Polizeigesetz für Baden-Württemberg

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5. Verwirkung und Verjährung

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Die Befugnis der Polizei zum Einschreiten kann im Einzelfall verwirkt sein, nämlich dann, wenn seit der Möglichkeit des Einschreitens längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die das spätere Tätigwerden der Polizei als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Bloßes längeres Untätigbleiben der Polizei schafft jedoch keine Vertrauensgrundlage, die eine Verwirkung rechtfertigen könnte (VGH BW, NVwZ-RR 1996, 387, 389 f.; VBlBW 2008, 339, str., vgl. auch VGH BW NVwZ-RR 2000, 589, 591).

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Ob hinsichtlich der Befugnis zum polizeilichen Einschreiten gegen einen bestimmten Störer eine Verjährungsfrist in analoger Anwendung der §§ 194 ff. BGB gilt, ist umstritten, wird aber von der wohl h. M. verneint (vgl. VGH BW, NVwZ-RR 1996, 387, 390; 2000, 589, 591; VBlBW 2008, 339). Diese „Ewigkeitshaftung“ ist berechtigt und hat ihren Grund darin, dass die Befugnis und evtl. die Pflicht der Polizei zu gefahrenabwehrendem Handeln nicht mit einem zivilrechtlichen Anspruch gleichgesetzt werden kann.

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Dagegen bestehen hinsichtlich einer Verjährung von Polizeikostenersatzansprüchen (z. B. nach durchgeführter unmittelbarer Ausführung einer Maßnahme nach § 8 Abs. 1) grundsätzlich keine Bedenken, denn bei diesen handelt es sich „lediglich“ um vermögensrechtliche Ansprüche. Überwiegend wird deshalb hier die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (analog § 195 BGB) anerkannt. Wurde ein Verwaltungsakt in der Form eines Kostenbescheids erlassen und ist dieser unanfechtbar, beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre, § 53 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG. Vgl. auch § 100, RN 7 und § 102, RN 4.

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Für den Kostenersatz für Amtshandlungen nach dem LVwVG (Ersatzvornahme, unmittelbarer Zwang) gelten gemäß § 31 Abs. 6 LVwVG die besonderen Verjährungsvorschriften der §§ 17 und 23 LGebG. Letztere finden unmittelbar Anwendung für Gebühren und Auslagen, die aufgrund des LGebG erhoben werden. Bei einer Erhebung aufgrund des KAG gelten gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 a KAG die Verjährungsvorschriften der AO (§§ 228–232), vgl. § 127, RN 9.

6. Kosten für polizeiliche Maßnahmen

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Polizeiliche Maßnahmen können erhebliche Kosten verursachen.

Beispiele: Kosten für die Begleitung eines Schwertransports, für den Einsatz bei einem Fußballspiel, für die Bergung und das Abschleppen eines Kfz.

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Welcher Träger der öffentlichen Verwaltung für die Kosten der Polizei aufzukommen hat, regelt § 127 (s. u. § 127, RN 1 ff.).

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Fraglich ist, ob die Polizei bzw. ihr Kostenträger Ersatz vom Pflichtigen verlangen kann, was im Einzelfall als durchaus gerechtfertigt erscheint.

Beispiele: Bei einer Ersatzvornahme erledigt die Polizei praktisch ein „Geschäft“ des Pflichtigen. Die Begleitung eines Schwertransports begünstigt den Unternehmer.

Anspruch auf Zahlung einer Gebühr gegen den Veranstalter für den Mehraufwand bei kommerziellen Hochrisiko-Veranstaltungen wie etwa Bundesliga-Fußballspielen (BVerwG, Urt. v. 29.3.2019 – 9 C 4.18; hierzu Brüning, NVwZ 2019, 1416).

Unumgänglich für einen derartigen Kostenersatzanspruch ist jedoch wegen des Gesetzesvorbehalts eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (z. B. § 4 Abs. 4 Bremer GebBeitrG für gewinnorientierte Hochrisiko-Veranstaltungen; in BW ist eine entsprechende Vorschrift nicht vorhanden). Näher dazu s. u. § 127, RN 8 f.

§ 4 Einschränkung von Grundrechten

Durch polizeiliche Maßnahmen auf Grund dieses Gesetzes können im Rahmen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland eingeschränkt werden

1. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes),

2. die Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes),

3. die Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes)

4. das Brief, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 des Grundgesetzes),

5. die Freizügigkeit (Artikel 11 des Grundgesetzes),

6. die Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes),

7. das Eigentum (Artikel 14 des Grundgesetzes).

Literatur: Alberts, Die Bedeutung des Zitiergebots, Art. 19 Abs. 1 Satz 2, insbesondere für die neuere Polizeigesetzgebung, JA 1986, 72; ders., Freizügigkeit als polizeiliches Problem, NVwZ 1997, 45; Becker, Grundrechtliche Grenzen staatlicher Überwachung zur Gefahrenabwehr, NVwZ 2015, 1335; Bünnigmann, Polizeifestigkeit im Versammlungsrecht, JuS 2016, 695; ders., Polizeifestigkeit im Presserecht, JuS 2016, 894; Frenz, Terrorismus und Menschenwürde, DÖV 2015, 305; Frey/Schönstein, Aufenthaltsverbote als Mittel zur Gefahrenabwehr, VBlBW 2016, 447; Guckelberger, Zulässigkeit von Polizeifolter?, VBlBW 2004, 121; Hetzer, Die Bedeutung des Grundrechts auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) für polizeiliche Aufenthaltsverbote, JR 2000, 1; Heyen/Collin/Spiecker gen. Döhmann, Häusliches Betretungsverbot, JA 2013, 359; Hufen, Verbot oder einschränkende Auflagen für die Ausstellung „Körperwelten“?, DÖV 2004, 611; Kappeler, Der Verbringungsgewahrsam im System vollzugspolizeilicher Eingriffsbefugnisse, DÖV 2000, 173; Kutscha, Rechtsschutzdefizite bei Grundrechtseingriffen von Sicherheitsbehörden, NVwZ 2003, 1296; Leist, Zur Rechtmäßigkeit typischer Auflagen bei rechtsextremistischen Demonstrationen, NVwZ 2003, 1300; Laubinger, Nachbarschutz gegen kirchliches Glockengeläut, VerwArch 1992, 623; Scholz, „Neue Jugendreligionen“ und Grundrechtsschutz nach Art. 4 GG, NVwZ 1992, 1152; Thäle, Polizeibeamtinnen und -beamte im Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit und ihrem eigenen Persönlichkeitsschutz, VBlBW 1999, 48.

Inhaltsübersicht

1. Allgemeines

2. Genannte, durch das Polizeigesetz einschränkbare Grundrechte

a) Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG)

b) Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG)

c) Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG)

d) Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG)

e) Recht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG)

f) Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)

g) Recht auf Eigentum (Art. 14 GG)

3. Nicht genannte, durch das Polizeigesetz einschränkbare Grundrechte

a) Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG)

b) Glaubensfreiheit (Art. 4 GG)

c) Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG)

d) Freiheit der Kunst (Art. 5 Abs. 3 GG)

e) Ehe und Familie

4. Grundsätzlich nicht durch das Polizeigesetz einschränkbare Grundrechte

a) Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG)

b) Gleichheitssatz (Art. 3 GG)

c) Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG)

d) Vereinigungsfreiheit, Koalitionsfreiheit (Art. 9 GG)

e) Berufsfreiheit (Art. 12 GG)

1. Allgemeines

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Die Vorschrift ist nicht selbst Ermächtigungsgrundlage für grundrechtsrelevante Eingriffe, sondern nennt einzelne Grundrechte, die durch polizeiliche Maßnahmen z. B. aufgrund §§ 3, 1; 27 ff. eingeschränkt werden dürfen. Damit trägt § 4 dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG Rechnung. Aus dem Umstand, dass zahlreiche Grundrechte in § 4 nicht genannt sind, kann jedoch nicht geschlossen werden, diese seien nicht einschränkbar oder werden durch das PolG nicht eingeschränkt (s. u. RN 14 ff.). Das Zitierverbot erfasst nämlich nur jene Grundrechte, bei denen eine Einschränkung durch oder aufgrund eines Gesetzes möglich ist (Einschränkungsvorbehalt; BVerfGE 113, 348, 366).

 

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Weitere verfassungsrechtliche Anforderungen an polizeiliche Maßnahmen enthält das Polizeigesetz in § 5.

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Die Grundrechte haben nicht nur die eine Funktion als Abwehrrechte zur Eingrenzung polizeilicher Befugnisse. Sie sind auch selbst Schutzgut, da der Staat ihre ungehinderte Ausübung zu gewährleisten hat (s. o. § 1, RN 22).

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Neben den Grundrechten ist auch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) Maßstab für die Gesetzgebung der Länder auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr und für polizeiliches Handeln. Sie hat den Rang einfachen Bundesrechts und garantiert – allerdings nicht vorbehaltlos – u. a. das Recht auf Leben (Art. 2), das Verbot der Folter (Art. 3), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5) und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie der Wohnung (Art. 8). Eine Verletzung dieser Rechte kann – neben dem nationalen Rechtsweg – beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gerügt werden (Art. 35 EMRK).

2. Genannte, durch das Polizeigesetz einschränkbare Grundrechte
a) Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG)

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In das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs (§§ 64 ff.), vor allem durch Waffengebrauch eingegriffen. Ein gezielter Todesschuss (§ 68 Abs. 2) berührt das Recht auf Leben.

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Die Polizei kann andererseits verpflichtet sein, zum Schutz des Lebens tätig zu werden, etwa zur Verhinderung der Begehung einer Selbsttötung (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 c), zur Rettung eines Verunglückten oder um eine aktive Sterbehilfe zu untersagen (VG Karlsruhe, NJW 1988, 1536, 1537; VGH BW, NVwZ 1990, 378).

b) Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG)

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Freiheit der Person bedeutet körperliche Bewegungsfreiheit. Sie kann durch Freiheitsbeschränkungen oder Freiheitsentziehungen eingeschränkt werden, wobei für Letztere die besonderen Verfahrensvorschriften des Art. 104 Abs. 2 GG (Richtervorbehalt) zu beachten sind. Im Übrigen ist die Abgrenzung nicht immer problemlos.

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Eine Freiheitsentziehung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt an einem bestimmten eng umgrenzten Ort festgehalten wird. Dazu gehören z. B. das Festhalten einer Person und ihre Mitnahme zur Dienststelle (Sistierung) anlässlich einer Personenfeststellung (§ 27), der polizeiliche Gewahrsam (§ 33), zu dem auch die Einkesselung (Einschließung) und der sog. Wanderkessel (einschließende Begleitung) gehören, und ferner die Vorführung einer Person nach § 28 Abs. 3.

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Freiheitsbeschränkungen sind alle übrigen Einschränkungen der körperlichen Bewegungsfreiheit, wie z. B. das Anhalten einer Person anlässlich einer Befragung (§ 43 Abs. 1 Satz 10), anlässlich einer Maßnahme nach § 51 Abs. 4 oder einer Personenfeststellung (§ 27 Abs. 2), sofern dieses über den flüchtigen Augenblick hinausgeht, oder die vollständige Abriegelung eines Ortes für mehrere Stunden durch Polizeibeamte (OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2007, 103).

c) Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG)

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Die Anwendung von Ermächtigungsgrundlagen aus dem PolG für Maßnahmen, die sich an Versammlungen richten, wird vom verfassungsrechtlichen Grundsatz der Polizeifestigkeit von Versammlungen begrenzt. Das Recht, öffentliche Versammlungen (zur Versammlungseigenschaft vgl. BVerwG, DÖV 2007, 883; NVwZ 2007, 1431, 1434; VGH BW, VBlBW 2008, 60) und Aufzüge zu veranstalten und an solchen teilzunehmen, wird durch das Versammlungsgesetz konkretisiert. Dieses regelt abschließend, unter welchen Voraussetzungen derartige Veranstaltungen durchgeführt, beschränkt oder verboten werden dürfen.

Beispiele: Eine öffentliche Versammlung kann nur durch eine Auflösung nach § 15 Abs. 2 VersG, nicht aber auf der Grundlage der polizeilichen Generalklausel oder über polizeiliche Standardmaßnahmen, insbesondere durch eine Ingewahrsamnahme in Form der Einkesselung, beendet werden (BVerwG, NVwZ 1988, 250; VGH BW, NVwZ 1998, 761; OVG NW, DVBl. 2001, 839, 840).

Ein Platzverweis, § 27 a, ist unzulässig, solange sich die Person in einer Versammlung befindet (BVerfG, NVwZ 2005, 80, 81; VGH BW, VBlBW 2008, 60 – stille Mahnwache).

Damit wird die Anwendbarkeit anderer Gesetze zur Gefahrenabwehr, z. B. Straßenrecht, Baurecht, Seuchenrecht, nicht ausgeschlossen, sofern damit nur mittelbare Auswirkungen auf die Versammlungsfreiheit verbunden sind (VGH BW, NVwZ 1998, 761, 763).

Als zulässig werden ferner sog. Vorfeldmaßnahmen aufgrund des Polizeigesetzes angesehen, z. B. die Personenfeststellung oder die Durchsuchung von Personen und Sachen bei anreisenden Versammlungsteilnehmern, sofern hierdurch die Versammlung weder zeitlich beschränkt noch unmöglich gemacht wird. Eine Gefährderansprache nach dem neuen § 29, mit der die Polizei einer Person signalisiert, dass sie unter Beobachtung steht und welche polizeilichen Maßnahmen im Fall einer Störung gegen sie ergriffen werden, zielt darauf ab, den Betroffenen von einer Störung abzuhalten. Aufgrund dieser Abschreckungswirkung, die Einfluss auf die Entschließungsfreiheit der betroffenen Person nehmen soll, kann es im Einzelfall auch zu Eingriffen in Art. 8 Abs. 1 GG kommen, weswegen die Versammlungsfreiheit nunmehr in die Liste der einschränkbaren Grundrechte aufgenommen wurde.

Polizeirechtliche Befugnisse stehen als Mittel zur Abwehr unmittelbarer Gefahren i. S. des § 15 VersG zur Verfügung (BVerwG, NJW 1982, 1008; OVG Bremen, NVwZ 1990, 1188, 1189) und auch dann, wenn sie das mildere Mittel gegenüber den versammlungsrechtlich zulässigen Maßnahmen („Minusmaßnahmen“) sind, wie etwa die Anordnung, einen gewissen Abstand gegenüber Personen oder Sachen einzuhalten (BVerfG, NVwZ 2005, 80, 81).

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Für nicht öffentliche Versammlungen gilt das Versammlungsgesetz nur teilweise (z. B. §§ 3, 21, 23, 28 VersG). Ob im Übrigen die Vorschriften des Polizeigesetzes herangezogen werden können, ist umstritten, wird jedoch überwiegend im Grundsatz bejaht. Dann ist z. B. die Generalklausel (§§ 3, 1 Abs. 1) Rechtsgrundlage für ein Versammlungsverbot.

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Die Vorschriften des Polizeigesetzes finden uneingeschränkt Anwendung, wenn es darum geht, rechtmäßige Versammlungen vor externen Störungen zu schützen (VGH BW, NVwZ-RR 1990, 602, 603). Nur in absoluten Ausnahmefällen ist es zulässig, in derartigen Situationen die Versammlung selbst zu unterbinden (s. u. § 9, RN 5).

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Sofern das Versammlungsgesetz nicht selbst den Polizeivollzugsdienst zum Handeln ermächtigt (vgl. §§ 12, 12 a, 13, 18 Abs. 3), bestimmt sich die Zuständigkeit für Maßnahmen nach diesem Gesetz nach der Verordnung des IM über die Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz und hiernach sind grundsätzlich die Kreispolizeibehörden zuständig.

d) Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG)

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Die Befugnis, dieses (einheitliche) Grundrecht durch Maßnahmen aufgrund des Polizeigesetzes einzuschränken, wurde erstmals mit dem ÄndG 2008 geschaffen. Gleichzeitig nahm der Gesetzgeber mit § 23 a a. F. eine Norm auf, die es dem Polizeivollzugsdienst erlaubt, Verkehrsdaten der Telekommunikation zu erheben und technische Mittel einzusetzen, um den Standort eines Mobilfunkendgerätes sowie die Kennung eines Telekommunikationsanschlusses oder eines Endgerätes zu ermitteln oder Telekommunikationsverbindungen zu unterbrechen oder zu verhindern. Mit dem neuen PolG 2020 wurde dieser Bereich umfassend in den §§ 52–55 geregelt (s. u. §§ 52 ff.).

e) Recht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG)

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Freizügigkeit bedeutet die Möglichkeit, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, und damit das Recht, einen Ortswechsel (auch innerhalb einer Gemeinde) vorzunehmen oder zu unterlassen.

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Da Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Freizügigkeit vorbehält, ist die Aufnahme des Art. 11 in § 4 verfassungsrechtlich nicht ganz unproblematisch (str.). Auf jeden Fall setzen die Schrankenbestimmungen des Art. 11 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber enge Grenzen. Freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen sind z. B. die Einweisung in eine außergemeindliche Wohnung, der sog. Verbringungsgewahrsam, der Wohnungsverweis oder ein Aufenthaltsverbot (vgl. VGH BW, VBlBW 1997, 66, 67; 2005, 138, 140; VG Sigmaringen, VBlBW 1995, 289, 291). Eine Meldeauflage greift in das Recht auf Freizügigkeit ein, wenn sie auf die Meldung bei der eigenen Polizeidienststelle beschränkt ist (BVerwG, NVwZ 2007, 1439, 1441).

f) Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)

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Die nach Art. 13 Abs. 2 und 3 GG zulässigen Beschränkungen des Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung werden durch § 36 näher umschrieben. Einzelheiten siehe dort. Art. 13 GG wird auch durch den sog. Großen Lauschangriff (s. u. § 50, RN 1 ff.) berührt. Ein Wohnungsverweis (s. u. § 30) tangiert Art. 13 GG dagegen nicht, da durch diese Maßnahme zwar in das Besitzrecht, nicht aber in die Privatheit der Wohnung eingegriffen wird (str., a. A. VGH BW, VBlBW 2005, 138, 139; OVG NW, NJW 2002, 2195). Für Zimmer in einer Erstaufnahmeeinrichtung ist der Schutzbereich des Grundrechts in der Regel nicht eröffnet, da sie keine Wohnung i. S. des Art. 13 Abs. 1 GG sind, wenn das dafür erforderliche Mindestmaß an räumlicher Privatsphäre wegen der konkreten Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Nutzungsverhältnisses nicht gegeben ist (VG Stuttgart, Urt. v. 18.2.2021 – 1 K 9602/18). Der Durchsuchung einer Wohnung (s. u. § 36), in der zahlreiche Personen aus verschiedenen Haushalten unter Verstoß gegen die Kontaktbeschränkungen während der sog. Corona-Pandemie ein Fest feiern, steht Art. 13 GG nicht entgegen. Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Schutz vor den gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Folgen der Pandemie überwiegen, so dass die Eingriffsbefugnis Vorrang vor dem Grundrechtsschutz hat und der Eingriff in das Grundrecht gerechtfertigt ist (AG Bonn, Beschl. v. 28.3.2021 – 951 XIV(L) 95/21). Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken beim Einsatz von Körperkameras in Wohnungen s. u. die Anm. zu § 44 (dazu auch Nachbaur, VBlBW 2021, 55, 59 ff.).

g) Recht auf Eigentum (Art. 14 GG)

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Das Eigentum und seine Nutzung können in mannigfaltiger Weise durch polizeiliche Maßnahmen berührt werden.

Beispiele: Beschlagnahme und Einziehung einer Sache (§§ 38, 39), Abschleppen eines Kfz, Aufbrechen einer Wohnungstür, Anordnung, eine Hecke zu schneiden, Untersagung einer Tierhaltung, Stilllegung eines Fahrzeugs, Wohnungsverweis (s. u. § 30), unabhängig davon, ob der Verwiesene Eigentümer oder (Mit-)Besitzer der Wohnung oder des Hauses ist.

 

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Ein Störer (§§ 6, 7) hat diese Maßnahme entschädigungslos hinzunehmen, denn die dem Eigentum innewohnende Sozialgebundenheit verpflichtet auch dazu, Sachen in einem gefahrlosen Zustand zu halten. Für den Nichtstörer (§ 9) bedeuten jedoch Eingriffe in das Eigentum ein Sonderopfer, das gem. §§ 100 ff. zu einer Entschädigung verpflichtet.

3. Nicht genannte, durch das Polizeigesetz einschränkbare Grundrechte

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Obwohl nicht in § 4 genannt, da sie nicht dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 2 Satz 1 GG unterliegen, sind die folgenden Grundrechte durch Maßnahmen aufgrund des Polizeigesetzes einschränkbar.