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Die beiden Freunde

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»Sehn Sie, Herr Doktor, als ich von Ihrem Unglück Kunde erhielt, erinnerte ich mich daran, wie Sie einst voll Güte fünfhundert Franken einem Menschen liehen, der als Straßenräuber zur Nachtzeit das Messer auf Ihre Brust gezückt und wie Sie um diesen Preis seine Ehre und seiner Mutter Leben erkauften. Da gab Gott selbst mir den Gedanken ein, diese Gelegenheit zu benutzen, um nicht nur meine pekuniäre, sondern zugleich einen Theil meiner Dankschuld an Sie abzutragen. Ich wußte, daß meine Mutter im ersten Augenblicke zurückschrecken würde, aber ich kenne ihr Herz. Was zwischen uns vorgefallen ist, Herr Doktor, was mich zum Verbrechen trieb, habe ich ihr erzählt, ohne das Geringste zu verschweigen, und da brauchte ich ihr nicht erst klar zu machen, welchen Dank wir dem edlen Manne schulden, der, nachdem er ihr durch seine Wissenschaft das Leben gerettet, auch ihren Sohn vor Schmach und Schande behütet hat. Zwar weinte sie lange bitterlich . . . «

»Sie weinte, die arme Mutter!«

»Ja sie weinte, aber unter ihren Thränen rief sie aus: Geh, Wilhelm, und erfülle Deine Pflicht gegen unsern Wohlthäter, geh, mein Kind, ich werde für Dich beten und Gott wird Dich sicher beschützen!«

Der Doktor fühlte sich versucht, dem jungen Mann um den Hals zu fallen, doch bezwang er seine Erregung.

»Ach, die zahllosen Entäuschungen, welche ich seit drei Tagen ausgehalten habe, machen mich mißtrauisch,« sagte er. Wilhelm, ist Ihr Entschluß auch nicht ein übereilt? Werden Sie nicht wanken? Sind Sie auch ganz klar über daß, was Sie thun?«

»Vollkommen klar, Herr Doktor. Wenn Sie mein Anerbieten ablehnen würde ich tief unglücklich sein.«

»Und was für Bedingungen stellen Sie?«

»Keine!«

»Wie, ich habe Sie wohl nicht recht verstanden. Ich bot fünfzehntausend Franken für einen Stellvertreter; diese Summe steht zu ihrer Verfügung, und außerdem quittiere ich natürlich über den Betrag, den ich Ihnen vorgeschossen habe.«

Ein Ausdruck der Trauer verdunkelte des Jünglings Züge, er schüttelte mißbilligend den Kopf.

»Vielleicht ist Ihren nicht genug,« sagte Christians, »sprechen Sie frei heraus, ich bin zu den größten Opfern bereit.

»Ihre Worte betrüben mich,« versetzte Wilhelm Hoofs. »Welches Verdienst würde meine That in den Augen Gottes haben,« wenn ich mir Geld dafür bezahlen ließe. Ach ich bitte sie, sprechen Sie nicht mehr davon! Glauben Sie denn, ich würde für Geld mein Leben verkaufen? Nein, ich gebe mein Leben freiwillig und gern dem zurück, dem ich es verdanke. Lassen Sie mich Ihren Sohn befreien, lassen Sie mich glauben, daß ich meinen Wohlthäter beglücken kann.«

Jetzt konnte der Doktor seine Freude nicht länger beherrschen; mit Thränen der Rührung drückte er den jungen Mann an sein Herz. Dann faltete er die Hände und pries den Herrn, der so wunderbar gefügt, daß er eine kranke Frau heilen und ihren Sohn von der Verzweiflung retten konnte, um sich dadurch das Glück zu bereiten, das ihm jetzt zu Theil wurde.

»Kommen Sie, Wilhelm, lassen Sie uns meinem Sohne und meiner Frau die frohe Nachricht bringen,« rief er endlich, »sie werden außer sich sein vor Seligkeit.«

Wilhelm aber hielt ihn zurück.

»Herr Doktor,« sagte er, »schenken Sie mir noch einige Augenblicke und hören Sie mich geduldig an. Ich stellte Ihnen keine Bedingungen, möchte aber gleichwohl eine Bitte an Sie richten. Meine Mutter ist nun ganz allein, und . . . «

»O, an Ihre Mutter habe ich auch schon gedacht! Sie wollen kein Geld . . . «

»Das wird auch meine Mutter ausschlagen, . . . wenigstens, wenn Sie ihr anbieten als Lohn für das, was ich zu thun im Begriff bin.«

»Sie wird es ausschlagen?« wiederholte der Doktor erstaunt. »Was sind Sie doch für Leute! Wovon will sie denn leben? Sie ist arm . . . «

»Dreihundert Franken hatte ich durch Arbeiten außer der Zeit und Sparen bereits erübrigt, um meine Schuld gegen Sie abzutragen. – Bitte, lassen Sie mich ausreden, unterbrechen Sie mich nicht. Dieses Geld, das ich Ihnen Sie nun nicht mehr anbieten darf, wird sie die nächste Zeit vor Mangel schützen; auch kann sie ja noch arbeiten. Meine Bitte bezweckt etwas Anderes. Meine Mutter wird alt, dieses Alleinsein, die Einsamkeit ist es, die ich für sie fürchte. Da ich nun ihre große Menschenliebe kenne, wage ich Sie zu bitten, daß Sie mitunter zu ihr gehn, um sie zu trösten und ihr von mir zu sprechen, bis ich heimkehre.«

»Weiter, weiter,« murmelte der Doktor, »ist das Alles?«

»Versprechen Sie mir, Herr Doktor, daß Sie über meine gute Mutter wachen wollen . . . Und sollten ihre Kräfte nicht ausreichen, ihr daß tägliche Brod zu erwerben, so seien Sie ihr gütiger Fürsorger. Wenn ich diese Gewißheit habe, reise ich beruhigt ab.

»Mehr also wagen Sie von dem guten Doktor von Elsene für die Rettung seines Sohnes nicht zu erbitten?« rief Christians. »Ihre Mutter soll nicht verlassen, nicht allein sein, sie hat keine Noth zu befürchten. In dem edlen Wettstreit zwischen Ihnen und mir, Wilhelm, muß ich freilich unterliegen, aber ganz will ich doch nicht hinter Ihnen zurückbleiben. Von heute an betrachte ich Ihre Mutter an zu meiner Familie gehörig, sie soll bei uns wohnen, wir werden voll dankbarer Liebe für sie sorgen. Sind Sie nun zufrieden?«

Wilhelm ergriff des Doktors Hand und drückte sie an seine Lippen, doch dieser wehrte alle weiteren Danksagungen ab, indem er den Jüngling mit sich fortzog, der Thür zu.

»Kommen Sie jetzt,« sagte er, »Sie müssen Zeuge der Glücks sein, das Sie verursachen.«

»Mein Geheimniß, mein Geheimniß?« flüsterte Wilhelm besorgt.

»Fürchten Sie nichts; kein Wort wird davon erwähnt.«

Und schon hatten sie die Thür des Wohnzimmers erreicht, wo die Familie noch immer in stiller Trauer versammelt saß.

»Lobt Gott!« rief der Doktor, »Bernhard ist gerettet! Er braucht nicht Soldat zu werden, hier ist sein Stellvertreter! Zweifelt nicht länger, der Schlag ist abgewendet; statt über Deine Abreise zu weinen, Bernhard, feiern wir bald Deine fröhliche Hochzeit!«

Freudenrufe unterbrachen seine Worte, die Hoffnung glänzte auf allen Gesichtern; gleichzeitig sah man aber auf den anständig gekleideten jungen Herrn, der keineswegs der Menschenklasse anzugehören schien, aus der sonst die Stellvertreter hervorzugehen pflegten.

»Ich verstehe Eure fragenden Blicke, Kinder,« sagte der Doktor. »Herr Wilhelm Hoofs ist kein gewöhnlicher Ersatzmann; ich habe einst seiner Mutter das Leben wiedergegeben und ihr und ihm außerdem noch einen Dienst erweisen können; aus reiner Dankbarkeit will er nun statt Deiner in den Krieg ziehn, Bernhard, jede Belohnung, jede Belohnung weist er von sich ab. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen, um unsere Stellung ihm gegenüber zu kennzeichnen.«

Bernhard eilte auf den Jüngling zu und schloß ihn in seine Arme, er nannte ihn seinen Befreier, seinen Wohlthäter, seinen Bruder, Veronika und die Uebrigen folgten seinem Beispiel. Dankgebete stiegen zum Himmel auf; Frau Christians vergoß Thränen der Rührung, Catharina sprang vor Freude im Zimmer umher.

»Hört Kinder,« sagte endlich der Doktor, »unsere Dankbarkeit darf sich nicht nur in Worten äußern. Der gute Wilhelm Hoofs verzichtet zwar auf jeglichen Lohn, aber wir haben dennoch ein Mittel, wenigstens einen Theil unserer Schuld an ihn abzutragen: er hat eine alte Mutter, und es schmerzt ihn, sie allein in lassen. Da habe ich ihm denn versprochen das; sie bei uns wohnen und wie ein Glied der Familie behandelt werden soll.«

»O das ist gut, das ist schön!« jubelten Alle, »wir wollen wetteifern, ihr das Leben leicht und angenehm zu machen.«

»Ich werde eine Schwester in ihr sehen,« sagte Frau Christians.

»Und ich will sie lieben wie eine zweite Mutter,« fügte Catharina bei.

»Laßt sie doch mit uns auf das schone Gut nach Brendale ziehen,« sagte Veronika.

»Nun, das geht nicht, antwortete der Doktor, »sie bedarf einer Genossin von ihrem Alter. Meine Frau wird mit ihr plaudern, mit ihr spazieren gehn, sie niemals verlassen und vor allem Verdruß und Leid bewahren. In unserm schönsten und luftigsten Zimmer das die Morgensonne hat und die Aussicht in den Garten, soll die Mutter unseres Retters schlafen.«

Wilhelm Hoofs stand mitten im Zimmer, er suchte vergebens die Tränen zu verbergen, die aus seinen Augen rannen. Hatte er doch geglaubt, nur eine Pflicht zu erfüllen und nun sollte dass Leben seiner Mutter sich in Folge dieser Pflichterfüllung so schön und angenehm gestalten!«

»Ich muß jetzt gehn und die Papiere holen, welche noch auf dem Rathhause liegen, sagte er endlich sich fassend. »Zu der bestimmten Zeit werde ich mich als Stellvertreter von Bernhard Christians der Revisions-Commission vorstellen. Also bis morgen Herr Doktor.«

Alle begleiteten ihn mit erneuten Versicherungen des Danks bis an die Hausthür.

»Ach, Sie rechnen mir dass Opfer viel zu hoch an,« sagte er, »der Glücklichste von und Allen bin doch ich.«

»Herr Wilhelm!« rief Frau Christians ihm nach, »sagen Sie Ihrer lieben Mutter, dass ich sie sogleich in dem Wagen meines Mannes abholen werde. Sie muß den Abend bei und zubringen und die Bekanntschaft ihrer neuen Freunde und ihrer zukünftigen Wohnung machen.«

»Dank, tausend Dank! Bis morgen!« murmelte der junge Mann,während er sich eilends entfernte.

Am folgenden Tage erschien er vor dem Revisionsrath, wurde angenommen und begab sich zum Heer. Er blieb viele Jahre im Dienst, wurde Offizier und erhielt für seine Tapferkeit auf dem Schlachtfelde das Kreuz der Ehrenlegion.

Daß Gott die edlen Ebenen belohnt und den guten Menschen ein langes Leben gewährt zeigt der Anfang unserer Erzählung, wo wir Wilhelm Hoofs am Arme des neunzigjährigen Doktor Christians wiederfinden.

Und nun wissen wir, daß das Band, welches die beiden alten Freunde so innig hielt, kein anderes war als das heilige Band der Dankbarkeit

– E n d e -