Tom Jones

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Sechstes Kapitel.

Entwickelt eine noch triftigere Ursach der vorerwähnten Meinungen.

Sei es also hierdurch kund gethan, daß diese zwei gelehrten Männer, welche seit einiger Zeit eine ansehnliche Rolle auf der Schaubühne dieser Geschichte gespielt haben, von dem ersten Eintritt in Herrn Alwerths Haus an, eine so große Zuneigung, der eine zu seiner Religion, der andere zu seiner Tugend, gefaßt, daß sie mit ihm in die genaueste Verbindung zu treten beabsichtigt hatten.

Zu diesem Endzweck hatten sie ihre Augen auf jene holde Witwe geworfen, welche, ob wir gleich derselben seit einiger Zeit gar keine Meldung gethan, der Leser, wie wir hoffen, nicht vergessen haben soll. Madame Blifil war wirklich das Kleinod, nach dem sie beide rangen.

Es mag sonderbar scheinen, daß von vier Personen, deren wir in Herrn Alwerths Hause gedacht haben, ihrer drei mit ihrer Neigung auf eine Dame verfielen, die niemals wegen ihrer Schönheit sehr berühmt gewesen war und welche jetzt noch überdem auf der Stufenleiter der Jahre schon ein wenig herabstieg. Nach That und Erfahrung aber haben Busenfreunde und genaue Bekannte eine Art von natürlichem Hange gegen besondere weibliche Personen in dem Hause eines Freundes, als nämlich: gegen dessen Großmutter, Mutter, Schwester, Tochter, Tante, Nichte und Base, wenn sie reich sind, und gegen seine Frau, Schwester, Tochter, Nichte, Bäschen, Maitresse, oder Nähterin oder Stubenmädchen, wenn sie hübsch sein sollten.

Wir möchten indessen unsre Leser nicht zu der Meinung verleiten, als hätten Personen von solchem Charakter, als Schwöger und Quadrat in der Welt vorstellten, sich einer Sache unterziehen wollen, welche von einigen strengen Moralisten fast ein wenig gemißbilligt worden ist, ehe und bevor sie solche nicht von allen Seiten untersucht und überlegt gehabt, ob es, wie Shakespeare sagt:

»Stuff o' th' Conscience«

(Gewissensstoff) sei oder nicht. Schwöger ward zu der Unternehmung durch die Betrachtung aufgemuntert, daß es nirgends verboten ist, die Schwester unsers Nächsten zu begehren, und er wußte die juristische Regel: »Expressum facit cessare Tacitum«, welche so viel sagen will: »Wenn ein Gesetzgeber seinen ganzen Sinn deutlich ausdrückt, so sind wir nicht befugt, ihm unsere eigene Meinung unterzuschieben.« Da nun in dem göttlichen Gesetze, welches uns verbietet, zu begehren, was des Nächsten ist, einige weibliche Benennung angeführt, die Schwester aber ausgelassen ist, so schloß er, sei es erlaubt. Und was Herrn Quadrat anbetrifft, der von Person das war, was man einen artigen Menschen, oder einen Witwen- und Weibermann nennt, so paßte der seine Wahl sehr leicht unter vorher bestimmte Harmonie der Dinge.

Da nun diese Herren alle beide mit großem Fleiß jede Gelegenheit wahrnahmen, sich bei der Witwe beliebt zu machen, so meinten sie, eins von den sichersten Mitteln wäre, wenn sie ihrem Sohne beständig vor dem andern Knaben den Vorzug gäben; und wie sie ferner meinten, die Güte und Wohlgewogenheit, welche Herr Alwerth dem letzten bezeigte, müsse ihr sehr mißfällig sein, so zweifelten sie nicht, es könne ihr nicht anders, als sehr gefallen, wenn sie jeden Anlaß ergriffen, ihn herunterzusetzen und zu demütigen; denn, da sie den Knaben haßte, müßte ihr jedermann lieb sein, der ihm eins versetzte. In diesem nun hatte Schwöger den Vorteil; denn derweile Quadrat den guten Leumund des armen Kindes kaum schrammen konnte, konnte jener ihm das Fell über die Ohren ziehen; und in der That betrachtete er jeden Hieb, den er ihm versetzte, als ein Kompliment, das er seiner Geliebten brächte, so daß er mit der größesten Schicklichkeit jene alte Litanei der Schulrute dabei absingen können: »Castigo te non quod odio habeam, sed quod amem«: »Ich strafe dich nicht aus Haß, sondern weil ich liebe.« Und diesen Spruch führte er wirklich oft im Munde, oder besser, nach der alten Redensart, brachte ihn niemals besser an, als wenn er ihm damit durch Mark und Bein drang.

Aus dieser Ursache hauptsächlich waren die beiden Herrn, wie wir eben gesehen haben, über die beiden jungen Burschen einerlei Meinung; dagegen war's auch das einzige, worüber sie jemals einig waren; denn außer der Verschiedenheit ihrer Systeme, hatten sie schon längst einer des andern Absicht stark geargwöhnt, und haßten einander mit einem ziemlichen Maß von Groll.

Diese wechselseitige Feindseligkeit ward durch ihr abwechselndes Glück um ein Großes verstärkt. Denn Madame wußte schon, wo sie hinaus wollten, lange vorher, ehe sie sich einbildeten, oder auch nur wünschten, daß sie es wissen möchte; weil sie mit großer Behutsamkeit zu Werke gingen, aus Furcht, sie möchte es übel nehmen, und es dem Herrn Alwerth sagen, aber sie hatten keine Ursache zu einer solchen Besorgnis. Sie ließ sich eine Leidenschaft ganz wohl gefallen, von der, nach ihrem Vorsatze, niemand Früchte ziehen sollte, als bloß sie, für sich selbst. Und die einzige Frucht, die sie für sich selbst bezweckte, waren Schmeichelei und Liebelei. Zu diesem Ende that sie einem um den andern eine lange Zeit hindurch schön. Wirklich war sie geneigter, die Lehrsätze des geistlichen Herrn zu begünstigen, aber Quadrats Person gefiel ihren Augen besser, denn sein Wuchs und seine Mienen zeigten männliche Würde; der Pädagog hingegen hatte in seiner Gestalt viel Aehnliches mit der gerichtlichen Person, welche in Harlots Progreß von Hogarth die Damen im Werkhause beim Hanfklopfen zur Buße leitet.

Ob Madame Blifil sich an den Süßigkeiten des Ehestandes den Magen verdorben, oder vor seinen Bitterkeiten einen Ekel hatte, oder was sonst die Ursache sein mochte, will ich nicht entscheiden, aber man konnte sie nicht dahin vermögen, sich zu einer zweiten Verbindung zu entschließen. Unterdessen geriet sie am Ende mit Quadrat in einen so genauen Umgang, daß boshafte Zungen anfingen, solche Dinge von ihr herumzuflüstern, denen wir, sowohl der Dame wegen, als, weil sie sich keineswegs mit der Regel des Rechts und der ewigen Harmonie der Dinge reimen ließen, keinen Glauben beimessen, und also damit unser Papier nicht beflecken wollen. Der Pädagog, das ist gewiß, peitschte immer frisch zu, ohne einen Schritt auf seinem Wege weiter zu kommen.

In der That hatte er einen großen Irrtum begangen. Dies entdeckte Quadrat viel früher, als er selbst. Madam Blifil (wie vielleicht der Leser vorhin erraten hat) war nicht gar zu außerordentlich mit der Aufführung ihres Gemahls zufrieden; ja um es ganz ehrlich zu gestehen, sie haßte ihn recht treuherzig, bis endlich der Tod ihm ihre Liebe ein wenig wieder erwarb. Daher ist es denn eben nicht sonderlich zu verwundern, daß sie nicht die höchste Zärtlichkeit gegen das edle Reis hegte, was von ihm entsprossen war. Und in der That hegte sie von dieser Zärtlichkeit so wenig, daß sie ihren Sohn in seiner Kindheit sehr selten sah, oder im geringsten sich um ihn bekümmerte, und daher ließ sie sich, nach ein paar sauren Mienen, alle die Gunstbezeigungen gefallen, welche Herr Alwerth auf den Findling gleichsam regnen ließ, den der gute Mann seinen eignen lieben Jungen nannte, und in allen Dingen mit dem jungen Blifil in völliger Gleichheit hielt. Diese nachgebende Gefälligkeit der edlen Witwe ward von den Nachbarn und von den Hausgenossen als ein Zeichen betrachtet, daß sie sich gerne in ihres Bruders Einfälle fügte, und alle sowohl wie auch Schwöger und Quadrat, dachten nicht anders von ihr, als daß sie im Grunde ihres Herzens den Findling haßte; ja, je freundlicher sie ihm begegnete, je mehr, meinten sie, wäre sie auf ihn erbittert, und desto sichrer reifte der Plan, den sie zu seinem Untergang ersönne; denn weil sie dachten, sie müßte ihn ihres eignen Nutzens wegen hassen, so wurde es ihr um so schwerer, die Leute vom Gegenteil zu überzeugen.

Schwöger war um so mehr in seiner Meinung bestärkt, weil sie ihn mehr als einmal unter der Hand vermocht hatte, den armen Tom zu peitschen, wenn Herr Alwerth, der diese Handarbeit haßte, ausgegangen war; und weil ihr in Ansehung des jungen Blifils dergleichen Zumutungen niemals eingefallen waren. Dies hatte auch den Quadrat zu einem falschen Urteil verleitet. In Wahrheit, ob sie gleich ihren eignen Sohn gewißlich haßte, worin es, so unnatürlich es auch scheint, gewiß mehrere Mütter ihresgleichen giebt, so schien sie doch, ungeachtet ihrer äußerlichen Nachgiebigkeit, in Ansehung aller Wohlthaten, welche Herr Alwerth dem Findling angedeihen ließ, in ihrem Herzen mißvergnügt zu sein. Sie klagte oft darüber hinter ihres Bruders Rücken, und tadelte ihn deswegen sehr scharf gegen beide Herren, Schwöger und Quadrat; ja sie warf es selbst Herrn Alwerth ins Angesicht vor, wenn ein kleines Mißverständnis vorfiel, oder wenn, wie der gemeine Mann sagt, die Sonne auf den Schornstein schien.

Unterdessen, als Tom heranwuchs, und von der wackern Gemütsart Zeichen gab, durch welche die Männer bei den Weibern so hoch ans Brett kommen, verminderte sich nach und nach diese Abneigung, welche sie gegen ihn, da er noch ein Kind war, hatte blicken lassen, und zuletzt zeigte sie höchst deutlich und zwar so deutlich, daß es länger unmöglich war, sich darüber zu irren, daß sie für ihn eine weit größere Gewogenheit habe, als für ihren eigenen Sohn. Sie war so begierig darauf, ihn oft bei sich zu haben, und fand eine solche Freude an seiner Gesellschaft, daß er, bevor er noch das achtzehnte Jahr erreicht hatte, Schwögers und Quadrats Nebenbuhler geworden war; und was noch ärger ist, so begann die ganze Nachbarschaft, ebenso laut von ihrer Neigung gegen Tom zu sprechen, als sie vorher sich über die gegen Quadrat lustig gemacht hatte; worüber denn der Philosoph auf unsern armen Helden einen unversöhnlichen Haß warf.

Siebentes Kapitel.

Worinnen der Autor in eigner Person auf der Bühne erscheinet.

Obgleich Herr Alwerth von Haus aus eben nicht der Schnellste war, die Sachen in einem nachteiligen Lichte zu besehen, und von dem öffentlichen Gerede nichts wußte, weil solches einem Bruder oder Ehemann selten zu Ohren kommt, ob es gleich in der ganzen Nachbarschaft von Haus zu Haus erschallt; so ward doch dieser Vorliebe seiner Schwester zum Tom, und der Vorzug, welchen sie ihm in zu sichtbarer Weise vor ihrem Sohne gab, dem armen Tom höchst nachteilig.

 

Denn so stark war das Mitleiden, welches Herrn Alwerths Gemüte innewohnte, daß solches bloß vom Schwerte der Gerechtigkeit besiegt werden konnte. Auf irgend eine Art unglücklich sein, wofern nur kein grobes Verbrechen das Gegengewicht hielt, reichte hin, die Schale des Mitleidens bei ihm zu senken und seine Freundschaft und Güte in Thätigkeit zu setzen.

Als er daher deutlich sah, sein Neffe Blifil würde von seiner Mutter ordentlich gehaßt (denn das ward er), so begann er, bloß deßwegen, ihn mit mitleidigen Augen zu betrachten, und was für Wirkungen das Mitleiden bei edlen gutherzigen Menschen hervor bringt, das darf ich den meisten meiner Leser hier nicht vorerklären.

Von dieser Zeit an sah er jeden Schein von Tugend an diesem Jüngling durch die vergrößernde Seite des Glases, und alle seine Fehler durch die verkleinernde, so daß er solcher kaum gewahr wurde. Und das mag vielleicht wegen der Liebenswürdigkeit eines mitleidigen Gemüts noch alles Lobes wert sein. Den nächsten Schritt aber kann nur allein die Schwachheit der menschlichen Natur entschuldigen. Denn nicht sobald bemerkte er den Vorzug, welchen Madame Blifil dem Tom gab, als dieser arme Jüngling (bei aller seiner Unschuld) in seiner Neigung, so wie er in der ihrigen stieg, zu sinken begann. Dies, es ist wahr, würde für sich allein niemals vermögend gewesen sein, den Tom aus seiner Brust zu reißen, aber es war ihm doch höchst nachteilig und breitete Herrn Alwerths Gemüt auf jene Eindrücke vor, welche nachher die großen Begebenheiten veranlaßten, welche die Folge dieser Geschichte enthalten wird, und wozu, wie ich gestehen muß, der unglückliche junge Mensch durch seine Ausschweifungen, seine Wildheit und seinen Mangel an Vorsicht so vieles beitrug.

Indem wir davon einige Beispiele aufzeichnen, werden wir, wofern man uns richtig versteht, der gutgesinnten Jugend, welche einst unser Werk lesen wird, eine sehr nützliche Lektion geben; denn solche wird hier finden, daß Güte des Herzens und Unbefangenheit des Gemüts, ob solche gleich ihnen großen innerlichen Trost verleihen und ihrem eignen Bewußtsein einen edlen Stolz geben können, jedoch leider gar nicht hinreichen, in der Welt ihr Glück zu machen. Klugheit und Behutsamkeit sind selbst dem besten Menschen unentbehrlich. Sie sind in der That gleichsam eine Leibwache der Tugend, ohne welche sie niemals in Sicherheit ist. Es ist nicht genug, meine lieben jungen Leser, daß Sie es gut meinen, daß sogar Ihre Handlungen innerlich gut sind; Sie müssen auch dafür sorgen, daß sie so scheinen. Ihr Inwendiges mag noch so schön sein, Sie müssen auch eine schöne Außenseite beibehalten. Hierauf muß man beständig achthaben, sonst werden Bosheit und Neid Sorge tragen, sie dergestalt anzuschwärzen, daß die Einsicht und Herzensgüte eines Alwerths nicht vermögend sein wird, hindurch zu sehen und die Schönheit des Inwendigen zu bemerken. Lassen Sie dies, meine jungen Leser, Ihre beständige Maxime sein, daß kein Mensch gut genug sein kann, um berechtigt zu sein, die Regeln der Klugheit zu vernachlässigen, auch wird selbst seine Tugend von ihrer Schönheit verlieren, wenn solche nicht mit der äußeren Zierde des Anständigen und Schicklichen ausgeschmückt ist. Und wenn Sie, meine würdigen Jünger, diese Lehre mit gehöriger Aufmerksamkeit fassen, so werden Sie solche, wie ich hoffe, durch die in den folgenden Blättern enthaltenen Beispiele hinlänglich bestätigt finden.

Ich bitte wegen dieses meines kurzen Auftritts, in der Manier eines Chors der Griechen auf der Bühne, um Verzeihung. Es ist wirklich meiner selbst wegen, damit, wenn ich die Klippen entdecke, woran oft Unschuld und Gutherzigkeit scheitern, man mich nicht dahin mißverstehen möge, als ob ich meinen Lesern gerade die Mittel anempföhle, wodurch sie ihr Verderben befördern. Und da ich dieses zu sagen von keiner meiner handelnden Personen erhalten konnte, so war ich genötiget, diese Erklärung selbst zu thun.

Achtes Kapitel.

Ein kindisches Werk, aus welchem man gleichwohl einen Hang zur Gutmütigkeit des Tom Jones ersehen wird.

Der Leser wird sich erinnern, daß Herr Alwerth dem Tom Jones als eine Art von Schmerzensgeld für die Strafe, die er nach seiner Meinung unschuldigerweise erlitten hatte, ein kleines Pferd schenkte.

Dies Pferd behielt Tom ein halbes Jahr, und dann ritt er es zu einem Markte in der Nachbarschaft und verkaufte es.

Als er nach seiner Heimkunft von Schwöger quästioniert wurde, was er mit dem Gelde angefangen habe, das er aus dem Verkaufe des Pferdes gelöst, erklärte er ganz ungescheut: »das wolle er ihm nicht sagen!«

»Oho!« sagte Schwöger, »das will man mir nicht sagen, so soll man's meinem Haselstocke schon bekennen;« denn dies war der Mittler, an den er sich in zweifelhaften Fällen, die Wahrheit herauszubringen, allemal zu wenden pflegte.

Tom war schon auf den Rücken eines Bedienten gestreckt und alles in Bereitschaft zur Exekution, als Herr Alwerth ins Zimmer trat, dem armen Sünder eine Gnadenfrist erteilte und ihn mit sich in ein anderes Zimmer nahm, woselbst er, als er mit Tom unter vier Augen war, ihm dieselbe Frage vorlegte, welche Schwöger an ihn vorher hatte ergehen lassen.

Tom antwortete: Sein Gehorsam erlaube nicht, ihm irgend etwas zu verhehlen; dem tyrannischen Orbil würde er aber niemals anders antworten als mit einer Karbatsche, und er hoffte bald im stande zu sein, ihm damit alle seine Grausamkeiten einzutränken.

Herr Alwerth gab dem Jüngling einen sehr scharfen Verweis wegen seiner unanständigen und unehrerbietigen Ausdrücke gegen seinen Lehrer, noch mehr aber wegen seines erklärten Vorsatzes, sich zu rächen. Er bedrohte ihn mit dem gänzlichen Verluste seiner Gunst, wofern er jemals wieder ein ähnliches Wort aus seinem Munde hörte; denn, sagte er: der Freund und die Stütze eines gottlosen Taugenichts wolle er niemals sein. Durch diese und dergleichen Erklärungen drang er dem Tom einige Zeichen der Reue ab, welche dem Burschen aber kein sonderlicher Ernst war, denn er sann wirklich auf eine Wiedervergeltung der schmerzhaften Gunstbezeigungen, welche er von den Händen des Pädagogen genossen hatte. Gleichwohl ward er von Herrn Alwerth dahin gebracht, wegen seiner Rachgier gegen Schwöger sich reuig zu bezeigen, und darauf erlaubte ihm der gute Mann, nachdem er ihm noch einige heilsame Vermahnungen gegeben hatte, weiter zu reden, welches er that, wie folgt.

»In Wahrheit, mein teuerster Herr Vater! ich liebe und verehre Sie mehr als die ganze Welt. Ich weiß, wie unendlich viel ich Ihnen zu verdanken habe, und ich würde mich selbst verabscheuen, wenn ich mein Herz der Undankbarkeit fähig hielte. Könnte das kleine Pferd sprechen, das Sie mir geschenkt haben, gewiß es würde Ihnen erzählen, wie lieb und teuer mir Ihr Geschenk war; denn ich hatte größere Freude daran, es zu füttern, als darauf zu reiten. Ja, gewiß, liebster Herr Vater, es ging mir durchs Herz, daß ich es missen sollte, ich hätt's aus keiner andern Ursache auf der Welt verkauft, als aus der, welche mich dazu nötigte. Sie selbst, liebster Herr Vater, hätten an meiner Stelle ebendasselbe gethan, denn keiner hat noch so innig die Not andrer Menschen gefühlt, als Sie. Was würden Sie fühlen, teuerster Vater, wenn Sie bedächten, daß Sie es selbst verursacht hätten? – Gewiß, gewiß, kein Elend könnte größer sein, als das Ihrige.« – »Als wessen, Kind,« sagte Alwerth, »was willst du damit sagen?« – »O liebster Vater,« antwortete Tom, »Ihr armer Wildmeister ist mit seiner Frau und vielen Kindern, seitdem Sie ihn abgedankt haben, fast vor Mangel und Hunger umgekommen. Ich konnt's nicht aushalten, diese armen Leute so nackt und verhungert zu sehen, und dabei zu wissen, daß ich die Ursache aller ihrer Leiden gewesen bin. – Ich konnt's nicht aushalten, liebster Vater, bei meiner Seele, ich konnt's nicht!« (Hier rieselten ihm die Zähren über die Wangen und er fuhr weiter fort) »Es war, um sie vom völligen Untergange zu retten, daß ich mein teures Geschenk hingab, ungeachtet ich es so unendlich lieb hielt. – Für sie habe ich das Pferd verkauft, und sie haben alles Geld bis auf den letzten Heller bekommen.«

Hier stund Herr Alwerth einige Augenblicke im stillen Nachdenken, und ehe und bevor er sprach, stürzten ihm die Thränen aus den Augen. Endlich ließ er Tom mit einem sanften Verweise von sich, wobei er ihm den Rat gab, wenn es künftig darauf ankäme, jemand aus der Not zu helfen, so solle er sich lieber an ihn wenden, als zu außerordentlichen Mitteln greifen, um es für sich selbst allein zu thun.

Diese Sache war nachher die Materie zu manchen Untersuchungen zwischen Schwöger und Quadrat. Schwöger hielt dafür, es wäre eine offenbare Auflehnung gegen Herrn Alwerth, dessen Absicht gewesen, den Kerl wegen seines Ungehorsams zu bestrafen. Er sagte: in einigen Fällen käme ihm das, was die Welt Barmherzigkeit nenne, vor, als ein Eingriff in den Willen des Allmächtigen, welcher gewisse Personen ausgezeichnet hätte, unglücklich und elend zu sein, und hier wäre auf eben die Art, gegen den Willen des Herrn Alwerth gehandelt worden, und er beschloß, wie gewöhnlich, mit einer herzlichen Empfehlung seines Schulszepters.

Quadrat focht hart dagegen an; vielleicht aus Parteilichkeit gegen Schwöger, oder auch aus Gefälligkeit gegen Herrn Alwerth, welcher das, was Tom gethan hatte, gar sehr zu billigen schien. Was er aber anführte, würde hier, da ich überzeugt bin, daß die meisten meiner Leser viel geschicktere Advokaten für den armen Jones sein müssen, unschicklich und vorlaut sein, zu erzählen. In der That war es nicht schwer, eine Handlung unter die Regel des Rechts zu bringen, die es unmöglich gewesen sein würde aus der Regel des Unrechts herzuleiten.