Alexanders letzter Traum

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Seit dem Einzug der Eurydike hatte mein Vater Unterstützung darin bekommen, sich Gemeinheiten gegen mich auszudenken. Es fing bereits ein paar Tage später an. Mittlerweile wussten selbst die Pferdeknechte, dass nicht nur der Vater mit Eurydike schlief, sondern auch sein ältester Sohn.

„Sie hat eine Menge drauf, diese Eurydike“, gestand mir mein Bruder lachend. Große Mühe gab er sich nicht damit, sein Verhältnis zu verbergen, und nach einiger Zeit hatte ich den Eindruck, dass selbst Vater davon wusste, dass sein Sohn ihn darin unterstützte, die Leidenschaft der jungen Frau zu befriedigen. Es war ja auch nicht gerade eine Liebesheirat. Mit ihrer Mitgift konnte er die Scheunen ausbessern und die Zahl der Schafe vergrößern und sogar einige Weiden auf der gegenüber liegenden Seite unseres Berges dazu kaufen. Ohnehin ließ er seinem Liebling Antiochios alles, aber auch wirklich alles durchgehen und verdarb ihn dadurch.

Seit Eurydike einzogen war, ging es bei uns drunter und drüber. Mittlerweile hatte sie das Regiment übernommen und sie hatte ohnehin genug Diener und Sklaven mitgebracht, die sich ihr verpflichtet fühlten, so dass auf unserer Burg von nun an alles nach ihrer Nase ging, was Vaters Laune nicht gerade verbesserte. Ihr Streit schallte ständig durchs Haus. Theatralisch die Hände zum Himmel gereckt rief er die alten Götter an: „Hört, ihr Ahnen, hört, ihr Götter, vom Leid des Anthes. Was für eine Furie wurde in mein Haus gespült. Minderwertig ist ihr Blut, schrecklich ihr Aussehen, niederträchtig sind ihre Gedanken. Ihr Leib ist mir ein stinkender Pfuhl.“

So oder ähnliches bekam man ständig zu hören und Antiochios lachte dazu. Ihn schien das Theater bei uns zu amüsieren. Wenn man nicht darunter zu leiden hatte, konnte es auch ganz unterhaltsam sein. Es war jedenfalls bei uns ständig etwas los. Sie saß wie eine große Spinne in der rauchgeschwärzten Halle vor der großen Feuerstelle und wartete darauf, ihr Gift verspritzen zu können. Feist und groß und mit mächtigem fast entblößtem Busen saß sie auf einem thronartigen Hocker und musterte mich, als wolle sie mich verspeisen. Vater saß wie ein Zyklop an dem langen blank gescheuerten Tisch, einen Becher Wein vor sich, und blickte unwillig mit rot unterlaufenen Augen zu uns herüber. Mein Bruder lümmelte sich auf der Bank an der Wand mit ausgestreckten Beinen und wartete darauf, was dann folgte. Dies sind die Bilder aus meines Vaters Haus.

„Ich mag dich nicht“, schrie sie mich oft genug an. „Ich sage es unumwunden. Wenn ich dich geboren hätte, würdest du deine Geburt kaum überlebt haben. Nun ist es zu spät. Wir können dich jetzt kaum ohne Aufsehen ersäufen. Aber verkrümele dich, geh mir aus den Augen, du Unglücksbringer! Ich glaube, dass selbst die Schafe und Ziegen dich verabscheuen, wenn du sie besteigst.“

Sie schien dies für einen köstlichen Scherz zu halten und es gluckste aus ihrer mächtigen Brust und ihr fleischiges Gesicht mit dem kleinen Mund verzog sich zu einem grässlichen Lachen.

„Hast du es überhaupt schon einmal mit einer Frau getrieben?“ fragte sie, und mein Bruder schlug sich kreischend auf die Schenkel.

„Der Krüppel doch nicht.“

Auch meinen Vater amüsierte dies und er stimmte in sein Kichern ein.

„Lasst das!“ herrschte meine Stiefmutter die beiden an. „Ich habe gehört, dass gerade die Krüppel es wie die Kaninchen treiben. Sie sind sonst zu nichts gut, aber rammeln können sie andauernd. Es gibt Frauen, die solche Ausdauer anziehend finden.“ Ihre Zunge strich dabei lüstern über die Lippen, als laufe ihr das Wasser im Munde zusammen. Sicher dachte sie nicht daran, mich für ihre Lust heranzuziehen. Die Blicke, die sie in die Runde schickte, galten nicht mir, sondern vor allem meinem Bruder.

„Wir sollten sehen, dass wir aus diesem Auswurf das beste machen“, fuhr sie fort. „Er kann die Tochter meines Bruders heiraten. Als Mitgift bringt sie nicht viel, aber ich bin ihm verpflichtet und das Mädchen hat dann einen Kerl, und wie man ihr zu Kindern verhilft, wird er wohl bald heraus bekommen.“

Mein Vater war von diesem Vorschlag nicht sehr begeistert.

„Wenn sie keine große Mitgift mitbringt, wovon soll der Kretin dann leben? Als Krieger ist er nicht zu gebrauchen. Ich hatte an die Tochter des Mithridates gedacht, die ist fett und doof, aber kriegt ein paar schöne Wiesen als Aussteuer, die unser Land gut ergänzen.“

„Ich will ihn aus dem Haus haben. Vielleicht kann dein Parmenion ihn in der Heeresverwaltung unterbringen. Du tust doch so, als wenn der große Feldherr dein Gönner wäre. Jetzt kann er etwas für dich tun.“

„Er tut ja bereits etwas für uns. Er wird dafür sorgen, dass Antiochios bei den Gefährten des Königs oder wenigstens des Kronprinzen aufgenommen wird. Ich erwarte täglich die Nachricht, dass er es geschafft hat. Ich kann ihn jetzt doch nicht auch noch mit Leonnatos belämmern.“

So stritten sie oft und wie zu erwarten war, setzte sich Eurydike durch. Der Mond rundete sich zweimal, als wieder ein Zug den Berg hochkam und natürlich war er kleiner und recht bescheiden anzusehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als die Sänfte in den Burghof getragen wurde. Es stimmte, was mein Bruder gesagt hatte. Bis dahin war mein Kontakt zu Mädchen äußerst spärlich gewesen, geschweige denn, dass ich bei einer Frau gelegen hätte. Alles war ich über den Eros wusste, hatte ich den Tieren auf der Weide abgesehen und die unflätigen Bemerkungen unserer Mägde und Knechte zu einer recht lückenhaften Vorstellung zusammen gefügt. Eine gute Vorbereitung für eine Hochzeitsnacht konnte man das kaum nennen.

Der Zug bestand nur aus zwei altersschwachen Dienern auf zwei mageren Eseln, wenn man von den vier Sklaven absah, die die Sänfte trugen.

„Jetzt wollen sie die arme Maus bei dir loswerden!“ flüsterte Phokis, mit dem ich mich angefreundet hatte.

„Du kennst sie?“

„Ja. Sie ist ein netter Kerl. So schlecht hast du es mit ihr nicht getroffen. Sie ist anders als Eurydike.“

Wenigstens das, dachte ich. Aber wer will schon einen netten Kerl zur Frau, wenn man keine siebzehn ist. Von Eurydike schloss ich auf die Nichte, erwartete also trotz seiner Worte ein ähnliches Ungeheuer, nur ein bisschen jünger und vielleicht ohne Schnurrbart.

Als sie den Schleier zurückschlug und ich ihr Gesicht sehen konnte, verschlug es mir fast den Atem. Auch von meinem Vater hörte ich einen erstaunten Ruf und Antiochios stieß einen gellenden Wolfspfiff aus. Beim Apollon, bei der Verteilung von Schönheit war meine Braut nicht zu kurz gekommen. Sie machte der göttlichen Aphrodite allemal Konkurrenz. Eurydike war auf den Eindruck, den ihre Nichte machte, natürlich ein wenig stolz. Antiochios warf sie einen unwilligen Blick zu, als dieser rief, dass die Schönheit für mich doch viel zu schade sei. So ganz konnte ich es auch noch nicht glauben, dass sie für mich bestimmt war. Denn etwas Gutes hatte ich nicht von meiner Stiefmutter erwartet. Andromache sah mich ohne Scheu an und lächelte, so dass mir ganz komisch in den Knien wurde. Wie es sich gehörte, sagte ich ihr, dass ich über die Wahl meiner Eltern sehr glücklich sei und ähnliches. Ich hatte zu dem Empfang ein abgelegtes Überkleid meines Bruders bekommen und mich gewaschen, so dass ich einigermaßen manierlich aussah. Was mich wunderte, aber noch zu keinem Schluss führte, war ihr Schweigen. Lange konnte ich auch nicht darüber nachdenken, denn man trennte uns sofort. Ich schrieb dies der Tatsache zu, dass wir noch nicht im Tempel zusammengegeben waren.

Doch ehe dies geschah, passierte noch etwas, was mich erkennen ließ, dass die Götter mit mir etwas vorhatten, dass sie den Krüppel Leonnatos, der mit dem gleichen Leiden geschlagen war wie der Gott Hephaistos, aus seinem Elend erlösen wollten.

3.

Der Frühling ist in unseren Bergen sehr feucht. Es regnet meist viele Tage lang. Ich war auf der Nordweide. Dort die Schafe zusammenzuhalten, gehörte zu meinen Aufgaben. Oft war ich dort oben wochenlang, und der Eurydike war es nur recht, dass sie mich lange Zeit nicht zu Gesicht bekam. Unterhalb der Schneegrenze hatte ich mir eine Hütte aus Steinen gebaut, mehr ein Unterstand als eine Hütte. Aber sie hatte ein Dach, das mich vor Wind und Regen schützte und ich hatte die meiste Zeit Phokis, diesen Riesenkerl, bei mir, der mehr und mehr zu meinem Vertrauten und Freund geworden war.

Es geschah kurz vor dem Fest des Dionysos. An diesem Tag hatte ich Phokis nach Haus geschickt, weil unsere Nahrungsmittel zu Ende gingen. Ich stand vor unserem Unterstand, eingehüllt in eine Decke und war nass bis auf die Haut. Trotz des großen Hutes lief mir das Wasser ins Gesicht. Auf den Hirtenstab gestützt, sah ich den Schafen zu, die sich zwar von dem Wetter nicht beeindrucken ließen, aber seltsam häufig den Kopf in den Nacken warfen und sich blökend zusammendrängten. Ich sah hinunter ins Tal und in die Richtung, in der ich unser Gut wusste und stellte mir vor, was meine Andromache gerade tat und wünschte mir sie bei mir zu haben. Obwohl ich noch kein Wort mit ihr gewechselt hatte, war ich in sie verliebt. Sie war bis dahin das schönste Mädchen, das ich zu Gesicht bekommen hatte und ich war in dem Alter, in dem man sich über Mädchen heftig den Kopf zerbricht.

Es fing damit an, dass plötzlich unter mir die Erde zu zittern anfing und dann grollte es, als würde der Himmel einstürzen. Ein mächtiger Sturm zog auf und warf mich zu Boden. Ich krallte mich in die schwankende Erde und als ich zum Himmel sah, erblickte ich eine Gestalt, die dem Apoll sehr ähnlich sah, wovon ich mich später in Milet überzeugen konnte. Jedenfalls wusste ich sofort, dass es Apollon war, wovon auch die Leier in seiner Hand Zeugnis ablegte. Ehe ich mich von dem Anblick erholen konnte, geriet der Berg ins Rutschen und fiel ins Tal herab. Es war so, als würde einem eine Decke unter den Füßen weggezogen. Dazu krachte es ordentlich und es hörte sich so an, als würden Hephaistos, Zeus, Poseidon, Ares, also die ganze göttliche Verwandtschaft, die himmlischen Trommeln schlagen. Ich wurde durch den rutschenden Berg in die Höhe gewirbelt und mit mir, das sah ich noch, flogen die Schafe durch die Luft. Dann war es um mich herum dunkel. Tatsächlich, ich war bereits über den Fluss und im Schattenreich angekommen und kein Fährmann hatte ein Scherflein von mir verlangt. Ich war im Hades. Einige Schatten wankten auf mich zu. Alte Bekannte. Achilleus und Odysseus waren dabei und beklagten ihr Schicksal und schimpften über das Leben hier unten. Zu ihnen gesellten sich Platon und Sokrates und der olle Heraklit und erzählten das Gegenteil, priesen die Ruhe, die sie nun hätten, und dass das Maß aller Dinge die Mitte sei und ähnliches, womit ich damals noch nicht viel anfangen konnte. Sie stritten sich also, wie es sich für Griechen gehörte. Achilleus und Odysseus beharrten darauf, dass alle Grenzen hinter sich zu lassen, den wahren Menschen ausmache und es war auch klar, dass sie zu den Besten gehört hatten, wenn auch nicht beide in der gleichen Disziplin angetreten waren. Der eine hatte es mit den Muskeln, der andere mit dem Kopf. Wo ich sie schon einmal traf, wollte ich die Gelegenheit nutzen.

 

„Was ist für mich das richtige? Mit meinem Bein habe ich wohl kaum die Chance einem Hektor oder anderen Helden Angst einzujagen und so weise wie Platon und Sokrates bin ich nun auch wieder nicht.“

Ich war also felsenfest davon überzeugt, dass ich aus dem Hades zurückkehren würde. Woher ich diese Zuversicht nahm? Keine Ahnung. Vielleicht wegen des aufmunternden Lächelns des Apollon, der etwas abseits zuhörte.

Odysseus sah betroffen Platon an und der dunkle Heraklit murmelte „Alles fließt“, womit ich auch nicht viel anfangen konnte.

„Was meinst’n?“ fragte Achilleus den unsterblichen Apollon. Ein wenig war ich über die respektlose Anrede schon betroffen. Der gute Held tat so, als wäre der Gott nichts anderes als ein Beutegrieche aus Illyrien.

Und Apollon in seiner Güte nahm dies nicht einmal krumm. Er klimperte gedankenverloren ein wenig auf seiner Lyra und es klang sehr hübsch und wir hörten zu und warteten, bis er zum Ende kam.

„Er wird Zeugnis ablegen. Er wird im Schatten stehen und doch wird das Licht seinen Weg bescheinen. Er wird der Held sein und doch der Unbekannte. Er wird mein Bote sein und ich werde über ihn wachen. Er wird den Helden besingen, aber nur sein Sänger sein.“

Jeder, der in Delphi war, weiß, wie rätselhaft sich die Götter ausdrücken und Apollon stand der Pythia nicht viel nach. Ich konnte jedenfalls damit nicht viel anfangen. Achilleus zuckte mit den Achseln und sah mich mitleidig an und Sokrates seufzte und Platon kraulte sich den Bart. Aber wenn die beiden klügsten Menschen Griechenlands ratlos waren, dann konnte man auch von mir nicht verlangen, dass ich die dunklen Worte verstand.

„Langweilig wird ihm dabei nicht werden“, kicherte Platon.

„Lass ihn doch wenigstens König werden. Muss ja nicht Griechenland sein“, schlug Sokrates vor. Bekanntlich hatte er eine friedliche Ader. „Irgendetwas in Asien. Vielleicht kann er daraus etwas machen.“

Apollon klimperte wieder ein wenig versonnen und schüttelte dabei den Kopf. „Ihr versteht nicht. König zu sein wird ihm nicht gerecht. Er soll von dem großen Gedanken berichten. Das ist es, was ich ihm auftrage.“

„Na, hoffentlich stehst du ihm tatsächlich bei, wenn er dich braucht. Mir hast du vor Troja nicht gerade den großen Helfer abgegeben!“ murrte Achilleus, der, wie jedes Kind weiß, in Apollon nicht gerade einen Freund hatte.

„Er wird nicht wie du sein. Er wird ein Feldherr sein, aber kein Totschläger.“

„Armer Kerl!“ bedauerte mich Achilleus.

„Vielleicht kann er mit List etwas bewegen“, hoffte Odysseus. „Ich hätte da so ein paar Ideen, die ihm helfen könnten.“

„Er wird nicht verschlagen sein“, verneinte Apollon. „Er wird erkennen, was wichtig ist und was nicht. Das sei seine Belohnung.“

„Ein bisschen armselig“, winkte Odysseus ab.

„Ich werde auf ihn aufpassen. Er wird seinen Weg gehen“, versprach Apollon.

„Vielleicht wird er etwas Neues sein. Man steigt nicht zweimal in den gleichen Fluss“, warf Heraklit ein, der immer die gleichen Sprüche drauf hatte. Aber wenigstens kam er nicht damit, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei.

„Können sich die Menschen verändern? Sind sie nicht immer so, wie sie schon vor Urzeiten waren?“ zweifelte Achilleus.

„Zum besseren?“ setzte Odysseus hinzu und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Das will ich doch hoffen!“ sagte Plato. „Aber zugegebenermaßen geht so etwas nur langsam. Bis der Mensch halbwegs geglückt ist, wird wohl noch einige Zeit vergehen.“

„So lange müssen wir warten, bis hier im Hades Menschen auftauchen, die anders sind als wir?“ fragte Odysseus, der ewig Neugierige, enttäuscht.

„Ja. Wir müssen Geduld haben“, stimmte Plato zu.

„Und er macht den Anfang?“ murrte Achilleus und sah mich an, als wäre ich ein stinkender Käse.

„Nein. Er wird nur davon berichten, was anders sein sollte!“ widersprach Apollon.

„Ein Hinkender als dein Bote? Das sieht dir ähnlich!“ brummte Achilleus.

„Auch Hephaistos hinkte und Prometeus litt unter dem Adler. Es sind die Leidenden, die sich um die Menschheit verdient machen.“

„Da wirst du ganz schön auf ihn aufpassen müssen“, gab Odysseus zu bedenken.

„Ich werde ihn begleiten. Ihm kann nichts passieren. Nicht wirklich.“

Klar, dass ich mich über das Versprechen freute. Aber nun fiel mir wieder ein, wie der Berg ins Rutschen gekommen und ich durch die Luft geflogen und hier gelandet war. Dann konnte er ruhig gleich mit der Hilfe anfangen. Und kaum hatte ich dies gedacht, passierte es auch schon. Es wurde hell und ich sah in das Gesicht meines schwarzbärtigen Riesen. Phokis schrie, dass mir die Ohren wehtaten.

„Er lebt! Er lebt tatsächlich. Den Göttern sei Dank. Leonnatos lebt.“

Sie hatten, nachdem die Erdlawine ins Tal gerauscht und die Erde sich beruhigt hatte, den Abhang nach mir abgesucht. Selbst mein Vater und Antiochios, aber ihnen ging es wohl in erster Linie um die Schafe. Apollon hatte Wort gehalten und den Hunden den rechten Geruch in die Nase gegeben und die hatten kräftig gejault und waren wie irre im Kreis herumgelaufen, und dies hatte Phokis zum Anlass genommen, die Erde abzutragen. Die Freude meiner Eltern oder gar meines Bruders hielt sich in Grenzen. Der Alte jammerte immer wieder über die schöne Herde, die der Berg verschlungen hatte. Stattdessen hatte er mich ausgespuckt. Er hielt dies für einen verdammt schlechten Tausch.

„Wahrscheinlich wollten sie ihn im Schattenreich nicht behalten. So ein Kröterich hätte ihnen nur die Laune verdorben“, war sein Kommentar und Antiochios wieherte dazu wie die Pferde des Achill.

„Mich hat ein Gott unter seinen Schutz genommen“, hielt ich dagegen. Nicht, weil ich prahlen oder gar Eindruck schinden wollte, sondern nur um zu zeigen, dass es Mächte gab, die mich, den Hinkenden, schätzten. Das mit dem Kröterich hatte mich schon verletzt.

„Seit wann kümmern sich Götter um Krüppel?“ höhnte mein Bruder.

„Denk mal nach, du Ebenbild des Paris!“ wehrte ich mich. „Hundert Schafe begrub der Berg. Aber ich lebe noch. Wenn das kein Zeichen ist, dann habe ich keine Ahnung von Omen. Am besten du gehst nach Pella und fragst einmal im Tempel des Apollon nach, was dies auf sich hat. Der Gott ist mit mir.“

„Was habe ich mit Apollon zu schaffen? Ich bin ein Krieger und halte mich an Ares. Du dagegen wirst als Bauer hier in den Bergen versauern, während ich mit den Getreuen des Königs gegen die Perser ziehe.“

Dies ließ einen Stachel in meinem Fleisch zurück und mein Bruder, dieses Früchtchen, wusste dies.

Als wir wieder auf dem heimischen Berg waren, tat Eurydike so, als wäre ich nicht vorhanden. Auf die kurze Schilderung meines Vaters beklagte sie nur die verlorenen Schafe. Meine zukünftige Braut sah mich dagegen an, als trüge ich den Lorbeer des Apollon auf dem Kopf. Aber reden tat sie immer noch nicht und mein Vater beobachtete verärgert ihre mich bewundernden Blicke. Ich konnte mir anfangs keinen Reim darauf machen.

„Ist sie dumm?“ fragte ich Phokis. „Warum redet sie nicht? Ich habe sie noch nie reden gehört.“

„Man hat es dir nicht erzählt?“

„Was erzählt?“

„Sie ist stumm. Meinst du, man hätte sie dir sonst zur Frau gegeben?“

Mich dauerte ihr Schicksal. Aber ich liebte sie deswegen nicht weniger. Sie war mir wie eine Feengestalt, ein Zauberwesen. Was die anderen als Makel ansahen, machten ihre Augen, ihr lächelnder Mund, ihr zartes Gesicht mehr als wett. Nein, für mich war es kein Makel, denn sie hatte Hände, die mich berühren würden. Doch leider sah ich sie nur selten. Bis zu meiner Hochzeit, die für das Frühlingsende vorgesehen war, hielt man meine zukünftige Braut von mir fern. Dies geschah nicht aus Schicklichkeitsgründen, sondern war reine Bosheit. Denn Eurydike trieb es ärger denn je, nicht nur mit meinem Bruder, sondern, wie Antiochios mir gegenüber kichernd erwähnte, mit einigen Dienern und ihrer Leibsklavin Lydia. Trotz der strengen Aufsicht meiner Stiefmutter fand ich schließlich die Möglichkeit Andromache zu treffen. Als sie im Hof mit den Mägden am Waschzuber stand, gelang es mir ihr einen Treffpunkt vorzuschlagen und sie hatte mit leuchtenden Augen genickt. Da man sich seit der Ankunft der Molosserin angewohnt hatte nach Sonnenuntergang in der großen Halle kräftig zu bechern, kam die ganze Gesellschaft am nächsten Tag erst sehr spät aus den Betten. Dies nutzte ich für meine glücklichen Stunden mit Andromache.

Noch bevor das erste Licht in das Dunkel sickerte, ging ich den Berg hinunter bis zu dem Wäldchen an der Straße nach Pella. Hier hatte die Natur eine Rosenhecke zu einer Laube geformt. Dort schloss ich sie in die Arme und sie lag stumm und zitternd an meiner Brust und ich erzählte ihr, was nach dem Erdrutsch geschehen war und sie hörte mir zu und tat, was ich so sehr ersehnt hatte. Sie streichelte mein Gesicht und anderes.

Mit der Zeit lernte ich die Sprache ihrer Hände und ich erfuhr, wie schlimm sie es in ihrer Familie gehabt hatte. Auch sie war ein Außenseiter, ein verachtetes Mitglied der Familie, und suchte Zärtlichkeit und Geborgenheit. Ich versprach ihr, dass unsere Liebe ewig dauern würde. Wie leicht fallen einem in der Jugend diese Schwüre.

„Und wenn ich weggehe, und ich werde eines Tages weggehen, dann nehme ich dich mit.“

Sie war es schließlich, die meine Schüchternheit überwand und mich das Küssen lehrte, so dass tiefe Seufzer unseren Kehlen entflogen. Sie lehrte mich die zarte Liebe. Sie legte meine Hand auf ihre Brust und ich schob sie in ihr Kleid und fühlte ihre samtene Haut und drängte mich an sie und sie ließ es zu und ergab sich mir und wir umklammerten uns wie zwei Ertrinkende und waren glücklich uns gefunden zu haben.

Ich hatte bis dahin, nach dem Tod meiner Mutter, nie Liebe empfangen und ihr war es genau so ergangen, und so empfanden wir uns gegenseitig als Gottesgeschenk, als Entschädigung für die fürchterlichen Tage unserer Kindheit. Und wenn es so weitergegangen wäre, dann hätte ich gern darauf verzichtet, Babylon kennen zu lernen, Persepolis, Susa und Ekbatana. Ich hätte auf Indien verzichtet und auf Alexanders Freundschaft. All das hätte ich hingegeben für ein Leben mit meiner Andromache. Zum letzten kam es nicht und das bedauere ich noch heute. Die gegenseitige Achtung voreinander hielt uns davor zurück. Sie brauchte sich meiner nie zu erwehren. Sie gab mir, was sie geben wollte und ich war damit zufrieden. Ich hielt inne, wollte das letzte erst nehmen, wenn uns der Priester vor den Göttern zusammengetan hatte. In meiner ersten Liebe war ich kein Eroberer, sondern nahm sie als Gnade wie ein Gläubiger im Tempel entgegen.

Bald sollte Apollon sich mir offenbaren. Wir erfuhren, dass der Sohn des Königs, zusammen mit seinen Gefährten, bei unserem Nachbarn, dem Clanchef auf der anderen Seite des Berges, zu Gast war und sie bei diesem zur Jagd gehen wollten. Eine Ehre, die den Menandros unter allen Clanchefs unserer Gegend heraushob. Mein Vater war deswegen schlechter Laune.

„Er kommt nicht zu uns, weil wir Gefolgsleute des Parmenion sind. Das ist es. Der Kronprinz geht nur zu denen, die ihn umschmeicheln. Oh ja, mag Menandros ruhig auf dieses Pferd setzen. Noch ist es nicht sicher, ob Alexander der Nachfolger Philipps wird. Noch kann Philipp weitere Söhne zeugen. Schließlich wird er jetzt die Nichte des Attalos heiraten, die nicht eine Fremde wie die Olympias ist, sondern von Makedonen abstammt. Es ist nie gut, wenn man sich mit fremden Völkern vermischt. Das Blut muss rein bleiben.“

 

Er warf dabei seiner Eurydike scheele Blicke zu, die wie Olympias von den Molossern abstammte und diese quittierte seine Worte mit Flüchen und warf mit ein paar Krügen nach ihm und rächte sich, indem sie ihn über Wochen nicht in ihr Bett ließ, was sicher auch zu dem Unglück beitrug, das dann später geschah. Jedenfalls nahm mein Vater es sehr persönlich, dass Alexander seinen Nachbarn mit seiner Anwesenheit beehrte und das nur, wie er sagte, weil dessen schwächlicher Sohn ein Freund des Ptolemaios sei, der wiederum ein Freund des Kronprinzen war. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn der Sohn des Königs auch bei uns eingekehrt wäre. Es hätte vielleicht dem Anstand in unserem Hause gut getan und sicher auch das verhindert, was sich bald darauf ereignete und die Todfeindschaft zwischen mir und meinem Vater verursachte.

Es geschah nach einem Jagdausflug. Ich war ein guter Jäger geworden, was das Verdienst des Spitames war, der mich schon als Kind das Jagen lehrte. Die Jagd war für mich eine Flucht vor den Menschen, vor dem Unglück im Haus meines Vaters. In der Einsamkeit der Wälder und Berge hatte ich immer Trost gefunden. Schon von klein auf durchstreifte ich den Forst in den Tälern. Ich kannte die Farnwiesen, die Bäche, an denen das Wild trank. Spitames war ein Bergbauer und ein Jäger und lebte in einer armseligen Kate an der Schneegrenze. Er hatte keine Familie und war der älteste Mann in unserer Gegend und schlug sich mehr schlecht als recht durch. Aber klagen hörte ich ihn nie. Er lehrte mich das Waidwerk. Ich sehe ihn vor mir, eine gebückte, nachlässig gekleidete dürre Gestalt mit einem Gesicht, als habe er bereits bei den Thermophylen gekämpft, und mit dem Wissen von Generationen von Jägern. Es war ein Gesicht, das sich zu beschreiben lohnt. Nicht, dass jemand auf die Idee gekommen wäre, seine Gesichtszüge in einem Marmorblock zu verewigen, gleichwohl war es ein Gesicht, dass man nie vergaß. Da er seine Zähne längst verloren hatte, waren seine Wangen eingefallen und dies gab ihm ein fast unheimliches Aussehen. Auf eine eigentümliche Weise sah er den Mumien ähnlich, die mir später in Ägypten gezeigt wurden. Eigentümlich auch deswegen, weil in dem dunklen, oft schmutzigen Gesicht blaue Augen leuchteten. Die wenigen Haare klebten um einen länglichen Totenkopf. Er lehrte mich den Berglöwen zu bekämpfen, den Schwarzbär und die Wölfe. Er hasste Wölfe und war ihnen in den Wintermonaten, wenn sie heulend seine Hütte umschlichen, ein erbarmungsloser Feind. Er hatte nur eine kleine Schafherde und konnte auf kein Tier verzichten und das hatte ihn zu einem Wolfstöter gemacht. Er lehrte mich trotz meiner Behinderung zurechtzukommen, indem er meine Treffsicherheit mit dem Speer durch ständige Übungen verbesserte. Meine Schultern hatten mich ohnehin zu einem guten Ringer gemacht, und ich hatte die nötige Kraft in den Armen, um ihn todbringend zu schleudern.

Ich wurde zum Jäger, wenn ich oft monatelang allein in den Bergen war und die Schafe und Ziegen hütete. Spitames kam mit seiner Herde vorbei und ich verweigerte ihm nicht unsere Weiden und er lehrte mich gegen den Wind zu schleichen, den tödlichen Pfeil mit einem thrakischen Bogen abzuschießen und den Speer todbringend zu schleudern. Wir jagten Hirsche und Gemsen und einmal erlegte ich einen Bär, zugegebenermaßen kein großes Tier, aber sein Fell beeindruckte einen Augenblick sogar meinen Vater. Mir war Spitames, der Wolfstöter, ein Freund, und ich hielt mich zu recht für einen guten Jäger. Bis dann Kyros, der Königsbär, auftauchte und ich erkennen musste, dass ich noch viel zu lernen hatte. Spitames hatte ihn so getauft, weil er ihn für einen Fürst hielt, einen verwunschenen König. Lange Zeit sahen wir nur seine Spur, den Abdruck mächtiger Tatzen und folgten ihnen ohne Jagdglück. Doch eines Morgens an einem Fluss sahen wir ihn aus dem Wald treten. Ein mächtiger Kopf und ein Körper wie ein Fels. Gemütlich trabte er heran und ging in das seichte Wasser und schon bald holte er einen Lachs ans Ufer.

„Sieh dir den Kerl an!“ flüsterte Spitames.

Langsam robbten wir uns heran. Plötzlich drehte er sich um und erhob sich auf seine Beine und wir sahen nun, dass es der größte Bär war, der je in unserer Gegend gesehen worden war. Er wollte uns wohl zeigen, dass wir uns besser nicht mit ihm anlegten. Unsere Hunde jaulten wie verrückt und wir hetzten sie auf ihn und er wehrte sie ab. Nach einigen Prankenschlägen lagen zwei unserer Tiere tot am Boden.

„Was für ein Kämpfer!“ flüsterte Spitames begeistert.

„Wir müssen näher heran. Wir umgehen ihn.“

Wir machten einen Bogen und stakten in dem schnell fließenden Wasser des Flusses langsam auf ihn zu. Er hatte uns erblickt und wir hatten Angst, dass er sich davonmachen würde. Normalerweise legt ein Bär, wenn er nicht gar mit seinem Wurf unterwegs ist, keinen großen Wert auf die Bekanntschaft mit Menschen. Aber er dachte nicht daran, vor uns auszureißen, sondern erhob sich noch einmal zu einer Höhe, die uns bei weitem überragte und erwartete uns mit aufgerissenem Maul.

„Ein König. Ein Kyros!“ rief der Alte.

Weiß der Dionysos, wie Spitames auf den Namen des großen Perserkönigs kam. Aber diesen königlichen Namen trug unser Bär mit Recht. Wie ein Berg stand er vor uns und seine Tatzen teilten die Luft. Ich nahm den thrakischen Bogen und ließ einen Pfeil schwirren und traf ihn mitten in die Brust, was ihm aber nur ein ärgerliches Brummen abnötigte. Er schlug mit der Tatze den Pfeil ab.

„Mit Pfeil und Bogen kriegen wir den nicht. Da müssen wir schon mit etwas härterem kommen!“ schrie Spitames und wir stellten unsere Speere auf. Langsam kam Kyros auf uns zu und ich hatte Mühe, meine Angst zu bezwingen und wäre am liebsten davongelaufen.

Als er bis auf wenige Schritte heran war, warf Spitames seinen Speer und er traf ihn gut und ich tat es ihm nach und traf den Bär auch unterhalb der Brust und jetzt hätte er sich eigentlich hinlegen oder wenigstens davonlaufen müssen. Aber er tappte brüllend auf uns zu und wir nahmen die Beine in die Hand und rannten aus dem Wasser heraus und am Ufer entlang und er folgte uns und kam näher und näher und sicher hätte er uns eingeholt, wenn vor uns nicht der Wasserfall aufgetaucht wäre und wir uns nicht in die Höhle dahinter geflüchtet hätten. Mein guter Spitames kannte jede Zuflucht in diesen Bergen. Wir hörten Kyros hinter dem Wasserfall brüllen. Er wartete eine ganze Weile und wir hörten ihn missvergnügt im Wasser plantschen. Schließlich war er es leid und verdrückte sich. Das war unsere erste Begegnung mit Kyros.

Bald war die ganze Gegend erfüllt mit Geschichten über den König der Bären und die Bauern beklagten gerissene Schafe und Ziegen. Fast jeder Clanchef, auch mein Vater, ging in die Berge, um ihn zu jagen. Es gab wohl keinen Mann von Adel und Anstand, der nicht erzählte, dass er ihm begegnet sei. Doch erlegen konnte ihn keiner. Kyros wurde in ganz Makedonien berühmt und vielleicht waren es die immer wilder werdenden Geschichten über seine Größe und Tapferkeit, die schließlich den Thronfolger in unsere Gegend führten. Doch bevor sich mein Name mit dem des Kyros verband, geschah etwas, das mein Leben veränderte und mir die Todesverachtung eingab, um dem Kyros ein todbringender Feind zu sein.