Fromme Industrie

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Die Firma Benziger habe «die groessten Buchdruckereien, Steindruckereien, Stahlstichdruckereien der Schweiz», schrieb Nikolaus B.-Benziger II (1830–1908) im Jahr 1904.

130

 Die Industrieanlagen von Benziger erreichten aber nie die Dimensionen der grossen deutschen Verlagsdruckereien wie Brockhaus in Leipzig oder Cotta in Stuttgart.

131

 Dennoch verfügte der Benziger Verlag in dieser Zeit über ein technisches Know-how und eine Infrastruktur, die international keinen Vergleich zu scheuen brauchte. So gelang es dem Unternehmen ab etwa der Jahrhundertmitte, sich für einige Jahrzehnte an der internationalen Spitze zu etablieren. Adelrich B.-Koch schrieb 1859 von einer Geschäftsreise an seinen Vater und seinen Onkel: «Es besteht in ganz Deutschland keine Buchbinderei, die wie unsere fabrikartig betrieben wird.» Vergleichbar effiziente Buchbindeanstalten fände man höchstens in England, Paris, New York und Philadelphia.

132

 Über die eigenen Stahlstichreproduktionen hiess es ein paar Jahre später in einem Brief, den die Verlagsleitung nach Amerika schickte: «In Stahlstichen besteht nichts so gediegenes wie unser Verlag. Das anerkennen sogar die eitlen selbstsüchtigen Franzosen.»

133



Im Verlag wurde in dieser Zeit der Anspruch gepflegt, Innovationen im Bereich der Reproduktionstechnologien möglichst bald im eigenen Betrieb einzusetzen. Dank der Chromolithographie farbige Andachtsbilder zu produzieren, schien den damaligen Verlegern beispielsweise selbstverständlich. Nikolaus B.-Benziger II schrieb 1867 auf einer Geschäftsreise von München nach Einsiedeln: «Es ist wirklich an der Zeit ‹bald› mit chromo Heiligenbildern zu beginnen, wollen wir die ersten sein.»

134

 Zwei Jahre später reiste sein Bruder Adelrich B.-Koch nach Paris, um sich vor Ort ein Bild über die lithographischen Schnellpressen der Firma Voirin zu machen. Auch in London besichtigte er solche Pressen. Zunächst liess Benziger seine Farbendrucke noch in Paris bei der Firma Lorilleux herstellen.

135

 1871/72 investierte die Firma schliesslich die beträchtliche Summe von 42 000 Franken in vier lithographische Schnellpressen, die aus Paris importiert und in Einsiedeln montiert wurden.

136

 Die Firma Benziger war eines der sehr frühen kontinentaleuropäischen Verlagshäuser, das mit lithographischen Schnellpressen arbeitete, in der Schweiz gar das erste.

137



Der Benziger Verlag hat sich in dieser Zeit in einzelnen Fällen auch selbst aktiv um die Entwicklung von neuen Erfindungen bemüht: Mit Cyprien Maria Tessié du Motay (1818–1880), einem französischen Chemiker und einem der Erfinder der Phototypie, standen sowohl das Geschäft in Einsiedeln als auch die Filialen in den USA in Kontakt. Du Motay reiste in den Jahren 1874/75 mehrmals nach Einsiedeln, um in den Ateliers der Firma Benziger Versuche in der Druckfotografie zu machen.

138

 1879 schrieb die Verlagsleitung in Einsiedeln stolz nach Amerika, dass sie für ihre «Leistungen auf dem Gebiete der Phototypie» zahlreiche Anerkennungen «von den ersten Häusern in Deutschland, Oesterreich und Frankreich» erhalten hätten.

139

 Mit diesem Verfahren liessen sich Bilder in beliebigen Formaten billig reproduzieren, heisst es in einem späteren Brief. Aufträge verschiedener «der grössten Verleger Deutschlands» seien bereits eingegangen.

140



In den eigenen technischen Betriebe wurden in erster Linie Bücher für den eigenen Verlag hergestellt. Dank der fortschrittlichen technischen Infrastruktur wähnte man sich gegenüber der direkten Konkurrenz im Vorteil. Im Januar 1866 schrieb Adelrich B.-Koch in die USA, dass man in Einsiedeln künftig noch stärker darauf achten werde, «nur illustrirte, schöne Bücher verlegen, die andere nicht nachdrucken können wegen Mangel an guter Einrichtung».

141

 Einfach auszuführende Druckaufträge liess Benziger, wenn keine eigenen Kapazitäten mehr vorhanden waren, hin und wieder auch auswärts drucken, häufig bei der Firma Brockhaus in Leipzig, mit der man schon länger geschäftlich verbunden war.

142



Die Verlagsleitung in Einsiedeln pochte darauf, alle technischen Einrichtungen in Einsiedeln zu konzentrieren, und riet den amerikanischen Filialen stets dezidiert davon ab, selbst Fabrikationen zu betreiben. Die amerikanischen Filialen sollten ihre Verlagswerke in Einsiedeln drucken lassen. So konnte sich Benziger mit seinen Produktionsstätten in Einsiedeln international lange Zeit behaupten. Zum einen sorgte der sichere Absatz der Verlagswaren in den USA für hohe Auflagen und somit eine hohe Auslastung der Maschinen. Zum anderen erschlossen die Filialen dem Geschäft in Einsiedeln Quellen für den Import von kostengünstigen Maschinen aus den USA, die nicht allen europäischen Konkurrenzunternehmen zugänglich gewesen sein dürften. Benziger importierte ab den 1860er-Jahren unter anderem von der Firma R. Hoe & Company in New York und später auch von der Firma Miehle in Chicago Druckerpressen und andere Maschinen für die technischen Betriebe.

143



Um die Entwicklung des Unternehmens über die Zeit zu verfolgen, dienen uns als dritter Indikator die Arbeiterzahlen im Verlag. Im Falle des Benziger Verlags sind die überlieferten Zahlen für das 19. Jahrhundert jedoch unvollständig und teilweise widersprüchlich; erst ab etwa 1900 sind die Angestelltenverzeichnisse vollständig überliefert.



Dass die Zahlen stark voneinander abweichen, liegt vermutlich nicht bloss an der lückenhaften Überlieferung, sondern auch daran, dass die Firma ihre Arbeiterverzeichnisse stets als eine Art Betriebsgeheimnis behandelte. Selbst die Konkurrenzunternehmen in Einsiedeln kannten offenbar die genaue Zahl der Arbeiter bei der Firma Benziger nicht.

144

 Als der Bezirksrat 1877 ein Arbeiterverzeichnis aller grösseren Betriebe im Bezirk einforderte, weigerte sich der Benziger Verlag, ein solches zu erstellen. Die Verleger begründeten ihre Haltung mit der fehlenden gesetzlichen Grundlage und sahen in der Forderung des Bezirksrats eine Strategie ihrer Konkurrenten in Einsiedeln, die ihr Amt als Bezirksräte dazu ausnutzen würden, Spionage über die Arbeiterverhältnisse in der Firma Benziger anzustellen.

145



In den Verlagsprodukten des Benziger Verlags und in der Sekundärliteratur finden sich dennoch vereinzelt Angaben zur Zahl der Angestellten, sodass sich deren Entwicklung grob skizzieren lässt. Die Verlagsgeschichte von 1942 nennt für 1830 rund 35 Buchbinder und ihre Familien, die für den Verlag tätig gewesen seien. Daneben darf man sich wohl noch ein paar Dutzend weitere Angestellte vorstellen, die als Kolporteure unterwegs waren, Rosenkränze kettelten und den Devotionalienladen führten, sowie allenfalls einige Büroangestellte, welche die Korrespondenz und die Buchhaltung besorgten. Eine eigene Druckerei unterhielt man damals noch nicht. 1860 waren laut derselben Verlagsgeschichte 90 Buchbinder (wovon 20 in Heimarbeit), 180 Bilderkoloristen und 60 Rosenkranzkettlerinnen für den Verlag tätig. Zur Zahl der in der Druckerei tätigen Personen macht die Verlagsgeschichte von 1942 allerdings keine Aussage.

146

 Ambros Eberle sprach 1858 in einem Referat von 180 Kindern, die zum Kolorieren von Heiligenbildern herangezogen würden, rund 30 Buchbinderfamilien, die in Heimarbeit tätig seien, einer fabrikmässig betriebenen Buchbinderwerkstätte sowie 50 Rosenkranzkettlerinnen, die für den Benziger Verlag tätig seien. Auch er liess die personalintensive Buchdruckerei unerwähnt.

147

 Laut der Verlagsgeschichte von 1967 betrug die Zahl der Angestellten um 1850 in Einsiedeln insgesamt rund 500 Personen.

148



Robert Kistler spricht in seiner Wirtschaftsgeschichte des Kantons Schwyz von durchschnittlich 800 Angestellten in den Jahren von 1880 bis 1900.

149

 Odilo Ringholz zählte 1896 nahezu 900 Arbeiter.

150

 Auch in den Verlagskatalogen selbst findet sich in den 1880er-Jahren hin und wieder die Zahl von 900 Angestellten.

151

 In einem kurzen Artikel der Zeitung «Vaterland» über Adelrich B.-Koch aus dem Jahr 1885 heisst es, der Verlag habe «zu seinen Blüthezeiten» über 900 Angestellte gehabt.

152



Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass der Generationenwechsel in der Verlagsleitung und vor allem die Einführung einer eigenen Druckerei die Zahl der Angestellten ab etwa 1830 stark ansteigen liess und diese sich innerhalb von zwanzig Jahren von ein paar Dutzend auf rund 500 Personen erhöhte. Ab 1860 stieg die Angestelltenzahl noch einmal an und dürfte zu Spitzenzeiten in den 1870er- und 1880er-Jahren die Zahl von 900 übertroffen haben. Die überlieferten Verzeichnisse stützen diese Zahl. Im Jahr 1900, zu einem Zeitpunkt, als man die Angestelltenzahl bereits etwas reduziert hatte, zählte der Verlag in Einsiedeln und Umgebung immer noch 808 Angestellte.

153



Diese Zahlen betreffen lediglich das Geschäft in Einsiedeln. Nicht berücksichtigt sind die Filialen in den USA, für die keine Zahlen überliefert sind. Da die Filialen im 19. Jahrhundert nie eigene Druckereien einrichteten, dürften sie auch deutlich weniger Personal beschäftigt haben. Allerdings betrieb man in Cincinnati schon in den 1860er-Jahren eine Buchbinderei und in New York ein Atelier für Kirchenornamente, das 1894 zu einer Fabrik ausgebaut wurde. Eine Zahl von sicherlich über 100, vielleicht auch 300 oder 400 Angestellten in den US-amerikanischen Filialen scheint für die letzten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts realistisch.



Ende der 1860er-Jahre stellte der Benziger Verlag auch in der Buchbinderei vollständig auf fabrikmässigen Betrieb um. Bis dahin hatte man stets einige der Arbeiter in traditioneller Heimarbeit beschäftigt. Unklar ist, ob der Verdienst im Verlag für diese Arbeiter, die Rosenkranzkettlerinnen oder die Kinder, die Heiligenbilder kolorierten, ein Haupteinkommen war oder lediglich ein Nebeneinkommen zu einer Tätigkeit in Landwirtschaft, Textilindustrie oder einem anderen Gewerbe.

 



Auch zur Herkunft der Kinder fehlen genaue Informationen. Es ist möglich, dass Mitglieder der Verlegerfamilie, die sich in verschiedenen Ämtern im Schul- und Armenwesen sozialpolitisch betätigten und 1869 an der Errichtung einer Erziehungsanstalt für Knaben beteiligt waren, Kinder direkt aus diesen Institutionen rekrutierten. Kinderarbeit war im Unternehmen auch in den 1870er-Jahren noch verbreitet und wurde erst im Vollzug des Fabrikgesetzes von 1877 eingestellt, das die Fabrikarbeit von Kindern unter 14 Jahren verbot.

154



Die meisten Arbeitskräfte des Benziger Verlags in Einsiedeln stammten aus der Region: Um 1890 stammten rund sechzig Prozent aller Angestellten aus dem Kanton Schwyz, die allermeisten davon aus dem eigenen Bezirk.

155

 Auch die amerikanischen Filialen rekrutierten ihr Personal häufig in Einsiedeln. Ab Mitte der 1860er-Jahre bestand dort eine zunehmende Nachfrage nach deutschsprachigen Arbeitskräften, die man in Einsiedeln und Umgebung rekrutierte und in die USA sandte. Erst etwa ab 1880 fanden die Filialen ihr Personal vor Ort.



Betrachtet man die drei Indikatoren gesamthaft, so zeichnet sich eine gesteigerte geschäftliche Betriebsamkeit ab den 1850er-Jahren ab: Die Zahl der Angestellten erhöhte sich markant, es erfolgte der Ausbau der Fabrikationsgebäude, die ersten eigenen Filialen in den USA und die Stahl- und Kupferdruckerei wurden errichtet sowie manch weitere Neuerung eingeführt. Es gibt vielfältige Gründe für diesen Aufschwung in der Jahrhundertmitte. Man darf annehmen, dass die Gründung des schweizerischen Bundesstaats – und damit verbunden die Abschaffung von Binnenzöllen, ein besseres Postwesen und die Vereinheitlichung des Münzwesens – sich günstig auf die Entwicklung des Geschäfts auswirkte; ebenso die fortschrittsoptimistische Stimmung der «Schweiz des Freisinns»

156

 in den Jahrzehnten nach der Bundesstaatsgründung von 1848.

157

 Mit den Quellen aus dem Verlagsarchiv belegen lässt sich dies freilich nicht. Die Neuerungen im jungen Bundesstaat finden dort kaum je Erwähnung. Auch war die Firma Benziger schon damals so stark auf den deutschen und zunehmend den US-amerikanischen Markt ausgerichtet, dass die institutionelle Integration des schweizerischen Binnenraums kaum die entscheidenden Impulse für das Wachstum gegeben haben dürfte.

158



Ein gewichtiger Grund für die Geschäftsausdehnung ab der Jahrhundertmitte dürfte darin liegen, dass die westeuropäische Bevölkerung zunehmend alphabetisiert wurde. Das konnte dem Absatz auch von religiösen Büchern, Kalendern und Zeitschriften nur förderlich sein.

159

 Überhaupt erlebte die religiöse Literatur im Zuge eines allgemeinen religiösen Revivals ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts ein bemerkenswertes Comeback. Nachdem sie in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts von der «Schönen Literatur» überflügelt worden war, was die Zahl der Neuerscheinungen betraf, zählte die religiöse Literatur zwischen 1850 und 1870 vorübergehend wieder die meisten Neuerscheinungen im deutschen Buchhandel.

160



Auf regionaler Ebene war der Aufschwung der Wallfahrt und die internationale Bedeutung des Klosters sicherlich förderlich. Auch firmeninterne Gründe dürfen nicht ausser Acht gelassen werden. In den 1850er-Jahren waren bereits mehrere der zwischen 1821 und 1840 geborenen Söhne von Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger I ins Geschäft eingetreten und in leitenden Positionen am Geschäftsausbau beteiligt.



Etwa von den 1860er-Jahren bis ins ausgehende 19. Jahrhundert gelang es der Firma Benziger, sich an der internationalen Spitze nicht nur innerhalb des katholischen Verlagswesens, sondern überhaupt des grafischen Gewerbes zu etablieren. Zum Vorteil gereichten der Firma Benziger dabei ihre Gründungen in den USA, die bis Ende der 1860er-Jahre beinahe konkurrenzlos blieben und ein lukratives Geschäft waren. In Kriegszeiten, etwa während des amerikanischen Bürgerkriegs von 1861 bis 1865 oder während des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71, und in sonstigen Phasen mit stockendem Absatz konnten sich die Geschäfte gegenseitig unterstützen und Krisenerscheinungen etwas abmildern. Im Sommer 1875 beispielsweise schrieb die Verlagsleitung in die USA: «Europa leidet durch den Culturkampf, Klosteraufhebung, Verbot religiöser Schulprämien in Oesterreich, allgemeine Handelskrise etc. Ihre Unterstützung in Arbeit und Geld wird nöthig werden.»

161



In den Quellen immer wieder genannt wird ein Argument, das bisher noch nicht angesprochen wurde: die positiven Auswirkungen der lokalen Konkurrenzgeschäfte auf die Entwicklung der eigenen Firma. In einem Brief, den die Verlagsleitung im Januar 1869 in die USA schrieb, heisst es: «Die Väter haben nie lebhafter das Geschäft entwickelt als von 1838 bis 1846 wo das mächtige Kloster zu deren Ruin die Curigersche Conkurrenz geschaffen haben. Die Söhne sind nie so strebsam gewesen wie von 1857 bis jetzt wo eine u. zwei unliebe Conkurrentschaften entstanden. In angenehmem Zustande des Monopols wären wir heute vielfach im Geschäfte nicht so weit entwickelt. ausgedehnt haben unser Geschäft die Conkurrenzen.»

162





Unliebsame Konkurrenz – Einsiedeln als Verlags- und Druckereizentrum



Die Firma Benziger war zwar das bedeutendste, im 19. Jahrhundert aber zu keiner Zeit das einzige Unternehmen seiner Art in Einsiedeln. 1833 bestanden in Einsiedeln nicht weniger als fünf weitere Druckereiunternehmen.

163

 Ein für die Firma Benziger besonders ernst zu nehmender Konkurrent war das Kloster Einsiedeln, das sich mit dem Verlust der alten Vorrechte nur schwer abfinden konnte. Es unternahm verschiedentlich Versuche, seinen wirtschaftlichen Einfluss aufs Dorf zurückzuerhalten. Besondere Beachtung schenkte das Kloster dem Buchdruck. Eine Motivation dafür, wieder eine eigene Druckerei zu betreiben, war auch das Bestreben, der «schlechten» liberalen Presse mit eigenen «guten» Druckerzeugnissen begegnen zu können. Bereits im Jahr 1826 hatten konkrete Pläne bestanden, in Muri zusammen mit dem dortigen Benediktinerkloster eine eigene Buchdruckerei einzurichten.

164

 1829 übernahm das Kloster die Druckerei von Plazid Karl und Marianus Benziger. Als Mittelsmann figurierte der ehemalige Lehrer Thomas Kälin, mit dem das Kloster im Januar 1830 einen Vertrag schloss.

165

 1834 ging die Firma an die konservativ gesinnten Konrad Kuriger und Meinrad Kälin über, die sie, weiterhin unterstützt vom Kloster, unter dem Namen Kuriger & Co. weiterführten.



Für Josef Karl B.-Meyer war klar, dass das vom Kloster unterstützte Konkurrenzunternehmen gezielt gegen die Firma Benziger aufgebaut wurde. Er vermutete politische Motive. Hintergrund war folgender: Josef Karl B.-Meyer und in geringerem Mass auch sein Bruder Nikolaus B.-Benziger I hatten sich politisch immer wieder für liberale Anliegen eingesetzt, die den Interessen des Klosters zuwiderliefen. Sie setzten sich beispielsweise für die Gleichberechtigung der äusseren Bezirke des Landes ein und befürworteten die vorübergehende Kantonstrennung im Jahr 1833. Vor allem aber setzte Josef Karl als Mitglied der «Kommission zur Verwaltung der Allmeindgüter von Waldstatt und Stift gemeinsam» und ab 1829 für vier Jahre als Bezirksammann die Trennung der Allmeindgüter durch. Im Kloster schuf er sich damit Feinde: «Es stosst ihm immer noch die alte Galle auf, wenn es nur unsere Namen hört», schrieb B.-Meyer im Januar 1838 an einen Freund. Durch die Unterstützung ihrer Konkurrenten habe das Kloster seinem Geschäft bereits «ungeheuren Schaden» zugefügt.

166

 1839 verkaufte das Kloster seine Anteile an der Firma zwar offiziell an Kuriger & Co., agierte aber weiterhin als deren Förderer. Wiederum ein Jahr später konfrontierte B.-Meyer Abt Cölestin Müller in einem Schreiben mit dem Vorwurf, aus «unedlem Nachgefühle» gezielt und gewaltsam auf den Niedergang des vom Kloster unabhängigen Einsiedler Druckereigewerbes hinzuarbeiten.

167

 Im selben Jahr wandte sich B.-Meyer an seinen Freund Nazar von Reding (1806–1863) in Schwyz, der aus einer politisch einflussreichen Familie stammte und in seiner Laufbahn die höchsten politischen Ämter des Kantons ausübte: «Ich sage es Ihnen also freimüthig : meine gegen das Kloster bisher beobachtete politische Stellung kann ich länger nicht behaupten, ohne die Meinigen zu verderben.»

168

 Das Kloster unterstütze die Firma Kuriger & Co. mit einem Kapital von mehr als 20 000 Florin, lasse alle eigenen Druckaufträge ausschliesslich bei seiner Konkurrenz ausführen, verbiete es seinen Lehensleuten, Bücher von seiner Firma zu beziehen und tue auch sonst alles, um den Absatz seines Geschäfts zu schmälern.



Konkreter Anlass für die Korrespondenz war ein attraktiver Druckauftrag, den das Kloster zu vergeben hatte. Das Kloster besorgte seit 1832 die deutsche Übersetzung der Annalen der französischen «Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens» und liess das Heft bei der Firma Kuriger & Co. drucken. Die Auflage der alle zwei Monate erscheinenden Schrift war mit 12 000 Exemplaren und rund 500 000 Druckbogen jährlich so hoch, dass die unliebsame Konkurrenz von der Firma Benziger kaum verdrängt werden konnte, solange sie sich dieses Grossauftrags gewiss sein konnte. B.-Meyer schrieb an von Reding: «Ohne diesen Zufall hätten wir die Hoffnung nähren können, es werde am Ende das Kloster an Opfern ermüden u. leichten Spieles hätten wir diese Pfuscher von Handelsleuten aus dem Felde getrieben. Jetzt aber können diese Lümmeln im Handel sorglos herumtappen u. zufahren …»

169

 B.-Meyer bat von Reding darum, direkt oder über einen Mittelsmann bei Subprior Pater Thomas Inderbitzin, der im Kloster für dieses Geschäft zuständig war, in dieser Sache Einfluss zu nehmen. Die Firma Benziger hat den Druckauftrag zwar selbst nie erhalten, nach 1842 scheint aber auch Kuriger & Co. die Annalen nicht mehr gedruckt zu haben.

170

 1849 gelang es der Firma Benziger schliesslich, die Firma Kuriger & Co. zu übernehmen. Bis 1851 kaufte man auch drei weitere Firmen vor Ort auf und sicherte sich eine Monopolstellung am Platz Einsiedeln.

171



Die spannungsvollen 1830er- und 1840er-Jahre der Unternehmensgeschichte widerspiegeln die kantonale Politik jener Jahrzehnte. Der Kanton Schwyz kam zwischen 1830 und 1848 politisch nicht zur Ruhe und war tief in einen inneren und einen äusseren Teil gespalten. Man stritt sich über eine neue Verfassung, die zu einer vorübergehenden Kantonstrennung und 1833 zur Besetzung des Kantons durch eidgenössische Truppen führte. Für Konflikte sorgte auch die Jesuitenberufung in Schwyz im Jahr 1836 und vor allem die Verteilung der Allmeindnutzungsrechte («Hörner- und Klauenstreit»). «Im alten Land wogt es von Grundwellen», heisst es 1835 in einem Brief von Josef Karl B.-Meyer, die «seit Tellssprung» nicht mehr «so aufgeregt» gewesen seien.

172

 Geteilt war die Meinung auch über den Beitritt zum Sonderbund 1845 und über den Eintritt in den Sonderbundskrieg zwei Jahre später. Die Gebrüder Benziger sprachen sich öffentlich für eine einvernehmliche Lösung und gegen den Kriegseintritt aus.



In den Quellen der Firma Benziger finden sich allerdings keine Hinweise darauf, dass die Geschäftstätigkeit durch die politischen Spannungen eingeschränkt worden wäre. «Unser Verlag schwol von Jahr zu Jahr immer mehr an», heisst es beispielsweise in einem Brief von Josef Karl B.-Meyer von 1840.

173

 So turbulent jene Jahrzehnte politisch auch waren, so sollte der direkte Einfluss der Politik auf die Wirtschaft dennoch nicht überschätzt werden. Wie die oben geschilderte Auseinandersetzung mit dem Kloster zeigt, spielte die politische Grosswetterlage indirekt dennoch eine Rolle. Die Firma Benziger war auf ein gutes Verhältnis zum nach wie vor mächtigen Kloster angewiesen. Und dieses Verhältnis war durch die politischen Auseinandersetzungen zerrüttet, wenn auch zu einzelnen liberal-katholisch gesinnten Konventualen stets gute Kontakte bestanden.

174



Auf die internationalen Geschäftskontakte und den internationalen Absatz hatten die politische Haltung und die Exponiertheit der Verleger Benziger freilich kaum Auswirkungen; im lokalen Raum aber engte die politisch dezidiert liberale Haltung den geschäftlichen Handlungsspielraum ein, indem sie geschäftliche Beziehungen zu politisch anders Gesinnten erschwerte.



Durch die Übernahme der lokalen Konkurrenzfirmen sicherte sich die Firma Benziger ab 1851 für einige Jahre eine Monopolstellung. Schon bald wurden in Einsiedeln aber erneut «unliebe Conkurrentschaften» gegründet, so 1858 die Firma Eberle, Kälin & Co. und 1865 die Firma Wyss, Eberle & Cie. Auch diese Geschäfte erreichten eine beträchtliche Ausdehnung. Die Firma Wyss, Eberle & Cie. beschäftigte 1882 immerhin 52 Fabrikarbeiter.

175

 Bei der Firma Eberle, Kälin & Co. dürfte die Zahl der Angestellten noch deutlich höher gewesen sein.

 



Besonders Eberle, Kälin & Co., die grössere der beiden Firmen, trat in einen mit harten Bandagen geführten Konkurrenzkampf zur Firma Benziger. Gegründet haben die Firma der Jurist und spätere Nationalrat Josef Anton Eberle (1808–1891) und der Kantonsschreiber und später ebenfalls in den Nationalrat gewählte Ambros Eberle (1820–1883) sowie dessen beide Schwäger Anton (1840–1923) und Werner Kälin (1833–1923). Ambros Eberle hatte bereits in den 1840er-Jahren in Schwyz eine Druckerei betrieben und gab ab 1846 das «Schwyzerische Volksblatt» (später «Schwyzer Zeitung») heraus. Die Firma Eberle, Kälin & Co. errichtete ein Fabrikationsgebäude in Einsiedeln, verfügte über dampfbetriebene Buchdruckschnellpressen und betrieb eine eigene lithographische Anstalt, eine Rosenkranzfabrikation und eine moderne Buchbinderei. In den 1870er-Jahren richtete die Firma eine Filiale in Sulz im Oberelsass ein. Bereits zu Beginn der 1860er-Jahre bestanden Pläne, die Firma Benziger auch in den USA zu konkurrenzieren und eine eigene Filiale in New York oder Cincinnati zu errichten. Die Pläne wurden über eine intensive Zusammenarbeit mit der Firma Pustet in Regensburg, einem der grössten Konkurrenzgeschäfte von Benziger, Tatsache. Die Firma Pustet gründete 1866 eine Filiale in den USA und sorgte ab 1868 auch dort für Absatz der Bücher der Firma Eberle.



Ab 1866 gab die Firma Eberle einen eigenen Volkskalender, den «Neuen Einsiedler Kalender», heraus, der den «Einsiedler Kalender» (seit 1841) konkurrenzierte. Besonders aber profilierte sich die Firma Eberle in der Herstellung und im Vertrieb von Gebetbüchern. Die Praxis von Eberle, Kälin & Co., Verlagswerke von Benziger nachzudrucken, gab häufig Anlass zu Konflikten. International war die alte Praxis der Raubkopie ab den 1850er-Jahren stark unter Druck geraten. Im August 1863 schrieb die Verlagsleitung in die USA: «Die Lage in Europa & die Auffassung in Europa ist seit wenig Jahren ganz anders als früher. Vor 10 Jahren lebte Belgien von franz. Nachdruck, jetzt haben England, Frankreich, Belgien, alle deutschen Staaten, Oesterreich, ganz Italien Nachdrucke gesehen & Verträge gegenseitig zu Schutz & Abhülfe. Selbst in der Schweiz sind 12 Kantone schon beigetreten. es folgt voraussichtlich für die ganze Schweiz der Zwang einzutretten in Gegenseitigkeit von Verfolgung des Nachdrucks.» Die Firma Eberle, Kälin & Co., die bereits zwanzig Bücher aus ihrem Verlag nachgedruckt hätten, gelte es in dieser Situation nachdrücklich an den «Pranger zu stellen als Nachdrücker».

176

 Auch für die Firma Wyss, Eberle & Cie. war der Nachdruck von Verlagswerken von Benziger ein wichtiger Pfeiler ihres Unternehmens. Die ersten zehn Gebetbücher, die bis 1866 in ihrem Verlag erschienen, waren alles Nachdrucke von Werken aus dem Benziger Verlag.

177



Im Kanton Schwyz dauerte es letztlich noch rund zwanzig Jahre, bis das Nachdrucken von fremden Verlagswerken verboten wurde. Nachdem 1874 die Kompetenz zur Gesetzgebung in Fragen des Urheberrechts von den Kantonen auf den Bund übergegangen war, wurde 1883 das «Bundesgesetz betr. das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst» geschaffen, das dieser bis dahin gängigen Praxis im Kanton Schwyz ein Ende bereitete. Drei Jahre später folgte das erste multilaterale internationale Urheberrechtsabkommen («Berner Konvention»).

178



Am Platz Einsiedeln war Benziger zu einem Mindestmass an Koordination mit seinen Konkurrenten gezwungen. Dies betraf vor allem die Preispolitik gegenüber den lokalen Wiederverkäufern ihrer Verlagswaren.

179

 Auch bei der Umsetzung des eidgenössischen Fabrikgesetzes nach 1877 sprachen sich die Firmenleitungen ab. Aufrührerischem Verhalten unter der Arbeiterschaft sollte so frühzeitig ein Riegel geschoben, Anreize zur Konkurrenz zu wechseln vermieden werden.

180

 Allerdings waren Verstösse gegen die Abmachungen an der Tagesordnung. Auch schreckten alle Beteiligten weder vor Betriebsspionage noch vor öffentlicher Verleumdung ihrer geschäftlichen Konkurrenten zurück. Die Sprache, mit der die Konflikte ausgefochten wurden, trug teilweise martialische Züge. Als die Praxis des Nachdruckens zu Beginn der 1880er-Jahre auch in der