Die Riesen kommen

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III

» Das ist kein Kücken,« sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane.

»Na, ich sollte meinen, ich kenn' ein Kücken, wenn ich's sehe,« sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane hitzig.

»Erstens ist es für ein Kücken zu groß, und außerdem kann man ganz genau sehen, daß es kein Kücken ist.«

»Es sieht eher aus wie eine Trappgans, als wie ein Kücken.«

»Für meinen Teil,« sagte Redwood, der sich widerstrebend von Bensington in die Erörterung hineinziehen ließ, »muß ich gestehen, in Anbetracht all des Beweismaterials – –«

»O! wenn Sie so kommen,« sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane, »statt wie ein vernünftiger Mensch Ihre Augen aufzumachen – –«

»Ja, aber wirklich, Miß Bensington, –!«

»O! nur weiter!« sagte Cousine Jane. »Sie Männer sind alle gleich.«

»In Anbetracht all des Beweismaterials fällt es sicherlich unter die Definition – ohne Zweifel ist es abnorm und hypertrophisch – zumal es aus dem Ei einer normalen Henne ausgebrütet ist – ja, ich glaube, Miß Bensington, ich muß zugeben – soweit man ihm irgendeinen Namen geben kann, muß man es ein Kücken nennen.«

»Sie meinen, es ist ein Kücken?« sagte Cousine Jane.

»Ich glaube, es ist ein Kücken,« sagte Redwood.

»Was für ein Unsinn!« sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane, und: »O!« gegen Redwoods Kopf gerichtet, »ich hab' keine Geduld mehr mit Ihnen,« und dann machte sie plötzlich kehrt und ging zum Zimmer hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.

»Und mir fällt ein Stein vom Herzen, daß ich es auch sehe, Bensington,« sagte Redwood, als der Widerhall des Türzuschlagens erstorben war. »Obgleich es so groß ist.«

Ohne das geringste Drängen von seiten Mr. Bensingtons setzte er sich in den niedrigen Sessel am Kamin und bekannte sich zu Taten, die selbst bei einem unwissenschaftlichen Mann gewagt gewesen wären. »Ich weiß, Sie werden es voreilig von mir finden, Bensington,« sagte er, »aber die Sache ist die, ich habe vor beinahe einer Woche ein wenig davon – nicht viel – aber etwas – in Babys Flasche getan.«

»Aber wenn nun – –!« rief Mr. Bensington aus.

»Ich weiß,« sagte Redwood und blickte das Riesenkücken in der Schüssel auf dem Tische an.

»Es ist alles gut geworden, dem Himmel sei Dank,« und er fühlte in seiner Tasche nach seinen Zigaretten.

Er gab fragmentarische Details. »Arme kleine Kerl wurde schwerer ... furchtbare Angst. – Winkles, ein scheußlicher Schafskopf ... früherer Schüler von mir ... nützte nichts ... Mrs. Redwood – unbedingtes Vertrauen zu Winkles ... Siewissen ja, Mann mit 'nem Wesen wie eine Klippe – türmend ... Kein Vertrauen zu mir, natürlich ... Hab' Winkles unterrichtet ... kaum geduldet in der Kinderstube ... Irgendwas mußte geschehen ... Schlüpfte hinein, als die Amme frühstückte ... holte die Flasche.«

»Aber er wird wachsen,« sagte Mr. Bensington.

»Er wächst. Anderthalb Pfund, letzte Woche. Sie sollten Winkles hören. Es ist die Behandlung, sagte er.«

»Himmel! Das sagt Skinner auch!«

Redwood sah das Kücken von neuem an. »Die Schwierigkeit ist, die Sache aufrecht zu erhalten,« sagte er. »Sie lassen mich nicht allein in die Kinderstube, weil ich einmal versucht habe, eine Wachstumskurve von Georgina Phyllis zu bekommen. – Sie wissen ja – und wie ich ihm eine zweite Dosis geben soll –«

»Müssen Sie?«

»Er hat zwei Tage lang geschrien – kann jedenfalls mit seiner gewöhnlichen Nahrung nicht mehr auskommen. Er braucht jetzt mehr.«

»Sagen Sie's Winkles.«

»Zum Henker mit Winkles!« sagte Redwood.

»Sie können sich an Winkles machen und ihm Pulver fürs Kind geben – –.«

»Das werde ich schon noch tun müssen,« sagte Redwood und stützte das Kinn auf die Faust und starrte ins Feuer.

Bensington stand eine Weile da und streichelte die Federn auf der Brust des Riesenkückens. »Das werden kolossale Vögel,« sagte er.

»Das werden sie,« sagte Redwood, die Augen noch immer auf die Glut gerichtet.

»So groß wie Pferde,« sagte Bensington.

»Größer,« sagte Redwood. »Das ist es gerade!«

Bensington wandte sich von dem Probekücken ab. »Redwood,« sagte er, »diese Vögel werden Sensation erregen.«

Redwood nickte mit dem Kopfe gegen das Feuer.

»Und bei Gott!« sagte Bensington, indem er sich plötzlich mit einem Blitz in der Brille umdrehte, »Ihr kleiner Junge auch.«

»Daran denke ich gerade,« sagte Redwood.

Er lehnte sich zurück, seufzte, warf seine halb aufgerauchte Zigarette ins Feuer und schob die Hände tief in die Hosentaschen. »Daran denk ich gerade. Diese Herakleophorbia wird im Gebrauch ein wunderliches Zeug werden. Wie das Kücken gewachsen sein muß – –!«

»Ein kleiner Junge, der so wächst,« sagte Mr. Bensington langsam und starrte bei diesen Worten das Kücken an.

»Ich sage nur!« sagte Bensington. » Groß wird er.«

»Ich werde ihm immer kleinere Dosen geben,« sagte Redwood. »Oder auf jeden Fall wird Winkles es tun.«

»Es ist beinahe ein zu gewagtes Experiment.«

»Sehr gewagt.«

»Und doch, wissen Sie, ich muß gestehen. – Irgendein Baby wird es früher oder später versuchen müssen.«

»O, wir werden es an irgendeinem Baby versuchen – sicher!«

»Gewiß,« sagte Bensington und kam und trat auf den Kaminteppich und nahm die Brille ab, um sie zu putzen.

»Ehe ich diese Kücken gesehen hatte, Redwood, glaube ich, hatte ich noch nicht einmal angefangen – das geringste von den Möglichkeiten dessen, was wir machen, einzusehen. Es fängt erst an, mir aufzudämmern ... die möglichen Folgen ...«

Und noch immer war Mr. Bensington, wie man sich denken kann, weit davon entfernt, sich vorzustellen, welche Mine diese kleine Lunte sprengen würde.

IV

Das war Anfang Juni. Einige Wochen lang hielt ein ernster, imaginärer Katarrh Bensington ab, die Experimentalfarm zu besuchen, und einen notwendig gewordenen, flüchtigen Besuch machte Redwood. Als er zurückkehrte, war er ein Vater, der noch besorgter aussah, als er ging. Im ganzen folgten sich sieben Wochen eines stetigen, ununterbrochenen Wachstums ...

Und dann begannen die Wespen ihre Karriere.

Es war Ende Juni und fast eine Woche, ehe die Hennen in Hickleybrow ausbrachen, als die erste der großen Wespen getötet wurde. Der Bericht darüber erschien in mehreren Zeitungen, aber ich weiß nicht, ob die Nachricht Mr. Bensington erreichte, viel weniger, ob er sie mit der allgemeinen Nachlässigkeit in Verbindung brachte, die auf der Experimentalfarm vorherrschte.

Jetzt kann kaum noch ein Zweifel darüber herrschen, daß, während Mr. Skinner Mr. Bensingtons Kücken mit Herakleophorbia IV behandelte, eine Anzahl Wespen ebenso fleißig – vielleicht fleißiger – der frühen Sommerbrut in den Sandbänken jenseits der benachbarten Fichtenwälder Vorräte der gleichen Pasta zutrug. Und es ist völlig unbestreitbar, daß diese Frühbrut der Substanz ebensoviel Wachstum und Nutzen entnahm, wie Mr. Bensingtons Hennen. Es liegt in der Natur der Wespen, daß sie die tatkräftige Reife vor dem Hausgeflügel erreichen – ja, von all den Geschöpfen, die – durch die großmütige Nachlässigkeit der Skinners – an den Wohltaten teilnahmen, mit denen Mr. Bensington seine Hennen überhäufte, waren die Wespen die ersten, die in der Welt irgendwelche Rolle spielten.

Ein Wildhüter namens Godfrey auf dem Gut Oberstleutnant Rupert Hicks bei Maidstone begegnete dem ersten dieser Ungeheuer, von dem die Geschichte berichtet, und hatte das Glück, es zu töten. Er watete knietief in einem Farrenstrich über einen offenen Platz in den Buchenwäldern, die Oberstleutnant Hicks Park variieren, und er trug seine Flinte – zu seinem Glück eine doppelläufige Flinte – über der Schulter, als er das Tier zuerst erblickte. Es flog, sagt er, vor dem Licht herab, so daß er es nicht eher deutlich sehen konnte, und im Nahen gab es ein Fauchen von sich, »wie ein Automobil«. Er gibt zu, daß er Angst bekam. Es war offenbar so groß oder noch größer als eine Scheuneneule, und seinem geübten Auge muß sein Flug und besonders das nebelhafte Schwirren seiner Flügel unheimlich vogelhaft erschienen sein. Ich denke mir, der Instinkt der Selbstverteidigung mischte sich mit der langen Gewohnheit, als er, wie er sagt, »grad drauflos paffte«.

Die Sonderbarkeit des Erlebnisses beeinflußte offenbar sein sicheres Zielen; auf jeden Fall ging sein Schuß zum großen Teil fehl, und das Vieh sank nur einen Moment mit einem zornigen »Sssss«, das sofort die Wespe verriet, und dann erhob es sich wieder, und all seine Streifen glänzten im Licht. Er sagt, es wandte sich gegen ihn. Auf jeden Fall feuerte er seinen zweiten Lauf auf weniger als zwanzig Meter, warf seine Flinte hin, lief ein paar Schritt und bückte sich, um ihm auszuweichen.

Es flog seiner Überzeugung nach innerhalb eines Meters an ihm vorbei, schlug auf den Boden, erhob sich wieder, stürzte vielleicht dreißig Meter weit entfernt von neuem und überschlug sich mit zappelndem Leib, während sein Stachel im letzten Todeskampf herausstach und zurückfuhr. Er schoß nochmals seine beiden Läufe darauf ab, ehe er sich zu nähern wagte.

Als er das Vieh maß, fand er, daß es quer über die offenen Flügel siebenundzwanzig und einen halben Zoll hatte, und der Stachel war drei Zoll lang. Der Unterleib war glatt vom Rumpf abgeschossen, aber er schätzte die Länge des Geschöpfes vom Kopf bis zum Stachel auf achtzehn Zoll – was ziemlich korrekt ist. Seine Sammelaugen waren von der Größe unseres Pennystücks.

 

Das ist das erste bezeugte Auftreten dieser Riesenwespen. Am Tage darauf hätte ein Radfahrer, der, die Füße von den Pedalen, zwischen Sevenoaks und Tonbridge den Hügel hinabfuhr, um ein Haar ein zweites dieser Riesentiere überfahren, das über die Chaussee kroch. Beim Vorbeifahren schien es zu erschrecken, und es stieg mit einem Geräusch wie eine Sägemühle auf. Sein Rad sprang in der Aufregung des Moments auf den Fußpfad, und als er sich umblicken konnte, stieg die Wespe über den Wäldern nach Westerham hin empor.

Nachdem er kurze Zeit hindurch unsicher gefahren war, zog er die Bremse an, stieg ab – er zitterte so heftig, daß er dabei über seine Maschine stürzte – und setzte sich am Wege hin, um sich zu erholen. Er hatte nach Ashford fahren wollen, aber er kam an diesem Tage nicht über Tonbridge hinaus ...

Danach wird seltsamerweise drei Tage lang nichts mehr davon berichtet, daß irgendeine große Wespe gesehen wäre. Ich habe die meteorologischen Berichte über diese Tage nachgelesen und gefunden, daß sie bewölkt und kalt waren, und daß lokale Regenschauer fielen, was diese Unterbrechung vielleicht erklärt. Dann, am vierten Tage, kam ein blauer Himmel und strahlender Sonnenschein, und zugleich ein solcher Ausbruch von Wespen, wie ihn die Welt sicher noch nie gesehen hatte.

Wieviele große Wespen an jenem Tage zum Vorschein kamen, läßt sich unmöglich abschätzen. Es sind mindestens fünfzig Berichte von ihrem Auftreten vorhanden. Ein Opfer gab es, einen Krämer, der eins dieser Ungeheuer in einer Zuckerkiste fand und es sehr voreilig mit einem Spaten angriff, als es aufflog. Er schlug es einen Moment zu Boden, und es stach ihn durch den Stiefel, als er zum zweitenmal nach ihm schlug und seinen Rumpf entzweischnitt. Er war von beiden zuerst tot ...

Das dramatischste von allen fünfzig Beispielen ihres Auftretens war sicherlich das der Wespe, die um Mittag das Britische Museum besuchte, indem sie aus heiterem Himmel auf eine der zahllosen Tauben fiel, die im Hofe dieses Gebäudes fressen, und zum Gesimse aufflog, um ihr Opfer in Muße zu verschlingen. Darauf kroch sie eine Weile über das Museumsdach, drang durch ein Oberlichtfenster in die Kuppel des Leseraumes, summte eine kleine Weile im Innern umher – unter den Lesern entstand eine Panik – und fand zuletzt ein zweites Fenster, durch das sie mit plötzlichem Verstummen der menschlichen Beobachtung entschwand.

Die meisten anderen Berichte erzählen nur von einem Vorüberfliegen oder einem Niederlassen. Auf Aldington Knoll wurde eine Picknickgesellschaft zerstreut und alle Süßigkeiten und Marmeladen wurden verzehrt, und in der Nähe von Whitstable wurde ein Hündchen unter den Augen seiner Herrin in Stücke zerrissen ...

Die Straßen hallten an jenem Abend von Ausrufern wieder, die Zeitungsplakate widmeten sich in den größten Lettern ausschließlich den »Riesenwespen in Kent«. Aufgeregte Redakteure und Hilfsredakteure liefen gewundene Treppen auf und nieder und schrien etwas von »Wespen«. Und Professor Redwood, der um fünf aus seinem College in der Bond Street auftauchte, erhitzt von einer heftigen Diskussion mit seinem Komitee über den Preis von Bullenkälbern, kaufte ein Abendblatt, schlug es auf, wechselte die Farbe, vergaß alsbald Bullenkälber und Komitee vollständig und nahm Hals über Kopf einen Wagen nach Bensingtons Wohnung.

V

Die Wohnung, so schien es ihm, war – unter Ausschluß jedes anderen Vernunftwesens – von Mr. Skinner und seiner Stimme in Anspruch genommen, wenn anders man ihn oder sie ein Vernunftwesen nennen kann!

Die Stimme war sehr laut und gurgelte unter den Noten der Angst umher. »Es is ganß unmöglich, daß wir bleib'n, Härr. Wir sin geblieb'n, weil wir hofft'n, es würd' besser wer'n, und es is bloß schlimmer gewor'n, Härr. Es sin nicht bloß die Wesp'n, Härr – wir haben große Ohrwürmer, Härr – so große, Härr.« (Er zeigte seine ganze Hand und noch etwa drei Zoll vom fetten, schmutzigen Handgelenk.) »Mrs. Skinner krieg beinahe Anfälle davon, Härr. Und die stechenden Nesseln, bei den Ställen, Härr, die wachsen auch, Härr, und die Schlingpflanzen, die wir bei die Senkgrube gesät haben, Härr – die haben in der Nacht ihre Ranken durchs Fenstere gesteck, und Mrs. Skinner beinah bei die Beine gefaß, Härr. Das is Ihr Futter, Härr. Wo wir es hingestreut hab'n, Härr, wenn auch bloß 'n bißchen, da wächs allens doller, Härr, als ich je für möglich gehalten hab. Es is nich möglich, noch 'n Monat zu bleiben, Härr. Das is mehr, als unser Leben wert is, Härr. Und wenn uns die Wespen nich totstechen, Härr, dann werden uns die Schlingpflanzen versticken, Härr. Sie können sich nich vorstellen, Härr – wenn Se nich runter kommen und 's sich ansehn, Härr – –«

Er wandte sein höheres Auge auf das Gesims über Redwoods Kopf. »Wie soll'n wir wissen, ob die Ratten 's noch nich haben, Härr. Wir haben tagelang Angst gehab von wegen die Ohrwürmer, die wir gesehen hab'n – wie Hummer waren sie – zwei Stück, Härr – un wie furchbar die Schlingpflanzen wuchsen, und sowie ich die Wespen hörte – sowie ich sie hörte, Härr, da wußt ich Bescheid. Ich hab keine Sseit verlor'n, bloß noch 'n Knopf angenäht, den ich verlor'n hatte, und dann kam ich an. Noch diesen Augenblick, Härr, bin ich wie verrück vor Angß, Härr. Was weiß ich, was Mrs. Skinner passiert, Härr. Die Schlingpflanzen wachsen wie die Schlang'n übers ganze Haus, Härr – Gott helf mir, aber Sie brauch'n se bloß sehn, Härr, und Se springen ihn'n aus'n Weg! – und die Ohrwürmer wer'n immer größer und größer, und die Wespen – –. Sie hat nich n'mal 'n blauen Sack, Härr – wenn was passieren sollte, Härr!«

»Aber die Hennen,« sagte Mr. Bensington; »wie geht es den Hennen?«

»Wir haben se bis gessern gefüttert, Gott soll mir helfen,« sagte Mr. Skinner. »Aber heut' morgen haben wir's nichgewag, Härr. Der Lärm von die Wespen war – ganz furchbar, Härr. Sie kamen rauß – zu Duzzenden, Härr. So groß wie Hennen. Ich sag zu ihr, ich sag, näh mir man bloß 'n paar Knöpfe an, sag ich, denn ich kann nich so nach London gehn, sag ich, un ich will zu Mißter Bensington, sag ich, un ihm die Sache auseinandersetzen. Un du bleibst mich in dies Zimmer, bis ich zurückkomm, sag ich, und hälß die Fenster so feß zu wie du nur kannß, sag ich.«

»Wenn Sie nicht so verdammt unsauber gewesen wären – –« sagte Redwood.

»O! sagen Se das nich, Härr,« sagte Skinner. »Nicht jetzt, Härr. Wo ich so bekümmert bin um Mrs. Skinner, Härr! O,bitte nich, Härr! Ich hab nich das Herz, mit Ihnen zu streiten. Gott soll mir helfen, Härr, wahrhaftig! Ich muß immerlos an die Ratten denk'n – wie soll ich wissen, daß se sich nich an Mrs. Skinner gemacht haben, während ich mich hier aufhalte?«

»Und Sie haben kein einziges Maß von all diesen wundervollen Wachstumskurven!« sagte Redwood.

»Ich bin ßu aus'm Häuschen, Härr,« sagte Mr. Skinner. »Wenn Se wüssen, was wir durchgemach haben – ich un meine Frau! Den ganßen letzen Monat. Wir hab'n nich gewuß, was wir dadraus machen sollt'n. Mit die Hennen, die so üppig wuchs'n und die Ohrwürmer un Schlingpflanz'n. Ich weiß nich, ob ich Ihn'n erzählt hab, Härr – die Schlingpflanzen ...«

»Das haben Sie uns alles schon erzählt,« sagte Redwood. »Die Sache ist, Bensington, was sollen wir tun?«

»Was sollen wir tun?« sagte Mr. Skinner.

»Sie werden zu Mrs. Skinner zurückgehn müssen,« sagte Redwood. »Sie können sie da nicht die ganze Nacht allein lassen.«

»Nich allein, Härr, das tu ich nich. Das tät ich nich, und wenn 'n Dutzend Mrs. Skinner da wären. Mister Bensington – –«

»Unsinn,« sagte Redwood. »Die Wespen werden nachts Ruhe geben. Und die Ohrwürmer werden Ihnen aus dem Wege gehn –«

»Aber die Ratten?«

»Ratten sind gar nicht da,« sagte Redwood.

VI

Seine Hauptangst hätte Mr. Skinner sich sparen können. Mrs. Skinner harrte ihren Tag nicht aus.

Gegen elf Uhr begannen die Schlingpflanzen, die den ganzen Morgen über in ruhiger Tätigkeit gewesen waren, über das Fenster zu klettern und es stark zu verdunkeln, und je dunkler es wurde, um so klarer sah Mrs. Skinner ein, daß ihre Stellung schnell unhaltbar werden würde. Und auch, daß sie viele Jahre gelebt hatte, seit Skinner fort war. Sie blickte eine Zeitlang aus dem dunklen Fenster durch die sich regenden Ranken, und ging dann sehr vorsichtig an die Bettzimmertür, öffnete sie und lauschte ...

Alles schien ruhig, und so nahm Mrs. Skinner ihre Kleider hoch um sich auf und rannte mit einem Satz ins Schlafzimmer. Dort sah sie erst unters Bett und schloß sich ein; dann machte sie sich mit der methodischen Geschwindigkeit einer erfahrenen Frau daran, zum Aufbruch zu packen. Das Bett war noch nicht gemacht, und das Zimmer war mit den Stücken der Schlingpflanzen besät, die Skinner abgehackt hatte, um über Nacht das Fenster schließen zu können. Aber um diese Unordnung kümmerte sie sich nicht. Sie packte in ein reines Laken. Sie packte all ihre eigene Garderobe ein und eine Velvetjacke, die Skinner in seinen eleganteren Momenten trug, und sie packte einen Krug mit Eingelegtem ein, der noch ungeöffnet war, und soweit war sie in ihrem Packen gerechtfertigt. Aber sie packte auch zwei von den hermetisch geschlossenen Büchsen mit Herakleophorbia IV ein, die Mr. Bensington bei seinem letzten Besuch mitgebracht hatte. (Sie war keine Diebin, die gute Frau – aber sie war Großmutter, und das Herz hatte ihr im Leibe gebrannt, als sie so gutes Wachstum auf eine Bande verdammter Kücken verschwendet sah.)

Und als sie all diese Dinge gepackt hatte, setzte sie den Hut auf, nahm die Schürze ab, band ein neues Schuhband um ihren Schirm, lauschte lange an Tür und Fenster, öffnete die Tür und vollzog den Ausfall in die gefahrenvolle Welt. Der Schirm stak ihr unterm Arm, und das Bündel hielt sie mit zwei krummen und entschlossenen Händen gepackt. Es war ihr bester Sonntagshut, und die beiden Mohnblumen, die den Kopf mitten unter seiner Pracht an Bändern und Perlen erhoben, schienen erfüllt vom gleichen zitternden Mut wie sie.

Die Züge um ihre Nasenwurzel waren kraus vor Entschlossenheit. Sie hatte genug davon. Hier ganz allein! Skinner mochte dahin zurückkehren, wenn er wollte.

Sie ging zur Vordertür hinaus und zwar nicht, weil sie nach Hickleybrow gehen wollte (ihr Ziel war Cheasing Eyebright, wo ihre verheiratete Tochter wohnte), sondern weil die Hintertür wegen der Schlingpflanzen unpassierbar war, die so wütend gewachsen waren, seit sie in der Nähe ihrer Wurzeln die Kanne mit dem Nährstoff umgestoßen hatte. Sie lauschte eine Weile und schloß die Vordertür aufs sorgfältigste hinter sich.

An der Hausecke machte sie Halt und rekognoszierte ...

Eine weite Sandnarbe am Hügel hinter den Fichtenwäldern bezeichnete das Nest der Riesenwespen, und die studierte sie mit allem Ernst. Das Ein- und Ausfliegen des Morgens war vorbei, es war gerade keine Wespe in Sicht, und abgesehen von einem Ton, der kaum merklicher war, als es eine arbeitende Dampfsäge zwischen den Fichten gewesen wäre, war alles still. Ohrwürmer sah sie keine. Unten im Kohl freilich rührte sich etwas, aber es konnte ebensogut eine Katze sein, die Vögel beschlich. Das beobachtete sie eine Zeitlang.

Sie ging ein paar Schritte um die Ecke, bekam das Gehege mit den Riesenkücken in Sicht und machte wieder Halt. »Ah!« sagte sie und schüttelte bei ihrem Anblick langsam den Kopf. Sie waren um die Zeit von der Höhe der Emus, aber im Rumpf natürlich viel dicker – überhaupt größer. Es waren jetzt lauter Hennen und im ganzen fünf, da die zwei Hähne sich getötet hatten. Sie zögerte, als sie ihre gedrückte Haltung sah. »Die armen Tierchen!« sagte sie und legte ihr Bündel nieder; »sie haben kein Wasser. Und seit vierundzwanzig Stunden haben sie nichts zu fressen gehabt! Und bei dem Appetit, den sie haben!« Sie legte sich einen hageren Finger an die Lippen und ging mit sich zu Rate.

Und dann tat dieses schmutzige, alte Weib etwas, was mir als eine ganz heroische Tat des Erbarmens erscheint. Sie ließ ihr Bündel und ihren Schirm mitten auf dem Ziegelpfad liegen, ging an den Brunnen und schöpfte nicht weniger als drei Eimer voll Wasser für den leeren Trog der Kücken, und als sie sich alle darum drängten, machte sie ganz leise die Tür des Geheges auf. Dann wurde sie äußerst beweglich, nahm ihr Gepäck wieder auf, kletterte hinten im Garten über die Hecke, ging über die üppigen Wiesen (um dem Wespennest auszuweichen) und arbeitete sich den gewundenen Pfad nach Cheasing Eyebright hinauf.

Sie keuchte den Hügel hinauf und blieb im Gehen hin und wieder stehen, um ihr Bündel abzulegen und auf das kleine Landhaus neben dem Fichtenwalde unten zurückzustarren. Und als sie zuletzt nahe beim Kamm des Hügels in weiter Ferne drei verschiedene Wespen schwer nach Westen niedersinken sah, half ihr das sehr auf ihrem Wege.

 

Sie war bald aus dem freien Lande heraus und auf dem hohen Hohlwege dahinter (dort schien es ihr sicherer) und eilte so an Hickleybrow Combe hinauf in die Dünen. Dort am Fuße der Dünen, wo ihr ein großer Baum den Schein des Schutzes gewährte, ruhte sie eine Weile auf einem Gatter.

Dann sehr entschlossen wieder vorwärts ...

Man stellt sie sich, hoffe ich, vor, mit ihrem weißen Bündel, wie sie, eine Art aufrechter schwarzer Ameise unter der heißen Sonne des Sommernachmittags den kleinen, weißen Wegpfad hin quer durch die Dünenhänge entlang eilte. Immer vorwärts arbeitete sie, ihrer entschlossenen, unermüdlichen Nase nach, und der Mohn auf ihrem Hute zitterte beständig, und ihre Stiefel wurden vom Dünenstaub immer weißer. Klipp, klapp, klipp, klapp, machten ihre Schritte durch die stille Hitze des Tages, und hartnäckig, unheilbar suchte ihr Schirm unter dem Ellbogen, der ihn festhielt, herauszuschlüpfen. Die Mundfalte unter ihrer Nase war mit äußerster Entschlossenheit gerümpft, und immer wieder sagte sie ihrem Schirm, er solle heraufkommen, oder sie gab ihrem fest gepackten Bündel einen rachsüchtigen Stoß. Und bisweilen bewegten sich ihre Lippen vor Fragmenten einer vorausgesehenen Auseinandersetzung mit Skinner.

Und in weiter Ferne, Meilen und Meilen weit entfernt, wuchsen ein Kirchturm und ein Hügel unmerklich aus dem unbestimmten Blau empor und markierten immer deutlicher den ruhigen Winkel, wo Cheasing Eyebright vor dem Tumult der Welt geschützt dalag und wenig oder nicht an die in jenem weißen Bündel verborgene Herakleophorbia dachte, die so beharrlich zu seinem geordneten Asyl emporstrebte.