Die Tränen des Kardinals

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„Schön. Ich wollte Sie kennenlernen, denn einen Deutschen mit dieser Aufgabe zu betrauen, ist doch etwas …, sagen wir, ungewöhnlich.“

Ich verstand ihn durchaus. Wir Deutschen galten im Vatikan als etwas schwierig und zu nachgiebig gegenüber dem Zeitgeist.

„Ich bin auch in einer Stadt am Meer geboren“, sagte er nachdenklich. „Ich komme aus Genua. Den Menschen aus Hafenstädten sagt man nach, dass sie sehr weltoffen sind.“

Ich korrigierte ihn nicht, dass Hamburg nicht am Meer, sondern an der Elbe lag.

„Aus Hamburg!“, wiederholte er. „Na, die Deutschen sind wenigstens gründlich, obwohl sich dies nicht immer sehr sympathisch auswirkt. Diese Sache muss schnell erledigt werden!“, sagte er unvermittelt. „Ganz schnell! Wir haben ohnehin genug Sorgen. Der Heilige Vater hält uns auf Trab. Er ist eine Naturgewalt und räumt kräftig mit den alten Zöpfen auf.“

Er bekam dabei einen verbissenen Gesichtsausdruck. Chefs, die viel Arbeit verursachen, werden vielleicht geachtet, aber nicht unbedingt geliebt. Nun, es war sein Acker und ging mich nichts an.

„Man hat Sie noch nicht mit einer Forderung konfrontiert?“, insistierte ich.

„Forderung? Was für eine Forderung?“

„Man könnte ja sagen, wenn Sie nicht dies oder das tun, übergeben wir das Dokument der Presse. So was in der Art.“

„Nein. Nichts dergleichen. Bisher jedenfalls nicht.“

Wischnewski nickte bestätigend.

„Wir würden auch nicht darauf eingehen, sondern behaupten, dass es eine Fälschung ist. Eine Intrige der Kommunisten.“

„Und wenn sie die Beglaubigung eines Historikers vorlegten, dass das Dokument echt ist?“

„Werden wir einen Historiker finden, der das Gegenteil behauptet. Aber zugegeben, es wäre eine höchst ärgerliche Geschichte, die wir zurzeit nicht gebrauchen können.“

Mein Blick fiel auf ein Bild hinter dem Schreibtisch. Es zeigte einen Mann, der Geld zählte. Domus bemerkte meine Verwunderung und schmunzelte.

„Ein Bild des flämischen Malers Quentin Massys aus dem Jahr 1514. Es ist sehr symbolträchtig. Die Waage verdeutlicht die Gerechtigkeit. Der Spiegel steht für die Zerbrechlichkeit des Lebens. Ein ähnliches Bild hängt im Louvre. Doch beachten Sie die Inschrift auf dem Rahmen: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist. Matthäus 22, Vers 21. Die Worte Jesu!“, fügte er andächtig hinzu. „Bischof Kaczinski vom IOR, besser bekannt als Vatikanbank, hat es mir beim Amtsantritt in mein Büro hängen lassen. Für das, was sich der Heilige Vater vorgenommen hat, braucht er viel Geld. Sehr viel Geld. Ein Danaergeschenk!“, fügte er mit sardonischem Lächeln hinzu.

Dass sich auch im Vatikan alles ums liebe Geld drehte, war keine Erkenntnis mit hohem Neuigkeitswert. Das Problem gab es bereits beim Bau des Petersdoms. Aber für einen so hohen Würdenträger, immerhin der zweite Mann nach dem Papst, war es doch ein erstaunliches Eingeständnis. Ich zuckte mit den Achseln.

„Falls eine Forderung eintrifft, so bitte ich Sie, mich umgehend zu informieren.“

„Das wird Kardinal Wischnewski übernehmen, der mich wiederum auf dem Laufenden hält. Nun, Mann aus Hamburg, dann zeigen Sie mal Ihre hanseatischen Tugenden! Wussten Sie, dass Danzig auch eine Hansestadt war?“

Ich wusste es, unterließ es aber, ihn darüber aufzuklären. Er lächelte ironisch und nickte Wischnewski zu. Wir waren damit entlassen.

Wischnewski war über den Verlauf der Audienz, so konnte man unser Gespräch vielleicht bezeichnen, sehr zufrieden.

„Das neue Pontifikat ist noch in der Einarbeitungsphase“, erklärte er. „Seine Eminenz hat wahnsinnig viel um die Ohren. Außerdem gibt es eine große Diskussion über die Ausrichtung des Pontifikats Johannes Pauls II. Die Traditionalisten kämpfen gegen die Modernisten. Vereinfacht gesagt: Wie politisch darf ein Papst sein?“ Er biss sich auf die Lippen. Wahrscheinlich machte er sich Vorwürfe, zu viel gesagt zu haben.

Wir fuhren mit dem Fahrstuhl hinunter ins Archiv, das unter der Bank IOR lag, dem Institut für gute Werke. Wir mussten einige Sicherheitsschleusen passieren. Der Kardinal hatte die entsprechende Codekarte dafür. Wir kamen in einen Saal, der so groß wie zwei Fußballfelder war und Hunderte von Regalreihen enthielt. Von einem Schreibtisch erhob sich ein Mann, der einen weißen Kittel trug, der ihn wie ein Arzt aussehen ließ. Er hatte ein durchschnittliches Gesicht, das leicht zu vergessen war. Seine Glatze wurde von einem schüchternen weißen Haarkranz umrahmt. Er hatte träumerische Augen, die durch dicke Augengläser vergrößert wurden. Der Kardinal stellte uns vor.

„Wie ich Ihnen bereits sagte, Herr Casardi ist schon eine Ewigkeit bei uns. Er diente bereits unter vier Päpsten.“

Ich bat mir zu zeigen, wo das Dokument archiviert gewesen war. Casardi ging mit uns zu einer Regalreihe, die viele Schubladen aufwies und zog ein Fach heraus. Er zeigte mir ein Dokument.

„Das ist der Lateranvertrag. Das Zusatzdokument lag dahinter.“

„Wie sind Sie darauf gekommen, dass etwas fehlt? Sie haben sicher Zehntausende von wichtigen Dokumenten!“

„Das ist richtig. Bischof Kaczinski wollte wissen, wie viel der Staat Italien damals für den Gebietsverlust von 1870 gezahlt hat und ob alle Zahlungen erfolgt sind. Dabei bemerkte ich, dass der Zusatzvertrag fehlt. Ich habe es sofort Seiner Eminenz gemeldet.“

„Das ist richtig“, bestätigte Wischnewski.

„Wie viele Leute arbeiten hier?“

„Zwölf Männer. Alle seit Jahren.“

„Sie sind Geistliche?“

„Teils, teils.“

„Kommen auch Besucher oder andere Fremde hier hinein?“

„Nein. Wissenschaftlern wird in einem Sicherheitszimmer das Dokument ausgehändigt, das sie interessiert. Hier ins Archiv kommen sie nicht. Oberste Vorschrift: Kein Dokument darf das Archiv verlassen.“

„Und doch ist es passiert?“

„Wir stehen vor einem Rätsel.“

„Einmal ist immer das erste Mal, sagte der Fuchs, als er in den Hühnerstall einbrach.“

Dem Kardinal war mein Spruch sichtlich peinlich.

„Wer hat die Sicherheitsanlage installiert?“

„Da müsste ich nachschauen. Es ist das Beste vom Besten. Wir sind mit Lasern gesichert. Ich weiß aber, dass es ein deutsches Unternehmen war. Und die sind auf dem Sektor Sicherheit wirklich gut.“

„Wann war das?“

„Vor fünf Jahren. Ich lasse Ihnen die Anschrift und den Namen des Sicherheitsingenieurs zugehen.“

Ich gab ihm meine Visitenkarte mit der römischen Adresse.

„Hier kommt niemand unbefugt herein!“, setzte er trotzig hinzu.

„Ich weiß. Ich muss nur alles ausschließen. Irgendwo muss ein Schwachpunkt sein, sonst wäre der Zusatzvertrag ja noch im Archiv.“

Er grummelte etwas.

„Das wäre es erst mal“, beruhigte ich ihn. „Ich brauche noch die Namen aller Mitarbeiter und deren Personalakten“, sagte ich zum Kardinal. Er nickte.

„Für meine Leute lege ich die Hände ins Feuer!“, protestierte Casardi.

„Ich glaube Ihnen gern, dass Sie ehrliche Mitarbeiter haben. Aber ich muss das überprüfen.“

„Wär’s das?“, fragte Wischnewski ungeduldig.

„Nicht ganz. Ich möchte jetzt mit Bischof Kaczinski sprechen.“

„So unangemeldet wird das kaum gehen. Ich werde mit seinem Sekretariat einen Termin vereinbaren.“

„Ach, schaun wir mal rein. Wir haben es doch eilig und wollen möglichst schnell zu einem Ergebnis kommen.“

Casardi staunte, dass sich der Kardinal fügte.

Wir fuhren mit dem Fahrstuhl hoch in die Bank. Sein Sekretariat war von einer Nonne besetzt. Sie war sogar ansehnlich. Der Kardinal trug unsere Bitte vor. Sie sah uns an, als hätten wir verlangt, ein Bild von Martin Luther aufzuhängen.

„Man kann Bischof Kaczinski doch nicht ohne Terminabsprache …!“

„Nun hören Sie mal gut zu, Schwester! Soll ich dem Heiligen Vater berichten, dass dieses Sekretariat meine Arbeit behindert?“, mischte ich mich ein.

Sie war diesen Ton nicht gewöhnt. Meine Drohung wirkte, als hätte ich ihr das Erscheinen des heiligen Petrus angekündigt. Sie verschwand hinter der gepolsterten Tür.

„Aber Sie können doch nicht …!“, krächzte Wischnewski entsetzt.

„Ich kann schon. So geht das in der realen Welt zu.“

Der Bischof kam mit rotem Kopf herausgestürmt.

„Was reden Sie da für Unsinn? Sie kommen vom Heiligen Vater? Das ist unmöglich! Ich war doch gerade bei ihm.“

„Wir untersuchen die Causa Zusatzvertrag“, sagte der Kardinal fast demütig. „Wir waren gerade bei Kardinalstaatssekretär Domus.“

„Und was soll das Gerede, dass der Heilige Vater …?“

„Das geht auf meine Kappe! Es sollte Ihrer schönen Schwester die Dringlichkeit verdeutlichen!“, gab ich zu, arrogant wie der Aufsichtsratschef einer deutschen Bank. Ich mochte ihn nicht. Er passte nicht zu der Bischofssoutane, war groß, breitschultrig und hatte Fäuste wie Schmiedehammer. Sein bulliges Gesicht hätte mich bei einem Wrestler nicht erstaunt. Er wies mit seinem mächtigen Kopf hinter sich. Wir folgten ihm in sein Büro.

„Signore Christiansen kennt sich mit unseren Gepflogenheiten nicht so aus“, bot ihm Wischnewski die Friedenspfeife an. Er schnaubte nur.

„Sagen Sie endlich, was Sie wollen, damit ich meine Arbeit tun kann!“

„Sie haben den Lateranvertrag angefordert?“

„Ja, habe ich. Und der Zusatzvertrag war nicht bei den Akten“, sagte er scharf.

„Schon gut. Warum haben Sie den Lateranvertrag angefordert?“

„Ich durchforste alle Verträge, die wir in diesem Jahrhundert abgeschlossen haben. Wir prüfen, ob noch irgendwelche Forderungen bestehen.“

„Der Lateranvertrag wurde doch bereits 1929 abgeschlossen. Daraus sind doch kaum noch irgendwelche Ansprüche abzuleiten.“

 

„Nach Ihrer Aussprache sind Sie Deutscher. Auch wir im Vatikan sind gründlich. Wir drehen jeden Stein um.“

„Das verstehe ich. Ist auch meine Devise.“

„Also, was wollen Sie noch wissen?“

„Das wäre es erst einmal.“

„Wegen solcher Kleinigkeiten stören Sie mich bei der Arbeit?“, platzte er heraus.

„Für mich war es ein durchaus interessantes Gespräch“, erwiderte ich vage und erhob mich. „Ich wünsche Ihnen noch einen zufriedenstellenden Arbeitstag.“

An der Tür drehte ich mich noch einmal um. „Stimmt es, dass die Vatikanbank immer noch Geld von der Mafia wäscht?“

Zugegeben, das war frech und unhöflich. Aber die Spatzen pfiffen es von den Dächern, dass diese Praxis entgegen aller Verlautbarungen immer noch nicht aufgegeben worden war.

„Was erlauben Sie sich! Ich habe das absolute Vertrauen des Heiligen Vaters!“, brüllte er los. Er schien dicht vor einem Schlaganfall zu stehen.

„Verstehe. Ein Dementi hört sich anders an!“

„Raus! Sie … Sie …! Schleppen Sie mir diesen Kerl nicht noch einmal an!“, wandte er sich an den Kardinal.

Wir gingen hinaus. Die Nonne sah mich an, als wäre ich der Leibhaftige persönlich.

„War das nötig?“, klagte Wischnewski.

„Der Besitz des Zusatzvertrages kann Millionen wert sein. Und wo Geld ist, nehme ich die Witterung auf. Und Bischof Kaczinski verwaltet die Milliarden des Vatikans, deswegen musste ich feststellen, was für ein Mensch er ist.“

Man sah dem Kardinal an, dass er sich die Frage stellte, ob es richtig gewesen war, den Mann aus Hamburg zu engagieren. Ich verabschiedete mich von ihm und wir versprachen einander, uns auf dem Laufenden zu halten.

Als ich aus dem Torbogen auf den Petersplatz trat, sah ich mich noch einmal nach dem mächtigen Gotteshaus um. Wie viel Blut hatte der Bau einst gekostet. Schließlich war seine Finanzierung der Grund für den Ablasshandel gewesen und dieser wiederum hatte zum Schisma und letztendlich zum Dreißigjährigen Krieg geführt. Der Dom löste bei mir keine Emotionen aus. Das einzig wirklich schöne war die Pietà Maria und Jesus vom großen Michelangelo. Dass Maria eher wie seine Schwester aussah, war für mich kein Problem.

Ein Taubenschwarm flog über den Platz. Er lag still und friedlich im Sonnenlicht. Dabei hatte der Papst die Schlacht um Polen bereits eröffnet. Wie hätte ich auch ahnen können, dass ich in seinem Krieg eine wichtige Rolle spielen würde.

2
Die alten Götter haben Rom nie verlassen

Marcello hing am Telefon, als ich das Büro betrat. Ich ging an die große Tafel, nahm ein Stück Kreide und schrieb eine Reihe von Namen auf:

 Casardi

 Domus

 Kaczinski

 Wischnewski

 Johannes Paul II.

Den Namen des Papstes schrieb ich nur auf, weil ich mich auch dem Unmöglichen nicht verschließen wollte und er der Boss des ganzen Vereins war. Verbindungen konnte ich zwischen den Namen noch nicht herstellen. Ich war mir ziemlich sicher, dass noch eine Menge Namen dazukommen würden. Marcello legte den Hörer auf.

„Der Leiter des Archivs scheint tatsächlich in Ordnung zu sein. Sein Leumund ist so makellos wie ein Kinderpopo. Er hat Altertumswissenschaft studiert, ein paar Jahre als Archäologe gearbeitet und in Herculaneum nach Scherben gesucht. Davon lässt sich kaum eine Familie ernähren. Er hat sich dann als Archivar im Vatikan beworben. Verheiratet, zwei Jungen. Studieren beide in Bologna.“

„Was studieren die beiden?“

„Archäologie.“

„Ach nein.“

„Hältst du das für eine Spur?“

„Nicht wirklich.“

Ich schnappte mir das Telefon und rief Montebello an. Er war Chef der römischen Kriminalpolizei. Bei der Aufklärung des Mordes an Johannes Paul I. war er mir eine große Hilfe gewesen. Als ich mich meldete, knurrte er: „Habe schon gehört, dass du dich wieder in Rom herumtreibst.“

„Kann ich mal vorbeikommen?“

„Hm, hab viel zu tun.“

„Ich gebe ein Essen aus.“

„Schön. Treffen wir uns doch im Alfredo, am Augustusgrab. Sagen wir um 12.30 Uhr.“

„In Ordnung. Im Alfredo, du Feinschmecker!“

„Ich hätte auch das Hassler vorschlagen können!“

Er lachte und legte auf.

„Was versprichst du dir davon?“, fragte Marcello.

„Ich will mal ein bisschen herumhorchen, was hier so läuft. Wenn einer Bescheid weiß, dann Montebello.“

Das Alfredo war berühmt für sein cremiges Pastagericht, eben „Fettuccine Alfredo“. Eine Kalorienbombe. Fast jede Berühmtheit, die sich in Rom aufhielt, wurde ins Alfredo geführt. Der Besitzer hatte zwar mehrmals gewechselt, aber der Name war geblieben. In den sechziger Jahren wurde jeder amerikanische Schauspieler im Alfredo gesehen, von Frank Sinatra über Dean Martin bis zu Gregory Peck und Audrey Hepburn.

Bevor ich abzog, instruierte ich Marcello noch einmal über unser weiteres Vorgehen.

„Kümmere dich um die Söhne von Casardi. Auch um ihre Freundschaften. Welche Lokalitäten sie besuchen, Freundinnen usw.“

Marcello schnitt eine Grimasse.

„Wann willst du Ergebnisse? Im nächsten Jahrhundert?“, erwiderte er nicht gerade begeistert.

Ehe wir das ausdiskutieren konnten, stürmte Maja ins Büro. Aus ihren schönen dunklen Augen sprühten Funken. Mein Gott, wie ich diese Frau liebte! Und doch hatte ich sie verloren. Jeder andere hätte für sie den Paris gespielt. Ich war ein Idiot, dass ich ihre Liebe aufs Spiel gesetzt hatte.

„Wir hatten vereinbart, dass wir uns ein halbes Jahr nicht sehen! Und nun tauchst du nach vier Wochen wieder in Rom auf!“, fauchte sie.

Es war eine Augenweide, sie zornig zu sehen. Ihr Haar trug sie wieder länger. Es fiel ihr schwarz wie ein Wasserfall bis auf die Taille. Sie hatte ein schmales Gesicht, eine klassische Nase wie bei guten griechischen Statuen und die entzückendsten Grübchen auf den Wangen. Zweifellos war sie eine der schönsten Frauen Roms – und das will etwas heißen, denn Rom hatte eine Menge Töchter von der Klasse der Cardinale oder Loren.

„Ich hau dann mal ab und trinke drüben im Canova einen Caffè freddo!“, sagte Marcello. Ich fand es nicht sehr kameradschaftlich. Nun würde sich Maja nicht mehr zurückhalten.

„Ich bin ja auch nicht bei dir in Trastevere aufgetaucht! Du bist hier! Ich habe in Rom einen interessanten Auftrag zu erledigen.“

„Meine Eltern sind schwer beleidigt, dass du dich nicht bei ihnen sehen lässt.“

„Ja, was denn nun? Dann wäre ich ja mit dir zusammengestoßen. Erst klagst du, dass ich in Rom auftauche und dann beschwerst du dich, dass ich nicht deine Eltern besuche. Verstehe einer deine Logik!“

Sie stutzte. Ihre Miene entspannte sich. Sie beäugte mich, als wäre sie ein Greifvogel und ich eine Maus. Warum fühlte ich mich ihr im Streit immer unterlegen?

„In Rom wirkst du lockerer als in Hamburg“, sagte sie mit verträumter Stimme. Ich atmete auf. Den ersten Sturm hatte ich überstanden.

„Das kommt dir nur so vor“, erwiderte ich sanft. „Hier ist das Licht heller. Die Luft ist samtig und es regnet auch keine Bindfäden“, fuhr ich lammfromm fort und versuchte einfühlsam ihrer Stimmung Rechnung zu tragen.

„Ist dein neuer Auftrag so gefährlich wie der letzte?“

„Keine Ahnung! Ich stehe ganz am Anfang.“

„Deine Aufträge sind immer gefährlich!“, sagte sie nun wieder eine Spur schärfer.

„Manchmal. Aber das wusstest du von Anfang an.“

„Immer warst du weg!“, quengelte sie. „Immer hast du nur deine Gedanken bei deinen Fällen gehabt. Ich existierte gar nicht für dich. Und wenn du mal nicht als Detektiv gearbeitet hast, kümmertest du dich um dein Sportstudio oder zogst mit deinen Sportfreunden herum.“

Der Hauch von versöhnlicher Stimmung war wieder dahin.

„Das haben wir schon oft genug besprochen.“

„Hast du eine Neue?“

Ihre Augen waren nur noch einen Spalt breit offen.

„Eine Neue? Ich habe mich noch nicht von dir erholt“, platzte ich heraus. Ich hätte mir selbst in den Hintern treten können.

„Du bist kein Mann, der ohne Frauen sein kann“, sagte sie mit lauerndem Blick. Sie saß auf Marcellos Schreibtisch und wippte mit ihren Beinen. „Ach, Serge, du hättest mich nie in das kalte, nasse Hamburg verschleppen dürfen.“

Was sollte das nun wieder? Hamburg war eine der schönsten Städte Deutschlands. An das Wetter konnte man sich gewöhnen.

„Du bist freiwillig mitgekommen!“

„Weil ich dich so geliebt habe.“

Was nichts anderes hieß, als dass dies nicht mehr der Fall war?

„Du hattest versprochen, dass du wenigstens die Hälfte des Jahres in Rom arbeiten würdest.“

Wir hatten uns dies alles schon tausendmal an den Kopf geworfen.

„Es war nicht abzusehen, dass sich Marcello so schnell einarbeiten würde. Und solche Jahrhundertfälle wie die Aufklärung des Papsttodes hat man nicht jedes Jahr.“

„Rasieren könntest du dich auch mal wieder! Wir sind hier in einem zivilisierten Land. Du siehst aus wie ein Bandito.“

„Ich soll dich von Iphigenie grüßen. Sie meint auch, ich verwildere langsam“, erwiderte ich lachend.

„Hast du mit ihr etwas angefangen?“

Sie bekam einen verbissenen Zug um den Mund, den ich gar nicht mochte.

„Rede keinen Unsinn! Sie ist deine Freundin.“

„Ich traue dir alles zu. Sie mag dich. Ich weiß es. Würde sie es sonst mit einem so chaotischen Chef wie dir aushalten?“

„Du redest Unsinn! Hast du sonst noch etwas an mir auszusetzen? Dann raus damit! Ich habe eine wichtige Verabredung mit Kommissar Montebello.“

„Du hast dich nicht verändert!“, klagte sie mit bitterem Ton. „Ich habe gehofft, dass du begreifen würdest, wie ernst es mir mit der Trennung ist, wenn du deinen abscheulichen Beruf nicht aufgibst.“

Es klang nun gar nicht mehr versöhnlich.

„Soll ich Pizzabäcker werden? Du musst mich schon so nehmen, wie ich bin. Du kannst aus mir keinen Hauskater machen.“

„Du bist ein Narr, Serge Christiansen!“, erwiderte sie, sprang vom Schreibtisch und stürmte aus dem Büro. Sie ließ mich mit der Frage zurück, ob mir nur die Option blieb, mich kastrieren zu lassen. Ich stöhnte, stand auf und ging ans Fenster. Sie bestieg gerade ihre Vespa. Mit wehenden Haaren fuhr sie davon. Ich muss ihr sagen, dass sie sich einen Helm aufsetzen soll, dachte ich besorgt.

Ich ging hinunter und über die Straße und setzte mich zu Marcello, der vor dem Café Canova saß.

„Ist schlecht gelaufen, was?“

„Keine Ahnung, was ihr Auftritt sollte. Verbessert hat er die Situation nicht. Wir haben uns nur das an den Kopf geworfen, was wir schon tausendmal durchgehechelt haben.“

„Du hast es vermasselt.“

„Was vermasselt?“

„Sie wollte, dass du ihr einen Grund gibst, euren Streit zu beenden. Einen kleinen winzigen Grund, der sie hoffen lässt.“

„Sie wollte die Kapitulation. Wenn ich ihr nachgeben würde, wärst du deinen Partner los.“

„Idiot!“

„Verstehe die Frauen, wer will!“

„Sie hätte sich mit einem kleinen Finger begnügt.“

„Ah ja? Und was soll das heißen?“

„Zum Beispiel Rom zu deinem Hauptsitz zu erklären und hier eine schöne Wohnung einzurichten. Und wenn du dann noch für ein Kind gesorgt hättest, hätte sie sich mit vielem abgefunden. Italienische Frauen lassen ihre Familie nicht im Stich.“

„Sie muss immer recht behalten.“

„Mach dich mit dem Gedanken vertraut, dass du nicht der einzige Mann bist, der für sie interessant sein könnte.“

„Was soll das denn heißen?“

„Ist das so schwer zu kapieren?“

„Ach, lass mich in Ruhe!“

„Hau ab!“, sagte er lächelnd. „Warum zerbreche ich mir für dich den Kopf, du Barbar?“

Ich trollte mich. Heute war so ein Tag, an dem alle unzufrieden mit mir waren. Am Eingang des Alfredo stieß ich mit Montebello zusammen. Er hatte sich nicht verändert und sah immer noch wie ein alter Seehund aus. Ein sehr großer Seehund mit einem Stalinbart. Wir umarmten uns und klopften uns den Rücken.

„Alter Bandito!“, murmelte er gerührt.

Wir gingen ins Lokal. Das Alfredo bestand aus einem großen Saal, eigentlich so gemütlich wie eine Werkskantine, wenn man ein paar Fresken an der Stirnwand übersah, die wohl in den dreißiger Jahren Mussolini und seinen Gangstern gefallen hatten. Aber die fielen ohnehin nicht weiter auf, weil alle Wände mit Fotos von illustren Gästen bepflastert waren. Es gab wohl keine Berühmtheit, die hier nicht schon die Fettuccine gegessen hatte. Selbst Kennedy und Jackie O. fehlten nicht.

 

Wir setzten uns, ohne eine Einweisung abzuwarten, in eine Ecke, von wo wir den Saal gut übersehen konnten. Carlo eilte mit der Speisekarte herbei. Er war eine Institution und würde wohl der Letzte sein, der das Licht ausmachte, sollte das Alfredo jemals schließen. Man musste es gesehen haben, wie er die Zubereitung der Fettuccine zelebrierte. Es waren die Bewegungen eines Stardirigenten. Mit weit ausgreifenden Handbewegungen rührte er die Pasta in einer großen Silberschüssel.

„Signore Christiansen, Sie sind mal wieder in der Stadt? Was für eine Freude!“, begrüßte er mich.

Montebello und er umarmten sich. Ich bekam einen kräftigen Handschlag. Irgendwann würde er mich einer höheren Klasse für würdig empfinden und mich mit brüderlichen Küssen beehren. Mit seinem Frack sah er aus wie ein Pinguin, aber ein sehr von sich überzeugter Pinguin.

„Das Übliche?“, fragte er. „Wir haben einen frischen Seewolf hereinbekommen. Kann ich unbedingt empfehlen.“ Er zückte seinen Notizblock. „Also, dann nehmen wir einen Meeresfrüchtesalat, danach natürlich die Fettuccine Alfredo und dann den Seewolf. Zum Schluss Tiramisu?“

„In Ordnung!“, stimmte Montebello zu. „Aber das Tiramisu kannst du streichen. Ein caffè und ein Ramazzotti am Schluss reichen uns.“

Ich nickte zustimmend.

„Sehr wohl“, erklärte auch er sein Einverständnis.

Carlo war kaum zu dem großen Pult zurückgekehrt, wo er die Fettuccine vorbereitete, als Montebello meine Hand tätschelte.

„Nun sag schon! Was führt dich nach Rom? Du bist kaum in Rom angekommen und willst mich sprechen? Dir brennt doch die Jacke! Was hast du auf dem Herzen? Es hat mit dem Vatikan zu tun, nicht wahr?“

Mir fiel die Kinnlade herunter.

„Was? Woher weißt du das?“

„Ich verdöse meine Zeit nicht am Schreibtisch. Rom ist ein Dorf. Im Vatikan hat man sich an deine Fähigkeiten erinnert, stimmt’s? Ein verschwundenes Dokument bereitet ihnen eine Menge Sorgen.“

Ich musste kräftig schlucken.

„Es bleibt in Rom wohl nichts geheim?“

„Mir bleibt nichts geheim.“

Carlo brachte die Antipasti und eine Karaffe Rotwein.

„Ein guter Wein aus San Gimignano. Ihr beide mögt, wenn ich mich recht erinnere, am liebsten Chianti.“ Er hatte recht.

Das Lokal, das ziemlich leer gewesen war, füllte sich nun. Nach Gesprächsfetzen zu urteilen, waren die meisten Amerikaner.

„Was weißt du über die Geschichte?“, fragte ich Montebello. Er wartete, bis Carlo wieder verschwunden war.

„Nicht viel. Eigentlich gar nichts. Nur, dass irgendein Teil vom Lateranvertrag fehlt, was den Vatikan in ein schlechtes Licht rücken könnte. Im Vatikan summt es wie in einem Bienenstock. Ich weiß allerdings nicht, was an dem fehlenden Dokument so aufregend ist.“

„Es ist tatsächlich ein brisantes Papier.“

„Du darfst nichts sagen?“

„Nein. Nur so viel. Die Sache ist so brisant, dass mich sogar der Kardinalstaatssekretär empfangen hat.“

„Wow!“, entfuhr es ihm. „Es geht um irgendwelche Kungeleien mit den Faschisten, stimmt’s?“

Ich sagte nichts dazu. Er wusste nun, dass er auf dem richtigen Pfad war.

„Sachen, die aus der Faschistenzeit auftauchen, sind immer brisant“, sagte er nachdenklich.

„Man könnte den Vatikan damit erpressen!“

„Hm. Vielleicht hat es damit zu tun … Ein ganzes Rudel von der Cantona-Familie ist in der Stadt. Ich lasse sie vorsorglich beschatten. Sie treiben sich meistens auf der Via Veneto herum. Verdächtige Aktivitäten habe ich aber bisher nicht bemerkt.“

„Sieh an, meine alten Freunde von der sizilianischen Mafia!“

„Ja. Aber da wäre noch etwas. Es brodelt im Topf! Von der politischen Polizei habe ich erfahren, dass der KGB mit Mannschaftsstärke in Rom ist. Irgendetwas geht vor. Denn die CIA hat ihre Mannschaft auch verstärkt. Die werden wohl beide den Papst beobachten. Es passt den Sowjets gar nicht, dass ein Pole Papst geworden ist. Die Wahl Wojtyłas hat sie in helle Aufregung versetzt. Die Amis sehen es als Chance, die Russen als Gefahr. Beide liegen auf der Lauer, was der Papst tun wird. Aber dein Problem kann natürlich auch jemand verursacht haben, den wir überhaupt nicht auf dem Schirm haben.“

„Das Papier ist ein paar Millionen wert!“

„Hunderte von Millionen, wenn es so brisant ist, wie du angedeutet hast. Dir bleibt gar nichts anderes übrig, als dich um die Quelle zu kümmern. Wie konnte das Papier aus dem Archiv entwendet werden?“

„Ja. Damit haben wir schon angefangen. Wir untersuchen gerade die Viten von Casardis Mitarbeitern. Bisher hat sich nichts ergeben.“

„Ich werde auch ein paar von meinen Kommissaren darauf ansetzen.“

„Grazie. Je mehr wir aussortieren können, desto besser.“

Montebello sah jäh hoch. Sein Schnurrbart schien sich zu kräuseln. Seine Augen bekamen einen stählernen Glanz.

„Wenn man vom Teufel spricht!“

„Ha!“, entfuhr es auch mir.

Mit tiefen Bücklingen wurden zwei Männer vom Saal-Majordomus begrüßt. Ich kannte die beiden von meinem Besuch in Palermo, als ich den Tod Johannes Pauls I. untersuchte.

„Du hast recht. Die Cantonas sind in Kampfstärke in Rom. Wie heißen die beiden noch?“

„Bonanini und Bacocelli, Leutnants der Cantona-Familie.“

Es waren gut aussehende, schmalhüftige Männer in schwarzen Anzügen. Ihre Hemden waren blütenweiß. Ihre Schuhe glänzten, als wären sie gerade gewichst worden. Sie machten Mienen, als gehöre ihnen das Alfredo.

„Es sind Killer. Leider kann ich ihnen das nicht beweisen.“

Die beiden sahen zu uns herüber und steckten die Köpfe zusammen. Der Saal-Majordomus wies ihnen einen guten Platz am Ausgang zu. Sie setzten sich mit dem Rücken zur Wand. Mafia-Vorsichtsregel: Setz dich stets so, dass keiner deinen Rücken sieht! Die Wild-Bill-Hickok-Regel.

Bacocelli stand wieder auf und setzte sich zu uns in Bewegung. Er riss sich die Sonnenbrille von den Augen und schob sie ins Haar. Ich hätte wetten können, dass es sich um eine Ray Ban handelte. Er stützte sich auf unserem Tisch mit den Händen ab.

„Wer sitzt denn hier so vertraut zusammen?“, fragte er höhnisch. „Unser Maigret und der Barbar aus Hamburg. Seit gestern wieder im Land, stimmt’s? Regnet wohl zu viel in deiner Stadt hinter dem Limes?“

„Euer Betriebsausflug nach Rom ist nicht unentdeckt geblieben. Gleich in Mannschaftsstärke anzurücken, musste doch auffallen. Ist es euch in Palermo zu langweilig geworden? Spuck aus, was du zu sagen hast! Und dann verpiss dich!“, knurrte Montebello.

„Warum so krakeelig, Commissario? Lassen Sie mir doch die Freude, einen lieben alten Bekannten in Rom willkommen zu heißen.“

Es stimmte. Wir kannten uns gut. Hatte ich doch den Cantonas tüchtig in die Suppe gespuckt. Auf ihrer Liste von den Leuten, die sie ganz und gar nicht mochten, stand ich sicher ganz weit oben. Spencer hob seinen wuscheligen Kopf, rappelte sich auf und ließ einen Knurrlaut hören. Bacocelli sah irritiert auf meinen Hund.

„So ein Vieh sollte einen Maulkorb tragen!“

„Er trägt keinen, weil er dich sonst nicht beißen kann“, sagte ich ungerührt. Spencer verstärkte sein Knurren und brachte tatsächlich so etwas wie ein Zähnefletschen zustande. Er merkte, wenn ich jemanden nicht mochte. Montebello strich sich über seinen Schnurrbart.

„Bacocelli, Bacocelli! Irgendwann machst du einen Fehler und dann …“ Er ließ offen, was er mit ihm machen würde.

„Träum weiter, Alter! Das versuchst du doch schon eine ganze Weile und stehst immer noch mit leeren Händen da.“ Bacocelli grinste dreckig.

„Platz, Spencer!“, beruhigte ich meinen Hund. „Er mag dich nicht, Bacocelli!“, erklärte ich Spencers Knurren.

„Sie sollten auf das Vieh aufpassen, sonst fängt es noch eine Kugel.“

„Ich frage mich natürlich, was ihr so weit von eurem Nest zu suchen habt.“ Montebellos Augen glitzerten gefährlich.

Carlo brachte die Fettuccine Alfredo. Bacocelli tat so, als hätte er ihn nicht bemerkt und gab ihm einen Stoß. Die Teller fielen auf den Fußboden und zerbrachen klirrend. Die Fettuccine schlidderten über die Fliesen.

„Scusi! Ich habe dich nicht gesehen. Kannst du nicht besser aufpassen!“, sagte Bacocelli grinsend zu Carlo. Dieser sah ihn an, als hätte er über die Heilige Jungfrau gelästert. Er winkte einem jüngeren Kellner zu, den Boden aufzuwischen.