H. G. Wells – Gesammelte Werke

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16. Kapitel – Im Wirtshaus »Zu den lustigen Cricketern«

Das Wirts­haus »Zu den lus­ti­gen Cricke­tern« liegt ge­ra­de am Fuße des Hü­gels, wo die Tram­bahn­li­ni­en be­gin­nen. Der Wirt stütz­te sei­ne di­cken, ro­ten Arme auf den Schank­tisch und sprach mit ei­nem bleich­süch­ti­gen Kut­scher über Pfer­de, wäh­rend ein schwarz­bär­ti­ger, grau ge­klei­de­ter Mann Brot und Käse aß, Bier trank und sich in stark ame­ri­ka­ni­schem Ak­zent mit ei­nem dienst­frei­en Po­li­zis­ten un­ter­hielt.

»Was ist das für ein Ge­schrei?«, frag­te der Kut­scher und such­te über die schmut­zig­gel­ben Vor­hän­ge hin­weg den Ab­hang zu über­bli­cken. Je­mand lief drau­ßen vor­bei.

»Vi­el­leicht brennt es«, sag­te der Wirt.

Schwe­re Schrit­te nä­her­ten sich eilends, die Tür wur­de auf­ge­ris­sen und Mar­vel stürz­te in jäm­mer­li­cher Ver­fas­sung, ohne Hut, mit auf­ge­ris­se­nem Hals­kra­gen her­ein. Er dreh­te sich so­gleich um und ver­such­te in ver­zwei­fel­ter An­stren­gung, die Tür hin­ter sich zu schlie­ßen. Ein Strick hin­der­te ihn dar­an.

»Er kommt!«, stam­mel­te er vor Ent­set­zen krei­schend. »Er kommt! Der Un­sicht­ba­re! Er ver­folgt mich! Um Got­tes Barm­her­zig­keit wil­len! Hil­fe! Hil­fe! Hil­fe!«

»Schließt die Tü­ren!«, sag­te der Po­li­zist. »Wer kommt? Was gibt es?« Er ging zur Tür, lös­te den Strick und die Tür schlug zu. Der Ame­ri­ka­ner schloss die zwei­te.

»Lasst mich her­ein!«, bat Mar­vel stam­melnd und wei­nend, wo­bei er aber die Bü­cher noch im­mer fest an sich ge­drückt hielt. »Lasst mich her­ein! Er ist hin­ter mir. Ich bin ihm durch­ge­gan­gen. Er hat ge­schwo­ren, er wird mich tö­ten, und er wird es auch tun!«

»Sie sind in Si­cher­heit«, sag­te der Schwarz­bär­ti­ge. »Die Tür ist ge­schlos­sen. Was soll das al­les hei­ßen?«

»Lasst mich da hin­ein«, stam­mel­te Mar­vel und schrie laut auf, als plötz­lich ein Schlag die ver­rie­gel­te Tür er­dröh­nen ließ, dem ein hef­ti­ges Klop­fen und ein lau­ter Ruf drau­ßen folg­te.

»Hal­lo!«, rief der Po­li­zei­mann. »Wer ist da?«

Mr. Mar­vel mach­te ver­zwei­fel­te Ver­su­che, durch Wand­ver­klei­dun­gen, die wie Tü­ren aus­sa­hen, zu ent­kom­men. »Er wird mich er­mor­den! Er hat ein Mes­ser oder sonst eine Waf­fel Um Got­tes wil­len –!«

»Hier­her!«, rief der Wirt. »Kom­men Sie hier­her!« Und er öff­ne­te die Klap­pe des Schank­ti­sches.

Wäh­rend die Auf­for­de­rung zum Öff­nen von drau­ßen wie­der­holt wur­de, stürz­te Mr. Mar­vel hin­ter den Tisch. »Öff­net nicht!«, kreisch­te er. »Bit­te, bit­te, öff­net nicht! Wo soll ich mich nur ver­ber­gen?«

»Dies ist also der Un­sicht­ba­re?«, frag­te der schwarz­bär­ti­ge Mann, eine Hand auf dem Rücken hal­tend. »Höchs­te Zeit, dass er sich se­hen lässt.«

Plötz­lich wur­de ein Fens­ter des Wirts­hau­ses ein­ge­drückt und auf der Stra­ße ver­nahm man lau­tes Schrei­en und ei­li­ges Hin- und Her­ren­nen. Der Po­li­zist hat­te sich auf einen Stuhl ge­stellt und brann­te vor Neu­gier­de zu se­hen, wer bei der Tür war. Jetzt stieg er mit ge­run­zel­ter Stirn wie­der her­un­ter. »Es ist so!«, sag­te er. Der Wirt stand vor der Gast­zim­mer­tür, die jetzt hin­ter Mr. Mar­vel ver­rie­gelt wur­de, starr­te mit großen Au­gen auf das zer­schla­ge­ne Fens­ter und ge­sell­te sich dann zu den an­de­ren Män­nern.

Plötz­lich trat Stil­le ein. »Ich woll­te, ich hät­te mei­nen Knüt­tel«, sag­te der Po­li­zist, un­ent­schlos­sen auf die Tür zu­ge­hend. »So­wie wir öff­nen, kommt er her­ein. Da gibt es kein Auf­hal­ten.«

»Be­ei­len Sie sich mit dem Öff­nen nicht zu sehr«, mein­te der bleich­süch­ti­ge Kut­scher ängst­lich.

»Zie­hen Sie den Rie­gel zu­rück«, sag­te der Schwarz­bär­ti­ge, »und wenn er kommt …« Er brach­te einen Re­vol­ver, den er in der Hand hielt, zum Vor­schein.

»Das geht nicht«, mein­te der Po­li­zist, »das wäre Mord!«

»Ich weiß, in wel­chem Lan­de ich mich be­fin­de«, sag­te der Mann mit dem Bart, »ich will ihn in die Bei­ne schie­ßen. Schie­ben Sie den Rie­gel zu­rück.«

»Nicht, wenn das Zeug hin­ter mir los­geht«, er­klär­te der Wirt, durch die Vor­hän­ge spä­hend.

»Auch recht«, sag­te der Bär­ti­ge, ging, den Re­vol­ver schuss­be­reit, vor­wärts und öff­ne­te selbst. Wirt, Kut­scher und Po­li­zist sa­hen ihm ge­spannt zu.

»He­rein!«, sag­te der Bär­ti­ge halb­laut, trat einen Schritt zu­rück und hielt die Waf­fe schutz­be­reit hin­ter sich. Nie­mand er­schi­en, nichts reg­te sich. Als fünf Mi­nu­ten spä­ter ein zwei­ter Kut­scher vor­sich­tig den Kopf hin­ein­steck­te, war­te­ten sie noch im­mer, wäh­rend ein angst­ver­zerr­tes Ge­sicht sich im Rah­men der Gast­zim­mer­tür zeig­te und alle mög­li­chen An­fra­gen be­ant­wor­ten muss­te.

»Sind alle Tü­ren im Hau­se ge­schlos­sen?«, frag­te Mar­vel. »Er geht ge­wiss um das Haus her­um und späht eine Ge­le­gen­heit aus. Er ist klug und lis­tig wie der Teu­fel.«

»Gro­ßer Gott!«, rief der di­cke Wirt. »Die Hin­ter­tür! Be­wacht die Tü­ren dort! Ich sage – –!« Er blick­te sich hilf­los um. Die Gast­zim­mer­tür schlug zu und sie hör­ten, wie der Schlüs­sel um­ge­dreht wur­de. »Das Hau­stor und der Haus­ein­gang sind of­fen. Das Hau­stor – –«

Er stürz­te aus der Schank­stu­be.

Im nächs­ten Au­gen­blick er­schi­en er wie­der mit ei­nem großen Mes­ser in der Hand. »Das Hau­stor war of­fen«, sag­te er und ließ sei­ne di­cke Un­ter­lip­pe hän­gen.

»Jetzt kann er im Hau­se sein«, sag­te der ers­te Kut­scher.

»In der Kü­che ist er nicht«, mein­te der Wirt. »Es sind zwei Frau­en drin­nen und ich habe je­den Zoll breit mit die­sem Mes­ser durch­sucht. Auch glau­ben sie nicht, dass er her­ein­ge­kom­men ist. Sie ha­ben nichts be­merkt –«

»Ha­ben Sie das Tor ge­schlos­sen?«, frag­te der ers­te Kut­scher.

»Ich habe wirk­lich die Kin­der­schu­he schon aus­ge­tre­ten«, ver­setz­te der Wirt.

Der Mann mit dem Bart steck­te sei­nen Re­vol­ver ein. Im sel­ben Au­gen­blick wur­de die Klap­pe der Schank­tür zu­ge­schla­gen, die Rie­gel klirr­ten, dann schnapp­te das Schloss mit fürch­ter­li­chem Ge­tö­se ein und die Gast­zim­mer­tür wur­de auf­ge­ris­sen. Sie hör­ten Mar­vel wie ein ge­fan­ge­nes Tier quiet­schen und spran­gen über den Schank­tisch, um ihm zu Hil­fe zu kom­men. Der Re­vol­ver des Bär­ti­gen knack­te und der Spie­gel am an­de­ren Ende des Schank­zim­mers fiel in tau­send Sp­lit­tern zu Bo­den.

Als der Wirt das Zim­mer be­trat, sah er Mar­vel in ei­ner sehr son­der­ba­ren Stel­lung zu­sam­men­ge­krümmt an der Tür, die in den Hof und in die Kü­che führ­te, her­um­ar­bei­ten. Wäh­rend der Wirt noch zö­ger­te, flog die Tür auf und Mar­vel wur­de in die Kü­che ge­zerrt. Man hör­te einen Auf­schrei und das Klir­ren von Schüs­seln. Mar­vel, der sich mit al­ler Kraft ge­gen die un­sicht­ba­re Ge­walt sträub­te, wur­de kopf­über in die Kü­che ge­sto­ßen und die Tür hin­ter ihm ver­rie­gelt.

Der Schutz­mann, der ver­sucht hat­te, am Wirt vor­bei­zu­kom­men, stürz­te nach; ei­ner der Kut­scher folg­te. Er um­klam­mer­te das Ge­lenk der un­sicht­ba­ren Hand, wel­che Mar­vel am Kra­gen fest­hielt, be­kam einen Schlag ins Ge­sicht und fiel tau­melnd zu­rück. Die Tür öff­ne­te sich wie­der, und Mar­vel mach­te ver­zwei­fel­te An­stren­gun­gen, da­hin­ter Schutz zu fin­den. Dann pack­te der Kut­scher et­was Fes­tes …

»Ich habe ihn!«, rief er.

Die ro­ten Hän­de des Schank­wirts um­klam­mer­ten et­was Un­sicht­ba­res.

»Da ist er!«, schrie er.

Mr. Mar­vel sah sich be­freit, glitt rasch zu Bo­den und ver­such­te, hin­ter den Bei­nen der Kämp­fen­den weg­zu­krie­chen. Der Kampf zog sich um die Tür­kan­te her­um. Zum ers­ten Male hör­te man die Stim­me des Un­sicht­ba­ren, der laut auf­schrie, als ihm der Po­li­zist auf den Fuß trat. Dann stieß er wil­de Rufe aus und sei­ne Fäus­te flo­gen her­um wie Dresch­fle­gel. Der Kut­scher stöhn­te plötz­lich auf und wand sich un­ter ei­nem Stoß, der ihn in den Ma­gen ge­trof­fen hat­te. Die Tür, die aus der Kü­che ins Gast­zim­mer führ­te, wur­de zu­ge­schla­gen und deck­te Mr. Mar­vels Rück­zug. Die Män­ner in der Kü­che sa­hen plötz­lich, dass sie im Lee­ren her­um­grif­fen und ge­gen lee­re Luft an­kämpf­ten.

»Wo ist er hin­ge­kom­men?«, schrie der Mann mit dem Bart. »Hin­aus?«

»Hier­her«, ant­wor­te­te der Po­li­zist, in den Hof hin­austre­tend und dann ste­hen­blei­bend.

Ein hal­ber Dach­zie­gel wir­bel­te an sei­nem Kopf vor­bei und zer­schmet­ter­te das Ge­schirr und die Töp­fe auf dem Kü­chen­tisch.

»Ich wer­de es ihm schon zei­gen!«, schrie der Mann mit dem schwar­zen Bart, ein ei­ser­ner Lauf glänz­te über der Schul­ter des Po­li­zis­ten und fünf Schüs­se wur­den in ra­scher Auf­ein­an­der­fol­ge in der Rich­tung ab­ge­ge­ben, aus wel­cher der Zie­gel ge­flo­gen war. Wäh­rend er feu­er­te, hat­te der Bär­ti­ge die Hand in ho­ri­zon­ta­ler Li­nie be­wegt, so­dass die Schüs­se in dem en­gen Hof wie die Spei­chen ei­nes Ra­des ne­ben­ein­an­der la­gen.

Tie­fes Schwei­gen folg­te. »Fünf Pa­tro­nen«, sag­te der Bär­ti­ge, »das ist im­mer das Bes­te. Fünf Schüs­se, dar­un­ter ein Tref­fer. Eine La­ter­ne her! Wir müs­sen nach sei­nem Kör­per tas­ten.«

17. Kapitel – Dr. Kemps Gast

Dr. Kemp hat­te in sei­nem Stu­dier­zim­mer wei­ter­ge­schrie­ben, bis die Schüs­se ihn auf­scheuch­ten. Krack, krack, krack, ka­men sie, ei­ner nach dem an­de­ren.

»Hal­lo!«, sag­te Dr. Kemp, steck­te den Fe­der­hal­ter wie­der in den Mund und horch­te. »Wer schießt denn in Bur­dock Re­vol­ver los? Was ma­chen die­se Esel schon wie­der?«

Er ging zum Süd­fens­ter, stieß es auf und blick­te, sich weit hin­aus­leh­nend, auf die schim­mern­den Li­ni­en er­leuch­te­ter Fens­ter und Kauf­lä­den und die Gas­la­ter­nen, de­ren Rei­hen durch die dunklen Dä­cher und Höfe un­ter­bro­chen wur­de: das Nacht­bild der Stadt. »Es sieht aus wie ein Zu­sam­men­lauf bei den ›lus­ti­gen Cricke­tern‹ un­ten«, sag­te er. Dann wan­der­te sein Auge weit über die Stadt, bis dort­hin, wo die Schiffs­la­ter­nen glänz­ten und der Lan­dungs­platz in hel­lem Licht er­strahl­te. Über dem west­lich ge­le­ge­nen Hü­gel stand der Mond in sei­nem ers­ten Vier­tel und die Ster­ne schie­nen klar und fun­kel­ten in fast süd­li­chem Glan­ze.

 

Nach fünf Mi­nu­ten, wäh­rend wel­cher sein Geist in die Be­trach­tung der so­zia­len Ver­hält­nis­se der Zu­kunft ver­sun­ken war und sich in der Unend­lich­keit der Zeit ver­lo­ren hat­te, er­mann­te sich Dr. Kemp mit ei­nem Seuf­zer, schloss das Fens­ter und kehr­te zu sei­nem Schreib­tisch zu­rück.

Es muss un­ge­fähr eine Stun­de spä­ter ge­we­sen sein, als die Haus­glo­cke er­tön­te. Seit er die Schüs­se ver­nom­men hat­te, hat­te er ganz zer­streut ge­ar­bei­tet und war nicht recht bei der Sa­che. Er lausch­te, hör­te das Mäd­chen die Haus­tür öff­nen und war­te­te dar­auf, ihre Schrit­te auf der Trep­pe zu hö­ren; aber sie kam nicht. »Was das ge­we­sen sein mag?«, sag­te Dr. Kemp.

Er ver­such­te, sei­ne Ar­beit wie­der auf­zu­neh­men, doch ge­lang ihm dies nicht; er er­hob sich, ging auf den Flur hin­un­ter, läu­te­te und rief dem Haus­mäd­chen, das in der Vor­hal­le un­ten er­schi­en, über das Trep­pen­ge­län­der zu: »War das ein Brief?«

»Nur ein blin­des Läu­ten, Herr!«, er­wi­der­te sie.

»Ich kom­me heu­te Abend nicht zur Ruhe«, sag­te er zu sich selbst. Dann kehr­te er in sein Stu­dier­zim­mer zu­rück und mach­te sich ent­schlos­sen an sei­ne Ar­beit.

Kur­ze Zeit dar­auf war er wie­der in sein Werk ver­tieft und das ein­zi­ge Geräusch, das man im Zim­mer ver­nahm, war das Ti­cken der Uhr und das lei­se Krat­zen der Fe­der, die er ge­ra­de im Mit­tel­punkt des Licht­krei­ses, den die Lam­pe auf den Schreib­tisch warf, über das Pa­pier ei­len ließ.

Es wur­de zwei Uhr, be­vor Dr. Kemp sei­ne Ar­beit be­en­det hat­te. Dann er­hob er sich gäh­nend und ging in das obe­re Stock­werk, um sich zu Bet­te zu be­ge­ben. Er hat­te Rock und Wes­te be­reits ab­ge­legt, als er Durst ver­spür­te, So nahm er ein Licht und ging in die Spei­se­kam­mer hin­un­ter, um So­da­was­ser und Whis­ky zu ho­len.

In­fol­ge sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Un­ter­su­chun­gen war Dr. Kemp ge­wöhnt, al­les auf­merk­sam zu be­trach­ten. Als er durch die Vor­hal­le zu­rück­ging, be­merk­te er in der Nähe der Fuß­mat­te einen dunklen Fleck auf dem Lin­ole­um­tep­pich. Er ging wei­ter, emp­fand aber plötz­lich das Ver­lan­gen, den Fleck auf dem Lin­ole­um zu un­ter­su­chen. Au­gen­schein­lich trieb ihn et­was Un­be­wuss­tes. Wie dem auch sei, er kehr­te um und ging noch­mals in die Hal­le. Hier stell­te er So­da­was­ser und Whis­ky nie­der, beug­te sich zur Erde und be­rühr­te den Fleck. Ohne be­son­ders be­trof­fen zu sein, fand er, dass der­sel­be, nach Far­be und Kle­b­rig­keit zu schlie­ßen, von ge­ron­ne­nem Blut her­rühr­te.

Er nahm die Fla­schen wie­der an sich und stieg die Trep­pe hin­auf; da­bei blick­te er um­her und such­te die Ur­sa­che des Blut­fleckes zu er­for­schen. Im Trep­pen­haus sah er et­was und blieb er­staunt ste­hen. Die Klin­ke der Schlaf­zim­mer­tür war mit Blut be­fleckt.

Er blick­te auf sei­ne Hand. Sie war ganz rein, und dann er­in­ner­te er sich, dass die Tür des Schlaf­zim­mers of­fen­ge­stan­den hat­te, als er aus sei­nem Stu­dier­zim­mer her­un­ter­ge­kom­men war; folg­lich hat­te er die Klin­ke gar nicht be­rührt. Er ging ge­ra­des­wegs in den Schlaf­raum; sein Ge­sicht er­schi­en ganz ru­hig – viel­leicht ein we­nig ent­schlos­se­ner als ge­wöhn­lich. Die Bli­cke, die er durch das Zim­mer schwei­fen ließ, tra­fen auch das Bett. Auf dem Tep­pich da­vor ge­wahr­te er eine Blut­la­che, das Bet­tuch selbst war zer­ris­sen. Als er vor­her das Zim­mer be­tre­ten hat­te, hat­te er dies nicht be­merkt, weil er di­rekt zum Toi­let­ten­tisch ge­gan­gen war. Auf der ge­gen­über­lie­gen­den Sei­te war das Bett­zeug nie­der­ge­drückt, als ob je­mand vor kur­z­em dort ge­ses­sen hät­te.

Dann hat­te er eine son­der­ba­re Emp­fin­dung, als ob eine Stim­me lei­se sag­te: »Gro­ßer Gott! – Kemp!« Aber Dr. Kemp glaub­te nicht an ge­heim­nis­vol­le Stim­men.

Er starr­te auf das zer­wühl­te Lein­tuch. War es wirk­lich eine Stim­me ge­we­sen? Wie­der blick­te er im Zim­mer um­her, aber, au­ßer ei­nem Blut­fleck im Bett be­merk­te er nichts Auf­fal­len­des wei­ter. Dann hör­te er ganz deut­lich eine Be­we­gung in der Nähe des Wasch­ti­sches. Alle Men­schen, selbst hoch­ge­bil­de­te, ha­ben bis­wei­len aber­gläu­bi­sche Re­gun­gen. Ein Ge­fühl wie Geis­ter­furcht über­kam ihn. Er schloss die Tür des Zim­mers, ging zum Nacht­tisch und stell­te die Fla­schen nie­der. Plötz­lich be­merk­te er, zu­sam­men­fah­rend, einen blut­be­fleck­ten Lein­wand­fet­zen zwi­schen sich und dem Wasch­tisch mit­ten in der Luft schwe­ben.

Be­stürzt starr­te er dar­auf hin. Es war ein lee­rer Ver­band – ein rich­tig ge­knüpf­ter, aber ganz lee­rer Ver­band. Er woll­te einen Schritt vor­wärts tun, um ihn zu er­grei­fen, aber eine Berüh­rung hielt ihn zu­rück so­wie eine Stim­me, die dicht ne­ben ihm sprach.

»Kemp!«, sag­te die Stim­me.

»Eh?«, frag­te Kemp mit of­fe­nem Mun­de.

»Blei­ben Sie ru­hig«, er­tön­te die Stim­me. »Ich bin ein un­sicht­ba­rer Mensch.«

Eine Zeit lang ant­wor­te­te Kemp nicht, son­dern fuhr fort, den Ver­band an­zu­star­ren. »Ein un­sicht­ba­rer Mensch?«, frag­te er end­lich lang­sam.

»Ich bin ein un­sicht­ba­rer Mensch«, wie­der­hol­te die Stim­me.

Kemp fiel es ein, wie er noch am Mor­gen mit großem Ei­fer dar­auf be­dacht ge­we­sen war, die gan­ze Ge­schich­te von ei­nem un­sicht­ba­ren Men­schen ins Lä­cher­li­che zu zie­hen. In je­nem Au­gen­blick scheint er aber we­der sehr er­schro­cken noch be­son­ders über­rascht ge­we­sen zu sein. Das Be­wusst­sein des Wun­der­ba­ren kam erst spä­ter über ihn.

»Ich hielt al­les für Lüge«, sag­te er. Da­bei wie­der­hol­te er un­un­ter­bro­chen in sei­nem Geis­te alle Grün­de, aus de­nen er bei sich selbst das Gerücht als eine Un­ge­heu­er­lich­keit zu­rück­ge­wie­sen hat­te. »Ha­ben Sie sich einen Ver­band an­ge­legt?«, frag­te er.

»Ja«, er­wi­der­te der Un­sicht­ba­re.

»Oh«, sag­te Kemp. Dann er­mann­te er sich. »Aber das ist ja Un­sinn. Ein Ta­schen­spie­ler­kunst­stück.« Er trat plötz­lich vor, und sei­ne Hand, die er in der Rich­tung des Ver­ban­des aus­streck­te, stieß auf un­sicht­ba­re Fin­ger.

Er wich bei der Berüh­rung zu­rück und wech­sel­te die Far­be.

»Neh­men Sie sich zu­sam­men, Kemp, um Got­tes wil­len! Ich brau­che drin­gend Hil­fe. Blei­ben Sie ste­hen!«

Die Hand um­klam­mer­te sei­nen Arm. Er schlug da­nach. »Kemp!«, rief die Stim­me. »Kemp, neh­men Sie sich zu­sam­men!«, und der Griff wur­de fes­ter.

Ein wahn­sin­ni­ges Ver­lan­gen, sich zu be­frei­en, durch­zuck­te Kemp. Die Hand des ver­bun­de­nen Ar­mes pack­te ihn an der Schul­ter; er wur­de um den Leib ge­fasst und rück­wärts auf das Bett ge­schleu­dert. Schon öff­ne­te er den Mund und woll­te um Hil­fe ru­fen, als ihm der Zip­fel des Lein­tu­ches in den Mund ge­stopft wur­de. Der Un­sicht­ba­re hielt ihn mit ei­ser­ner Kraft nie­der. Nur die Arme hat­te er frei, und mit die­sen stieß und schlug er her­um, so gut er konn­te.

»Wol­len Sie ver­nünf­tig zu­hö­ren?«, frag­te der Un­sicht­ba­re und hielt Kemp, trotz ei­nes Rip­pen­sto­ßes, den er von ihm er­hielt, fest. »Beim Him­mel, noch eine Mi­nu­te und Sie brin­gen mich zur Ra­se­rei!«

»Lie­gen Sie still, Sie Narr!«, brüll­te der Un­sicht­ba­re Kemp ins Ohr.

Kemp wehr­te sich noch einen Au­gen­blick, dann blieb er still lie­gen.

»Wenn Sie schrei­en, zer­schla­ge ich Ih­nen das Ge­sicht«, sag­te der Un­sicht­ba­re, den Kne­bel ent­fer­nend. »Ich bin ein un­sicht­ba­rer Mensch. Das ist we­der Toll­heit noch Zau­be­rei. Ich bin wirk­lich ein un­sicht­ba­rer Mensch. Und ich brau­che Ihre Hil­fe. Ich habe nicht die Ab­sicht, Ih­nen wehe zu tun, wenn Sie sich aber wie ein Bau­erntöl­pel ge­bär­den, kann ich mir nicht hel­fen. Erin­nern Sie sich mei­ner nicht, Kemp? Grif­fin, Ihr Kol­le­ge an der Uni­ver­si­tät.«

»Las­sen Sie mich auf­ste­hen«, bat Kemp. »Ich wer­de blei­ben, wo ich bin. Und las­sen Sie mich eine Mi­nu­te lang ru­hig den­ken.«

Er setz­te sich auf und be­fühl­te sei­nen Hals.

»Ich bin Grif­fin, von der Uni­ver­si­tät, und ich habe mich un­sicht­bar ge­macht. Ich bin ein ganz ge­wöhn­li­cher Mensch – den Sie selbst ge­kannt ha­ben – der sich un­sicht­bar ge­macht hat.«

»Grif­fin?«, frag­te Kemp.

»Grif­fin«, ant­wor­te­te die Stim­me. »Ein jün­ge­rer Kol­le­ge von Ih­nen, fast ein Al­bi­no, sechs Fuß hoch, breit in den Schul­tern – mit ei­nem ro­si­gen und wei­ßen Teint und ro­ten Au­gen – der den Preis für Che­mie ge­wann.«

»Ich bin ganz ver­wirrt«, sag­te Kemp. »Mein Kopf geht aus­ein­an­der. Was hat das al­les mit Grif­fin zu tun?«

»Ich bin Grif­fin.«

Kemp dach­te nach. »Es ist schreck­lich«, sag­te er. »Aber wel­che Teu­fe­lei kann einen Men­schen un­sicht­bar ma­chen?«

»Es ist kei­ne Teu­fe­lei. Es ist ein ganz ein­fa­cher und leicht­ver­ständ­li­cher che­mi­scher Pro­zess – –«

»Es ist ent­setz­lich!«, sag­te Kemp. »Wie war es nur mög­lich – –?«

»Es ist wirk­lich ent­setz­lich. Aber ich bin ver­wun­det, habe Schmer­zen und bin müde. – Gro­ßer Gott! Kemp, Sie sind ein Mann. Fas­sen Sie sich. Ge­ben Sie mir et­was zu es­sen und zu trin­ken und las­sen Sie mich hier sit­zen.«

Kemp blick­te starr auf den Ver­band, der sich durch das Zim­mer be­weg­te, und sah einen Korb­ses­sel von dem an­de­ren Ende des Zim­mers an sein Bett kom­men und dort ste­hen­blei­ben. Der Sitz krach­te und senk­te sich um einen Vier­tel­zoll. Kemp rieb sich die Au­gen und be­fühl­te sei­nen Hals aber­mals. »Das über­trifft Geis­ter­spuk«, sag­te er und lach­te al­bern vor sich hin.

»So ist’s schon bes­ser. Dem Him­mel sei Dank, Sie kom­men zur Ver­nunft.«

»Oder ich wer­de ver­rückt«, er­wi­der­te Kemp und rieb sich die Au­gen.

»Ge­ben Sie mir et­was Whis­ky, ich bin halb­tot.«

»Den Ein­druck hat­te ich nicht. Wo sind Sie? Wer­de ich nicht in Sie hin­ein­ren­nen, wenn ich auf­ste­he? Ja! Schon gut. Whis­ky. – Da ist ein Glas. Wo­hin soll ich es Ih­nen ge­ben?«

Der Stuhl krach­te und Kemp fühl­te, wie das Glas sei­ner Hand ent­zo­gen wur­de. Er ließ es nur mit Über­win­dung los; sein In­stinkt sträub­te sich da­ge­gen. Zwan­zig Zoll über dem Stuhl blieb es in der Luft schwe­ben. Unend­lich ver­wirrt starr­te er es an.

»Das ist – das muss Hyp­no­tis­mus sein. Sie müs­sen mir sug­ge­riert ha­ben, dass Sie un­sicht­bar sind.«

»Un­sinn!«, sag­te die Stim­me.

»Das ist hel­ler Wahn­sinn!«

»Hö­ren Sie mich an.«

»Ich habe heu­te früh über­zeu­gend dar­ge­tan«, be­gann Kemp, »dass Un­sicht­bar­keit – –«

»Küm­mern Sie sich nicht um das, was Sie dar­ge­tan ha­ben!«, sag­te die Stim­me. »Ich bin halb ver­hun­gert und füh­le die Käl­te der Nacht sehr, da ich kei­ne Klei­der an­ha­be.«

»Sie wol­len et­was zu es­sen?«, frag­te Kemp.

Das Glas Whis­ky neig­te sich von selbst. »Ja«, sag­te der Un­sicht­ba­re, es nie­der­stel­lend. »Ha­ben Sie einen Schlaf­rock?«

Mit ei­nem halb­lau­ten Aus­ruf ging Kemp auf einen Schrank zu und nahm einen dun­kel­ro­ten Schlaf­rock her­aus. »Ge­nügt Ih­nen die­ser?«, frag­te er. Er wur­de ihm weg­ge­nom­men. Ei­nen Au­gen­blick hing das Klei­dungs­stück schlaff in der Luft, flat­ter­te ge­heim­nis­voll auf, dann stand es rund und aus­ge­füllt vor ihm, knöpf­te sich zu und nahm auf ei­nem Stuhl Platz.

»Un­ter­ho­sen, So­cken, Schu­he wä­ren eine Wohl­tat für mich«, sag­te der Un­sicht­ba­re kurz. »Und et­was zu es­sen.«

»So­viel Sie wol­len. Aber das ist das Tolls­te, was ich je er­lebt habe!«

Er zog die ver­lang­ten Klei­dungs­stücke aus den Schub­la­den her­vor und ging dann hin­un­ter, um sei­ne Spei­se­kam­mer zu plün­dern. Er kam mit ei­ni­gen kal­ten Ko­te­letts und et­was Brot zu­rück, schob einen leich­ten Tisch her­an und for­der­te sei­nen Gast auf, zu­zu­grei­fen.

»Mes­ser sind un­nö­tig«, sag­te die­ser; ein Ko­te­lett hing in der Luft und man hör­te kau­en.

»Ich habe im­mer gern et­was an, be­vor ich esse«, sag­te der Un­sicht­ba­re mit vol­lem Mun­de, gie­rig es­send. »Eine selt­sa­me Lau­ne.«

 

»Ihr Ge­lenk ist doch gut ver­bun­den?«, frag­te Kemp. »Dar­über kön­nen Sie ru­hig sein«, ver­setz­te der Un­sicht­ba­re.

»Von al­lem, was merk­wür­dig und wun­der­bar ist – –«

»Ja, ja. Aber es ist ko­misch, dass ich in Ihrem Hau­se nach ei­nem Ver­band su­chen muss­te. Mein al­ler­ers­ter Glücks­fall! Je­den­falls hat­te ich die Ab­sicht, heu­te Nacht in die­sem Hau­se zu schla­fen. Sie müs­sen sich das schon ge­fal­len las­sen! Höchst un­an­ge­nehm, dass mein Blut sicht­bar ist, nicht wahr? Dort drü­ben ist eine gan­ze La­che. Wenn es ge­rinnt, wird es sicht­bar, wie ich sehe. Ich habe nur das le­ben­di­ge Zel­len­ge­we­be ver­än­dert, und nur so­lan­ge Le­ben in mir ist – – – Ich bin seit drei Stun­den im Hau­se.«

»Aber, wie be­wirk­ten Sie das?«, be­gann Kemp in dem Tone der Verzweif­lung. »Zum Teu­fel! Die gan­ze Ge­schich­te ist wi­der­sin­nig – von An­fang bis zu Ende.«

»Sie ist ganz er­klär­lich«, er­wi­der­te der Un­sicht­ba­re. »Voll­kom­men er­klär­lich!«

Er beug­te sich vor und griff nach der Fla­sche. Kemp starr­te auf den sich be­we­gen­den Schlaf­rock. Ein Licht­strahl von der Ker­ze, der durch einen Riss in der rech­ten Schul­ter drang, zeig­te einen drei­e­cki­gen Licht­fleck an der Stel­le, wo die lin­ken Rip­pen hät­ten sein sol­len.

»Was wa­ren das für Schüs­se?«, frag­te er. »Wie be­gann das Schie­ßen?«

»Es ist da ein Narr von ei­nem Men­schen – eine Art Ver­bün­de­ter von mir, Gott ver­dam­m’ ihn! – der mein Geld zu steh­len ver­such­te. Er hat es auch ge­stoh­len!«

»Ist er auch un­sicht­bar?«

»Nein.«

»Nein, und?«

»Kann ich nicht noch et­was zu es­sen ha­ben, be­vor ich Ih­nen al­les das er­zäh­le? Ich bin hung­rig und habe Schmer­zen. Und Sie ver­lan­gen, dass ich Ih­nen Ge­schich­ten er­zäh­le!«

Kemp stand auf. »Sie ha­ben nicht ge­schos­sen?«, frag­te er.

»Ich nicht«, er­wi­der­te der Gast. »Ir­gend­ein Narr, den ich mei­ner Leb­tag nicht ge­se­hen habe, feu­er­te aufs Ge­ra­te­wohl. Ein paar von ih­nen, Gott ver­dam­me sie, habe ich or­dent­lich ge­zeich­net. – Ich muss noch mehr zu es­sen ha­ben, Kemp.«

»Ich will se­hen, ob ich un­ten noch et­was fin­de«, sag­te Kemp. »Es wird nicht viel sein, fürch­te ich.«

Als der Un­sicht­ba­re ge­ges­sen hat­te – und er hielt eine tüch­ti­ge Mahl­zeit – ver­lang­te er eine Zi­gar­re. Noch be­vor Kemp ein Mes­ser fin­den konn­te, hat­te er un­ge­dul­dig die Spit­ze ab­ge­bis­sen und fluch­te, als das äu­ße­re Deck­blatt sich los­lös­te.

Es war selt­sam, ihn rau­chen zu se­hen: Mund und Keh­le, Nase und Sch­lund wur­den als eine Art rau­chen­der Schorn­stein sicht­bar.

»Rau­chen ist eine Got­tes­ga­be«, sag­te er, dich­te Rauch­wol­ken aus­sto­ßend. »Es war ein Glück für mich, dass ich ge­ra­de auf Sie stieß, Kemp. Sie müs­sen mir hel­fen! Wie son­der­bar, dass ich ge­ra­de zu Ih­nen kam! Ich bin in ei­ner ver­teu­fel­ten Klem­me – rein ver­rückt war ich – glau­be ich. Was ich durch­ge­macht habe! Aber wir wer­den noch Gro­ßes voll­brin­gen, sage ich Ih­nen.«

Er nahm noch mehr Whis­ky und Soda. Kemp er­hob sich, blick­te sich um und hol­te sich ein Glas aus dem Ne­ben­zim­mer.

»Es ist rein un­fass­bar – aber trin­ken möch­te ich des­halb doch.«

»Sie ha­ben sich in den letz­ten zwölf Jah­ren nicht sehr ver­än­dert, Kemp. Blon­de Leu­te blei­ben sich im­mer gleich. Kühl und me­tho­disch. – Ich sage Ih­nen, wir wer­den zu­sam­men ar­bei­ten!«

»Aber wie ist das al­les ge­kom­men?«, frag­te Kemp, »und wie ha­ben Sie’s an­ge­fan­gen?«

»Las­sen Sie mich um Got­tes wil­len ein Weil­chen in Frie­den rau­chen, dann will ich er­zäh­len.«

Aber die Ge­schich­te wur­de an je­nem Abend nicht mehr er­zählt. Das Arm­ge­lenk be­rei­te­te dem Un­sicht­ba­ren arge Schmer­zen. Er fie­ber­te und be­gann über sei­ne Jagd den Hü­gel hin­ab und den Kampf im Wirts­haus nach­zu­brü­ten. Er fing sei­ne Er­zäh­lung an, um gleich wie­der ab­zu­schwei­fen. In ab­ge­ris­se­nen Sät­zen sprach er von Mar­vel; er rauch­te im­mer schnel­ler und sei­ne Stim­me wur­de im­mer zor­ni­ger. Kemp such­te aus sei­nen Wor­ten auf­zu­fan­gen, so­viel er konn­te.

»Er fürch­te­te sich vor mir – ich sah, dass er sich vor mir fürch­te­te«, wie­der­hol­te der Un­sicht­ba­re im­mer wie­der. »Er woll­te mir ent­wi­schen – er dach­te nur im­mer an Flucht. Welch ein Narr ich war! – Der Hund! – Ich war wü­tend. Ich hät­te ihn tö­ten sol­len – –«

»Wo­her nah­men Sie das Geld?«, frag­te Kemp plötz­lich.

Der Un­sicht­ba­re schwieg eine ge­rau­me Zeit. »Ich kann es Ih­nen heu­te nicht sa­gen.«

Er stöhn­te plötz­lich auf und lehn­te sich nach vorn, sein un­sicht­ba­res Haupt in un­sicht­ba­re Hän­de stüt­zend.

»Kemp«, sag­te er, »ich habe seit drei Ta­gen nicht ge­schla­fen – kaum eine Stun­de hie und da ge­nickt. Ich muss schla­fen, und das bald.«

»Gut, Sie kön­nen mein Zim­mer ha­ben – die­ses Zim­mer.«

»Aber wie kann ich schla­fen? Wenn ich schla­fe, ent­wischt er mir. Bah! Was liegt dar­an?«

»Was ist es mit Ih­rer Schuss­wun­de?«, frag­te Kemp.

»Nichts. Eine blu­ti­ge Schram­me. O Gott! Wie ich mich nach Schlaf seh­ne!«

»Wa­rum le­gen Sie sich nicht nie­der?«

Der Un­sicht­ba­re schi­en Kemp zu be­ob­ach­ten. »Weil ich einen be­son­de­ren Wi­der­wil­len da­ge­gen habe, mich von mei­nen Mit­menschen fan­gen zu las­sen«, sag­te er lang­sam.

Kemp fuhr in die Höhe.

»Narr, der ich bin!«, sag­te der Un­sicht­ba­re, mit der Faust auf den Tisch schla­gend. »Jetzt habe ich Sie sel­ber auf den Ge­dan­ken ge­bracht.«