Das Pulver

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Um des „Ruhmes“ willen

Ihre ersten Liebhaber
1

Wäre ihm ein Blick in die Zukunft vergönnt gewesen, er hätte den Tag verflucht, an dem ihm seine Tochter geboren wurde. So aber ließ Antoine Dreux d’Aubray, Sohn eines Schatzmeisters von Frankreich, Herr auf Offémont und Villiers, Staatsrat, stellvertretender Oberrichter von Paris, Requetenmeister, Inhaber einer Propstei und Vizegrafschaft sowie Vorstand des Minenwesens im französischen Königreich, das freudige Ereignis gebührend feiern. Diesen zweiundzwanzigsten Juli 1630 empfand der stolze Vater auch deshalb als besonderen Festtag, weil Marie Madeleine das erste von mehreren Kindern war, die seine Frau ihm schenkte.

Entzückend, hieß es allgemein, wenn man auf das kleine Mädchen zu sprechen kam, und diesen Eindruck machte sie auch später noch als Frau auf alle, die ihr begegneten. Sie hatte kastanienbraunes, sehr volles Haar, eine regelmäßige Nase, ein rundes, hübsches Gesicht mit einem auffallend weißen Teint, von dem sich das Blau ihrer großen, sanften Augen lebhaft abhob, kurz gesagt, keinen einzigen unangenehmen Zug.

Marie Madeleine d’Aubray erhielt eine gute schulische Ausbildung, Ihre Briefe, die sie in späteren Jahren schrieb, waren fehlerfrei in der Rechtschreibung, eine Seltenheit bei Frauen ihrer Zeit. Obwohl von auffällig kleiner, schmächtiger Gestalt, hatte sie eine kräftige, ausdrucksvolle, geradezu männliche Schrift. Ihre religiöse Unterweisung wurde dagegen stark vernachlässigt. Noch schlimmer stand es um ihre moralische Erziehung, jeder Begriff von Tugend und Sittlichkeit fehlte ihr. Schon als fünfjähriges Kind frönte sie den liederlichsten Lastern, und gerade erst sieben Jahr alt, verlor sie ihre Jungfräulichkeit. Später gab sie sich sogar noch ihren jüngeren Brüdern hin.

Schon von Kind an war sie also sinnlichen Begierden preisgegeben, eine Heidin ohne Zucht und Schamgefühl, und das sollte sie auch bleiben, als sie erwachsen wurde, ja da erst recht, und dennoch galt sie bei allen, die Umgang mit ihr hatten, als eine der liebenswürdigsten Pariserinnen ihrer Zeit. Sie enthüllte sich als eine ungestüme, leidenschaftliche Natur mit bewundernswerter Tatkraft, die sich jedoch nur unter der Herrschaft ungezügelter Instinkte entfaltete, denen sie keinen Widerstand entgegenzusetzen vermochte. Gegen Beleidigungen, besonders wenn sie sich in ihrer Eigenliebe gekränkt fühlte, war sie außerordentlich empfindlich. Marie Madeleine gehörte zu jenen Charakteren, die, richtig geleitet, Großes zu leisten vermögen, doch ebenso auch schwerste Verbrechen verüben, wenn sie von ihren niedrigen Trieben gesteuert werden.

Marie Madeleine d’Aubray war einundzwanzig Jahre alt, als sie standesgemäß einen jungen Regimentsoberst heiratete: Antoine Gobelin de Brinvilliers, Freiherr von Rourar, Sohn eines reichen Präsidenten der Oberrechnungskammer, in direkter Linie von Gobelin abstammend, dem Gründer der berühmten Fabrik für handgewebte Wandteppiche nach künstlerischen Vorlagen. Die Braut brachte ihrem Bräutigam die beträchtliche Mitgift von zweihunderttausend Livre in die Ehe sowie die Aussicht auf ein beträchtliches Erbe, und da er ebenfalls ein wohlhabender Mann war mit einem Jahreseinkommen von dreißigtausend Livre, verfügte das junge Paar über ein für jene Zeit stattliches Vermögen.

Reichtum spielte für den Marquis de Brinvilliers eine sein ganzes Leben beherrschende Rolle, um seine reichlich luxuriösen Bedürfnisse zu befriedigen. Er liebte das Glücksspiel, überhaupt jede Zerstreuung, und an diesem fröhlichen, ausgelassenen Tun und Treiben änderte auch seine Heirat nichts. Gewiss, seine Gattin Marie Madeleine war eine sehr anmutige Frau, die ihn durch ihre lebhafte, anregende Unterhaltungsgabe fesselte, aber taten das nicht andere Frauen auch? Und schleifte sich das nicht im Laufe der Jahre ab so wie alles mit der Zeit seinen Reiz verliert, wenn man es nur noch als alltäglich wahrnimmt?

So lebte der junge Marquis lustig in den Tag hinein, Gesellschaft fand er überall, denn wer Geld hat, ist nie allein. Er war gerade acht Jahre verheiratet, als er im Jahre 1659 eine enge Freundschaft mit einem Rittmeister im Regiment Tracy anknüpfte, einem gewissen Godin, der sich Sainte-Croix nannte, aus Montauban gebürtig. Die beiden Männer hatten sich im Felde kennengelernt, wo der Marquis von Brinvilliers als Oberst beim Regiment Normandie diente.

Sainte-Croix, ein stattlicher junger Mann, der sich als Spross einer vornehmen Familie aus der Gascogne ausgab, obwohl man daran zweifelte und ihn eher für ein uneheliches Kind hielt, lebte in dürftigen, ärmlichen Verhältnissen, ein Nachteil, den er durch seltene, hervorragende Geistesgaben aufzuwiegen verstand. Er wusste nicht nur seinen scharfen Verstand zum Vorteil einzusetzen, sondern auch sein anziehendes Äußeres, dem eine Frau auf die Dauer nur selten zu widerstehen vermochte. So empfänglich er für die Liebe, so eifersüchtig war er darin bis zur Raserei und auch in seinem Ehrgefühl äußerst reizbar. Durch seinen einnehmenden, geistvollen Gesichtsausdruck verschaffte er sich leicht Vertrauen und Zuneigung, und dank seiner Geschmeidigkeit schlüpfte er überzeugend in jede Rolle, ob Wohltäter oder Schurke. Das Vergnügen anderer betrachtete er als sein eigenes und ging mit ebenso viel Bereitwilligkeit auf ein wohltätiges Werk ein wie auf die Planung eines Verbrechens. Er war einer von den Glücksrittern, die, weil sie selbst nichts haben, alles fremde Gut als ihr Eigentum betrachten. Obwohl so gut wie ohne Einkommen, schwelgte er in einer Verschwendungssucht ohnegleichen und war zu jeder Schandtat bereit, von der er sich einen Gewinn erhoffte. Übrigens gab er sich einige Jahre vor seinem Tod auch mit pietistischen Fragen ab und verstand es hervorragend, von dem Gott zu sprechen, an den er nicht glaubte, und dank dieser frommen Maske, die er nur unter Freunden ablegte, schien er an allen guten Werken teilzunehmen und war zugleich bei allen Schlechtigkeiten dabei. Sainte-Croix war zwar ein verheirateter Offizier, was ihn aber nicht daran hinderte, gelegentlich auch Tracht und Titel eines Abbé anzunehmen.

Was kommen musste, war dann auch geschehen: In seinem Feldkameraden, dem Marquis de Brinvilliers, der bei seinem Hang zum Vergnügen einen großen Aufwand trieb, witterte Sainte-Croix eine fette Beute, die er zu seinem Vorteil auszuschlachten hoffte, und es brauchte nicht viel Geschick­lichkeit, seine Angel nach ihm auszuwerfen und sich bei ihm einzuschmeicheln. Nach dem Ende des Feldzugs führte ihn der Marquis selbst in sein Haus ein, und auch hier geschah, was kommen musste: Aus der dicken Männerfreundschaft zwischen Marquis und Rittmeister entwickelte sich schon bald ein intimes Verhältnis zwischen dem Freund des Hausherrn und dessen Ehefrau. Sainte-Croix, der glänzende, galante Kavalier wurde der Liebhaber von Marie Madeleine de Brinvilliers, der reizendsten Marquise von der Welt mit ihrer zierlichen Figur und ihren blauen Augen. Durch den bunten Reigen seiner Zerstreuungen zu sehr abgelenkt, um auf die Schritte seiner Gemahlin zu achten, sah der Marquis keine Bedenken in ihrem Betragen, und so hatten die Liebenden freie Hand zu tun, was und wie es ihnen beliebte: Was anfangs noch im Verborgenen begonnen, trieben sie dann rasch ohne jede Scheu nach außen und ohne Rücksicht auf den jeweiligen angetrauten Ehepartner.

Was hatte sich da gesucht und gefunden: ein Herz und eine Seele, zwei Seelen und ein Gedanke oder zwei Herzen und ein Schlag? Es war ein verhängnisvolles Bündnis zweier Menschen, das Tod und Verderben über andere bringen sollte wie über sich selbst.

Die Marquise von Brinvilliers machte aus ihrem ehebrecherischen Verhältnis kein Geheimnis, im Gegenteil, sie brüstete sich damit vor aller Welt, und je mehr Aufsehen und Ablehnung sie damit erregte, desto selbstzufriedener und hochgemuter gab sie sich. Sie spreizte sich auch vor ihrem Gatten damit, der aber keineswegs vor Wut schäumte, sondern mit größter Gleichgültigkeit darüber hinwegging und sich schadlos hielt, indem er ihr mit gleicher Münze heimzahlte und sich mit anderen Frauen amüsierte. Auch störte es ihn nicht weiter, dass sie für die Lustbarkeiten mit ihrem Liebhaber das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswarf, es war ja neuerdings ihr eigenes. Denn inzwischen hatte der Marquis, von Vergnügen zu Vergnügen jagend, seine Vermögensverhältnisse so stark zerrüttet, dass es seiner Gemahlin gestattet wurde, ihr in die Ehe eingebrachtes Kapital zurückzuziehen und selbst zu verwalten. Durch diesen Schritt glaubte sie sich berechtigt, alle weiteren Rücksichten außer Acht zu lassen und sich unbeschränkt ihren Ausschweifungen hinzugeben.

Bei ihrem Vater dagegen, einem Mann von echtem Schrot und Korn, kam sie mit ihrer Prahlerei und Selbstgerechtigkeit schlecht an. Er war ein gesetzestreuer Beamter, weder ein Freigeist noch ein Freund von lockeren Sitten, sich sehr wohl der Rechte bewusst, die ihm als Familienoberhaupt zustanden. Ihm galt die Ehre seiner Tochter mehr als ihrem Gemahl. Auf seine Vorhaltungen lachte sie nur, und setzte er sie unter Druck wie ein strenger Vater ein ungezogenes Kind, verzerrte sich ihr sonst so liebliches Gesicht vor Zorn zur Fratze. Alles Zureden half nichts, auch keine Drohungen, der gute Ruf seines Hauses stand auf dem Spiel, er musste handeln. Dank seiner Beziehungen erwirkte er einen königlichen Geheimbefehl, une lettre de cachet, gegen den Liebhaber seiner Tochter. Am neunzehnten März 1663 wurde Sainte-Croix, Seite an Seite neben seiner Geliebten sitzend, Ehebrecher neben Ehebrecherin, aus einer Karosse heraus verhaftet und in die Bastille gebracht.

2

Aus und vorbei war es mit der verbotenen Liebe, doch mit dem Keil, der das Paar getrennt hatte, war der Keim für ein furchtbares Verbrechen gelegt.

 

Das aber hatte Antoine Dreux d’Aubray, Herr auf Offémont und Villiers, nicht ahnen können. Für die Einlieferung Sainte-Croix’ in die Bastille sollte das Gleiche gelten wie für die Geburt seiner Tochter: Wäre ihm ein Blick in die Zukunft vergönnt gewesen, er hätte den Tag verflucht, an dem auf sein Betreiben hin ihr Liebhaber verhaftet wurde.

Une lettre de cachet war eine vielfach praktizierte Methode, um unliebsame Zeitgenossen aus dem Verkehr zu ziehen. Wer hinter den Mauern des Staatsgefängnisses, dem Symbol der Tyrannei, verschwand, sah sich der staatlichen Willkür ausgesetzt. Dieses Schicksal traf viele: In die Bastille hinein kam man leicht, aus der Bastille heraus dagegen schwer. Das hoffte auch der Staatsrat d’Aubray, doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht.

Sainte-Croix gehörte zu den Ausnahmen. Nur knapp zwei Monate blieb er dort, am zweiten Mai lebte er wieder auf freiem Fuß. Doch in dieser Zeit der Haft lernte er einen Gesinnungsgenossen kennen, der sich mit den Geheimnissen der italienischen Gifte bestens auskannte. Es war der berüchtigte Exili, mit wahrem Namen Eggidi, oder auch Gilles, ein italienischer Edelmann in Diensten der Königin Christine von Schweden. Da hatten sich zwei gefunden, wie sie besser nicht zusammenpassen konnten, denn im Austausch unheimlicher Rezepte, mit denen man seine Mitmenschen ins Jenseits befördern konnte, verging die Gefangenschaft in der Bastille wie im Flug.

„Die Franzosen“, meinte der italienische Edelmann und Giftmischer, „gehen bei ihren Verbrechen viel zu ehrlich zu Werke und verstehen auch ihre Rache nur so wenig geschickt auszuführen, dass sie immer selbst deren Opfer werden. Sie führen den Streich gegen ihren Feind mit so viel Geräusch, dass sie sich selbst einen noch weit grausameren Tod zuziehen als jenen, den sie ihrem Feind antun, indem sie zugleich Vermögen und Ehre verlieren. Die Italiener sind feiner in ihrer Rache. Sie haben es in ihrer Kunst so weit gebracht, dass sie Gifte bereiten können, die dem geschicktesten Arzt verborgen bleiben. Ein schneller oder langsamer Tod, wie es ihre Zwecke erfordern, steht in ihrer Macht. In beiden Fällen lassen ihre Mittel keine Spuren zurück, sie sind, wenn sich doch einige Kennzeichen finden, so zweideutig, dass man sie auch der gewöhnlichsten Krankheit zuschreiben kann und die Ärzte in der völligen Ungewissheit über die unbestimmten Anzeichen, die sie bei ihren anatomischen Untersuchungen finden, den Tod des Patienten nicht anders zu erklären wissen als mit allgemeinen Ausflüchten, die sie immer bei der Hand haben, verborgenen Krankheitsstoffen, schlimmen Zufällen, ungesunder Luft und dergleichen. Dies ist eigentlich die wahre Kunst, die es versteht, die Verbrechen der Menschen auf die Rechnung der Natur zu setzen.“

So redete Exili über seinen reichen Erfahrungsschatz. Er war also ein Giftmischer der Oberklasse, mit allen Wassern gewaschen, irrte jedoch in der Annahme, sein Haftgenosse sei in dieser Kunst weniger bewandert als er. Das Gegenteil war der Fall, denn bei ihrer Fachsimpelei stellte sich immer deutlicher heraus, dass Sainte-Croix mit seinen Kenntnissen auf diesem Gebiet seinen neuen Kumpan übertraf. Denn lange vor seiner Einlieferung in die Bastille hatte sich der junge Kavallerieoffizier bei dem berühmten Schweizer Chemiker Glaser das erforderliche Fachwissen angeeignet. Glaser, in Basel geboren, war nach Paris gezogen und lebte seit langem im Faubourg Saint-Germain, wo er sich mit der Veröffentlichung eines erfolgreichen Lehrbuchs der Chemie einen Namen gemacht und eine geachtete Stellung erworben hatte. Er war Leibapotheker des Königs und von Monsieur, dem ältesten Bruder Ludwigs XIV., sowie Lehrer der Chemie am Jardin des Plantes, außerdem ein tüchtiger Gelehrter. Das schwefelsaure Kali, das er entdeckt hatte, trug lange seinen Namen. Glaser war der Hauptlieferant, wenn nicht gar der einzige, von Sainte-Croix und dessen Mätresse, die in ihren Briefen, wie man sie in der Kassette fand, die von ihnen verwendeten Gifte „das Rezept Glaser“ nannten.

Gesprächsstoff gab es also genug zwischen Sainte-Croix und seinem Mitgefangenen Exili, nicht nur in der Bastille, auch nach der Entlassung, denn der italienische Edelmann gehörte ebenfalls zu den Glückspilzen, die nach fünf Monaten Haft wieder entlassen wurden, zwei Monate nachdem Sainte-Croix freigekommen war. Ihr Wiedersehen erfolgte zwar nicht sofort, es sollte vielmehr ein Wiedersehen auf Umwegen werden; denn ein Polizeihauptmann von der Kompanie des Chevaliers du Guet, ein gewisser Desgrez, nahm Exili bei der Freilassung in Empfang mit der Weisung, ihn nach Calais zu bringen und dort an Bord eines Schiffes, das nach England fuhr. Doch der Italiener ließ sich nicht so leicht abschieben, denn schon bald tauchte er wieder in Paris auf, wo er im Haus seines Pulver und Essenzen mischenden Kollegen ein halbes Jahr lang Unterschlupf fand. Es gab ja noch so viel zu bereden und zu experimentieren.

Danach trennten sich ihre Wege. Exili blieb auch weiterhin mit der schwedischen Königin Christine in steter Verbindung und ging achtzehn Jahre nach seiner Entlassung aus der Bastille mit der reichen Gräfin Ludovica Fantaguzzi, einer Kusine des Herzogs von Modena, eine Heirat ein. Er hatte sein Schäfchen ins trockene gebracht.

Der Todesengel
1

Die Wege von Sainte-Croix und der Marquise von Brinvilliers hatten sich dagegen längst wieder vereint, denn kaum aus der Bastille entlassen, nahm er seine Beziehungen zu ihr erneut auf. Zwei Monate ohne Frau war eine Qual für ihn gewesen, mehr aber noch für seine Mätresse, deren Begierde nach ihrem Bettschatz sich durch seine Haft noch gesteigert hatte. Die ungezügelte Leidenschaft, mit der sie sich die lange Zeit über nach ihm verzehrte, die Ungeduld, mit der sie ihn erwartete, hatte die Abneigung gegen ihren Vater bis zum erbitterten Hass geschürt. Einzig seinetwegen litt sie Nacht für Nacht, wälzte sich, von unbefriedigter Wollust gepeinigt, im Bett von einer Seite auf die andere, nur wegen seiner ehrpusseligen Unduldsamkeit musste sie ein freudloses Dasein fristen. Was hatte er nur gegen ihr Glück mit einem Mann, den sie liebte, auch wenn kein kirchlicher Segen ihre Verbindung legitimierte? Hielt sich nicht Ludwig XIV. reihenweise Mätressen, und eiferten ihm die hohen Herren nicht nach, sogar der Klerus? Müsste man sie nicht alle wegen ihres ehebrecherischen Treibens in die Bastille werfen, den „Sonnenkönig“ als Ersten mit einem königlichen Geheimbefehl von eigenen Gnaden? Was alle Welt wusste, wusste auch ihr Vater, aber nein, er wollte gesetzlicher sein als das Gesetz, Ehebruch, wie er es nannte, brachte die Familie in Verruf, und das hinzunehmen, ging ihm wider die Ehre. Hinter einer glänzenden Fassade musste es auch im Haus sauber sein.

Auch jetzt beugte sich die Marquise von Brinvilliers dem Willen ihres Vaters nicht, im Gegenteil, sie trieb es noch ausgelassener als zuvor. Ein Vergnügen jagte das andere, ihre Spielleidenschaft wusste sie nicht zu bremsen, die vielen üppigen Gelage und die Lustpartien mit ihrem Liebhaber, den sie, wie es Brauch war, freihielt: Das alles kostete Geld, viel Geld, das sie sorglos mit vollen Händen hinausschmiss, bis sie dann eines Tages merkte, dass die Genusssucht ihr Vermögen bedrohlich geschmälert hatte. Würde sie weiterhin für diesen Mann so viel opfern, dann wäre sie bald ruiniert, wie sie sich eingestehen musste.

Aber da war ja noch das väterliche Erbe, das ihr eines Tages in den Schoß fallen würde, doch eines Tages, wann mochte das wohl sein? Es konnte noch lange dauern, und bis dahin wollte sie nicht warten, sie brauchte jetzt, was ihr zustand, jetzt, solange sie noch etwas davon hatte. Man musste ein wenig nachhelfen, damit der Tod kommt, wenn man ihn braucht, und in dem Fall brauchte sie ihn schon bald, zumal ihr Wunsch, sich für die erlittene Schmach zu rächen, täglich stärker wurde. Ihr Erbteil musste her, und sie begann einen Plan zu schmieden, wie er schauerlicher nicht sein konnte. Ihr Liebhaber wusste schon die richtigen Mittel, und sein Hass auf den Alten, der ihn in die Bastille gebracht hatte, war nicht weniger stark als ihrer. Auch er brannte darauf, sich zu rächen und zusammen mit seiner Geliebten das durch heimtückischen Mord geraubte stattliche Vermögen zu verprassen, hatte doch dieser strenge Sittenrichter ihn mitten im Genuss seiner sinnlichen Freuden zu einer Zeit gestört, als der Ehemann selbst vor Blindheit oder Gleichgültigkeit darüber hinweggegangen war. Auch jetzt stand der Patriarch ihm beim Umgang mit der Marquise erneut im Weg und hinderte ihn wie früher, die süßen Früchte seiner Leidenschaft zu genießen. Der Alte muss weg, dachte auch Sainte-Croix, und der Henker des Vaters soll die Tochter sein.

Die Marquise von Brinvilliers handelte rasch, aber nicht überstürzt. Alles musste wohlüberlegt sein, ohne verräterische Spuren zu hinterlassen. Von nun an sahen die Bewohner an der Ecke der Place Saint-Germain oft einen Wagen halten, aus dem ein junger Offizier und eine elegante Dame stiegen. Zu Fuß gingen sie dann weiter zur Rue du Petit-Lion, wo Glaser wohnte, und verschwanden in einem abgelegenen Zimmer. Natürlich erregte das blendend aussehende Paar die Aufmerksamkeit der Hausbewohner, die sich fragten, was die beiden dort wohl zu suchen hatten, die Sache kam ihnen nicht ganz geheuer vor. Als sich die Besuche dann häuften, wuchs der Verdacht, und man begann hinter vorgehaltener Hand von Falschmünzerei zu munkeln. An Gift, gar an „das Rezept Glaser“, dachte niemand, weil niemand im Haus davon auch nur im Geringsten wusste - außer einem Diener in Begleitung des Paares, der eines Tages gegenüber Laurent Perette, einem Lehrburschen des Apothekers, der Näheres über die vornehme Dame wissen wollte, nach allem, was er beobachtet hatte, den Verdacht hegte:

„Das ist Frau von Brinvilliers, ich wette um meinen Kopf, dass die beiden bloß zu Glaser kommen, um Gift bei ihm machen zu lassen.“

Er ahnte nicht, wie Recht er mit seiner so leichthin geäußerten Vermutung hatte, denn einige Zeit später konnte man derselben jungen Dame als Wohltäterin in den Spitälern begegnen, wo sie mit der Frömmigkeitsmiene einer mitleidenden Betschwester die Kranken besuchte, sich liebevoll über ihr Bett neigte, ihnen Mut zusprach und sie außer durch tröstende Worte über ihr schweres Schicksal noch mit Wein, Biskuits und Konfitüren erquickte. Doch weder ihre Teilnahme noch ihre Leckereien halfen den Unglücklichen wieder auf die Beine, im Gegenteil, alle Kranken, denen sie sich genähert hatte, starben unter heftigsten Krämpfen und Schmerzen, als habe ein Pesthauch sie dahingerafft. Niemandem wäre es im Traum eingefallen, dass die Dame aus einer so angesehenen Familie, eine Frau von so zartem, engelsgleichem Aussehen und anscheinend sanftem Wesen, sich ein Vergnügen daraus machen würde, in die Spitäler zu gehen, um die Kranken zu vergiften und die Wirkungen dieses Giftes bei Menschen zu erproben.

Zuvor hatte sie damit schon ihre ersten Experimente erfolgreich bei Tieren unternommen, Versuche, die ihr jedoch nicht genügten, da sie befürchtete, bei der Verschiedenheit des menschlichen Körpers könne das Gift vielleicht nicht in der gleichen Weise wirken. Jetzt dagegen wusste sie es besser - bis auf eines: Das Ergebnis war klar, sie wollte aber noch selbst mit eigenen Augen die Wirkungen und Symptome sehen, ein Wunsch, den ihr die Klugheit bei den Kranken in den Spitälern nicht erlaubte.

Françoise Roussel, ihre Kammerjungfer, schien ihr als Versuchsobjekt dafür geeignet. Sie gab ihr eines Tages auf einer Messerspitze eingemachte Johannisbeeren zu kosten, die bei dem ahnungslosen Mädchen sofort Übelkeit verursachten. Doch nicht genug damit, Françoise musste bei einer anderen Gelegenheit auch noch eine Scheibe feuchten Schinken probieren und litt seitdem an heftigen Magenschmerzen, wie wenn man ihr das Herz durchsteche, wie sie später bekannte. Drei Jahre lang machte ihr die Krankheit zu schaffen.

Die Marquise wiederholte diese Experimente auch noch an anderen, um die Wirkung ihres Giftes bei verschiedenen Personen methodisch zu studieren. So setzte sie bisweilen ihren Gästen vergiftete Taubenpasteten vor, nicht gerade um sie ums Leben zu bringen, sondern nur um weitere Beobachtungen über die Wirksamkeit der Giftsubstanzen anzustellen.

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