Tom Jones

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Siebentes Kapitel.

In welchem wir Herrn Alwerth auf einem Krankenlager finden.

Junker Western war in unsern Jones so verliebt geworden, daß er ihn sehr ungerne missen mochte, obgleich sein Arm schon längst geheilt war, und Jones, entweder wegen seiner Liebe zur Jagd, oder auch anderer Ursachen wegen, ließ sich ohne Schwierigkeit bereden, in seinem Hause zu bleiben, welches denn auch zuweilen ganze Tage hindurch geschah, ohne Herrn Alwerths Haus ein einzigsmal zu besuchen, ja, oder auch nur das geringste von dort zu hören.

Herr Alwerth befand sich seit einigen Tagen nicht wohl an einer Erkältung, welche von einem kleinen Fieber begleitet war. Diese kleine Unpäßlichkeit hatte er indessen nicht geachtet, wie es seine Gewohnheit bei allen Zufällen war, die ihn nicht das Bett zu hüten nötigten, oder ihm die Kräfte benahmen, seinen gewöhnlichen Beschäftigungen obzuliegen. Eine Gewohnheit, welche zu billigen oder zur Nachahmung zu empfehlen man uns ja nicht zutrauen muß; denn ganz gewiß haben die Herren von der hippokratischen Kunst großes Recht, wenn sie der Meinung sind, denselben Augenblick, da die Krankheit zu einer Thüre hereinträte, solle man den Arzt alsobald durch die an dere herbeiführen. Denn was sollte man sonst bei dem alten Spruche denken: Venienti occurrite morbo? »Beim ersten Schritt einer Krankheit muß man sich ihr entgegenstellen.« Solchergestalt teilen Arzt und Krankheit auf eine redliche Weise Wind und Sonne; dahingegen, wenn man der Krankheit Zeit läßt, so gibt man ihr oft Raum, sich zu entwickeln und zu befestigen, wie ein Kriegsherr im Felde, so daß es den gelehrten Herren oft sehr schwer und zuweilen gar unmöglich fällt, dem Feinde beizukommen. Ja oftmals, wenn man dem Uebel Zeit läßt, bedient es sich noch dazu allerlei Kriegslist und besticht die Natur, zur Krankheit überzulaufen, und dann ist alle Macht der Arzneikunst verloren, oder kommt zu spät. Auf diese Bemerkung gründete sich die Klage eines großen, von fast allen europäischen Höfen mit Attestaten versehenen Wunderdoktors, der sich sehr emphatisch darüber beschwerte, wenn man sich so spät an seine Geschicklichkeit wendete und sagte: »Sur mon Ame! die Leut, meine Patient, er muß mich nehmen für den Grubenher: denn sie schick nick ehr bald, bis die klein Doktor ihn hab mackt sterben.«

Des Herrn Alwerth Unpäßlichkeit gewann durch diese Geringschätzung so viel Feld, daß, als die Zunahme des Fiebers ihn nötigte, nach Hilfe zu schicken, der Doktor bei seiner Ankunft die Achseln zuckte, wünschte, man möchte ihn früher gerufen haben, und zu verstehen gab, er halte dafür, der Patient sei in großer Gefahr. Herr Alwerth, der alle seine Sachen in dieser Welt in Ordnung gebracht hatte und auf die künftige so wohl vorbereitet war, als es für die menschliche Natur nur immer möglich ist, empfing diese Nachricht mit der größesten Gelassenheit und Freudigkeit des Gemüts. Er konnte in der That, so oft er sich schlafen legte, mit Cato in Addisons Trauerspiel sagen:

– – »Let Guilt or Fear

Disturb Man's Rest, Cato knows neither of them;

Indifferent in his Choise, to sleep or die.«

»Laß Schuld, laß Furcht

Die Ruh des Menschen stören! Ein Cato kennt

Sie beide nicht: drum ist die Wahl ihm gleich,

Ob schlafen, oder sterben!«

In der That und Wahrheit konnte er dieses mit zehnfach besserem Grunde und größerer Zuversicht sagen, als Cato oder irgend ein andrer ruhmrediger Geist unter den alten oder neuern Helden: denn er war nicht nur frei von Furcht, sondern man konnte ihn betrachten als einen treuen Arbeiter, den der gütige Hausvater am Ende vor sich ruft, um ihm seinen Lohn zu erteilen.

Der edle Mann gab augenblicklich Befehl, daß alle seine Hausgenossen sich um ihn her versammeln möchten. Niemand war damals abwesend, als Madame Blifil, die sich seit einiger Zeit in London aufhielt, und Jones, von dem der Leser sich eben in Herrn Westerns Hause getrennt hat und welcher die Botschaft in eben dem Augenblicke erhielt, als ihn Sophie verlassen hatte.

Die Nachricht von Herrn Alwerths Lebensgefahr (denn der Bote sagte ihm, er läge in den letzten Zügen) vertrieb ihm alle Gedanken an Liebe aus dem Kopfe. Er warf sich über Hals und Kopf in die Chaise, die man für ihn geschickt hatte, ermahnte den Kutscher, er solle zufahren was er könne, und auf dem ganzen Wege, glaube ich, kam ihm Sophiens Bild nicht ein einziges Mal in die Gedanken.

Und nun, nachdem alles im Hause, nämlich der Neffe Blifil, Tom Jones, Ehrn Schwöger, Herr Quadrat und einige Bediente (denn so hatte es Herr Alwerth verlangt) um sein Bett her versammelt war, richtete sich der gute Mann in demselben auf und wollte anheben zu sprechen, als Blifil in ein Geheul verfiel und sehr laute und bittere Klaglieder anstimmte. Auf dieses faßte ihn Herr Alwerth bei der Hand, schüttelte solche und sagte: »Jammere nicht so, mein lieber Neffe, über die gewöhnlichste aller menschlichen Begebenheiten. Wenn unsern Freunden Unglücksfälle zustoßen, so mögen wir uns mit Recht betrüben; denn das sind solche Zufälle, die man oft hätte vermeiden können, und sie mögen auch das Los des einen Menschen unglücklicher zu machen scheinen als das Los eines andern; der Tod aber ist sicherlich unvermeidlich, und ist das allgemeine Los, worin das Schicksal aller Menschen gleich ist; auch macht die Zeit, wo er eintrifft, den Unterschied nicht wesentlich. Da der weiseste der Menschen das Leben mit einer Spanne verglichen hat: so dürfen wir es auch wohl mit einem Tage vergleichen. Mein Los ist, daß ich es am Abend verlasse; jene aber, die früher hinweggenommen werden, haben bloß ein paar Stunden verloren, welche, wenn's die köstlichsten waren, doch des Bejammerns nicht wert, wohl aber, weit öfter, Stunden der Arbeit und Mühe, der Sorgen und des Kummers sind. Einer unter den römischen Dichtern vergleicht, so viel ich mich erinnere, unsern Hintritt aus dem Leben mit dem Abschiednehmen von einem Gastmahle. Dieser Gedanke ist mir oft eingefallen, wenn ich gesehen habe, daß Menschen darnach strebten, ein Gastmahl zu verlängern und der Gesellschaft ihrer Freunde noch einige Minuten länger zu genießen! Ach, und wie ist dennoch die weiteste Ausdehnung eines solchen Genusses so kurz! Wie unmerklich der Unterschied zwischen dem, der sich am ersten wegbegibt, und dem, der der letzte ist! Dies heißt das Leben von seiner schönen Seite betrachten, und diese Unwilligkeit, unsre Freunde zu verlassen, ist die schönste Ursache, aus welcher wir die Furcht vor dem Tode herleiten können; und doch ist das längste Freudenfest dieser Art, das wir hoffen können, von so geringer Dauer, daß es kaum der Beachtung eines weisen Mannes würdig ist. Wenige Menschen, ich gestehe es, denken also; denn freilich denken wenig Menschen an den Tod eher, als bis sie ihm im Rachen sitzen. So riesenhaft und fürchterlich der Tod ihnen bei seiner Annäherung vorkommen mag: so sind sie gleichwohl nicht vermögend, ihn in einiger Entfernung zu sehen; ja, ob sie gleich große Angst und Furcht erlitten, wenn sie sich in Gefahr zu sterben hielten: so sind sie doch nicht so bald von dieser nahen Besorgnis befreit, als auch das geringste Andenken daran aus ihrem Gemüte verschwindet. Aber, ach! wer einer Todesgefahr entrinnt, dessen Urteil ist nicht aufgehoben, sondern nur auf kurze Frist verschoben.

Darum also, mein liebes Kind, gräme dich nicht weiter über diesen Fall. Eine Veränderung, die uns jede Stunde, durch jedes Element, fast durch jedes Teilchen der Materie, die uns umgibt, überkommen kann, und welche uns am Ende allzumal ganz unvermeidlicher Weise treffen wird, treffen muß, sollte uns weder bestürzt machen, noch uns in Gram und Betrübnis versenken.

Mein Arzt hat mir gesagt (und ich nehme es als eine wahre Gefälligkeit auf), daß ich in Gefahr stehe, euch alle in kurzem zu verlassen, deswegen wollte ich euch bei unserm Scheiden noch ein paar Worte sagen, bevor meine Krankheit, die, wie ich fühle, merklich zunimmt, mir es unmöglich macht.

Aber ich strenge meine Kräfte zu sehr an. – Ich bin willens, über mein Testament zu sprechen; ich hab' es zwar vorlängst schon gemacht, doch will ich davon einige Artikel berühren, die euch, die ihr da seid, betreffen, damit ich den Trost mitnehmen kann, daß ihr alle mit der Vorsorge zufrieden seid, die ich für euch gehabt habe.

Dir, mein Neffe Blifil, überlasse ich, als meinem Universalerben, mein sämtliches Vermögen; ausgenommen bloß fünfhundert Pfund jährlicher Renten, welche dir nach dem Ableben deiner Mutter wieder heimfallen sollen; ausgenommen ferner fünfhundert Pfund jährlicher Renten und die bare Summe von sechstausend Kapital, worüber ich folgendermaßen disponiert habe.

Die fünfhundert Pfund jährlicher Renten habe ich dir vermacht, lieber Tom; und da ich weiß, welche Verlegenheit der Mangel an barem Gelde verursachen kann, so habe ich noch tausend Pfund gleich zahlbar hinzugefügt. Ich weiß nicht, ob du mehr oder weniger von mir erwartet hast. Vielleicht denkst du, ich habe dir zu wenig gegeben, und die Welt wird ebenso bereitwillig sein, mich zu tadeln, daß ich zuviel gethan habe; allein den Tadel der letztern achte ich nicht; und was das erste betrifft, wofern du nicht in dem gemeinen Irrtum steckst, den ich so oft habe als eine Entschuldigung für allen Mangel an thätiger Menschenliebe anführen gehört, nämlich: daß wir durch freiwillige Wohlthaten statt der Dankbarkeit nur Forderungen zu erregen pflegen, welche unter allen Erwartungen und Forderungen die grenzenlosesten und am schwersten zu befriedigen sind. – Verzeih' mir, Tom, die bloße Erwähnung dieses Gedankens! Ich will nichts Aehnliches von dir vermuten!« –

Jones flog hin zu den Füßen seines Wohlthäters, faßte mit Inbrunst eine seiner Hände und versicherte ihm: seine, sowohl gegenwärtige, als zu allen andern Zeiten ihm erzeigte Güte habe nicht nur sein Verdienst, sondern auch sein Hoffen so unendlich weit überstiegen, daß Worte unvermögend wären, sein Gefühl der Dankbarkeit auszudrücken. »Und, teuerster Vater und Wohlthäter,« setzte er hinzu, »Ihre jetzige Großmut läßt mir keinen andern Kummer als den über die gegenwärtige melancholische Veranlassung. – O mein Freund, mein Vater!« – Hier stockten ihm die Worte, und er kehrte sich weg, um eine Thräne zu verbergen, welche ihm aus den Augen quoll.

 

Alwerth drückte ihm liebreich die Hand und fuhr dann fort: »Ich bin überzeugt, mein Kind, daß es dir gar nicht an gutem Herzen, an Großmut und an Redlichkeit fehlt; wenn du diesen in dir liegenden Eigenschaften nur noch Klugheit und Religion hinzufügst, so mußt du glücklich werden: denn die drei ersten, ich geb' es zu, machen dich des Glückes wert, aber nur die beiden letztern können dir es wirklich geben.

Eintausend Pfund hab' ich Ihnen vermacht, Herr Schwöger; ich bin überzeugt, daß diese Summe bei weitem Ihre Wünsche sowohl als Ihre Bedürfnisse übersteigt. Indessen werden Sie solche als ein Andenken meiner Freundschaft annehmen; und was für Ueberfluß Ihnen auch immer zuwachsen mag, die gottesfürchtige Frömmigkeit, die Sie so streng behaupten, wird Sie lehren, solchen wohl anzuwenden.

Eine ähnliche Summe habe ich Ihnen vermacht, Herr Quadrat; dies hoffe ich, wird Sie instandsetzen, Ihrer Wissenschaft mit besserem Glück obzuliegen, als bisher. Ich habe oft nicht ohne Kummer bemerkt, daß Dürftigkeit fähiger ist, Verachtung als Bedauren zu erregen, besonders bei Männern von Geschäften, und bei Beförderern, welche geneigt sind, dafür zu halten, Armut sei ein Zeichen des Mangels an Geschicklichkeit. Allein das Wenige, was ich vermögend gewesen bin Ihnen nachzulassen, wird Sie aus den Verlegenheiten reißen, gegen welche Sie bisher haben ringen müssen; und dann, zweifle ich nicht, werden Sie Unterstützung genug finden, um des übrigen nicht zu ermangeln, dessen ein Mann von Ihrer philosophischen Denkart benötigt sein kann.

Ich fühle, daß ich schwächer werde; also beziehe ich mich auf mein Testament, in Ansehung des übrigen. Meine Bedienten werden darin einiges finden, wobei sie sich meiner erinnern mögen, und dann sind noch einige Vermächtnisse darin für Arme, welche, wie ich das Vertrauen habe, meine Exekutoren treulich besorgen werden. Gott segne euch alle! Ich gehe um ein kleines vor euch voraus.«

Hier trat ein Bedienter hastig in die Stube und sagte, es wäre ein Advokat da aus Salisbury, mit einem besondern Auftrage, den er, wie er sage, an Herrn Alwerth selbst ausrichten müsse; er scheine in heftiger Eile zu sein, und beteure, er habe so viel zu thun, daß er nicht allem nachkommen könne, und wenn er sich auch in vier Teile zerrisse.

»Gehe hin, Kind,« sagte Alwerth zu seinem Neffen, »und sieh zu, was der Mann bringt. Ich bin jetzt nicht vermögend ein Geschäft zu besorgen; er kann auch keins mit mir haben, das dich gegenwärtig nicht näher anginge, als mich selbst. Es ist mir jetzt unmöglich, jemand zu sprechen oder meinen Kopf länger anzustrengen.« Er grüßte sie darauf alle, wobei er sagte, daß er vielleicht im stande sein würde, sie noch ein mal zu sehen, er möchte sich aber gerne jetzt ein wenig zur Ruhe anschicken, weil er merkte, daß er durch zu vieles Sprechen ermattet wäre.

Einige von der Gesellschaft vergossen beim Hinausgehen Thränen; und selbst der Philosoph Quadrat wischte sich die Augen, obgleich nicht weichlicher Thränen gewohnt. Aber Jungfer Wilkins tröpfelte ihre Perlen so mildiglich, als die arabischen Bäume ihren schmerzstillenden Balsam, denn dies war eine Zeremonie, welche dies Frauenzimmer bei keiner schicklichen Gelegenheit versäumte.

Nach alle diesem legte Herr Alwerth sich wieder nieder auf sein Kissen und suchte eine bequeme Lage zur Ruhe.

Achtes Kapitel.

Enthält mehr natürliche als angenehme Dinge.

Außer der Betrübnis über ihren Herrn war noch eine andre Quelle für den heißen Strom vorhanden, welcher über die beiden bergrückenhaften Augenknochen der Hausjungfer so ergiebig hervorrieselte. Sie war nicht so bald in ihrem Kämmerlein alleine, als sie auf folgende lustige Weise für sich in den Bart zu murmeln begann: »Fürwahr, der Herr hätte doch, sollt' ich meinen, einen klein'n Unterschied mach'n soll'n zwischen mir und dem Gesinde. Seht doch, 'r hat mir wohl gar das Trauerzeug vermacht! Aber, je ja doch! wenn's sonst nichts ist, so mag meinetwegen Herr Urians Großmutter um ihn schwarz gehn, ich nicht! Der gnäd'ge Herr Strohjunker muß wissen, daß 'ch kein Bettelmensch bin. Ich hab' mir in seinem Dienst ein fünfhundert Pfund zusammengespart, und nun sollt' ich mich noch dazu so begegnen lassen! Das sollte Dienstboten schöne Lust machen, ehrlich und treu zu sein! Ja wohl, ja wohl! Wenn 'ch auch dann und wann mal eine Lumperei auf die Seit' gebracht habe; andre haben's ja zehnmal mehr gethan; und nun schert'r uns all über ein'n Kamm! Wenn's so ist, daß 's so ist: so mag das Legatrum der Gottseibeiuns! holen, mit samt dem der's gibt! Doch neh! ausschlagen will ich's doch auch nicht; denn das würd' gewissen Leut'n nur 'ne Freude sein. Nein! das bunteste Kleid will ich mir kaufen, das 'ch nur finden kann, und damit will ich über des alten Kalmäusers Grab herum tanzen! Das is nun mein Dank, daß 'ch sein' Partei so oft genommen hab', wenn all Leute Sünd' und Schand' über ihn schrien, daß 'r sein'n Pankert so herrlich und in Freuden aufzog. Doch er muß nun gehn dahin, und für sein' Sünd'n wohl büßen. Besser hätt 'r gethan, er hätte hüpsch Reu' und Buß' gethan, auf sein'n Todbette für seine Sünden, als daß 'r sich noch damit breit macht, und seine Güter aus der Familie weggibt, an so 'n Schandkind. In sein Bett gefunden, seht doch! Eine feine Mär das ist! Ja, ja! wer selbst versteckt, kann am besten finden! Verzeih' mir die Sünd'! aber mein'n Kopf wett' ich, er hat mehr herum laufen, die nicht Vater sagen dürfen; wenn 's so recht bekannt wär'. Ein Trost ist's, da, wo er nun hin muß, werden wir sie alle schon kennen lernen. – ›Meine Bedienten werden was finden, wobei sie sich meiner erinnern mögen'!‹ das war'n die ausdrücklichen Worte! ich werd' sie nicht vergessen, wenn 'ch noch tausend Jahr erlebe. Ja wohl, ja wohl, freilich! werd's nicht vergessen, daß 'r mich so unters Gesinde gemengselt. Man sollt' doch gedacht haben, 'r hätte meinen Namen wohl eb'n so gut nennen könn'n, als des Quad Rats seinen; aber, meins großen Herzleids! das is 'n hochgelahrter Herr obschons 'r keinen Rock uf'n Leib hatte, als er erst ins Haus kam. O, ich dacht' was mir bisse, mit solch'n hochgelahrten Herrn! Da hat 'r'n manch hüpsch Jahr im Haus gegessen, getrunken und geschlafen, und noch soll die niedrigste Bettmagd erst lernen, wie sein Geld aussieht. Ja, ich wollt' solch'n Kerlen was ufwart'n, ich!« – Weit mehr noch, von eben dem Schlage, murmelte sie für sich weg; dies Pröbchen mag aber für den Leser genug sein.

Weder Schwöger noch Quadrat waren mit ihren Vermächtnissen eben viel besser zufrieden. Ob sie gleich ihre Gesinnungen nicht so platt heraussagten, so haben wir doch sowohl aus dem Mißvergnügen, das sich in ihren Mienen zeigte, als aus dem folgenden Gespräche so viel zusammengebracht, daß keine sehr große Freude in ihren Gemütern regierte.

Ungefähr eine Stunde nachher, als sie das Krankenzimmer verlassen hatten, begegnete Quadrat Herrn Schwöger im Vorsaale und redete ihn an folgendergestalt: »Nun, Herr Schwöger, haben Sie, seitdem wir das Zimmer verlassen haben, wieder etwas gehört von Ihrem Freunde?« – »Wenn Sie Herrn Alwerth meinen,« antwortete Schwöger, »so dächte ich, Sie könnten ihn vielmehr Ihren Freund nennen; denn, nach meiner Meinung, hat er diesen Titel sehr wohl um Sie verdient!« – »Um Sie ist sein Verdienst nicht geringer, denk' ich,« erwiderte Quadrat; »denn seine Freigebigkeit, so wie sie nun ist, ist für beide von einerlei Maß.« – »Ich würde nicht der erste gewesen sein, dies zu erwähnen,« versetzte Schwöger, »weil Sie aber davon anfangen, so muß ich Ihnen zur Nachricht melden, daß ich darüber ganz verschiedener Meinung bin. Es ist in himmelweiter Unterschied unter freiwilligen Geschenken und unter Belohnungen. Die Pflichten, die ich in dieser Familie übernommen, und die Sorge, die ich für die Erziehung seiner beiden jungen Herrn gehabt habe, sind Dienste, für welche einige Leute mehr Erkenntlichkeit erwartet haben möchten. Doch müssen Sie deswegen eben nicht glauben, ich sei darüber mißvergnügt. Sankt Paulus hat mich gelehrt, zufrieden zu sein mit dem Wenigen, was ich habe. Wäre das Kleine noch geringer gewesen, so hätte ich meine Pflicht gekannt. Aber, obgleich die Schrift mich nötigt, mich mit meinem beschiedenen Teile zu begnügen, so befiehlt sie doch nicht, vor meinem eigenen Verdienst die Augen zu verschließen, oder mich zu enthalten, es zu sehen, wenn man mir durch eine ungerechte Vergleichung zu nahe tritt.« – »Weil Sie mich reizen,« erwiderte Quadrat, »so muß ich Ihnen denn sagen, daß mir zu nahe geschehen ist. Ich hätte mir in meinem Leben nicht eingebildet, daß Herr Alwerth meine Freundschaft so gering geachtet hätte, um mich mit einem, der seinen Jahrlohn zog, auf gleichen Fuß zu setzen: aber ich weiß wohl, woher es kommt. Es ist eine Folge von den eingeschränkten Grundsätzen, die Sie sich seit so langer Zeit bemüht haben ihm einzuflößen, mit Uebergehung alles dessen, was groß und edel ist. Die Schönheit und Liebenswürdigkeit der Freundschaft sind zu stark für seine Augen; und freilich kann man solcher durch kein andres Medium gewahr werden, als durch die untrügliche Regel des Rechts, welche Sie sich oft bemüht haben lächerlich zu machen, und wodurch Sie den Verstand meines Freundes verschroben haben.« – »Ich wünschte,« rief Schwöger ganz wütend, »ich wünsche, aus Liebe zu seiner Seele, daß Ihre verdammlichen Lehrsätze nicht seinen Glauben verschroben hätten. Darauf fällt die Schuld seines jetzigen, einem Christen so unanständigen Betragens. Nur ein Atheist konnte so sorglos die Welt verlassen, ohne vorher mit seiner Seele in Richtigkeit zu sein; ohne seine Sünden zu beichten und diejenige Absolution zu empfangen, die ihm, wie er wohl weiß, ein Mann zu erteilen nach allen Rechten befugt ist, den er selbst in seinem eignen Hause bei sich hat. Er wird den Abgang dieser Notdurft schon fühlen, wenn's zu spät ist. Wenn er an den Ort wird gekommen sein, wo Heulen ist und Zähnklappen; alsdann, alsdann wird er's erfahren, wie mächtig jene heidnische Gottheit, jene Tugend, die Sie und alle jetzigen Freigeister verehren und anbeten, ihm beistehen und ihn vertreten wird. Dann wird er nach seinem Priester rufen, wenn keiner zu finden ist; dann wird er den Mangel der Absolution bereuen, ohne welche kein Sünder selig werden kann.« – »Wenn sie denn so unumgänglich nötig ist,« sagte Quadrat, »warum geben Sie ihm solche nicht ganz aus freien Stücken?« – »Sie hat keine Kraft,« schrie Schwöger, »als an denen, welche solche, nach der zuvorkommenden Gnade, begehren. Aber, warum sage ich dergleichen zu einem Heiden und Ungläubigen? Sie sind es, Herr, der ihm diese Lehren beigebracht hat, die Ihnen in dieser Welt so reichlich vergolten sind, wie Ihrem Jünger ohne Zweifel auch bald in der künftigen widerfahren wird.« – »Ich weiß nicht, was Sie unter meiner reichlichen Vergeltung verstehen,« sagte Quadrat; »wenn Sie aber auf das winzige Andenken unsrer Freundschaft anspielen, welches ihm beliebt hat mir zu vermachen, so verachte ich das, und nichts in der Welt, als die unglückliche Lage meiner Umstände, hätte mich vermögen können, es anzunehmen.«

Hier kam der Arzt dazu und erkundigte sich bei den Disputierenden, wie es oben stünde? »Höchst schlecht,« antwortete Schwöger. – »Das hab' ich mir wohl vorgestellt!« rief der Doktor. »Aber ich bitte, was für Symptomata haben sich hervorgethan, seitdem ich Sie verlassen habe?« – »Keine guten, besorg' ich,« versetzte Schwöger. »Nach dem was seit unsrem Weggehen vorgegangen ist, glaube ich, bleibt wenig Hoffnung.« Der leibliche Arzt mochte den Seelenarzt wohl mißverstanden haben, und noch ehe sie sich einander deutlicher erklärten, kam Blifil zu ihnen mit höchst melancholischer Miene und sagte ihnen, er bringe betrübte Nachricht, denn seine Mutter sei zu Salisbury gestorben. Sie sei auf der Heimreise von einer Kopf- und Magengicht befallen worden, woran sie in wenig Stunden verschieden. – »Je so bewahre! Je so bewahre,« sagte der Doktor. »Man kann für Unglück freilich nicht! Aber ich wünschte doch, ich wäre zur Hand gewesen, daß man mich hätte dazu rufen können. Podagra und Gicht sind Krankheiten, die nicht so leicht zu behandeln sind; aber ich bin noch immer vorzüglich glücklich damit gewesen.« Schwöger und Quadrat bezeugten beide Herrn Blifil ihr Beileid über den Verlust seiner Mutter, welchen der eine ihm riet zu ertragen als ein Mann und der andre als ein Christ. Der junge Herr sagte, er wisse sehr wohl, daß wir alle sterblich wären, und er wolle sich bestreben, sich seinem Verluste so gut als möglich zu unterwerfen. Indessen könne er sich doch nicht enthalten, sich ein wenig über die besondere Härte seines Schicksals zu beklagen, indem die Nachricht von einem so großen Unglück ihn so unerwartet überfiele, und gerade zu einer Zeit, da er stündlich den härtesten Schlag erwarten müsse, den das boshafte Glück ihn jemals fühlen zu lassen im stande wäre. – Die gegenwärtige Gelegenheit, sagte er, würde die vortrefflichen Unterweisungen bewähren, welche er von den Herren Schwöger und Quadrat genossen habe, und nur ihnen allein würde er es zu verdanken haben, wenn er solche Unglücksfälle überleben könnte.

 

Es ward nun in Ueberlegung gezogen, ob man Herrn Alwerth vom Tode seinem Schwester Nachricht geben sollte. Der Doktor war heftig dagegen, und darin, glaube ich, hatte er die ganze vernünftige Fakultät auf seiner Seite. Herr Blifil aber sagte, er habe von seinem Onkel so ausdrückliche Befehle, ihm niemals aus dem Grunde weil's ihn beunruhigen könnte ein Geheimnis zu verschweigen, daß er nicht daran denken könne, ihm ungehorsam zu sein, was auch immer die Folgen davon sein möchten. Und für sein Teil, sagte er ferner, könne er, in Erwägung der religiösen und philosophischen Gemütsfassung seines Onkels, mit dem Doktor nicht einerlei Meinung sein. Er wäre also entschlossen, es ihm zu sagen, denn wenn sein Onkel wieder aufkäme (um was er den lieben Gott von Herzen bitten wolle), so wäre er überzeugt, er würde es ihm nie verzeihen, daß er ihm ein Geheimnis von dieser Wichtigkeit zu verhehlen getrachtet habe.

Der Arzt war genötigt, sich eine Entschließung gefallen zu lassen, welche von den beiden andern Herren so höchlich gerühmt wurde. Sonach gingen Blifil und der Doktor nach dem Krankenzimmer zu, wo der Arzt zuerst hineintrat und sich dem Bette näherte, um seinem Patienten an den Puls zu fühlen, welches er dann auch kaum gethan hatte, als er erklärte, er fände ihn viel besser, die letzte Medizin habe Wunder gethan und habe das Fieber bereits geschwächt; dergestalt, sagte er, scheine jetzt ebensowenig Gefahr mehr zu sein, als er vorher von Hoffnung besorgt hätte.

Die Wahrheit zu gestehen, so waren Herrn Alwerths Umstände gar nicht so schlimm gewesen als sie der Doktor vorgestellt hatte. So wie aber ein weiser General niemals seinen Feind für gering achtet, soviel er auch an der Anzahl schwächer sein mag, so hält ein weiser Arzt niemals eine Krankheit für gering, wenn sie auch noch so unbedeutend wäre. So wie der erste immer auf dieselbe strenge Mannszucht hält, eben die Posten ausstellt, eben die Patrouillen thun läßt, der Feind mag so schwach sein als er will, so behält der letzte immer dieselbe Ernsthaftigkeit in den Mienen, zuckt die Achseln und schüttelt den Kopf mit eben der Wichtigkeit, lass' die Krankheit so geringfügig sein als sie wolle. Und beide können unter manchen andern ganz guten auch diese sehr triftige Ursache für ihr Verfahren anführen, daß sie auf diese Art, wenn sie siegen, um so mehr Ehre einernten und um so weniger Unehre, falls sie ja durch einen unglücklichen Zufall einmal den kürzeren ziehen sollten.

Herr Alwerth hatte nicht so bald sein Haupt emporgehoben und dem Himmel für die gute Hoffnung zu seiner Genesung gedankt, als sein Neffe Blifil mit einem höchst niedergeschlagenen Wesen seinen Stuhl näher zum Bette rückte und, nachdem er sein Taschentuch vor die Augen gebracht hatte, um seine Thränen abzuwischen, oder, wie Ovid sich irgendwo bei einer andern Veranlassung ausdrückt:

»Si nullus erit, tamen excute nullum,«

»Ist keine da, so wisch' die weg, die nicht da ist,«

machte er seinem Onkel bekannt, was der Leser eben erfahren hat.

Alwerth nahm die Nachricht auf mit Betrübnis, mit Geduld und mit Unterwerfung. Er vergoß eine Thräne der Zärtlichkeit, dann nahm er ein unruhiges Gesicht an und rief endlich aus: »Des Herrn Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden!«

Er erkundigte sich nunmehr nach dem Ueberbringer dieser Nachricht, aber Blifil sagte ihm, es wäre ihm unmöglich gewesen, den Mann nur einen Augenblick aufzuhalten, denn aus der übergroßen Eile, worin er gewesen, habe es ihm geschienen, daß er ein sehr wichtiges Geschäft in Händen haben müßte: er habe sich beklagt, daß er dergestalt herumgetrieben würde, daß er seines Lebens kaum froh würde, und habe oft wiederholt, daß, wenn er sich in vier Teile teilen könnte, er doch für jeden Teil der Geschäfte die Menge habe.

Herr Alwerth sagte darauf seinem Neffen, er möchte für das Leichenbegängnis Sorge tragen. Er äußerte dabei, daß seine Schwester in seiner eigenen Kapelle niedergesetzt werden möchte; die übrigen Umstände überließ er seiner eignen Willkür, nur daß er den Geistlichen ernannte, welcher bei der Bestattung sein geistliches Amt vernichten sollte.

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