Tom Jones

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Fußnoten

1 So oft dies Wort in unsern Schriften vorkommt, bezeichnet es Personen ohne Tugend und Verstand unter allen Ständen, und zuweilen werden dadurch viele vom höchsten Range gemeint.

Zehntes Kapitel.

Alwerths Gastfreundschaft; nebst einem kurzen Entwurf des Charakters zweier Brüder, eines Geistlichen und eines Offiziers, welche Alwerths Gastfreunde waren.

Alwerths Haus, so wenig als sein Herz, waren vor irgend einem Teile der Menschenkinder verschlossen; besonders aber standen sie Männern von Verdiensten offen. Die Wahrheit zu sagen, war dieses das einzige Haus im Königreiche, wo man bloß deswegen eine Mahlzeit zu genießen hatte, weil man solcher wert war.

Vor allen andern teilten Männer von Talenten und Gelehrsamkeit den vornehmsten Platz in seiner Zuneigung; und auf diese verstand er sich sehr gut: denn, ob er gleich nicht den Vorteil einer gelehrten Erziehung genossen hatte, so waren doch seine natürlichen Fähigkeiten genügend, durch eine ununterbrochene obgleich späte Anstrengung und durch häufigen Umgang mit den ausgezeichnetsten Gelehrten es dahin zu bringen, daß er in den meisten Zweigen der Litteratur als ein zulässiger Richter erkannt werden konnte.

Kein Wunder ist es, daß zu einer Zeit, wo diese Art von Verdienst so wenig nach der Mode ist und wo so wenig Rücksicht darauf genommen wird, Männer, die es besitzen, sich so pferchgierig nach einem Orte drängen, wo sie sicher sind, mit so vielem Wohlgefallen aufgenommen zu werden; wo sie wirklich fast eben die Bequemlichkeiten einer wohlhabenden Wirtschaft genießen können, als ob sie ein unstreitiges Erbschaftsrecht darauf hätten: denn Herr Alwerth war keineswegs einer von diesen großmütigen Personen, welche bereit und willig sind, Männer von Witz und Gelehrsamkeit aus höchster Milde mit Essen, Trinken und Wohnung zu belehnen, und dagegen keine andere Gegenleistung fordern als Unterhaltung, Unterricht, Schmeichelei und Unterthänigkeit; oder kurz, daß besagte Männer die Zahl der Diener des Hauses vermehren ohne die Livree ihres Herrn zu tragen und ohne von ihm Jahrlohn zu bekommen.

In diesem Hause war vielmehr jeder Fremde oder Besuchende völlig Herr seiner Zeit, und so wie er alle seine Wünsche befriedigen konnte, die nicht von den Gesetzen der Tugend und Religion verboten waren, so konnt' er auch, sobald es seine Gesundheit erforderte oder wenn ihn seine Neigung zur Mäßigkeit oder gar zur Enthaltsamkeit antrieb, von jeder Mahlzeit wegbleiben oder solche verlassen, wenn ihm dazu die Lust ankam, ohne mit Nötigen geplagt zu werden: denn in der That hat das Nötigen der Vornehmen beständig einen starken Anstrich von Befehlen. Hier hingegen war jedermann vor dieser groben Höflichkeit sicher, nicht nur diejenigen, deren Gesellschaft auch an allen andern Orten wegen Gleichheit der Glücksumstände für Ehre und Gefälligkeit geachtet wird, sondern selbst jene, welche wegen ihrer dürftigen Umstände solche Häuser gern als milde Stiftungen benutzen, und welche an den Tafeln großer Herren eben deswegen weniger willkommen sind, weil gerade sie solcher bedürfen.

Unter andern von dieser Gattung war Doktor Blifil, ein Mann, der das Unglück gehabt hatte, durch den Eigensinn seines Vaters die Vorteile großer Geistesgaben zu verlieren, weil er ihn zu einer Profession erziehen wollte, wozu er keine Lust hatte. Aus Gehorsam gegen diesen Eigensinn war der Doktor in seiner Jugend genötiget gewesen, die Arzneikunde zu studieren, oder um besser zu sagen, sollte er sie noch studieren; denn in der That waren Bücher in diesem Fache beinahe die einzigen, mit denen er unbekannt war; und zum Unglück für ihn war der Doktor Meister in fast jeder andern Wissenschaft, nur nicht in der, mit welcher er sein Brot verdienen sollte; wovon dann die Folge war, daß der Doktor in seinem vierzigjährigen Alter kein Brot zu essen hatte.

Ein solcher Mann wie dieser war sicher, eine freundliche Aufnahme an Herrn Alwerths Tafel zu finden, welcher Unglück allemal für eine Empfehlung hielt, wofern nur die Person sich solches nicht selbst zugezogen hatte, sondern durch die Thorheit oder Bosheit anderer litt. Neben diesem negativen Verdienste hatte der Doktor auch eine positive Empfehlung: diese war ein großer Anschein von Religion. Ob diese Religion wirklich war, oder nur im Schein bestand, das getrau' ich mir nicht zu sagen, weil ich keinen Probierstein besitze, womit ich die wahre von der falschen unterscheiden könnte.

Wenn dieser Zug in Doktor Blifils Charakter Herrn Alwerth gefiel, so entzückte er Fräulein Brigitta. Sie ließ sich in manchen Religionsstreit mit ihm ein, bei welchen Gelegenheiten sie beständig eine große Zufriedenheit über des Doktors Gelehrsamkeit äußerte, und keine viel geringere über die Komplimente, die er ihr öfters über ihre eigene machte. Die Wahrheit zu sagen, so hatte sie viel theologische Bücher in ihrer Muttersprache gelesen und mehr als einem benachbarten Pfarrer was zu schaffen gemacht. In der That war ihre gesellschaftliche Unterhaltung so rein, ihr Blick so unschuldig, und ihr ganzes Betragen so feierlich und ernsthaft, daß sie den Geruch der Heiligkeit ebensogut verdiente, als jene, von der sie den Namen führte, oder als irgend eine Heilige im römischen Kalender.

So wie Sympathien aller Art gerne Liebe gebären, so lehrt uns auch die Erfahrung, daß keine unter allen so geradezu auf diese Erzeugung hinwirkt, als Sympathien von religiöser Art zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte. Der Doktor fand, er sei dem Fräulein Brittjen so angenehm, daß er jetzt anfing, einen unglücklichen Zufall, der ihm vor ungefähr zehn Jahren begegnet war, zu beklagen; nämlich seine Heirat mit einer andern Frau, die nicht nur noch wirklich am Leben, sondern was noch schlimmer, dem Herrn Alwerth als noch lebend bekannt war. Dies war ein verwünschter Riegel gegen die Glückseligkeit, welche er sonst bei dieser jungen Dame zu erlangen hinlängliche Wahrscheinlichkeit sah; denn was sträfliche Lüste und Begierden anbelangt, die stiegen gewiß nicht bei ihm auf. Und dies war entweder die Wirkung seiner Religion, wie sehr wahrscheinlich ist, oder der Reinheit seiner Leidenschaft, welche auf solche Dinge gerichtet war, wozu ihm allein der Ehestand und keineswegs ein strafbares Liebesverständnis verhelfen oder ein Recht geben konnte.

Er hatte nicht lange über diese Sache nachgegrübelt, als er sich erinnerte, daß er einen Bruder habe, dem diese böse Unfähigkeit nicht anklebte. Er zweifelte nicht, es würde diesem Bruder glücken; denn er glaubte zu bemerken das gnädige Fräulein sei nicht ohne Neigung zum heiligen Ehestande, und der Leser wird vielleicht, wenn er die Eigenschaften des Bruders vernimmt, die Zuversichtlichkeit nicht tadeln, womit er seinem Bruder einen guten Ausgang prophezeite.

Dieser Herr war ungefähr fünfunddreißig Jahre alt. Er war von mittlerer Statur, und das, was man wohlgebaut nennt; er trug eine Narbe an der Stirn, welche weniger seiner Schönheit schadete, als von seiner Tapferkeit zeugte (denn er war Offizier und stand auf halbem Sold), er hatte gute Zähne, und wenn er wollte etwas Freundliches in seinem Lächeln. Obgleich von Natur sein Anstand, seine Mienen und sein Blick viel Rauhes hatten, so konnt' er doch dieses Rauhe jede Minute ablegen und ganz freundlich und wohlaufgeräumt scheinen. Es mangelte ihm nicht an guter Lebensart, auch nicht völlig an Witz, und in seiner Jugend hatte er manchen lustigen Streich vollführt; nun hatte er zwar seit kurzem einen ernsthafteren Charakter angenommen, aber wenn er wollte, konnte er wieder spaßhaft genug sein.

Er hatte ebenso wie der Doktor eine akademische Erziehung gehabt, denn sein Vater bestimmte ihn, aus eben der väterlichen Macht und Gewalt, deren wir vorhin erwähnt haben, zum geistlichen Stande. Da aber der alte Herr das Zeitliche segnete, bevor der Sohn ordiniert war, so wählte er Degen und Kokarde für Mantel und Kragen, und zog ein Offizierpatent vom Könige der Vokation zu einem Pfarrdienst vor.

Er hatte sich eine Leutnantsstelle unter den Dragonern gekauft, und brachte es hernach bis zum Kapitän. Weil er aber mit seinem Oberst Händel anfing, ward er genötigt seine Kompanie zu verkaufen, von welcher Zeit an er denn ein völliges Philisterleben geführt, sich aufs Lesen der heiligen Schrift gelegt hatte, und wegen eines Hanges zur Pietisterei eben nicht verdächtig war.

Es schien daher nicht unmöglich, daß ein solcher Mann bei einer Dame von so gottesfürchtiger Gesinnung, und deren Herz, außer einem Zuge zum heiligen Ehestande, überhaupt von keiner Sympathie zu einem besondern Gegenstand gefesselt war, sein Glück machen würde; warum aber der Doktor, der gewiß keine große Freundschaft für seinen Bruder hegte, doch seinetwegen darauf dachte, die Gastfreundschaft des Herrn Alwerth mit solchem Undank zu belohnen, das ist ein Punkt, der sich nicht so leicht aufklären läßt.

Gibt es wirklich einige Gemüter, die ihr Vergnügen ebenso im Unheilstiften suchen, wie andere, von denen man denken muß, daß sie es in der Tugend und im Wohlthun finden; oder steckt darin ein Vergnügen, bei einem Diebstahle, den man nicht selbst begehen kann, ein Helfershelfer zu sein? Oder endlich (welches die Erfahrung sehr wahrscheinlich zu machen scheint) finden wir einen Wohlgefallen darin, unsere Anverwandten emporzubringen, selbst dann, wenn wir nicht die geringste Liebe und Achtung für sie hegen?

Ob einer von diesen Bewegungsgründen auf den Doktor wirkte, das wollen wir nicht entscheiden, aber so verhielt sich die Sache. Er schickte nach seinem Bruder und fand leicht Gelegenheit, ihn dem Herrn Alwerth als eine Person vorzustellen, die ihm nur einen kurzen Besuch zu machen gedächte.

 

Der Kapitän war noch keine Woche im Hause gewesen, als der Doktor Ursache fand, sich über seine Menschenkenntnis Glück zu wünschen. Der Kapitän war wirklich ein ebenso großer Meister in der Kunst zu lieben, als vor alten Zeiten Ovid. Obendrein hatte er noch einige nötige Fingerzeige von seinem Bruder erhalten, die er nicht ermangelte zu seinem besten Vorteile anzuwenden.

Elftes Kapitel.

Enthält viele Regeln und einige Beispiele für Liebeslustige: Beschreibung von Schönheit und andern klugheitsgemäßeren Verleitungen zum Ehestande.

Es ist von weisen Männern oder Weibern, ich habe vergessen von wem von beiden, angemerkt worden, daß alle Menschen einmal in ihrem Leben verliebt zu werden verurteilt sind. Ein gewisses Alter ist, soviel ich mich erinnere, dafür nicht festgesetzt; das Alter aber, welches Fräulein Brittjen erreicht hatte, scheint mir zu dieser Bestimmung eine ebenso schickliche Periode zu sein, als irgend eine andere; freilich tritt sie oft viel früher ein, wenn das aber nicht geschieht, so habe ich bemerkt, fehlt's um diese Zeit selten oder gar niemals. Wir können noch ferner bemerken, daß in diesem Alter die Liebe von ernsthafterer und stetigerer Natur sei, als die, welche sich zuweilen in jüngern Jahren des Lebens blicken läßt. Die Liebe junger Dirnen ist zu schwankend, grillenhaft, eigensinnig und läppisch, daß wir nicht allemal entdecken können, was das junge Ding eigentlich will; ja man kann fast zweifeln, ob sie's auch allemal selbst wisse.

Nun aber sind wir bei einem Frauenzimmer von vierzigen hierüber nie in Verlegenheit; denn da solche ernsthafte, bedächtige und wohlerfahrene Personen wohl wissen, was sie selbst wollen, so ist es einem Manne vom geringsten Scharfsinne um so leichter, es mit der höchsten Gewißheit zu entdecken.

Fräulein Brigitta ist ein Beispiel von allen diesen Beobachtungen. Sie war noch nicht lange in der Gesellschaft des Kapitäns gewesen, als sie von dieser Leidenschaft befallen wurde. Sie ging auch nicht lange welk und wimmernd im Hause herum wie ein unreifes, närrisches Mädchen, das nicht weiß, was und wo es ihm fehlt; sie fühlte, sie kannte, und genoß die angenehme Empfindung, die sie ebensowenig fürchtete, als sich ihrer schämte, da sie wohl wußte, daß sie nicht nur unschuldig wäre, sondern sogar auf ganz löbliche Endzwecke ginge.

Und die Wahrheit zu sagen, befindet sich durchgehends ein großer Unterschied wischen der vernünftigen Leidenschaft, welche Jungfrauen von diesem Alter zu Mannspersonen befällt, und der eiteln kindischen Liebelei eines Mädchens gegen einen Knaben, welche öfters nur auf das bloße Aeußerliche und auf dergleichen Dinge von geringem Werte und keiner Dauer hinaus geht; als da sind: rosenrote Wangen, kleine, lilienweise Hände, schleenschwarze Augen, fliegende Haarlocken, Daunenfedern, sprossendes Kinn, ein gedrungener Wuchs, ja zuweilen auch Reize von noch geringerem Werte als diese, und noch weit weniger ein wirkliches Eigentum des Burschen; der gleichen als äußere Verzierungen der Person, welche er dem Schneider, dem Spitzenwirker, dem Friseur, dem Hutmacher, der Stickerin und nicht der Natur zu verdanken hat. Solcher Leidenschaften mögen die Mädchen sich freilich wohl schämen, wie sie gewöhnlich thun, sich selbst oder andern zu gestehen.

Die Liebe des Fräulein Brigitta war von einer andern Art. Der Kapitän hatte in seinen Kleidungen jenen Stutzerschöpfern nichts zu verdanken; und auch seine Person war der Natur eben nicht viel mehr schuldig. Seine Person und Kleidung waren so beschaffen, daß, wären sie in einer Assemblee oder in einem Zirkel bei Hof erschienen, sie das Gelächter und die Verachtung aller feinen Damen auf sich gezogen hätten. Die letzte war in der That reinlich, aber schlichtweg von altem Schnitt, grob und außer der Mode; die erste so, wie wir solche ausdrücklich oben beschrieben haben. Die Haut seiner Wangen war so weit von der Rosenfarbe entfernt, daß man nicht einmal unterscheiden konnte, von was für einer natürlichen Farbe seine Wangen wären, weil ein schwarzer Bart, der bis an die Augen hinaufreichte, solche völlig bedeckte. Sein Wuchs und seine Gliedmaßen waren allerdings von richtigem Verhältnis, aber so plump, daß sie vielmehr die Stärke eines Pflugtreibers als eines Städters verrieten. Seine Schultern waren über alle Maßen breit und seine Waden dicker als die Waden eines Sänftenträgers. Kurz, seine ganze Person hatte nichts von der zierlichen Schönheit, welche gerade das Gegenteil von plumper Stärke ist und welche die meisten unserer feinen Herren vom Stande so anmutiglich schmückt und die sie großenteils dem hohen Blute ihrer Anherren zu verdanken haben; das heißt, dem Blute, welches sich von hochgewürzten Brühen, edlen Weinen und teils durch eine frühzeitige Hof- und Stadterziehung absondert.

Obgleich Fräulein Brigitta eine Dame von höchst delikatem Geschmack war, so fand sie doch den Umgang des Kapitäns so reizend, daß sie die Fehler seiner Person völlig übersah. Sie bildete sich ein und das vielleicht sehr weislich, daß sie mit dem Kapitän mehr angenehme Minuten genießen würde als mit einem viel hübschern jungen Burschen; und achtete nicht auf das, was ihren Augen gefallen möchte, um sich eine viel gegründetere Zufriedenheit zu verschaffen. Der Kapitän merkte nicht so bald Fräulein Brigittens edle Leidenschaft (in welcher Entdeckung er sehr schnellsichtig war), als er solche treulich erwiderte. Die Dame war ebensowenig als ihr Geliebter von sehr auffallender Schönheit. Ich würde versuchen, ihr Porträt zu entwerfen, wenn das nicht bereits von einem geschicktern Meister, vom großen Hogarth selbst geschehen wäre, dem sie vor verschiedenen Jahren zu dieser Zeichnung saß, welche Zeichnung von diesem großen Kupferstecher neulich in einem Blatte bekannt gemacht ist, das der Wintermorgen heißt und wovon sie kein unschickliches Sinnbild war. Auf diesem Blatte kann man sie nach Koventgarden-Kirche gehen sehen (denn auf dem Blatte ist sie gehend dargestellt) mit einem verhungerten Diener hinter sich, der ihr das Gebetbuch nachträgt.

Der Kapitän gab ebenfalls mit überlegender Weisheit dem solideren Genuß, den er sich mit dieser Dame versprach, vor den vergänglichen Reizen der Person den Vorzug. Er war einer von den weisen Männern, welche die Schönheit am weiblichen Geschlecht als eine sehr wertlose und unbedeutende Eigenschaft betrachten oder, um es der Wahrheit gemäßer zu sagen, welche lieber alle Bequemlichkeiten des Lebens mit einer häßlichen Gattin, als eine schöne Ehefrau ohne alle jene Bequemlichkeiten besitzen wollen; und da er einen sehr guten Appetit besaß und eben nicht lecker war, so dünkte ihn, er wolle beim Ehestandsmahle seine Rolle recht gut spielen, ohne eben der Schönheitsbrühe zu bedürfen.

Um mit dem Leser ganz ehrlich umzugehen, wollen wir ihm sagen, daß der Kapitän sogleich nach seiner Ankunft wenigstens von dem Augenblick an, da ihm sein Bruder die ersten Vorschläge gethan hatte und lange vorher noch, eh er einige schmeichelhafte Anzeichen an Fräulen Brittja entdeckte, heftig verliebt worden war: nämlich in Herrn Alwerths Häuser, Gärten, Ländereien, Meiereien und was so zu der Erbschaft gehörte, in welches alles der Kapitän so innigst verliebt geworden, daß er sie höchst wahrscheinlicherweise erheiratet haben würde, wäre er auch genötigt gewesen, die Hexe von Endor als Zugabe mit in den Kauf zu nehmen.

Da also Herr Alwerth sich gegen den Doktor erklärt hatte, daß er gar nicht willens sei, eine zweite Frau zu nehmen; da seine Schwester seine nächste Verwandte war, und da ferner der Doktor ausfindig gemacht hatte, daß sein Vorsatz sei, wenn seine Schwester ein Kind bekäme, solches zum Erben einzusetzen, welches denn freilich die Gesetze ohne sein Zuthun würden befohlen haben: so hielten es der Doktor und sein Bruder für eine wohlthätige Handlung, einem menschlichen Geschöpfe sein Dasein zu geben, welches mit den wesentlichsten Mitteln zur Glückseligkeit so gar reichlich versehen sein würde. Alle Gedanken beider Brüder waren also darauf gerichtet, wie die Liebe dieses holdseligen Frauenzimmers zu gewinnen stehe.

Aber Madame Fortuna, die eine so zärtliche Mutter ist und oft mehr für ihre Augäpfelkinder thut, als solche verdienen oder nur wünschen, hatte so fleißig zum Besten des Kapitäns gewirkt, daß das Fräulein, unterdessen daß er Plänchen zur Ausführung seines Zweckes anlegte, mit ihm einerlei Verlangen empfand und ihrerseits darauf sann, wie sie dem Kapitän schicklicherweise Hoffnung machen könnte, ohne dabei zu vorschüssig zu scheinen; denn sie war eine strenge Beobachterin aller Regeln der Zucht und Ehrbarkeit. Dies gelang ihr indessen ohne viel Mühe; denn da der Kapitän beständig auf der Warte stand, so entwischte ihm kein Blick, Gebärde oder Wort.

Die Freude, welche der Kapitän über das holdselige Betragen des Fräulein Brigitta empfand, ward nicht wenig durch die Furcht vor Herrn Alwerth gemindert; denn ungeachtet seiner uneigennützigen Erklärung deuchte doch dem Kapitän, würde er, wenn es zur That käme, dem Beispiel der übrigen Weltmänner folgen und seine Einwilligung zu einer Verbindung versagen, die seiner Schwester in Ansehung der Glücksumstände so nachteilig wäre. Von was für einem Orakel er diese Meinung mitgeteilt erhalten hatte, das überlasse ich der Entscheidung des Lesers. Er sei aber dazu gekommen, wie er wolle, so setzte es ihn doch in nicht geringe Verlegenheit, wie er sein Benehmen so einrichten sollte, zu gleicher Zeit seine Neigung der Dame zu entdecken und ihrem Bruder zu verhehlen. Am Ende beschloß er, alle geheime Gelegenheiten wahrzunehmen, wo er sich ihr als Verliebten zeigen konnte; in Gegenwart des Herrn Alwerth aber so zurückhaltend und so sehr auf seiner Hut zu sein als nur immer möglich; und dieses Betragen fand den höchsten Beifall des Bruders.

Er fand bald Mittel, seiner Schönen einen förmlichen Liebesantrag zu thun und von ihr eine Antwort in gehöriger Form zu erhalten; das heißt, eben die Antwort, welche vor etlichen tausend Jahren schon auf den ersten Antrag gegeben worden und welche seitdem allezeit durch eine ununterbrochene Tradition von Mutter auf Tochter gebracht ist. Sollte ich sie ins Lateinische übersetzen, so würde ich es durch zwei Worte, nolo episcopari, geben; eine bräutliche Redensart, die bei andern Gelegenheiten schon seit undenklichen Jahren her im Gebrauch ist.

Der Kapitän, wie er auch immer zu der Kenntnis gelangt sein mochte, verstand seine Schöne vollkommen richtig und wiederholte sehr bald darauf seine Anwerbung mit mehr Ernst und Wärme als vorher und ward abermals in gehöriger Form abgewiesen; so wie aber bei ihm das Verlangen immer dringender wurde, so nahm in eben dem Verhältnis bei der Dame die Heftigkeit im Verweigern immer mehr ab.

Um dem Leser damit keine Langeweile zu machen, daß wir ihn durch jeden Auftritt dieser Liebeshandlung hindurch führen (welche zwar nach der Meinung eines gewissen großen Gelehrten die behaglichste Szene des Lebens für die handelnde Person selbst ausmacht, dennoch für die Zuschauer vielleicht so schal und langweilig ist, als nur immer eine andre Szene sein kann), sagen wir hiermit in aller Kürze, der Kapitän machte seine Approchen nach den Regeln der Kunst in gehöriger Form; die Zidatelle ward in gehöriger Form verteidigt und ergab sich endlich in gehöriger Form auf Diskretion.

Während dieser ganzen Zeit, welche beinahe einen Monat betrug, beobachtete der Kapitän ein sehr ehrfurchtsvolles Bezeigen gegen das Fräulein, wann ihr Bruder zugegen war, und je weiter er es unter vier Augen mit ihr brachte, desto zurückhaltender betrug er sich gegen sie in Gesellschaft anderer Zeugen. Die holde Braut anlangend, so hatte sie nicht so bald den Geliebten in ihre sichere Gewahrsame gebracht, als sie sich gegen ihn in Gesellschaft mit dem höchsten Grade von Gleichgültigkeit betrug, so daß Herr Alwerth die Einsicht des Teufels (oder noch eine von seinen schlimmern Eigenschaften) hätte besitzen müssen, um den geringsten Argwohn von dem, was vorging, zu fassen.