Buschfieber - von Kanada und Alaska

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Am Fluss der weißen Wölfe

Wir stehen vor einer kleinen, armselig anmutenden Blockhütte, pochen an eine etwas schief in den Angeln hängende Tür, an welcher am Balken aufgepinselt steht: „CHIEF“. Darüber ist auf einem großen Schild ein Wolf gemalt, ein weißer Wolf!

Nach wiederholtem Klopfen wird uns der ächzende Einlass aufgetan. Eine ziemlich füllige Frau, mit pechschwarzen Zöpfen, grob geschätzt um die Vierzig, lächelt uns zahnlückig entgegen: „What can I help?“, in englisch-indianischem Slang.

Wir erklären, gerne den Häuptling des Dorfes sprechen zu wollen.

„Oh yes, come in, but sorry, my husband is sleeping“, führt uns dennoch in eine geräumige niedrige Stube, in welcher es, gelinde gesagt, etwas dumpf riecht. Überhaupt wirkte alles auffallend schmuddelig. Sofort ins Auge sticht ein riesiges christlich-religiöses Poster an der Wand, hübsch geziert umgeben von bunten kleinen handwerklichen Teppichen. Das gesamte Mobiliar bestand lediglich aus einem Tisch, wenigen Stühlen, einem kleinen Regal; alles roh gezimmert. Und mittendrin liegt ein noch blutiges, halb zerlegtes Tier, eingehüllt in einen summenden Mückenschwarm. So viel noch zu erkennen war, musste es sich um ein Rentier handeln. Dadurch abgelenkt, bemerken wir nicht sogleich, wie sich von einer in der Ecke stehenden Pritsche ein hageres Männlein erhebt, mit stark angegrautem, langem und zerzaustem Haar, sowie einem ebenso wirkenden Kinnbart. „Stellt man sich so einen ehrbaren Indianerhäuptling vor?“

Zugegeben, wenn ich mich von der Couch erhebe, seh’ ich auch nicht gerade flott aus!

Als er aus den schläfrigen Augen die Weißen erblickt, ist der Chief urplötzlich hellwach, reicht die Hand entgegen und frägt nach dem Begehr. Wir erklären, dass wir mit dem Floatplane kamen, hier in Snare Lakes eine Nacht verbringen wollen und morgen mit dem Kanu flussabwärts paddeln. Das sehr höfliche Oberhaupt zeigt sich auffallend entgegenkommend, gibt reichlich Auskunft über alle Fragen bezüglich der momentanen Beschaffenheit des Flusses, eventueller Hindernisse und Gefahren, sowie einer Wetterprognose. Sie sind schließlich täglich zwecks Jagd und Fischerei mit den Booten unterwegs.

„Ja, ja“, meint er, „flussabwärts sind zunächst die ersten vierzig Meilen keine Probleme zu erwarten. Am darauf folgenden Abschnitt sind zwar manche Rapids zu fahren, doch für halbwegs geübte Kanuten gut zu meistern; hängt allerdings vom aktuellen Wasserstand ab. Eine schöne Strecke für einen gemütlichen dreiwöchigen Trip.“

Wir schauen dabei etwas skeptisch aus der Wäsche, sind aber gleich wieder aufgeheitert, als er fortfährt: „Dort erwartet Euch eine wahrlich paradiesische, besonders abwechslungsreiche Gegend, mit großem Fischreichtum und viel Wild.“

„Hört sich nicht übel an“, beflügeln wir gegenseitig neu die Vorfreude.

Anschließend führt uns der nette Herr durch sein Hüttendorf, das nicht gerade frisch gefegten Eindruck macht, gelinde gesagt. Zwischendrin eine gleichfalls aus Brettern erstellte Kapelle, geziert mit einem Kreuz, vermutlich anglikanisch; sowie eine kleine Schule, worauf er mit sichtlichem Stolz hinweist. Will sagen, es gibt hier, zu unserer Überraschung, sogar einen Priester als auch eine Lehrerin, beide von ihrem Stamme der Dogribs. Ebenso ist eine ausgebildete Krankenschwester hier, obwohl angeblich der „Medizinmann“ vorzügliche Hilfe leistet. Leider war es gegenwärtig nicht möglich, jemand von ihnen zu sprechen.

Dann will er uns eine Besonderheit zeigen: „Soon, we become very reach people here“, fährt der Chief mit seinem schwer verständlichen Englisch fort, vermischt mit irgendwelchem indianischen Kauderwelsch. Damit war eine außerhalb liegende Großbaustelle gemeint, in Vorbereitung einer Diamantmine, weil man hier fündig wurde. Wir bekommen auch Kontakt mit einem dortigen Meister und erfahren manch Interessantes.

„Junge, Junge“, denk’ ich so bei mir, „dann ist’s vorbei mit der dörflichen Idylle. Der weiße Mann gräbt und hebt den Reichtum gewiss nicht für Euch!“

Wir bekommen ein schönes Plätzchen für das Zelt zugewiesen und verziehen uns alsbald zur ersehnten Abendruhe, denn der Tag war heute besonders lang. Eine Gelegenheit für die Erwähnung, dass um diese Jahreszeit hier oben die Nächte verdammt kurz sind; insbesondere, wenn man am Vorabend mit alten Bekannten vom Vorjahr, Yellowknife war nämlich erneut Basis der Unternehmung, in bester Laune zusammensitzt und keiner auf die Uhr schaut.

Trotzdem hieß es, früh aus den Federn. Es galt noch eine Menge zu besorgen in der Stadt, obwohl mein Filius, weil schon Wochen vorher hier, sich bereits um Vieles kümmerte. Abschließende Besprechung zu Tripdetails bezüglich Zeit und Strecke sowie Meldung dieser Fakten bei der Polizei. Wenn du dich zum geplanten Termin nicht zurückmeldest, rückt ein professioneller Suchtrupp aus, sogar mit Helikopter. Kann ganz schön teuer werden. (Diese Probleme gibt es im Zeitalter des Satellitentelefons vielleicht nicht mehr!)

Bis zum Nachmittag waren sämtliche Notwendigkeiten getätigt. Ein zweimotoriges Wasserflugzeug stand am Hafen bereit.


Das Dreimannkanu außerhalb festgebunden, schwingen sich die Outdoors erwartungsfroh in die enge Kabine und los geht’s.

Der „Indianerbus“ schlittert aus der Hafenbucht. Mit Karacho jagt der Pilot, wir staunen nicht wenig, ein junges Bürschlein mit noch flaumigem Ziegenbärtchen, das Floatplane über das gischtende Wasser, zieht mächtig hoch und steuert nördlich über die Wildnis. Wir erleben die selbe Szenerie wie schon das Jahr zuvor:

Der graue Fels des nordamerikanischen Schildes, eine der ältesten geologischen Formationen, überzogen von endlosen Wäldern, und Wasser – Wasser – Wasser, soweit das Auge reicht. Ein gar prächtiges, vielstimmiges Farbenspiel in Tönen von Grün und Blau. Ein Hymnus auf Mutter Natur!

Das bekannte Herzklopfen überfällt mich wieder. Das Buschfieber flammt erneut und verstärkt auf!

Da wir ganz nahe dem Pilot sitzen, ist sehr gut und interessant dessen fleißiges Manöver zu beobachten. Ralf unterbricht das Staunen: „Schaut, dort, die Sandy!“

Erinnerungen werden wach!

Nach einer guten Flugstunde nehmen wir beachtlich an Höhe weg und erkennen bereits, an einem See gelegen, welcher von einem River durchflossen wird, ein kleines Hüttendorf. Es ist unser Ziel Snare Lakes, eine kleine Indianeransiedlung, am ebenso lautenden See; gleichzeitig Ausgangspunkt für den geplanten Kanutrip, nämlich den Snare River abwärts. Jenes Dorf zählt zu den wenigen in dieser riesigen subarktischen Wildnis. Der Fluss ist benachbart zum Yellowknife River und mündet ebenfalls in den Great Slave Lake.

Unser Flugshuttle setzt heftig rumpelnd am wellig bewegten Gewässer auf. Als wir am Landesteg anlegen und rausklettern, werden wir, schon während des Entladens, nicht nur von herrlichstem Wetter empfangen:

Sofort ist man von Moskitos umschwärmt und zugleich von einer Schar johlender Indianerkinder. Sie wissen, die Weißen bringen meist etwas mit. Weil wir dies zuvor wussten, war man entsprechend vorbereitet. Wir verteilen unzählige Tafeln Schokolade und Kaugummis. Noch mehr aber waren sie erpicht auf die famosen Buschmesser, welche an unseren Gürteln hingen.

Übrigens, dieser Ort war vor wenigen Jahren das vorläufige Etappenziel für den ersten Buschtrip von Sohn Ralf, damals zusammen mit einem Freund … und letztlich vorzeitig kläglichst gescheitert, wie man bereits im ersten Kapitel erfuhr.

Dieses Jahr, mit vielen wertvollen Erfahrungen im Gepäck, plante er abermals die Bezwingung des Weges am ganzen Yellowknife River bis zur Quelle, von da weiter zum nahen Snare River. Damit wäre er vermeintlich der Erste gewesen, der diese Mammut-Tour im Alleingang bewältigt. Buschfieber höheren Grades!

Es sollte anders kommen: Als er Anfang Juni anreiste, war der Start wegen des extrem langen Winters nicht möglich. Der Fluss war wegen Eisgang nicht befahrbar und der Landweg sowieso kaum möglich. Also Unternehmen abblasen. Ein späterer Start kam freilich nicht in Frage, es hätte die Zeit bis zum folgenden Wintereinbruch, damit ist hier im Oktober zu rechnen, keinesfalls gereicht.

Es hätte vielleicht ohnedies mit einer herben Enttäuschung geendet. Im Nachhinein erfuhr man, dass zwei Jahre zuvor bereits einem Japaner genau dieses Unternehmen gelang. Er überwinterte bei den Indianern und drang sogar den Sommer darauf, fortgesetzt auf den Spuren von John Franklin, über den Coppermine River bis zum Eismeer vor.

Und so kam es, dass der Abenteurer Ralf die „Münchener“ mobilisierte, welche kurzentschlossen die Reise über den großen Teich, in die nördlichen Gefilde antraten. In Yellowknife zusammentreffend, wurde das bereits telefonisch besprochene Buschunternehmen im Detail geplant und in Angriff genommen. So kamen wir eben hier her zu den Indianern, campierten und freuten uns auf eine geruhsame Nacht.

Doch der ersehnte Schlaf dauert nicht lange.

„Was ist das hier für ein Krach?“

Rhythmischer Trommellärm, fremdartiges Flötengedudel und exotisch-wilder, fast wölfisch heulender Gesang dringt ans Ohr. Aufgestört aus dem Zelt, bemerken wir gar nicht fern, im Halbdunkel auf einem großen freien Platz, sozusagen die Gemeindewiese, wo tagsüber die Jugend tobt mit Ball und Spiel, eine große Schar Leute, jung und alt, um ein riesiges Feuer im Reigen tanzend. Sie sind sämtlich geschmückt von Kopf bis Fuß mit allerlei Zierrat. Näherkommend werden wir alsbald bemerkt und unwiderstehlich in den Bann eines offensichtlichen Rituals aufgenommen. Nach guter Weile, während der ekstatisch anmutenden Zeremonie, tritt ein alter Mann, mit bunt bemaltem Gesicht und nacktem, tätowierten Oberkörper, in die Mitte und führt einen Hund mit sich; so meine ich. „Aber nein, das ist doch kein Hund, es ist ein leibhaftiger Wolf, ein weißer Wolf“, sagt neben mir Sohn Ralf, der zweite im Bunde, das Trio wird mit Roswitha voll. Ich staune nicht schlecht, mit welcher Begeisterung sie an dem Indianertanz teilnimmt. Es fehlte wahrscheinlich nicht viel und sie hätte ihren berühmten enthusiastischen Jodlschrei draufgesetzt.

 

Die Rothaut in der Mitte, wie man uns bedeutet, deren Schamane, (der echte Name ist mir längst entfallen), sinkt neben dem völlig ruhigen weißen Tier zunächst auf die Knie, legt sich beinestreckend auf den Bauch und breitet seitlich die Arme aus. Er hält offensichtlich Zwiesprache mit dem Geist des weißen Wolfes. Ein Orakel? Man wird erinnert an das katholische Ritual bei der Priesterweihe. Eine gewisse Ergriffenheit ist unvermeidlich!

Zwischendurch laufe ich rasch zum Zelt um die Kamera zu holen. Da wird mir vom Häuptling, welcher für diesen Anlass ganz besonders geschmückt erschien, bedeutet, dies würde die Geister verärgern und schreckliches Unheil bringen. Dennoch gelingt mir klammheimlich, sozusagen aus dem Hinterhalt, von dem großartigen Zeremoniell ein Schnappschuss. (Aus fototechnischen Gründen leider erfolglos).

Urplötzlich tritt totale Stille ein, bis auf die monotonsonore Trommel, die mit ihren ruhigen, dumpfen Schlägen eine magisch-mystische Stimmung erzeugt. Die Menschenmenge blickt ausnahmslos, wie gebannt, in den Sternenhimmel, in dem silbrig der Vollmond schwimmt.

Dann wird auch klar, was es mit dem ganzen Akt auf sich hat. Hab’ schon mal gelesen, dass manche Indianersippen ein Mondfest feierlich begehen. Und hier findet es, so wird uns erzählt, eine Steigerung in Form einer gewissen Andacht für den Geist des weißen Wolfes. Wohl eine Art Pantheismus. Dies alles hindert das Naturvolk nicht an der gleichzeitigen Anbetung des christlichen Gottes.

Jetzt wird auch verständlich, was es mit dem Wolfgemälde über der Tür des Chief auf sich hat, als wir erfahren, dass seit langer Zeit eine beträchtliche Population weißer Wölfe in dieser Region lebt. Seither nennt sich die hier am Fluss lebende Urbevölkerung „White Wolves“. Von jenen Tieren stammt auch der Wolf im Tanzkreis. Man hat diesen weißen Isegrim als verlassenen, verwahrlosten, dem Verhungern nahen, blauäugigen Welpen aufgefunden; ihn gehegt und gepflegt. Er ist mit den Rothautkindern aufgewachsen und seither heiliges Tier im Dorf; mit allen Freiheiten seiner wildlebenden Verwandten.

Das Fest klingt aus mit Musik im Herumreichen langer Pfeifen. Auch wir nehmen schmauchend daran teil.

Auf die Frage, „weshalb gibt es hier keinen erheiternden Schluck“, wird uns bedeutet, in ihrem Dorf herrscht strengstes Alkoholverbot. Hat seinen guten Grund. Man denke nur an die üblen Vorkommnisse in Yellowknife.

Und so brachte diese Nacht ebenfalls wenig Schlaf. Es hieß zeitig ins Boot steigen. Noch rasch die Verabschiedung beim Chief und dessen Familie. Er hatte nämlich auch zwei Töchter. Und was für welche? Eine hübscher als die andere! Dabei soll man wissen, junge Indianerfrauen sind meist besonders apart, was sich im fortgeschrittenen Alter leider in das Gegenteil umkehrt. Nun denn, beim Lebewohl fällt mir die ältere von Beiden, vielleicht eine gut Zwanzigerin, überraschend um den Hals und küsst mich herzlich. Logisch bin ich etwas konsterniert. Hierzu muss bemerkt sein, dass diese Dorfschönheit bereits gestern, bei der nächtlichen Tanzerei, mir oft auffallend nahe war. Hat diese indianische Helena ignoriert, dass ich mit Roswitha liiert bin? Wusste gar nicht, dass Ösi’s bei Squaws derart begehrt sind! Glaube jedoch eher, dieses Abschiedsritual wird von mir falsch gedeutet. Es liegt vermutlich in deren Naturell, einem netten Menschen wie mir einfach ihre Sympathie zu zeigen.

Dann ging’s los.

Ralf fungiert im Heck als Steuermann, Heimo im Bug zwecks Auslug und „Dampfmacher“, Rosi bequem in der Mitte als Taktgeber, eingekeilt zwischen großen Rucksäcken, Angeln und Gewehr, genüsslich die Nase gegen die heraufsteigende Morgensonne. Scheint wieder prächtiges Wetter zu werden.

So verrinnt die Zeit, mit gleichmäßigen Paddelschlägen, stets gut auf Zug, patsch … patsch … patsch!

Die Einsamkeit der Wildnis hat uns aufgenommen!

Zwischen felsigen Hügeln nach Südwest, dem fünfzig Meilen entfernten Indin Lake entgegen. Es erwarten uns dazwischen Schluchten, Stromschnellen und Wasserfälle. Man sucht das Abenteuer. Buschfieber!

Nach wenigen Stunden geht der Fluss in einen kilometerbreiten See über. Halten uns in Ufernähe, denn selbst bei trügerisch klarem Himmel kann urplötzlich Sturm aufkommen und eine prekäre Situation eintreten. Als hätten wir’s geahnt, lebhafter Wind mit heftigen Boen aus Süd überraschte uns, machte das Paddeln enorm schwierig. Anwachsende Wellen schlagen bis an die Bootkante. Mir wird ganz schön mulmig. Im Zick-Zack-Kurs steuern wir eine nahe Insel an, das Festland tunlichst meidend; hier ist, sagten die Indianer, ausgesprochenes Bärengebiet. Eine Begegnung? Nein, danke!

Bald beruhigte sich die Wetterlage. Es kann wieder vorwärts gehen. Stunde um Stunde, mit Zigarettenpausen.

Man genießt Flora und Fauna.

Die Ufer sind mannigfaltig bewachsen mit Laubwald, Fichten, Tannen, sowie manch blühendem Gesträuch. Hie und da bunte Farbtupfer von Blumen.

Und die Tierwelt? Faszinierend!


Nein, weder Bären noch Elche. Dafür ergötzt man sich am Jagdspiel der Adler, Stachelschweine erklimmen Bäume, Biber sind beim Sammeln von Zweigen, quirlige Eichhörnchen fliegen von Ast zu Ast und der flinke Otter zeigt seine Künste beim Fischfang. Ganz besonders angetan haben es Roswitha die Loons, also die Eistaucher; ein Entenvogel in einem ganz ungewöhnlich schönen Federkleid. Wenn der Loon ruft, der meist paarweise die Wasserbühne bespielt, bekommt man Gänsehaut: Ein lachendes Schreien erfüllt die Luft!

Am Nachmittag laufen wir eine sandige Inselbucht an. Todmüde und ausgehungert, seit früh morgens nichts im Bauch, freut man sich riesig auf Nudeln mit Tomatensoße und Ruhe am romantischen Lagerfeuer. Zuvor ist jedoch noch Arbeit angesagt mit Zeltaufbau und Holzsammeln, wobei überreichlich dürres Material zu finden ist.

Aber was musste man dabei zum Entsetzen beobachten? Nicht wenige kahle tierische Skelette, überall verstreut; vermutlich die Überreste der Jagdbeute von Indianern. Denn Karibuherden ziehen regelmäßig durch das Land. Was aber noch viel schlimmer ist, diese makabere Szenerie ist schändlich geziert mit unzähligem Unrat (Plastikzeug, Blechdosen usw.). Umweltschutz ist hier noch Fremdwort. Wir nennen den Ort Karibu-Insel.

Beim Durchstreifen des kleinen Eilandes entdecken wir, vom Nordufer aus, gegenüber am Festland, ein mehrere Meter hohes Kruzifix. Eine Gedenkstätte? Ein Friedhof der Eingeborenen?

Am Abend genießt man, nach des Tages Müh’ und Plag’, den heißen Tee mit „Stoff“. Will heißen, Rum vom Feinsten gibt dem Schlürfen den gewissen Kick. Ralf krönt die wunderbare Stimmung mit klängen der Mundharmonika, begleitet von weniger schönem Gesang und dem leisen, monotonen Plätschern des Wassers am Uferfels.

Der folgende Tag begrüßt erst spät. Gut auspennen. Sind schließlich nicht auf der Flucht. Erholung war die Devise! Und so geht es erst gegen Mittag weiter.

Windstille. Kommen flott voran. Zwischendurch gefischt und nix erwischt! Auch heute häufig in Begleitung vom Ruf der Loons. Rosi ist deshalb hellauf begeistert. Unterwegs schießt Ralf auf Möven, zwecks Abendessen. Drei Mal getroffen. Müssen laufend die Karte studieren. Äußerst problematische Orientierung, wegen des ständig wechselnden Flussverlaufes.

„He, schauts moi do drüb’n, rechts am Ufer, a Hund”, machte Roswitha überraschend aufmerksam.

„Tatsächlich“, pflichte ich bei.

„Meine anders“, erwidert Ralf, „reicht mir mal das Fernglas.“

Neugierig fixieren wir das Tier.

„Bin ganz sicher“, sein Einwand, „es ist ein Wolf, und zwar ein weißer.“

Dem ist nichts weiter hinzuzufügen, in Anbetracht dessen, was wir gestern bei den Dogrib erfuhren. Und nun dies!


Welch ein Highlight. Was für ein Glücksgefühl!

Noch lange trottet Isegrim nebenher, als wollte er uns begleiten.

Wie wird es weitergehn? Mal seh’n, der Busch hält nicht selten Überraschungen bereit, wie man mittlerweile ja erfuhr. Mal gute, mal schlechte!

Aber nach diesem gelungenen Auftakt? Ist das nicht ein gutes Omen?

Bald legt das Kanu wieder bei einem geeigneten Inselchen an. Wegen dessen Form einer Hakennase, wird sie auch so von uns genannt. Dann das Übliche: Camp aufbauen, Holz heran, Anfeuern; schon dampft es im Kessel. Heute wird Mövenrisotto serviert. Übrigens, wie man Möven schlachtet, bzw. Fleisch von Federn trennt, ist mir nicht fremd, kenne Ralfs Methode vom letzten Jahr. Er zieht dem halbgekochten Vogel einfach die Haut samt Gefieder ab. Schauen fast angewidert aus unseren Waschbärengesichtern, sonnengebräunt mit Brillenrändern.

Abends warten wir in bester Laune auf ein Polarlicht. Und tatsächlich, ein Lichterflackern am Horizont.

Doch bald wird klar, es handelt sich nicht um das erwartete Naturschauspiel. Die Dramaturgie bot eine gespenstische Szene ganz anderer Art. Flammen lodern auf, beleuchten die bizarren Gestalten des Waldes.

Mulmiges Gefühl beschleicht uns, gelinde ausgedrückt. Zumindest mir geht ordentlich die Muffe, obwohl dies eigentlich unbegründet ist, denn zwischen der Feuersbrunst und dem Camp liegt ein breiter Wassergürtel.

Das Inferno dauerte die ganze Nacht lang. Es war folglich gar nicht an Schlaf zu denken.


Und so machen wir uns im ersten Morgengrauen wieder auf die Reise; beginnt jedoch nicht ganz gemütlich. Flussabwärts, also unsere Richtung, erweist sich die Hakennase mit langem extrem flachem Ausläufer. Treideln, Boot ziehen ist angesagt. Mit nackten Beinen in die kalten Fluten. Eine schweißtreibende Angelegenheit, wenn das schwer beladene Gefährt bremsend über den Grund schleift.

Als endlich wieder freie Fahrt angesagt ist, kommt leider eine gute Brise auf; diesmal seitlich, besonders unangenehm. Noch nicht lange unterwegs, dreht der verflixt kalte Wind auf Nordost, nimmt erheblich zu und gefriert einem schier die Hand am Paddel.

Die Wellen wachsen bedenklich an. Ein Kampf um jeden Meter gegen die Naturgewalten. Endlich erreichen wir eine rettende Insel. Deren Uferregion ist jedoch schwer zugänglich, da sehr flach und steinig. Wieder Schuhe und Strümpfe weg. Erneut nasse Füße. Rasch an Land. Der Snare River gleicht mittlerweile einem weiß aufgepeitschten Meer.

Dann schien guter Rat teuer. Ein Feuer anmachen zwecks wärmen und trocknen kaum möglich. Erst mühselig einen Steinwall bauen. Dann gelingt es.

Und jetzt? Warten bis der verfluchte Wind endlich abflaut. Kann lange dauern, sehr lange. Am Gescheitesten, sich unter der Plane verkriechen und zusätzlich von innen wärmen. Los, her mit der Pulle. Einen Schluck Rum wussten schon die alten Seebären zu schätzen; nicht nur im Tee. Die Warterei dauerte gar lange, indessen mancher Schluck durch die Kehle lief. Ein folgendes, schönes, ausgiebiges Schläfchen war angesagt.


… Tee mit Rum tut gut …

Inzwischen war es früher Abend geworden. Böses Erwachen. Eisiger Tundrawind aus Nordost. Das notwendige Errichten des Zeltlagers bereitete erhebliche Schwierigkeiten; auch insofern, als auf der total überwucherten, steinigen, buckligen kleinen Insel, etwa groß wie ein Fußballfeld, kaum ein geeignetes Plätzchen zu finden war. Folglich hieß es tüchtig Hand anlegen. Zum Lohn für Müh’ und Plag’, gab es, denn endlich gelang ein ordentliches Feuerchen, Spaghetti mit Tomatensoße. (Ihhh, nicht schon wieder!). Heißer Tee tut gut, ebenso die baldige Nachtruhe.

Der folgende Morgen begrüßt die Camper nicht gerade erfreulich. Der Wind ist über Nacht zum ordentlichen Sturm angewachsen. Die Zeltstangen biegen sich bedenklich. Bleiben bis zum Mittag im Unterschlupf und stützen mit allen verfügbaren Händen die Behausung. Dann endlich ließ diese verdammte Sch… nach. Und so haben wir diesen Ort auch getauft: Sch…insel.

 

Quälender Kohldampf treibt uns unter freien Himmel, der sogar wärmende Sonnenstrahlen schickt. Breakfast!

„Nun, wer bringt die warmen Semmeln vom Bäcker? Wie wär’s mit Rührei und Speck? Von wegen. Müsli, as every morning!“

Anschließend wird die kaum wegbare Uferzone nach einer geeigneten Angelstelle abgesucht. Fisch muss her, endlich mal Fisch! Leider vergeblich. Stattdessen verliere ich auf glitschigem Fels den Halt … und Plumps, da liegt er bis zum Bauch im Wasser. Das macht Freude! Und als wär’s nicht genug, schlage ich dabei noch hart auf den Ellbogen.

Mittags und abends, zum wiederholten Male, na was schon? Müsli! Hebt nicht gerade die Laune. Weiterfahren war auch nicht gut möglich, der Nordost ist noch zu heftig.

Verbringen gelangweilt die meiste Zeit im Zelt bei Ratespiel oder Kartenstudium.

Es geht die Diskussion, inwiefern, wegen des Zeitverlustes, der Routenplan geändert werden muss. Das erwartete Paradies ist allerdings nicht mehr allzu fern. Höchstens zwei Paddeltage, wenn es gut läuft. Es erwartet uns besagtes, traumhaftes Wildnisambiente; mit allerbesten Fischgründen, in Konkurrenz mit dem Bär, der sich dort fleißig den nötigen Winterspeck anfrisst.

Abermaliges Durchstreifen der Uferzone; diesmal in entgegengesetzter Richtung. Fisch muss her! Der Notproviant darf nicht weiter beansprucht werden. Am halbwegs windgeschützten Westufer endlich eine versprechende Stelle. Während Ralf und ich beharrlich mit der Spinrute werfen, ist Roswitha mit Körperpflege beschäftigt.

Dann passiert es! Alles geht ganz rasch. Der Film läuft. „Isch heb’ Ona“, ruft im Jubelton mein Filius.


Ich wende mich ungläubig. Doch tatsächlich. Seine Angelrute biegt sich enorm. Ein guter Fisch sorgt für spannenden Drill. Endlich, nach gewiss einer Viertelstunde, sehen wir ihn zum ersten Mal: ein starker Hecht!

Nach weiteren schier endlosen Minuten gibt der Esox ermattet auf und wird herangeholt. Inzwischen hab’ ich mich von Schuhen, Socken und Hose befreit, um knietief im Wasser, zwischen großen Steinen die Beute in Empfang zu nehmen.

Mit dem in Anglerkreisen verpönten, allerdings äußerst wirksamen Augengriff, packe ich kraftvoll zu, hebe das prächtige Tier aus dem Wasser. Im gleichen Atemzug, ein gewaltiger Schlag des Hechtes. Die sicher geglaubte Beute entkommt, schlägt vor mir wild im Wasser. Und ich, geistesgegenwärtig mit zwei Sätzen hinterher. Packe abermals zu, hebe hoch und schleudere mit heftigem Schwung den Fisch an Land, wo er von Ralf sogleich sichergestellt und getötet wird.

Unterdessen will auch Heimo an trockenes Gelände.

Fix nochmal, ein heftiger Stich im linken Fuß. Hebe das Bein auf einen großen Stein um nachzusehen. Au weia! Blut! Reichlich Blut. Im Nu ist der Fels rot. Mir wird übel. Die Hecht-Catch-Action hatte also böse Folgen: Eine Verletzung an scharfem Stein. Ein typisch leichtsinniger Buschfehler.


Soll man nicht, ganz besonders bei derartigen Unternehmungen, jede Handlung zuvor gut überlegen?

Mit Verzweiflung haste ich ans Ufer. Ralf nimmt mich sogleich Huckepack und trägt seinen Papa mühevoll über schwierigen Weg zum Zelt.

Was nun? Da ist guter Rat teuer! Nähen, oder?

Eine ordentliche Portion aus der Pulle wird mir eingeflößt.

Ralf fungiert als Buschdoktor. Roswitha assistiert. Ihr wird übel beim Hinsehen. Die klaffende, breite und bis zum Knochen tiefe Wunde muss gewaschen und desinfiziert werden, bevor mit Tape die Wunde geschlossen wird. Auf Näherei wurde, auf mein Flehen, verzichtet. Zuletzt der Druckverband, um weiteres Bluten zu verhindern. Weiß nicht, wie lange die ganze Prozedur dauerte. Erstaunlich, tat gar nicht mal sehr schlimm weh. Logisch. Schockwirkung!

Aber dann, nach guter Weile; Maria und Josef; kamen die Schmerzen, und wie!

So liegt jetzt der Patient untätig auf der Matte, lediglich beschäftigt mit quälenden Fragen: „Was wird nun? Vorwärts, rückwärts? Hilfe, woher?“

Währenddessen sind die Crewkollegen beim Schlachten und Zubereiten des großen Fisches. Wenigstens, endlich, was Ordentliches zum Futtern. Hauen uns tüchtig die Wampe voll. Ein teuer erkämpftes Essen. Zu teuer!

Die folgende Nacht war kein Vergnügen. Erheblich zunehmende Schmerzen. Heftiges Brennen und scharfe Messerstiche wechseln sich ab. Mein Gestöhne lässt auch die anderen nicht richtig schlafen. Bekomme eine ordentliche Dosis von starkem Schmerzmittel verabreicht. Hat etwas Linderung bewirkt. Den Tag darauf war die Qual nur noch halb so schlimm. Liege gelangweilt im kräftig aufgeheizten Wigwam, das Bein hochgelagert. Aber was tun, wenn man mal muß? Einer der Campingtöpfe wird zweckentfremdet! „Bitte leeren“, ruft er der Krankenschwester, welche den Patient auch psychologisch betreut.

Dösend verbringe ich Stunde um Stunde. Und dabei beschleichen mich absonderlichste Gedanken: „Vielleicht hat der weiße Wolf etwas mit dem Schicksalsschlag zu tun? Was meinte kürzlich beim Mondfest der Häuptling, wegen meiner Absicht zu fotografieren?“ – „Die Geister schicken Strafe!“ Ich tat es trotzdem, heimlich! Obwohl, das Foto missglückte.

„Hat dies mit einem schlechten Omen zu tun? Haben sich die Geister des weißen Wolfes gerächt?“

Man möchte fast abergläubisch werden!

Hoffen auf niedrigfliegende kleine Buschflieger, um mit orangen Leuchtraketen aufmerksam zu machen. Fehlanzeige!

Große Überlandmaschinen werden mit E.L. T. auf SOS angefunkt. Keine Reaktion da oben. Weshalb? Schleierhaft!


Nachmittags gab es eine erfreuliche Überraschung: Meine weiße Squaw steht vor dem Zelt und ruft: „Schau moi raus.“

Grinsend zeigt die Glückliche einen ganz besonderen Fang. Ein wunderschöner Saibling von einigen Pfund. Die Einheimischen nennen diesen Fisch „Namaikush.“ Er ist im Wert, waidmännisch wie lukullisch, noch über die Forelle zu stellen! Übrigens, Roswithas Saibling war eigentlich nur eine Miniausgabe. Ein im Lake Athabaska gefangenes Rekordexemplar wog knapp fünfzig Kilo.

Wind und Wellen lassen allmählich nach. Die Beiden sind geschäftig um das Camp herum.

„Was ist los, was treibt Ihr da draußen so wichtig“, melde ich mich neugierig und erhalte zur Antwort: „Was schon, wir müssen fort von hier, schleunigst, Du musst unter professionelle ärztliche Kontrolle!“

Hab mir’s schon gedacht. Aber wie? Aus der Luft ist keine Hilfe zu erwarten!

Man erklärt mir, so rasch wie möglich zurück nach Snare Lakes, dort per Funk einen Rettungsflug aus Yellowknife ordern.

Ja, ich muss schleunigst zum Doktor. Bei derartiger Verletzung droht eventuell Wundbrand. Dann wehe! Schluss mit lustig!

Das Schwert des Damokles zur Beinamputation schwebt förmlich über mir.

Mein Gott, wie wollen die Zwei das schaffen in kürzester Zeit; und dies flussaufwärts; in zehn Stunden oder zwanzig, vielleicht deutlich mehr, je nach Bedingungen.

Bis abends wird das Wetter hoffentlich ganz beruhigt sein. Dann starten wir. Bis es so weit war, durften wir uns noch ausgiebig laben, an Rosis Traumbeute. Ein Saibling vom Grill ist wahrlich eine Delikatesse! Nach dieser kräftigen Stärkung werde ich, nach nochmaliger Versorgung mit Schmerzmittel und Entzündungshemmer, ins vorbereitete Kanu verladen. Roswitha übernimmt jetzt meinen üblichen Platz im Bug.

Tatsächlich, mit einsetzender Dunkelheit wird der River brettlglatt. Der aufsteigende Vollmond spiegelt sich im Wasser und spendet gutes Reiselicht für den „Krankentransport“.

Sch … insel ade!

Stunde um Stunde kämpft das Rettungsboot der Strömung entgegen. Der Patient liegt, dick eingemummt, in der Mitte, eingekeilt zwischen dem umfangreichen Krempel. Roswitha muss vorne Gas geben, Ralf lenkt von hinten und schiebt gleichzeitig, wie eine Dampflok.

Es geht gut voran. Die schemenhafte Wasserlandschaft ist in milchiges Mondlicht getaucht. Aus der Stille der Nacht hört man lediglich den rhythmischen Takt der Paddel, begleitet vom gelegentlichen „Lachen“ der Loons … und sogar von Klängen meiner Mundharmonika: „take me home, country rose“, das mit eisklammen Händen nur sehr schwierig gelingt. Ja, trotz allem, ich fühle zutiefst die Stimmung der Natur und das Verlangen, mich auszudrücken, teilzuhaben. Es tut unendlich gut!

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