Alexanders letzter Traum

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Weil eines unserer Pferde gefohlt hatte, machte ich mich etwas verspätet zu meinem Treffen mit Andromache im Hain an der Straße nach Pella auf. Der Morgenstern funkelte nur noch blass, als ich den Berg hinunter hinkte. Als ich Flüche vor mir hörte, ahnte ich schon Schlimmes und jagte den Berg hinunter, stürzte mehr voran als dass ich lief. Als ich die schützende Hecke teilte, sah ich einen gebeugten Rücken und einen Körper mit stoßenden Bewegungen und unter ihm um sich schlagende Arme. Ich stürzte mich auf den keuchenden Mann, zerrte ihn von Andromache herunter und erkannte nun, dass der Mann, der meiner Braut Gewalt antat, der war, der mich erzeugt hatte.

„Hau ab, Kröterich, verzieh dich!“ brüllte er.

„Was tust du da, Vater!?“

Sein Gesicht war wild und seine Augen blutunterlaufen und ich roch seinen Atem. Er war betrunken. Verächtlich wehrte er mich ab, sah in mir noch nicht einmal ein Hindernis, in seinem Tun fortzufahren. Ich warf mich wieder auf ihn und er schleuderte mich beiseite. Ich fiel zu Boden und ergriff einen Stein und sprang auf und schlug ihn meinem Vater, der sich wieder Andromache zugewandt hatte, auf den Schädel. Er drehte sich knurrend um und schlug mich erneut zu Boden. Andromache war nun aufgesprungen und hatte sich auf seinen Rücken geworfen und trommelte stumm mit ihren Fäusten auf seinen bereits blutenden Kopf. Dies und die Trunkenheit und die Kopfwunde, die ich ihm bereits beigebracht hatte, ließen ihn noch fürchterlicher rasen. Er zog sein Messer, um uns einzuschüchtern. Als Andromache stumm und doch entschlossen, mich über seinen Rücken dabei ansehend, ihm das Gesicht zerkratzte, stach er nach hinten und traf ihre Kehle und sie fiel zu Boden. Sie hatte ihren Hass und ihre Not nicht herausschreien können. Aber nun würde sie mich auch nie wieder liebevoll ansehen. Ich wusste sofort, dass sie tot war.

„Das wollte ich nicht. Was hat denn die Kleine?“ brabbelte mein Vater, begriff immer noch nicht, was geschehen war. Ich nahm den Stein erneut auf und schlug ihn auf seinen Kopf und er, mein Vater, krachte zu Boden. Ich sah nicht nach ihm, sondern stürzte mich auf Andromache und nahm sie in die Arme und schrie, schrie meine Klage zum Himmel und fragte, wo Apollon, der mir doch Schutz versprochen hatte, gewesen war. Meine Braut war tot und ihr Mörder war mein Vater und ich sank auf die Knie und streichelte ihr Gesicht und meine Tränen fielen auf ihre Stirn.

Mein Vater erhob sich mühsam, taumelte auf mich zu und ich nahm den Stein erneut auf und schlug auf ihn ein, bis ich ihn tot wähnte. Ich empfand nur heißen Hass und indem ich ihn schlug, tauchten all die Bilder auf, die in mir waren, entsetzliche Bilder, wie er meine Mutter schlug, wie er mich zwang, von einem Misthaufen die siebenschwänzige Sklavenpeitsche zu holen, die ich ihm gestohlen und darin versteckt hatte und mit der er mich immer schlug. Immer wieder Schläge, Schläge und verachtungsvolle Worte. Hass war zwischen uns so lange ich denken kann.

Mir liefen, während ich ihn schlug, Tränen aus den Augen, aber nicht seinetwegen, dem Alp, dessen Sohn ich war, sondern wegen meiner Andromache. Schluchzend nahm ich sie auf und trug sie den Berg hoch und die Knechte kamen aus den Stallungen. Auch Eurydike kam und sie schrie und wollte mich schlagen und ich keuchte ihr ins Gesicht, dass dies nicht mein Werk, sondern das ihres Mannes war. Dies ließ sie jammernd die Arme heben und „Schande“ rufen. Antiochios, mein Bruder, lachte hämisch und nannte den Vater einen alten Bock.

„Du hättest ihm nicht dein Bett verweigern sollen, Eurydike!“

„Was ist mit dem Mistkerl?“ fragte meine Stiefmutter.

„Er ist tot!“ antwortete ich. „Aber das macht sie mir nicht wieder lebendig. Ich habe ihn totgeschlagen.“

„Vatermörder!“ kreischte Eurydike.

„Ja. Vatermörder.“

Ich sah auf Andromaches schönes Gesicht, auf die gebrochenen Augen, das zarte Oval des Kopfes, das von blonden Locken umrahmt war. Man nahm sie mir aus den Armen. Plötzlich hörte ich Schritte und das Keuchen, das ich so gut kannte und ich drehte mich um. Der Alp taumelte in den Burghof. Mit blutüberströmtem Gesicht wankte er heran. Ich hatte ihn nicht getötet. Aber das tröstete mich nicht.

Ich stürzte ihm entgegen und schrie: „Mörder! Verfluchter Mörder! Apollon und alle Götter sollen dich strafen!“

Ich wollte erneut auf ihn einschlagen, doch Antiochios und die Diener hielten mich zurück und ich tobte in ihren Armen, bis meine Kräfte erlahmten. Sie zerrten mich aus dem Hof in das Haus und banden mich in meiner Kammer am Bett fest und flößten mir Wein ein, bis ich das Bewusstsein verlor.

Als ich wieder zu mir kam und an meinen Fesseln zerrte und meinen Hass hinaus schrie, kam Antiochios wieder und flößte mir neuen Wein ein, bis ich wieder in die gnädige Dunkelheit versank. Aber hier kam mir kein Apollon zu Hilfe, kein Achilleus rätselte über mein Schicksal und Heraklit redete nicht dunkel daher. Als ich erneut zu mir kam, sah ich in Antiochios’ grinsendes Gesicht.

„Na, bist du wieder zurück?“

„Ich werde ihn töten!“

„Er ist immerhin unser Vater. Wir verdanken ihm unser Leben!“ versuchte er mich zu beruhigen.

„Er hat sie geschändet und ermordet. Er ist ein Vieh, ein Ungeheuer!“

„Das will ich nicht abstreiten“, sagte Antiochios lachend. „Das ist er zweifellos. Aber du hast ihm fast den Schädel eingeschlagen und er hat ein Auge verloren und sieht nun aus wie unser großer König Philipp. Das wenigstens trägt er dir nicht nach. Er ist sogar ein wenig stolz darauf, dass er jetzt wie der König als Einäugiger durch die Gegend laufen muss. Vater ist bereit dir zu verzeihen, wenn du endlich Ruhe gibst. Und im Übrigen hat ihm Eurydike gehörig den Kopf gewaschen. Sie muss schließlich ihrem Bruder eine halbwegs vernünftige Lüge anbieten, wie deine Braut zu Tode gekommen ist.“

„Ich ihm verzeihen?“ rief ich fassungslos. „Ich werde ihn totschlagen, wenn ich ihn sehe oder zumindest vor Gericht bringen. Der König soll erfahren, was Anthes für ein Schwein ist.“

„Das mit dem Totschlagen wird er zu verhindern wissen. Und falls du die Geschichte vor das Gericht des Königs zerrst, dann werden wir es unterbinden. Wir werden aussagen, dass du schon immer seltsam warst und nun, durch den Unfall deiner Braut, total den Verstand verloren hast. Es war ein Unfall, das ist unsere Geschichte. Was meinst du, wem man glauben wird? Unserem Vater Anthes, dem Hauptmann des Parmenion, oder dem Kröterich? Wir können keinen Skandal gebrauchen, der einen Schatten auf unsere Ehre wirft. Schließlich will ich zu den Gefährten des Königs.“

Sie hatten sich also verschworen, und selbst Eurydike spielte mit, obwohl ihr eigener Mann ihre Nichte ermordet worden war. Es war eine verdorbene korrupte Gesellschaft, die nur auf sich selbst bezogen lebte, ihren eigenen Begierden und Leidenschaften ausgeliefert. Sie taten so, als wenn ich infolge des Leids über den Tod meiner Braut verrückt geworden wäre und sperrten mich ein und gaben an, dass Andromache bei einem Spaziergang im unwegsamen Feld zu Tode gekommen sei. Das war die offizielle Erklärung des Clanchefs Anthes und niemand kam auf die Idee, dies nachzuprüfen. Jeder auf unserem Berg kannte die Wahrheit, aber alle schwiegen, weil sie den Alten fürchteten und er noch unleidlicher und böser und härter geworden war, so dass sogar Eurydike vor ihm Angst bekam.

Schließlich sah ich ein, dass mich meine Weigerung, die Realität anzuerkennen, nämlich, dass der Vater mir einstweilig über war, nicht weiter brachte, und ich tat so, als wenn ich mich in mein Schicksal fügte und schließlich ließ man mich aus der Kammer und alle taten so, als wenn es mich nicht gäbe, von Phokis und Andreos, dem Koch, abgesehen. Mein Vater blickte weg, wenn er mich sah und mir war dies nur recht. Ich hielt mich so wenig wie möglich auf dem Berg auf und hütete die Schafe und Ziegen. In dieser Zeit waren Spitames und Phokis wie Brüder zu mir. Phokis versuchte mich mit seinen Schnurren auf andere Gedanken zu bringen und Spitames kletterte mit mir durchs Gebirge. Wir hatten großes Jagdglück und erlegten einige Sauen und einen Berglöwen und der Wolfstöter sagte immer wieder, dass er so ein Jagdglück noch nie erlebt habe. Sicher würden die Götter an mir etwas gutmachen. Ich hatte auch das Gefühl, dass mir Apollon wieder sehr nahe war und ich beklagte mich bei ihm und schalt ihn einen Treulosen. Aber antworten tat er mir noch nicht. Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen. Aber ich kann bestätigen, dass er sich mächtig anstrengte mich zu beschwichtigen. Aber die erste Liebe in der unwiederbringlich entschwundenen Jugend habe ich nie vergessen. Ich habe mit Andromache nie die Lust erlebt, nie ihren Schrei gehört, nie den Schweiß der Liebe gerochen. Doch war diese Liebe deswegen weniger groß und schön und einmalig? Aber wie gesagt: Apollon gab sich Mühe und warf sich so ins Zeug und ich kam einen Schritt dem näher, was Apoll vorausgesagt hatte. Der Ratschluss der Götter hatte diesmal wohl gelautet, dass nicht jede große Liebe ein gutes Ende haben muss. So bekam ich die ersten Zweifel, ob ich mich auf die Götter verlassen konnte.

4.

Ich spürte die Hand auf meiner Schulter. Es war nur eine flüchtige Berührung, als hätte mich der Flügel eines Vogels gestreift. Ich war sofort wach. Spitames nickte mir auffordernd zu. Seine Augen glitzerten wie bei einem Jungen, der zum ersten Mal am Fest des Dionysos teilnehmen durfte. Ich liebte diesen Mann wie einen Vater. Die Knechte meines leiblichen Vaters warfen Steine nach ihm. Er war ein Außenseiter wie ich und wir mochten uns von Anfang an und er hatte mir alles beigebracht, um ein Jäger zu sein und mit meiner Behinderung zurecht zu kommen. Ihm verdanke ich auch mein Wissen darüber, wie man Pferde zu Gefährten macht und mit ihrer Seele zurecht kommt. Er wohnte zwar in einer verwahrlosten Hütte, aber die Felle von Wölfen und Bären brachten ihm doch so viel ein, da er sich zwei Pferde halten konnte. Es waren gute Pferde und Spitames lehrte mich die Sprache der Tiere und wie man selbst aus dem elendsten Klepper das heraus bekam, was in ihm steckte. Natürlich konnte er mir nicht die Mutter ersetzen und auch nicht einen liebenden Vater, aber geliebt hat er mich schon auf seine Weise. Er sagte dies nie. Meistens knurrte er nur mit mir, aber seine kurzen bellenden oder gebrummten Kommentare schufen die Basis dafür, dass ich später mit Alexanders Gefährten reiten konnte.

 

An diesem Morgen ging es ihm darum, mich aus meinem Gefängnis zu befreien, den Schmerz und die trüben Gedanken zu verscheuchen, die mich wie in einer dunklen Kammer gefangen hielten. Er murmelte, dass er nun wisse, wie man dem Kyros beikommen könne. Also erhob ich mich von meinem Lager und trat aus meinem Unterstand auf dem Berggipfel, der unserer Burg gegenüber lag, die nur als Schemen herüber drohte. Die Hunde umkreisten bereits die grasenden Ziegen, wachsam, wie ich es ihnen beigebracht hatte. Sie waren schwieriger zusammen zu halten als die Schafe, die wir beim Erdbeben verloren und noch nicht ersetzt hatten. Es war ein kalter Morgen und Nebel hing noch in den Tälern und ein Wind kam von Osten. Es würde am Nachmittag regnen, genau so wie an den vorangegangenen Tagen. Spitames hatte nun auch Phokis aus den Fellen bekommen und dieser ging hinter die Hütte, um seine Notdurft zu verrichten. Ich wusch mich an der Quelle und das Wasser war kalt und erfrischend und verscheuchte sofort die Müdigkeit. Phokis erschien wieder und machte ein Gesicht, als habe er gerade den großen Pan getroffen oder zumindest eine Quellennymphe. Jedenfalls sah er so aus, als sei etwas passiert.

„Hast du die Hunde gesehen?“

„Ja. Warum? Sie passen schon auf. Sie wissen, wie weit die Ziegen grasen dürfen.“

„Nein, nicht unsere Hunde. Die hinter der Hütte, die Spitames angeschleppt hat.“

Ich schüttelte den Kopf und folgte ihm hinter unsere Behausung. Dort war ein ganzes Rudel angebunden und guckte dumm drein und war still. Hunde, die nicht bellen, sind schon seltsam genug. Aber diese waren so groß wie Kälber und pechschwarz und hatten gelassene stumpfe Augen. Unheimliche Viecher, die sich für den Eingang des Hades geeignet hätten.

„Sie bellen nicht!“ sagte Phokis kopfschüttelnd und kraulte seinen schwarzen Bart. „Weiß der Dionysos, wo er die her hat.“

Ich konnte mir auch keinen Reim darauf machen und ging ins Haus zurück und nahm meinen Speer und den thrakischen Bogen und das lange Messer, das mir Spitames geschenkt hatte und ging zur Feuerstelle, wo dieser bereits hockte und den mit Wasser verdünnten Wein in einem Kessel über die Flammen hielt. Wir aßen Brot, Feigen und kaltes Fleisch. Der heiße Wein wärmte den Magen. Ich fragte ihn nicht, was es mit den Hunden auf sich habe. Er würde es mir beizeiten erklären. Spitames löschte sorgfältig das Feuer und wir gingen zu den Hunden.

„Molosser!“ brummte er als Erklärung und gab ihnen Wasser zu trinken und den Rest von unserem Fleisch. Die Bestien schnappten danach, als wären sie seit Tagen nicht gefüttert worden und ihre Zähne waren lang genug, um sich vorzustellen, was sie anrichteten, wenn sie sich einen Menschen vornahmen. Es waren die Kampfhunde der Molosser und man tat gut daran, ein scharfes Schwert bei sich zu haben, wenn man ihnen begegnete. Einer dieser Hunde war schon schlimm genug, aber hier standen sechs dieser Prachtexemplare, einer hässlicher als der andere, mit triefenden Lefzen. Sie waren festgebunden, aber ich traute diesem Umstand nicht. Spitames klopfte ihnen knurrend auf die Köpfe und sie ließen es sich gefallen und verhielten sich so zahm wie Schoßhunde.

„Wo hast du die Viecher her?“

„Gewonnen! Beim Menandos war ein Molosserhäuptling, der groß angab, was er für ein Bogenschütze sei. Er war nicht mal halb so gut wie du.“

„Und er hat mit dir gewettet?“

„Ja. Er bot mir die Hunde an.“

„Und was hattest du als Wetteinsatz?“

„Meinen Bogen.“

„Ach ja.“

Nun verstand ich, warum der Molosserhäuptling darauf eingegangen war. Sein Bogen war tatsächlich etwas besonderes. Uralt und Spitames behauptete, dass dies der Bogen sei, mit dem Odysseus die Freier erledigt hatte. Ich konnte den Bogen nie spannen, genau so wenig wie die Freier der Penelope. Es war ein Trick dabei. Der Bogen aus dem Holz der Kornelkirsche und mit Horn verklebt konnte nur unter großen Kraftanstrengungen gespannt werden und dann mußte man noch den Trick beherrschen. Es war ein herrlicher Bogen und hätte dem Odysseus gut angestanden. Dass er tatsächlich der Bogen des Listenreichen war, musste man nicht unbedingt glauben.

„Und warum wolltest du diese hässlichen Viecher? Sie werden dir nur die Haare vom Kopf fressen.“

„Da werden sie aber tüchtig hungern“, warf Phokis ein.

„Sie sind unsere Vorhut.“

„Ach so, du willst ….“

„Ja. Sie dem Kyros auf dem Pelz schicken.“

„Verstehe. Sie werden ihn beschäftigen und wenn er müde ist, übernehmen wir ihn.“

„Ja. So könnte es klappen.“

„Ich habe gehört, dass das schon eine Generation von Jägern versucht!“ wandte Phokis ein.

„Alles geht einmal zu Ende. Damals war er auch jünger“, knurrte Spitames.

„Zwei Eisen von uns sitzen ihm schon in der Brust und es hat ihm nicht viel ausgemacht“, gab ich zu bedenken.

„Ja. Er ist ein guter Bär“, knurrte Spitames und löste die Stricke und nun waren die Hunde frei und ich trat schnell ein paar Schritte zurück. Ich hatte gehörigen Schiss vor den Viechern, aber sie verhielten sich wie eine Lammherde und liefen nicht einmal im Kreis herum, sondern standen stumm da und glotzten Spitames an.

„Warum bellen sie nicht?“

„Sind stumm. Sie wurden stumm gemacht.“

„Warum?“

„Die Molosser sind Barbaren. Damit sie den Feind nicht zur Unzeit aufschrecken, haben sie den Hunden ….“

„Seid ihr Makedonen etwa keine Barbaren?“ warf Phokis unwillig ein.

„Hauptsache, die wissen, wer der Feind ist“, antwortete ich besorgt.

„Komm her. Fahr ihnen mit der Hand über die Schnauze!“ forderte mich Spitames auf.

Mir war nicht wohl dabei. Phokis machte auch ein Gesicht, als sollte ich nun das Frühstück der Hunde abgeben. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fuhr dem erstbesten Hund über die Schnauze und die Bestie sah mich an, als sei sie am überlegen, ob ich mich zum Frühstück eignete oder nicht. Aber nach einem Glubschblick auf Spitames ließ er es sich gefallen und die anderen waren genau so geduldig. Spitames redete die ganze Zeit auf die Viecher ein, wenn man sein Grunzen und Knurren als Rede bezeichnen will. Wir gingen zu den Pferden, die er mitgebracht hatte und ich befürchtete schon, dass jetzt ein Riesentheater anfangen würde. Aber es passierte nichts. Die Hunde blieben weiter lammfromm und ich begann mir schon Gedanken zu machen, ob sie tatsächlich so gefährlich waren wie sie aussahen.

Wir schwangen uns auf die Pferde und die Hunde liefen uns voraus. Phokis sollte hier auf dem Berg bleiben und auf die Ziegen aufpassen. Er war nicht besonders unglücklich darüber.

„Seht zu, dass ich euch wiedersehe!“ sagte er mit schiefem Grinsen.

„Spitames ist ein guter Jäger. Der Beste.“

„Mag sein. Aber das hilft dir nichts, wenn der Bär sich um dich kümmert.“

„Apollon ist mit mir.“

„Dann sag ihm, dass seine Schwester Artemis dir beistehen soll.“

Ich nickte und wir ritten den Berg hinunter ins Tal.

Noch bevor wir die Wälder erreichten, fing es an zu regnen. Kein gewöhnlicher Regen, denn es goss Hunde und Katzen, wie es bei uns heißt. Man konnte zeitweilig nicht die Hand vor Augen sehen. Als wir endlich den Wald erreichten, wurde es besser, da uns das Blattwerk vor dem übelsten bewahrte, dennoch war es unangenehm. Nass bis auf die Haut waren wir schon lange. Spitames ritt mir voran. Ich hatte keine Ahnung, wohin es ging und warum er welche Richtung einschlug. Es wurde immer steiler und gegen Abend erreichten wir die Baumgrenze, ohne dass die Tiere einmal unruhig geworden waren. Mit einem Knurrlaut schwang sich Spitames vom Pferd und schlug eine Rast vor. Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es schließlich, ein Lagerfeuer zu machen. Spitames hatte an alles gedacht, nicht nur an Proviant für uns, der aus Brot, Oliven, Wein und einem Schinken bestand, sondern auch an die Hunde, die sich schwanzwedelnd um ihn drängten. In hohem Bogen warf er ihnen die Fleischbrocken zu und ihre langen Zähne blitzten auf und meine Befürchtung, dass sie nur halb so gefährlich waren wie sie aussahen, verschwand wie Schnee in der Sonne.

„Wie geht es weiter?“ fragte ich den Wolfstöter.

„Jetzt ruhen wir uns erst einmal aus. Morgen haben wir einen schweren Tag vor uns.“

„Und du glaubst wirklich, dass wir auf ihn stoßen werden?“

„Ja“, bestätigte Spitames und stocherte in dem Feuer herum, so dass die Funken hoch sprühten.

„Weswegen vermutest du das?“

„Vermuten? Ich habe ihn jetzt ein halbes Jahr verfolgt. Ich kenne seine Gewohnheiten. Morgen erreichen wir ein Hochtal. Dort werden wir auf seine Fährte stoßen und wir werden die Hunde frei lassen und dann wird es soweit sein!“ Für seine Verhältnisse war es eine lange Erklärung.

Am nächsten Morgen, ich hatte nicht besonders gut geschlafen und mir eine tüchtige Erkältung eingehandelt, ging es weiter. Dem Apollon sei Dank, hatte es aufgehört zu regnen. Anfangs ging es noch ein wenig den Gebirgszug hoch, bis dann die Felsen nackt und weiß vor uns lagen. Endlich ritten wir hinunter in ein Tal mit einem Fluss. Der Wald reichte bis an das Ufer heran. Der Alte nickte zufrieden, als er im Wasser Fische hochspringen sah.

„Das mag er.“

Wir ritten durch das Wasser auf die andere Seite des Flusses. Es reichte uns bis zu den Schenkeln und war kalt und rein und floss schnell. Man konnte die Fische auf dem Grund sehen. Die Steine am anderen Ufer schimmerten wie Edelsteine und wir ließen die Pferde im seichten Wasser noch einmal saufen. Dann ging es weiter, immer am Fluss entlang.

Es war hoher Mittag, als Spitames absprang und zur Sonne hochsah, die uns endlich für die vorangegangenen Regentage entschädigte. Dennoch war es kalt. Wir waren in einem Hochtal. Der kalte Wind war unangenehm. Spitames ging in die Knie, und nun sah ich es auch. Der Abdruck der Bärentatzen.

„Ist er es?“

„Solche Pratzen hat nur unser Kyros.“

Er stieß die Hunde mit der Schnauze in die Spuren und diese verwandelten sich, rannten plötzlich unruhig hin und her und blickten nicht mehr glubschig, sondern kalt, gemein und mordlüstern. Sie nahmen die Spur auf und wir ritten ihnen nach. Es ging weiter am Fluss entlang bis zum Abend, ohne dass wir Kyros zu sehen bekamen. Wir begegneten einigen Hirschen und sogar einem Berglöwen, aber dies war nicht unser Wild. Wir beachteten die Tiere kaum und sie ahnten wohl, dass wir diesmal nicht hinter ihnen her waren und sahen nur kurz auf. Wir rasteten im Schatten eines Felsens. Ich war hundemüde. Unsere Molosser dagegen hätten weitergemacht, wenn wir dies zugelassen hätten. Spitames musste ihnen ein paar Fleischstücke in den Rachen werfen, damit sie Ruhe gaben. Es war kalt hier oben und ich war froh, dass ich den Wolfsmantel mitgenommen hatte. Ein Geschenk von Spitames. Ich schlief unruhig. Plötzlich hörte ich eine Lyra. Im Lichtschein des Mondes schwebte er herab. Aber statt der Lyra hatte Apollon diesmal einen silbernen Speer in der Hand.

„Sei guten Mutes. Auch Zeus ist jetzt mit dir. Du bist auf dem Weg, der zu den Sternen führt.“

Eine Botschaft, die mich erregte und doch auch Furcht auslöste. Ich, der Kröterich, sollte den Sternen nahe kommen? Ich fand, dass ich bisher von den Göttern nicht gerade bevorzugt worden war.

Als ich aufwachte, fühlte ich mich wie gerädert. Ob Apoll nun wirklich da gewesen war oder ich dies geträumt hatte, hätte ich nicht beantworten können.

„Du, mir ist Apoll heute Nacht erschienen“, gestand ich Spitames beim Frühstück.

„Wurde auch Zeit, dass er sich rührt!“ knurrte Spitames. Seit ich ihm erzählt hatte, was mir beim Erdrutsch widerfahren war, hielt er mich ohnehin für etwas Besonderes.

„Vielleicht habe ich es auch nur geträumt.“

„Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht“, erwiderte er und beäugte mich, als wäre ich eine Statue im Tempel.

 

„Was ist denn?“ fragte ich irritiert.

„Du hast so eine Helligkeit an dir.“

„Unsinn.“

„Nein. Da ist irgendetwas in deinem Gesicht.“

Ich sah es um seinen Mund zucken und nahm einen Zweig und warf ihn nach ihm und er protestierte kichernd.

„He, dafür habe ich dir die Treffsicherheit nicht beigebracht.“

„Verscheißere mich nicht noch einmal. Von wegen Helligkeit und so. Möchte mal wissen, was Apollon gemeint hat.“

„Erzähl!“

Und ich wiederholte die Worte des Apollon und diesmal lachte er nicht.

„Es geht also los.“

„Was geht los?“

„Seit deinem Aufenthalt im Hades weiß ich, dass die Götter mit dir etwas vorhaben. Kann sein, dass das nicht immer angenehm wird, und in der Vergangenheit war es für dich ja auch nicht besonders angenehm, aber sie wollen dich auf den Weg schicken. Nichts geschieht aus Zufall. Du stehst am Anfang und nun geht es los und vielleicht gehört diese Jagd auf Kyros dazu.“

Für Spitames war dies eine ungewöhnlich lange Rede. Mein Freund und Lehrer wurde in letzter Zeit, so fand ich, langsam zur Quasselstrippe.

„Dann wollen wir nicht über die Götter reden, sondern unserem Kyros folgen“, schlug ich vor.

„Apollon hatte einen Speer dabei?“

„Ja. Einen silbernen Speer.“

„Das ist gut.“

Ich wusste nicht, was daran gut sein sollte. Er aber schien es für bedeutsam zu halten.

Am Nachmittag verloren wir die Spur, weil es wieder angefangen hatte zu regnen. Spitames fluchte, wie nur alte Männer fluchen können, die einiges erlebt haben. Wir ritten auf gut Glück weiter. Auf einmal hörten wir ein ersticktes Brüllen und Spitames hob den Arm und wir zügelten die unruhig schnaubenden Pferde und lauschten. Wieder hörten wir ihn brüllen. Es konnte nur unser Kyros sein.

„Er kämpft mit einer Hirschkuh, und sie scheint sich tüchtig zu wehren.“

„Dann los!“

„Noch nicht. Nun wollen wir erst einmal sehen, was unsere Vorhut ausrichtet!“ knurrte Spitames.

Die Molosser hatten mittlerweile auch begriffen, worum es ging und jagten durch das Gebüsch davon. Wir banden die Pferde fest, die tüchtig schnaubten und die Augen rollten. Langsam, mit vorgehaltenem Speer, gingen wir im Dickicht auf das Rumoren zu. Was wir dann sahen, ließ uns das Blut in den Adern gefrieren.

Der Bär stand hoch aufgerichtet in einer Lichtung und neben ihm lag die Hirschkuh und vor ihm krochen bereits drei unserer Molosser mit aufgeschlitzten Bäuchen. Die Därme hingen ihnen heraus. Die anderen drei umsprangen ihn und versuchten dabei, seinen Tatzen auszuweichen. Man musste ihnen zugestehen, dass sie tapfere Kerle waren und sich durch ihre halbtoten Leidensgenossen nicht abschrecken ließen. Immer wieder verbissen sie sich in seinem Fell. Ich nahm meinen Bogen und jagte Kyros einen Pfeil in die Seite. Aber er kümmerte sich nicht einmal darum. Auch ein zweiter und ein dritter Pfeil beeindruckten ihn nicht. Spitames lief nun los und machte einen seitlichen Bogen um das Tier und ging es von hinten an und stieß Kyros den Speer in die Flanke. Der Bär drehte sich ihm zu und schüttelte den mächtigen Kopf, als hätte sich Spitames nicht an die Spielregeln gehalten. Er ließ sich auf alle Viere fallen, schüttelte sich noch einmal und der Speer fiel ab. Nun gab er dem letzten Molosser noch einen Hieb, so dass dieser durch die Luft flog. Schon war der Bär im Dickicht verschwunden. Er war also nicht nur stark, sondern auch klug und sagte sich wohl: Diesmal überlasse ich euch das Feld und komme erst einmal zu Kräften und dann sehen wir weiter.

Er ließ uns also mit der Erkenntnis zurück, dass wir keinen Schritt weiter gekommen waren. Bei genauer Betrachtung war es nicht einmal ein Remis. Wir hatten sechs Molosser verloren, die doch als die fürchterlichsten Kampfhunde galten, die jemals gezüchtet worden waren. Wir gaben den verletzten Tieren den Gnadenstoß. Spitames hatte dabei Tränen in den Augen. Ich konnte für die Ungeheuer nicht die gleiche Trauer aufbringen. Aber tapfer waren die Viecher gewesen.

Dann folgten wir der Blutspur, und es ging nun wieder hinunter und in ein Tal hinein. Dort wurde es morastig und wir mussten durch einen Wald waten, der überschwemmt war. Das Blut an den herabhängenden Zweigen verriet uns, dass Kyros hier vorbei gekommen war. Als wir aus dem überschwemmten Wald heraus waren, hörten wir einen verzweifelten Ruf.

„Da schreit jemand!“ stellte ich überflüssigerweise fest.

Wir liefen in eine Lichtung hinein.

Vor uns hatte Kyros ein Pferd zu Boden geworfen. Der Reiter lag daneben und unser Bär war nun dabei, sich den wehrlosen Mann vorzunehmen. Offensichtlich war sein Bein unter dem Pferdeleib eingeklemmt. Ich zog meinen Speer vom Rücken, denn mit dem Bogen würde ich den Bären, dies wusste ich nun, kaum aufhalten können. Ich weiß nicht, was mich zu dieser Tat trieb. Im Zweifelsfall Apollon. Ich humpelte mit dem Speer auf den Bären zu. Dieser wollte dem am Boden liegenden Mann gerade den tödlichen Schlag verabreichen. Ich trieb Kyros den Speer in den Nacken. Das Ergebnis war, dass er sich mir zuwandte. Vielleicht erkannte er, dass ich zu denen gehörte, die ihm schon einmal Schmerzen zugefügt hatten. Jedenfalls war ich nun das Ziel seiner Begierde. Er tapste auf mich zu. Ich nahm den zweiten Speer vom Rücken und diesmal warf ich ihn nicht, sondern stellte ihn wie einen Spieß auf den Boden. Er erhob sich wieder zur fürchterlichen Größe, und ich hielt ihm den Spieß entgegen und er ließ sich fallen und spießte sich selber auf. Da ich mich zur Seite warf, verursachte der Prankenhieb nicht mehr als einen Luftzug. Ich rollte mich möglichst weit von ihm fort, und dies war auch gut so. Denn Kyros war ziemlich verärgert und seine Tatzen wühlten den Boden auf und nun schrie er. Es klang sehr menschlich, wie er schrie, und mir lief ein Schauer über den Rücken.

Spitames warf mir seinen Speer zu. „Töte ihn! Es ist soweit. Lass ihn nicht länger leiden. Ich kümmere mich um den Reiter.“

Es war ein guter Eschenspeer und ich ging auf den Bär zu, dessen Tatzen immer noch den Boden aufwühlten. Er blickte mir ruhig entgegen. Als ich vor ihm stand, wurde sein Blick, so erschien es mir, vorwurfsvoll. Er war nicht bereit zuzugeben, dass er besiegt war. Ich stieß ihm den Speer in den Hals und er fauchte noch einmal und starb. Er hatte uns einen großen Kampf geliefert und nun war es vorbei und es tat mir leid, dass ich ihn getötet hatte. Er war ein König und ich ehrte ihn, indem ich einen Zweig abbrach und in sein Maul steckte.

Spitames hatte den Reiter mittlerweile von seinem Pferd befreit. Der Mann lehnte gegen einen Baum und sah mit immer noch bleichem Gesicht zu mir herüber.

„Alles in Ordnung, mein Junge?“ rief mir Spitames zu.

„Alles in Ordnung. Es war ein guter Kampf.“

„Mann gegen Mann!“ stimmte er zu, was so nicht stimmte. Aber er wollte damit ausdrücken, dass ich Kyros im Nahkampf bezwungen hatte.

„Er hat sich aufgespießt. Ich hatte Glück.“

„Du hast ihm ins Gesicht gesehen. Das allein zählt.“

„Apollon hat mir geholfen.“

„So wird es sein“, gab Spitames zu.

Ich ging zu dem Mann, den wir gerettet hatten und besah mir seine Wunden.

„Es ist nicht schlimm!“ wehrte er ab. „Die Fleischwunde an der Schulter ist nicht tief. Nur mein Bein schmerzt. Aber es scheint nicht gebrochen zu sein.“

Er war ein sehr gut aussehender Mann, und dies ist noch eine Untertreibung. Er sah aus wie ein junger Gott und war höchstens drei oder vier Jahre älter als ich.

Nun war Hufgetrappel zu hören und schon waren wir von Reitern umringt. Ein Mann sprang ab, der ein Zwilling des Verletzten hätte sein können. Er war allerdings kleiner, nur mittelgroß und hielt den Kopf seitlich geneigt. Ein ebenmäßiges stolzes Gesicht, über dem sich wie bei einer Löwenmähne das Haar zu beiden Seiten wölbte. Die Nase war etwas breiter als bei seinem verletzten Gefährten und ließ Energie ahnen, was auch das kräftige Kinn unterstrich. Nun bin ich kein Männerfreund. Aber der Neuankömmling war jemand, dessen Erscheinung einen sofort fesselte und dessen Freundschaft man sich wünscht. Er war nicht so schön wie der Verletzte, aber das, was von ihm ausging, war Achtung gebietend und hoheitsvoll. Er ging zu dem Mann, den wir vor dem Bären gerettet hatten und umarmte ihn und sie drückten sich aneinander, als wären sie ein Liebespaar.