Alexanders letzter Traum

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„Hephaistion, dir ist nichts passiert? Den Göttern sei Dank!“ rief der Neuankömmling.



„Ihm musst du danken, Alexander!“ rief der Verletzte und wies auf mich.





Nun wusste ich, dass ich es mit dem Kronprinzen zu tun hatte und wunderte mich nicht mehr über das ehrerbietige Verhalten der anderen Reiter. Ich hatte gehört, dass Alexander die Schlacht von Chaironeia entschieden hatte. Er galt trotz seiner jungen Jahre bereits als Kriegsheld, und man erzählte von ihm, dass er ein genau so berühmter König werden würde wie sein Vater, der große Philipp.



„Wer bist du?“ fragte Alexander und ich sagte es ihm und humpelte zu dem Bär und zog ihm den Speer aus dem Hals und reichte ihn Alexander.



„Mit diesem Speer werde ich dir ein treuer Gefährte sein.“



Ich weiß auch nicht, was mich dazu veranlasste so zu sprechen. Ich war ein Niemand, der Kröterich des Anthes, und doch redete ich zu meinem zukünftigen König, als wäre ich ein Fürst. Ich kann nur vermuten, dass mir Apollon diese Worte eingegeben hatte.



„Bist du der Gott Hephaistos, der Schmied?“ fragte er, so andeutend, dass er mich nicht gering erachtete und ich klärte ihn auf, wessen Sohn ich war und obendrein ein Krüppel. Aber in seinen Augen schien mich das nicht herabzusetzen.



„Du bist mutig!“ stellte er fest und deutete auf den Bären.



„Das ist er in der Tat!“ bekräftigte Hephaistion, der nun notdürftig verbunden wurde.



„Er hat den Kyros bezwungen, der so manchen Jäger getötet hat. Es hieß von ihm, dass ihn niemand bezwingen könne“, rief jemand aus der Reitergruppe, die längst abgestiegen war und uns bewundernd umringte.



„Du bist ein Jäger?“ fragte Alexander und ich sah zu Spitames hinüber und dieser nickte.



„Ja. Ein Jäger und ein Schäfer und ….“



„….ein guter Reiter, der beste, den ich kenne!“ setzte Spitames hinzu.



„Du kannst gut reiten?“ fragte Alexander und sah dabei auf meinen Fuß. Aber ich sah in seinem Blick weder Mitleid noch Geringschätzung, sondern Neugier.



Ich neige mit meinem Urteil über Menschen sehr zurückhaltend zu sein, was sicher eine Auswirkung meiner Behinderung ist, aber dieser Mann, mein König, nahm mich sofort für sich ein, mehr noch, er verzauberte mich. Dabei wusste ich noch nicht einmal, welche Rolle er in meinem Leben spielen würde und dass von nun an unser Leben aneinander gekettet war. Wenn ich eine Frau gewesen wäre, hätte ich sicher gesagt, dass ich mich vom ersten Augenblick in ihn verliebt hatte. Aber dies ging nicht nur mir so. Alle Gefährten Alexanders sprachen von ähnlichen Gefühlen zu ihm.



„Ja. Ich verstehe mit Pferden umzugehen!“ bestätigte ich Alexander.



„Vielleicht glauben die Götter, dass sie dich dafür entschädigen müssen.“



Er wies auf mein Bein und nickte nachdenklich.



„Apollon ist mir sehr gewogen.“



„Apollon ist ihm heute Nacht erschienen“, bestätigte Spitames.



Später erklärte er mir, dass ihm bewusst war, dass dieser Augenblick über mein Leben entschied und er mir helfen wollte, mich ins rechte Licht zu rücken.



Alexander, der von Kindheit an in einem engen Verhältnis zu den Göttern stand, legte mir die Hand auf die Schulter und sah mir direkt in die Augen.



„Apollon ist dir erschienen?“



„Vielleicht war es auch nur ein Traum.“



„Erzähle!“



Und ich berichtete ihm von meiner Erscheinung und dass dies schon das zweite Mal war und erzählte ihm auch von meiner Begegnung im Hades und er hörte mir geduldig zu.



„Dann hat Apollon dich zu mir geschickt. Du hast mir das Liebste gerettet, das es auf der Welt für mich gibt. Das alles sind Zeichen, dass du zu mir gehören wirst. Du wirst zukünftig zu meinem Schutz bei den Gefährten reiten.“



„Parmenion liegt uns doch dauernd in den Ohren, den älteren Sohn des Anthes zu den Gefährten zu holen!“ sagte ein breitschultriger Jüngling, dessen Namen ich erst später erfuhr. Es war Perdikkas. Auch er war im gleichen Alter wie Alexander. Sie alle waren jung, die uns umstanden. Wie ich später erfuhr, nannte Alexander sie seine Verwandten.



„Ja. Meinen Bruder Antiochios. Er hinkt nicht“, klärte ich Alexander auf.



„Wir können nur einen von der Familie zu uns holen und das sollte der sein, der mir das Leben gerettet hat!“ warf Hephaistion ein.



„Und der einen Gott auf seiner Seite weiß“, setzte Alexander zustimmend hinzu. „Du wirst von mir hören.“



Dann half er seinem verletzten Freund aufs Pferd und sprang aus dem Stand hinter ihm auf den Rücken des Tieres, was ich nie hinbekommen habe. Er nickte mir noch einmal zu und die Kavalkade verschwand wie ein Traumgespinst.





Nur der Bär zeugte davon, dass hier etwas passiert war, was ein Gott vorausgesagt hatte. Benommen stand ich vor dem Tier. Ich wusste nun, dass ich auf dem Weg war, von dem Apollon gesprochen hatte. Spitames sah mich mit seltsamer Scheu an.



„Das hat er gut hingekriegt!“



„Wer?“



„Dein Gott. Los, häuten wir das Tier. Das Fell wird dir eine gute Zudecke sein.“



Und sie wurde es auch. Das Fell des Kyros hat mich bis Indien begleitet.





Wir waren im Regen ausgezogen und kamen im Regen wieder aus den Bergen zurück. Und doch war etwas anders. Ich fühlte mich nicht mehr minderwertig. Es war etwas passiert, was mich heraushob, und ich wusste, dass der Tod des Kyros nur ein Anfang war. Es war nicht mehr wichtig, dass ich hinkte. Noch ehe wir meine Hütte erreichten, kam uns Phokis freudig winkend entgegen gelaufen. Verblüfft schaute er uns an.



„Ihr habt es geschafft? Ihr habt es tatsächlich geschafft!“ Er umsprang uns wie ein schwänzelnder Hund und strich immer wieder über das Fell des Kyros, das hinter mir auf dem Rücken des Pferdes lag.



„Und wo sind die Hunde?“



„Tot.“



„Und dennoch habt ihr ihn ….?“



„Ja. Es war ein Kampf von Angesicht zu Angesicht!“ bestätigte Spitames. „Unser Junge ist ein Mann geworden.“





Als wir Wochen später auf die Burg meines Vaters zurückkehrten, da in den Bergen der erste Schnee gefallen war, gab es natürlich großen Auflauf. Mittlerweile hatte sich der Tod des Kyros in der ganzen Gegend herumgesprochen. Das Gesinde kam aus den Ställen herausgelaufen und bestaunte das Fell, als wäre es das goldene Vlies des Jason. Für mich hatte es diese Bedeutung. Vater kam finster blickend aus dem Haupthaus und mit ihm mein Bruder. Eurydike machte ein Gesicht, als hätte man ihr den Beischlaf verweigert. Unwirsch scheuchte mein Vater die Knechte wieder an die Arbeit.



„Hast allerhand Hallotrie getrieben in den Bergen, was?“ begrüßte er mich. „Wir haben keine Ziege verloren.“



„Na schön. Sperrt die Ziegen in den Stall. Ihr könnt noch später erzählen, was ihr angestellt habt. Aber du, Spitames, scher dich vom Hof!“



Meinen Wolfstöter beeindruckte dies nicht. „Ich hatte ohnehin nicht vor zu bleiben. Ich wollte dir nur sagen, dass du schon die ganze Zeit auf das falsche Pferd setzt. Aber besonders gescheit warst du noch nie.“



„Scher dich vom Hof“, brüllte mein Vater und rief nach seinem Schwert.



Spitames nickte mir zu und wendete das Pferd und ritt langsam aus dem Burghof. Eine schmale einsame Gestalt. Mein Vater starrte ihm mit hochrotem Kopf hinterher.



„Ich sollte ihn töten!“



„Nein, Vater, was bringt’s?“ wandte mein Bruder ein. „Es ist doch nur der olle Spitames. Ein Nichts. Auswurf, wie Leonnatos.“



Ich hatte angenommen, dass sie mich nun fragen würden, wie ich den Kyros getötet hatte. Doch sie fragten nicht. Von meiner Begegnung mit dem Kronprinzen erfuhren sie also erst einmal nichts.



Umso größer war ihre Überraschung, als Tage später der Bote des Königs erschien. Als er mit dem weißen Stirnband in den Hof ritt, eilten Vater und Antiochios hinaus und begrüßten ihn freudig und ehrfurchtsvoll. Vater führte ihn in die Halle an den großen Tisch und ließ Wein kommen und Braten und Eurydike holte die besten Mischpokale heraus. Der Bote, aus dem Geschlecht des Andros, ließ sich erst einmal ordentlich bewirten. Vater und Antiochios bedrängten ihn nicht, weil sie ohnehin zu wissen glaubten, weswegen der Bote des Königs gekommen war. Ich hielt mich zurück, wie es sich für den Zweitgeborenen gehörte. Der Bote sah immer wieder neugierig zu mir herüber und mein Vater wunderte sich.



„Das ist nur Leonnatos. Kümmere dich nicht um ihn. Er ist ein Krüppel.“



„Er soll ein sehr mutiger Jüngling sein.“



„Ach was. Die Geschichte mit dem Bär wird fürchterlich übertrieben. Es war ein alter Bär.“



„In Pella hörte ich anderes darüber.“



„Man spricht in Pella über Leonnatos?“ rief Antiochios erstaunt.



„Ja. Jeder im Land kennt die Geschichte.“



Mein Vater grunzte dazu. Nach dem Essen reckte sich der Bote zufrieden und satt und dankte für die Gastfreundschaft und holte eine Rolle aus seinem Umhang und reichte sie meinem Vater.



„Dein Sohn ist unter die Gefährten des Kronprinzen aufgenommen worden“, sagte er dazu, und Vater strahlte und warf Antiochios einen triumphierenden Blick zu und dieser blickte drein, als beglücke er gerade die Eurydike. Vater rollte den Papyrus auf und las mühsam, denn weder Lesen noch Schreiben zählte zu seinen Stärken, und wurde kreidebleich und schließlich grau wie ein Felsen und ließ fassungslos die Hände fallen und sah mich an.



„Was ist denn, Vater?“ rief Antiochios.



Mein Vater reichte ihm die Rolle. „Lies!“ krächzte er und Antiochios ergriff sie und las und schüttelte immer wieder den Kopf.



„Das muss ein Irrtum sein!“ stammelte er schließlich.



„Nicht Leonnatos, sondern Antiochios sollte zu den Gefährten!“ kam ihm mein Vater zu Hilfe.



„Nein. Nicht von Antiochios, von Leonnatos spricht man in Pella!“ widersprach der Bote verwundert. „Sei froh, dass einem deiner Söhne diese Ehre zuteil wird. Schließlich gehört ihr nicht zu den Fürsten des Königreiches. Alexander versteht zu belohnen. Er kümmert sich nicht groß um die Herkunft, wenn ihm ein Dienst erwiesen wird.“

 



„Was für ein Dienst?“ fragte Antiochios und sah mich an, als sei ich ein Schatten aus dem Hades.



„Wisst ihr denn nicht, wovon ganz Pella spricht?“



„Es war ein alter Bär!“ wehrte mein Vater zornig ab.



„Das meine ich nicht. Leonnatos hat doch den Liebling des Alexander gerettet. Hephaistion wäre ohne den Mut deines Sohnes tot.“



„Und …..was wird aus mir?“ fragte Antiochios mit aufgerissenen Augen.



„Man wird dich schon bald zu den Getreuen zu Fuß rufen, mein Sohn. Keine Bange.“



„Und er hier, der Krüppel, wird mit den Gefährten des Königs reiten?“



„Auf einem Pferderücken wird sein Hinken nicht weiter auffallen. Und übrigens, er hat sogar gute Aussichten eines Tages zur Leibgarde des Kronprinzen und damit zu den Verwandten aufzurücken. Alexander machte so eine Andeutung, dass er ihn ständig um sich haben will. Du solltest dich daran gewöhnen, dass man ihm von nun an die nötige Achtung entgegenzubringen hat.“



„Diesem Krüppel?“ schrie Antiochios. „Niemals! Vater, tu etwas.“



„Ich werde mit Parmenion reden“, keuchte der Alte, als säße ihm ein Felsbrocken auf der Brust. „Er wird dafür sorgen, dass dieses Missverständnis ausgeräumt wird.“



„Nein. Alexander wird sich niemals von Parmenion etwas vorschreiben lassen. Selbst dessen Sohn Philotas, der zu den Gefährten gehört, hat er nicht unter die Verwandten aufgenommen.“



„Auch Antiochios muss bei den Gefährten des Kronprinzen aufgenommen werden!“ beharrte mein Vater.



„Zwei Söhne kannst du nicht bei den Gefährten unterbringen. Das wäre zuviel der Ehre. Du bist kein Fürst, mein lieber Anthes. Es ist schon eine unerhörte Auszeichnung, dass einer deiner Söhne berufen wurde.“



„Er ist der schlechtere!“ stammelte mein Vater und wies mit seiner Rechten auf mich. Diese Hand, die ich so oft gespürt hatte, an der zwei Finger fehlten, die er in einer der vielen Schlachten Philipps verloren hatte. Oh ja, mein Vater war ein großer Krieger. Wenigstens das will ich ihm nicht absprechen.



„Für Alexander scheint Leonnatos gut genug zu sein!“ wehrte der Bote ab und wandte sich mir zu. „Leonnatos, du sollst dich zur Hochzeit der Kleopatra, Alexanders Schwester, in Aigai einfinden. Bald danach geht es zum großen Feldzug gegen Persien. Unsere Rache für die schändliche Brandschatzung Athens. Ihr werdet alle bald zu den Waffen gerufen werden. Anthes, dein Protektor Parmenion, kann dir nicht helfen. Er ist bereits drüben in Kleinasien.“



„Deswegen habe ich so lange nichts von ihm gehört.“



„Ja. Und wenn er sich für dich verwandt hätte, so wäre dies auch vergeblich gewesen. Alexander schart nur junge, ihm treu ergebene Männer um sich, die genau so verrückt die Ilias lesen wie er.“



Eurydike sah mich mit Augen an, die wie Dolchklingen stachen. Aber einstweilen konnten meine drei Peiniger nichts ausrichten. Ich war zu den Gefährten des Kronprinzen gerufen worden und nicht Antiochios und sie konnten nichts daran ändern. Als der Bote am nächsten Tag fort geritten war, wurde es noch ungemütlicher für mich.





Bis dahin war ich schon Luft für sie gewesen, aber nun war ich auch noch stinkende Luft und sie zogen Gesichter, als habe ich Aussatz. Man aß nicht mehr mit mir, sondern stellte das Essen in die Küche. Und was sie mir durch die Dienerin hinstellen ließen, war besserer Abfall. Auch mein Freund und Lehrer Andreos konnte nichts dagegen tun. Als ich den Hirsebrei zum dritten Mal hintereinander bekam, ging ich hinaus und schüttete den Brei weg. Ein Hund kam vorbei und fraß davon. Wenig später sah ich seinen Leichnam im Hof liegen. Die Knechte wussten keine Erklärung, woran er gestorben war. Aber ich wusste es und aß nichts mehr, was man mir vorsetzte, und ernährte mich nur von Früchten und Brot. Von nun an legte ich einen langen Dolch neben mein Lager.





Bevor ich mich zur Königsstadt aufmachen konnte, ritt ich noch einmal zu Spitames, um mich von dem Menschen zu verabschieden, dem ich soviel verdankte.



„Du warst mir Vater und Mutter zugleich.“



Sein dunkles Gesicht war an diesem Tag noch runzliger als ich es kannte. Bekümmert nickte er. Seine Hände umklammerten seinen Oberkörper, als hätte er Angst auseinanderzufallen.



„Lassen wir das“, knurrte er rau. „Ich habe aus dir einen Jäger gemacht. Nur Menschen mit Gefühl dürfen Jäger sein. Erinnere dich an den Kyros. Auch Tiere verlangen Achtung. Sie sind Lebewesen, die uns die Götter gaben. Wir müssen sie töten, weil wir nun einmal Fleischfresser sind. Aber nur deswegen und nicht weil uns das Töten Spaß macht.“



„Du hast mich nicht nur die Jagd gelehrt, sondern auch den Umgang mit Pferden.“



„Ja, der Kronprinz wird noch staunen, was du für ein guter Reiter bist“, pflichtete er mir bei.



„Alexander soll ein guter Reiter sein.“



„Das soll er. Aber du bist ein Pferdemensch und die Tiere spüren dies. Jedes Pferd wird es dir entgelten.“



Wir starrten uns noch eine Zeitlang schweigend an und ich seufzte und wir umarmten uns. Als ich hinausgehen wollte, hielt er mich noch einmal auf.



„Leonnatos?“



„Ja.“



„Du warst mir ….. wie ein Sohn.“



„Ich hatte das Glück dein Sohn zu sein.“



„Pass auf dich auf. Apollon wird sich hoffentlich um dich kümmern.“



„Ich werde dich nicht vergessen.“



Ich hätte schwören können, dass mein stoischer alter Spitames Tränen in den Augen hatte, als ich ging. Ich habe ihn nie wieder gesehen.





Am nächsten Tag bat ich meinen Vater um eine entsprechende Ausstattung für die Reise an den Königshof. In Lumpen konnte ich zwar hier in den Bergen herumlaufen, aber ein Gefährte des Kronprinzen würde darin doch einen seltsamen Eindruck machen.



„Du blamierst auch dich, wenn ich so erscheine!“ sagte ich zu ihm und wies auf meine schäbige Kleidung.



Der Alte glotzte mich böse an und drehte den schweren Ring an seiner Linken. Am liebsten hätte er mich umgebracht. Aber das ging nun nicht mehr. Einen Gefährten des Königssohnes konnte er nicht so einfach um die Ecke bringen.



„Rede mit Eurydike!“ brummte er unwirsch. „Du weißt, dass ich nicht reich bin.“



„Ich weiß, dass du und Antiochios anständig gekleidet seid. Und Eurydike schleppt genug Gold an ihrem Hals mit sich herum.“



„Sie ist die Reiche von uns. Nicht ich. Aber, na gut. Ein paar Drachmen werden wir zusammenkratzen können.“



Es fiel ihm schwer dies zu sagen und als ich Eurydike gegenüber meinen Wunsch nach besserer Kleidung äußerte, sah sie mich von oben nach unten an, als hätte ich ihre goldenen Ketten und Ringe verlangt. Aber die beiden sahen schließlich ein, dass es keinen guten Eindruck machte, wenn ich als Bettler nach Aigai käme. Sie gaben mir sogar Phokis mit, nachdem ich dies energisch verlangte. Ein Esser weniger, mag mein Vater gedacht haben. Mit den Pferden hatte ich keine Schwierigkeiten, da ich ohnehin Tiere wählte, die mein Vater und Antiochios verschmähten, weil sie hässlich und ungebärdig waren. Es waren magere Klepper und tückisch und voller Launen, aber ausdauernd und leidlich schnell und wir kamen ganz gut mit ihnen zurecht.





Es war ein nebliger Morgen, als wir aufbrachen. Nie vorher hatte ich so gute Kleider getragen und ich fühlte mich wie ein Prinz. Die Kleider waren zwar aus einfachem Leinen und ohne Zierrat. Aber auf den ersten Blick fiel es nicht auf, dass sie bereits von Antiochios getragen worden waren. Als Phokis und ich – auch dessen Kleider konnten sich sehen lassen – zu früher Stunde aus dem Hof traten, war dieser leer. Niemand verabschiedete uns. Gerade als wir uns auf die beiden Klepper schwingen wollten, trat Antiochios aus dem Haus. Sein Gesicht verhieß nichts Gutes und das Schwert in seiner Hand war sicher auch nicht für einen brüderlichen Abschiedsgruß gedacht.



„Was soll das, Antiochios?“



„Du willst nun in Aigai meinen Platz einnehmen, du Dieb!“



„Wieso deinen Platz? Hast du den Hephaistion gerettet? Du scheinst schlecht geträumt zu haben. Geh wieder hinein und schlaf weiter.“



„Du bist aufmüpfig geworden, Krötlein. Dir ist das, was in den Bergen passiert ist, wohl zu Kopf gestiegen. Ich werde dir zum Abschied die rechte Demut beibringen!“



Sein Kopf war hochrot. Mit dem blanken Schwert in der Hand kam er auf mich zu.



„Willst du deinen Bruder töten?“



„Nein. Nur zurechtstutzen. Wann kommt einer wie ich, einer der Gefährten zu Fuß, ein gewöhnlicher Krieger, schon dazu, einen Gefährten des Königssohnes zu verprügeln!“ brüllte er bitter.



Er stürmte kopflos auf mich zu, und ich trat schnell beiseite, stellte ihm ein Bein und er stürzte zu Boden. Sofort setzte ich ihm mein Messer an die Kehle und entwand ihm das Schwert.



„Und schon ist es aus!“ sagte ich gelassen. Sein eigener Übereifer hatte ihn niedergestreckt. „Nun lass es gut sein, Antiochios. Die Götter sind nicht mit dir.“



„Ich kriege dich noch!“ keuchte mein Bruder. „Ich schwöre bei unseren Ahnen, dass ich dich töten werde. Ich werde dich töten!“



„Darüber entscheiden die Götter“, erwiderte ich und nahm die Klinge von seiner Kehle und drehte mich um und humpelte zu meinem Pferd.



Unter den Flüchen meines Bruders verließen wir den Burghof. Ich sah nicht zurück. Beim Apollon, ich hatte keinen Grund meiner Jugend auf dem Berg nachzuweinen. Vor mir lag die Zukunft. Ein aufregendes Leben. Der Nebel löste sich auf. An diesem Wintertag schien die Sonne bei uns in den Bergen. Ich war auf dem Weg, den mir der Gott Apollon vorausgesagt hatte.




5.





Aigai ist nicht wie Pella eine griechische Polis, sondern die Stadt der alten makedonischen Könige, grau, schroff und urwüchsig wie der hiesige Menschenschlag. Aber für uns tat sich eine Welt der Wunder auf. Das Gedränge der Menschen, die vielen Marktstände mit Früchten, Fleisch und Naschwerk, die fremden Gerüche, der Rauch aus den Tempeln waren Eindrücke, die uns Provinzler wie eine Zauberwelt erschienen. Die Griechen aus Athen oder gar Ionien halten Aigai für barbarisch und zurückblickend kann ich mich diesem Urteil nur anschließen. Aber damals, aus den Bergen kommend, kannte ich keine anderen Städte. Mir kamen die Tempel mit ihren tonnenartigen grauen Säulen großartig vor. Staunend stand ich vor dem Palast des Königs, dessen Mauern Titanen aufgetürmt haben mochten. So schien es mir.



Der Bote hatte mir gesagt, dass ich mich in der Kaserne neben dem Königspalast melden sollte. Ich wurde von einem gelangweilt dreinblickenden Soldaten an die Kommandeursstube verwiesen. Ich hieß Phokis vor der Kaserne warten, um den sich bereits kleine Jungen drängten, die über sein Pferd lachten. Mein Riese auf dem mageren Klepper, seine Füße reichten fast bis zur Erde, war ein kurioser Anblick.



Ich betrat einen Raum, der für eine Kaserne erstaunlich luxuriös eingerichtet war, jedenfalls hielt ich ihn, gemessen an dem, was ich von zu Hause gewohnt war, für prächtig. Neben einem Tisch und einigen Hockern sah ich auch eine Liege. An der Wand war ein schönes Fresko mit einem Flöte blasenden Jüngling. Die Gefährten des Kronprinzen lassen es sich gut sein, dachte ich unwillkürlich.





Nun muss ich etwas über die Gefährten Alexanders vorausschicken, was ich erst später von Ptolemaios erfuhr. Die Gefährten des Königs wurden aus den vornehmsten Familien ausgewählt und führten die Reiterkompanien. Aus ihnen bestimmte der König seine Leibgardisten, die er als seine Verwandten bezeichnete. Während die Gefährten früher ausschließlich auf Philipp, also Alexanders Vater, eingeschworen waren, hatte der Kronprinz eine eigene Gruppe junger Männer um sich versammelt, die ihn liebten und verehrten, nicht nur, weil er der Kronprinz war, sondern weil sie in ihm bereits einen auserwählten Menschen sahen, woran Alexanders Mutter einen nicht geringen Anteil hatte. Ihre dunklen Andeutungen führten zu dem Gerücht, dass nicht Philipp der Vater Alexanders sei, sondern der Gott Amun. Einem ägyptischen Gott die Vaterschaft unterzuschieben, konnte nur jemand einfallen, der zu viel Mohn gegessen hat und nicht so ganz richtig im Kopf war oder aus Epiros stammte. Dass sie damit Alexanders Anspruch auf den Thron untergrub, schien Olympias nicht in den Sinn zu kommen.





Der junge Offizier, der sehr lässig in einem Stuhl gedöst hatte und mit den Beinen auf dem Tisch nicht gerade den Eindruck eines gewaltigen Kriegers machte, gähnte und schlug nach der Fliege, die über seinem Kopf kreiste und sah mich dabei an, als wäre es das beste, wenn ich mich gleich in Luft auflöste. Ich sagte ihm, wer ich war und warum ich mich hier melden sollte und reichte ihm den Brief, den mir der Bote gebracht hatte. Nun zeigte er so etwas wie Interesse und schlug, während er las, erneut nach der Fliege.

 



„Ich habe dich erwartet. Du bist also dieser Bärentöter, der Hephaistion das Leben gerettet hat.“



Ich nickte und nahm eine stramme Haltung ein, denn immerhin war dieser Mann einer der Gefährten und für mich so etwas wie ein überirdisches Wesen. Er war breitschultrig, hatte eine vorspringende Nase und ein energisches Kinn. Nach seinen kräftigen Armen zu urteilen, mochte er mit dem Schwert gut austeilen können.



„Ich heiße Seleukos und bin jetzt erst einmal dein Vorgesetzter. Du hältst dich in der nächsten Zeit an mich. Alexander wird entscheiden, wie und wo du Dienst tun wirst. Wenn du Ärger hast, dann kommst du zu mir. Wenn dich jemand verscheißert, meldest du dich. Wo ich bin, wirst auch du sein. Aber das gilt erst ab morgen. Wegen mir kannst du jetzt ins Theater gehen, wo der König eine Prozession zu Ehren der Götter anführt. Hier in der Kaserne wirst du heute niemanden finden.“



Seleukos sah mich abschätzend an. Er war in dem gleichen Alter wie Alexander und ahmte ihn offensichtlich nach. Jedenfalls hielt er den Kopf auch etwas schief und sprach so, wie ich Alexander hatte sprechen hören.



„Du hast einen bösen Fuß, hat mir Hephaistion gesagt.“



„Ja. Aber ich bin ein guter Reiter. Nur mein Pferd taugt nicht allzu viel.“



Seleukos seufzte. „Gut. Da du zur Schwadron Alexanders gehörst, wird dir ohnehin ein Pferd gestellt. Kannst du mit Speer und Schwert umgehen?“



„Mein Freund, der Wolftöter, meinte, dass ich nicht schlecht bin.“



„Wolftöter?“



„Ja. Ein Jäger.“



„Hm. Da haben wir uns mit dir ja etwas ganz tolles eingefangen.“



Er lehnte sich zurück und betrachtete mich, als wäre ich eine gesprungene Vase, die man ihm andrehen wollte. So ganz heil war ich ja auch nicht.



„Aber reiten kannst du?“ fragte er skeptisch und kniff die Augen zusammen. Er war zwar untersetzt und hatte breite Schultern, doch konnte man ihn durchaus als gut aussehend bezeichnen, wenn man den athletischen Typ mochte.



„Ich habe noch kein Pferd gesehen, das ich nicht reiten kann.“ Das war ein wenig geprahlt, denn so viele Pferde hatte ich bisher noch nicht gesehen. Und dass mein Vater die besten Pferde hatte, würde ich auch nicht behaupten. Aber den Seleukos schien meine Prahlerei nicht zu stören.



„Du musst auch ein guter Reiter sein, sonst bekämst du Schwierigkeiten. Es ist unsere Aufgabe, Alexander zu schützen. Geh in die Kleiderkammer und lass dich ausstatten. So wie du aussiehst, lässt man dich nicht ins Theater. Hast du Diener dabei?“



„Ja. Phokis, einen Molosser.“



„Ist der auch verrückt? Ich traue keinem Molosser über den Weg.“



„Nein. Er ist in Ordnung“, beeilte ich mich ihm zu versichern. „Er ist mein Freund.“



„Was denn nun, dein Freund oder dein Diener?“



„Beides.“



„Na schön. Wenn du eingekleidet bist, gehst du mit ihm in die Dienerlogis, neben den Schlafräumen der Gefährten. Er wird dort ein Lager bekommen. Und nun ab mit dir. Wir sehen uns morgen. Wir werden aus dir schon einen tüchtigen Krieger machen.“



Er widmete sich wieder dem Fliegenfang. Da ich keine Anstalten zu gehen machte, sah er unwillig auf.



„Was ist denn noch?“



„Wo ist die Kleiderkammer?“



„Stimmt. Kannst du ja nicht wissen.“



Er erklärte es mir und ich humpelte hinaus.



Ein älterer dürrer übelgelaunter Soldat gab mir einen blauen Rock, einen schmucklosen ledernen Brustpanzer sowie Helm, Speer und Schwert. Er zeigte mir den Schlafsaal, der zwar prächtig mit Marmor verkleidet war, aber nur sehr einfache Pritschen aufwies, die mich aber nicht schreckten. Bisher hatte ich schlechter geschlafen. Der Saal der Diener wies keinen Marmor auf, aber Phokis’ Ansprüche waren auch nicht höher als meine. Ich zog den blauen Rock an und gab Phokis meine Kleider, so dass auch er ordentlich gekleidet war und wir nicht auffallen würden. Phokis konnte sein Glück kaum fassen.



„Kein Wunder, dass Antiochios stinksauer ist. Wir haben die Glücksgöttin auf unserer Seite!“ wiederholte er mehrmals.



Ich konnte dem nur zustimmen. Es war eine gewaltige Verbesserung gegenüber dem, was wir bisher gewohnt waren. Ich machte mich allein auf den Weg zum Theater. Phokis wollte sich derweil die Stadt ansehen.



„Mach aber keine Dummheiten!“



„Nein, mein Gebieter!“ sagte mein Riese und grinste mutwillig. „Ich will nur versuchen, beim Würfeln ein paar Drachmen zu gewinnen.“



„Mach mir keinen Ärger!“ warnte ich noch einmal.



„Oh, ein Molosser weiß, dass er in Makedonien keinen Ärger bekommen darf.“ Er machte eine ironisch gemeinte Verbeugung und zog ab.





Das Theater zu finden war nicht schwer. Aigai ist nicht so groß, dass ich lange suchen musste. Ich brauchte nur dem Lärm nachzugehen. Die Wache am Eingang ließ mich nach einem Blick auf meinen blauen Rock anstandslos passieren. Das Theater war bis auf den letzten Platz besetzt und ich konnte mich nicht zu den Gefährten durchdrängeln, die unschwer in der vorderen Reihe an ihren blauen Röcken auszumachen waren. Ich begnügte mich mit einem Stehplatz gleich am Ausgang. Man hatte gerade die Statuen der Unsterblichen hereingetragen, unter ihnen eine Statue mit dem Gesicht des Königs, was überraschtes Gemurmel auslöste. Nun kamen Alexander und Hephaistion herein, kaum fünf Schritte von mir entfernt. Hephaistion erkannte mich und zwinkerte mir zu. Die beiden sahen wie Götterjünglinge aus. Hinter ihnen kam ein älterer Mann, der wie ich sein Bein nachzog und mit einem goldenen Kranz gekrönt war. Philipp, der König. Nun wusste ich, warum meine Behinderung auf die Gefährten Alexanders keinen großen Eindruck gemacht hatte. Philipp hob grüßend die Hand und die Menge jubelte. Langsam humpelte er auf die Mitte des Theaters zu. Sein Gesicht, das durch eine Narbe entstellt war – es fehlte ihm auch ein Auge – zeigte Freude und Genugtuung. Es war ein großer Moment für ihn. Er wollte diese Feier zu Ehren seiner Tochter zum Anlass nehmen, den Feldzug nach Persien zu verkünden. Als Hegemon und Anführer aller Griechen wollte er die Zerstörung der Akropolis rächen. Dass dies ein paar Menschenleben her war, schien niemand zu stören. Das Gesicht des Königs glühte, was auch an unmäßigem Weingenuss liegen mochte. Es war allgemein bekannt, dass der König ein großer Anhänger des Dionysos war. Er winkte leutselig und drehte sich nach allen Seiten, so den Jubel dankend entgegennehmend.





Nun passierte etwas, was erst Verwunderung, dann Entsetzen und schließlich erschrockene Schreie auslöste. Ein Mann in einem dunklen Umhang mit verhülltem Gesicht trat mit schnellen Schritten auf den König zu und umarmte ihn und plötzlich sank Philipp zusammen und der Mann lief die Treppen zum Ausgang hoch. Der König lag in der Mitte des Theaters am Boden und sein Übergewand färbte sich rot. Der Mann in dem dunklen Mantel stürmte nur wenige Schritte von mir entfernt dem Ausgang zu. Schon war er an den Wachen vorbei. Ich eilte ihm nach. Da ich nicht der schnellste bin, konnte ich nur noch sehen, dass er zur Agora lief. Und eigentlich hätte ich jetzt umkehren können, denn hinterher zu laufen, brauchte ich gar nicht erst zu versuchen. War es Apollon oder mein Jagdinstinkt, der mich auf die Straße humpeln ließ? Der Flüchtende hatte sich noch vor der Agora auf ein Pferd geschwungen. Auf der anderen Straßenseite, gegenüber dem Theater, vor dem Tempel der Demeter, kam ein Reiter heran und wollte dort wohl für eine gute Ernte beten. Er war gerade dabei, sein Pferd an der Tempelmauer festzubinden, da war ich schon bei ihm. Ehe er protestieren konnte, war ich auf seinem Pferd und riss es herum und jagte zur Agora hinüber. Der Besitzer des Pferdes überwand nun seine Überra