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König Oriand

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»O fürchte nicht, Mutter; ich soll, ich will streng und stark sein. Bleibt sie hartnäckig, so giebt es keine Gnade mehr für sie.«

Ein Geräusch ließ sich hören.

»Sei Mann, mein Sohn, und waffne dich gegen die Verführung,« murmelte Mattabruna. »Die Zauberin naht!«

Da erschien mit langsamen Schritt und zögernd das unschuldige Schlachtopfer in der Thüre des Saals. Sie war noch blaß und mager, doch schien sie nicht mehr krank.

Ein langes Kleid von grober Leinwand, ohne irgendwelche Verzierung fiel ihr vom Hals bis auf die Füße; ein Strick war ihr Gürtel. Weil man ihr nicht die Zeit gelassen hatte, ihr reiches blondes Haar in Flechten zu binden, so fiel es nun wie ein seidener Mantel ihr über Rücken und Schultern.

Ein erstickter Schrei entfuhr ihr; sie schaute zum Himmel und flüsterte:

»Dank, o Gott, daß meine Augen ihn noch einmal auf Erden sehen können!«

Und dann trat sie langsamen Schritts dem Tische näher, welchen sie wie einen Richterstuhl anschaute, von wo sie nichts zu erwarten hatte, als ein Todesurtheil.

Oriand zitterte; er war ihrem Blick begegnet und durch den mächtigen Eindruck desselben ergriffen, hatte er das Haupt gebeugt. Seine Brust arbeitete so stark, daß man sein Herzklopfen hören konnte.

»Herr König,« sagte Beatrix mit lieblicher Gelassenheit, »Ihr habt Euch gewürdigt, den Stein aufzuheben von dem Grabe, worin ich auf ewig zu ruhen meinte. Habt Dank! Noch einmal darf ich Euch anschauen; der äußerste Wunsch meiner Seele ist erfüllt. Befehle nun mein Herr und Gebieter über das Schicksal seiner niedrigen Dienstmagd.

Der tiefbewegte Fürst erlag bereits bei den ersten Klängen ihrer Stimme.

»Beatrix, ach Beatrix! rief er, »habe Mitleiden mit deinem armen Oriand!

Aber eine Gebehrde des Vorwurfs und ein warnendes Wort seiner Mutter rief ihm feine Lage und seine Pflicht ins Bewußtsein.

»Unendlich ist mein Mitleiden,« antwortete die Königin. » O ja, mein Herz ruft unaufhörlich, daß ich die unglücklichste von uns Beiden nicht bin. Ich nehme das Schicksal an, das der unergründliche Wille des Herrn mir auflegt . . . und doch, ich trauerte in meinem Kerker nicht über mein Leiden – das wird mir im Himmel vergelten werden – sondern weil ich fühle, Herr König, wie Euer großmüthiges und liebendes Herz zerrissen sein muß!«

»Wohlan, wohlan, Beatrix, heile mein bitteres Weh!« seufzte Oriand flehentlich.

»Sprecht, Herr König; besäße ich tausend Leben, ich gäbe sie allzumal, nur Euch einen Tag Kummer zu ersparen.«

Mattabruna stieß ihrem Sohn an den Arm; aber er achtete nicht darauf und sagte:

»Beatrix, es giebt ein Mittel, um dich und mich aus dem düstern Abgrund des Schmerzes zu retten. Friede, Liebe, Seligkeit auf Erden sind noch möglich für uns. Nimm die Hilfe eines Priesters an, bekenne deine schreckliche Verirrung, entsage den höllischen Geistern. Wir werden zusammen nach Rom reisen und der Papst wird dich reinigen nun allem Schmutz der Sünde!«

Die Königin sah ihn betroffen an und schüttelte schweigend den Kopf.

»Wehe, wehe, du weigerst dich? schrie er. Du bleibst hartnäckig im Bösen? Fürchtest du nicht, Sinnlose, daß deine Hartnäckigkeit alles Mitleid in mir ersticke?«

»Ihr wünscht, daß ich mich schuldig bekenne, Herr König? Ihr verlangt das Einzige, was ich nicht vollbringen kann. Soll das fleckenlose Opferlamm gehen und bekennen, daß es den wilden Wolf an Bosheit übertrifft? «

»Also du willst deine Missethat nicht beichten?«

»Welche Missethat?«

»Daß du eine Zauberin bist.«

»Ich bin Christin, ich habe Gott lieb, und die Gewißheit, daß er meine Marter mir anrechnen wird, erhebt mich über die schnöde Verläumdung.«

Oriand, durch ihre kalte Zurückweisung gefoltert, fuhr auf seinem Sessel hin und her; er rang sichtbar gegen den Jöhzorn, der in seinem Busen aufflammte. Noch einmal rief er in schmerzlich flehendem Tone:

»O Beatrix, sei besser berathen; entreiße meiner bedrängten Seele diese Hoffnung nicht! Gestehe, daß du schuldig bist und dem Bösen entsagen willst!«

»Ihr irrt, Herr König, ich bin unschuldig,« antwortete sie.

Beatrix schaute den heimlich murrenden und grollenden König mit traurigem Mitleiden an.

»Armer Oriand!« seufzte sie, »Euer Loos ist härter als das meine. Ich wußte es, und ich habe in meinem Kerker Gott unaufhörlich gebeten, daß er Euer schweres Leid mildere.«

In des Königs Augen schimmerten Thränen.

Mattabruna, die auf seinem Gesicht seinen Gemüthsbewegungen nachspähete, urtheilte, es wäre Zeit, den Zauber zu brechen, der ihn zu überwältigen schien. Sie nahm darum das Wort und sagte:

»Mein Sohn, laß mich einen Versuch bei ihr machen . . . Beatrix, wir sind hierhergekommen um dich zu erlösen, um dir die Freiheit und das verlorene Glück zurückzuschenken; aber das ist uns unmöglich, wenn du dich weigerst, deine Sünde zu beichten und zu bekennen. Die ganze Welt ist überzeugt, daß du eine Zauberin bist. Was kostet es dir, dieß zu bekennen? Die Vergebung wird dir angeboten.«

»Ich bin unschuldig, wie ein neugeborenes Kind,« antwortete die Königin.

»Wie erklärst du denn die geheimnißvolle Macht deines Blicks?«

»Meine Augen sind der Spiegel meiner Seele; Gott hat sie so gemacht.

»Dieß ist keine Antwort, meine Tochter; du mußt aufrichtig sein und uns nicht betrügen. Hat man nicht, viele Monate hindurch, allerlei Gestalten und Nachtgespenster, in deine Kammer aus- und eingehen und fliegen gesehen?«

»Ich hab es sagen hören.«

»Aber jedermann hat es gesehen?«

»Jedermann? Es ist möglich; ich allein nicht.«

»Aber es giebt gleichwohl etwas, das du nicht leugnen kannst, etwas, das Alle mit Recht anschauen als eine Strafe des Herrn, als eine Offenbarung deines schuldigen Lebens. Das ganze Land hoffte auf einen Erben der Krone, und was schenkte die Hölle meinem armen Sohn? Eine gräßliche Mißgeburt! Sprich, was hast du zu sagen zur Erklärung eines so grauenvollen Geheimnisses?«

»Daß man Spukgestalten und Nachtgespenster um den Palast hat herum irren sehen, das ist möglich, weil so viele Leute es bezeugen,« antwortete Beatrix sehr gelassen. Ich weiß jedoch keine Erklärung dafür zu geben. Aber was die Thatsache von der Mißgeburt anbelangt, so sehe ich das als einen schnöden Betrug an.«

»Unverschämte, was willst du sagen?« polterte Mattabruna, erschreckend.

»Mutter, gedenke, wie ich, an jenem Tage selbst, vor dir versicherte, den ersten Schrei meines Kindes gehört zu haben. Du machtest mich glauben, daß ich in meiner Fieberphantasie so etwas geträumt hätte; aber in der langen Einsamkeit meines Kerkers ist meine Seele auf der Bahn meines Lebens bis dahin zurückgegangen und sie hat die undeutliche Erinnerung in voller Frische wieder erneuert. Ich erkläre hier vor Gott und vor dem König, meinem Herrn, mit fester Ueberzeugung, daß wirklich der erste Schrei meines Kindes in mein Ohr geklungen ist.«

»Unerhörte Bosheit! brummte Mattabruna. Du willst den König also glauben machen, daß man dein Kind geraubt hat?«

»Bedrohe mich mit dem schrecklichsten Tode; lügen kann ich nicht. Meine Antwort auf deine Frage ist: ja, man hat mein Kind weggenommen.«

»Wer?«

»Das weiß ich nicht.«

»Die Frau« welche dir beistand, ist nicht lebendig aus deiner Kammer gekommen. Niemand sonst als ich war dort gegenwärtig. Verbrennt diese schmutzige Verläumdung deine Lippen nicht? Du willst sagen, daß ich dein Kind geraubt habe?«

»Nein, nein! Aber jemand doch hat es gethan! stammelte Beatrix.

Mattabruna schlug ihre Arme um des Königs Hals und schrie unter Thränen des Hasses und des Zornes:

»Mein Sohn, mein Sohn, sie zeihet mich vor dir einer abscheulichen Missethat! Die arglistige Zauberin hofft durch des Teufels Eingebung dich zu einem Muttermord anzutreiben! Hältst du mich für schuldig, sieh hier meine Brust; durchbohre mir das Herz! Wo nicht, so vertheidige deine tiefbeschimpfte Mutter!«

Oriand sprang auf, eilte nach der Thür des Saales und rief:

»Es ist zu viel! Das Maaß ist voll! Sie muß sterben. Kastellan, Kastellan!«

Er stampfte gewaltig auf die Erde und fragte den Obersten der Wache, der auf seinen Ruf im Saale erschien:

»Habt Ihr hier einen Mann, der geeignet ist, das Henkeramt auszuüben?«

»Sicher, Herr König; jedermann ist bereit, Euren geringsten Befehl zu vollziehen.«

»Wohlan, laßt ihn kommen . . . Nein, nein; es muß mit mehr Feierlichkeit geschehen. Das ganze Land soll sehen, wie König Oriand sich rächet für die abscheulichste Missethat. Richter soll sie haben; öffentlich soll sie büßen . . . Sendet die Zauberin zurück nach ihrem Kerker; Ihr bleibt mit Eurem Haupte für sie verantwortlich.«

Die drohende Faust der Königin zeigend, rief er:

»Sinnlose, du hast es gewollt! In die Wahl gestellt zwischen Gott und seinem Feinde, zwischen deinem unglückseligen Gatten und dem bösen Geiste, wählst du Luzifer. Gut denn, durch das Feuer sollst du zu ihm gehen . . . Komm, Mutter, entfliehen wir dieser verfluchten Stätte!«

Mattabruna folgte ihrem Sohne, drehte jedoch an der Thür noch einmal den Kopf nach Beatrix um und warf ihr einen Blick zu, voll Bedrohung und flammend von triumphierendem Haß.

X

Während Beatrix zwischen den Mauern ihres Gefängnisses traurige Tage zubrachte, in Erwartung eines grausamen und schimpflichen Todes, lebte Helias, ihr Kind, im Walde-ohne-Gnade und wuchs neben dem Klausner auf, ohne zu wissen, daß er auf einem Königsthron geboren war.

Zu dem Zweck, seinem Pflegesohne einen schöneren Thron im Himmel zu bereiten, erzählte der Klausner ihm unaufhörlich von Gott und suchte, so viel als möglich, ihn die meisten Tagesstunden im Gebet oder in geeigneter Beschäftigung zubringen zu lassen; wie sehr aber auch Helias den Herrn fürchtete, er konnte doch dem Drange seines ritterlichen und mannhaften Blutes nicht widerstehen.

 

Das Bewegen seiner Glieder in der freien Luft, das Umherlaufen im Walde, das Verfolgen von Kaninchen und andern kleinen Thieren, das war seine Lust und sein Vergnügen. Er hatte sich sogar aus Mangel an andern Waffen einen Knotenstock und einen Bogen gemacht, und wußte schon einen fliegenden Vogel in der Luft zu treffen.

Von größeren wilden Thieren hatte er nichts zu fürchten; denn diese hatte der muthige Wolfshund seit langem aus der Umgegend verjagt, und der treue Bold begleitete außerdem seinen jungen Freund und Gebieter überall.

Eines Tages, als Helias wieder im Walde herumschweifte, hörte er plötzlich eine ihm unbekannte Vogelstimme so süß und so wunderbar, daß er tief davon ergriffen wurde. Erst lauschte er träumerisch auf das schallende Lied, doch trieb ihn die Neugier zum Aufsuchen des verführerischen Sängers.

Nachdem er einige Zeit vergebens durch Busch und Gesträuch der Stimme gefolgt war, die sich jedesmal aufs Neue von ihm entfernte, bemerkte er endlich auf dem höchsten Zweige einer Buche einen Vogel, so groß wie eine Turteltaube, aber mit rothen, blauen und gelben Federn, als hätte sich das arme Thier aus dem Sonnenland nach diesen weniger milden Gegenden verirrt.

Eben hatte Helias mit klopfendem Herzen den schönen Vogel besehen und bewundert, als dieser die Flügel aufspannte und über den Bäumen in der Luft verschwand.

Ein Seufzer der Trauer entfuhr dem Kinde . . . aber da erklang wieder das verlockende Lied in der Ferne, als riefe der Vogel einen zurückgebliebenen Gefährten.

Helias folgte dem Rufe; und der Vogel flog jedesmal weiter, so lange bis der Knabe, vor Ungeduld erzürnt, einen Pfeil auf seinen Bogen legte, um den neckenden Sänger zu treffen.

Aber da hörte er, daß Bold, sein treuer Hund, durch ein dumpfes Gebrumm ihn von einer nahenden Gefahr benachrichtigte.

Er wendete seinen Blick nach der Richtung, die ihm der Blick des Hundes bezeichnete, und sah in der Ferne etwas, das ihn vor Ueberraschung den Pfeil aus der Hand fallen ließ.

Es schien ihm ein Mensch zu sein von riesenhafter Gestalt, mit einem silbernen Leib und auf vier Beinen gehend, wie ein Thier.

Erst erschreckte diese fremdartige Erscheinung sein kindliches Gemüth und er sah schon nach dem danebenstehenden Gebüsch, um der unbekannten Erscheinung aus dem Wege zu gehen; aber als sie sich etwas mehr genähert hatte und er sie gut unterscheiden konnte, begann er zu erwägen, was sein Vater, der Klausner, so oft ihm erzählt hatte von Rittern und Helden, die auf dem Rücken eines Thiers sitzend, das man Pferd nannte, in den Turnierschranken kämpften oder zu Felde zogen.

Was er sah, war also ein Ritter; das schimmernde Silber auf seiner Brust war ein Panzer, das flammende Gold auf seinem Haupt ein Helm; und der weiße Vogel, der mit aufgespannten Flügeln diesen Helm bekrönte, das Bild eines wilden Schwanes, so wie des Winters Viele auf den Teichen herumschwammen.

Die Ueberzeugung, daß er sich nicht täuschte, beruhigte Helias; ja, er fühlte eine geheime Neigung, dem Ritter entgegenzugehen und ihn in der Nähe zu besehen; denn sein Vater hatte ihm doch so viel wundersames gesagt ’von ihrem edlen Muthe und von ihrer Hochherzigkeit!

Ein Gefühl von Ehrfurcht hielt ihn jedoch zurück und er blieb, vor Neugier zitternd, am Saume der niedrigen Gebüsche stehen.

Als der Ritter mit langsamem Schritt bis auf eine geringe Entfernung sich genähert hatte, hielt er sein Pferd an und schaute verwundert nach dem Kinde, das ganz in Kaninchenfelle gekleidet, in der Hand einen schweren Knotenstock, nach ihm hinsah. Das Thier, das dort auf den Hinterpfoten saß, war ohne Zweifel ein Wolf, und dieses Kind mußte ein junger Wilder sein, vielleicht seit seiner Geburt im Walde verloren und von einer Wölfin aufgezogen. Man hatte so etwas schon gesehen, wenn man den Geschichten, welche man davon erzählte, glauben durfte. Es würde ein verdienstliches Werk sein, meinte der Ritter, diesen jungen Wilden, der wahrscheinlich Gott nicht kannte, unter die Menschen zu bringen und ihn als Christen taufen zu lassen.

Er winkte dem Kinde, und zu seiner Ueberraschung kam es mit einem frohen Lächeln auf dem Gesicht zu ihm gelaufen.

»Wer bist du, mein Freund?«

»Ich bin Helias, des Klausners Helias! war die Antwort.«

»Und du wohnst im Walde-ohne-Gnade?«

»Dort in der Ferne hinter diesem Hügel . . . Und Ihr, Herr, nicht wahr? Ein edler und unverzagter Kriegsmann; Christus, dessen treuer Diener Ihr seid, gebe Euch immer Sieg und Ruhm.«

Der Unbekannte härte wohl an diesen Worten, daß er sich geirrt hatte.

»Mein lieber Knabe, sagte er, ich danke dir recht herzlich für deinen guten Wunsch. Du, der du so im Walde herumschweifst, kannst mir vielleicht eine Stelle anweisen, wo ich Wasser finden kann, um mein Pferd zu tränken, und etwas Gras, um es weiden zu lassen; denn wir sind seit diesen Morgen auf der Reise, und das arme Thier ist fast erschöpft vor Hunger und Durst.«

»Dort hinter dem Fichtenbusch sind Moräste und Teiche, antwortete Helias.«

»Zeige mir den Weg, Kind.«

»Aber, Herr Ritter, bemerkte der Knabe, bei meines Vaters Klause fließt ein klarer Bach und dort sind grüne Weiden. Mein Vater ehrt und liebt die kühnen Ritter.«

»Wir haben Milch und Käse und Brodkuchen. Ei, mein Vater wird sehr froh sein, Euch zu sehen und Euch Alles zu geben, was er hat.«

»Wohlan, ich nehme die Gastfreundschaft an, die du mir so herzlich anbietest. Nach welcher Richtung soll ich gehen?«

»Dort hinten, über den Hügel, neben der großen Eiche,. So bald wir vor dieser vorbei sind, sehen wir meines Vaters Klause im grünen Thal.«

Der Unbekannte setzte sein Pferd in Schritt, während Helias an seiner Seite hüpfte. Bald, der treue Hund, schien ganz ruhig und lief mit dem Schweife wedelnd neben seinem jungen Herrn.

Ueber die sonderbare Begegnung verwundert, sah der Ritter schweigend auf das Kind, dessen ungewöhnliche Schönheit nun erst seine Aufmerksamkeit fesselte. Es hatte große schwarze Augen, worin ein Schimmer von Kraft und Entschlossenheit funkelte, während sein süßes Lächeln von einer zarten Seele zeugte; seine Stirn war breit, seine Glieder stark, und aus seinem Wesen strahlte etwas Edles, das zur Zuneigung stimmte.

Helias sagte gleichfalls nichts mehr, beschaute jedoch den Ritter und sein Roß vom Kopf bis zu den Füßen mit steigendem Erstaunen. Alles, was er sah, war ihm ganz neu; er hatte wohl oft von solch einem langen Speer, von solch einem Schwert, von Helmen, Harnischen, Wappen durch seinen Vater erzählen hören; aber wie viel schöner waren doch die ritterlichen Waffen, welche er nun vor Augen hatte, so schimmernd von Stahl, von Silber; und Gold!

Das fürstliche Blut regte sich in dem Knaben und während er neben dem Unbekannten fortschritt, träumte er, daß er, zum Manne aufgewachsen, wohl einmal so auf einem großen Pferde reiten und den Helm auf dem Haupt und den Speer in der Faust in den Schranken um den Preis kämpfen würde.

Oben aus dem Hügel angelangt, fragte der Ritter:

»Dieses Haus dort, das einem Kirchlein gleicht, ist deines Vaters Klause?«

»Ja, Herr.«

Ich sehe da eine Weide, mit Dornen umzäumt. Habt ihr denn Vieh?«

»Wir haben zwei Ziegen.«

»Dein Vater übt den Landbau? Hinter der Klause wogen die Halme über ein Kornfeld.«

»Ja, Herr, antwortete Helias. »Es sind nun zwei Sommer her; mein Vater blieb drei Nächte weg, und kehrte zurück, mit einer zweiten Ziege und einem Sack Saat. Wir haben die Saat in die Erde gestreut, und seit der Zeit essen wir Kornkuchen. Sie werden Euch schmecken, sie sind so lecker!«

»Ihr seht also nie Menschen hier?«

»Ich habe wohl welche von Ferne gesehen; Jäger oder Holzhacker; aber ich entfliehe ihnen.«

»Warum?«

»Mein Vater verlangt es so.«

»Ich bin ein Mensch wie sie, mein Kinde mir entflohest du doch nicht?«

»O, ein Ritter, ein edler Kriegsmann, das ist etwas anders! rief Helias mit Begeisterung. Ich wäre einen ganzen Tag weit gelaufen; um einen Ritter sehen zu dürfen. Nun bin ich glücklich, mein Wunsch ist erfüllt. Mein Vater wird Euch so herzlich, so ehrerbietig aufnehmen! . . . Seht, seht, da erscheint er in der Thür unser Klause.«

Und Helias eilte, die Hände in die Höhe hebend, zu dem Klausner und rief:

»Vater, guter Vater, freue dich; hier ist ein Ritter mit seinem Roß! Beide haben Hunger und Durst. Schnell, schnell, Milch, Kuchen und Käse!

Mit einem freundlichen Lächeln trat der Greis dem Unbekannten entgegen, grüßte ihn sehr höflich und half ihm absteigen, indem er ihm unterdessen Alles anbot, was er besaß.

Das Pferd wurde in die Weide geführt und der Ritter, nachdem er seinen Speer neben die Thür gestellt hatte, trat in die Klause.

Er setzte sich nieder auf eine hölzerne Bank, legte seinen Helm und seinen Mantel auf den Tisch von rohen Brettern, und dankte dem Klausner und seinem Kinde für ihre freundliche Gastfreiheit, während Milch und Käse ihm vorgesetzt wurden.

Der kleine Helias sah sich die Augen aus dem Kopf an dem goldenen Helme und an dem silbernen Schwanenbilde, womit derselbe bekrönt war; ja, von blinder Neugier getrieben, betastete er den prächtigen Gegenstand, und ging sogar so weit, daß er endlich des Ritters Degen in die Hand nahm und damit durch die Luft zu fechten suchte, als träumte er sich bereits in den Turnierschranken.

Der Unbekannte ließ dem Kinde seinen Willen und sagte lächelnd zu dem Greise:

»Ein wunderlicher Knabe! Jetzt bewohnt Ihr eine Klause im Walde-ohne-Gnade, aber Ihr seid von edler Geburt, nicht wahr?

»Wie wißt Ihr das, Herr? flüsterte der Greis überrascht.

»Ich weiß es nicht, antwortete der Ritter, »aber ich kann es rathen aus der Neigung Eures Sohnes. Er hat nie mit Menschen verkehrt und weiß nicht, was meine Waffenrüstung bedeutet, und gleichwohl scheint er darauf ganz versessen. Nicht wahr, Ihr seid von ritterlicher Abkunft?«


»Allerdings,« sagte der Greis nach einigem Zögern, ich bin von Geburt adelig. Als jüngster Sohn eines alten, ritterlichen Hauses, wurde ich erzogen, um Priester zu werden und Gott am Altar zu dienen. Mein Herz verirrte sich und mein Wille erlag. Ich sündigte und zog weg aus der Welt, um hier in der Einsamkeit der Verführung zu entfliehen und durch Bußübung Vergebung und einen Platz im Himmel zu erlangen.«

»Ich habe mich also nicht geirrt; seid Ihr nicht Ritter, so ist doch adelig Euer Blut.

»Darf ich nun gleichfalls Euch fragen, Herr, wen ich in meiner Klause bewirthen zu können das Glück habe?« fragte der Greis. Ich sehe auf dem Bruststück Eures Panzers einen Kelch abgebildet, umgeben von einem strahlenden Lichtkranz. Dies ist etwas Ungewöhnliches. Gehört Ihr der Kirche an?

»Ich bin ein Ritter der Tafelrunde,« antwortete der Unbekannte. Meines Vaters Namen darf ich Euch nicht sagen; aber in der Wache des heiligen Graals nennt man mich den Schwanenritter.«

»Der heilige Graal,« murmelte der Klausner, »was ist das, mein Herr?«

»Ihr müßt wissen,« antwortete der Ritter, »daß, als unser Herr Jesus für der Menschen Sünde am Kreuze hing, ein gewisser Römischer Kriegsknecht, Longinus genannt, des Heiland’s Seite mit einem Speer durchbohrte. Joseph von Arimathäa fing das Blut auf in einem diamantnen Kelch. Dieser Kelch, die kostbarste Reliquie vom Leiden unseres Herrn, war Jahrhunderte lang verloren geblieben, und ist nun seit einigen Jahren wieder aufgefunden. Um diesen unschätzbaren Gegenstand, den heiligen Graal, fortan zu bewachen, sind die Ritter der Tafelrunde eingesetzt. Sie halten die Wache bei dem Graal und führen seine geringsten Befehle aus. Ich bin einer dieser Ritter, und reise nun durch die Welt, um einen Auftrag zu erfüllen, den der heilige Graal mir auferlegt hat.«

Der kleine Helias hatte ein Bänkchen herbeigeschoben und saß vor des Ritters Knieen, ihm staunend nach dem Mund sehend. Eine Geschichte von Rittern, voll von Geheimnissen und fast unbegreiflich, war etwas, das seine kindliche Seele ganz in Beschlag nahm.

»Ist das Ziel Eurer Reise weit, Herr? fragte der Klausner.

»Ich weiß es nicht, war die Antwort. Seit acht Tagen sitze ich zu Pferde vom Morgen bis zum Abend, und ich gehe immer westwärts, sowie mir befohlen ist. Ich soll jemand retten, der das Schlachopfer einer um Rache rufenden Ungerechtigkeit ist und in Todesgefahr schwebt.

»Ohne Zweifel kennt Ihr den Unglücklichen, der auf Eure Hilfe wartet?

»Durchaus nicht, mein guter Vater. Dies verwundert Euch, nicht wahr? Es sind nun beinahe zehn Tage her; ich saß mit meinen Gefährten, die nicht auf Wache waren, an der Tafelrunde und plauderte friedlich mit ihnen, da begann plötzlich die Glocke von dem Salvatsch-Berg zu läuten und dieses Zeichen benachrichtigte uns, jemand, daß ein Gerechter in Lebensgefahr Gottes Hilfe bei dem bitteren Leiden Jesu angerufen hätte. Hierauf wurde ich durch den heiligen Graal bezeichnet, um in die Welt zu gehen, und der Ritter zu werden des unglücklichen Opfers der menschlichen Bosheit. Ich weiß, daß es eine Frau ist von hoher Abkunft, die ich neben einem Scheiterhaufen finden werde, bereit, in das Feuer geworfen zu werden.

 

»Eine Frau von hoher Abkunft? O, mein Gott, ist es möglich? schrie der Greis, vor Erschütterung erbleichend.

»Was widerfährt Euch, guter Vater? flüsterte der Ritter verwundert. Betrüben Euch meine Worte?

»Nichts, nichts, ein Gedanke, stammelte der Klausner. Himmel, wenn der heilige Graal Euch nach dieser Klause geleitet hätte, um da ein schreckliches Geheimniß zu vernehmen! Wer weiß?

Und sich zu dem Kinde wendend, sagte er:

»Helias, geh’ nach der Weide und achte auf das Pferd dieses Herrn!

»Acht Vater, laß mich hierbleiben! bat der Knabe. Was der Herr Ritter erzählt, ist so wunderschön!«

»Nein, sei brav und gehorche, mein Sohn. Kehre nicht zurück, bevor ich dich rufe! «

Der kleine Helias entfernte sich mit einer Thräne des Verdrusses in den Augen.

»Herr Ritter, fragte der Klausner bewegt, habt Ihr jemals nein König Oriand sprechen hören?

»Gewiß, gewiß, man rühmt ihn als den tapfersten Lehnsmann des Kaisers.«

»Wohlan, das Kind, dessen edle Abkunft Ihr errathen habt, ist König Oriands Sohn, sein einziger Sohn, der gesetzmäßige Erbe seiner Krone.«

»Wie, was sagt Ihr? Der kleine Junge, der so eben vor mir stand?«

»Ja, Herr, er ist ein Königssproß. Seine Großmutter Mattabruna – ein boshaftes, ehrgeiziges Weib hat der Königin ihr Kind entwendet und es durch einen Mörder in den Wald-ohne-Gnade führen lassen, um es zu tödten; aber Gott hinderte die Missethat. Ich habe das Kind heimlich aufgezogen.«

Einige Augenblicke lang sah der Ritter den Greis stumm an; er schüttelte den Kopf, und schien dem, was man ihm gesagt, keinen Glauben schenken zu können.

»Dieses Kind der einzige Sohn des Königs Oriand?« flüsterte er. »Unmöglich!«

Nun erzählte der Klausner mit den geringsten Einzelheiten, wie sein Hund Bold dem Mörder Savary die Kehle abgebissen und so das Kind gerettet hätte, und was der sterbende Sünder ihm bezüglich der Königin Beatrix und bezüglich Mattabrunas und ihres Mitschuldigen Markus – geoffenbart. Später, sagte er, wäre er einmal in einem Dorfe nicht weit von Harlebeka gewesen und hätte da vernommen, daß die arme Königin, der Zauberei und Teufelskunst angeklagt, für ihr ganzes Leben auf einem Thurme einer Burg gefangen säße, während ihre Verfolgerin Mattabruna allmächtig über das Land und über den König selbst herrschte. Er endigte damit, die Ansicht zu äußern, daß der heilige Graal den Schwanenritter ausgesandt hätte, um die unschuldige Beatrix zu erlösen.

»Ihr irrt Euch ohne Zweifel, widersprach ihm der Ritter. Die Königin Beatrix, wie Ihr sagt, ist zu lebenslänglichem Gefängniß verurtheilt und sitzt in einem Thurm. Die Frau, welche ich erlösen soll, wird jetzt erst vor Gericht stehen und zum Scheiterhaufen verurtheilt werden . . . Aber, guter Vater, warum geht Ihr nicht nach Harlebeka, um König Oriand seinen Sohn zurückzugeben?

»Ich wag’ es nicht. Das Kind ist mir theurer, als das Licht meiner Augen. Mattabruna würde es tödten lassen. Ha, wäre ich Ritter, erfahren in Waffenhändeln!«

»Was würdet Ihr thun?

»Wie, Herr, was ich thun würde? Sehen wir nicht auf der einen Seite eine arme Fürstin, ein Weib, unschuldig, unterdrückt und gemartert? und auf der andern Seite ein Königskind, das auf einem Thron sitzen sollte, und nun durch seine Verräter verurtheilt ist, seine traurigen Tage im Walde-ohne-Gnade zu verbringen? Ist es nicht die Pflicht der Ritter, Frauen und Kinder gegen die menschliche Bosheit zu vertheidigen? Und wenn jemand muthig und stark genug wäre, um die unglückliche Beatrix zu erlösen und ihr Kind in seine Ehre, in sein Erbrecht wieder einzusetzen, könnte wohl eine andere Heldentat ruhmreicher und angenehmer in Gottes Augen sein?

In der That, in der That, flüsterte der Schwanenritter, indem er den Blick zur Erde gerichtet überlegte; aber mein Auftrag? Ich darf die durch den heiligen Graal mir aufgelegte Pflicht nicht um andrer Abenteuer willen versäumen.«

»Aber wenn es, der Wille des heiligen Graals wäre? Ach, habt Mitleiden mit dem unschuldigen Königskind!

»Mich bewegt das Loos der Beatrix und ihres Sohnes sehr tief, guter Vater, sagte der Ritter in Gedanken. Ich werde den heiligen Graal um Rath fragen, und was er mir eingibt, werde ich thun. Der Abend sinkt, es wird bald dunkel werden. Laßt mich in Eurer Klause übernachten. Bevor ich mich zur Ruhe begebe, werde ich mich eine lange Zeit hindurch zu erheben suchen durch ein inniges Gebet, und, ist der heilige Graal mit meiner Reise nach Harlebeka zufrieden, dann wird er seine Antwort meiner Seele einflößen.«

»Ach, habt Dank, habt Dank! Euch wird mein armer Helias vielleicht eine Königstreue zu verdanken haben.«

»Ist die Einsprechung von Oben günstig, dann sollt Ihr mit dem Kinde mir nach Harlebeka folgen, und dort vor jederman verborgen halten, daß der Sohn des Königs Euch begleitet, bis ich den Verräthern das Bekenntniß ihrer Missethat abgedrungen habe. Es kann sich ereignen, daß ich mich über den Willen des heiligen Graals täusche und darum im Kampf gegen das Unrecht erliege. In diesem Falle könnt Ihr noch ungehindert mit dem Kinde bis auf bessere Zeiten nach dem Walde-ohne-Gnade . . . «

»Plötzlich wurde er in seiner Rede unterbrochen durch die Stimme des kleinere Helias, der mit lautem Geschrei um Hilfe zu rufen schien. Erschreckt durch den Gedanken einer großen Gefahr, liefert Beide zur Thür hinaus.

Da sahen sie Helias mit fliegenden Haaren auf dem vorbeijagenden Rosse sitzend. Der Junge hielt sich an der Mähne fest und jauchzte vor Lust.

Der Schwanenritter sprang vorwärts und rief dem Thiere aus allen seinen Kräften einige kurze Laute zu. Das Pferd blieb stehen, ja kehrte sogar langsam zu seinem Herrn zurück.

Helias war auf die Erde gesprungen. Er näherte sich erschrocken und bebend dem Ritter; sank vor ihm auf die Kniee nieder und flehte mit aufgehobenen Händen:

»Ach, Vergebung, Vergebung, Herr! Ich wußte daß ich Unrecht that, aber es ist meine Schuld nicht. Das Pferd bezauberte mich; ich saß darauf, ohne es zu wissen, und es ist so mit einem Male wie ein Pfeil aus dem Bogen, nach der Klause geflogen. Seid nicht böse auf mich, ich werde es nicht wieder thun.«

Der Schwanenritter, durch den bittenden Blick dieser funkelnden schwarzen Augen bewegt, hob das edle Königskind vom Boden auf, drückte es an sein Herz und beruhigte es durch seine freundlichen Worte.

Er brachte sein Pferd wieder in die Weide, und indem er zur Klause zurückkehrte, sagte er noch zu dem Greise:

»Wie wunderbar, nicht wahr? Das arme Kind ist wahrlich edlen Blutes. Meine Waffenrüstung und mein Pferd bezaubern den Königssproß. Er fühlt, ohne es zu wissen, daß er geboren ist, um einmal als Ritter Speer und Degen zu führen.«

Innerhalb der Klause flüsterte er dem Greise ins Ohr:

»Das Kind bezaubert mich gleichfalls. Ich habe Eile, zu erfahren, ob der heilige Graal mir gestattet, mein Leben für den kleinen Helias und seine unglückliche Mutter zu wagen. Ich sehe dort ein Kreuz; ich werde mich zum Gebet niederwerfen. Laßt mich allein, guter Vater. Wandelt draußen mit dem Kinde herum, bis ich Euch rufe. Es kann lange dauern, aber der Zweck ist so wichtig.«

Der Greis faßte, ohne zu sprechen, Helias bei der Hand und verließ die Klause.

Niederknieend vor dem Kreuzbild, hob der Schwanenritter die Hände zum Himmel empor.

Bald fielen seine Arme nieder und er bog den Kopf, versunken in ein tiefes und stilles Gebet.