ist die Be­geg­nung zwei­er Wel­ten! Was wer­den wir zu se­hen be­kom­men? Den­ken Sie nur, was hier un­ter uns ist.«

»Wenn das Licht nicht bes­ser ist, wer­den wir nicht viel se­hen«, be­merk­te ich.

»Dies ist nur erst die äu­ße­re Krus­te. Da un­ten – Bei die­sem Maß­stab – Da muss al­les sein. Mer­ken Sie, wie ver­schie­den sie un­ter­ein­an­der schei­nen! Die Ge­schich­te, die wir mit zu­rück­neh­men wer­den!«

»Ir­gend­ein sel­te­nes Tier«, sag­te ich, »könn­te sich so trös­ten, wenn man es in den Zoo­lo­gi­schen Gar­ten bringt … Daraus folgt nicht, dass man uns all die­se Din­ge zei­gen wird.«

»Wenn sie mer­ken, dass wir ver­nunft­be­gab­te Geis­ter ha­ben«, sag­te Ca­vor, »wer­den sie al­les über die Erde er­fah­ren wol­len. Selbst wenn sie kei­ne groß­mü­ti­gen Re­gun­gen ha­ben, wer­den sie leh­ren, um zu ler­nen … Und was sie al­les wis­sen müs­sen! Die un­er­hör­ten Din­ge!«

Er spe­ku­lier­te wei­ter über die Mög­lich­keit, dass sie Din­ge wuss­ten, die zu er­fah­ren er auf der Erde nie­mals ge­hofft hat­te, und auf die­se Wei­se spe­ku­lier­te er mit ei­ner of­fe­nen Wun­de von dem Sta­chel schon in sei­ner Haut! Vie­les, was er sag­te, weiß ich nicht mehr, denn mei­ne Auf­merk­sam­keit wur­de auf die Tat­sa­che ge­lenkt, dass der Tun­nel, den wir ent­lang ge­gan­gen wa­ren, sich wei­ter und wei­ter öff­ne­te. Wir schie­nen, dem Ge­fühl der Luft nach, in einen rie­si­gen Raum hin­aus­zu­ge­hen. Aber wie groß der Raum in Wirk­lich­keit sein moch­te, konn­ten wir nicht sa­gen, weil er un­er­leuch­tet war. Un­ser klei­ner Licht­strom rann in im­mer dün­ne­rem Fa­den und ver­schwand weit vor­aus. Plötz­lich wa­ren die Fel­sen­wän­de auf bei­den Sei­ten völ­lig ver­schwun­den. Es war nichts zu se­hen als der Pfad vor uns und das rie­seln­de ei­len­de Rinn­sal blau­er Phos­pho­res­zenz. Die Ge­stal­ten Ca­vors und des füh­ren­den Se­le­ni­ten zo­gen vor mir her, die dem Rinn­sal zu­ge­wand­ten Sei­ten ih­rer Bei­ne und Köp­fe wa­ren klar und hell­blau, ihre dunklen Sei­ten tauch­ten jetzt, wo der Wi­der­schein von der Tun­nel­wand sie nicht mehr be­leuch­te­te, un­un­ter­scheid­bar in die Dun­kel­heit da­ne­ben hin­ein.

Und bald merk­te ich, dass wir uns ir­gend­wel­chem Ab­hang nä­her­ten, da der klei­ne blaue Strom plötz­lich au­ßer Sicht tauch­te.

 

Im nächs­ten Mo­ment, schi­en es, hat­ten wir den Rand er­reicht. Der leuch­ten­de Strom mach­te eine zö­gern­de Win­dung und stürz­te dann hin­un­ter. Er fiel in eine Tie­fe, dass uns der Schall sei­nes Fal­les völ­lig ver­lo­ren war. Weit un­ten sa­hen wir einen bläu­li­chen Schein, eine Art blau­en Ne­bels – in un­end­li­cher Fer­ne un­ten. Und die Dun­kel­heit, aus der der Strom fiel, wur­de ganz leer und schwarz, nur dass et­was wie eine Plan­ke vom Ran­de der Klip­pe vor­sprang, sich streck­te, ver­blass­te und völ­lig ver­schwand. Aus dem Ab­grund blies eine war­me Luft em­por.

Ei­nen Mo­ment tra­ten Ca­vor und ich dem Ran­de so nah, wie wir wag­ten und späh­ten in die blau­ge­tön­te Tie­fe nie­der. Und dann zog un­ser Füh­rer mich am Arm.

Dann ver­ließ er mich und ging an das Ende der Plan­ke und trat dar­auf, in­dem er zu­rück­blick­te. Und als er sah, dass wir ihn be­ob­ach­te­ten, dreh­te er sich wie­der um und ging auf ihr wei­ter; er ging so si­cher wie auf fes­tem Lan­de. Ei­nen Mo­ment noch war sei­ne Ge­stalt deut­lich, dann wur­de er ein blau­er Fleck und ver­schwand in die Fins­ter­nis. Ich sah, dass eine un­be­stimm­te Ge­stalt dun­kel aus der Schwär­ze her­vor­rag­te.

Es folg­te eine Pau­se. »Aber si­cher­lich –!«, sag­te Ca­vor.

Ei­ner der Se­le­ni­ten ging ein paar Schrit­te auf die Plan­ke hin­auf, dreh­te sich um und blick­te un­be­küm­mert auf uns zu­rück. Die an­de­ren stan­den be­reit, uns zu fol­gen. Die er­war­ten­de Ge­stalt un­se­res Füh­rers er­schi­en von neu­em. Er kehr­te zu­rück, um zu se­hen, warum wir nicht wei­ter­ge­gan­gen wa­ren.

»Was ist das da­hin­ter?«, frag­te ich.

»Ich kann’s nicht se­hen.«

»Wir kön­nen dies um kei­nen Preis über­schrei­ten«, sag­te ich.

»Ich könn­te kei­ne drei Schrit­te weit dar­auf ge­hen«, sag­te Ca­vor, »selbst mit frei­en Hän­den nicht.«

Wir blick­ten uns mit hel­ler Be­stür­zung in die lang­ge­zo­ge­nen Ge­sich­ter.

»Sie kön­nen nicht wis­sen, was es heißt, wenn ei­nem schwind­lig ist!«, sag­te Ca­vor.

»Es ist für uns ganz un­mög­lich, über die Plan­ke da zu ge­hen.«

»Ich glau­be, sie se­hen nicht wie wir. Ich habe sie be­ob­ach­tet. Ich möch­te wis­sen, ob sie wis­sen, dass dies für uns ein­fach schwarz ist. Wie kön­nen wir es ih­nen be­greif­lich ma­chen?«

»Ei­ner­lei, wie, wir müs­sen es ih­nen be­greif­lich ma­chen.«

Ich glau­be, wir sag­ten die­se Din­ge mit ei­ner un­be­stimm­ten Halb­hoff­nung, die Se­le­ni­ten wür­den uns ir­gend­wie ver­ste­hen. Ich wuss­te ganz klar, dass nichts nö­tig war als eine Er­klä­rung. Dann sah ich ihre Ge­sich­ter, und er­kann­te, dass eine Er­klä­rung un­mög­lich war. Gera­de hier soll­ten un­se­re Ähn­lich­kei­ten un­se­re Ver­schie­den­hei­ten nicht über­brücken. Nun, auf je­den Fall woll­te ich nicht über die Plan­ke ge­hen. Ich zog sehr rasch das Hand­ge­lenk aus der ge­lo­cker­ten Ket­ten­sch­lin­ge und be­gann dann die Hand­ge­len­ke in ent­ge­gen­ge­setz­ten Rich­tun­gen zu win­den. Ich stand der Brücke am nächs­ten, und als ich dies tat, fass­ten mich zwei der Se­le­ni­ten und zo­gen mich leicht dar­auf zu.

Ich schüt­tel­te hef­tig den Kopf. »Nicht ge­hen«, sag­te ich, »nichts nüt­zen. Ihr ver­steht nicht.«

Ein drit­ter Se­le­nit füg­te sei­nen Druck hin­zu. Ich war ge­zwun­gen, vor­wärts zu ge­hen.

»Ich habe eine Idee«, sag­te Ca­vor, aber ich kann­te sei­ne Ide­en.

»Hör­t’ mal!«, rief ich den Se­le­ni­ten zu. »Sach­te vor­an! Das ist für euch al­les recht schön und gut – –«

Ich sprang her­um. Ich brach in Flü­che aus. Denn ei­ner der Se­le­ni­ten hat­te mich hin­ten mit sei­nem Sta­chel ge­sto­chen.

Ich rang mei­ne Hand­ge­len­ke aus den klei­nen Tas­tern, die sie hiel­ten, los. Ich wand­te mich ge­gen den Sta­chel­trä­ger. »Zum Hen­ker mit dir!«, schrie ich. »Da­vor hab’ ich euch ge­warnt. Woraus in al­ler Welt meint ihr, dass ich be­ste­he, dass ihr mich stecht? Wenn ihr mich noch ein­mal be­rührt – –!«

Als Ant­wort stach er mich als­bald.

Ich hör­te Ca­vors Stim­me in Schreck und Bit­te. Selbst da noch, glau­be ich, woll­te er mit die­sen Ge­schöp­fen ver­han­deln. »Hö­ren Sie, Bed­ford«, rief er, »ich weiß einen Weg!« Aber der Sta­chel die­ses zwei­ten Stichs schi­en eine ein­ge­dämm­te Re­ser­ve von Ener­gie in mei­nem We­sen frei­zu­ma­chen. Im Nu schnapp­te ein Glied der Hand­ge­lenks­ket­te, und mit ihm schnapp­ten alle Er­wä­gun­gen, die uns wi­der­stands­los in den Hän­den die­ser Mond­ge­schöp­fe fest­ge­hal­ten hat­ten. In die­ser Se­kun­de we­nigs­tens war ich ra­send vor Furcht und Wut. Ich schlug dem We­sen mit dem Spie­ße ge­ra­de ins Ge­sicht hin­ein. Die Ket­te hat­te ich um die Faust ge­wi­ckelt …

Das gab wie­der eine von den scheuß­li­chen Über­ra­schun­gen, von de­nen die Mond­welt voll ist.

Mei­ne ge­pan­zer­te Hand schi­en ein­fach durch ihn durch­zu­schla­gen. Er spritz­te wie – wie ir­gend­wel­ches weich­li­che Kon­fekt mit Li­kör dar­in aus­ein­an­der! Er zer­brach ein­fach! Er zer­quetsch­te und zer­spritz­te! Es war, wie wenn man feuch­ten Kuckucksspei­chel trifft. Der zer­brech­li­che Rumpf flog ein Dut­zend Me­ter weit und fiel mit schlott­ri­gem Sto­ße auf. Ich war er­staunt. Es war nicht zu glau­ben, dass ein le­ben­des We­sen so nich­tig sein konn­te. Ei­nen Mo­ment hät­te ich das Gan­ze für einen Traum hal­ten kön­nen.

Dann war es wie­der wirk­lich und un­mit­tel­bar. We­der Ca­vor noch die an­de­ren Se­le­ni­ten schie­nen von dem Mo­ment an, als ich mich um­ge­dreht hat­te, bis zu dem Mo­ment, als der tote Se­le­nit den Bo­den traf, ir­gend et­was ge­tan zu ha­ben. Alle tra­ten von uns bei­den zu­rück, alle wa­ren wach. Die­ser Halt schi­en we­nigs­tens eine Se­kun­de zu dau­ern, nach­dem der Se­le­nit schon lag. Sie müs­sen sich das alle erst klar ge­macht ha­ben. Mir ist, ich er­in­ne­re mich, wie ich mir die Sa­che gleich­falls klar mach­te. »Was nun?«, schrie mein Ge­hirn! »was nun?« Dann war im Nu al­les in Be­we­gung.

Ich sah, wir muss­ten un­se­re Ket­ten los be­kom­men, und ehe wir dies tun konn­ten, muss­ten die­se Se­le­ni­ten ab­ge­schla­gen wer­den. Ich dreh­te mich zu der Grup­pe der drei Sta­chel­trä­ger. So­fort warf ei­ner sei­nen Spieß nach mir. Er schwirr­te mir über den Kopf, und ich glau­be, er flog in den Ab­grund hin­ter mir.

Ich sprang mit al­ler Macht ge­ra­de auf ihn los, als der Spieß über mich weg­flog. Er wand­te sich zur Flucht, als ich sprang, und ich warf ihn zu Bo­den, trat auf ihn, glitt auf sei­nem zer­schmet­ter­ten Kör­per aus und fiel. Er schi­en sich un­ter mei­nem Fuße zu win­den.

Ich kam in sit­zen­de Stel­lung, und auf al­len Sei­ten flo­hen die blau­en Rücken der Se­le­ni­ten ins Dun­kel. Ich bog ge­walt­sam ein Glied aus­ein­an­der, wand die Ket­te los, die mich an den Knö­cheln ge­hin­dert hat­te und sprang auf die Füße, mit der Ket­te in der Hand. Noch ein Sta­chel­spieß, der wie ein Speer ge­wor­fen wur­de, pfiff an mir vor­bei und ich mach­te einen Vor­stoß ge­gen das Dun­kel, aus dem er ge­kom­men war. Dann wand­te ich mich zu Ca­vor zu­rück, der noch im Lich­te des Rinn­sals an dem Ab­grun­de stand und sich krampf­haft mit sei­nen Hand­ge­len­ken zu schaf­fen mach­te, wäh­rend er zu­gleich Un­sinn über sei­ne Idee fa­sel­te.

»Kom­men Sie!«, rief ich.

»Mei­ne Hän­de!«, ant­wor­te­te er.

Dann merk­te er, dass ich nicht zu ihm zu­rück­zu­lau­fen wa­gen konn­te, weil mei­ne schlecht be­rech­ne­ten Schrit­te mich über den Rand hin­aus­tra­gen konn­ten, und so kam er, die Hän­de vor sich aus­ge­streckt, zu mir ge­wa­ckelt.