Tom Jones

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Drittes Kapitel.

Welches nach der Meinung aller derer, die kein Herz haben, viel Geschrei und wenig Wolle enthalten wird.

Der Leser mag sich vielleicht einbilden, daß die Empfindungen, welche sich in Jones regten, so süß und angenehm gewesen, daß solche vielmehr eine große Heiterkeit der Seele, als irgend eine von den vorhin erwähnten gefährlichen Wirkungen hervorbringen müssen. Aber der Thatsache nach sind die Gefühle von dieser Art, was für ein Entzücken sie auch gewähren mögen, bei ihrer ersten Entdeckung, von sehr tumultuarischer Natur und führen sehr wenig Beruhigendes bei sich. Sie waren überdem noch, im gegenwärtigen Falle, durch gewisse Umstände verbittert, welche vermischt mit süßern Ingredienzien auf eine Mixtur hinausliefen, die man wohl Bitter-Süß nennen könnte und, so wie dem Gaumen nichts unangenehmer sein kann als solch ein Gemisch, so kann auch im metaphorischen Sinne dem Gemüte nichts Widerwärtigeres ersonnen werden.

Denn zuerst: ob er gleich hinlänglichen Grund hatte, sich mit dem, was er an Sophie bemerkt hatte, zu schmeicheln, so war er doch nicht frei von Zweifeln, ob er nicht bloßes Mitleiden oder allenfalls auch Hochachtung für eine wärmere Empfindung auslegte. Er war weit entfernt von dem zuversichtlichen Vertrauen, daß Sophie eine solche Zuneigung zu ihm trüge, welche, wenn sie genährt und gepflegt würde, zu der Höhe hinanwachsen müsse, welche erforderlich war, um seiner Liebe eine reife Ernte zu versprechen. Wenn überdem er auch hoffen konnte, daß von seiten der Tochter seinem Glück kein Hindernis in den Weg gelegt werden möchte: so hielt er sich doch versichert, daß er abseiten des Vaters sehr wesentliche finden würde, welcher, obgleich in seinem Zeitvertreibe ein Landjunker, in demjenigen aber, was sein Vermögen anbetraf, ein vollkommner Weltmann war, die heftigste Zärtlichkeit für seine Tochter hegte und dabei öfters bei seiner Flasche erklärt hatte, was für ein Vergnügen er sich davon verspräche, seine Tochter eines Tages an den reichsten Mann des Landes verheiratet zu sehen. Jones war kein so eitler einfältiger Hasenfuß, sich einzubilden, der Junker werde, aus immer was für Gewogenheit, die er für ihn zu hegen erklärt hatte, sich dahin bewegen lassen, diese hohen Absichten mit seiner Tochter fahren zu lassen. Er wußte recht gut, daß Vermögen und Reichtum gewöhnlichermaßen wo nicht das einzige, doch die Hauptsache sind, welche bei solcher Gelegenheit von den Eltern in Betrachtung gezogen zu werden pflegen: denn die Freundschaft läßt uns zwar an dem Interesse andrer warmen Anteil nehmen, sie bleibt aber sehr kalt, wenn es auf die Befriedigung ihrer Leidenschaften ankommt. In der That, um die Glückseligkeit zu fühlen, welche hieraus entspringt, ist es nötig, daß man die Leidenschaft selbst besitze. Da er sonach keine Hoffnung hatte, ihres Vaters Einwilligung zu erhalten, so dachte er: zu versuchen, seinen Wunsch ohne dieselbe durchzusetzen, und dadurch Herrn Western um die größeste Glückseligkeit seines Lebens zu bringen, wäre ein sehr schlechter Gebrauch, den er von seiner Gastfreundschaft machte, und eine sehr undankbare Vergeltung mancher kleinen Gunstbezeigung, die er (obgleich plumper Weise) von seiner Hand empfangen hatte. Wenn er eine solche Folgerung mit Abscheu und Verachtung verwarf, um wie viel mehr empörte sich seine Seele, wenn er auf das Rücksicht nahm, was Herrn Alwerth betraf, für den er ebensowohl mehr als kindlichen Gehorsam hegte, wie er mehr als väterliche Wohlthaten von ihm genossen hatte. Er wußte, dieser gute Mann habe von Natur einen solchen Abscheu vor jeder Niederträchtigkeit und Bubenlist, daß der geringste Versuch von dieser Art die schuldige Person in seinen Augen auf ewig verhaßt und den Namen eines solchen Menschen zum abscheulichsten Klange für seine Ohren machen würde. Der Anblick solcher unübersteiglichen Hindernisse wäre hinlänglich gewesen, ihm alle Hoffnung zu benehmen, so heftig auch seine Wünsche gewesen sein möchten; aber auch selbst diese wurden vom Mitleiden gegen ein andres Frauenzimmer gezügelt. Jetzt drängte sich das Bild der lieblichen Molly vor seine Gedanken. Er hatte ihr in ihren Armen eine ewige Beständigkeit geschworen und sie hatte ihm ebenso oft beteuert, es nicht zu überleben, wenn er sie verlassen sollte. Er sah sie da vor sich in allen den schrecklichen Stellungen einer mit dem Tode Ringenden; ja noch mehr, er stellte sich alles Elend des schändlichen Lebens vor, in welches sie verfallen würde und wozu er die zweifache Veranlassung gegeben hätte; einmal, daß er sie verführt, und zweitens, daß er sie verlassen hätte: denn er kannte den Haß sehr gut, womit ihre Nachbarinnen, selbst ihre eigenen Schwestern sie haßten, und wie bereit sie alle sein würden, sie in die Pfanne zu hauen. In der That hatte er sie mehr dem Neide als der Schande bloßgestellt, oder vielmehr der letzten nur vermittelst des erstern. Denn manches Weibsbild verlästerte sie wegen Hurerei, unterdessen sie ihr ihren Buhlen und ihren Putz herzlich mißgönnte und beides gerne um eben den Preis erkauft hätte. Der Untergang dieses armen Mädchens mußte also, wie er voraussah, unvermeidlich erfolgen, wenn er sie sitzen ließe, und dieser Gedanke durchbohrte ihm die Seele. Armut und Not gab ihm nach seiner Meinung kein Recht, diese Widerwärtigkeit noch drückender zu machen. Die Niedrigkeit ihres Standes ließ ihn ihre Not nicht als unbedeutend betrachten, auch deuchte ihm nicht, daß solche sein Verschulden, wodurch er sie in diese Not gebracht, rechtfertige oder auch nur vermindere. Aber, was sage ich von rechtfertigen! Sein eigenes Herz gab nicht zu, daß er ein menschliches Geschöpf zu Grunde richte, von dem er dachte, es liebe ihn und habe dieser Liebe ihre Unschuld aufgeopfert. Sein eigenes gutes Herz war ihr Fürsprecher; nicht wie ein kalter Zungendrescher für die Gebühr, sondern wie ein redlicher Sachwalter, welcher warmen Anteil am Ausgang der Sache nimmt und den Jammer lebhaft fühlt, unter welchem seine Partei erliegt.

Als dieser erfahrne Advokat bei Jones dadurch Mitleiden genug erregt, da er ihm die arme Molly in allen Umständen des Jammers vorgemalt hatte, rief er sehr listig eine andre Leidenschaft zur Hilfe herbei und stellte die Dirne dar in allen lieblichen Farben der Jugend, Gesundheit und Schönheit und als einen wünschenswerten Gegenstand der Begierden, und das um so mehr, wenigstens für ein gutes Gemüt, weil sie zu gleicher Zeit ein Gegenstand des Mitleids war.

Unter diesen Gedanken brachte der arme Jones eine lange schlaflose Nacht zu und des Morgens fiel das Resultat von allen dahin aus, daß er bei seiner Molly bleiben und nicht weiter an Sophie denken wolle.

In dieser tugendhaften Entschließung beharrte er den ganzen folgenden Tag bis zum Abend, indem er der Idee von Molly liebkoste und die von Sophie aus seinen Gedanken verbannte; allein an dem fatalen Abend machte ein an sich geringer Zufall seine ganze Leidenschaft wieder flott und bewirkte eine so gänzliche Veränderung in seiner Seele, daß wir es für wohlanständig erachteten, solchen in einem frischen Kapital mitzuteilen.

Viertes Kapitel.

Ein kleines Kapitel, worin ein kleiner Zufall erzählt wird.

Unter manch andern Besuchen der Freunde, die dem jungen Manne in seiner Einsamkeit ihre Höflichkeit bezeigten, war auch Jungfer Honoria. Der Leser, wenn er einige Ausdrücke in Erwägung zieht, welche ihr vorhin entfielen, mag vielleicht meinen, sie habe selbst eine persönliche Neigung für Herrn Jones unterhalten, im Ernste aber, daran war nichts. Tom war ein wohlgebildeter junger Bursche und Jungfer Honoria hatte so einiges Gefallen an solchem Schlage von Mannspersonen, aber das war völlig in Bausch und Bogen, ohne alle Aussonderung. Denn nachdem es ihr einmal mit einer Liebesangelegenheit schief gegangen war, darein sie mit dem Lakaien eines vornehmen Herrn verwickelt worden, der sie böslicherweise verlassen, nachdem er ihr ein Eheversprechen gethan hatte, so hatte sie die zerbrochenen Reste ihres Herzens so sorgfältig bewahrt, daß seitdem keine lebendige Mannsperson vermögend gewesen war, sich nur eines einzigen Scherbens davon zu bemächtigen. Sie beäugte alle wohlgemachten Mannspersonen mit der gleichschwebenden, temperierten Gefälligkeit und dem Wohlwollen, welches ein bedächtlich tugendhaftes Gemüt gegen alles Gute hat. – Man hätte sie aller dings eine Freundin der Menschenväter, wie den Sokrates einen Freund der Menschenkinder nennen können, indem sie einen dem andern wegen körperlicher, so wie er wegen geistiger Eigenschaften vorzog; aber diese Vorliebe ging bei ihr doch niemals so weit, daß sie eine Verdunkelung der philosophischen Heiterkeit ihrer Gemütsart hätte bewirken können.

Den Tag darauf, als Jones den harten Kampf mit sich selbst gekämpft hatte, welchem wir im vorigen Kapitel zugesehen hatten, kam Jungfer Honoria in sein Zimmer, und da sie ihn allein fand, redete sie ihn folgendermaßen an: »Nu, Herr Junker von Jon's, was mein's, wo 'ch gewest bin? Wett'n will 'ch, daß Sie's in hundert Jahr'n nicht raten; doch, 's hilft nichts; wenn Sie's auch rat'n thät'n, darf ich's doch nicht sag'n.« – »Je nun, wenn es etwas ist, das Sie mir nicht sagen darf,« sagte Jones, »so werde ich wohl so neugierig sein, mich zu erkundigen, und ich weiß, so barbarisch ist Sie nicht, Kind, daß Sie mir's abschlagen sollte.« – »Weiß nicht,« ruft sie, »warum ich's auch eb'n abschlag'n sollt', was die Sach' anlangt; denn, mein' Ehr' wollt' ich wohl wetten, Sie sag'ns nemand wied'r. Und, was die Sach' anlangt, – wenn Sie nicht wüßt'n, was 'ch g'macht hab', und warum, und wozu; nu! so wär 's auch noch nicht viel. Aber, was ist's denn auch? Ich seh' nicht ab, w'rum 's ein Geheimnis sein soll? Ich nicht! denn, mein'r Ehr, 's ist die beste Frölen von der Welt.« Bei diesen Worten fing Jones an, sehr ernstlich zu bitten, sie möchte ihm ihr Geheimnis anvertrauen, und versprach Ehre und Treue, es nicht weiter zu sagen. Sie fuhr also weiter fort. »Nun, Herr Junker müssen denn wissen, meine Frölen hat mich hingeschickt, nach Molly Seegrims nachzufrag'n, und zu sehn, obs Weibsstück was mangeln möcht'. – Nun, 'n Gang zur Hochzeit, kam's mir vor, war's nicht; aberst, mein'r Ehr, uns'r Ein'r muß ja leicht thun, was 'd Herrschaft hab'n will. – Aberst – Herr Junker Jones, wie konnt's sich so wegwerf'n, Herr Junker Jones? – Aberst, was wollt' ich sagen? Ja! meine Frölen, sagt' mir, ich sollt' hingehn und ihr Linn'nzeug und so Sachen hinbringen. – 'S ist gar zu gut! – Wenn so ausverschämmte Menscher nachs Spinnhaus wanderten, besser wär's für sie. Ich sagte zur gnädig'n Frölen: Gnäd'g Vrölen, sagt' ich, 'R Gnad'n stärken's in'r Hüppigkeit.« – »Ach, war meine Sophie so gütig?« sagte Jones. – »Meine Sophie! Seht doch! was mir bisse!« antwortete Honoria. »Und doch! ja freilich, wenn der Herr Junker all's wüßten. – Mein'r Ehr' und Treu! Wenn ich Junker Jon's wär', ich wollte mein' Nas' ein bißchen höher tragen, als nach so 'ner Bakasche, als 're Molly Seegrims!« – »Was will Sie damit sagen: wenn ich alles wüßte?« unterbrach sie Jones. – »Ich meine, was 'ch meine,« sagte Honoria. »Wissen's noch, als Sie 'n Mal Ihre Händ' in mein Frölens Muff steckten? Mein'r Ehr, ich wär's kumpabel zu verzählen, wenn 'ch gewiß wüßt', daß mein Frölen nichts wied'r davon zu hör'n kriegte.« – Thomas that ihr hierauf vermiedene Beteurungen; und die Zofe fuhr fort: »Nun so, wie 'ch sage, mein Frölen gab mir die Muffe, und denn, hernach, als sie 'rfuhr, was Sie gethan hätt'n –« »Sie sagte ihr also, was ich gethan hatte?« fiel Jones ein. »Ja wohl, sagt' ich's, Herr Junker,« antwortete sie: »brauch'n mir drüber gar nicht bös' zu sein. Mancher Mann hätt' seinen Kopf drum gegeb'n, daß 'n's 'R Gnaden gesagt hätt', wenn 's gewußt hätt'n. – Aberst, mein'r Ehr, nun hab' ich groß Lust 's Ihnen nicht zu sag'n.« Jones legte sich aufs Bitten und erlangte bald von ihr, daß sie folgendergestalt fortfuhr: »Nun meinthalben! So müß'n 's denn wissen, daß Frölen den Muffe mich gegeb'n hatte. Aberst, ein Tag oder zwo hernach, als ich'r die Historie erzählt hatte, war 'r ihr Muffe nicht zu Danke; und doch ist's die prächtigste Muff, die'n mir sehn kann. Norchen, sagt sie, dies ist 'n dumme Muffe, 's ist mir zu weit. Ich mag's nicht tragen. Bis 'ch 'ne andre kriege, muß Sie mich die andre wiedergeben. Sie kann diese davor hinnehmen; denn 's ist 'ne liebe Frölen, die nicht bald giebt, bald nimmt, das glauben Sie nur. So, was hatt' ich zu thun? ich holt 's er wieder her, und, ich glaube, sie hat's nachhermals fast Tag und Nacht uf ihren leibhaftigen Arme, und glaub'ns mir, mein'r Ehr, Sie hat ihr'n manchen Kuß gegeb'n, wenn's kein Mensch gesehn hat.«

 

Hier ward das Gespräch von Herrn Western selbst unterbrochen, welcher kam, Jones zum Klavier abzurufen, wohin der arme junge Mensch, ganz blaß und zitternd, mitging. Western bemerkte es zwar, allein wie er Jungfer Honoria gewahr ward, schob er's auf eine falsche Ursach; und nachdem er dem Jones, halb im Scherz und halb im Ernste, einen derben Fluch an den Hals geworfen, sagte er, er solle hübsch ein guter Weidmannsgesell sein und sein eigenes Revier hübsch rein halten.

Sophie schien diesen Abend schöner zu sein als gewöhnlich; und wir dürfen immer glauben, es habe, in Jones' Augen, ihrer Schönheit keinen geringen Zuwachs gegeben, daß sie nun eben gerade den Muff an ihrem rechten Arme haben mußte.

Sie spielte eben eins von ihres Vaters Leibstückchen, und Jones stand und lehnte sich auf ihren Stuhl, als ihr der Muff herunter auf die Finger glitschte und sie am Spielen hinderte. Das war dem alten Junker so ärgerlich, daß er ihr den Muff wegriß und ihn mit einem derben Fluche ins Feuer warf. Sophie sprang augenblicklich auf und rettete ihn mit der äußersten Geschäftigkeit aus den Flammen.

Obgleich diese Begebenheit vermutlich manchem unsrer Leser von geringer Erheblichkeit scheinen wird, so that sie doch bei aller ihrer Geringfügigkeit eine so heftige Wirkung auf den armen Jones, daß wir es für Pflicht hielten, sie zu erzählen. Es gibt in Wahrheit manche kleine Umstände, welche von unverständigen Geschichtschreibern übergangen werden und aus welchen gleichwohl die wichtigsten Folgen entspringen. Man kann mit allem Fug die Welt als eine weitläufige Maschine betrachten, in welcher die großen Räder ihre ursprüngliche Bewegung von andern erhalten, die sehr klein und fast keinem andern, als nur dem schärfsten Auge bemerkbar sind.

Solchergestalt waren alle Reize der unvergleichbaren Sophie; aller blendende Glanz und alles sanfte Schmachten ihrer Augen, die Harmonie ihrer Stimme und des Baues ihrer Glieder, aller ihr Witz, alle ihre fröhliche Laune, ihre Größe der Seele, ihre milde Sanftmut – alles das, kurz, war nicht vermögend gewesen, das Herz des armen Jones so völlig zu besiegen und fesseln, als der kleine Umstand mit dem Muff. So singt der Dichter sehr lieblich von Troja:

Captique dolis lacrymisque coacti,

Quos neque Tydides, nec Larissaeus Achilles,

Non anni domuere decem, non mille carinae.

Die Diomedes, die Achilles nicht,

Die in zehn Jahren nicht der Griechen Heer

Mit tausend Schiffen überwält'gen konnte,

Sie sank anjetzt, besiegt von Thränen und der List.

Jones' Citadelle ward durch Ueberrumpelung eingenommen. Alle jene Rücksichten auf Redlichkeit und Klugheit, welche unlängst unser Held mit so großer Kriegsweisheit als Wachen vor die Zugänge zu seinem Herzen gestellt hatte, liefen fort von ihren Posten und der Gott der Liebe zog triumphierend hinein!

Fünftes Kapitel.

Ist ein sehr langes Kapitel und enthält eine sehr große Begebenheit.

Jedoch, obgleich diese siegende Gottheit sehr leicht ihre offenbaren Feinde aus Jones' Herzen vertrieb, so fand sie es doch schwerer die Besatzung zu entfernen, welche sie selbst hineingelegt hatte. Alles Allegorisieren beiseite gesetzt, die Sorge, was aus der armen Molly werden müsse, ging dem würdigen Jüngling sehr im Kopfe herum und machte ihm viele Unruhe. Der unendliche Vorzug Sophiens verdunkelte, oder vielmehr verlöschte zwar gänzlich die Schönheit der armen Dirne; aber Mitleiden, anstatt Verachtung, folgte auf die Liebe. Er war überzeugt, das Mädchen liebe ihn aus allen ihren Kräften, und habe all' ihre Hoffnung auf künftige Glückseligkeit einzig und allein auf ihn gebaut. Er wußte, daß er dazu mehr als genug Veranlassung gegeben hätte, durch seine äußerst verschwenderischen Beteurungen von Zärtlichkeit und Liebe. Eine Zärtlichkeit, deren ewige Dauer er ihr durch alle möglichen Mittel einzureden gesucht hatte. Sie ihrerseits hatte ihm versichert, daß sie festen Glauben an seine Versprechungen habe, und hatte durch die feierlichsten Gelübde erklärt, daß es von dem Festhalten oder Brechen seiner Zusage abhänge, ob sie die glücklichste oder die elendeste unter allen Muttertöchtern werden sollte. Und der Urheber dieses äußersten Grades von Elend für ein menschliches Wesen zu werden, das war ein Gedanke, welchem einen Augenblick nur nachzuhängen ihm unerträglich war. Er betrachtete das arme Mädchen aus dem Gesichtspunkte, daß sie ihm alles, was in ihrem kleinen Vermögen stand, aufgeopfert, sich selbst auf ihre eigene Unkosten zum Gegenstande seines Vergnügens gemacht hatte, ja noch in eben diesem Augenblicke nach ihm schmachtete und seufzte. Soll denn also, sagte er, meine Genesung, welche sie so sehnlich wünscht, soll meine Gegenwart, welche sie so brünstig erwartet, anstatt ihr die Freude zu geben, mit welcher sie sich geschmeichelt hat, sie auf einmal in Elend und Verzweiflung hinabstürzen? Kann ich ein solch niederträchtiger Bösewicht sein? Wenn hier Mollys guter Geist zu siegen schien, so stürmte Sophiens Liebe zu ihm, welche jetzt nicht mehr zweifelhaft schien, von neuem auf sein Herz los und warf jedes ihr widerstehende Hindernis aus dem Wege. Endlich fiel es ihm ein, daß er vielleicht im stande sein könne, Molly auf andere Weise schadlos zu halten, wenn er ihr nämlich eine Summe Geldes gäbe. Uebrigens verzweifelte er fast daran, daß sie solche annehmen würde, wenn er sich der häufigen und feurigen Versicherungen erinnerte, die er von ihr erhalten hatte, daß die ganze Welt, gegen ihn auf die Wagschale gelegt, ihr seinen Verlust nicht ersetzen würde. Gleichwohl gaben ihm ihre außerordentliche Armut und ihre überschwengliche Eitelkeit (von der wir den Leser bereits so etwas im Vorbeigehen haben merken lassen) einige kleine Hoffnung, daß sie, ungeachtet aller ihrer belobten Zärtlichkeit, doch wohl mit der Zeit dahin gebracht werden könnte, sich mit einem Glücke zu begnügen, welches ihre Erwartung überstiege und ihrer Eitelkeit dadurch schmeichelte, daß sie über alle Ihresgleichen emporgesetzt würde. Er beschloß also, die erste beste Gelegenheit wahrzunehmen, ihr Vorschläge von dieser Art zu machen.

Eines Tages sonach, als sein Arm so weit wieder geheilt war, daß er mit demselben in einer Binde ganz gemächlich gehen konnte, stahl er sich zu einer Zeit, da der Junker in seinen Jagdübungen begriffen war, aus dem Hause und ging seine Schöne zu besuchen. Ihre Mutter und Schwestern, die er beim Theetrinken fand, berichteten ihm anfangs, Molly sei nicht zu Hause; hernach aber sagte ihm die ältere Schwester mit einem boshaften Lächeln, sie läge im zweiten Stock in ihrem Bette. Tom ließ sich diese Situation seiner Geliebten gefallen und stieg augenblicks die Leiter hinauf, welche zu ihrem Schlafgemach führte. Als er aber an die oberste Sprosse gelangte, fand er zu seiner äußersten Verwunderung die Thüre verriegelt; auch konnte er einige Zeit lang von innen heraus keine Antwort erlangen, denn Molly, wie sie ihm hernach selbst sagte, lag im festen Schlafe.

Die äußersten Grenzen von Gram und Freude bringen, wie man bemerkt hat, sehr ähnliche Wirkungen hervor, und, wenn eins von beiden uns unvermutet überrascht, kann es leicht solch eine gänzliche Verwirrung und Betäubung in uns hervorbringen, daß wir dadurch des Gebrauchs all unseres Sinnesvermögens beraubt werden. Man kann sich demnach nicht darüber wundern, daß der unerwartete Anblick des lieben Jones so heftig auf Mollys Gemüt wirkte, daß sie einige Minuten hindurch unvermögend war, die großen Entzückungen auszudrücken, welche sie, wie der Leser leicht voraussetzen wird, bei dieser Gelegenheit überströmten. Jones, seinerseits, war von der Gegenwart des geliebten Gegenstandes dergestalt eingenommen, oder gleichsam so bezaubert, daß er für eine Weile Sophien, und folglich den Hauptzweck seines Besuches, vergaß.

Dieser kam ihm gleichwohl bald wieder in die Gedanken, und nachdem die ersten Entzückungen ihres Wiedersehens vorüber waren, fand er Mittel, die Unterredung allmählich auf die widerwärtigen Folgen zu leiten, welche ihre Liebe treffen müßten, wenn Herr Alwerth, der es ihm ausdrücklich verboten hätte, sie jemals wieder zu besuchen, die Entdeckung machte, daß sie ihren Umgang noch immer fortsetzten. Eine solche Entdeckung, welche er seiner Feinde wegen für unvermeidlich halten müßte, würde sein Verderben, und folglich auch das ihrige nach sich ziehen. Weil also ihr hartes Geschick es einmal so beschlossen hätte, daß sie sich trennen müßten, so riete er ihr, sich mit standhaftem Mute darein zu schicken, und schwur, er wolle Zeit seines Lebens keine Gelegenheit vorbeilassen, ihr die Aufrichtigkeit seiner Liebe zu beweisen, indem er auf eine Art für sie sorgen wolle, die ihre äußerste Erwartung oder selbst ihre Wünsche übertreffen sollte, sobald es nur in seinem Vermögen stände, wobei er noch schließlich hinzusetzte, daß sie bald irgend einen Mann finden könne, der sie heiraten und glücklicher machen könne, als sie es bei Fortsetzung eines tadelhaften Lebens mit ihm werden würde. Molly blieb ein paar Minuten im Stillschweigen vergraben; dann brach sie in eine Thränenflut aus und begann ihm mit folgenden Worten Vorwürfe zu machen: »So, ist das Ihre Liebe zu mich, mich nun so sitzen zu lass'n! nun sie mich geruiniert haben? Wie oft und manch'malen, wenn ich's Sie gesagt habe, daß die Mannsen falsch sind, und meeneedig, der ehne wie der andre, und uns satt werden, sobald sie nur ihren gottlosen Willen mit uns gehabt haben, wie manchmals hab'n Sie mir's nicht da zugeschworen, Sie wollten mich Ihr Lebstage nicht verlassen? und nun wollen Sie so ein'n abscheulicher, meeneediger Mensch werden? Was helfen mir alle Schätze dieser Welt ohne Ihnen! Nun Sie mir haben mein Herz gestollen, ja das hab'n – das hab'n Sie, wie können Sie mir wohl von ehnen andern Mann sagen? Ich kann keenen andern Mann lieben, als Ihnen, so lang ich lebe. All' andre Mannsen sind m'r nichts, nichts vor mich; wenn der größte adliche Herr im ganzen Lande morgen im Tage herkeeme und nach mir freite, ich wollt' ihm meine Gesellschaft nicht geben. Nee, nee! Ich hass' und verachte die Männer allmiteinander, aus Liebe zu Sie! –«

 

Ihre leidenschaftliche Beredsamkeit war noch im besten Gange, als ein Zufall ihrer Zunge plötzlich Einhalt that, bevor solche noch die Hälfte ihrer Laufbahn durchrannt hatte. Das Zimmer, oder vielmehr das Dachkämmerlein, worin Molly lag, war eine Treppe, oder vielmehr Leiter hinauf, das heißt im obersten Stockwerk des Hauses, und hatte die zugespitzte Figur, welche dem großen Delta im griechischen Alphabet etwas ähnelte. Unsere Leser mögen sich davon vielleicht einen richtigeren Begriff machen können, wenn wir ihnen sagen, es war unmöglich, darin anderwärts als nur in der Mitte aufrecht zu stehen. Da es nun diesem Zimmer an der Bequemlichkeit eines Alkovens gebrach, so hatte Molly, diesen Mangel zu ersetzen, eine alte Haardecke an die Sparren des Hauses genagelt, zum Vorhange vor ein enges Räumchen, worin sie ihre besten Sachen, zum Exempel die Ueberreste von dem Schlenter, dessen wir vorhin erwähnt haben, einige Hauben und dergleichen Siebensachen mehr, die sie sich neulich angeschafft hatte, aufgehängt und vorm Staub in Sicherheit gebracht hatte. Dieser abgescherte Platz lag genau dem Fuße des Bettes gegenüber, und die Haardecke hing demselben wirklich so nahe, daß sie gewissermaßen den Abgang einer Bettgardine ersetzte. Ob nun Molly im Eifer der Wut diese Haardecke mit ihren Füßen wegstieß, oder ob Jones sie berührte, oder ob die Nägel von selbsten nachließen oder ausfielen, das weiß ich nicht gewiß! aber, als Molly die letzen Worte aussprach, welche oben aufgezeichnet stehen, riß die gottlose Haardecke von ihrer Befestigung los und entdeckte alles und jedes, was sie verborgen hatte; da dann, unter andern weiblichen Geräten, zum Vorschein kam (mit Scham schreibe ich's, und mit Betrübnis wird man's lesen) der Philosoph Quadrat in einer Positur (denn der Platz gestattete keineswegs, daß er auf seinen Füßen aufrecht stehen konnte), die sich nicht lächerlicher ersinnen läßt.

Diese Positur, in welcher er stand, war wirklich der Stellung eines Soldaten nicht unähnlich, den man an Händen und Füßen krumm geschlossen hat, und vielleicht drückt sie das neuerlich in Kurs gekommene Wort so ziemlich richtig aus, welches ich mir also die Erlaubnis nehme zu gebrauchen, wenn ich sage: Seine Stellung war sehr geduckt. Auf seinem Kopfe hatte er eine von Mollys Nachthauben, und seine beiden großen Augen starrten, als der Haardecken-Vorhang fiel, gerade auf Jones, so daß, wenn die Idee von Philosophie zu dieser hier entdeckten Figur hinzukam, es wohl für jeden Zuschauer in der Welt sehr schwer gewesen sein möchte, sich des lautesten Gelächters zu enthalten.

Ich zweifle nicht, der Leser wird hier ebenso erstaunt sein, als es Jones war, weil der Verdacht, welcher aus der Erscheinung dieses weisen und ernsthaften Mannes in solch einem Winkel entstehen muß, sich nicht mit dem Charakter zu reimen scheint, welchen er zweifelsohne bis daher in der Meinung eines jeden behauptet hatte.

Aber, die Wahrheit zu bekennen, so ist diese Unverträglichkeit mehr eingebildet als wirklich. Philosophen haben so gut wie andere menschliche Geschöpfe Fleisch und Blut; so sublimiert und raffiniert ihre Theorie auch sein mag, so ist ihnen doch eine kleine praktische Schwachheit ebenso eigentümlich als andern Sterblichen. Eigentlich, wie wir bereits zu verstehen gegeben haben, liegt der Unterschied bloß in der Theorie und nicht in der Ausübung: denn, obgleich solche erhabene Männer viel besser und weiser denken, so handeln sie doch immer gerade wie andre Menschen. Sie wissen es sehr gut, wie man alle Lüste und Begierden dämpfen und beides, Schmerz und Vergnügen, verachten soll; und diese Wissenschaft gewährt ihnen manche sehr behagliche Kontemplation und ist leichtlich erworben; die Ausübung aber würde mühsam und beschwerlich sein, und daher lehrt sie dieselbe Weisheit die beschwerliche Ausübung vermeiden, welche sie die vorbesagte leichtere Theorie lehrt.

Herr Quadrat war gerade eben den Sonntag in der Kirche, als Mollys Aufzug in ihrem Schlenter, wie der Leser sich zu erinnern belieben wird, alle die Unruhen anrichtete. Hier bemerkte er sie zum erstenmale und fand dermaßen Gefallen an ihrer Schönheit, daß er die jungen Herren beredete, eine Veränderung in ihrem vorhabenden Spazierritt zu treffen, damit er bei Mollys Wohnung vorbeireiten und auf solche Weise ihrer noch einmal ansichtig werden könnte. Da er jedoch dieser Absicht damals gegen niemand erwähnte, so hielten wir es gleichfalls nicht für diensam, solche dem Leser mitzuteilen.

Unter andern Besonderheiten, welche, nach Herrn Quadrats Meinung, gegen die ewige Harmonie der Dinge verstießen, waren auch die beiden: Gefahr und Schwierigkeiten. Die Schwierigkeit also, welche er dabei besorgte, dieses junge Weibsbild zu verführen, und die Gefahr, welche aus der Entdeckung für seinen guten Ruf entstehen konnte, waren zwei so starke Abmahnungen, daß es wahrscheinlich ist, anfangs sei sein Vorsatz nur gewesen sich mit den angenehmen Ideen zu begnügen, welche uns das Beschauen der Schönheit gewährt. Solche Ideen erlauben sich oft die ernsthaftesten Männer nach einer vollen Mahlzeit von ernsthaften Betrachtungen so gleichsam als zum Nachtisch. Zu diesem Ende finden dann auch gewisse Bücher, Gemälde und Kupferstiche den Weg in die geheimsten Verschlüsse ihrer Studierzimmer, und ein gewisser sehr berauschender Teil der Naturgeschichte ist daher oft der Hauptinhalt ihrer Unterredungen.

Als aber der Philosoph einen oder ein paar Tage nachher hörte, daß die Festung ihrer Tugend bereits einmal überstiegen gewesen sei, so begann er seinen Begierden ein bequemeres Ziel zu stecken. Sein Appetit war nicht von der heiklen Art, welche von keinem Leckerbissen kosten mag, weil ein andrer vorher schon daran geschmäckert hat. Kurz die Dirne gefiel ihm ihres Abganges der Keuschheit wegen um so besser, weil, wenn sie solche noch in Gewahrsam gehabt hätte, gerade eben diese jungfräuliche Gebärde als Palissaden gegen sein Vergnügen gestanden haben würde. Er also setzte ihr nach und haschte sie.

Der Leser irrt sich, wenn er glaubt, Molly habe Quadrat vor dem jüngern Jones den Vorzug gegeben; keineswegs! Ohne allen Zweifel vielmehr wäre Jones, wenn sie unter beiden mit Gewalt einen hätte wählen müssen, der Sieger gewesen. Es war auch nicht einmal die Ueberlegung allein, daß zwei besser sind als einer, welcher Quadrat sein Glück zu verdanken hatte. Jones' Abwesenheit während der Kur seines Armbruchs war ein unglücklicher Umstand; und während dieser Zeitlücke beschwichtigten einige wohl ausgedachte Geschenke des Philosophen das wehrlose Herz des Mädchens dergestalt, daß eine günstige Gelegenheit unwiderstehlich ward und Quadrat die wenigen Reste von Wall und Mauern von Mollys Tugendfestung vollends sprengte.

Es mochte ungefähr vierzehn Tage nach dieser Eroberung sein, als Jones den eben erwähnten Besuch bei seiner Geliebten abstattete und gerade die Zeit traf, wo sie und Quadrat sich eben zu Bett befanden. Hierin steckte die wahre Ursache, warum die Mutter, wie wir gesehen haben, sie verleugnete. Denn weil die alte Frau ihren Teil an dem Gewinn hatte, den dieses sündliche Gewerbe ihrer Tochter abwarf, so leistete sie ihr darin allen ihr möglichen Beistand und Schutz. Aber so weit ging der Neid und Haß von Mollys älterer Schwester, ob sie gleich bei der Beute nicht ganz leer ausging, daß sie solche gutwillig fahren lassen wollte, wenn sie nur ihre Schwester stürzen und ihr das Handwerk legen könnte. Deswegen hatte sie Jones die Nachricht gegeben, sie befinde sich oben im Hahnbalken zu Bette, und hatte gehofft, er würde sie in Quadrats Armen überraschen. Dieser Ueberraschung fand Molly Mittel zuvorzukommen, indem sie die Thüre verriegelt hatte, welches ihr Gelegenheit gab, ihren Buhlen hinter die härene oder Pferdedecke zu verbergen, wohinter er jetzt unglücklicherweise entdeckt ward.