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Siska van Roosemal

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Er ging mit seiner Schwester ein fluchwürdiges Bündnis gegen den ohnmächtigen Vater ein; sie ließen das elterliche Haus verkaufen und begannen unter seinen Augen das Wenige in Wohlleben durchzubringen, was nach Tilgung der Hypothekarschulden von dem Kaufpreise übrigblieb. Allmählich versank Meister Spinal in so tiefe Armut, daß seine Kleider und sein Äußeres Sie verrieten. Seine Ellenbogen Stachen durch die Armel; er sah lumpig und Schmutzig aus, denn er hatte sogar den Mut nicht mehr, die Verbergung seines Elends zu versuchen. Seine Kinder jedoch waren fortwährend schön gekleidet und führten mit ruchloser Unverschämtheit ihr üppiges Leben unter des Vaters Augen fort. Ohne Zweifel hatten Sie einen Teil des Geldes beiseite gebracht, um es für ihren Leichtsinn zu verwenden, und weigerten sich nun, entartet wie sie waren, ihrem Vater einen Teil davon zu geben.

An einem Sonntage, da Meister Spinal aus Scham über Seine zerrissenen Kleider nicht einmal zur Kirche zu gehen gewagt hatte, sondern daheim mit Tränen und gesenktem Haupte seinen Lebenslauf und die Bosheit seiner Kinder bedachte, trat ein junger Herr herein (ob er ein Schneider oder ein Edelmann, war an seinem Äußern nicht zu unterscheiden) und fragte nach Jules und Hortense Spinal. Er sah den betrübten Mann für den Knecht des Hauses an und sprach in gebrochenem Französisch zu ihm:

»Geh, Bursche, und Sag Herrn Jules und Fräulein Hortense, daß man mit der Abfahrt auf Sie warte.«

Als der erstaunte Spinal den Fremden regungslos anblickte, fuhr dieser ihn heftig an:

»Nun, wirst du mich bald anmelden, unverschämter Kerl!«

Diese Worte hatte er aus dem neuesten Sing-Spiel entlehnt, das man im Theater gab.

Da ward Spinal plötzlich totenbleich und erzitterte heftig; seine Augen schossen Strahlen auf den Eindringling; aber dieser, hierüber erbost, hob seinen Spazierstock in die Höhe und rief drohend:

»Halunke, ich prügle dich!«

Ein Wutschrei drang aus Spinals Brust; er sprang auf, ergriff einen Spannriemen, hieb den Fremden damit ins Gesicht und warf ihn auf die Gasse, bevor er noch Zeit gehabt, ein Wort zu sagen.



Dann, immer noch bebend, schloß er seine Haustüre zu und stieg die Treppe hinauf zu Seinen Kindern. Seit langem hatte er den Mut nicht mehr gehabt, ihnen den mindesten Verweis zu geben; jetzt aber, da Zorneswut ihn erfüllte, durfte er's wagen, ihnen die ganze Schändlichkeit ihres Betragens vorzuhalten. Er fand Sie in großer Toilette, mit Sonnenschirm und Spazierstock in der Hand, im Begriffe, wie Sie sagten, mit einer Gesellschaft eine Lustfahrt nach Brüssel zu machen. Die Verweise des Vaters waren Streng und bitter; allein diese gottvergessenen Kinder hörten Sie mit Verachtung an. Je mehr des Vaters Zorn sich steigerte, desto unverschämter gebärdeten sich die Kinder, und als Sie ihn einige Augenblicke ausgelacht, wünschten Sie ihm höhnisch guten Tag und wollten gehen.

Der Vater, durch dieses Übermaß des Frevels in blinde Raserei versetzt, sprang vor die Türe, um ihnen den Ausgang zu wehren und schrie:

»Ihr Schlangen, ihr! ist's euch nicht genug, mich an den Bettelstab gebracht zu haben, wollt ihr mich auch noch umbringen durch euren Spott! Nichts genug, daß ihr in schändlichem Wohlleben die Früchte meines Schweißes verpraßt, während ich als Bettler ohne Nahrung und Kleidung darbe! Nicht genug, daß ein unverschämter Stutzer mich für den Knecht meiner Kinder hält und mir ins Gesicht droht, daß er mich wie einen Knecht prügeln will! nicht genug, daß ich hier Hunger leide und bittere Tränen weine, während ihr eurem lockern Vergnügen nachrennt! – sterben soll ich wie ein Hund, nicht wahr? Von jedermann verachtet, und um euretwillen verabscheut, soll ich ins Grab sinken, ohne daß mein Tod auch nur ein einziges Gefühl von Trauer und Mitleid weckt! – Doch, es ist genug, das Maß ist voll! Ihr sollt nicht ausgehen; und wenn ihr nicht augenblicklich diese Prunkkleider ablegt, so will ich euch unter meinen Füßen zertreten, gleich Untieren, die ihr Seid!«

Ein schallendes Gelächter begrüßte des Vaters Zorn und überzeugte ihn, daß seine ruchlosen Kinder weder an seine Macht, noch an seinen Willen glaubten. Der Sohn Schritt übermütig auf die Türe zu und versuchte, seinen Vater mit Gewalt davon wegzudrängen.

Hier nun folgte eine Szene unnennbaren Frevels, deren Beschreibung uns widersteht.

Einige Augenblicke später gingen Jules und Hortense Spinal zum Hause hinaus; an der roten Gluthitze auf ihren Gesichtern und an der Mühe, womit Sie ihre verzerrten Kleider ordneten, konnte man deutlich abnehmen, daß sie von einer heftigen Balgerei herkamen; desungeachtet lachten sie spottend wie jemand, der über einen verächtlichen Feind gesiegt, und eilten schnellen Schrittes, ihre Reisegesellschaft aufzufinden, um sich den törichten Belustigungen der Hauptstadt hinzugeben.

Inzwischen war der unglückliche Vater bemüht, das Blut zu Stillen, das von seinem Gesichte herabrann.

*                   *
*

Einen Monat darnach, an einem Samstage, saß Vater Roosemal in seiner Hinterstube und schrieb Rechnungen aus seinem großen Buche. Seit mehr als einer Stunde suchte er hartnäckig nach drei Pfennigen, die ihm bei jedesmaligem Zusammenzählen fehlten. Seine Stirn glühte vor Eifer und sein Gehirn war schon betäubt geworden, als er in Verzweiflung ausrief:

»Nun, zum Henker, das heißt doch Suchen! Alle diese Posten, an den Fingern zusammengezählt, machen fünfundsechzig Gulden, acht Stüber und fünf Pfennige; und auf diesem verhexten Papier bringe ich nur zwei Pfennige heraus. Ich könnte wohl diese drei Pfennige fallen lassen und einbüßen; aber darum handelt sich's nicht; jedem das Seine, dann hat der Teufel nichts. Noch einmal gerechnet!«

In dem Augenblicke, da van Roosemal wirklich aufs neue Seinen drei Pfennigen nachzujagen begann, öffnete sich die Zimmertüre und es trat jemand leise herein. Der Krämer sprang überrascht von seinem Stuhle auf und betrachtete den Eintretenden aufmerksam, jedoch ohne ein Wort zu sprechen. Der Mann, der sich kaum zwei Schritte in die Stube hineinwagte, trug alle Zeichen des tiefsten Elends; mager, bleich, mit verwirrtem Haar, zerrissenen Kleidern und durchlöcherten Schuhen stand er da wie einer, der um ein Almosen fleht. Van Roosemal erkannte ihn anfangs nicht und betrachtete ihn mit forschenden Blicken. Unter Seinen Augen verfärbte sich der Mann und zwei Tränen schossen blinkend unter Seinen Wimpern hervor.



»Meister Spinal! was wollt Ihr von mir?« rief plötzlich der Krämer mit Mißtrauen. »Wenn Ihr wieder hierher kommt, um Geld von mir zu borgen, dann geht nur ruhig heim, denn ich bin nicht zu Haus für so was.«

Tränen in Menge quollen bei diesen Worten aus Spinals Augen.

»Meister van Roosemal,« schluchzte er, »ich komme nicht hierher, um Geld von Euch zu borgen oder zu begehren. Wüßtet Ihr, wie unglücklich ich bin, Ihr würdet mich nicht verstoßen; jedermann verachtet mich, und ich habe nicht einmal mehr den Trost, mit jemand von meinem Elend reden zu können. Ich habe Euch betrogen, van Roosemal, aber Ihr seid einst mein Freund gewesen; so verweigert mir doch auch jetzt wenigstens Euer Mitleid nicht!«

Mit Bestürzung horchte der Krämer auf die flehende Stimme Spinals; er begriff augenblicklich, daß er von ihm keinen Betrug mehr zu fürchten habe und daß unverstelltes schweres Elend den Mann getroffen, der lange sein vertrauter Freund und Bruder gewesen war. Der angeborne Edelmut gewann in seinem Herzen die Oberhand; seine Augen begannen sich mit Tränen zu füllen; er faßte Spinals Hand, rückte einen Stuhl herbei und sprach:

»Ihr seid unglücklich, Freund, ich sehe es! Wohlan, alles ist vergessen. Sitzt nieder und Sprecht, was kann ich für Euch tun? Fürchtet Euch nicht, ich werde Euch behilflich sein, koste es was es wolle.«

»Die einzige Wohltat, worum ich Euch bitte, ist, daß Ihr mir gestattet, Euch mein Unglück zu erzählen und meinen Schmerz auszuschütten in das Herz des einzigen aufrichtigen Freundes, den ich je gehabt habe. Viele Jahre habe ich Euch geflohen, van Roosemal; nicht, weil ich Euch nicht achtete und liebte, sondern weil ich mich schuldig fühlte und einem rechtschaffenen ehrlichen Manne nicht mehr unter die Augen treten durfte. Jetzt ist's mit mir so weit gekommen, daß ich mein Vaterland verlassen muß, um wie ein Landstreicher Scham und Not in der Fremde zu verbergen. Ich bin stolz genug, van Roosemal, zu glauben, daß Ihr mir vergeben werdet, bevor ich von hinnen gehe, um nie wieder den Ort meiner Geburt zu sehen.«

Diese Worte, im Tone des tiefsten Schmerzes gesprochen, rührten den Krämer sehr; er ergriff mit sichtbarer Teilnahme die Hand Spinals und Sprach:

»Unglücklich seid Ihr, ich zweifle nicht daran: aber Euer Vaterland verlassen, Spinal? Nein, nein! Verzweifelt nur nicht; – ich sehe wohl in meinem Geschäft jeden Pfennig zweimal an, weil es ohne Sorgfalt nicht geht; aber das kann mich nicht hindern, den besten Freund, den ich je gehabt habe, aus der Not zu retten, müßte ich auch darum ein großes Loch in mein Vermögen machen. Darum sprechet, Spinal, sprechet offen; Ihr werdet mir Freude machen, denn ich will Euch helfen.«

Ein Lächeln der Dankbarkeit glänzte auf des Schusters abgemagertem Gesicht, Tränen rollten über seine Wangen und mit gerührter Stimme sprach er: »Ich preise den guten Gott, daß er mir eingab, bei Euch meinen letzten Trost zu Suchen, van Roosemal. Seit einem Jahre ist dies mein erster freudiger Augenblick; dafür sei Euch gedankt! Aber merket nun auf meine Worte, und Ihr werdet selbst einsehen, daß es unmöglich ist, mir eine andere Hilfe als die eines freundlichen Mitleids zu schenken . . . Ihr wißt, welch törichter Sinn mich zur Nachäffung französischer Schwindelei hinriß; ich habe die vaterländischen Sitten und die flämische Redlichkeit ab geschworen, um mein Glück im Betruge zu Suchen; und ich wagte in diesem schlimmen Spiele die Früchte meiner früheren Mühen gegen einen falschen Schein. Das Sprichwort sagt die Wahrheit, Freund: Besser ein Vogel in der Hand, als sieben auf dem Dache. Hätte ich dies eingesehen! Aber zu meinem Unglück habe ich nicht bloß mich selbst dem Truge hingegeben, ich habe auch gewollt, daß meine Kinder aus dem Giftbecher der französischen Verbildung tränken. Dies ist die Ursache meines bittern Elends. Hätte ich meine Tochter Therese niemals in ein französisches Pensionat getan, So wäre ich noch Meister Spinal . . . Aber Ihr werdet blaß, van Roosemal, Ihr zittert!«

 

»Es ist nichts; fahrt nur fort. Ich dachte an unsere Siska, die auch in einem französischen Pensionat ist.«

»Laßt Sie heimkommen, van Roosemal! Ich beschwöre Euch, laßt Sie nach Hause kommen!« – Ihr werdet Sie bereits kaum mehr kennen.«

»Ihr habt vielleicht recht, Freund! Aber fahrt fort; ich will wissen, ob ich Euch nicht helfen kann.«

»Seht Ihr, van Roosemal, es blieb mir Verstand genug, um mich wieder mit heiler Haut herauszuziehen, sobald ich meinen nahen Fall vorausgesehen hätte. Aber in der französischen Bildung kennt man weder Väter noch Kinder. Ich war der Knecht und Sie die Herren; Sie haben gegessen, getrunken, gespielt, getanzt – bis alles auf war; und auch dann noch haben Sie in dieser Weise fortgeschwelgt, haben Schulden gemacht und alle meine liegende und fahrende Habe verkauft; und dabei mich als Narren und Gimpel behandelt und mich verspottet, wenn ich's wagte, ihnen mit guten oder bösen Worten zuzureden . . . Sie haben mich geschlagen, van Roosemal, geschlagen, daß mir das Blut über mein Angesicht rann . . . Ich bin krank geworden, und Sie haben mich ohne Pflege liegen lassen, als ob Sie meinen Tod wünschten!«

Hier schwieg Spinal; seine Stimme hatte bei den letzten Worten einen dumpfen Ton bekommen, der deutlich verriet, wie das Erzählen dieser Tat seine Brust beklemmte. Auch der Krämer Schwieg; er konnte nicht glauben, was er hörte.

»Und nun,« fuhr Spinal fort, »da mein Haus leer ist, als hätte niemals wer darin gewohnt, da Sie alles weggeschleppt haben, selbst die Decke von meinem Bett, jetzt sind sie fortgezogen. Meine Tochter, die ich so lieb hatte und trotz ihrer schlechten Aufführung noch liebe, meine Therese läuft in Brüssel mit einem Schauspieler herum . . . Mein Sohn Johann, Euer unglücklicher Pate, ist nach Paris zurück. Was mich betrifft, Freund van Roosemal, ich muß das Land meiden; wer mir begegnet, ist mein Gläubiger und zeihet mich des Betrugs oder Bettels. Mit dem Unglück ist mir das Ehrgefühl wiedergekehrt; ich kann nicht so leben . . . und wie könnte ich's ändern? Niemand gibt mir Arbeit; von den andern Meistern will mich keiner als Gesellen aufnehmen: ich habe nichts zu essen, keine Decke auf meinem Lager; keine Kleider; mein verkauftes Haus ist an andere vermietet; ich muß es übermorgen verlassen. Ach, van Roosemal, ich wollte hoch fliegen, und bin leider tief gefallen: Ihr Seht es!«

Van Roosemal hatte dem Berichte seines Freundes mit Aufmerksamkeit und mit feuchten Augen zugehört, als dieser nun Schwieg, rief er fast verdrießlich:

»Aber, Spinal, ich weiß nicht, warum Ihr mir verschweiget, was ich zu wissen verlange. Ihr sagt, daß Ihr außer Landes müßt; dies ist mir nicht einleuchtend. Ein echter Freund kann viel tun, wenn er will. Laßt hören, wie hoch beläuft sich Eure Schuld?«

»Ich verstehe Euch!« rief Spinal verwundert aus. »Aber ich werde es nicht zugeben. Glücklich genug, daß ich noch einen Menschen finde, der mich seiner Hilfe würdig achtet. Laßt mich fortgehen, van Roosemal; ich will arbeiten wie ein Sklave; und kann ich auch nicht alles, was ich schuldig bin, bezahlen, bevor ich die Welt verlasse, so soll mir doch der gute Wille nicht gefehlt haben. Reicht mir die Hand zum tröstenden Abschied und betet zuweilen für meine Kinder, Freund!«

Plötzlich schien der Krämer sein Vorhaben aufzugeben, er stand von seinem Stuhle auf und sagte:

»Wenn Ihr nicht wollt, dann kann ich nicht helfen. Aber Ihr werdet mir doch einen Abschiedstrunk nicht ausschlagen; ich habe noch eine gute Flasche vom Jahre elf in meinem Keller. Sitzet nieder, Spinal, nur den Mut nicht verloren, es läuft im Jahre viel Wasser durch die Schelde; ein Unglück kommt schnell, aber auch das Glück kommt unverhofft. Gott weiß es; Ihr dürft nicht verzweifeln. Sitzet nieder!«

Mit diesen Worten lief er zum Keller und kam nach wenigen Augenblicken zurück, setzte zwei Römer auf den Tisch, schenkte Sie voll bis an den Rand und sagte:



»Kommt, Spinal, wenn's denn doch fortgereist sein soll, auf Euer Wohl! Ein gutes Glas, nicht wahr? Nun, da Ihr doch auf keinen Fall meine Hilfe annehmen wollt, so sagt mir wenigstens, wie hoch sich wohl Eure Schuld beläuft, und wie Ihr Sie zu bezahlen denkt. Mit Handarbeit gewinnt man nicht viel, wenn man keinen Handel treibt, das wißt Ihr wohl.«

»Ja, das weiß ich freilich; und das Unmögliche kann man nicht vollbringen. Aber zur Beruhigung meines eigenen Gewissens will ich mir das Brot vom Munde weg sparen, um jährlich etwas von meiner Schuld zu tilgen, und wer weiß, falls Gott mir ein langes Leben verleiht, ob es mir nicht doch vielleicht gelingt, mich ganz Schuldenfrei zu machen; denn Sechshundert Gulden können doch wohl in zwanzig Jahren groschenweise zusammengespart werden.«

»Sechshundert Gulden, sagt Ihr? holländische Gulden?«

»Nein, brabantische. Ich bin viel mehr Schuldig gewesen; aber da mein Haus verkauft ward, hat jeder Gläubiger ein Stück davon zu erhaschen gesucht.«

»Sechshundert Gulden brabantisch – ohne Stüber und Pfennig?«

»Sechzehn Stüber, Sieben Pfennige. Ihr Seht, daß ich meine Rechnung auswendig weiß.«

»Trinken wir noch einmal, Spinal! – Ja, es ist allerdings möglich, diese Summe zu verdienen; und Eure Kinder werden sich wohl auch noch bessern; ein jeder ist jung oder ist's einmal gewesen, Spinal; der Verstand kommt nicht vor den Jahren, sagt das Sprichwort. Ich Sehe, daß wir bei unserm Wein nichts zu nagen haben. Einen Augenblick, ich will ein paar Bretzel holen.«

Meister van Roosemal blieb Sehr lange aus, länger als nötig ist, um so etwas zu holen. Endlich zurückkehrend setzte er eine Schüssel mit Bretzeln auf den Tisch und sprach in ernsthaftem Tone zu dem betroffenen Schuster:

»Spinal! wir sind zusammen aufgewachsen als Nachbarskinder; Euer Vater war der beste Freund meines Vaters; wir haben zusammen gespielt und bis in die vierzig Jahre sind wir wie Brüder unzertrennlich gewesen; Ihr waret nie mein Feind, sonst hättet Ihr mir Euer Unglück wohl nicht erzählt; ich blieb immer Euer Freund, sonst würde Euer Elend mir nicht die Tränen aus den Augen pressen. Demnach habe ich das Recht, Euch in Eurer Not beizustehen und Euch wenigstens einiges Geld für Eure Reise zu leihen. Weil aber gute Rechnungen die besten Freunde machen, so verlange ich, daß Ihr mir einen Empfangsschein ausstellet für das Geld, das ich Euch borge. Seht, hier ist ein solcher Schein; unterschreibt ihn wie er lautet, ohne ihn zu lesen. Ich gebe nicht zu, daß Ihr mit fünf oder zehn Gulden auf die Reise gehet und Not leidet; und um Eurerseits keinen Widerspruch zu verursachen, bitte ich Euch als Freund, macht mir die Freude und unterschreibet ungesehen!«