Alexanders letzter Traum

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Wir ritten zum Hafen und ich suchte den Kapitän der Triere auf, die uns nach Abydos bringen sollte. Der Kapitän, ein graubärtiger Seebär, hatte mich bereits erwartet. Als er an der Plakette auf meinem Lederpanzer erkannte, dass ich zu den Gefährten des Königs gehörte, versicherte er mir wortreich, dass ich über ihn und sein Schiff verfügen könne. Er sagte zu, gleich am nächsten Morgen in See zu stechen.

Ich hielt es nicht auf dem Schiff aus und ritt mit Phokis zur Agora und wir beobachteten misstrauisch die Marktstände, an denen großes Gedränge herrschte. Aber uns fiel nichts Verdächtiges auf, obwohl uns am Anfang alles verdächtig erschien. Vor einer Taverne saßen wir ab und ließen uns zu einem Becher Wein nieder und behielten den Marktplatz im Auge. Es dämmerte bereits. Schließlich kamen wieder Reiter auf die Agora. Es war Attalos mit zwei Agrianen und wir winkten und liefen ihnen entgegen.

„Wo sind die anderen?“

Attalos war sehr bleich. Nur mühsam hielt er sich auf dem Pferd. Er blutete aus einer Schulterwunde.

„Tot. Die Hauptgruppe aus der Schlucht hatte uns eingeholt.“

Ich erzählte ihm, was uns widerfahren war und was wir aus den Griechen herausgequetscht hatten.

„Ein Diomedes aus Korinth? Du glaubst das doch nicht?“

„Nein. Warum soll jemand aus Korinth so versessen auf den Befehl Alexanders sein? Außerdem, woher wusste dieser angebliche Fürst davon? Und zum dritten, was nützt es ihm?“

„Persisches Gold. Verrat!“ mutmaßte Attalos und ließ sich vom Pferd gleiten, und seine beiden Reiter taten es ihm schnaufend nach.

Wir gingen zu einem Arzt, den uns der Wirt der Taverne nannte und dieser versorgte die Wunde, die zwar schlimm aussah, aber nicht lebensgefährlich war.

Danach gingen wir zum Hafen und brachten unsere Pferde an Deck der Triere. Der Kapitän hatte einen Verschlag vorbereitet, so dass wir unsere Tiere problemlos über das Meer bringen konnten. Um jedem Ärger aus dem Weg zu gehen, beschlossen wir an Bord zu bleiben. Es war ein Lastenschiff, das mit hundertsiebzig Mann bestückt war und drei Ruderreihen hatte. Wir würden die Meerenge in wenigen Stunden überqueren. Die Mannschaften waren jedoch noch in den Tavernen. Am Heck, vor der Kapitänskajüte, hatten wir uns so gut es ging ein Lager bereitet. Der Kapitän ließ uns Wein bringen und er war nicht so schlecht, wie wir befürchtet hatten. Der Käse allerdings war für einen Makedonen aus den Bergen etwas sehr streng. Aber wir waren nicht verwöhnt und aßen mit Heißhunger den Käse, das ölgetränkte Brot und die köstlichen Oliven.

Mittlerweile war es Nacht geworden und die Lichter der Kneipen am Hafen spiegelten sich im Wasser. Schließlich verebbte der trunkene Lärm aus den Tavernen und ich wurde müde und schlief ein. Ein warmer Hauch an meinem Ohr weckte mich.

„Irgend etwas geht hier vor“, flüsterte Phokis.

„Was ist los?“

„Hör nur.“

Nun hörte ich, wie Holz gegen das Schiff stieß und ein kratzendes Geräusch, als wolle eine Katze einen Baum hochklettern.

„Du meinst …?“

„Könnte doch sein.“

„Weck die anderen. Aber leise.“

Als diese begriffen hatten, worum es ging, robbten wir uns auf die Steuerbordseite, wo das Geräusch herkam. Doch noch bevor wir diese erreichten, sprang gleich ein Dutzend Gestalten auf unser Schiff. Wir sprangen hoch und ich warf dem Erstbesten mein Messer in die Kehle. Denn dass er mit uns ein Nachtmahl einnehmen wollte, war kaum anzunehmen. Den zweiten erledigte ich mit dem Speer. Attalos, Phokis und die Agrianen waren auch nicht faul und bald hatten wir das Deck freigekämpft. Als der Kapitän mit einigen seiner Matrosen erschien, lagen acht unserer Verfolger, auch sie in den typischen Rüstungen griechischer Hopliten, tot auf den Brettern. Drei waren geflohen. Einer kroch leicht verletzt über die Planken und wir nahmen ihn uns noch einmal vor. Phokis verabreichte ihm ein paar von seinen Backpfeifen und drohte:

„Das ist erst der Anfang! Junge, in wessen Auftrag handelt ihr?“

Natürlich war der Gefangene erst einmal verstockt und wollte nicht reden. Aber nachdem Phokis ihn unsanft in einen Eimer voller Fäkalien gestoßen hatte, wurde er recht auskunftswillig. Schließlich kam heraus, dass der angebliche Fürst ein Abgesandter des Memnon war, dem Anführer der griechischen Söldner, die den Persern dienten.

„Also doch persisches Gold?“ zweifelte Attalos. „Doch woher wusste er von der Botschaft an Parmenion?“

„Keine Ahnung. Aber natürlich wäre es für die Perser von Vorteil, wenn sie wissen, wann Alexander übersetzt. Memnon braucht nur die persische Flotte hierher zu dirigieren und der ganze Feldzug ist gefährdet. Aber eins wissen wir immer noch nicht. Wer unter den Makedonen ist der Verrräter? Wer konspiriert mit den Persern?“

„Es muss einer aus der Heeresversammlung sein“, sagte Attalos düster.

Phokis versuchte noch mehr aus dem Griechen herauszubekommen, aber er schien wirklich nicht zu wissen, woher Memnon von uns wusste.

„Was machen wir mit ihm?“ fragte Phokis unzufrieden. Die typische Bewegung zum Hals unterließ er diesmal.

„Lass ihn laufen.“

„Nein. Das geht nicht“, wandte der Kapitän ein. „Sie haben mein Schiff überfallen und das kann nicht ungestraft bleiben.“ Ohne noch eine Antwort abzuwarten, stieß er dem Griechen den Dolch in die Kehle und befahl seinen Matrosen die Leiche über Bord zu werfen. Zart besaitet war der Seebär wirklich nicht.

Im Morgengrauen, nachdem die Mannschaften sich mit müden Gesichtern und roten Augen eingefunden hatten, stachen wir mit der ersten Flut in See. Ich war das erste Mal auf dem Meer und geheuer war mir dieses Element nicht. Nach ein paar Gebeten zu Apollon fiel mir ein, dass es besser wäre, Poseidon anzurufen, und ich erledigte auch das noch schnell. Vergeblich war dies nicht, denn die See blieb ruhig. Ich sah es als ein gutes Zeichen, dass bald Delphine lustig das Schiff umsprangen. Mir war, als würden sie mir aufmunternd zulächeln. Der Kapitän, ein Athener, kam zu mir an den Bug.

„Du scheinst einen wichtigen Auftrag zu haben, dass sich Memnon um dich kümmert.“

„Er wird nicht verhindern können, dass Alexander nach Asien kommt.“

„Stimmt das, was man von dem König sagt?“

„Was sagt man denn?“

„Dass nicht Philipp sein Vater ist, sondern der Gott Amun.“

„Es wird viel Unsinn geredet.“

„Stimmt. Unser Demosthenes treibt jeden Tag eine Sau über die Agora. Ich dagegen habe immer zu Philipp gehalten!“ beeilte sich der Kapitän zu sagen. „Ist mir sehr recht, dass Athen unsere Schiffe den Makedonen zur Verfügung stellt. Wird ein gutes Stück Geld bringen. Aber man spricht davon, dass Alexander sich keinen Sommer in Ionien halten wird.“

„Das hofft man wohl? Soviel ist sicher. Er kommt nach Asien. Und mit ihm das beste Heer der Welt.“

„Ihr seid sicher, dass ihr die größte Macht der Erde bezwingen könnt?“

„Wir haben einen großen König.“

Ich sagte noch nicht, dass wir den Sohn eines Gottes zum König hatten. Dieser Gedanke kam erst später auf.

Ich war also Alexanders Schrittmacher und ging vor ihm nach Asien und war mir sicher, dass auf uns Dinge warteten, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Achilleus war zurück auf die Erde gekommen.

Das Land, das am Horizont auftauchte und mit einem schmalen Streifen einen Erdteil ankündigte, würde uns gehören. Dies war unser Kolchis und das goldene Vlies war der König der Perser. Der Wind blähte die Segel und die Ruderer sangen im Takt von Odysseus, dem Listenreichen. Der Strich vor uns wurde immer deutlicher und mir wurde der Mund trocken. So vermessen nun einen Speer zu werfen war ich nicht. Dies war Alexander vorbehalten, der damit Asien als speergewonnenes Land in seinen Besitz nahm. Ich war guter Hoffnung, dass bei dieser Landnahme auch etwas für mich herausspringen würde. Es konnte losgehen.

6.

Als ich mein Pferd durch das seichte Wasser ans Ufer führte, hatte ich nicht das Gefühl, dass etwas besonderes passierte. Es war ein diesiger Morgen irgendwo bei Abydos. Wir hatten nicht den Hafen angefahren, sondern waren etwas entfernt von der Stadt in einer Bucht an Land gegangen. Nachdem was geschehen war, mussten wir damit rechnen, dass wir auch hier erwartet wurden. Wir waren noch elf Reiter, als wir uns am Ufer Asiens auf die Pferde schwangen. Mir kam keinen Augenblick in den Sinn, dass ich Makedonien niemals wieder sehen würde. Ehrlich gesagt, habe ich es auch später nie vermisst. Es ist meines Vaters Land, und später merkte ich, dass auch Alexander nie Sehnsucht danach hatte, wieder nach Makedonien zurückzukehren. All zu gute Erinnerungen hatte er an Makedonien auch nicht. Es war ihm später nur ein Schoß, der für gute Krieger sorgte.

Wir winkten noch einmal zu dem Kapitän hinüber und ritten auf Troja zu. Als es auftauchte, war ich ziemlich enttäuscht. Eine Hügelkuppe mit einer nicht einmal sehr großen Stadt. Mir lief jedenfalls kein Schauer über den Rücken. Wir ritten auf der persischen Heerstraße weiter. Die Felder waren karst und gelbbraun und staubig. Wir kamen durch einen Ort, der für mich namenlos war und, nach den armseligen Häusern zu schließen, auch keine besondere Bedeutung hatte. Was mir nur seltsam vorkam, war die Stille in dieser Stadt. Keine Menschenseele war zu sehen. In den Seitenstraßen sah ich ein paar Hühner herumlaufen. Irgendwo meckerte eine Ziege. Aber keiner der Bewohner war zu sehen.

„Hier stimmt was nicht!“ rief ich Attalos zu und lockerte den Speer in dem Lederköcher auf meinem Rücken.

„Hier haben welche Sehnsucht nach uns!“ stimmte Phokis zu und sein fleischiges bärtiges Gesicht strahlte, als hätte man ihm eine Nacht mit einer Frau versprochen.

 

Hinter dem kleinen Marktplatz verengte sich die Straße. Ich war nicht überrascht, dass sie versperrt war. Hinter der Barrikade standen Söldner. Nein, es waren keine Perser. Es waren Griechen und sie trugen die gleiche Rüstung und hatten die gleichen Waffen wie wir.

„Dreh dich mal um!“ rief Attalos.

Nun sah ich, dass auch hinter uns Soldaten herankamen. Wir saßen in der Falle.

„Die Götter sind mit uns!“ rief mein Phokis. Keine Ahnung, woher er dies wusste. Aber es gab unseren Männern Mut. Wir preschten auf die Sperre zu, die aus einigen Karren bestand. Dahinter hielten uns Hopliten ihre Speere entgegen. Große Sorgen machten wir uns deswegen nicht. Schließlich hatten wir in Aigai und Pella oft genug geübt, wie man solche Hindernisse überwand. Ich drückte meinem Pferd die Fersen in den Leib und mit einem erstaunten Wiehern flog es über die Karren hinweg. Dabei streckte ich einen unserer Gegner mit dem Speer nieder. Bis auf einen Reiter waren wir alle durchgekommen. Ich sah, wie ein Agriane vom Pferd gezerrt wurde. Wir konnten keine Rücksicht darauf nehmen und jagten weiter. Schon waren wir aus der Stadt heraus. Es folgte uns niemand, was auch merkwürdig war.

„Was sind denn das für Stümper?“ staunte Attalos.

„Warum Stümper? Wir sind nun einmal gewaltige Krieger!“ rief Phokis lachend. Er war nur ein Diener, aber meine Agrianen hatten sich mittlerweile daran gewöhnt, dass er sich selbst gegenüber den Gefährten des Königs einen recht respektlosen Ton herausnahm. Meinem schwarzbärtigen Riesen konnte niemand so richtig böse sein.

„Jeder vernünftige Anführer hätte ein paar Reiter bereit gehalten“, sagte Attalos.

„Sie waren sich zu sicher. Wahrscheinlich glaubten sie, dass wir aufgeben würden“, mutmaßte ich.

„Die Welt ist voller Dummköpfe“, rief Phokis. „Gut für die, die ein bisschen Grips im Kopf haben.“

Mein Molosser konnte manchmal ein richtiger Philosoph sein.

Am Nachmittag des nächsten Tages erreichen wir Parmenions Lager in der Nähe von Ephesos. Das Lager war sorgfältig befestigt. Parmenion war ein guter Feldherr, was er bereits vielfach unter Philipp bewiesen hatte. Er war ein Stratege, der nur ungern ein Risiko einging und immer versuchte, seine Verluste in Grenzen zu halten. Die Männer liebten ihn dafür. Er was das Idol der Philippischen.

Man ließ uns auch gleich vor und ich marschierte mit Attalos in sein Zelt. Parmenion stand mit einigen Offizieren um einen Tisch und sie hatten jede Menge Papyrusrollen vor sich liegen, die merkwürdige Zeichnungen enthielten. Attalos klärte mich später auf, dass sie die Küste von Ionien zeigten. Auch mein Vater war unter den Offizieren. Seine Miene wechselte von Erstaunen zu Fassungslosigkeit. Natürlich erkannte er an der Scheibe mit dem Gorgonenhaupt auf meinem Lederpanzer, dass ich zu Alexanders engster Gefolgschaft gehörte und damit einen Rang hatte, der seinen übertraf und dies nur, weil ich einmal im Wald zur rechten Zeit zur rechten Stelle gewesen war. Das eine Auge, das er noch hatte, erzählte genug davon, was er mir am liebsten antun würde. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich hoffte, dass mein Gesicht dies nicht zeigte.

„Eine Botschaft von unserem König Alexander!“ sagte ich und übergab Parmenion die Rolle, und er brach das Siegel und rollte den Papyros auf und las und nickte.

„Er kommt also.“

„Es ist soweit!“ bestätigte Attalos.

„Schwierigkeiten gehabt?“ fragte Parmenion und wies auf Attalos’ verbundenen Arm. Der General sah meinem Vater sehr ähnlich. Er war groß, wesentlich größer als die meisten Makedonen, fast ein Riese, und hatte ein hageres längliches Gesicht mit einem kräftigen Gebiss. Sein Bart war an den Seiten weiß gefleckt.

„Wir haben sechs Mann verloren.“

„Euch wurde aufgelauert?“

„Ja. Man kannte unsere Route und die Wichtigkeit dieses Papyrus!“sagte ich und wies auf die Rolle in seiner Hand.

„Woher wussten die …?“

„Ja. Woher?“ fragte Attalos grimmig

„Verräter?“

„Sicher. Was sonst.“

„Es waren Griechen, die uns überfielen. Söldner im persischen Dienst. Aber jemand muss ihnen verraten haben, dass der Papyrus den Tag der Überfahrt nach Asien enthält. In der Heeresversammlung nannte Alexander den Tag nicht. Deswegen war dieser Papyrus wichtig für die Perser“, klärte ich Parmenion auf.

„Dich kenne ich noch nicht.“

Mein Vater beugte sich zu Parmenion und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

„Ach so. Das also ist der Bärentöter!“ sagte er und musterte mich interessiert.

„Du bist schnell aufgestiegen, Leonnatos“, sagte er mit einem Lächeln und deutete auf die Plakette auf meiner Brust. Er musterte mich ausgiebig und sein Blick ging hinunter zu meinem Fuß.

„Dem König macht das nichts aus!“ sagte ich feindselig.

„Ja? Auch Philipp war nicht gut zu Fuß!“ stimmte Parmenion zu. „Wenn er noch leben würde, wäre mir vor dem Feldzug nicht bange.“ Er seufzte.

Ich fand die Bemerkung sehr unpassend. Sie sagte nichts anderes, als dass Philipp der bessere König war.

„Alexander wird bald hier sein“, sagte Attalos eisig.

„Ja. Alexander!“ sagte Parmenion dumpf und las noch einmal den Papyrus und rollte ihn zusammen.

„Ihr könnt morgen zu ihm zurück reiten. Ihr werdet ihm die Nachricht überbringen, wo wir uns mit ihm vereinigen. Ich gebe euch ein paar von meinen besten Reitern mit. Kommt heute Abend zu mir zum Nachtmahl. Anthes, du kümmerst dich derweil, dass dein Sohn und seine Männer eine entsprechende Unterkunft bekommen und sich ausruhen können. Du wirst mit Leonnatos sicher auch genug zu erzählen haben.“

Er lächelte und nickte meinem Vater zu und der presste die Lippen zusammen und winkte mit dem Kopf und wir folgten ihm aus dem Zelt. Als er draußen Phokis sah, wurde sein Gesicht noch finsterer. Große Lust mich mit ihm zu unterhalten hatte ich genau so wenig wie er. Ich merkte, dass sich auch Attalos ungemütlich fühlte.

Vater führte uns zu einem Zelt, in dem einige Liegen standen. Er brüllte nach einem Aornos und dieser kam sofort angewieselt. Er befahl dem Sklaven Wasser und etwas zu essen zu bringen.

„Ihr seid im Königspalast sicher besseres gewöhnt“, sagte er höhnisch. „Aber wir sind Soldaten. Mehr Komfort können wir euch nicht bieten. Wir sehen uns heute Abend beim Festmahl.“

Er nickte Attalos zu und ging hinaus.

„Ist der Einäugige wirklich dein Vater?“ fragte Attalos verblüfft.

„Ja. Daran kann ich leider nichts ändern.“

„Was ist zwischen euch?“

„Hass.“

„Zwischen Vater und Sohn?“

„Ja. Entweder bringt er mich um oder ich ihn.“

„Ich werde heute Nacht wach bleiben!“ warf Phokis ein.

„Ihr aus den Bergen seid Barbaren“, sagte Attalos kopfschüttelnd.

„Ja. Wir sind etwas ungeschliffen“, erwiderte ich und lachte verlegen.

„Barbaren seid ihr!“ wiederholte Attalos.

Dann kamen die Sklaven und lenkten uns von diesem Thema ab. Sie brachten Wannen mit dampfendem Wasser und wir konnten uns nach Tagen wieder einmal den Dreck abwaschen. Danach salbten uns die Sklaven und kneteten uns durch und schabten schließlich das Öl von der Haut. Nach einem kräftigenden tiefen Schlaf gingen wir gut ausgeruht zum Gastmahl des Parmenion. Die Sklaven hatten unsere Lederpanzer gewienert und uns neue Röcke bereit gelegt, so dass wir uns wie neugeboren fühlten. Phokis musste natürlich zurück bleiben. Was diesen aber nicht zu stören schien, da er sich zum Würfelspiel verabredet hatte.

In dem Zelt des Feldherrn war nun eine große Tafel aufgebaut. Ungefähr zwanzig Personen lagerten um den Tisch. Im Gegensatz zu der Umgebung des Königs waren es meist gestandene Männer, Veteranen des Königs Philipp. Sie hatten verwitterte harte Gesichter und ihre Bärte waren grau. Sie sahen uns entweder gleichgültig oder geringschätzig an. Für sie waren wir Grünschnäbel.

Es wurde mächtig aufgetischt und es war ein makedonisches Mahl. Es gab viel Hammelfleisch und Bohnen und Hirse. Der Wein wurde unverdünnt getrunken, nachdem man zu Ehren des Dionysos Wein auf den Boden geschüttet hatte. Der General stellte uns als Gefährten des Königs vor und die Offiziere machten gelangweilte Gesichter. Es war offensichtlich, dass sie nicht viel von uns hielten. Wenn Parmenion gesagt hätte, dass wir die Schoßhunde des Königs seien, hätten sie wohl ähnlich desinteressiert reagiert. Mein Vater, als Parmenions Adjutant, stand wie ein Schatten hinter ihm. Es musste ihn hart ankommen, dass sein Sohn gleichberechtigt an Parmenions Tafel lag, während er stehen und beim Essen zusehen musste. Es geschah ihm ganz recht. Wie oft hatte er mich beschimpft und von seiner Tafel gewiesen.

„Alexander wird bald zu uns stoßen!“ weihte Parmenion die Runde ein.

„Dann geht es also los“, sagte ein finster dreinblickender Schlagetot. Kurze Stirn, stechende Augen, zerschlagene Nase und ein wollüstiger Mund, in dem einige Zähne fehlten. Nicht gerade ein seltener Typus in jedem Soldatenhaufen.

„Ich rechne in Kürze damit, Myros“, gab Parmenion zu und biss herzhaft in eine Keule.

„Es wird nicht einfach werden. Memnon ist ein fähiger Feldherr und er hat nicht nur genug griechische Söldner, sondern jetzt auch noch baktrische Reiter bekommen.“

„Eine Schande, dass wir auf Griechen treffen!“ stieß Attalos hervor.

Die Offiziere sahen ihn an, als hätte er stinkende Luft abgelassen.

„Ihr müsst ihn verstehen“, entschuldigte uns Parmenion. „Die Gefährten des Königs sind zweimal von griechischen Söldnern überfallen worden.“

Sie gingen nicht darauf ein.

„Den Hundesöhnen wird es ergehen wie bei Chaironeia“, sagte Myros und wedelte verächtlich mit der Hand, als würde er etwas Lästiges wegscheuchen. „Aber was dann? Wenn wir Sardes, Ephesos und Milet geplündert haben, kehren wir dann um oder wie geht es weiter?“

„Keine Plünderungen. Wir werden den Städten Ioniens die Freiheit bringen“, sagte Parmenion dumpf. Es klang nicht sehr begeistert.

„Keine Plünderungen? Was ist denn dann der Sinn des Feldzuges?“ empörte sich Myros und die anderen Offiziere pflichteten ihm bei. Sie sahen wie Kinder aus, denen man ihr liebstes Spielzeug wegnehmen wollte.

„Rache für die Zerstörung der Akropolis in Athen. Rache für die Thermopylen, darum geht es. Rache für die verwüsteten Städte.“

„Was gehen uns die Griechen an? Und außerdem ist dies schon hundertfünfzig Jahre her.“

„Das musst du Alexander fragen“, erwiderte Parmenion. Es klang nicht wie eine Zurechtweisung.

„Na schön. Ich habe kapiert“, gab Myros zurück. „Mit dem Memnon werden wir fertig werden. Aber was machen wir, wenn der Großkönig mit hunderttausenden von Kriegern kommt?“

„Hast du Angst, Myros?“ fragte sein Nachbar, der auch nicht viel besser aussah und dem obendrein eine Narbe über das Gesicht lief. Alle gröhlten und Myros lief rot an.

„Rede nicht so! Jeder weiß, dass ich keine Furcht kenne. Ich will ja nur wissen, ziehen wir uns dann nach Makedonien zurück oder lassen wir uns hier in Ionien auf einen Kampf mit ihm ein?“

„So dumm werden wir doch nicht sein. Wir werden die Ionier ordentlich schröpfen und uns dann nach Makedonien zurückziehen. Nach den Erfahrungen der letzten fehlgeschlagenen Feldzüge in Griechenland wird Dareios keine große Lust haben uns zu folgen“, sagte Narbengesicht.

„So würde Philipp handeln“, stimmte Parmenion zu.

„Ja, das war ein König!“ rief Myros. „Auf unseren guten König Philipp“, setzte er hinzu und hielt seinen Becher Wein hoch und wir konnten uns dem Trinkspruch nicht verweigern und ließen also Philipp hochleben.

„Du meinst, Alexander wird sich nicht zurückziehen?“ fragte Myros, nachdem wir ordentlich aus den kübelartigen Herkulesbechern getrunken hatten. Die Altmakedonen verstanden zu saufen.

„Niemand weiß, was den König bewegt.“

„Außer Hephaistion“, rief Myros und alle schüttelten sich vor Lachen.

Es folgten einige Anzüglichkeiten, wer von den beiden bei der Liebe oben liegen würde und wer unten. Parmenion rief sie nicht zur Ordnung. Wir saßen mit roten Köpfen daneben und ich bemerkte, dass mich mein Vater hämisch beobachtete.

„Du bist sein wichtigster General. Irgendwann muss er dir doch sagen, was er vorhat“, fuhr Myros fort.

„Er wird es mir sagen, wenn er die Zeit für gekommen hält. Alexander ist nicht nur unser König, sondern der Hegemon Griechenlands. Er wurde dazu ernannt, um den Griechen in Asien Freiheit und Demokratie zurückzubringen und die Perser zu bestrafen. Er hat also vieles zu bedenken. Wenn er doch nur mehr auf die Gefährten Philipps hören würde. Sein Vater legte den Grundstein für unsere Stärke. Ihn sollte er sich zum Vorbild nehmen und nicht mythische Helden.“ Parmenions Gesicht war ganz ruhig, fast traurig.

 

„Dann trinken wir auf den Sohn Philipps“, rief Myros und schwenkte seinen Becher.

„Ich denke, er wurde von einer Schlange gezeugt in der Nacht, als der Tempel zu Ephesos abbrannte“, rief Narbengesicht dazwischen.

„Du bringst alles durcheinander. Als er geboren wurde, brannte der Tempel zu Ephesos“, wies ihn Myros zurecht.

„Ist doch egal“, erwiderte Narbengesicht. „Jedenfalls soll ein ägyptischer Gott in Gestalt einer Schlange in den Schoß der Olympias gekrochen sein. Dabei hat doch jeder von uns so eine Schlange.“ Narbengesicht sah anzüglich grinsend an sich herunter.

Dies waren noch die harmlosen Lästereien und als wären nun alle Dämme gebrochen, stellten sie Alexander als knabenliebendes Jüngelchen hin. Nein, so rüde sagten sie es nicht. Sie lobten seine Schönheit und stellten dagegen, was Philipp für ein Kerl und Weiberheld gewesen sei.

Attalos und ich sahen uns an, als wären wir unter die Räuber geraten. Die Umgebung des Königs gewohnt, kannten wir nur Verehrung für Alexander. Wir wussten, dass er etwas Besonderes war. Die Kerle hier hätten sich nur ins Bewusstsein rufen müssen, dass er bei Chaironeia ein erstes Meisterstück abgeliefert hatte. Auch wie er die Illyrer und Thebaner zur Räson gebracht hatte, ließ nicht darauf schließen, dass er ein verwöhnter Männerliebhaber war. Aber für diese alten Veteranen des Philipp schien dies alles nicht zu zählen. Sie waren Alexander gegenüber voller Vorurteile. Ptolemaios hatte mir von den Philippischen erzählt, und nun wusste ich, was dies bedeutete. Sie warteten nur darauf, dass Alexander Fehler machte.

„Alexander wird das tun, was ihm die Götter eingeben!“ schleuderte Attalos wütend und mit rotem Kopf in die Runde. „Und wir werden ihm gehorchen. Egal was er befiehlt.“

„Welcher Gott? Etwa Amun?“ fragte Myros feindselig zurück und wiegte sich provokativ in den Hüften. „Ich brauche keine fremden Götter, und ein König der Makedonen sollte uns ein Vorbild sein und zu unseren Göttern beten. Er ist makedonischer und nicht griechischer oder gar ägyptischer König.“

Alle stimmten ihm zu und Parmenion machte nun ein sorgenvolles Gesicht. Vielleicht weil er sich Gedanken machte, wie dieses Gerede bei uns ankam und was daraus entstehen konnte, wenn wir Alexander davon berichteten.

„Hört auf“, wies er seine Leute endlich zurecht. „Was der König tut, ist recht getan. Wir sind Makedonen und gehorchen. Lykestes rief im Kronrat ‚Hoch lebe Alexander, Sohn des Philipp’ und daran haben wir uns zu halten.“

„Aber was ist nun? Was passiert nach der großen Schlacht gegen Dareios?“ fragte Myros hartnäckig. Er sah dabei Attalos und mich herausfordernd an.

„Was auch passiert, was Alexander auch verlangt, ich jedenfalls werde ihm folgen“, sagte Attalos mit leuchtenden Augen. Ich beeilte mich hinzuzufügen, dass ich genau so dachte.

Es dauerte einen Moment, ehe sie sich davon erholten. Denn unsere Antworten waren echt makedonische Art und eigentlich hätten sie uns jetzt beipflichten müssen. Aber sie lächelten sich nur höhnisch zu. Parmenion erkannte die Gefahr und mischte sich wieder ein.

„Attalos ist ein treuer Gefolgsmann des Königs wie wir auch.“

Um die Diskussion abzuschließen, wandte er sich an seinen Nachbarn und fragte ihn, wie viel Reiter Spithdridates, der Hauptstatthalter von Lydien und Ionien, wohl aufbringen könne. Denn dieser und Arsites, der Vizekönig von Nordphrygien, waren die Oberbefehlshaber des persischen Heeres und nicht Memnon. Dass dies nur gut für uns war, erfuhren wir erst später. Er lenkte also gehörig ab und wir saßen wie Fremde unter Makedonen. Wir, die Gefährten Alexanders, waren anders als sie. Die Makedonen hier im Zelt waren alle vom gleichen Schlag wie mein Vater. Sicher kannten sie keinen einzigen Vers der Ilias. Sie tranken für meinen Geschmack auch zu viel und prahlten wie bockbeinige Satyrn.

Attalos und ich waren froh, als uns Parmenion ins angrenzende Zelt winkte. Er übergab mir eine Papyrusrolle.

„Auch für diesen Brief gilt, dass er auf keinen Fall den Persern in die Hände fallen darf. Solltest du in Gefahr geraten, vernichte ihn. Solltest du durchkommen, so berichte Alexander, dass ich ihm entgegen ziehe und an dem vorgeschlagenen Ort zur Stelle sein werde. Und sage ihm, dass sich westlich von Ephesos etwas zusammenbraut. Diesmal wird es kein kleines Scharmützel sein. Und damit über das Gerede vorhin kein Missverständnis aufkommt, wir alle sind dem König treu ergeben. Meine Leute sind etwas ungeschliffen und wenig höfisch, aber sie sind reines Gold.“

Katzengold, dachte ich bei mir. Aber ich hatte nicht vor die Männer zu verpetzen, getreu dem Sprichwort, dass man den Verrat liebt, aber nie den Verräter. Und außerdem, nach dem Gesicht meines Vaters zu urteilen, hatte ich genug Ärger am Hals. Attalos schien dasselbe zu denken und verbeugte sich mit einem zustimmenden Lächeln.

„Alle Makedonen sind dem König treu ergeben.“

„So ist es“, sagte Parmenion erleichtert. „So ist es wirklich.“

Ein bisschen viel Bestätigung, dachte ich.

Als wir zu unserem Zelt gingen, fragte Attalos. „Was hältst du davon?“

„Wir können nur hoffen, dass Alexander weiter siegt, so wie bei Chaironeia oder bei den Bergvölkern. Wenn es bei unseren Leuten schon Widerstand gibt, so geh mal davon aus, dass dieser bei den Griechen, vor allem bei den Athenern, noch wesentlich größer sein wird.“

„Es hängt also alles davon ab, dass er siegt.“

„Er muss der sein, der er zu sein glaubt.“

„Was meinst du?“

„Er muss das sein, was Olympias ihm andichtete… der Sohn eines Gottes. Er hat eine Menge Arbeit vor sich.“

In dieser Nacht lag das Schwert griffbereit neben meinem Lager. Aber es geschah nichts.

Wunschgemäß weckte man uns früh. Das Frühstück fiel etwas bescheiden aus, aber ein Feinschmecker war ich nie. Die Pferde, die uns Parmenion zur Verfügung stellte, erfreuten dagegen mein Reiterherz. Es waren baktrische Pferde. Klein, zottelig, schnell und ausdauernd. Keine Schönheiten, aber sehr zuverlässig. Als das Begleitkommando kam, verflog meine gute Laune Es war deren Kommandeur, der in mir die Wut hochsteigen ließ. Er schien auch nicht besonders erfreut zu sein, mir Begleitschutz geben zu müssen.

„Na, Kröterich, wie man hört, hast du dich mächtig hochgeschleimt“, sagte Antiochios mit schiefem Lächeln.

„Mach so weiter und ich melde deinem Hauptmann, dass du dich gegenüber einem Gefährten des Königs ungebührlich benommen hast!“

Seine Miene glich daraufhin einer beleidigten Klapperschlange.

Wir ritten also in Richtung Troja zurück und ich achtete darauf, dass mein Bruder nicht hinter mir ritt. Phokis blieb an seiner Seite und Antiochios wusste warum. Wir gaben ihm keine Möglichkeit, auf dumme Gedanken zu kommen. Ich tat so als wäre er Luft und unterhielt mich nur mit Attalos. Auch dieser gab sich keine Mühe Antiochios gegenüber freundlich zu sein und behandelte ihn sehr von oben herab. Es war kein angenehmer Ritt für meinen Bruder.

Als wir durch den Ort kamen, in dem wir überfallen worden waren, war von dem Vorfall nichts mehr zu sehen. Diesmal war die Stadt voller Menschen. Es war ein Markttag. Wir fragten einen alten Mann hinter einem Obststand, was aus den Söldnern geworden war, aber dieser tat so, als würde er uns nicht verstehen. Mit anderen Dorfbewohnern hatten wir auch nicht mehr Glück. Sie taten alle so, als wüssten sie nicht was wir meinten.

„Sie haben Angst“, sagte Attalos. „Vielleicht befürchten sie, dass die Söldner zurückkommen.“

„Wir brennen das Nest ab und nehmen uns einige dieser Dreckskerle vor“, schlug Antiochios vor. Was Vernünftiges war von ihm auch nicht zu erwarten gewesen.