Jesus nachfolgen

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Wir sind eingeladen

Jesus spricht die Einladung aus, ins Haus Gottes zu kommen. Das ist eine Einladung dazu, Gottes Wohnort zu betreten.

Das ist keine Einladung mit barschen Aufforderungen. Es ist die Geschichte vom Lamm Gottes, das zu uns sagt: „Komm. Komm in mein Haus. Sieh dich um. Fürchte dich nicht.“ Lange vor seinem radikalen Aufruf, alles hinter sich zu lassen, sagt Jesus: „Kommt und seht, wo ich bin.“

Jesus ist ein Gastgeber, der sich wünscht, dass wir um ihn sind. Jesus ist der Gute Hirte des Alten Testaments, der sein Volk an seinen Tisch einlädt, auf dem der Becher des Lebens überfließt.

Dieses Bild, dass Gott uns in sein Haus einlädt, findet sich in der gesamten Heiligen Schrift.

Der Herr ist mein Haus. Der Herr ist meine Zufluchtsstätte.

Der Herr ist die Decke über mir. Der Herr ist meine Zuflucht. Der Herr ist mein Zelt. Der Herr ist mein Tempel. Der Herr ist mein Wohnort. Der Herr ist mein Heim. Der Herr ist die Stätte, an der ich alle Tage meines Lebens leben möchte.

Gott möchte unser Raum sein, unser Haus. Er möchte, dass wir alles haben, das uns das Gefühl gibt, daheim zu sein. Er ist wie ein Vogel, der uns unter seinen Flügeln birgt. Er ist wie eine schwangere Frau, die uns in ihrem Schoß trägt. Er, sie ist die grenzenlose Mutter, die liebevolle Gastgeberin, der umsichtige Vater, der fürsorgliche Beschützer, der uns einlädt, bei ihm zu sein.

Das gibt das Gefühl, in einem sicheren Bereich zu sein, worin alles gut ist. In unserer gefährlichen Welt voller Gewalttätigkeit, Chaos und Vernichtung gibt es diesen Ort, an dem wir sein möchten. Wir möchten im Haus Gottes sein – um uns sicher zu fühlen, umarmt, geliebt, versorgt. Wir sagen mit dem Psalmisten: „Wo anders möchte mein Herz denn verweilen als im Hause des Herrn?“ (vgl. Psalm 84 und 27).

Da gewinnt das Wort „Heim“ an Bedeutung. Jesus sagt: „Ich gehe ins Haus meines Vaters, um für euch ein Heim zu bereiten, denn im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen“ (Johannes 14,2). Jesus spricht da von diesem großen Heim, diesem Haus, worin uns ein Festmahl erwartet und der Kelch überfließend ist, und worin das Leben ein einziges großes Fest ist.

Das Johannesevangelium beginnt mit einer unglaublichen Vision dieses Heims. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war mit Gott, und das Wort war Gott, und im Wort war alles, was geschaffen war, und das Wort ist Fleisch geworden und hat sein Zelt unter uns aufgeschlagen“ (vgl. Johannes 1,1–3.14). „Heim“ ist das, worum es bei der Inkarnation geht. Wer im Evangelium liest, hört Jesus sprechen: „Ich habe mein Heim in euch eingerichtet, und so könnt ihr euer Heim in mir einrichten“ (vgl. Johannes 15,4–8). Diese Vision vom Haus Gottes geht tiefer und immer noch tiefer. Plötzlich verschmelzen alle diese Bilder ineinander und uns geht auf, dass wir Gottes Heim sind und dazu eingeladen sind, unser Heim dort einzurichten, wo Gott Gottes Heim eingerichtet hat. Uns geht auf, dass genau da, wo wir sind, genau hier in diesem Körper, mit diesem Gesicht, mit diesen Händen, mit diesem Herzen, wir der Ort sind, an dem Gott wohnen kann.

Hören wir sorgfältig hin: Jesus möchte, dass du und ich Teil der intimen Familie Gottes werden. „Wie mich der Vater liebt, so liebe ich euch“ (Johannes 15,9). Jesus sagt: „Ihr seid nicht mehr Sklaven, Fremde oder Außenseiter; nein, ihr seid Freunde, weil alles, was ich von meinem Vater gehört habe, euer ist, alle die Werke die ich tue, ihr tun könnt, und sogar noch größere. Ich bin nicht der ganz Große und ihr die ganz Kleinen – nein: Alles, was ich tun kann, das könnt auch ihr tun“ (vgl. Johannes 15,15–16).

Die intime Beziehung zwischen Vater und Sohn hat einen Namen. Sie ist Geist, Heiliger Geist. „Ich will, dass ihr meinen Geist habt.“ „Geist“ bedeutet „Atem“. Dieser Begriff stammt vom antiken griechischen Begriff pneuma. „Ich will, dass ihr meinen Atem habt. Ich will, dass ihr an diesem innersten Bereich meiner selbst Anteil habt, sodass die Beziehung zwischen euch und Gott die gleiche ist wie die zwischen mir und Gott, und das ist eine göttliche Beziehung.“

Ihr sollt mit eurem Herzen hören, dass ihr eingeladen seid, in der Familie Gottes zu wohnen. Ihr seid eingeladen, ab sofort Teil dieser tief innerlichen Kommunion zu sein.

Geistlich zu leben heißt, Teil der Familie Gottes zu sein.

Wenn wir sagen: „Ich sage dies im Namen Jesu“ oder: „Ich tue das im Namen Jesu“, so meinen wir damit wirklich: „Ich tue das ausgehend von Gott.“ Heutzutage meinen viele Menschen, dass dann, wenn wir etwas im Namen Jesu tun, wir dies tun, weil Jesus nicht da ist und wir das also als seine Stellvertreter, seine Repräsentanten tun. Aber das ist damit nicht gemeint. Im Namen Jesu zu sprechen, uns auf den Namen Jesu zu berufen, im Namen Jesu zu handeln heißt, dass dieser Name da ist, wo ich bin. Wo bist du? „Ich lebe in diesem Namen und das ist dort, wo ich wohne; dort, wo mein Wohnort ist.“ Wenn du erst einmal dort lebst, kannst du in die ganze Welt hinausgehen, ohne diesen Ort jemals zu verlassen.

Außerhalb dieses Orts, außerhalb des Herzens Jesu sind alle unsere Worte und alle unsere Gedanken so gut wie nichts. Was immer du tust, verlass dabei nie diesen Ort, denn nur an diesem Ort bist du in Gott. Nur von diesem Ort her kommt die Erlösung, und es ist Erlösung, was wir in diese unsere Welt hineinbringen müssen.

Die Einladung lautet: „Komm und sieh den Ort Gottes.“ Anfangs meinen wir, das sei einfach sein Heim, sein physischer Platz, aber im Johannesevangelium wird das so entwickelt, dass Johannes uns zeigt, dass der Ort Gottes das Innenleben Gottes selbst ist – des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes, die eine Liebesfamilie bilden, in die hinein wir eingeladen sind. Die Nachfolge Jesu ist der Weg zum Eintritt in diese Liebesfamilie.

Wir müssen Jesus nicht nachfolgen. Zuerst ist da die Einladung: „Komm, komm. Komm und sieh!“

Welche Antwort geben wir?
Hinhören

Wir lassen uns auf die Einladung Jesu ein, indem wir auf Menschen wie Johannes den Täufer hören. Hätte Johannes nicht gesagt: „Seht! Das ist das Lamm Gottes“, hätten Johannes und Andreas ihn womöglich gar nicht kennengelernt. Diese Erzählung aus dem Evangelium zeigt, dass wir auf jemanden hören müssen, der uns auf Jesus verweist. Wir finden Jesus nicht von uns aus.

Dieser Mensch mag nicht aufregend, attraktiv oder leicht zugänglich sein. Der Mensch, der auf Jesus zeigt, mag uns gewaltig auf den Wecker gehen, und zwar wegen unserer Vorurteile. Womöglich kommt uns eine Abneigung gegen ihn und wir sagen: „Seht doch, wie der sich anzieht“, oder: „Ich mag diese Art Leute nicht, die dauernd von Jesus reden.“

Ich möchte dich darauf aufmerksam machen, dass wir auf diese Menschen hören müssen, auch wenn sie nicht unbedingt von der Art sind, dass sie gleich unsere Sympathie haben. Vielleicht sind sie zu arm. Oder sie sind zu reich. Oder sie haben einen seltsamen Akzent. Oder sie sprechen eine andere Sprache. Irgendeinen Grund gibt es immer, zu sagen: „Na ja, die haben ihre eigenen Probleme.“

Aber immerhin: Sie zeigen auf Jesus.

Wir haben es notwendig, Menschen zuzuhören, die anzuhören uns nicht unbedingt leichtfällt. Das können eine recht einfache Frau, ein recht einfacher Mann sein, die uns die Frage stellen: „Liebst du Jesus?“ Sag dann: „Komm her. Worum geht’s?“ Hör dann gut zu. Bleib aufmerksam.

Es könnte auch ein sehr mächtiger Mensch sein, der von Jesus spricht, womöglich sogar der Papst selbst, und du könntest sagen: „Na ja, du tust dich leicht, im Vatikan zu leben, mit all dem Aufwand um dich herum.“ Aber darum geht es nicht. Hör hin.

Es könnte auch ein recht ungewöhnlicher Mensch sein, der sich nicht an alle Regeln hält. Aber sei aufmerksam, wenn dich jemand auffordert, „Jesus nachzufolgen“. Nimm diese Stimme sehr ernst.

„Sieh hin! Sieh das Lamm Gottes!“

Wir können tausend Argumente dafür anführen, nicht hinzusehen, nicht zuzuhören. Aber pass gut auf.

Horche.

Wenn du das nicht tust, findest du Jesus womöglich nie. Diejenigen, die auf Jesus zeigen, zeigen von sich selbst weg. Nimm das ernst.

Im Alten Testament wird erzählt, dass Samuel im Tempel schlief und der Herr ihn anrief: „Samuel, Samuel!“ Da ging er zum Priester Eli und sagte: „Ich höre immer diese Stimme!“ Zuerst sagte Eli: „Geh wieder ins Bett.“ Aber schließlich ging Eli auf, dass Gott den Jungen rief, und er sagte zu ihm: „Gott spricht zu dir.“ Später, als Samuel wieder diese Stimme hörte, gab er zur Antwort: „Herr, hier bin ich. Dein Diener hört“ (1. Samuel 3,1–9). Ohne Eli hätte Samuel nicht erkannt, dass Gott zu ihm sprach. Ohne Johannes den Täufer hätten Johannes und Andreas nicht auf Jesus geschaut.

Wir müssen auf die Menschen in unserem Leben hören, sogar auf die gebrochenen, und sie sehr ernst nehmen.

Fragen

Nach dem Hören müssen wir Fragen stellen.

Johannes und Andreas fragen: „Wo wohnst du?“ Es ist sehr wichtig, dass wir wissen wollen, wer Jesus ist, wenn wir ihm folgen wollen; dass wir ihm wirklich folgen wollen.

„Herr, wo wohnst du? Wir möchten bei dir sein. Wir möchten dich genauer kennenlernen.“

Wir müssen Fragen stellen. Ich muss Fragen stellen.

Hör nicht auf, immer wieder Fragen zu stellen.

„Herr, wie ist das, bei dir zu sein? Ich möchte dir nachfolgen, aber ich bin mir dessen nicht ganz sicher.“

 

Frag immer wieder.

„Ich habe Menschen Dinge tun sehen, die ich wirklich nicht mag. Zeig mir, wie du bist, damit ich das selbst sehen kann. Zeig es mir. Wo wohnst du?“

An diesem Punkt setzt unser Gebet an. Unsere Gebete fangen an, wenn wir sprechen: „Herr, gib mir ein Gefühl dafür, wer du bist. Manche sagen dieses über dich, andere jenes, aber ich möchte selbst spüren, wer du für mich bist.“

Scheue dich nicht, so zu fragen.

Jesus sagt: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, sondern ich nenne euch Freunde, weil ich euch alles sage“ (Johannes 15,15). Wir müssen beten, um das zu verstehen. Bete: „Herr, ich möchte dich kennenlernen. Lass mich spüren, wer du bist, damit ich auf Grund dieser Erfahrung sprechen kann.“ Halten wir uns den Evangelisten Johannes vor Augen, der gesagt hat: „Wir haben ihn mit unseren eigenen Augen gesehen, mit unseren eigenen Ohren gehört und mit unseren eigenen Händen berührt“ (1. Johannes 1,1). Das wünsche ich mir für uns: Dass wir von dem sprechen wollen, was wir gesehen und was wir gehört haben.

Wohnen

Die dritte Reaktion auf die Einladung ist die, bei Jesus zu wohnen. „Sie gingen also mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war ungefähr die zehnte Stunde“ (vier Uhr nachmittags, Johannes 1,39).

Um Jesus nachzufolgen, muss man bereit sein, sich zu sagen: „Diese halbe Stunde will ich jetzt bei Jesus wohnen. Ich weiß, dass ich zerstreut sein werde. Ich weiß, dass mir hundert Gedanken kommen und unzählige Einfälle, was ich alles tun müsste. Aber ich weiß, dass du mich liebst und einlädst, auch wenn ich zerstreut und ängstlich bin. Ich will jetzt einfach bei dir wohnen.“

Sei bei ihm und horche auf ihn. Höre den Einen, der dich einlädt. Sei still. Sei wie ein Kind, das mit seiner Mutter und seinem Vater im Haus wohnt. Wohne einfach. Spiele herum. Sei da. Jeden Tag eine halbe Stunde. Sei einfach bloß da. Sitze da und tu nichts. Vergeude Zeit mit Jesus. So verhält sich Liebe. Die Liebe möchte immer bei dem sein, der sie liebt und den sie liebt. Da möchtest du sein. Genieße es. „Jesus, es tut so gut, hier bei dir zu sein“ (vgl. Markus 9,5).

Wir merken dann langsam, dass wir uns im Herrn ein Haus einrichten und in seinem Haus nicht nur während einer halben Stunde sind, sondern den ganzen Tag lang. Wir sind immer im Haus des Herrn. Wo immer wir sind und was immer wir tun – wir sind da, wo der Herr ist. Wir sind bereits bei ihm daheim.

Sogar wenn wir auf dem Weg zu unserem Haus sind, sind wir daheim.

Sag nicht: „Ich habe zu viel zu tun“, sondern: „Ich habe Besseres zu tun.“ Bete und entdecke, was kommt. Wir können in dieser feindseligen, dem ständigen Wettbewerb ausgelieferten Welt leben und daheim sein.

Horche, frage und wohne – und du wirst langsam in Jesus hineinwachsen.

Jesus nachzufolgen ist etwas anderes, als sich einer bekannten Persönlichkeit oder einer Bewegung anzuschließen.

Was ich damit sagen will?

Recht viele Menschen fühlen sich „angezogen von“, „verführt von“ oder „einbezogen in“ Dinge oder Menschen. Genau das ist Heldenverehrung. Wir fühlen uns von Sängern und Filmstars angezogen. Diese Menschen haben die Macht, uns zu einer anderen Welt hin zu verführen, und wir werden dabei in gewisser Hinsicht passiv zu all dem hingezogen. Das hat nichts mit Nachfolge zu tun. Die Menschen mögen der Meinung sein, das sei Nachfolge – so wie man einem Volkshelden nachfolgt –, aber das ist nicht die Art von Nachfolge, von der Jesus spricht.

Wir werden auch nicht dadurch Nachfolger, dass wir uns von Bewegungen anziehen lassen, und seien es gute. Ich werde oft gefragt: „Was bietest du derzeit an? Bist du als Berater tätig, machst du Urschrei-Therapie, Psychosynthese, außersinnliche Wahrnehmung, intellektuelle Analyse? Oder was sonst?“ Von diesen Bewegungen können wir etwas lernen und wir fühlen uns zu ihnen hingezogen, aber das, wovon das Evangelium spricht, ist etwas völlig anderes. Der Weg des geistlichen Lebens unterscheidet sich grundlegend davon, sich von der Verehrung irgendeines Helden „anziehen“ zu lassen oder sich einer recht guten Bewegung anzuschließen.

Es gibt ja alle möglichen Arten von interessanten Bewegungen: Heilungs-Bewegungen, therapeutische Bewegungen und so weiter. Ich habe mich vielen von ihnen schon einmal angeschlossen. Aber typisch für alle diese anderen Formen der Anhängerschaft ist, dass sie gewöhnlich auf „mich“ konzentriert sind. Wenn man von einer Heldenverehrung angezogen wird, merkt man, dass man sich nach einem Ersatz-Ich umsieht.

Ich habe mich einmal mit Freunden unterhalten, die vor Jahren zu einem Konzert der Beatles gegangen waren, und sie erzählten mir, wie leicht es da gewesen sei, seine eigene Identität an diese Jungs aus Liverpool zu verlieren. Meine Freunde wurden damals total mitgerissen. Sie waren nicht mehr hier, sondern sich selbst entrückt. Sie waren auf gewisse Weise mit der Musik und diesen jungen Leuten verschmolzen.

Wenn wir uns diesen Bewegungen anschließen, sind wir gewöhnlich auf eine innere Harmonie aus, auf die heilsame Lösung irgendeines Schmerzes. Wir erhoffen uns von dieser oder jener Bewegung mehr emotionale Ausgewogenheit oder ein neues innerliches Einssein.

Aber wenn Jesus sagt: „Folgt mir nach“, passiert etwas ganz anderes. Wir lassen uns dann auf eine ganz andere Art der Anhängerschaft ein, denn sie beruht auf einem Ruf weg vom „Ich“ und hin zu Gott. Das ist ein Aufruf, Gott in unsere eigene Wesensmitte herein einzuladen. Er ist Ausdruck der Bereitschaft, das eigene „Ich“ loszulassen und nach und nach sprechen zu können: „Einzig du, o Herr, bist mir wichtig.“

Hier geht es überhaupt nicht darum, das eigene Ich zu erkunden, sondern um das Leerwerden und Loslassen des eigenen Ichs, um Raum für eine ganz neue Seinsweise zu schaffen, die von Gott her kommt. Das Leben Jesu war ein zunehmendes Aufgeben seiner selbst, so dass ganz und gar Gott in die Mitte kommen konnte. Darum ging es bei seiner Kreuzigung. Wenn Jesus sagt: „Folge mir nach“, will er sagen: „Verlass diesen Platz deines Ichs. Verlass Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Haus, familiäre Besitztümer. Verlass die ‚Ich‘-Welt – meine Mutter, meinen Bruder, meine Schwester, meine Besitztümer, meine Welt – und folge mir nach.“

Jesus sagt: „Verlass all das.“ Verlass es, damit Gott in die Mitte kommen kann.

Wir werden eingeladen, unseren vertrauten Platz zu verlassen und Gott zu finden. Wir werden eingeladen, Gott zu finden und darauf zu vertrauen, dass wir in Gott entdecken, wer wir in Wirklichkeit sind. Die Betonung liegt nicht auf dem „Ich“, sondern auf Gott.

Jesus nachzufolgen heißt, sich auf den Einen zu konzentrieren, der uns ruft, und nach und nach im Vertrauen zu wachsen, dass wir unsere uns vertraute Welt loslassen können und etwas Neues kommen wird.

Wir werden neue Menschen werden!

Wir werden einen neuen Namen bekommen!

Abram ließ sich auf Gottes Ruf ein und wurde zu Abraham. Saul folgte Jesus nach und wurde zu Paulus. Simon folgte Jesus nach und wurde Petrus. Petrus verließ seine eigene alte Welt, trat in Gottes Welt ein und fand heraus, wer er in Gott wirklich war.

Wie lautet dein neuer Name? Wie meiner?

Herr Jesus,

hilf mir in diesem Augenblick, alles beiseite zu lassen, was mich heute beschäftigt hat. Nimm mir die vielen Ängste, die um mich toben. Nimm mir meine vielen Gefühle der Unsicherheit und des schwachen Selbstvertrauens und forme du mich, du Lamm Gottes. Hilf mir, tiefer in dein Schweigen einzutauchen, worin ich darauf hören kann, wie du mich rufst, und die Kraft und den Mut finden kann, dir nachzufolgen. Ich bitte dich, bei mir zu sein, wenn ich auf dein Wort höre und ein tieferes Verständnis des Geheimnisses finde, dass du mich berufst, dir nachzufolgen.

Sei jetzt und immer bei mir.

Amen.

KAPITEL ZWEI
DIE BERUFUNG
„Komm und folge mir nach“

In Lukas 5 finden wir eine Schilderung, wie Jesus seine ersten Jünger berief:

1 Eines Tages stand Jesus am See Gennesaret; eine große Menschenmenge drängte sich um ihn und wollte das Wort Gottes hören. 2 Da sah er zwei Boote am Ufer liegen. Die Fischer waren ausgestiegen und reinigten ihre Netze. 3 Jesus stieg in das Boot, das Simon gehörte, und bat ihn, ein Stück weit auf den See hinauszufahren. So konnte er im Boot sitzen und von dort aus zu den Menschen sprechen. 4

Als er aufgehört hatte zu reden, wandte er sich an Simon und sagte: „Fahr jetzt weiter hinaus auf den See; werft dort eure Netze zum Fang aus!“ 5 Simon antwortete: „Meister, wir haben uns die ganze Nacht abgemüht und haben nichts gefangen. Aber weil du es sagst, will ich die Netze auswerfen.“ 6 Das taten sie dann auch, und sie fingen eine solche Menge Fische, dass ihre Netze zu reißen begannen. 7 Deshalb winkten sie den Fischern im anderen Boot, sie sollten kommen und mit anpacken. Zusammen füllten sie die beiden Boote, bis diese schließlich so voll waren, dass sie zu sinken drohten. 8

Als Simon Petrus das sah, warf er sich vor Jesus auf die Knie und sagte: „Herr, geh fort von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.“ 9 Denn ihm und allen, die bei ihm im Boot waren, war der Schreck in die Glieder gefahren, weil sie solch einen Fang gemacht hatten, 10 und genauso ging es Jakobus und Johannes, den Söhnen des Zebedäus, die zusammen mit Simon Fischfang betrieben.

Doch Jesus sagte zu Simon: „Du brauchst dich nicht zu fürchten. Von jetzt an wirst du ein Menschenfischer sein.“ 11 Da zogen sie die Boote an Land, ließen alles zurück und schlossen sich ihm an.

Lukas 5,1–11 (NGÜ)

Jesus spricht zum Volk. Es sind so viele Menschen da, dass er gar nicht alle genau sehen kann. Er bittet darum, sich in ein Boot setzen zu dürfen, um etwas Abstand zu haben, damit er all die Menschen sehen kann und auch sie ihn sehen können.

Stell dir Jesus im Boot vor. Sieh den Uferstreifen am Wasser voller Menschen. Du stehst mit der Menge am Ufer. Du hörst auf die Predigt Jesu. Worüber predigt Jesus? Wie bereits bei etlichen früheren Anlässen predigt er vom Reich Gottes. Er predigt über diese völlig neue Daseinsweise.

Jesus spricht vom Reich Gottes, worin die Armen gesegnet sind, die Sanften, die Trauernden, die Friedensstifter; worin die gesegnet sind, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, die Verfolgten gesegnet sind, die Herzensreinen gesegnet sind (vgl. Matthäus 5,3–11).

Im Reich Gottes wird alles auf den Kopf gestellt. Die an den Rand Gedrängten, die für nicht achtenswert Gehaltenen werden jetzt plötzlich als die Menschen bezeichnet, die ins Reich Gottes berufen sind. Der Teil von uns, der schwach, gebrochen oder armselig ist, wird jäh zum Ansatzpunkt dafür, dass etwas Neues entstehen kann. Jesus sagt: „Bleibt in Kontakt mit eurer Gebrochenheit. Bleibt in Kontakt mit eurer Sündhaftigkeit. Richtet euch auf Gott aus, denn das Himmelreich ist nahe. Wenn ihr bereit seid, aus eurer Gebrochenheit heraus zuzuhören, kann in euch etwas Neues entstehen.“

Ist diese Predigt zu Ende, so tun die Menschen das gleiche, was auch wir oft tun. Sie sagen: „Lasst uns jetzt gehen und wieder das gleiche tun wie bisher. Das können wir ja schon alles! Wir möchten mit dem weitermachen, was wir bisher getan haben.“ Aber Jesus sagt: „Werft eure Netze aus und fangt etwas!“

Er kehrt nicht wieder zu seinem normalen Alltagsleben zurück, worin wieder alles genauso gewesen wäre, wie es vor seiner Predigt gewesen war. Sondern ihm geht es darum, ganz konkret von der bisherigen Daseinsweise auf eine neue überzugehen. Aber die Jünger reden immer noch genauso wie vor seiner Predigt.

Auch wir reden heute noch genauso.

Zunächst sagen sie: „Jesus, hör doch, du bist kein Fischer. Du verstehst nichts vom Fischen. Du bist ein Prediger. Wir haben die ganze Nacht gefischt. Nachts sind die Fische gewöhnlich näher an der Oberfläche als tagsüber, und wenn wir schon nachts nichts fischen, können wir bei Tag erst recht nichts fischen. Ein weiterer Versuch macht nicht viel Sinn. Kannst du denn nicht unserer Einschätzung vertrauen?“ Und dann setzen sie mit einer Art grollender Ablehnung hinzu: „Aber wenn du unbedingt willst, tun wir das halt.“

 

Die Jünger antworten mit ihrer normalen Logik. Wir sehen, dass sie das die ganze Zeit tun. Bei der Geschichte mit den Broten und Fischen war es ja genauso gewesen: Da hatte es fünf Brote und zwei Fische gegeben. Jesus hatte zu seinen Jüngern gesagt: „Teilt die fünf Brote und die zwei Fische an die Menge aus.“ Und sie hatten zu Jesus gesagt: „Kannst du denn nicht zählen? Wie sollen wir denn mit fünf Broten und zwei Fischen alle sättigen können?“ Aber Jesus hatte sie aufgefordert: „Gebt der Menge zu essen!“ (siehe Markus 6,38 und Matthäus 14,17).

Jesus sagt: „Werft eure Netze aus!“ Sie tun das – und sie fangen Fische! Aber interessanter Weise fangen sie nicht so viele Fische, wie sie brauchen, sondern derart viele, dass sie ganz verblüfft sind.

Mit den Broten ist es das gleiche. Jesus hatte nicht gesagt, sie sollten jedem ein kleines Stück Brot geben. Nein – es blieb sogar so viel Brot übrig, dass sie gar nicht mehr wussten, was sie damit anfangen sollten. Hier, in dieser Geschichte, sind ihre Boote so voll, dass sie ganz verblüfft sind. So viele Fische brauchten sie doch gar nicht! Sie wären schon mit einem ganz normalen Fang recht glücklich gewesen.

Jesus durchbricht die menschliche Logik. Ihm geht es um nichts Eigenes. Er versetzt die ganze Wirklichkeit in das Reich Gottes. Deswegen befinden die Jünger sich nicht mehr in der Logik der Welt, sondern sie sind in die Unlogik Gottes versetzt und befinden sich deshalb jenseits aller Logik. Sie sind in eine völlig neue Welt versetzt.

Als Petrus das schließlich begreift, sagt er nicht: „Herr, ich hatte mich getäuscht. Du verstehst ja etwas vom Fischen!“, sondern: „Herr, ich bin ein Sünder!“ Dieser Ausspruch von Petrus ist recht eindrucksvoll, denn Petrus war klar geworden, dass er dem, was da vorgegangen war, nicht getraut hatte. Er hatte den Herrn vom Himmelreich und von der neuen Weltordnung sprechen hören. Aber jetzt war ihm aufgegangen, dass er das überhaupt nicht verstanden hatte. Er hatte es nicht ganz ernst genommen. Auch Jesus hatte er nicht ganz ernst genommen. Aber als der Herr seine Logik völlig durchbricht, sagt Petrus: „Ich bin ein sündiger Mensch. Ich war nicht bereit gewesen, dir eine Chance zu geben. Ich hatte immer noch um mich selbst gekreist, nach meinen eigenen Maßstäben, und wollte weiter mein eigenes kleines Vorhaben betreiben.“

Angesichts des Reiches Gottes, und angesichts dieser neuen Wirklichkeit begreift Petrus, dass er bisher nur an sich selbst gedacht hatte. „Ich möchte eben Fische fangen. Deshalb bin ich die ganze Nacht draußen gewesen.“ Ihm geht auf, dass er alles, was er tat, nur für sich selbst tat.

Damit ist Petrus nicht allein. Die Jünger hörten die Geschichten Jesu ständig im Hinblick auf die Macht, aus der Sicht der alten Welt. Das hört man aus dem ganzen Evangelium heraus.

„Wirst du endlich die Römer aus dem ganzen Land vertreiben und hier mit Macht durchgreifen? Wirst du das bald hinbringen?“

Jesus durchbricht diese Erwartung vollständig und eröffnet eine ganz andere Welt. Er sagt: „Folgt mir nach. Fürchtet euch nicht. Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Ich werde euch in eine völlig neue Lebens- und Daseinsweise einführen“ (Markus 1,17).

Da lassen sie alles hinter sich und folgen Jesus nach.

Wir halten uns in unserem Leben an unsere eigene Logik. Jesus möchte diese durchbrechen und eine ganz neue Daseinsweise eröffnen. Wir fürchten uns davor, dass uns das blühen könnte, und zwar deshalb, weil wir dann nicht mehr alles selbst unter Kontrolle hätten. Denn die Kontrolle über unsere Zukunft haben wir nicht mehr, wenn wir Jesus in unsere Wesensmitte hereinlassen. Wir müssten dann das Vertrauen auf eine Richtung haben, für die wir keine Begriffe haben. Jesus verwendet Worte wie „Atem“, „Leben“, „Tod“ und „Wahrheit“, versieht diese jedoch mit einem neuen Sinn. Das begreifen die Jünger nicht und es verwirrt sie. Erst viel später, als der Heilige Geist kommt, eröffnet sich ihnen der wahre Sinn dieser Begriffe.

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