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Die beiden Freunde

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»Und dann?«

»Dann bleibt mir nichts übrig, als zu sterben. Wenn man meine Leiche nicht findet, so wird meine Mutter zwar tief unglücklich aber die Schande bleibt ihr doch erspart.«

»Wenn ich nicht irre, so ist Ihrer Verzweiflung mit Geld abzuhelfen,« sagte der Doktor mitleidig. »Kommen Sie mit zu meinem Hause und erzählen Sie mir dort, was Sie so elend macht; sehe ich daß Sie meiner Hilfe nicht unwürdig sind so werde ich thun was in meinen Kräften steht, um Sie zu retten.«

Damit nahm er die Hand des jungen Mannes und wollte ihn veranlassen, voranzugehn, doch erschreckt sprang dieser zurück.

»Ich soll Sie zu Ihrer Wohnung begleiten? Ihnen im Hellen gegenüberstehn? O das kann ich nicht, das ist unmöglich!«

»Fürchten Sie etwa, daß ich Sie verrathen werde?«

»Nein, aber nun und nimmermehr gehe ich mit Ihnen! Seien Sie großmüthig, Herr Doktor, überlassen Sie mich meinem Schicksal und sagen Sie Niemanden, was hier geschehen ist. Gott segne Sie, den Retter einer armen Mutter, den Retter ihres unglücklichen Sohnes, denn nun werde ich wenigsten nicht mit einer Blutschuld beladen vor den ewigen Richter treten.«

Damit wandte er sich rasch ab und ging nach Etterbeck hin.

Der Doktor aber eilte ihm nach und hielt ihn zurück.

»Sie glauben mir Dank zu schulden,« sagte er, »Sie versichern, ich hatte Ihrer Mutter das Leben gerettet. Wohlan, so erzeigen auch Sie mir einen Dienst.«

»Was kann ich Elender thun in meinem jetzigen Zustande?« seufzte der Andre.

»Es steht ganz bei Ihnen, ob Sie meinen Wunsch erfüllen wollen.«

»Wenn das ist, so sprechen Sie, Herr Doktor, und wenn Sie auch den letzten Tropfen meines Blutes verlangen.« .

»Merken Sie wohl auf,« sagte Christians; »ich werde keinem Menschen selbst meiner Frau nicht ein einziges Wort von unserer gegenwärtigen Begegnung sagen, und Sie versprechen mir dafür, daß Sie bis morgen Mittag nichts gegen sich selbst oder gegen einen Andern unternehmen wollen. Sind sie damit einverstanden?«

»Bis morgen Mittag?« versetzte der Andre überlegend. »Morgen ist der letzte Tag . . . «

»Nun denn, ja oder nein: wollen Sie mir dass Versprechen geben?«

»Es sei, Herr Doktor; ich will leben bis morgen Mittag. – Und welches ist der Dienst, den ich Ihnen leisten kann?«

»Ich fordre sonst nichts von Ihnen; morgen früh aber, gegen sechs Uhr, werde ich Sie in meiner Wohnung erwarten, um von Ihnen zu erfahren, wer Sie sind und wie Ihnen zu helfen ist, Sie werden doch kommen?«

»Nein, Herr Doktor das werde ich nicht, mein Schicksal wird sich erfüllen, es ist nicht abzuwenden.«

»Das wird sich finden. Ich erwarte Sie mit aller Bestimmtheit, Sie beruhigen sich und werden vernünftig. Bis morgen also bis morgen.

»Leben Sie wohl auf ewig,« murmelte der junge Mann mit thränenerstickter Stimme.

»Vergessen Sie nicht, daß Ihr Erscheinen den Lebensretter Ihrer Mutter beglücken wird,« rief Christians ihm nach.

Dann entfernten sich Beide nach entgegengesetzten Richtungen.

III

Am folgenden Morgen stand der Doktor früher als gewöhnlich auf, nach einer unruhig verbrachten Nacht, verursacht durch das Erlebnis; des vergangenen Abends.

Er zerbrach sich den Kopf darüber, welche Frau, arm oder reich, er von einem mehr oder minder sicheren Tode errettet haben möge, um einen Zusammenhang zwischen ihr und seinem Angreifer zu finden, doch hatte er in seiner langen Laufbahn so Viele geheilt, so Vielen geholfen, daß diese Untersuchung gänzlich fruchtlos blieb.

Jetzt saß er nun in seinem Kabinet, den Kopf auf die Hand gestützt und richtete an sich selbst die Frage ob der, welcher das Messer in der Hand bereit gestanden hatte, ihn zu ermorden, wohl wagen möchte, vor ihm zu erscheinen. Würde er kommen zu der bestimmten Stunde?

Der Wahrscheinlichkeit nach zu urtheilen mußte diese Frage verneint werden, denn wenn die Furcht den strafbaren Jüngling hinderte, den Doktor zur Nachtzeit zu begleiten, wie sollte er da den hellen Tag nicht scheuen?«

Diese Erwägung betrübte den Menschenfreund; war doch die Neugierde, zu wissen, wer ihn angefallen habe, nur eine untergeordnete Regung, und die Ueberzeugung vorherrschend, daß der junge Mann das Opfer unglücklicher Verhältnisse und mit einigem Beistand und gutem Ruh aus der Bahn des Verbrechens in die der Tugend hinüber zu leiten sei. Der gute Doktor freute sich jedesmal, wenn er einem Kranken die Gesundheit des Körpers wiedergeben konnte; wie unendlich glücklicher würde er sich schätzen wenn es ihm vergönnt sein sollte, eine arme Seele vom ewigen Verderben zu befreien.

Über diesen Gedanken hatte er wohl vergessen, das die bestimmte Stunde herannahte. Das Schlagen der Hausuhr erinnerte ihn daran.

»Sechs Uhr!« murmelte er vor sich hin; »nein er kommt nicht.«

Christians stand auf und trat an das Fenster seinen Kopf an eine der Laden legend, wodurch er im Stande war, die Straße zu übersehen ohne selbst gesehn zu werden.

Hier ließ er seine Augen die Straße hinauf und hinunter schweifen und musterte die vorüber gingen oder auf sein Haus zuzukommen schienen, doch gewahrte er nur Bauern, die Gemüse und Milch zur Stadt brachten, und Tagelöhner, die sich an ihre Arbeit begaben.

»Schon lange war es sechs Uhr vorbei; jetzt kommt er nicht mehr, sagte er endlich verdrießlich und wollte schon vom Fenster fortgehn, doch da bemerkte er noch ziemlich weit entfernt einen jungen Mann, bei dessen Anblick ein Ausruf der Ueberraschung ihm entfuhr.

»Wahrhaftig, das könnte er sein!« flüsterte er erregt.

Der Betreffende trug Kleider, die früher anständig, vielleicht sogar elegant gewesen, jetzt aber mit grauen Flecken bedeckt waren und so viele Falten zeigten, als wenn er die Nacht hindurch im feuchten Grase gelegen hätte. Sein Gesicht konnte er anfangs nicht sehn, denn er senkte den Kopf tief auf die Brust und schlich nah an den Häusern hin.

Als er sich indessen der Wohnung des Doktors näherte, blickte er auf und gab dem am Fenster Spähenden dadurch Gelegenheit seine Züge zu unterscheiden.

Dieser begann wieder zu zweifeln. Der junge Mann war zwar ausfallend bleich und in seinen Augen lag ein tiefer Schmerz, doch war der ganzen Erscheinung etwas so Edles ausgeprägt, daß jeder Verdacht eines Verbrechens fast zur Unmöglichkeit wurde.

Ja, die erste Vermuthung des Doktors mußte unbegründet sein, denn nachdem er einen Blick auf das Hans geworfen hatte, beschleunigte er seine Schritte und ging vorüber.

Christians gab jetzt alle Hoffnung auf und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Er zog sein Notizbuch hervor und begann die Besuche zu ordnen die er im Laufe des Tages zu machen hatte. Hin und wieder unterbrach er wohl diese Beschäftigung um an seinen seltsamen Angreifer zu denken, doch war er fest überzeugt, daß er ihn nie im Leben wiedersehn würde, da die festgesetzte Stunde längst vorüber war.

Da hörte er die Schelle an der Hausthür ertönen; seine Aufmerksamkeit wurde von Neuem rege doch lächelte er über sich selbst, über die eigne Leichtgläubigkeit.Empfing er ja täglich so viele Besuche so vieler Kranken, wahrscheinlich meldete sieh jetzt der erste.

Die Thür des Kabinets wurde durch eine Magd geöffnet und wieder geschlossen . . . Der junge Mann mit den befleckten Kleidern stand da, keines Wortes mächtig, an allen Gliedern zitternd, blaß wie eine Leiche und mit niedergeschlagenen Augen.

Da er seiner Sache nicht ganz gewiß war, getraute der Doktor sich nicht, direkte Fragen an ihn zu richten.

»Was ist Ihr Begehr, mein Freund?« fragte er vorsichtig.

»Verzeihung, ach Verzeihung Diese schreckliche, entsetzliche Nacht . . « seufzte der junge Mann kaum hörbar.

»Diese Nacht!« wiederholte der Doktor. »Sie sind also doch gekommen, das ist gut! Setzen Sie sich; da ist ein Stuhl.«

Als ob er Mühe hätte sich länger aufrecht zu halten, legte der Jüngling seine bebende Hand auf die Lehne des Stuhls und wollte sich niederlassen doch brach er plötzlich ohnmächtig zusammen. Seine Lippen und Wangen bedecken sich mit einem fahlen Grau, seine Augen schienen zu brechen.

Der Doktor lief auf ihn zu und griff nach seinem Puls.

»Was ist Ihnen? Fühlen Sie sich unwohl?« fragte er.

»Hunger! . . . Ich sterbe vor Hunger!« stammelte der junge Mann, – und da er sah, das der Doctor die Schelle vom Tisch nehmen wollte hob er mit Aufbietung aller Kräfte seine Hände empor.

»Ich verstehe,« antwortete Christians. »Seien Sie unbesorgt, ich bin sogleich wieder da.«

»Er verließ das Zimmer, jedoch um für einen Augenblick. Eine Flasche unter dem Arm, einen Teller in der Hand kehrte er zurück, schenkte ein Glas kräftigen Rothweins ein und brachte es an die Lippen des jungen Mannes,

Mit fieberhafter Gier verschlang dieser den stärkenden Trank, ein neuer Glanz belebte seine Augen und er murmelte Worte des tiefsten Dankes. Der Doktor aber ließ ihm nicht Zeit, seinen Gefühlen Ausdruck zu geben; er reichte ihm eine Butterschnitte mit kaltem Fleisch, indem er sagte:

»Still; essen Sie erst ein Wenig, hernach wollen wir sprechen. Fürchten Sie nicht, daß man uns hören oder überraschen könnte; ich habe der Magd befohlen, Niemanden einzulassen, so lange Sie hier sind. Wenn es in meiner Macht steht, will ich Ihnen helfen und bitte mir dafür nur aus, daß Sie offen und aufrichtig zu mir reden . . . Wie Sie nun das Brod verschlingen! Sie haben wohl lange nicht gegessen?«

»Seit drei Tagen und drei Nächten nichts als Kräuter, Wurzeln und Baumrinde,« stammelte der Jüngling.

»So nun ist es genug, wie geht es Ihnen jetzt?«

»Gut, ich fühle mich ganz gestärkt und danke Ihnen tausendmal, – wenn ich auch fast glauben möchte, daß der Hungertod eine Wohlthat für mich gewesen wäre. Er würde mich von einem furchtbaren Schicksal erlöst, und Gott würde keinen Selbstmord zu bestrafen haben.

»Selbstmord!« wiederholte der Doktor mit Grausen, »wie können Sie noch davon sprechen, da ich Ihnen doch helfen will? Geldnoth hat Sie offenbar zum Verbrechen getrieben, wie wenn ich Ihnen dieses Geld gebe?«

 

»Das ist unmöglich, ganz unmöglich!«

»Wir wollen doch sehn! Fangen Sie nun einmal an mir zu erzählen, wer Sie sind und unter welchen Verhältnissen ich Ihrer Mutter das Leben gerettet habe.«

Der junge Mann rieb sich mit der Hand die Stirn, wie um sein Gedächtniß aufzufrischen und begann dann, anfangs mit matter Stimme nach und nach aber erregter, wie folgt:

»Ich heiße Wilhelm Hofe und wohne zu Elsene unweit des Kniefeldes. Mein Vater war Werkführer bei einem Tapezierer, er hatte mich sehr lieb da ich sein einziges Kind war, und er wünschte sehnlichst, einen tüchtigen Meister aus mir zu machen. Darum suchte er von frühester Jugend an, mich das Wenige zu lehren, was er vom Zeichnen verstand, später wollte er mich nicht allein in die Schule, sondern auch auf die Akademie der bildenden Künste schicken.«

»Zum Unglück wurde mein Vater, als ich sieben Jahre zählte von einer heftigen Krankheit befallen, aus welcher sich in Folge unrichtiger Behandlung die Schwindsucht entwickelte. Meine Mutter wachte Tag und Nacht an seinem Bette, die Krankheit zog sich viele Monate hin.«

»Um den täglichen Unterhalt zu erwerben und den Doktor und Apotheker bezahlen zu können, arbeitete sie dabei mit unverdrossenem Fleiße. Ihre Beschäftigung bestand darin, seidene Franzen zu knoten und sie verdiente auf diese Weise einen ganz guten Tagelohn. Bei dem langen Siechthum reichte der Erlös ihrer Arbeit aber dennoch nicht aus, so dass wir einige Wochen vor dem traurigen Ende meines Vaters bereits Alles verkauft oder verpfändet hatten, was einigen Werth besaß: Möbel, Kleider und Leinewand, eine goldene Uhr ausgenommen welche als ein Familienstück sich durch mehrere Generationen vom Vater auf den Sohn vererbt hatte.«

»Kaum hatte ich meinen liehen Vater zur letzten Ruhestätte begleitet, als auch meine Mutter, von Kummer und Sorge verzehrt, auf das Krankenlager niedersank; in wenigen Tagen nahmen ihre Kräfte dergestalt ab, daß ich sie nur mit Thränen ansehn konnte. Glücklicher Weise hat man als Kind noch keine Ahnung davon was der Tod bedeutet, sonst wäre ich vielleicht darnach schon dem Leid erlegen.«

»Eine Nachbarin, welche aus Barmherzigkeit meine Mutter pflegte, äußerte wiederholt, daß Niemand sie heilen könne als der gute Doktor von Elsene, doch besaßen wir nichts mehr, um einen Arzt zu bezahlen; hatten hätten Bäcker und Krämer uns nicht geborgt, der Hunger würde und dem Grabe zugeführt haben.

»Meine Mutter, welche mit Schrecken an meine Zukunft dachte, beschloß nach langem inneren Kampf die Uhr meines Vaters zu opfern, um den Arzt befriedigen zu können. Her Christians wurde gerufen und kam noch an demselben Tage. Er begann seine Cur damit, in sanften, gütigen Worten meiner Mutter die Hoffnung auf Genesung einzuflößen.«

»Da er sogleich bemerkte, daß in unserer Wohnung Mangel herrschte, und daß wir nicht beschaffen konnten, was zur Herstellung der sinkenden Kräfte nothwendig war, schickte er täglich eine Magd oder einen Diner mit auserlesener Nahrung: sei es Fleischbrühe, sei es ein halbes Huhn oder sonst etwas stärkendes oder Erfrischendes. Wenn meine Mutter andeutete, daß sie nicht Geld genug habe, so köstliche Speisen zu bezahlen, erwiederte er lachend:

»»Das gewinnen wir der Krankheit wieder ab! Essen Sie nur, gute Frau, das Andere findet sich dann später;«« – erinnern Sie sich dessen nicht, Herr Doktor?«

»Christians schüttelte verneinend den Kopf.

»Sie vergessen Ihre eigenen Wohltaten, Gott aber wird sie nicht vergessen,« sagte Wilhelm Hoofs bewundernd.

»Es gibt der Leute viel in so traurigen Verhältnissen, denen man helfen muß. – und ihre Mutter ist genesen?«

»Ja, Herr Doktor, Dank Ihrer Kunst und ihrer großen Güte. Eines Tages kamen Sie, als meine Mutter eben aufsaß und versuchte, ein Wenig an den Franzen zu knoten.«

»Da fühlten Sie Ihr den Puls und riefen erfreut: »»Viktoria, Frauchen, die Krankheit ist überwunden, Sie sind gerettet!««

»Meine Mutter kniete vor Ihnen nieder, und ich neben ihr; unter Thränen der Freude und des Dankes flehten wir zu Gott, daß er sie segnen wolle . . . Verstehn Sie, Herr Doktor; die Erinnerung an Ihre Wohltaten und an diese Zeit der Unschuld bewegte mich so tief, daß ich nicht sogleich weiter sprechen kann.«

Auch der Doktor schwieg; des jungen Mannes Worte rührten ihn und er blickte still zum Himmel auf, voll Dank, daß es ihm vergönnt gewesen war, in seinem Leben hier und da etwas Gutes zu thun.

»Ich bin noch nicht zu Ende,« fuhr der Erzähler nach einer kurzen Pause fort. »Meine Mutter drückte dem guten Doktor von Elsene ihr Bedauern aus, daß sie seine Mühe nur in so unzureichender Weise belohnen könne. Er sähe wohl daß wir arm seien, aber für ihn besäße sie doch noch einen werthvollen Gegenstand.

»Mit diesen Worten bot sie ihm die Uhr meines Vaters an.

»Was that der edle Mann? Er versicherte, daß wir ihm nichts schuldig seien, gab die Uhr zurück und legte ein Goldstück in die Hand meiner Mutter, damit sie nicht zu darben brauche, bis sie wieder zu arbeiten im Stande sei . . . «

»Sie verließen uns dann, Herr Doktor, und haben seither unsere Schwelle nicht wieder überschritten, aber in dem Hause, aus welchem Sie als ein Bote des Himmels, den Tod und den Hunger vertrieben, lehrte fortan eine Mutter ihr Kind, wie matt für seine Wohlthäter beten muß . . . «

»Ja, nun erinnere ich mich der goldenen Uhr und der guten Frau mit ihrem Knäblein,« unterbrach ihn tief gerührt der Doktor, »und dieses Knäblein sind Sie, der vergangene Nacht mit dem Messer nach meiner Brust gezielt hat!«

Der junge Mann blickte zu Boden.

»Verzeihung!« bat er noch einmal, »ich war krank, wahnsinnig, ich wußte nicht, was ich that. Gott hat mich vor einem entsetzlichen Mord behütet.«

»Aber was trieb Sie zu einem solchen Verbrechen?« fragte Christians weiter, »erzählen Sie mir es ohne Rückhalt; überzeugen Sie mich, daß Sie nicht durch eigne Schuld und aus, freiem Willen sondern durch ein Unglück an den Rand des Abgrunds gerathen sind, und dann wird der, welcher der Mutter beistand, auch den Sohn zu retten suchen.«

»Meine Dankbarkeit gegen Sie ist größer, als sich in Worten ausdrücken läßt,« antwortete Wilhelm mit einem Seufzer, »aber auf Rettung wage ich nicht zu hoffen.«

»Nun lassen sie einmal hören; Sie sagten, es sei Ihnen großes Unglück widerfahren?«

»Ich will so kurz als möglich mich zu fassen suchen.«

»Nein, nein, ich möchte gern alle Einzelheiten kennen, Sie flößen mir innige Theilnahme ein. Ein junger Mann, der seine Mutter liebt wie Sie, und der mit der Tugend der Dankbarkeit im Herzen aufwächst, kann nicht auf gewöhnlichem Wege zum Verbrecher werden. Darum erzählen Sie ausführlich und befürchten Sie nicht, mich zu ermüden.«

»In Gottes Namen denn,« sagte der junge Mann, »so will ich die Geschichte meines armseligen Lebens da fortfahren, wo ich stehen geblieben bin.«

»Meine Mutter genas vollständig. Durch rastloses Arbeiten bei Tag und Nacht gelang es ihr, hinsichtlich meiner den Lieblingsplan meines Vaters auszuführen. Sie ließ mich zuerst die Schule besuchen und schickte mich dann auf die Zeichen-Akademie.«

»Meine Ausbildung war noch nicht vollendet, als die Augen meiner Mutter immer schwächer und schwächer wurden; sie sah sich genötigt, ihre bisherige Beschäftigung aufzugeben, wollte sie nicht gänzlich erblinden.«

»Nun lag es mir ob, ihr die Sorge uns tägliche Brod von der Schulter zu nehmen. Ich verließ die Schule und die Akademie und suchte nach bestem Vermögen etwas Geld zu verdienen. Anfangs litten wir Noth, oft sogar Hunger, doch fanden wir stets Trost in der großen Liebe die wir zu einander hegten.«

»Gegenwärtig habe ich nun mein dreiundzwanzigstes Lebensjahr erreicht und eine Stelle als Zeichner bei einem Baumeister in Brüssel. Mein Gehalt ist klein, aber wir lebten so einfach! Das ganze Jahr hindurch setzte ich keinen Fuß in ein Wirtshaus; wenn ich nicht auf dem Büreau war, arbeitete ich an der Seite meiner Mutter, um mir noch einen Nebenverdienst zu verschaffen, oder meine Studien zu fördern.«

»Dieses stille Zusammenleben genügte zu unser beider Glück; unsere Liebe war unser Reichthum. O glauben Sie es mir, Herr Doktor, in meinen Augen ist sie ein himmlisches Wesen, diese demüthige Frau, deren ganzes Dasein ein fortgesetztes Opfer war und die selbst der furchtbar drohenden Erblindung trotzte um ihren Sohn Etwas lernen in lassen.«

»Da haben Sie Recht, Ihre Mutter ist eine wackere Frau,« sagte der Doktor bewegt; »o die verborgenen Tugenden sind stets die erhabensten.«

»Nun will ich Ihnen erzählen,« fuhr Wilhelm fort, »welches Unheil, welch strafbare Verirrung plötzlich die dieses stille Glück vernichtete und ein wahres Meer von Leid und Elend über mich und meine Mutter brachte.«

»Mein Herr, der Baumeister, ist ein heftiger, aufbrausender Mann, der in seinen Zornsausbrüchen Jedem rauh und grob begegnet; die geduldigsten Commis und Diener hielten es meist nur einige Monate bei ihm aus. Was mich angeht, so glaubte ich unter der bitteren Schale einen guten Kern zu entdecken, und so ertrug ich ohne Murren die oft unverdiente Härte. Nach Verlauf einiger die Zeit schien er in Folge dessen eine Art von Achtung, ja sogar Zuneigung zu mir zu hegen, wiewohl ich darum von seinen unwirschen und oft selbst grausamen Worten keineswegs verschont blieb.«

»Ich bemühte mich, ihm fleißig und treu zu dienen und und er verkannte mein Streben nicht; zweimal hatte er bereits meine jährliche Einnahme aus eigenem Antriebe erhöht. Zwar verdiente ich nicht mehr als die Kosten unseres Haushaltes betrugen aber es war mir doch gelungen, dass Leben meiner Mutter sorgenfrei und behaglicher zu machen.«

»Eines Morgens ließ mein Principal mich in sein Zimmer rufen. Alls ich eintrat, sah er mich freundlich an.«

»Wilhelm sind Sie wohl schon gereist?« fragte er.

»Ich war einmal in Antwerpen, einmal in Aalft und einmal in Hal,« versetzte ich.

»Weiter nicht? Also haben Sie das Flachland nicht verlassen, noch niemals Berge gesehn?«

»Nein, Herr, noch niemals,« war meine Antwort.

»Und es würde Ihnen Freude machen, sie kennen zu lernen?«

»Es war seit Jahren mein Wunsch.«

»Nun so hören Sie,« sagte er wohlwollend. »Vor etwa drei Jahren fertigte ich im Auftrag eines adligen Herrn zu Lüttich einige Zeichnungen und Pläne an, zum Bau eines Landhauses. Der Herr fand meine Arbeit nicht nach