H. G. Wells – Gesammelte Werke

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7 – Sonnenaufgang auf dem Mond

Wie wir sie zu­erst er­blick­ten, war es die wil­des­te und trost­lo­ses­te Sze­ne. Wir la­gen in ei­nem un­ge­heu­ren Am­phi­thea­ter, auf ei­ner wei­ten, kreis­run­den Ebe­ne, dem Bo­den des Rie­sen­kra­ters. Sei­ne klip­pen­ar­ti­gen Wän­de schlos­sen uns auf al­len Sei­ten ein. Von der west­li­chen her fiel das Licht der un­sicht­ba­ren Son­ne dar­auf und reich­te bis hin­ab zum Fuße der Klip­pe; sie zeig­te einen wir­ren Hang schmut­zig grau­en Fel­sens, der hier und dort mit Bän­ken und Ris­sen voll Schnee ge­spickt war. Das war viel­leicht ein Dut­zend Mei­len ent­fernt, aber an­fangs ver­min­der­te kei­ne da­zwi­schen­lie­gen­de At­mo­sphä­re den bis ins kleins­te De­tail ge­hen­den Glanz, mit dem uns die­se Din­ge an­starr­ten. Sie stan­den klar und blen­dend vor ei­nem Hin­ter­grun­de ge­stirn­ter Schwär­ze, die un­sern ir­di­schen Au­gen eher wie ein glor­reich flit­ter­be­sä­ter Samt­vor­hang er­schi­en, als wie die Wei­te des Him­mels.

Die öst­li­che Klip­pe war zu­nächst nur ein ster­nen­lo­ser Saum zur stei­ni­gen Kup­pel. Kein ro­si­ges Licht, kei­ne krie­chen­de Bläs­se ver­kün­de­te den be­gin­nen­den Tag. Nur die Co­ro­na, das Zo­dia­kal­licht, ein rie­si­ger, ke­gel­för­mi­ger, leuch­ten­der Ne­bel, der zum Glanz des Mor­gens­terns em­por­zeig­te, sprach uns von der un­mit­tel­ba­ren Nähe der Son­ne.

Was an Licht um uns war, wur­de von den west­li­chen Klip­pen re­flek­tiert. Es zeig­te eine rie­si­ge ge­well­te Ebe­ne, kalt und grau, ein Grau, das sich nach Os­ten hin in das ab­so­lu­te Ra­ben­schwarz des Klip­pen­schat­tens ver­tief­te. Un­zäh­li­ge ge­run­de­te, graue Gip­fel, geis­ter­haf­te Ke­gel, Wo­gen schne­ei­ger Mas­se, die Kamm hin­ter Kamm in die fer­ne Fins­ter­nis er­streck­ten, ga­ben uns den ers­ten Wink über die Ent­fer­nung der Kra­ter­wand. Die­se Ke­gel sa­hen aus wie Schnee. Zur Zeit dach­te ich, es sei Schnee. Aber das wa­ren sie nicht – es wa­ren Hü­gel und Mas­sen ge­fro­re­ner Luft!

So war es erst, und dann kam, plötz­lich, rasch und ver­blüf­fend, der Mond­tag.

Das Son­nen­licht war die Klip­pe hin­ab­ge­kro­chen, es be­rühr­te die hin­ge­weh­ten Mas­sen an ih­rer Ba­sis und kam als­bald mit Sie­ben­mei­lens­tie­feln auf uns zu­ge­schrit­ten. Die fer­ne Klip­pe schi­en zu schwan­ken und zu be­ben, und bei der Berüh­rung mit dem Son­nen­auf­gang ström­te ein Qualm grau­en Duns­tes vom Kra­ter­bo­den em­por, Wir­bel und Wol­ken und trei­ben­de Ge­s­pens­ter ei­nes Grau, im­mer dich­ter und brei­ter und en­ger, bis zu­letzt die gan­ze west­li­che Ebe­ne wie ein nas­ses Tuch dampf­te, das man vors Feu­er hält, und bis die west­li­chen Klip­pen nur noch ein ge­bro­che­ner Glanz da­hin­ter wa­ren.

»Das ist Luft«, sag­te Ca­vor. »Es muss Luft sein – sonst wür­de es nicht so auf­stei­gen – bei der blo­ßen Berüh­rung mit ei­nem Son­nen­strahl. Und mit die­ser Ge­schwin­dig­keit …«

Er blick­te nach oben. »Se­hen Sie!«, sag­te er.

»Was?«, frag­te ich.

»Am Him­mel. Schon. Auf der Schwär­ze – ein leich­ter Hauch von Blau. Se­hen Sie! Die Ster­ne schei­nen grö­ßer. Und die klei­nen und all die dunklen Ne­bel­mas­sen, die wir im lee­ren Raum sa­hen – das ist ver­bor­gen!«

Schnell und ste­tig nah­te uns der Tag. Ein grau­er Hü­gel nach dem an­de­ren wur­de von der Glut er­fasst und in eine rau­chen­de, wei­ße Dich­tig­keit ver­wan­delt. Schließ­lich war west­lich von uns nichts mehr vor­han­den als eine Bank auf­stei­gen­den Ne­bels, der na­hen­de Aufruhr und Auf­stieg wol­ki­gen Duns­tes. Die fer­ne Klip­pe wich wei­ter und wei­ter zu­rück, hat­te durch den Wir­bel ge­ragt und sich ver­än­dert, und war zu­letzt in sei­nem Wirr­warr un­ter­ge­gan­gen und ver­schwun­den.

Nä­her kam die­se damp­fen­de Wand, nä­her und nä­her, und sie kam so schnell wie der Schat­ten ei­ner Wol­ke vor dem süd­west­li­chen Win­de. Um uns er­hob sich ein dün­ner, vor­grei­fen­der Ne­bel.

Ca­vor pack­te mei­nen Arm.

»Was?«, sag­te ich.

»Se­hen Sie! Der Son­nen­auf­gang! Die Son­ne!«

Er dreh­te mich um und zeig­te auf die Braue der öst­li­chen Klip­pe, die über dem Ne­bel um uns auf­rag­te, kaum hel­ler als das Dun­kel des Him­mels. Aber jetzt war ihre Li­nie durch selt­sa­me röt­li­che Ge­stal­ten mar­kiert, Zun­gen schar­lach­ner Flam­men, die sich wan­den und tanz­ten. Ich mein­te, es müss­ten Dunst­spi­ra­len sein, die vom Licht ge­fasst wa­ren und die­sen Kamm feu­ri­ger Zun­gen ge­gen den Him­mel bil­de­ten, aber in Wirk­lich­keit wa­ren es die Son­nen­aus­wüch­se, die ich sah, eine Feu­er­kro­ne um die Son­ne, die ir­di­schen Au­gen durch un­sern at­mo­sphä­ri­schen Schlei­er auf ewig ver­bor­gen ist.

Und dann – die Son­ne!

Ste­tig, un­ver­meid­lich kam eine glän­zen­de Li­nie, kam ein dün­ner Rand un­er­träg­li­cher Glut, der run­de Ge­stalt an­nahm, ein Bo­gen wur­de, ein blen­den­des Szep­ter wur­de, und einen Hitz­strahl auf uns ent­sand­te, als wäre es ein Speer.

Und mit die­sem Glü­hen kam ein Schall, der ers­te Schall, der uns von drau­ßen er­reich­te, seit wir die Erde ver­las­sen hat­ten, ein Zi­schen und Ra­scheln, das stür­mi­sche Schlei­fen des Luft­ge­wan­des im vor­wärtsei­len­den Tage. Und mit dem Schall und dem Licht zu­gleich leg­te sich die Sphä­re um, und blind und ge­blen­det tau­mel­ten wir hilf­los ge­gen­ein­an­der. Sie leg­te sich wie­der um, und das Zi­schen wur­de lau­ter. Ich hat­te die Au­gen ge­walt­sam ge­schlos­sen und mach­te plum­pe An­stren­gun­gen, mir den Kopf mit mei­ner De­cke zu ver­hül­len, und die­ser zwei­te Stoß warf mich hilf­los von den Bei­nen. Ich fiel ge­gen den Bal­len, und als ich die Au­gen öff­ne­te, sah ich einen Mo­ment die Luft ge­ra­de au­ßer­halb un­se­res Gla­ses. Sie schmolz – es war ein Ko­chen – wie Schnee, in den man eine rot­glü­hen­de Stan­ge wirft. Was fes­te Luft ge­we­sen war, wur­de plötz­lich bei der Berüh­rung mit der Son­ne ein Brei, ein Schlamm, eine schmut­zi­ge Flüs­sig­keit, die zu Gas ver­zisch­te und koch­te.

Es folg­te ein noch ge­walt­sa­me­rer Wir­bel der At­mo­sphä­re, und wir hat­ten ein­an­der ge­packt. Im nächs­ten Mo­ment wur­den wir wie­der her­um­ge­schleu­dert. Wir gin­gen kopf­über und kopf­über, und dann lag ich auf al­len Vie­ren. Der Ta­ge­s­an­bruch auf dem Mon­de hat­te uns er­grif­fen. Er woll­te uns klei­nen Men­schen zei­gen, was der Mond mit uns ma­chen konn­te.

Ich konn­te einen zwei­ten Blick auf die Din­ge drau­ßen wer­fen, auf die Dampf­strah­len, halb­flüs­si­gen Schlamm, der un­ter­gra­ben wur­de, glitt und fiel und glitt. Wir san­ken ins Dun­kel. Ich stürz­te mit Ca­vors Kni­en auf mei­ner Brust. Dann schi­en er von mir fort­zu­flie­gen und einen Mo­ment lag ich ohne Atem in mei­nem Kör­per da und starr­te nach oben. Ein tau­meln­der Fels von dem schmel­zen­den Zeug war über uns ge­spritzt, hat­te uns be­gra­ben und wur­de jetzt dün­ner und koch­te von uns ab. Ich sah die Bla­sen oben auf dem Gla­se tan­zen. Ich hör­te Ca­vor schwach ru­fen.

Dann hat­te uns ein rie­si­ger Rutsch in der tau­en­den Luft ge­fasst, und in­dem wir Pro­tes­te her­vor­spru­del­ten, be­gan­nen wir einen Hang hin­ab­zu­rol­len, roll­ten schnel­ler und schnel­ler, spran­gen über Spal­ten und prall­ten von Bän­ken ab, schnel­ler und schnel­ler, nach Wes­ten hin, in den weiß-hei­ßen ko­chen­den Aufruhr des Mond­tags hin­ein.

An­ein­an­der­ge­klam­mert, wir­bel­ten wir her­um, flo­gen hier­hin und dort­hin, und un­ser Ge­päck­bal­len sprang auf uns los und drosch auf uns um­her. Wir kol­li­dier­ten, wir grif­fen uns, wir wur­den aus­ein­an­der­ge­ris­sen – un­se­re Köp­fe schlu­gen zu­sam­men, und das gan­ze Wel­tall barst in feu­ri­ge Pfei­le und Ster­ne! Auf der Erde hät­ten wir uns ein dut­zend­mal zer­schmet­tert, aber auf dem Mond war zu un­se­rem Glück un­ser Ge­wicht nur ein Sechs­tel des­sen, was es auf der Erde ist, und wir fie­len sehr gnä­dig. Ich er­in­ne­re mich ei­ner Emp­fin­dung äu­ßers­ter Übel­keit, ei­nes Ge­fühls, als wäre mein Ge­hirn im Schä­del um­ge­kehrt und dann – –

Et­was war auf mei­nem Ge­sicht an der Ar­beit, ein paar dün­ne Füh­ler quäl­ten mei­ne Ohren. Dann ent­deck­te ich, dass der Glanz der Land­schaft um uns durch eine blaue Bril­le ge­mil­dert war. Ca­vor stand über mich ge­neigt, und ich sah sein Ge­sicht um­ge­kehrt, auch sei­ne Au­gen durch ge­färb­te Glä­ser ge­schützt. Sein Atem ging un­re­gel­mä­ßig, und sei­ne Lip­pe blu­te­te von ei­ner Quet­schung. »Bes­ser?«, sag­te er und wisch­te sich das Blut mit dem Rücken der Hand ab.

Al­les schi­en eine Zeit lang zu schwan­ken, aber das war nur mei­ne Schwind­lig­keit. Ich merk­te, dass er ein paar von den Ja­lou­si­en der äu­ße­ren Sphä­re ge­schlos­sen hat­te, um mich vor dem di­rek­ten Son­nen­strahl zu schüt­zen. Mir fiel auf, dass al­les um uns sehr glän­zend war.

»Him­mel!«, keuch­te ich. »Aber dies –!«

Ich reck­te mei­nen Hals, mich um­zu­bli­cken. Ich merk­te, dass drau­ßen eine blen­den­de Hel­le herrsch­te, ein ab­so­lu­ter Wech­sel aus dem fins­te­ren Dun­kel un­se­rer ers­ten Ein­drücke. »Bin ich lan­ge be­sin­nungs­los ge­we­sen?«, frag­te ich.

»Ich weiß nicht – der Chro­no­me­ter ist zer­bro­chen. Ei­ni­ge Zeit … Mein lie­ber Kerl! Ich habe Angst ge­habt …«

Ich lag eine Zeit lang da und nahm das in mich auf. Ich sah, sein Ge­sicht trug noch Spu­ren der Auf­re­gung. Eine Wei­le sag­te ich nichts. Ich strich mit fra­gen­der Hand über mei­ne Kon­tu­sio­nen und sah ihm nach ähn­li­chen Schä­den ins Ge­sicht. Der Rücken mei­ner rech­ten Hand hat­te am meis­ten ge­lit­ten und war haut­los und wund. Mei­ne Stirn war zer­sto­ßen und hat­te ge­blu­tet. Er reich­te mir ein klei­nes Maß mit et­was von dem Stär­kungs­mit­tel – den Na­men habe ich ver­ges­sen – das er mit­ge­nom­men hat­te. Nach ei­ni­ger Zeit fühl­te ich mich ein we­nig bes­ser. Ich be­gann mei­ne Glie­der vor­sich­tig zu stre­cken. Bald konn­te ich spre­chen.

 

»Das wäre nichts ge­we­sen«, sag­te ich, als sei gar kei­ne Zeit ver­stri­chen.

»Nein, wahr­haf­tig

Er sann, und die Hän­de hin­gen ihm über die Knie. Er späh­te durch das Glas und starr­te dann mich an. »Gro­ßer Gott!«, sag­te er. »Nein

»Was ist ge­sche­hen?«, frag­te ich nach ei­ner Pau­se. »Sind wir in die Tro­pen ge­sprun­gen?«

»Es war, wie ich er­war­tet hat­te. Die­se Luft ist ver­duns­tet, und die Ober­flä­che des Mon­des ist zu­ta­ge ge­kom­men. Wir lie­gen auf ei­ner er­di­gen Fels­bank. Hier und da zeigt sich der nack­te Bo­den. Ein wun­der­li­cher Bo­den!«

Ihm fiel ein, dass es un­nö­tig war, zu er­klä­ren. Er half mir in eine sit­zen­de Stel­lung, und ich konn­te mit ei­ge­nen Au­gen se­hen.

8 – Ein Mondmorgen

Die schar­fe Em­pha­se, das er­bar­mungs­lo­se Schwarz und Weiß der Sze­ne­rie war völ­lig ver­schwun­den. Der Glanz der Son­ne hat­te eine leich­te Bern­stein­tö­nung an­ge­nom­men; die Schat­ten auf der Klip­pe der Kra­ter­wand wa­ren tief pur­purn. Nach Os­ten hin kau­er­te noch eine dunkle Ne­bel­bank, die vor dem Son­nen­auf­gang ge­schützt war, aber nach Wes­ten hin war der Him­mel blau und klar. Die Dau­er mei­ner Be­sin­nungs­lo­sig­keit be­gann mir klar zu wer­den.

Wir wa­ren nicht mehr in ei­ner Lee­re. Eine At­mo­sphä­re hat­te sich um uns er­ho­ben. Der Um­riss der Din­ge hat­te an Cha­rak­ter ge­won­nen, war scharf und man­nig­fach ge­wor­den; ab­ge­se­hen von ei­ner hier und dort be­schat­te­ten Flä­che wei­ßer Sub­stanz, die nicht mehr aus Luft, son­dern aus Schnee be­stand, war die ark­ti­sche Er­schei­nung ganz ver­schwun­den. Über­all brei­te­ten sich wei­te, rost­brau­ne Flä­chen nack­ter, krau­ser Erde un­ter dem Schim­mer der Son­ne aus. Hier und dort stan­den am Ran­de der Schnee­trif­ten flüch­ti­ge klei­ne Was­ser­pfuh­le und Wir­bel – die ein­zi­gen Din­ge, die sich auf je­nem Ge­bie­te der Un­frucht­bar­keit reg­ten. Das Son­nen­licht flu­te­te durch die zwei obe­ren Ja­lou­si­en un­se­rer Sphä­re her­ein und ver­wan­del­te un­ser Kli­ma in ho­hen Som­mer, aber un­se­re Füße stan­den noch im Schat­ten, und die Sphä­re lag auf ei­ner Schnee­trift.

Und hier und dort auf dem Hang ver­streut, und un­ter­stri­chen von klei­nen, wei­ßen Fä­den un­ge­tau­ten Schnees auf ih­rer Schat­ten­sei­te, sah ich Ge­stal­ten wie Stö­cke, tro­ckene, ge­wun­de­ne Stö­cke von der glei­chen ros­ti­gen Fär­bung wie der Fels, auf dem sie la­gen. Das pack­te ei­nem die Ge­dan­ken scharf. Stö­cke! Auf ei­ner leb­lo­sen Welt? Dann, als mei­ne Auge sich mehr an die Tex­tur ih­rer Sub­stanz ge­wöhn­te, be­merk­te ich, dass fast die­se gan­ze Ober­flä­che wie der Tep­pich brau­ner Na­deln, den man un­term Schat­ten von Tan­nen fin­det, Fa­ser­struk­tur zeig­te.

»Ca­vor!«, sag­te ich.

»Ja.«

»Es mag jetzt eine tote Welt sein – aber frü­her – –«

Et­was un­ter­brach mei­ne Auf­merk­sam­keit. Ich hat­te un­ter die­sen Na­deln eine An­zahl klei­ner, runder Ge­gen­stän­de ent­deckt. Und mir schi­en, dass ei­ner von ih­nen sich be­wegt hat­te.

»Ca­vor«, flüs­ter­te ich.

»Was?«

Aber ich ant­wor­te­te nicht so­fort. Ich starr­te un­gläu­big hin. Ei­nen Mo­ment konn­te ich mei­nen Au­gen nicht glau­ben. Ich stieß einen un­ar­ti­ku­lier­ten Schrei aus. Ich pack­te sei­nen Arm. Ich zeig­te. »Sehn Sie!«, rief ich und fand mei­ne Spra­che. »Da! Ja! Und da!«

Sei­ne Au­gen folg­ten mei­nem zei­gen­den Fin­ger. »Eh?«, sag­te er.

Wie kann ich be­schrei­ben, was ich sah? Es ist eine sol­che Klei­nig­keit, und doch schi­en es so wun­der­voll, so schwan­ger mit Er­re­gung. Ich sag­te schon, mit­ten un­ter der stock­ar­ti­gen Streu stan­den die­se ge­run­de­ten Kör­per, die als sehr klei­ne Kie­sel hät­ten gel­ten kön­nen. Und jetzt hat­te sich erst ei­ner und dann ein zwei­ter ge­rührt, war über­ge­rollt und ge­platzt, und am Riss der bei­den hin zeig­te sich eine win­zi­ge Li­nie gelb­li­chen Grüns, das her­aus­barst, der war­men Er­mu­ti­gung der neu­er­stan­de­nen Son­ne ent­ge­gen. Ei­nen Mo­ment war das al­les, und dann rühr­te sich und barst ein drit­ter.

»Es ist ein Same«, sag­te Ca­vor. Und dann hör­te ich ihn sehr weich flüs­tern, »Le­ben

»Le­ben!« Und so­fort er­goss sich das Ge­fühl über uns, dass un­se­re un­ge­heu­re Rei­se nicht ver­geb­lich ge­macht war, dass wir in kei­ne dür­re Mi­ne­ra­li­en­wüs­te ge­kom­men wa­ren, son­dern in eine Welt, die leb­te und sich be­weg­te! Wir be­ob­ach­te­ten in­ten­siv. Ich er­in­ne­re mich, dass ich das Glas vor mir fort­wäh­rend mit dem Är­mel rieb, arg­wöh­nisch ge­gen die lei­ses­te Spur von Tau.

Klar und le­ben­dig war das Bild nur in der Mit­te des Fel­des. Um die­ses Zen­trum her­um wa­ren all die to­ten Fi­bern und die Sa­men von der Wöl­bung des Gla­ses ver­grö­ßert und ver­zerrt. Aber wir konn­ten ge­nug se­hen! Ei­ner nach dem an­de­ren, den gan­zen, son­nen­be­leuch­te­ten Hang hin­un­ter bars­ten und spal­te­ten sich die­se klei­nen brau­nen Kör­per wie Sa­men­scho­ten, wie Frucht­hül­sen; öff­ne­ten gie­ri­ge Mün­der, die das Licht und die Wär­me ein­tran­ken, die von der neu er­stan­de­nen Son­ne in ei­ner Kas­ka­de nie­der­ström­ten.

Mit je­dem Mo­ment spran­gen mehr von die­sen Sa­men­män­teln, und wäh­rend sie das noch ta­ten, über­flu­te­ten die schwel­len­den Pio­nie­re ihre durch den Riss er­wei­ter­ten Sa­men­hül­sen und tra­ten in das zwei­te Wachs­tum­sta­di­um über. Mit ste­ti­ger Si­cher­heit, ra­scher Über­le­gung ent­sand­ten die­se er­staun­li­chen Sa­men eine klei­ne Wur­zel in die Erde hin­ab, und eine wun­der­li­che, bün­del­ar­ti­ge klei­ne Knos­pe brach in die Luft em­por. In kur­z­er Zeit war der gan­ze Hang mit win­zi­gen Pflänz­chen be­deckt, die in der Son­nenglut auf Wa­che stan­den.

Sie blie­ben nicht lan­ge ste­hen. Die bün­del­ar­ti­gen Knos­pen schwell­ten und spann­ten sich und öff­ne­ten sich mit ei­nem Ruck und war­fen eine Kro­ne klei­ner, schar­fer Spit­zen aus, ent­fal­te­ten einen Quirl win­zi­ger, spit­zi­ger, bräun­li­cher Blät­ter, die ra­pid län­ger wur­den, sicht­lich län­ger wur­den, wie wir sie be­ob­ach­te­ten. Die Be­we­gung war lang­sa­mer als die ir­gend­ei­nes Tiers, schnel­ler als die ir­gend­ei­ner Pflan­ze, die ich je zu­vor ge­se­hen habe. Wie kann ich es klar ma­chen – wie die­ses Wachs­tum vor sich ging? Die Blatt­spit­zen wuch­sen so, dass sie sich vor­wärts be­weg­ten, wäh­rend wir sie noch an­blick­ten. Die brau­ne Sa­men­hül­se welk­te und wur­de mit glei­cher Ge­schwin­dig­keit ab­sor­biert. Ha­ben Sie je an ei­nem kal­ten Tage ein Ther­mo­me­ter in die Hand ge­nom­men und den dün­nen Queck­sil­ber­fa­den im Rohr hoch­krie­chen se­hen? So wuch­sen die­se Mond­pflan­zen.

In ein paar Mi­nu­ten, wie es schi­en, wa­ren die Knos­pen der ent­wi­ckelts­ten die­ser Pflan­zen zu ei­nem Stiel ge­wor­den und ent­fal­te­ten so­gar schon einen zwei­ten Blät­ter­quirl, und der gan­ze Hang, der noch eben als eine leb­lo­se Stre­cke der Streu er­schie­nen war, war jetzt dun­kel von dem oliv­grü­nen Laub be­haar­ter Spit­zen, die un­ter der Wucht ih­res Wachs­tums schwank­ten.

Ich dreh­te mich um, und sie­he! am obe­ren Rand ei­nes öst­li­chen Fel­sens ent­lang schwank­te und beug­te sich, dun­kel ge­gen den blen­den­den Schim­mer der Son­ne ein ähn­li­cher Saum in kaum we­ni­ger ent­wi­ckel­tem Zu­stand. Und hin­ter die­sem Saum stand die Sil­hou­et­te ei­ner Pflan­zen­mas­se, die sich plump wie ein Kak­tus ver­äs­tel­te und sicht­lich schwoll, schwoll wie eine Bla­se, die sich mit Luft füllt.

Dann ent­deck­te ich auch west­lich, dass sich eine zwei­te sol­che er­wei­ter­te Ge­stalt über dem Busch­werk er­hob. Aber hier fiel das Licht auf die glat­ten Flä­chen, und ich konn­te se­hen, dass ihre Far­be ein leb­haf­tes Oran­ge war. Sie stieg, wäh­rend man sie be­ob­ach­te­te; wenn man eine Mi­nu­te fort und dann wie­der hin­blick­te, hat­te ihr Um­riss sich ver­än­dert; sie ent­sand­te stump­fe, stäm­mi­ge Äste, bis sie in kur­z­er Zeit wie ein Koral­len­wuchs von vie­len Fuß Höhe da­stand. Mit sol­chem Wachs­tum ver­gli­chen, wäre der ir­di­sche Staub­pilz, der bis­wei­len in ei­ner ein­zi­gen Nacht einen Fuß an Durch­mes­ser ge­winnt, ein hoff­nungs­lo­ser Faul­pelz. Aber der Staub­pilz wächst auch ge­gen einen Gra­vi­ta­ti­ons­zug, der sechs­mal so stark ist wie der des Mon­des. Da­hin­ter streb­te aus Rin­nen und Flä­chen, die uns ver­bor­gen ge­we­sen wa­ren, aber nicht der le­ben­den Son­ne, ein stach­li­ger Bart spit­zi­ger und flei­schi­ger Ve­ge­ta­ti­on über Rif­fe und Bän­ke glän­zen­den Fel­sens in un­ser Ge­sichts­feld em­por und eil­te im Aufruhr, den kur­z­en Tag aus­zu­nut­zen, in dem sie blü­hen und Frucht tra­gen und säen und wie­der ster­ben muss. Es war wie ein Wun­der, dies Wachs­tum. So, muss man sich vor­stel­len, er­stan­den die Bäu­me und Pflan­zen bei der Schöp­fung und be­deck­ten die Öde der neu­ge­schaf­fe­nen Erde.

Man stel­le sich das vor! Man stel­le sich die­sen Son­nen­auf­gang vor! Die Au­fer­ste­hung der ge­fro­re­nen Luft, das Sich-Re­gen und Be­le­ben des Bo­dens, und dann die­ses stil­le Auf­ste­hen der Ve­ge­ta­ti­on, die­ses un­ir­di­sche Em­por­schie­ßen der Flei­schig­keit und der Sta­cheln. Man den­ke sich das al­les von ei­nem Glanz er­hellt, der das in­ten­sivs­te Son­nen­licht der Erde wür­de wäs­se­rig und schwach er­schei­nen las­sen. Und doch zö­ger­ten noch um die­sen be­weg­ten Dschun­gel, wo nur Schat­ten lag, Bän­ke bläu­li­chen Schnees. Und um das Bild un­se­res Ein­drucks voll­stän­dig zu ha­ben, muss man be­rück­sich­ti­gen, dass wir das al­les durch ein dickes, ge­bo­ge­nes Glas er­blick­ten, ver­zerrt, wie die Din­ge durch Lin­sen ver­zerrt wer­den, scharf nur in der Mit­te des Bil­des, und da sehr hell, und nach den Rän­dern zu ver­grö­ßert und un­wirk­lich.

9 – Das Kundschaftern beginnt

Wir hör­ten auf zu spä­hen. Wir wand­ten uns ein­an­der zu, den­sel­ben Ge­dan­ken, die­sel­be Fra­ge in den Au­gen. Da­mit die­se Pflan­zen wach­sen konn­ten, muss­te Luft da sein, wenn auch noch so ver­dünn­te Luft, die auch wir wür­den at­men kön­nen.

»Das Ein­stei­ge­loch?«, sag­te ich.

»Ja!«, sag­te Ca­vor, »wenn es Luft ist, was wir se­hen!«

»In kur­z­em«, sag­te ich, »wer­den die­se Pflan­zen so hoch sein wie wir. Wenn nun – wenn nun schließ­lich aber – – Ist es si­cher? Wo­her wis­sen Sie, dass das Zeug Luft ist? Es kann Stick­stoff sein – es kann so­gar Koh­len­säu­re sein!«

»Das ist leicht«, sag­te er und mach­te An­stalt, es zu be­wei­sen. Er zog ein großes Stück zer­knüll­ten Pa­piers aus dem Bal­len, ent­zün­de­te es und warf es rasch durch die Ven­til­klap­pe hin­aus. Ich neig­te mich vor und späh­te durch das di­cke Glas, dass sie drau­ßen er­schie­ne, die­se klei­ne Flam­me, von de­ren Zeug­nis so­viel ab­hing.

Ich sah das Pa­pier fal­len und leicht auf dem Schnee lie­gen. Die ro­si­ge Flam­me des Bren­nens ver­schwand. Ei­nen Mo­ment schi­en sie er­lo­schen zu sein. Und dann sah ich eine klei­ne blaue Zun­ge am Rand des Pa­piers, die zit­ter­te und kroch und sich ver­brei­te­te!

Ru­hig ver­kohl­te und ver­schrumpf­te der gan­ze Bo­gen, au­ßer, wo er in un­mit­tel­ba­rer Berüh­rung mit dem Schnee lag, und er sand­te einen zit­tern­den Rauch­fa­den em­por. Mir blieb kein Zwei­fel; die At­mo­sphä­re des Mon­des war ent­we­der rei­ner Sau­er­stoff oder Luft und also im­stan­de – wenn nicht die Dich­tig­keit zu ge­ring war – un­ser frem­des Le­ben zu er­hal­ten. Wir konn­ten auf­tau­chen – und le­ben!

Ich setz­te mich hin, die Bei­ne auf bei­den Sei­ten des Ein­stei­ge­lo­ches, und mach­te An­stalt, es auf­zu­schrau­ben, aber Ca­vor un­ter­brach mich. Er mach­te dar­auf auf­merk­sam, wenn drau­ßen auch si­cher­lich eine sau­er­stoff­hal­ti­ge At­mo­sphä­re vor­han­den sei, so kön­ne sie doch noch so dünn sein, dass sie uns schwer schä­di­gen müss­te. Er er­in­ner­te mich an die Berg­krank­heit und an die Blu­tung, die die Luft­schif­fer oft be­fällt, wenn sie zu schnell ge­stie­gen sind, und er brach­te ei­ni­ge Zeit da­mit zu, dass er ein ekel­haft schme­cken­des Ge­tränk be­rei­te­te, und er be­stand dar­auf, dass ich da­von nahm. Ich fühl­te mich nach­her ein we­nig taub, sonst aber hat­te es kei­ne Wir­kung auf mich. Dann er­laub­te er mir, mit dem Auf­schrau­ben zu be­gin­nen.

Bald war der Glas­ver­schluss des Ein­stei­ge­lochs so weit ge­löst, dass die dich­te­re Luft in un­se­rer Sphä­re die Schrau­ben­win­dun­gen ent­lang aus­zu­strö­men be­gann und sang, wie ein Kes­sel singt, ehe er kocht. Da­rauf hieß er mich in­ne­hal­ten. Es wur­de bald deut­lich, dass der Druck drau­ßen sehr viel ge­rin­ger war als der drin­nen. Wie viel ge­rin­ger er war, konn­ten wir nicht sa­gen.

 

Ich saß da und hielt den Ver­schluss mit bei­den Hän­den ge­packt, be­reit, ihn wie­der zu schlie­ßen, wenn die Mondat­mo­sphä­re sich schließ­lich, ent­ge­gen un­se­rer in­ten­sivs­ten Hoff­nung, als zu dünn her­aus­stel­len soll­te, und Ca­vor hat­te einen Cy­lin­der mit kom­pri­mier­tem Sau­er­stoff zur Hand, um un­se­ren Druck zu er­neu­ern. Wir blick­ten ein­an­der schwei­gend an, und dann auf die fan­tas­ti­sche Ve­ge­ta­ti­on, die rings schwank­te und sicht­lich und ge­räusch­los wuchs. Und im­mer noch dau­er­te das schril­le Pfei­fen fort.

Mir be­gan­nen die Blut­ge­fäße in den Ohren zu po­chen, und das Geräusch von Ca­vors Be­we­gun­gen wur­de schwä­cher. Ich be­merk­te, wie still durch die Ver­dün­nung der Luft al­les ge­wor­den war.

Wie un­se­re Luft aus den Schrau­ben­gän­gen aus­zisch­te, kon­den­sier­te sich ihre Feuch­tig­keit in klei­nen Wol­ken.

Als­bald emp­fand ich eine ei­gen­tüm­li­che Kurzat­mig­keit, die auch die gan­ze Zeit an­dau­er­te, wäh­rend der wir der äu­ße­ren At­mo­sphä­re des Mon­des aus­ge­setzt wa­ren; und eine ziem­lich un­an­ge­neh­me Emp­fin­dung an den Ohren und Fin­ger­nä­geln und dem Hals­rücken dräng­te sich mei­ner Auf­merk­sam­keit auf und ver­ging wie­der.

Aber dann ka­men Schwin­del und Übel­keit, die mei­nen Mut so­fort än­der­ten. Ich dreh­te den Ver­schluss des Ein­stei­ge­lochs eine hal­be Wen­dung hin­ein und gab Ca­vor eine has­ti­ge Er­klä­rung; aber jetzt war er der san­gui­ni­sche­re. Er ant­wor­te­te mir mit ei­ner Stim­me, die au­ßer­or­dent­lich lei­se und fern klang, weil die Luft, die den Schall trug, so dünn war. Er emp­fahl einen Schluck Brannt­wein und gab mir das Bei­spiel, und als­bald fühl­te ich mich bes­ser. Ich dreh­te den Ver­schluss des Lo­ches wie­der auf. Das Po­chen in mei­nen Ohren wur­de lau­ter, und dann merk­te ich, dass der pfei­fen­de Ton des Auss­trö­mens auf­ge­hört hat­te. Eine Zeit lang konn­te ich mich nicht ver­ge­wis­sern, dass er auf­ge­hört hat­te.

»Nun?«, sag­te Ca­vor mit dem Geist ei­ner Stim­me.

»Nun?«, sag­te ich.

»Sol­len wir fort­fah­ren?«

Ich dach­te. »Ist das al­les?«

»Wenn Sie es aus­hal­ten kön­nen.«

Statt der Ant­wort fuhr ich mit dem Auf­schrau­ben fort. Ich hob den run­den Ver­schluss von sei­ner Stel­le und leg­te ihn vor­sich­tig auf den Bal­len. Eine Flo­cke Schnees wir­bel­te und ver­schwand, als die­se dün­ne und un­ge­wohn­te Luft un­se­re Sphä­re in Be­sitz nahm. Ich knie­te nie­der und setz­te mich dann auf den Rand des Ein­stei­ge­lochs und späh­te hin­aus. Un­ten, einen Me­ter nur von mei­nem Ge­sicht ent­fernt, lag der un­be­tre­te­ne Schnee des Mon­des.

Es folg­te eine klei­ne Pau­se. Un­se­re Au­gen tra­fen sich.

»Es be­drückt Ihre Lun­gen nicht zu sehr?«, sag­te Ca­vor.

»Nein«, sag­te ich. »Dies kann ich aus­hal­ten.«

Er streck­te die Hand nach sei­ner De­cke aus, steck­te den Kopf durch das zen­tra­le Loch und wi­ckel­te sie um sich. Er setz­te sich auf den Rand des Ein­stei­ge­lochs und ließ die Füße hin­ab, bis sie dem Mond­bo­den auf sechs Zoll nahe wa­ren. Er zö­ger­te einen Mo­ment, sprang die­se paar Zoll hin­ab und stand auf dem un­be­tre­te­nen Bo­den des Mon­des.

Als er hin­austrat, wur­de er von dem Glas­ran­de gro­tesk ver­zerrt. Ei­nen Mo­ment stand er still und blick­te hier­hin und dort­hin. Dann zog er sich zu­sam­men und sprang.

Das Glas ver­zerr­te al­les, aber es schi­en mir so­gar ein ganz un­ge­wöhn­lich großer Sprung zu sein. Er war mit ei­nem Satz in die Fer­ne ge­rückt. Er schi­en zwan­zig oder drei­ßig Fuß weit fort zu sein. Er stand hoch auf ei­ner Fel­sen­mas­se und ges­ti­ku­lier­te nach mir zu­rück. Vi­el­leicht rief er – aber der Klang er­reich­te mich nicht. Aber wie zum Teu­fel hat­te es das ge­macht? Ich kam mir vor wie ein Mann, der ge­ra­de einen neu­en Be­schwö­r­er­trick ge­se­hen hat.

In ei­nem ver­wirr­ten Geis­tes­zu­stand sprang auch ich zum Ein­stei­ge­loch hin­aus. Ich rich­te­te mich auf. Gera­de vor mir war die Schnee­trift zu­sam­men­ge­sun­ken und hat­te eine Art Gra­ben ge­bil­det. Ich mach­te einen Schritt und sprang.

Ich merk­te, dass ich durch die Luft flog, sah den Fel­sen, auf dem er stand, mir ent­ge­ge­nei­len, pack­te ihn und klam­mer­te mich in ei­nem Zu­stand un­end­li­chen Ent­set­zens an.

Ich keuch­te ein müh­sa­mes La­chen. Ich war furcht­bar ver­wirrt. Ca­vor bück­te sich und schrie mir in piep­sen­den Tö­nen zu, vor­sich­tig zu sein.

Ich hat­te ver­ges­sen, dass auf dem Mond, der nur ein Ach­tel der Mas­se der Erde hat und ein Vier­tel ih­res Durch­mes­sers, mein Ge­wicht kaum ein Sechs­tel des­sen war, was es auf der Erde ge­we­sen war. Aber jetzt be­stand die­se Tat­sa­che dar­auf, dass man an sie dach­te.

»Wir sind nicht mehr am Gän­gel­band der Mut­ter Erde«, sag­te er.

Mit ei­ner vor­sich­ti­gen An­stren­gung hob ich mich auf die Spit­ze und mit so sorg­fäl­ti­ger Be­we­gung, wie ein rheu­ma­ti­scher Pa­ti­ent, rich­te­te ich mich un­ter dem Son­nenglanz ne­ben ihm auf. Die Sphä­re lag hin­ter uns auf ih­rer schwin­den­den Schnee­trift, drei­ßig Fuß ent­fernt.

So weit das Auge über den un­ge­heu­ren Fel­sen­wirr­warr, der den Kra­ter­bo­den aus­mach­te, bli­cken konn­te, sprang das­sel­be stach­li­ge Busch­werk, das uns um­gab, ins Le­ben, hier und dort va­ri­iert durch bau­chi­ge Mas­sen ei­ner Kak­tus­form und schar­lach­ne und pur­pur­ne Flech­ten, die so rasch wuch­sen, dass sie über die Fel­sen zu krie­chen schie­nen. Die gan­ze Flä­che des Kra­ters schi­en mir bis hin zum Fuß der um­ge­ben­den Klip­pe eine ein­zi­ge glei­che Wild­nis zu sein.

Die­se Klip­pe ent­behr­te of­fen­bar au­ßer an ih­rer Ba­sis der Ve­ge­ta­ti­on, und sie zeig­te Pfei­ler und Ter­ras­sen und Tri­bü­nen, die un­se­re Auf­merk­sam­keit vor­läu­fig nicht sehr in An­spruch nah­men. Sie stand in je­der Rich­tung vie­le Mei­len weit von uns ent­fernt, wir schie­nen fast im Zen­trum des Kra­ters zu ste­hen, und wir sa­hen sie durch einen ge­wis­sen Dunst, der vor dem Win­de trieb. Denn jetzt war in der dün­nen Luft so­gar ein Wind vor­han­den, ein schnel­ler aber schwa­cher Wind, der au­ßer­or­dent­lich käl­te­te, aber nur ge­rin­gen Druck aus­üb­te. Er blies um den Kra­ter her­um, wie es schi­en, von dem neb­li­gen Dun­kel un­ter der Wand son­nen­wärts, nach der hei­ßen, er­leuch­te­ten Sei­te. In je­nen öst­li­chen Ne­bel zu bli­cken, war schwer; wir muss­ten mit halb ge­schlos­se­nen Au­gen un­ter dem Schat­ten un­se­rer Hän­de her­vor­spä­hen, weil die re­gungs­lo­se Son­ne eine wil­de In­ten­si­tät ent­fal­te­te.

»Es scheint ver­las­sen zu sein«, sag­te Ca­vor, »ab­so­lut öde.«

Ich blick­te von neu­em um mich. Ich be­wahr­te noch jetzt eine has­ten­de Hoff­nung auf ir­gend­ein qua­si mensch­li­ches Zeug­nis, auf eine Ge­bäu­de­zin­ne, ein Haus oder ein Werk­zeug, aber wo­hin man auch blick­te, dehn­ten sich die krau­sen Fel­sen in Spit­zen und Käm­men, und das strah­len­ar­ti­ge Ge­strüpp und jene bau­chi­gen Kak­ti, die schwol­len und schwol­len – eine glat­te Ver­nei­nung, wie es schi­en, je­der sol­chen Hoff­nung.

»Es sieht aus, als hät­ten die­se Pflan­zen al­les für sich«, sag­te ich. »Ich sehe kei­ne Spur von ir­gend­wel­chem an­de­ren Ge­schöpf.«

»Kei­ne In­sek­ten – kei­ne Vö­gel – nein! Kei­ne Spur, kein Bro­cken, kein Par­ti­kel­chen tie­ri­schen Le­bens. Gäbe es sie – was woll­ten sie in der Nacht be­gin­nen? … Nein, es sind nur ge­ra­de die­se Pflan­zen vor­han­den.«