Polizeigesetz für Baden-Württemberg

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

4. Diskriminierungsverbot für EU-Empfänger und bestimmte Stellen (Abs. 3)

8

Die übermittelnde Stelle darf die Übertragung von personenbezogenen Daten an Empfänger in anderen EU-Staaten und an die in Abs. 3 aufgeführten Empfänger nicht an strengere Voraussetzungen knüpfen als diejenigen, die auch für entsprechende Übermittlungen im Inland gelten (Diskriminierungsverbot; ähnlich zuvor § 43 a Abs. 1 Satz 2 a. F.).

Zweiter Unterabschnitt Polizeiverordnungen
§ 17 (§ 10 a. F.) Ermächtigung zum Erlaß von Polizeiverordnungen

(1) Die allgemeinen Polizeibehörden können zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz polizeiliche Gebote oder Verbote erlassen, die für eine unbestimmte Anzahl von Fällen an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtet sind (Polizeiverordnungen).

(2) Die Vorschriften dieses Gesetzes über Polizeiverordnungen sind auch anzuwenden, wenn ein anderes Gesetz ausdrücklich zum Erlaß von Polizeiverordnungen ermächtigt.

Literatur: Enzensperger, Zulässigkeit und Grenzen behördlicher Bettelverbote im öffentlichen Raum, NJW 2018, 3550; Finger, Der „Freier“: Ein Störer im Sinne des Gefahrenabwehrrechts?, VBlBW 2007, 139; Gassner, Der gefährliche Hund – Maßnahmen der Ortspolizeibehörden in Baden-Württemberg auf dem Prüfstand, VBlBW 2011, 376; Kibele, Das Konstanzer Glasverbot und der Herdentrieb, VBlBW 2013, 88; Marsch, Ende einer kurzen Renaissance der Polizeiverordnung in Baden-Württemberg? Anmerkungen zu VGH BW, Urt. v. 27.7.2012 – 1 S 2603/11, VBlBW 2013, 15; Müller, Neues Muster für eine Polizeiverordnung, BWGZ 1999, 778; Schnelle, Eine Fehlerfolgenlehre für Rechtsverordnungen, 2007.

Inhaltsübersicht

1. Begriff und Rechtsnatur der Polizeiverordnungen

2. Adressaten der Generalermächtigung für Polizeiverordnungen

3. Inhalt der Generalermächtigung

4. Abstrakte Gefahr als Voraussetzung einer Polizeiverordnung

5. Bestimmtheit von Polizeiverordnungen

6. Adressaten von Polizeiverordnungen

7. Subsidiarität der Verordnungsermächtigung

8. Durchsetzung von Polizeiverordnungen

1. Begriff und Rechtsnatur der Polizeiverordnungen

1

§ 17 entspricht § 10 PolG a. F. und regelt Polizeiverordnungen, also Rechtsverordnungen, die polizeiliche Gebots- oder Verbotsvorschriften enthalten und die entweder aufgrund der Generalermächtigung des § 17 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 PolG oder aufgrund eines landesrechtlichen Spezialgesetzes erlassen werden, das ausdrücklich zum Erlass einer in der Ermächtigungsvorschrift als solche bezeichneten „PolVO“ ermächtigt (vgl. § 10 Abs. 2). Die Vorschriften des Zweiten Unterabschnitts (§§ 17-26) gelten nur für diese Verordnungen, nicht dagegen für andere Verordnungen, die inhaltlich der Gefahrenabwehr i. S. des Polizeirechts dienen. So gelten z. B. für wasserrechtliche Verordnungen aufgrund von § 28 Abs. 2 (s. dazu VGH BW, NVwZ 1988, 168), § 30 Abs. 2 und § 75 WG nicht die Vorschriften über PolVO, auch soweit sie gefahrenabwehrenden Charakter haben und von der Ortspolizeibehörde erlassen werden, weil die genannten Vorschriften nicht zum Erlass von „Polizeiverordnungen“ ermächtigen. Dasselbe gilt für Sperrzeitverordnungen der Gemeinden nach § 18 GastG i. V. m. § 11 GastVO (s. dazu VGH BW, NWwZ-RR 2001, 462).

2

Landesrechtliche Spezialermächtigungen zum Erlass von PolVOen i. S. d. Abs. 2 enthalten § 70 LWaldG für Regelungen über den Schutz der Waldbesucher und die Sicherung des Waldes und § 8 KurorteG für Regelungen gegen schädliche Umwelteinwirkungen in anerkannten Kur- und Erholungsorten. Dagegen hat § 15 Abs. 2 BestattG nicht die Bedeutung einer Ermächtigungsnorm, sondern stellt im Anschluss an § 15 Abs. 1 lediglich klar, dass für Bestattungsplätze, bei denen es sich nicht um Gemeindefriedhöfe handelt, die erforderlichen Regelungen durch PolVO, nicht durch Satzung getroffen werden können.

3

Eine PolVO kann sich gleichzeitig auf die Generalermächtigung des § 17 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 und auf eine der genannten Spezialermächtigungen stützen (s. auch § 20, RN 3 und § 26, RN 3u. 9). Dies gilt auch dann, wenn die Spezialermächtigung einer besonderen Polizeibehörde i. S. d. § 106 Abs. 2 erteilt ist. Diese kann dann gemeinsam mit einer nach § 21 zuständigen allgemeinen Polizeibehörde eine gemeinsame PolVO (s. § 21, RN 5 u. 6) erlassen.

Beispiel: Gemeinsame PolVO einer unteren Forstbehörde und einer Ortspolizeibehörde zur Abwehr von Gefahren bei der Benutzung einer Loipe oder einer Mountain Bike-Strecke, die teils im Wald, teils im freien Gelände verläuft (Rechtsgrundlagen: § 70 LWaldG und § 17 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 PolG).

4

Zulässig sind auch zusammengesetzte Verordnungen, in der Vorschriften einer PolVO mit denen einer allgemeinen Rechtsverordnung verbunden werden. Der in den Vorauflagen verwendete Begriff der Mischverordnung ist missverständlich. Der Erlass zusammengesetzter Verordnungen kann dann zweckmäßig sein, wenn die zusammengefasste Regelung eines einheitlichen Lebenssachverhalts die Heranziehung der polizeirechtlichen und gleichzeitig einer anderen Ermächtigungsgrundlage erforderlich macht. Für die jeweiligen Teile der Verordnung gelten allerdings unterschiedliche Verfahrensvorschriften (vgl. VGH BW, NVwZ 1988, 168).

Beispiel: PolVO und allgemeine Rechtsverordnung eines Landratsamtes als Kreispolizeibehörde und als untere Wasserbehörde zur Regelung des Bade, Surf- und Bootsbetriebs in bzw. auf einem See einschließlich des Verhaltens außerhalb des Uferbereichs (Rechtsgrundlagen: § 17 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 PolG und §§ 28 Abs. 2 und 30 Abs. 2 WG).

5

Da PolVOen eine besondere Art von Rechtsverordnungen sind, gelten für sie die allgemeinen Vorschriften und Rechtsgrundsätze über Rechtsverordnungen, soweit das PolG keine abweichenden Regelungen trifft. So richtet sich z. B. die Verkündung von PolVOen (s. § 20, RN 18) nach dem Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen. Für die Ausfertigung von PolVOen (s. § 20, RN 16 u. 17) gelten Art. 63 Abs. 2 VerfBW und die allgemeinen, von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Ausfertigung von Rechtsverordnungen und sonstigen Rechtsvorschriften.

2. Adressaten der Generalermächtigung für Polizeiverordnungen

6

Die Generalermächtigung zum Erlass von PolVOen nach § 17 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 ist den allgemeinen Polizeibehörden (§ 107) erteilt. Sie sind nach § 21 konkurrierend für den Erlass von PolVOen zuständig (s. § 21, RN 1). Ein Vorrang der Ortspolizeibehörden besteht beim Erlass von PolVOen, anders als bei der Wahrnehmung sonstiger polizeibehördlicher Aufgaben nach § 66 Abs. 2 (s. § 66, RN 3 u. 4), nicht. Ergeben sich bei dem Erlass von PolVOen durch die verschiedenen, konkurrierend zuständigen allgemeinen Polizeibehörden inhaltliche Widersprüche, so hat nach § 11 die von der höheren Polizeibehörde erlassene PolVO den Vorrang (s. § 11, RN 3) mit der Folge, dass die ihr widersprechende PolVO nichtig ist.

7

Die besonderen Polizeibehörden (§ 61 Abs. 2) können PolVOen oder sonstige Rechtsverordnungen nur erlassen, wenn ihnen die ihre Aufgaben und Befugnisse regelnden Spezialvorschriften eine Ermächtigung hierzu erteilen, z. B. § 70 LWaldG den Forstbehörden. Zum Erlass von PolVOen aufgrund der Generalermächtigung des § 10 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 sind sie nicht befugt.

3. Inhalt der Generalermächtigung

8

 

Der Inhalt der Generalermächtigung zum Erlass von PolVOen ergibt sich teils aus § 10 Abs. 1, teils aus § 1 Abs. 1, auf den § 10 Abs. 1 mit der Formulierung „Aufgaben nach diesem Gesetz“ Bezug nimmt. Beide Vorschriften zusammen bilden die Rechtsgrundlage für den Erlass von PolVOen nach dem PolG, die nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 in der PolVO anzugeben ist (s. § 12, RN 2).

9

Eine PolVO darf nach Abs. 1 ausschließlich Verbotsregelungen und Gebote aufstellen (VGH BW, VBlBW 2013, 27), also ein Verhalten untersagen (z. B. „Es ist verboten, verwilderte lebende Tauben zu füttern“: VG Freiburg, Urt. v. 27.5.2014 – 5 K 433/12) oder fordern (z. B. „Hunde sind in Grün- und Erholungsanlagen an der Leine zu führen“). Bei Nutzungsregelungen öffentlicher Einrichtung, z. B. von Spielplätzen, durch PolVO dürfen (negativ) bestimmte Nutzungszeiten verboten werden, es dürfen aber nicht umgekehrt (positiv) bestimmte ausschließliche Nutzungszeiten festgesetzt werden (VGH BW, VBlBW 2013, 27). Kennzeichnend für PolVOen ist, dass sich diese Gebote und Verbote nicht wie polizeiliche Verwaltungsakte (s. § 3, RN 10–16) an bestimmte Personen richten und auf bestimmte Fälle beschränken, sondern abstrakt und generell gefasst sind, also für eine unbestimmte Anzahl von Fällen gelten und an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtet sind (VGH BW VBlBW 2003, 31). Polizeilichen Charakter hat eine Gebots- oder Verbotsnorm dann, wenn sie der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung i. S. d. § 1 Abs. 1 dient.

10

Außer den Gebots- und Verbotsvorschriften kann eine PolVO im Rahmen des § 18 auch Bußgeldvorschriften enthalten. In diesem Fall muss auch § 18 Abs. 1 in der Eingangsformel als Rechtsgrundlage der PolVO angegeben werden (s. § 12, RN 2). Sonstige Sanktionsvorschriften, z. B. Strafvorschriften oder Vorschriften über die Verwaltungsvollstreckung durch Zwangsgelder o. Ä., darf eine PolVO nicht enthalten, da es an einer entsprechenden Ermächtigung fehlt. Sie kann jedoch auf solche Vorschriften hinweisen, sofern dadurch nicht der unzutreffende Eindruck einer eigenständigen, konstitutiven Regelung in der PolVO erweckt wird.

11

Zuständigkeitsregelungen können in PolVOen nicht getroffen werden. Die Zuständigkeit der Ortspolizeibehörden nach § 66 Abs. 2 kann nur durch Rechtsverordnung des fachlich zuständigen Ministeriums im Einvernehmen mit dem Innenministerium nach § 66 Abs. 1 eingeschränkt werden (s. § 66, RN 5). Daher kann z. B. eine Kreispolizeibehörde sich den Vollzug einer von ihr erlassenen PolVO nicht selbst vorbehalten. Auch die Bußgeldzuständigkeit der Ortspolizeibehörden nach § 18 Abs. 3 kann nur durch Rechtsverordnung des fachlich zuständigen Ministeriums nach § 18 Abs. 4 auf andere Behörden übertragen werden (s. § 18, RN 13). Daher kann z. B. ein Regierungspräsidium in einer von ihm erlassenen PolVO sich nicht selbst zur Bußgeldbehörde bei Zuwiderhandlungen gegen bußgeldbewehrte Vorschriften der PolVO bestimmen. Rechtsverordnungen nach § 18 Abs. 4 und § 66 Abs. 1 sind keine PolVOen i. S. d. § 10. PolVOen können aber die zu ihrer Durchführung erforderlichen Annexregelungen verfahrensrechtlicher Art enthalten, soweit keine gesetzlichen Vorschriften bestehen. So kann z. B. bestimmt werden, welche Unterlagen dem Antrag auf Erteilung einer in der PolVO vorgeschriebenen polizeilichen Erlaubnis beizufügen sind.

4. Abstrakte Gefahr als Voraussetzung einer Polizeiverordnung

12

Während die Rechtmäßigkeit eines polizeilichen Verwaltungsaktes und einer sonstigen polizeilichen Einzelmaßnahme mit Eingriffscharakter grundsätzlich vom Vorliegen einer konkreten Gefahr abhängt (s. § 3, RN 12), genügt für den Erlass einer PolVO eine abstrakte Gefahr. Eine solche liegt vor, wenn ein bestimmtes Verhalten oder eine Sachlage nach allgemeiner Lebenserfahrung regelmäßig und typischerweise zu konkreten Gefahren für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führt (VGH BW, VBlBW 1998, 428). Dabei hängt der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie dem Ausmaß des möglichen Schadens ab (VGH BW, VBlBW 2010, 29; 2008, 134). Bei besonders hochwertigen Rechtsgütern reicht es aus, dass sich der Eintritt einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht als ein so seltener und atypischer Kausalverlauf darstellt, dass ein unbefangener Beobachter mit dem Schadenseintritt nicht hätte rechnen müssen (VGH BW, BWGZ 2013, 77).

13

Konkrete Gefahr und abstrakte Gefahr unterscheiden sich nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (BVerwG, NVwZ 2003, 95, 96), da bei beiden Gefahrenarten der Eintritt eines Schadens für ein polizeiliches Schutzgut hinreichend wahrscheinlich sein muss (s. § 1, RN 42). Unterschiedlich ist vielmehr die zugrundeliegende Gefahrensituation, die entweder in einem konkreten einzelnen Fall real vorhanden ist oder in einer unbestimmten Zahl im Einzelnen nicht bekannter Fälle typischerweise besteht.

Beispiele: Hat ein Hund ein Kind gebissen und ist nach dem Verhalten des Hundes und seines Halters zu befürchten, dass der Hund weitere Menschen verletzt, liegt eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, die dazu Anlass geben kann, dem Halter aufgrund von § 3 i. V. m. § 1 Abs. 1 durch Verwaltungsakt der Ortspolizeibehörde den Leinen- und Maulkorbzwang für seinen Hund aufzuerlegen.

Zur Verhinderung der von Hunden generell ausgehenden – abstrakten – Gefahr für die menschliche Gesundheit und für andere Hunde kann durch PolVO angeordnet werden, dass Hunde in bestimmten Gebieten an der Leine zu führen sind (VGH BW VBlBW 2008, 134). Den Gefahren, die von verwilderten Haustauben für das Eigentum und die menschliche Gesundheit ausgehen, kann durch Anordnung eines Taubenfütterungsverbotes entgegengewirkt werden (VGH BW, VBlBW 2006, 103). Dagegen stellt das sog. stille Betteln keine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar (VGH BW, VBlBW 1998, 428).

14

Von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu unterscheiden sind Vorsorgemaßnahmen zur Abwehr möglicher Beeinträchtigungen im Gefahrenvorfeld; solche Maßnahmen sind durch § 10 nicht gedeckt (VGH BW, VBlBW 2002, 292; BWGZ 2013, 77).

15

Durch PolVO kann auch ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt eingeführt werden, wenn bestimmte potentiell gefährliche Handlungen nicht generell verboten, sondern nur im Einzelfall daraufhin überprüft werden müssen, ob sie – ggf. unter gefahrenausschließenden behördlichen Auflagen – polizeirechtlich unbedenklich sind. Ein Beispiel hierfür ist § 3 der PolVO des Innenministeriums und des Ministeriums Ländlicher Raum über das Halten gefährlicher Hunde vom 3.8.2000 (GBl. S. 574), der eine Erlaubnispflicht für das Halten von Kampfhunden eingeführt hat (zur Rechtsgültigkeit dieser PolVO s. VGH BW, VBlBW 2002, 292, und 2003, 354; zur Ungültigkeit der Vorgänger-PolVO von 1991 wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz s. VGH BW, NVwZ 1992, 1105).

5. Bestimmtheit von Polizeiverordnungen

16

Der Normgeber muss seine Regelungen so genau fassen, dass der Betroffene die Rechtslage, d. h. Inhalt und Grenzen von Gebots- oder Verbotsnormen in zumutbarer Weise erkennen und sein Verhalten danach ausrichten kann. Je intensiver dabei eine Regelung auf die Rechtsposition des Normadressaten oder von Dritten einwirkt, desto höher sind die Anforderungen an die Bestimmtheit im Einzelnen; besonders strenge Anforderungen sind daher insbesondere dann zu stellen, wenn Verstöße bußgeldbewehrt sind (VGH BW, VBlBW 2013, 27). Für die Frage, ob Vorschriften einer PolVO hinreichend bestimmt sind, kommt es auf die deutliche Erkennbarkeit des Verbotenen bzw. Gebotenen aus der Sicht der Betroffenen an.

Beispiele: Hinreichend bestimmt ist das Verbot, Hunde „innerhalb bebauter Ortslagen“ (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, DÖV 2007, 82), im „Innenbereich“ i. S. der §§ 30–34 BauGB (vgl. VGH BW, VBlBW 2008, 134) oder „in öffentlichen Grünanlagen“ frei laufen zu lassen (vgl. VGH BW, ESVGH 18, 19), zu unbestimmt dagegen das Gebot, Hunde „in der Innenstadt“ an der Leine zu führen, wenn der damit gemeinte Teil des Stadtgebiets in der PolVO nicht näher umschrieben wird. Zu unbestimmt ist auch das Verbot, sich auf öffentlichen Straßen, in öffentlichen Anlagen und Einrichtungen „nach Art eines Land- oder Stadtstreichers herumzutreiben“, da es zwar einen Kernbereich verbotenen Verhaltens erkennen lässt, aber keine hinreichend deutliche Abgrenzung zwischen verbotenem und zulässigem Verhalten ermöglicht (VGH BW, ESVGH 33, 268). Unbestimmt auch das Verbot des Alkoholgenusses, „wenn dessen Auswirkungen geeignet sind, Dritte erheblich zu belästigen“, da für den Normadressaten nicht erkennbar ist, ab wann der Alkoholkonsum sich belästigend auswirkt (VGH BW, VBlBW 2010, 33).

17

Das Bestimmtheitsgebot schließt es nicht aus, dass der Verordnungsgeber den Verbots- oder Gebotstatbestand mit Hilfe unbestimmter Rechtsbegriffe umschreibt, deren Inhalt im Wege der Auslegung bestimmt werden kann, wenn deskriptive Merkmale zur Umschreibung nicht ausreichen oder nicht zur Verfügung stehen. Jedoch müssen sich auch dann aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang der Regelung objektive Kriterien gewinnen lassen, die einen verlässlichen, an begrenzende Handlungsmaßstäbe gebundenen Vollzug der Norm gewährleisten; die Rechtslage muss für den Betroffenen trotz etwaiger Unklarheiten erkennbar bleiben (VGH BW, VBlBW 2013, 27).

6. Adressaten von Polizeiverordnungen

18

Adressaten der Gebots- oder Verbotsvorschriften einer PolVO können grundsätzlich nur die nach §§ 6 oder 7 polizeipflichtigen Personen sein, also die möglichen Verursacher (§ 6), die Eigentümer von Sachen oder die Inhaber der tatsächlichen Gewalt (§ 7), an die bei Vorliegen einer entsprechenden konkreten Gefahr ein polizeilicher Verwaltungsakt (s. § 3, RN 10) gerichtet werden könnte.

19

Die Inanspruchnahme Unbeteiligter kann eine PolVO nur unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 vorsehen, die hier allerdings nur selten zu bejahen sein werden; denn in der Regel werden polizeipflichtige Personen vorhanden sein, an die die erforderlichen Gebots- oder Verbotsvorschriften gerichtet werden können, oder die Polizei kann selbst die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr der (abstrakten) Gefahren treffen.

7. Subsidiarität der Verordnungsermächtigung

20

Die Ermächtigung zum Erlass von PolVOen nach § 10 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 ist – ebenso wie die Ermächtigung zu polizeilichen Einzelmaßnahmen nach § 3 i. V. m. § 1 Abs. 1 (s. § 3, RN 2) – subsidiär. Sie ist nicht anwendbar, soweit die Wahrnehmung von Aufgaben der Gefahrenabwehr oder der Erlass von gefahrenabwehrenden Rechtsverordnungen in Spezialgesetzen abschließend geregelt ist.

Beispiele: Vorschriften über die Abwehr von Gefahren beim Verkehr mit Lebensmitteln können nur auf die im Lebensmittelrecht enthaltenen Verordnungsermächtigungen (vgl. §§ 7, 13, 14, 34–37 LFGB) gestützt werden, nicht auf § 10 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 PolG. Vorschriften über öffentliche Versammlungen und Aufzüge können ebenfalls nicht durch PolVO erlassen werden, da insoweit das VersG eine abschließende Regelung trifft. Vorschriften über die Räum- und Streupflicht der Anlieger können nach § 41 StrG nur durch Satzung der Gemeinde erlassen werden. Damit ist der Erlass diesbezüglicher PolVOen ausgeschlossen (s. auch RN 2).

 

21

Die Generalermächtigung zum Erlass von PolVOen ist auch dann nicht anwendbar, wenn das einschlägige Spezialgesetz zwar keine Verordnungsermächtigung für bestimmte Vorschriften enthält, aber die polizeiliche Gefahrenabwehr in seinem Anwendungsbereich abschließend regelt und deshalb keinen Raum für eine ergänzende Anwendung der Generalermächtigung zum Erlass von PolVOen lässt.

Beispiele: Durch PolVO können keine Gebots- oder Verbotsvorschriften für den Verkehr auf öffentlichen Straßen erlassen werden, weil insoweit das Straßenverkehrsrecht eine abschließende Regelung trifft. Die Vorschriften des BImSchG sind abschließend für Anforderungen an Lärm emittierende Anlagen, sodass durch PolVO kein Verwendungsverbot für Maschinen und Geräte angeordnet werden kann, die „ruhestörenden Lärm“ verursachen (VGH BW VBlBW 1997, 346).

22

Das jeweilige Spezialgesetz kann Raum für eine ergänzende Anwendung des allgemeinen Polizeirechts lassen. Ob dies der Fall ist oder ob eine abschließende Regelung vorliegt, ist im Wege der Auslegung des betreffenden Spezialgesetzes zu ermitteln, soweit dieses hierzu keine (klarstellende) Regelung trifft. Solche Klarstellungen enthalten z. B. § 19 Abs. 1 Satz 2 KurorteG, § 14 LOWiG und § 6 der PolVO über das Halten gefährlicher Hunde (s. RN 14), die jeweils klarstellen, dass in ihrem Regelungsbereich die Generalermächtigung zum Erlass von PolVOen anwendbar bleibt.