Die Tränen des Kardinals

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„Ich bringe euch frische Pasta“, sagte er zu uns mit einer Verbeugung. Ihm war anzumerken, dass er innerlich kochte.

„Da hast du dir einen Freund fürs Leben eingehandelt“, sagte Montebello.

„Ach, es ist doch nichts passiert. Ihr müsst nur ein bisschen länger hungern.“

Er setzte seine Ray Ban wieder auf und verschränkte seine Arme vor der Brust.

„Schwirr ab! Du hast zu viele Gangsterfilme gesehen“, knurrte Montebello. „Es war ohnehin nicht unser letztes Zusammentreffen.“

„Das wünsch dir nicht! Ciao, ihr beiden!“, erwiderte er und wollte sich zu seinem Tisch in Bewegung setzen. Spencer sprang auf, hob sein Bein und pisste ein paar Tropfen auf seine Schuhe. Bacocelli wollte unter sein Jackett greifen.

„Dieser beschissene Köter!“, rief er mit hochrotem Kopf.

„Lass das besser sein!“, warnte ich ihn. Er sah in meine Smith & Wesson.

Er strich sich nur über sein Revers.

„Jetzt glänzen seine Tangoschuhe noch besser“, kommentierte Montebello.

„Wir sehen uns wieder!“, keuchte der Mafioso. Ich steckte den Revolver weg.

„Dann putz vorher deine Schuhe besser, damit sich Spencer nicht darum kümmern muss.“

Er stieß einen sehr langen Fluch aus und stelzte zu seinem Tisch zurück.

„Woher weiß er, dass ich seit gestern in Rom bin? Doof von ihm, uns das zu verraten“, stellte ich fest.

„Es sollte eine Drohung sein. Aber Prahlereien sind meistens dumm. Wir sollten vielleicht in Betracht ziehen, dass die Vermutung, die Cantonas könnten mit deinem Fall zu tun haben, nicht so ganz falsch ist. Ist im Vatikan schon eine Geldforderung für das Dokument eingegangen?“

„Nein. Kardinal Wischnewski würde mich darüber sofort informieren.“

„Gefällt mir nicht. Das wirft Fragen auf, nicht wahr?“

„Gehen wir ruhig mal davon aus, dass es eine Verbindung zwischen dem Diebstahl und den Cantonas gibt. Einen anderen Faden haben wir im Moment nicht.“

„Hier läuft jedenfalls etwas. Es sind zu viele Cantonas in Rom. So massiv treten sie außerhalb Siziliens nur auf, wenn sie was am Laufen haben.“

Carlo hatte am großen Pult seine Dirigierakrobatik beendet und kam mit frischen Fettuccine an unseren Tisch. Liebevoll stellte er die Teller vor uns hin.

„Was für ein Barbar! Meine Leute haben in die Suppe gespuckt, bevor sie ihnen die Minestrone brachten. Die Kerle haben vor nichts Achtung. So geht man nicht mit meiner Fettuccine um. In der Hölle sollen sie schmoren!“

Als ich mich wieder zur Via del Babuino aufmachte, war ich guter Dinge. Mit Montebello hatte ich unsere Mannschaft wesentlich verstärkt. Bis in den Abend saßen Marcello und ich über den Profilen von Casardi und seiner Familie zusammen. Casardi hatte zwei Söhne, sein Bruder vier. Bis auf einen der Neffen hatten sie sich nichts zuschulden kommen lassen. Gute, normale Bürger, bis auf Domenico Casardi. Er hatte mal mit Rauschgift gedealt und eine Weile gesiebte Luft geatmet. Aber das war fünf Jahre her. Seitdem aber nicht einmal ein Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung. Marcello hatte dies aus dem Polizeicomputer erfahren. Als ehemaliger Offizier der Guardia Finanza wusste er, wie man das anstellte. Ich informierte Montebello über unsere Erkenntnisse.

„Wie habt ihr das denn herausbekommen?“, staunte er.

„Frag lieber nicht. Ob wir auf eine Spur gestoßen sind, kann ich noch nicht sagen.“

„Immerhin, klemm dich dahinter.“

Am Abend gingen Marcello und ich in einen Sportclub in der Nähe der Bahnstation Termini und quälten uns an diversen Folterinstrumenten. Marcello fand, dass ich gut in Form war. Ich hatte so eine Ahnung, dass dies auch bei diesem Fall notwendig sein würde.

Kurz nach zehn Uhr traf ich in Harry’s Bar ein. Marcello hatte sich brav nach Hause aufgemacht. Spencer hatte ich nicht allein im Hotelzimmer lassen wollen. Er sah dies als Selbstverständlichkeit an. Ich setzte mich auf die Terrasse. Auch Prominenz war anwesend. Delon, Burt Lancaster und Claudia Cardinale und ein paar ähnlich schöne Frauen. Wegen Spencer sah die Cardinale öfter zu mir herüber. Sie stand plötzlich auf, kam zu mir und entschuldigte sich und streichelte Spencer, der dies sichtlich genoss.

„Ich wollt, ich wär mein Hund“, sagte ich zu ihr.

Sie lächelte. „Kommen Sie an unseren Tisch“, lud sie mich ein.

Ich war versucht, dem nachzugeben. Aber ich dachte an Maja und redete mich damit heraus, dass meine Verabredung gleich eintreffen würde.

„Die guten Männer sind meistens vergeben“, sagte sie. Ich bekam noch einmal ein Lächeln und sie ging zu ihren Leuten zurück. Aus den Gesprächsfetzen entnahm ich, dass sie das Ende irgendwelcher Dreharbeiten feierten. Sie bemühten sich alle um einen Mann mit einem respekteinflößenden Gesicht. Als ich den Kellner fragte, wer dieser Mann sei, schüttelte er entrüstet den Kopf.

„Sie kennen Fellini nicht? Der berühmteste Regisseur der Welt. Sie haben doch ‚La dolce Vita‘ gesehen?“

Hatte ich. Er hatte mit diesem Film seinen Römern schonungslos den Spiegel vorgehalten.

Großes Aufsehen erregte auch Estefania, als sie sich zu mir setzte. Claudia Cardinale nickte anerkennend. Die Kellner, die sich bisher mehr um die Filmleute gekümmert hatten, umsprangen nun auch unseren Tisch. Ich bestellte einen Whisky und Estefania entschied sich für einen Martini-Cocktail.

„Na, wie war dein erster Tag bei uns?“, fragte sie und zog die Sonnenbrille ab, die um zehn Uhr abends etwas exzentrisch wirkte. Ihre schönen Augen sollte sie ohnehin nicht dauernd verstecken. Um uns herum wurde viel getuschelt. Estefania war in Rom zumindest so bekannt wie Ava Gardner in Madrid. Sie trug ein weißes Kleid im griechischen Stil, das ihre rechte Schulter frei ließ.

„Eins ist sicher. Du bist sicher eine der schönsten Frauen Roms“, sagte ich anerkennend. Ich hatte keine Hintergedanken. Es war nur eine ehrliche Feststellung.

„Dir ist schon Besseres eingefallen. Mit der Cardinale kann ich bestimmt mithalten. Aber das hat nichts zu bedeuten. Die Kuh schaut dauernd zu uns herüber. Hast du mit ihr …?“

„Nein. Ihre Aufmerksamkeit gilt Spencer.“

„Bist du sicher? Naja, eine Schauspielerin!“, sagte sie herablassend. Estefania hielt sich zugute, dass sie einer der ältesten Adelsfamilien Roms entstammte, vergleichbar nur mit den Orsini und Colonna. Sie erzählte mir den neuesten Klatsch über die vornehmen Familien. Es war völlig belangloser Tratsch. Der Mond hing als runde Scheibe über der Stadt und machte sich auch nicht viel daraus, was unter ihm vorging.

Ich sah sie erst nur aus dem Augenwinkel. Mein Herz schlug ein paar Takte schneller. Hatte mich Estefania deswegen in Harry’s Bar treffen wollen, weil sie wusste, dass Maja hierher kam? Ich traute es ihr zu. Sie war in Begleitung eines sehr gut aussehenden Mannes, der gestikulierend auf sie einredete.

„Sieh da, sieh da! Was sehen meine entzündeten Augen? Das hätte ich nie und nimmer von ihr gedacht!“ Estefanias Lippen kräuselten sich spöttisch.

„Wer ist ihr Begleiter?“, fragte ich mit einem Kloß im Hals.

„Paolo Menotti. Ein bekannter Fernsehjournalist, hat eine Talkshow, in der er mehr redet als seine Gäste. Ich war mal kurz mit ihm zusammen. Lange habe ich es mit ihm nicht ausgehalten. Er hat mich ständig regelrecht zugemüllt. Seine Stimme klingt wie Donald Duck. Selbst im Bett erzählte er mir von Proust. Oft zitierte er auch Ovid. Für eine Stunde ist er ganz amüsant, aber länger halten es nur Groupies mit ihm aus. Er weiß über alles Bescheid. Geschichte, Philosophie, Politik, Literatur, Malerei. Einfach alles. Und alles mit dieser enervierenden Stimme.“

Spencer erhob sich. Ich wollte ihn zurückhalten. Er jaulte empört. Um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen, ließ ich ihm seinen Willen. Er lief zu Majas Tisch. Sie schrie auf und umarmte ihn. Er leckte ihr die Hände. Was für ein Verräter! Maja sah sich um und entdeckte uns. Ihr Gesicht wurde eisig. Sie sagte etwas zu ihrem Begleiter und sie kamen zu uns herüber. Menotti und Estefania tauschten Wangenküsse aus. Ich bekam von Maja keinen Wangenkuss. Die beiden Frauen gaben sich die Hand, das heißt, sie berührten kurz ihre Fingerspitzen. Sie hatten sich noch nie gemocht.

„Maja und ich kommen gerade von der Picasso-Retrospektive. Die in Paris vor zwei Jahren war besser. Wir wollen uns hier mit John Wilburn treffen, der angesagteste Vertreter der anarchischen Kunst. Auflösung aller Werte. Purer Nihilismus. Die Weiterführung des Dadaismus. Fantastisch!“

„Aha!“, sagte ich.

Er machte weiter, kannte natürlich alle Kunstrichtungen und sogar die, die erst Kunst werden wollten. Estefania beobachtete ihn ironisch lächelnd und kommentierte seine Ergüsse mit einem „Ach ja“ oder „Was du nicht sagst“. Er merkte nicht einmal, dass sie ihn auf den Arm nahm. Maja stoppte seinen Redeschwall, indem sie mich fragte, ob ich in meinem Fall schon weitergekommen wäre.

„Was? Wie? Was für ein Fall?“, fragte Menotti. Er schien zu befürchten, etwas verpasst zu haben. Eine schier unerträgliche Vorstellung für ihn.

„Ein wenig. Wir haben einen Faden gefunden, an dem wir uns nun entlanghangeln können.“

Menottis Miene zeigte ein großes Fragezeichen.

„Fall? Sind Sie … bei der Polizei?“

„Er ist etwas viel Schlimmeres“, antwortete Maja an meiner Stelle. „Er ist Detektiv. Ein Ermittler. Manche halten ihn für einen Philip Marlowe.“

„Das ist ja hochinteressant!“, begeisterte sich Menotti. „An was für einem Fall arbeiten Sie?“

„Es gehört nicht auf den Marktplatz“, wich ich aus.

„Haben Sie auch eine Waffe bei sich?“

„Hm.“

„Sie haben eine Pistole bei sich?“

Seine Stimme klang wirklich nach Donald Duck.

 

„Nein. Einen Revolver.“

Ich fragte mich, ob Maja mit diesem Lautsprecher schlief.

„Haben Sie ihn schon einmal benutzen müssen?“, fragte er atemlos.

Ich zuckte mit den Achseln und sagte so gleichmütig wie möglich: „Manchmal.“

„Sie haben getötet?“

„Töten ist mein Geschäft“, sagte ich brutal. Den Spruch hatte ich bei Chandler geklaut. War natürlich Bockmist, was ich da redete. Aber die Vorstellung, dass Maja … Seine Augen wurden so groß wie Mühlenräder. Estefania ließ einen Kiekser hören. Menotti lachte unsicher.

„Er verscheißert mich.“

„Hast du eine Ahnung!“, gab Estefania noch einen obendrauf. „Mit dem Mann aus Hamburg ist nicht zu spaßen! Er hat einige Kerben an seinem Revolver.“

„Hör auf!“, fauchte Maja. „Komm, Paolo, wir gehen.“

„Ist doch ein interessantes Gespräch“, beharrte Menotti. „John Wilburn hat auch schon Menschen umgebracht. Hat er mir selbst gestanden. War in Vietnam dabei. War sein Erweckungserlebnis. Seitdem zeigt er in Happenings auf, dass die ganze Kultur nur ein Firnis ist, der unsere Barbarei überdeckt.“

„Muss ja ein toller Hecht sein“, kommentierte Estefania.

„Nun mal im Ernst. Es bleibt unter uns. Haben Sie wirklich schon einmal jemanden umgelegt?“, fuhr er manisch fort. „Was ist das für ein Gefühl?“

„Paolo, so etwas fragt man nicht!“, entfuhr es Maja.

„Entschuldigung!“, sagte er und schwieg einen Moment betroffen.

Das darauf folgende Schweigen wurde durch das Eintreffen von John Wilburn beendet.

„Ihr kommt doch nachher zu unserem Happening?“, fragte Wilburn den Journalisten und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Du hast mir versprochen, es in deiner Kolumne zu würdigen.“

Ob Wilburn ein Künstler war, konnte ich nicht beurteilen. Er sah jedenfalls so aus.

Sein langes, graues Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Seine Jeans wiesen Löcher auf. Sein Hemd war mit Farbe bekleckert. Seine Augen glänzten verdächtig. Keine Ahnung, was er eingeworfen hatte. Kopfschmerztabletten waren es sicher nicht. Menotti bestellte einen Rum für ihn. Wilburn musterte Estefania mit sichtbarem Interesse.

„Die Contessa Mazarini kennt deine Werke nicht“, nahm Menotti das Gespräch wieder auf. „Sie weiß nicht, welches Aufsehen deine Werke in Japan erregt haben. Die Tokio-Presse stand kopf.“

Estefania beeindruckte auch dies nicht.

„Contessa Mazarini?“, fragte Wilburn elektrisiert. Er rückte seinen Stuhl näher an sie heran.

„Estefania Mazarini, der umschwärmte Star der römischen Gesellschaft“, bekräftigte Menotti.

Wilburn legte wie zufällig seine Hand auf ihren Schenkel. Sie nahm die Hand und legte sie auf den Tisch.

„Sie scheinen ein kleiner Schmutzfink zu sein. Stellen Sie auch ölverschmierte Putzlappen aus?“

„Und Sie sind ein Anachronismus!“, sagte Wilburn keineswegs verlegen. „Beuys war ein Verkünder.“

„Ein Anachronismus? In der Tat. Uns gibt es seit achthundert Jahren. Ziemlich langlebig, nicht wahr?“

„Sie gehören in ein Panoptikum“, sagte Wilburn höhnisch lächelnd.

„… das Sie so gern anstaunen“, gab sie zurück. „Sie sind ein eitler kleiner Bilderstürmer!“

Mich hat Estefanias Arroganz manchmal gestört, aber diesmal fand ich sie wohltuend.

„Über mich schreibt die New York Times, dass ich ein Erneuerer sei. Ich zerstöre die Kunst und setze sie neu zusammen und mache ihre wahre Substanz durch visuelle Schocks sichtbar. Picasso ist tot, es lebe die neue Avantgarde des ‚Destruktivismus‘.“

Ich hatte keinen blassen Schimmer, wovon er sprach. Menotti hatte schon zu lange geschwiegen und brachte das Gesprächsthema wieder auf mich.

„Der Begleiter der Contessa ist ein Detektiv. Er hat schon mal getötet.“

Wilburns Miene verdüsterte sich.

„So? Hat er das? Darüber spricht man nicht. Reine Angabe!“

„Schon gar nicht in einer Bar“, stimmte ich ihm zu. „Die Assyrer waren vom Tod fasziniert. Unsere Gesellschaft hat nicht den Mut und die Kraft, das zu akzeptieren.“

Wilburn musterte mich und schlug sich auf die Knie und lachte.

„Sie sind eine Type! Ehrlich, ich mag Sie! Ich möchte Sie nachher in mein Atelier einladen, um Ihnen die Kunst des Destruktivismus vorzustellen. Das gilt auch für Sie“, wandte er sich an Estefania.

„Was ich gehört habe, lässt mich davon Abstand nehmen“, sagte sie mit der Haltung einer Lucrezia Borgia. „Mein alter Freund Serge ist endlich wieder in Rom und da müssen wir uns umeinander kümmern. Er ist ein Mann vom Schlag der alten Condottieri. Ich genieße jede Minute mit ihm.“

Es hörte sich so an, als wären wir ein Paar. Sie sagte das nur, um Maja eins auszuwischen. Ihre Worte zeigten Wirkung. Maja war weiß wie eine Tischdecke. Sie biss sich auf die Lippen. Mein Gott, der Riss zwischen ihr und mir vertiefte sich. Dabei liebte ich sie. Die beiden Frauen tauschten Blicke, die nicht zu missdeuten waren. Ihr Waffenstillstand hatte sich zur offenen Feldschlacht ausgewachsen.

„Dann sollten wir das Liebespaar nicht weiter stören“, sagte Maja und wollte aufstehen. Wilburn schüttelte den Kopf.

„Warte. Auf diese Heldenverehrung muss ich antworten. Liebe Contessa, haben Sie noch nicht mitbekommen, dass Helden aus der Mode gekommen sind? Wenn Sie sich einmal Zeit nähmen, würde ich Ihnen gern beweisen, welche Kraft die Ideologie der Verneinung freisetzt. Der Destruktivismus verschlingt die alten Werte und deutet sie um.“

„Da können Sie lange auf mich warten. Warum soll ich mich mit so einer negativen Schwurbelei belasten?“, winkte Estefania ab.

Er sah auf die Uhr und trank seinen Rum mit einem Zug aus.

„Im Regis Grand gibt es eine Dichterlesung mit dem berühmten Vergil Nuovo, der auch dem Destruktivismus zuneigt. Mein Happening beginnt erst um zwei Uhr. Wir hätten also noch Zeit, uns bis dahin auszutauschen.“

„Lasst uns gehen“, forderte Maja energisch. Sie knuddelte noch einmal Spencer. Er jaulte sehnsuchtsvoll, als sie abzog. Ich bekam zum Abschied einen Blick, der wohl sagen sollte, dass sie jede Versöhnung zu den Akten gelegt hatte.

„Du wusstest genau, das Maja hier mit dem Fernsehfritzen auftauchen würde!“, warf ich nach dem Abgang der drei Estefania vor.

„Stimmt“, gab sie freimütig zu. „Wie sollte ich dir sonst beibringen, wie es um deine große Liebe steht?“

„Du bist eine Kanaille!“

„Auch das. In der Liebe ist es wie im Krieg. Alles ist erlaubt.“

„Ein Allgemeinplatz! Das Wort Liebe hast du schon inflationär gebraucht.“

„Auch das stimmt“, sagte sie unerschütterlich. „Aber du kannst nicht leugnen, dass ich hartnäckig bin.“

„Der Kerl macht sie doch nur unglücklich.“

„Richtig. Das Ganze dauert nur eine Saison. Sie wird dann einen ganz schönen Kater haben. Er ist bekannt dafür, dass er unter seinen Groupies wildert. Doch nun genug der Trauer! Lass uns zu mir fahren, damit ich dich auf andere Gedanken bringe.“

Natürlich hätte ich dies abschlagen sollen. Aber ich fühlte mich so gedemütigt, dass ich schwach wurde. So viel zu meinem Heldentum. Ich brauchte mir nur vorzustellen, was Menotti in dieser Nacht noch mit Maja anstellte, um Magenschmerzen zu bekommen.

Wir fuhren also zum Palazzo Mazarini und sie gab sich Mühe, mich auf andere Gedanken zu bringen. Die meisten Männer in Rom hätten mich darum beneidet, die Contessa im Arm zu halten. Aber bei allem Schweiß, es war eine Menge Verzweiflung dabei.

Als ich am frühen Morgen den Palast verließ, fühlte ich mich wie zerschlagen und war voller Gewissensbisse. Es war keine gute Idee gewesen, sich wieder mit Estefania einzulassen.

Ich war an der Spanischen Treppe angelangt, da fielen mehrere Schüsse. Sie galten offensichtlich nicht der Treppe, sondern mir. Ich hechtete mich hinter den Springbrunnen. Eine Salve jagte die nächste. Das waren keine Revolverschüsse, sondern Maschinenpistolenfeuer. Spencer bellte wütend.

„Komm zu mir, Spencer!“, schrie ich verzweifelt. Er folgte nicht. Ich hatte Angst um ihn. „Komm, Spencer! Komm her!“

Der Mond hing noch als blasse Scheibe am Himmel. Der Springbrunnen begann wieder mit seinen Fontänen. Ein feiner Wasserschleier fiel auf mein Gesicht. Erneut kam eine Salve. Über mir schlug eine Kugel in das steinerne Gesicht des Neptun.

3
Die Mafia vergisst nicht

Die Schüsse kamen aus der Via Condotti. Die Mafiosi – wer konnte es sonst sein – hörten nicht auf, den Brunnen zu bepflastern. Sie rissen nur kleine Gesteinssplitter aus der Brunnenumfassung. Spencer jaulte auf. Endlich kapierte er und kam winselnd zu mir. Ich zerrte ihn an mich heran. Sein Fell war nass. Blut. Sie hatten meinen Hund verletzt. Ich stand auf und schoss die Revolvertrommel leer. Zwei Schatten huschten heran und es wäre um mich geschehen gewesen, wenn der Deus ex Machina in Gestalt eines Polizeiwagens mir nicht zu Hilfe gekommen wäre. Sie kamen mit Sirene und Blaulicht von der Zugangsstraße zur Piazza del Popolo neben der Spanischen Treppe herab. Die Schatten verschwanden zur Via Condotti hin. Die Polizisten sprangen mit gezückten Pistolen aus ihrem Auto. Da sonst niemand da war, richteten sie ihre Waffen auf mich. Um Missverständnisse auszuschließen, ließ ich meine Waffe fallen. Sie stießen mich gegen den Brunnenrand und tasteten mich ab.

„Was ist hier los?“, schnauzte der Ältere.

„Sieht so aus, als wollte man mich umlegen. Rufen Sie Hauptkommissar Montebello an. Der erklärt Ihnen alles. Nun machen Sie schon. Mein Hund ist verletzt. Ich muss mit ihm zum Arzt.“

„Papiere?“, fragte der Jüngere.

„In meiner Seitentasche.“

Er fischte sie heraus und staunte erst einmal.

„Sie sind Detektiv aus Hamburg, haben aber einen italienischen Waffenschein?“

„Rufen Sie Hauptkommissar Montebello an“, forderte ich noch einmal. Mein Hund sah mit bettelnden Augen zu mir hoch. Endlich folgten sie meinem Vorschlag. Nach vielem Hin und Her bekamen sie Montebello an den Apparat. Sie standen sofort stramm. Montebello war in Rom eine große Nummer. Schließlich reichten sie mir den Hörer des Autotelefons.

„Bist du verletzt?“

„Nein. Aber mein Hund.“

„Sie haben schnell reagiert. Wie viele Leben hast du schon verbraucht?“

„Langsam erreiche ich die kritische Phase.“

„Die Polizisten sagten, dass es Maschinenpistolenschüsse gewesen sind.“

„Richtig. Sie waren sehr eifrig mit ihren Liebesgrüßen.“

„Na gut. Ich sage ihnen, dass sie dich zu einem Tierarzt fahren. Und sei vorsichtig!“

Meine Bekanntschaft mit Montebello hatte die Polizisten schwer beeindruckt. Sie fuhren mich zu einem Tierarzt am Campo de’ Fiori. Es war nur ein Streifschuss. Spencer bekam eine Spritze, die er geduldig hinnahm. Der Arzt scherte ihm das Fell um die Wunde und säuberte sie mit großer Behutsamkeit. Natürlich wollte er wissen, wie es zu dieser Verletzung gekommen war. Ich sagte nur „Mafia!“ und er wollte keine weitere Erklärung. Mein Hund sah mich dankbar an. Ich streichelte seinen Kopf und er leckte mir winselnd die Hände.

„Ein sehr diszipliniertes Tier“, lobte der Arzt.

„Er ist kein Tier, sondern ein Menschenhund!“, lobte ich Spencer. Der Arzt nickte verständnisvoll.

„Ja. Es gibt solche Hunde. Ich hatte da mal einen Patienten …“

Ich hörte nicht hin. Für mich war Spencer ohnehin unvergleichlich. Die Polizisten fuhren mich sogar zur Via del Babuino.

Noch vor der Tür meines Hotelzimmers hörte ich das Telefon klingeln. Spencer verzog sich in den Sessel und sah mich, den Kopf auf die Pfoten gelegt, hechelnd an. Es war nochmal Montebello.

„Wie geht es dir und dem vermaledeiten Hund? Ich weiß ja, wie sehr du an ihm hängst.“

„Es scheint ihm ganz gut zu gehen.“

„Es wundert mich, dass sie es so schnell und so plump versucht haben.“

„Ich habe ihnen ja schon mal in die Suppe gespuckt. Vielleicht reagieren sie auf mich etwas allergisch …“

„Soll ich vor dem Hotel einen Wagen postieren?“

„Nein. Das würde die ganze Straße auf mich aufmerksam machen. Ich werde schon zurechtkommen.“

Ich ging zu unserem Büro hinüber. Spencer tat so, als würde er seine Verwundung nicht spüren und kam mit. Marcello sah von seinem Computer auf und stutzte.

„Siehst ziemlich mitgenommen aus!“

Ich schilderte ihm die Nacht. Estefania ließ ich aus.

„Dann sollten wir uns gleich mal den Domenico Casardi vornehmen“, schlug ich vor. Wir fuhren zu dessen Wohnung in Trastevere. Spencer ließen wir zurück. Diesmal folgte er ohne Proteste.

 

Domenico wohnte über einer Fleischhandlung im zweiten Stock. Wir klopften höflich an die Tür. Das heißt, Marcello klopfte. Ich stand neben der Tür. Es tat uns jedoch niemand auf. Gegenüber seiner Wohnung wurde die Tür aufgerissen. Eine Frau in den Vierzigern trat heraus. Typ Anna Magnani. Die Empörung war ihr ins Gesicht geschrieben. Sie stemmte die Hände in die Hüften.

„Was wollt ihr von Domenico? Wollt ihr ihm wieder Ärger bereiten?“

„Nein. Wir wollen ihn nur sprechen. Warum wieder Ärger?“

„Heute Nacht gab es drüben einen fürchterlichen Lärm. Man stritt wohl miteinander. Dann gab es einen Knall und einen erbärmlichen Schrei. Ich habe die Gendarmerie angerufen, aber die ist bis jetzt nicht gekommen. Seid ihr beiden nicht von der Polizei?“

Wir enthielten uns der Antwort. Marcello zog die Klinke herunter.

„Die Tür ist offen“, sagte er verblüfft und stieß sie weit auf. Wir gingen hinein. Die Nachbarin folgte uns. Domenico war nicht da. Ein chaotisches Durcheinander. Stühle waren umgeworfen. Schubladen aufgerissen. Der Kleiderschrank war durchwühlt worden. Die Anzüge lagen auf dem Boden. Teure Anzüge von Kiton und Brioni.

„Der Junge scheint bei Kasse zu sein.“

Wir durchsuchten die Wohnung. Es hätte ja sein können, dass wir das Dokument fanden, nach dem hier offensichtlich gesucht worden war. Sein Bankkonto war sehr aufschlussreich. Er hätte gut und gern auch im D’Inghilterra, einem der besten Hotels der Stadt, übernachten können. Das Konto wies einige Millionen Lire aus.

„Wenn es nicht eine Rauschgiftsache ist, könnte es unser Mann sein“, schloss Marcello.

„Koscher ist der Junge nicht! Nimm du dir mal seinen Vater vor. Ich fahre in den Vatikan und fühle Casardi den Puls.“

Die Magnani war sehr plötzlich verschwunden. Dafür kam die Polizei, der sie wohl ein Schauermärchen erzählt hatte. Ich verwies die Gendarmen wieder an Montebello. Er löste auch dieses Problem.

„Du legst dich ja mächtig ins Zeug“, lobte er mich, nachdem der Polizist den Hörer an mich weitergegeben hatte.

„Ja. Vielleicht haben wir etwas Konkretes.“ Ich erzählte ihm von dem dicken Bankkonto. Danach rief ich Kardinal Wischnewski an. Ich berichtete von unserem Verdacht.

„Gut. Ich erwarte Sie an der Pforte Angelo.“

Der Kardinal war zur Stelle und führte mich ins Archiv. Casardi sah etwas verbiestert drein. Einen Freund sah er nicht in mir. Ich erklärte ihm den Grund des Besuches.

„Überlegen Sie! War der junge Mann mal im Archiv?“

Er lief rot an. Er tat nun so, als müsse er heftig überlegen.

„Ja. Einmal“, druckste er schließlich.

„Das ist doch strengstens verboten!“, japste der Kardinal. „Das hat Konsequenzen!“

„Er war doch so interessiert an meiner Arbeit. Er wollte sich bei uns bewerben. Er hat alle Anlagen für diesen Beruf. Neben Geschichte hat er auch in Philosophie mit Summa cum laude abgeschlossen. Ich habe ihm nur sein mögliches Arbeitsumfeld gezeigt.“

„Haben Sie ihn mal allein gelassen?“

Er schwieg. Schließlich quetschte er ein „Nein“ heraus. Das „Nein“ dehnte sich wie ein Strumpfband.

„Aber ich musste mal auf die Toilette.“

Ich warf dem Kardinal einen bezeichnenden Blick zu. Es verdichtete sich immer mehr, dass Domenico etwas mit dem Verschwinden des Zusatzvertrags zu tun haben konnte.

„Sie werden sofort Ihre Sachen packen! Sie sind fristlos entlassen!“, donnerte der Kardinal.

„Nein!“, schritt ich ein. „Er hat zwar gegen die Regeln verstoßen. Aber ich bin mir sicher, dass er es nie wieder tun wird.“

„Aber er hat das wichtigste Gebot missachtet“, ächzte der Kardinal.

„Wie heißt es doch? Wer ohne Sünde ist, … Muss ich einen Kardinal daran erinnern? Ich will nicht, dass draußen bekannt wird, dass wir eine Spur haben.“

„Gut. Sie haben recht. Christus hätte ihm verziehen und da darf ich … Sie haben mich vor einem großen Fehler bewahrt“, gab er zu. „Was nun?“, fragte er.

„Wir bleiben ihm jetzt auf den Fersen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn haben.“

„Sie sind tüchtig“, sagte er zum Abschied.

Für einen Kardinal war er eigentlich ganz in Ordnung.

Ich fuhr ins Büro zurück.

„Sag mal, was hast du denn mit Maja angestellt?“, fragte Marcello. „Ich hatte sie eben am Apparat. Sie ist total durch den Wind. Heult wie ein Schlosshund. Ein richtiger Nervenzusammenbruch.“

„Ich habe sie gestern mit Paolo Menotti in Harry’s Bar getroffen.“

„Ach, Menotti! Den kennt sie noch von der Schule. Eine Kindergeschichte. Er war zwar schon immer wie der Teufel hinter ihr her, aber von ihrer Seite ist es bestimmt nichts Ernstes. Ich kenne meine Schwester. Sie lässt sich nicht auf leichtsinnige Geschichten ein.“

Wenn das stimmte, hatte ich alles gründlich an die Wand gefahren. Das Gewissen schlug mir wie die Glocken der Michaeliskirche.

„Euer privater Krieg geht mir aber so was auf die Eier! Hört endlich auf damit und vertragt euch oder lasst euch scheiden.“

„Wir sind nicht verheiratet.“

„Deswegen dürfte es eigentlich ganz einfach sein, einen Schlussstrich zu ziehen.“

Das war es aber nicht. Trotz der bösen Worte, die nun zwischen uns lagen, liebte ich sie. Und da war auch immer der Gedanke, dass es bei ihr genauso sein konnte.

„Doch nun zum Wesentlichen!“, forderte Marcello energisch auf. „Der Vater von Domenico ist ein ehrlicher Mann. Er hat mir sein Herz ausgeschüttet. Er ist über die Entwicklung seines Sprösslings ganz verzweifelt. Domenico hat eine Freundin, die in einer Bar auf der Via Veneto arbeitet.“

„Dann sollten wir uns heute Abend dorthin aufmachen.“

„Die Bar heißt Bella Ciao, nach dem alten Partisanenlied. Frag mich nicht warum.“

Also waren wir auch am Abend wieder auf der Via Veneto. Das Bella Ciao lag gegenüber Harry’s Bar. Domenicos Freundin hieß Erika, eine Deutsche. Als sie zu uns an den Tisch kam, bestellten wir zwei Johnny Walker und baten sie, sich zu uns zu setzen.

„Das ist nicht mein Job“, sagte sie ablehnend.

Marcello legte einige Hundertlirescheine auf das Tablett, als sie unsere Getränke brachte. „Es dauert nicht lange“, fügte er hinzu.

Sie setzte sich zögernd. „Nur einen Augenblick“, schränkte sie ein.

„Wir suchen deinen Freund.“

„Domenico? Warum?“

„Wir wollen ihm einen Job anbieten“, sagte ich auf Deutsch.

„Sie sind Deutscher?“

„Ja. Aus Hamburg.“

„Ich bin in Bremen geboren.“

„Landsleute sollten sich helfen. Wo ist Domenico?“

„Ich weiß es nicht. Wir waren gestern verabredet. Aber er ist nicht gekommen. Ich mache mir Sorgen.“

„Wo wart ihr gestern verabredet?“, fragte Marcello.

„Na hier, im Bella Ciao. Ich habe sogar noch eine Stunde gewartet, nachdem meine Schicht zu Ende war. Dass er mich versetzt, passt so gar nicht zu ihm. Er liebt mich sehr.“

„Denk mal nach, wo er sein könnte.“ Ich legte noch einige Lirescheine dazu.

Sie schluckte und steckte das Geld schnell in ihre Schürze.

„Ist er in irgendetwas verwickelt?“

„Das genau wollen wir herausbekommen. Denn dann ist er nicht der Richtige für den Job.“

„Mein Gott, was hat er denn wieder angestellt?“

Marcello legte ihr tröstend den Arm um die Schulter. Sie holte ihr Taschentuch aus der Schürze und schnäuzte sich. Sie war nur ein kleines, schutzbedürftiges Mädchen in einer fremden Stadt.

„Ich wollte ohnehin nachher zu seiner Wohnung gehen“, schluchzte sie.

„Dort wirst du ihn nicht antreffen. Wir fanden seine Wohnung arg zerrupft und leer vor.“

„Was ist nur los mit ihm?“ Hilflos sah sie uns an.

„Überleg mal, wo könnte er sich versteckt haben?“

„Nun, vielleicht bei seinem Freund Romano Lupo am Campo de’ Fiori. Der hat dort eine Pizzeria. Glaubt ihr, dass ihm etwas passiert ist?“

Wir brachten es nicht fertig ihr zu sagen, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch war und verabschiedeten uns von ihr. Marcello versprach ihr, sie in der Bar anzurufen, sollten wir etwas erfahren.

Am nächsten Tag, gleich morgens, fuhren wir zum Campo de’ Fiori. Es war gerade Markt. Der Platz war so bunt wie ein Blumenstrauß. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft. Aber es wurden nicht nur Blumen angeboten, sondern man konnte alles kaufen, was man zum Leben brauchte. Fleisch, Gemüse, Gewürze, Käse, aber auch Kleider, Schuhe und Mäntel. Es gab zwei Pizzerien. Wir wählten die mit den grün lackierten Tischen. Die Pizzeria war gut besucht. Zwei Männer standen am Ofen, zwei kellnerten. Sie sagten uns, dass der Chef noch nicht heruntergekommen sei, was selten vorkäme.