Polizeigesetz für Baden-Württemberg

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§ 2 Tätigwerden für andere Stellen

(1) 1Ist zur Wahrnehmung einer polizeilichen Aufgabe im Sinne des § 1 Abs. 1 nach gesetzlicher Vorschrift eine andere Stelle zuständig und erscheint deren rechtzeitiges Tätigwerden bei Gefahr im Verzug nicht erreichbar, so hat die Polizei die notwendigen vorläufigen Maßnahmen zu treffen. 2Die zuständige Stelle ist unverzüglich zu unterrichten.

(2) Der Schutz privater Rechte obliegt der Polizei nach diesem Gesetz nur auf Antrag des Berechtigten und nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird.

Literatur: Kowalzik, Der Schutz von privaten und individuellen Rechten im allgemeinen Polizeirecht, 1987; Krüger, Privatrechtsschutz als Polizeiaufgabe, 1976; Martens, Der Schutz des einzelnen im Polizei- und Ordnungsrecht, DÖV 1976, 457; Schoch, Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht, Jura 2013, 468; Stephan, Die Zuständigkeitsverteilung im Bereich der Polizei in Baden-Württemberg, BWVPr. 1986, 145.

Inhaltsübersicht

1. Subsidiäre Zuständigkeiten

2. Tätigwerden für andere Verwaltungsstellen (Abs. 1)

3. Tätigwerden zum Schutz privater Rechte (Abs. 2)

1. Subsidiäre Zuständigkeiten

1

Der Polizei ist ein Handeln verwehrt, wenn andere Stellen mit der Aufgabe der Gefahrenabwehr betraut sind. Können diese jedoch nicht oder nicht rechtzeitig tätig werden, ist die Polizei unter den Voraussetzungen des § 2 subsidiär zur vorläufigen Gefahrenabwehr befugt. Darin zeigt sich ein weiteres Merkmal des Rechts der Gefahrenabwehr, das auch an anderen Stellen (§§ 112 Abs. 1, 2; 122 Abs. 2, 3) sichtbar wird: Gefahrenabwehr soll nicht unterbleiben müssen, weil die zuständige Stelle verhindert ist.

2

§ 2 begründet eine subsidiäre Not- oder Eilzuständigkeit der Polizei schlechthin. Ob im Einzelfall eine Zuständigkeit der Polizeibehörden oder des Polizeivollzugsdienstes gegeben ist und welche Behörde bzw. Dienststelle handeln darf, bestimmt sich nach den allgemeinen Zuständigkeitsregeln (§§ 105, 111 ff., 120 ff.). Häufig wird der Polizeivollzugsdienst zuständig sein, weil ein sofortiges Tätigwerden geboten ist.

2. Tätigwerden für andere Verwaltungsstellen (Abs. 1)

3

Abs. 1 begründet eine Eilzuständigkeit der Polizei für andere Stellen bei Gefahr in Verzug.

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Voraussetzung ist, dass eine andere Stelle nach gesetzlicher Vorschrift mit der Aufgabe der Gefahrenabwehr (§ 1 Abs. 1) betraut ist. Andere Stellen sind nichtpolizeiliche öffentliche Stellen, d. h. solche, die nur in geringem Umfang polizeiliche Aufgaben wahrnehmen oder die zwar auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr tätig, jedoch institutionell von der Polizei getrennt sind. Dazu zählen z. B. die Feuerwehr (vgl. §§ 1 Abs. 1 Satz 2; 2 Abs. 1 FwG), die Jugendämter (vgl. JuSchG, SGB VIII, § 26 LKJHG) und Beliehene auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr (vgl. z. B. § 29 Abs. 3 LuftVG, § 106 SeemannsG, § 50 FischG, §§ 29, 30 LJagdG). Auch das Landesamt für Verfassungsschutz ist eine andere Stelle (vgl. § 2 Abs. 2 LVSG). Zu beachten ist aber, dass diesem Amt keine polizeilichen Befugnisse zustehen (§ 5 Abs. 3 LVSG). Deshalb darf die Polizei im Eilfall auch keine Maßnahmen aufgrund des Polizeigesetzes treffen, zu denen das Amt selbst nicht befugt ist.

5

Polizeibehörden und -dienststellen des Bundes sind auch andere Stellen i. S. des Abs. 1. Dennoch ist eine Eilzuständigkeit nach Abs. 1 für den Polizeivollzugsdienst des Landes ausgeschlossen, weil die insoweit abschließende Regelung des § 124 für sein Tätigwerden im Zuständigkeitsbereich des Bundes eine ausdrückliche bundesrechtliche Grundlage (z. B. § 64 BPolG) voraussetzt. Gleiches gilt für die Nachrichtendienste des Bundes (Bundesamt für Verfassungsschutz, MAD und Bundesnachrichtendienst). Die in § 124 nicht genannten Polizeibehörden dürfen nur aufgrund einer Vorschrift des Bundesrechts im Zuständigkeitsbereich des Bundes handeln.

Andere Stelle ist auch die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk. Da diese ausschließlich technische Hilfe u. a. im Zivilschutz und bei der Bekämpfung von Katastrophen leistet und ihr auch keine hoheitlichen Befugnisse zustehen, dürfte eine Eilzuständigkeit der Polizei nach § 2 Abs. 1 praktisch kaum zum Tragen kommen.

6

Keine anderen Stellen sind die auf dem Gebiet der speziellen Gefahrenabwehr tätigen allgemeinen Verwaltungsbehörden, wie etwa Baurechts-, Wasser-, Katastrophenschutz- oder Straßenverkehrsbehörden (str., abhängig davon, ob der weite oder enge Polizeibehördenbegriff – siehe § 1, RN 4 – vertreten wird; wie hier VGH BW, VBlBW 1982, 407; Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, § 4, RN 13 ff.; a. A. Stephan/Deger, § 2 RN 4 ff.). Sie sind in dieser Funktion allgemeine Polizeibehörden (s. u. § 106, RN 4). Sind sie bei Gefahr in Verzug nicht erreichbar, ist subsidiär der Polizeivollzugsdienst nach § 105 Abs. 2 zuständig, nicht jedoch die sonstigen allgemeinen Polizeibehörden, und zwar auch nicht in analoger Anwendung des Abs. 1 (a. A. VGH BW, BWVBl. 1966, 28; VBlBW 1982, 407).

Keine anderen Stellen sind ferner nichtöffentliche (d. h. private) Stellen, die Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrnehmen, ohne dass ihnen hoheitliche Befugnisse zustehen. Dazu zählt z. B. der Rettungsdienst. Seine Aufgabe ist die Notfallrettung und der Krankentransport (§ 1 RDG). Träger des Rettungsdienstes sind die durch Vereinbarung beauftragten Organisationen (§ 2 RDG).

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Ein subsidiäres Handeln der Polizei ist nur bei Gefahr im Verzug erlaubt. Eine solche liegt vor, wenn (erstes Element) zur Verhinderung eines nicht unerheblichen Schadens sofort eingegriffen werden muss und (zweites Element) die an sich zuständige andere Stelle nicht oder nicht rechtzeitig erreichbar erscheint (VGH BW, VBlBW 1986, 308, 309). Letzteres wird im Gesetz – eigentlich überflüssigerweise – noch einmal ausdrücklich angesprochen. Die Nichterreichbarkeit kann sachlich bedingt sein, etwa weil der anderen Stelle die tauglichen Mittel zur Gefahrenabwehr fehlen, sie kann aber auch zeitlich bedingt sein, z. B. ist die andere Stelle nach Dienstschluss nicht besetzt oder sie kann nicht schnell genug handeln. Hat sich die andere Stelle entschieden, trotz Vorliegens der Eingriffsvoraussetzungen, nicht zu handeln, so ist auch der Polizei ein Handeln verwehrt. Nicht erforderlich ist es, dass objektiv eine Gefahr im Verzug vorliegt. Das Gesetz verlangt lediglich eine Situation, die aus der Sicht des Handelnden im Zeitpunkt des Einschreitens als solche „erscheint“. Die Entscheidung, nach Abs. 1 zu handeln, kann also nur dann (gerichtlich) beanstandet werden, wenn die Polizei vorwerfbar die Unaufschiebbarkeit polizeilicher Maßnahmen und/oder die Nichterreichbarkeit der anderen Stelle angenommen hat (vgl. VGH BW, NJW 1990, 1618, 1619). Missverständlich ist allerdings die Aussage des Gerichts, dem Polizeivollzugsdienst sei hier ein „Einschätzungsspielraum“ eröffnet, denn für die hier anzustellende Prognose gilt nichts anderes als sonst auch (s. o. § 1, RN 43).

8

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 1 vor, darf die Polizei die notwendigen vorläufigen, d. h. unaufschiebbaren Maßnahmen aufgrund des Polizeigesetzes treffen. Ein Rückgriff auf die rechtlichen Befugnisse der „anderen Stelle“ ist der Polizei also verwehrt (OLG Karlsruhe, VBlBW 1997, 193, 194).

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Nach Abs. 2 Satz 2 ist die zuständige Stelle unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB) über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Diese entscheidet nun über das weitere Vorgehen und darüber, ob die von der Polizei getroffenen Maßnahmen bestehen bleiben sollen. Werden im Rahmen der Unterrichtung personenbezogene Daten übermittelt, sind die §§ 59 ff. zu beachten.

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Streitig ist, ob die andere Stelle der Polizei die Kosten der bei Gefahr im Verzug getroffenen Maßnahmen zu erstatten hat. Einschlägige Rechtsgrundlagen sind nicht vorhanden und auch ein Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag entsprechend §§ 677 ff. BGB dürfte ausscheiden, weil die Polizei hier nicht „auftragslos“, sondern zur Wahrnehmung einer eigenen auf den Eilfall beschränkten Aufgabe tätig wird.

3. Tätigwerden zum Schutz privater Rechte (Abs. 2)

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Das polizeiliche Schutzgut Rechtsordnung umfasst auch die Privatrechtsordnung und damit alle privaten Rechte (s. o. § 1, RN 24). Zu ihrem Schutz sind allerdings in erster Linie die ordentlichen Gerichte (z. B. Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht) und deren Vollstreckungsorgane (z. B. Gerichtsvollzieher) berufen. Ein Einschreiten der Polizei ist deshalb auf den in Abs. 2 umschriebenen Notfall beschränkt.

 

12

Die subsidiäre Zuständigkeit nach Abs. 2 besteht nur hinsichtlich der Güter, die ausschließlich durch private Rechte, d. h. durch solche, die ihre Grundlage in der Privatrechtsordnung (BGB, Handelsrecht, Arbeitsrecht etc.) haben, geschützt werden. In den meisten praxisrelevanten Fällen werden gleichzeitig auch Normen des öffentlichen Rechts (Strafrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht, verwaltungsrechtliche Ge- oder Verbote) verletzt. Darf die Polizei auch zu deren Schutz präventiv tätig werden – das ist z. B. nicht der Fall, wenn die Straftat bereits beendet ist –, gilt Abs. 2 nicht, d. h. die Polizei ist ohne Weiteres zur Aufgabenwahrnehmung zuständig. Eine Prüfung der weiteren Voraussetzungen des Abs. 2 erübrigt sich dann.

Beispiele: Jemand hat sein Kfz vor einer fremden Garage abgestellt und sich entfernt. Damit wird nicht nur das privatrechtliche Besitz- und Nutzungsrecht an Kfz und Garage beeinträchtigt, gleichzeitig liegt auch eine noch nicht beendete Ordnungswidrigkeit nach § 12 LOWiG vor. Die Polizei ist ohne Weiteres zuständig, auf die Voraussetzungen des Abs. 2 kommt es nicht an (anders VG Freiburg, NJW 1979, 2060 zur früheren Rechtslage). Durch eine Hausbesetzung wird der privatrechtliche Herausgabeanspruch des Eigentümers (§ 985 BGB) verletzt. Gleichzeitig stellt sich die Hausbesetzung i. d. R. als nicht beendeter Hausfriedensbruch (§§ 123 ff. StGB) dar, sodass die Polizei, ohne dass die Voraussetzungen des Abs. 2 vorliegen müssen, zuständig ist.

Ballspielende Jugendliche haben eine Fensterscheibe der angrenzenden Wohnung des E eingeschlagen und sind im Begriff, davonzulaufen. Die von E verständigte Polizeistreife nimmt die Personalien der Jugendlichen nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 auf. Der objektive Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) ist hier bereits verwirklicht, eine weitere Begehung droht aber nicht, sodass zur vorbeugenden Verhütung einer Straftat nicht mehr eingeschritten werden kann. Die Personenfeststellung ergeht also nur zum Schutz privater Rechte (Sicherung des Anspruchs aus § 823 BGB), sodass die weiteren Voraussetzungen des Abs. 2 vorliegen müssen.

Werden Pressefotos ohne Einwilligung der Abgebildeten (Privatpersonen, Polizeibeamte) gefertigt, so ist deren Recht am eigenen Bild (§ 22 KunstUrhG) verletzt und damit ausschließlich ein privates Recht, sodass die Polizei die Beschlagnahme des Films nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 vornehmen darf (vgl. VGH BW, VBlBW 1995, 282, 283; VBlBW 2008, 375, 377, VGH BW, Urt. v. 8.5.2008 – 1 S 2914/07). Soll aber die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung solcher Fotos verhindert werden, geht es um die Abwehr einer Straftat (§ 33 KunstUrhG). Dann kann die Polizei ihre Maßnahmen treffen, ohne dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 geprüft werden müssten (OVG NW, DÖV 2001, 476; unzutr. VGH BW, VBlBW 2001, 102).

§ 2 Abs. 2 gilt auch dann nicht, wenn zwar ein privates Recht verletzt ist, sich aber daneben eine Zuständigkeit der Polizei aus anderen Gründen ergibt (VGH BW, Az: 1 S 915/2011).

Beispiel: Das rechtsgrundlose Verweilen in einer beschlagnahmten Wohnung nach Ablauf der Beschlagnahmefrist beeinträchtigt das Eigentumsrecht des Hauseigentümers. Dennoch ist die Polizei ohne Weiteres für Räumungsmaßnahmen zuständig, da sie die Folgenbeseitigungspflicht trifft (VGH BW, NJW 1997, 2832, 2833).

12a

Bei Verkehrsunfällen hat der Polizeivollzugsdienst in erster Linie unfallbedingte Gefahren abzuwehren und Verkehrsstraftaten und ordnungswidrigkeiten zu erforschen. Seine Zuständigkeit zum Schutz zivilrechtlicher Ansprüche beschränkt sich darauf, gegebenenfalls dafür Sorge zu tragen, dass jeder am Unfall Beteiligte seiner Verpflichtung aus § 34 Abs. 1 Nr. 5 StVO nachkommt. Hierfür müssen nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 geprüft werden, denn für eine entsprechende Weisung nach § 36 StVO ist der PVD ohne Weiteres zuständig. Für weitergehende Tätigkeiten zur Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche fehlt dem Polizeivollzugsdienst die Zuständigkeit, es sei denn, sie ist gesetzlich vorgesehen (z. B. § 34 Abs. 1 Nr. 7 StVO).

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Polizeiliches Einschreiten zum Schutz privater Rechte setzt einen formlosen Antrag voraus. Fehlt es daran, darf die Polizei nicht tätig werden. Der Schutz privater Rechte darf also weder aufgedrängt werden, noch ist es zulässig, einen mutmaßlichen Antrag zu unterstellen.

Beispiel: Fehlt im dritten Beispiel unter RN 12 der Antrag des Wohnungsinhabers, dürfen die Personalien der Jugendlichen nicht nach § 27 Abs. 1 Nr. 1, sondern allenfalls nach § 163 b StPO festgestellt werden.

14

Der Antrag ist vom Berechtigten, d. h. vom Inhaber des privaten Rechts zu stellen. Dieser muss die Inhaberschaft seines Rechts nicht beweisen, sondern lediglich glaubhaft machen. Keinesfalls ist es Aufgabe der Polizei, zweifelhafte Zivilrechtsfragen selbst zu entscheiden.

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Gerichtlicher Schutz kann nicht rechtzeitig erlangt werden. Das wird immer dann der Fall sein, wenn selbst vorläufige zivilgerichtliche Sicherungsmaßnahmen wie Arrest oder einstweilige Verfügung (§§ 916 ff. ZPO) zu spät kämen, aber auch dann, wenn die zivilrechtliche Durchsetzung des privaten Rechts mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist (vgl. VGH BW, VBlBW 1995, 282, 283).

Beispiel: Dem von einer Hausbesetzung betroffenen Hauseigentümer darf polizeilicher Schutz versagt werden, wenn er eine einstweilige Verfügung gegen die Besetzer erwirken kann. Diese Möglichkeit scheidet jedoch häufig aus, wenn er nicht in der Lage ist, die – häufig wechselnden – Antragsgegner zu bezeichnen (VG Berlin, NJW 1981, 1748; LG Hannover, NJW 1981, 1455; LG Krefeld, NJW 1982, 289; OLG Köln, NJW 1982, 1888).

16

Ohne polizeiliche Hilfe besteht die Gefahr, dass die Verwirklichung des privaten Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Berechtigte selbst in der Lage ist, auf zumutbare und legale Weise sein Recht durchzusetzen (vgl. die Notrechte §§ 859 f., 904 BGB; §§ 32 ff. StGB).

Beispiel: Ob der behinderte Garageninhaber (erster Beispielsfall unter RN 12) zunächst im Wege der Selbsthilfe (§ 859 Abs. 1 BGB) einen Abschleppunternehmer beauftragen muss, ist allerdings umstritten (VG Freiburg, NJW 1979, 2060, 2061; OVG Saarlouis, NZV 1991, 47).

17

Sind die Voraussetzungen des Abs. 2 gegeben, darf die Polizei grundsätzlich nur vorläufige Sicherungsmaßnahmen treffen, nicht also solche, die der endgültigen Durchsetzung des privaten Rechts dienen.

Beispiel: Zur Sicherung einer Schadensersatzforderung nach § 823 BGB dürfen die Personalien des Schädigers nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 festgestellt werden. Unzulässig wäre eine Anordnung, die Schadensersatzzahlung sofort vorzunehmen. Hierzu ist nur ein ordentliches Gericht berufen. Die Einziehung (§ 39) eines Films und die Anordnung seiner Vernichtung ist keine vorläufige Sicherungsmaßnahme zum Schutz einer möglichen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (VGH BW, VBlBW 1995, 282, 284).

Unter welchen Umständen der Bürger einen Anspruch auf polizeilichen Schutz seiner privaten Rechte hat, beurteilt sich nach allgemeinen Kriterien (s. u. § 3, RN 34). In keinem Fall vermittelt § 2 Abs. 2 selbst einen solchen Anspruch (vgl. VGH BW, NJW 1997, 1798 gegen VG Freiburg, NJW 1997, 1796, 1797).

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Ebenfalls dem Schutz privater Rechte dient die Sicherstellung nach § 37. Einen Antrag des Berechtigten setzt diese Maßnahme allerdings nicht voraus.

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Ob die Polizei für ihr Tätigwerden für den Einzelnen Kosten erheben kann, beurteilt sich nach den allgemeinen Regeln über den Polizeikostenersatz (s. u. § 127, RN 8).

ZWEITER ABSCHNITT Maßnahmen der Polizei
Erster Unterabschnitt Allgemeines
§ 3 Polizeiliche Maßnahmen

Die Polizei hat innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtmäßigem Ermessen erforderlich erscheinen.

Literatur: Arzt, Gefährderansprache und Meldeauflage bei Sport-Großereignissen, Die Polizei 2006, 156; Brucker, Präventivmaßnahmen gegen reisende Hooligans, NJW 2004, 1631; Butzer, Flucht in die polizeiliche Generalklausel?, VerwArch. Bd. 93 (2002), 506; Deger, Handlungsformen der Polizei gegen störende Ansammlungen, VBlBW 2004, 96; Frotscher, Der Schutz der Allgemeinheit und der individuellen Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht, DVBl. 1976, 695; Herzmann, Ausgangssperren auch in Deutschland?, DÖV 2006, 678; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983; Krahm, Polizeiliche Maßnahmen zur Eindämmung von Hooligangewalt, 2008; Kunze, Das System der Kompetenzverteilung zur Gefahrenabwehr in Baden-Württemberg, VBlBW 1995, 81; Martensen, Die Verjährung als Grenze polizeilicher Verantwortlichkeit, NVwZ 1997, 442; Möstl, Die dogmatische Gestalt des Polizeirechts, DVBl. 2007, 122; Nolte, Aufgaben und Befugnisse der Polizeibehörden bei Sportgroßveranstaltungen, NVwZ 2000, 147; Ossenbühl, Der polizeiliche Ermessens- und Beurteilungsspielraum, DÖV 1976, 463; ders., Verzicht, Verwirkung und Verjährung als Korrektive einer polizeilichen Ewigkeitshaftung, NVwZ 1995, 547; Pietzcker, Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, JuS 1982, 106; Rasch, Der Realakt insbesondere im Polizeirecht, DVBl. 1992, 207; Schlink, Die polizeiliche Räumung besetzter Häuser, NVwZ 1982, 529; ders., Korrektur von Gerichtsentscheidungen durch die Polizei?, NJW 1988, 1689; Schoch, Behördliche Untersagung „unerwünschten Verhaltens“ im öffentlichen Raum, Jura 2012, 858; ders., Rechtsschutz gegen polizeiliche Maßnahmen, Jura 2001, 628; Schucht, Die polizei- und ordnungsrechtliche Meldeauflage – Standortbestimmung und dogmatische Neuausrichtung, NVwZ 2011, 709; ders., Generalklausel und Standardmaßnahme, 2012; Stumpf, Die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche, NVwZ 2003, 1198; Trurnit, Eingriffsbefugnisse bei Veranstaltungen, Jura 2012, 365; Zöller/Ihwas, Rechtliche Rahmenbedingungen des polizeilichen Flugdrohneneinsatzes, NVwZ 2014, 408.

Inhaltsübersicht

1. § 3 als allgemeine Befugnisnorm

2. Polizeiliche Maßnahmen

a) Allgemeines

b) Rechtliche Schranken

c) Erforderlichkeit der Maßnahme

d) Polizeiverfügung

e) Realakt

f) Erlaubnis

g) Verwaltungsrechtlicher Vertrag

3. Polizeiliches Ermessen

a) Entschließungs- und Auswahlermessen

b) Bindungen des Ermessens, Ermessensfehler

c) Ermessensreduzierung

d) Intendiertes Ermessen

4. Anspruch auf polizeiliches Einschreiten

 

5. Verwirkung und Verjährung

6. Kosten für polizeiliche Maßnahmen