Von Vampiren, Kriegern und Dieben

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„Ich war so frei und habe für alle Kaffee gemacht“, sagte Tristan sanft. „Möchtest du auch einen?“

Leilani schüttelte den Kopf. „Nur Wasser, bitte.“

Tristan eilte in die Küche und kam mit einem Glas und einer Wasserflasche zurück.

„Erzähle uns von vorn, was geschehen ist“, forderte er sie auf, während er ihr das Glas mit dem Mineralwasser füllte.

Leilani erzählte den Anwesenden ruhig ihr Erlebnis von dem Moment an, als Tufek Al´Harq die Büroräume des Bezirksamtes betreten hatte. Sie erwähnte nicht Tristans romantischen Liebesbeweis am Himmel über Berlin; das ging nur sie beide etwas an und hatte nichts mit den Kopten-Kriegern zu tun.

„Wie lange arbeitest du schon mit dieser Anita zusammen?“, fragte Ben. Er hatte sehr aufmerksam zugehört und sah Leilani sanft an.

„Seit etwa zwei Jahren. Gleich nach meiner Ausbildung kam ich in das Büro rein.“

„Und seit wann ist sie mit diesem Tufek zusammen?“

Leilani überlegte kurz, dann fiel es ihr ein. „Seit etwas über einem Jahr. Sie sagt, sie hat ihn in einem Café kennen gelernt. Sie sind damals ins Gespräch gekommen und irgendwie hat es gefunkt.“

Die Vampire sahen sich schweigend an, aber Leilani wusste, dass sie in Gedanken miteinander kommunizierten. „Würdet ihr mich bitte einweihen?“, bat sie leise.

Tristan hatte sich auf die Sessellehne gesetzt und seine Hand streichelte ihren Arm. „Wir überlegen, ob es Zufall sein kann oder ob du observiert wirst. Wenn letzteres, dann fragt sich, warum.“

Leilani grübelte. „An dir kann es nicht liegen. Wir kennen uns erst seit drei Wochen. Darius wäre eine Möglichkeit, da er auch ein Vampir ist. Aber ich habe bis vor einer Woche nicht einmal gewusst, dass ich diesen Mann kenne, geschweige, dass er ein Vampir ist. Das ergibt keinen Sinn.“

„Sie hat Recht“, gab Helena zu bedenken und sah Leilani mitleidig an. „Es kann wirklich nur ein Zufall sein. Aber um sicher zu gehen, sollten wir uns vielleicht mit diesem Tufek unterhalten.“

Leilani durchfuhr es eiskalt. „Ihr werdet ihn doch nicht töten, oder?“

Helena sah betreten zu Boden und auch Ben vermied es, in ihre Augen zu sehen. Merkwürdigerweise war es Tobias, der sanfte und zurückhaltende Tobias, der Leilani mit einer kalten Ruhe in die Augen sah.

„Tufeks Tätowierung ist frisch. Das heißt, er ist gerade in den Stand eines Legionärs erhoben worden. Und das wird man nur, wenn man einen Vampir getötet hat und das passt zu meiner letzten Vision.“

„Deiner … Vision?“

Tristan seufzte leise. „Tobias sieht in Träumen und Visionen, wenn einer von uns stirbt. Das Ganze fing vor etwa zwei Jahren an. Als Jan dann vor eineinhalb Jahren entführt und gefoltert wurde, hat Tobi aufgrund der engen Verbindung zwischen ihnen seine Qualen regelrecht miterlebt.“

Leilani sah Tobias mitleidig an. Doch der winkte ab. „Vor etwas über einer Woche sah ich wieder den Tod eines der Unseren. Es ging relativ schnell diesmal. Ein Anzei­chen dafür, dass der Mörder noch frisch in seinem Gewerbe war.“

„Das muss furchtbar für dich sein“, wisperte Leilani. „Wie hältst du das aus?“

Tobias lächelte sie an. Er mochte sie immer mehr, war froh, dass Tristan diese Frau an seiner Seite hatte, „Ich habe eine Frau, die mich liebt und mir Kraft gibt. Und ich habe Freunde, die mich unterstützen. Und ich lebe in dem Glauben, dass meine Gabe hilfreich ist. Manchmal können wir einen der Unseren rechtzeitig finden und befreien.“

Leilani sah zu Tristan hoch und bemerkte seine zusammengekniffenen Lippen. „Die Frau, die du und Ben auf Kreta befreit habt. Wusstet ihr durch Tobi davon?“

Tristan sah sie an und nickte. Dann küsste er sie sanft auf die Stirn.

Ein Handy klingelte und Ben ging ran.

„Danke, Rup. Ich melde mich wieder.“ Er klappte das Handy zu und sah seine Freun­de nachdenklich an. „Rupert hat mir gerade die Adresse durchgegeben, unter der Tufek Al´Harq gemeldet ist. Offensichtlich wohnt er nur ein paar Häuserblocks von deiner Kollegin Anita Kollwitz entfernt.“

„Das ist das, was Anita mir auch einmal gesagt hat“, bestätigte Leilani. „Ich glaube nicht, dass sie etwas damit zu tun hat. Bitte, haltet sie da raus.“

Ben lächelte milde. „Wir werden sie sanft scannen und danach die Erinnerung an uns aus ihrem Gedächtnis löschen. Wenn sie wirklich unschuldig ist, hat sie überhaupt nichts zu befürchten. Was Tufek betrifft, kann ich dir keine Garantien geben. Es hängt davon ab, wie viele er von uns getötet hat. Versuch uns bitte zu verstehen, Lani.“

Leilani sah Ben in die eisblauen Augen. Der sanfte Riese war kein kaltblütiger Mörder, das wusste sie. Sie war schon tief in diese Welt eingetaucht. Zu tief, als dass sie jetzt moralische Bedenken äußern konnte.

„Ich verstehe euch. Und ich akzeptiere und respektiere eure Beweggründe. Wie werdet ihr jetzt vorgehen?“

„Nun, Tris wird hierbleiben und wir …“ Jannik Cerný hatte sich schon fast erhoben, als Tristan ihn zurückhielt.

„Kommt überhaupt nicht in Frage!“, zischte Tristan und seine grünbraunen Augen blitzten empört auf. „Ich werde mitkommen und euch helfen.“

Jan schüttelte den Kopf. „Wir sind drei erfahrene männliche Vampire und Helena kann Übung im Scannen brauchen. Und jemand muss auf Lani aufpassen. Nur für den Fall, dass Tufek auf die Idee gekommen ist, dass ihr plötzlicher Aufbruch in dem Büro doch etwas mit seinem Tattoo zu tun haben könnte.“

Ben stand auf und streckte sich ein wenig. „Jan hat Recht, mein Freund“, sagte er sanft. „Wer kann Leilani besser beschützen als du? Wir melden uns bei dir und geben dir Bericht, einverstanden?“

Tristan stand da und wusste nicht so recht, was er tun sollte. Bisher war er derjenige gewesen, der immer und überall an vorderster Front kämpfte. Aber vielleicht war es an der Zeit, auch andere zum Einsatz kommen zu lassen.

„Okay“, sagte er schließlich und seine Schultern sackten herab. „Aber passt bitte auf euch auf, verstanden? Ich will keinen von euch verlieren!“

Helena ging lächelnd auf Tristan zu und umarmte ihn. „Jetzt weißt du wie es uns geht, wenn du auf irgendeine Mission gehst. Aber versprochen, wir passen auf.“ Sie gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Dann zwinkerte sie Leilani zu und ging mit Jan aus der Wohnung. Ben folgte ihnen und klopfte dem Lothringer im Vorbeigehen kurz auf die Schulter.

Tobias Kerner schickte seinem besten Freund und entfernten Verwandten einen freundlichen Gedanken und folgte langsam seinen Freunden.

„Du wärst sehr gerne mit ihnen gegangen“, stellte Leilani fest.

„Ja. Aber sie haben schon Recht.“ Er hatte ihr den Rücken zugekehrt und stand unschlüssig im Wohnzimmer.

„Du musst nicht auf mich aufpassen, Tris. Geh´ schon.“

Tristan drehte sich um und sah Leilani Stirn runzelnd an. „Nein, Lani. Das wäre falsch. Die anderen haben Recht, du könntest in Gefahr sein. Und ich bin dein bester Schutz, Geliebte.“

Leilani sah ihn lange an, dann stahl sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen. „Na gut. Dann mache ich uns ein kleines Abendbrot.“ Sie stand auf und nahm die Tüte mit den CDs, gab sie Tristan.

„Habe ich vorhin gekauft. Machst du Musik an, während ich in der Küche bin?“

Tristan nickte und nahm die Tüte entgegen. Nachdenklich sah er der Frau hinterher, als sie das Wohnzimmer verließ.

Tristan saß auf der Couch und Leilani hatte sich in seinen Arm gekuschelt. Gedankenverloren streichelten seine Fingerspitzen über ihren Arm, während er mit leerem Blick auf die Wand starrte.

Leilani spürte die Anspannung in Tristan. Vor drei Stunden waren die anderen gegangen und hatten Tristan bei Leilani zurückgelassen. Sie hatten zu Abend gegessen, Musik gehört und sich unterhalten. Tristan hatte von seinem Schloss in Lothringen mit angrenzendem Gestüt und den Weinbergen erzählt. Von seiner Blockhütte irgendwo in Kanada an einem kleinen See, der ihm ebenfalls gehörte. Von seinem Chalet in den Französischen Alpen.

„Können wir irgendwann vielleicht gemeinsam Urlaub machen?“, hatte Leilani gefragt. „In Kanada? Oder in deinem Chalet?“

Tristan hatte gelächelt, aber das Lächeln hatte seine Augen nicht wirklich erreicht.

„Ich würde gerne wissen, was dir durch den Kopf geht“, sagte sie jetzt leise und zupfte an einem Härchen auf seinem Arm. Auf der braungebrannten Haut wirkten diese Haare heller, als sie eigentlich waren, aber Leilani empfand das als wunder­schönen Kontrast.

„Ich habe dich in Dinge hineingezogen, deren Tragweite ich hätte voraussehen müssen“, murmelte Tristan.

Leilani presste ihre Lippen zusammen, holte durch die Nase kurz und scharf Luft. „Bereust du das mit uns?“

Tristans Herz setzte einen Moment aus, dann durchfuhr ein Zittern seinen Körper. „Egoistisch wie ich bin? Nein. Auf keinen Fall. Aber ich bringe dich nur in Gefahr.“

Leilani richtete sich auf und sah ihm ernst in die grünbraunen Augen, die jetzt vor Sorge und Kummer dunkelgrün waren.

„Jetzt hör mir mal gut zu, Tristan. Nicht du hast mich in diese Situation gebracht, sondern, wenn man es genau nimmt, Darius. In der Nacht, als ich erfuhr, wer und was du bist, was ihr alle seid, hätte ich wegrennen können. Du oder ein anderer hätte mir meine Erinnerung nehmen und ich hätte mein Leben wie bisher führen können. Es war meine Entscheidung, bei dir zu bleiben. Meine!“

 

Tristan sah in die jadegrünen Augen, deren bronzener Strahlenkranz erzürnte Blitze abfeuerten. Ihre Wangen waren gerötet, die Stirn leicht gerunzelt. „Ich hätte dich wegschicken sollen“, sagte er lahm.

„Und was dann? Dann würdest du noch mürrischer als vorher umherlaufen, habe ich Recht?“

Indigniert zog Tristan die Brauen hoch setzte zum Sprechen an.

„Ich könnte morgen auf die Straße gehen und von einem LKW überfahren werden. Oder ein Ast bricht ab und erschlägt mich. Oder ein Dachziegel. Oder ich könnte bei einem Raubzug in einem Kamin stecken bleiben und elendig verdursten oder er­sticken.“

„Das ist nicht witzig!“, zischte Tristan und merkte, dass er wütend wurde. Wütend, weil sie Recht hatte.

„Stimmt. Aber so ist das Leben, Tristan. Egal, ob du eine normale menschliche Lebenserwartung hast oder die nahezu unerschöpfliche eines Vampirs: es gibt keine Garantien! Für nichts und niemanden.

Und deswegen, weil ein Leben letztendlich endlich ist, genieße ich jeden Augenblick davon. Auch ich bin egoistisch, wenn es um uns geht. Ich will dich in meiner Nähe wissen, dich spüren, dich lieben, dich in den Wahnsinn treiben. Und ich möchte von dir in den Wahnsinn getrieben werden, vor Lust nicht mehr klar denken können. Ich will, dass mein Herz für den Rest meines Lebens Kapriolen schlägt, wenn ich nur an dich denke. So wie jetzt.“

Tristan sah in ihr Gesicht. Ihre leidenschaftliche Ansprache ließ ihre Atmung schneller werden, die Brust hob und senkte sich aufgebracht.

„Ich habe auch Angst. Angst, dich zu verlieren“, gestand Leilani und ihre Unterlippe begann zu zittern. „Ich habe verstanden, was du für dein Volk machst, in was für Gefahren du dich bringst. Aber ich werde dich niemals zurückhalten, Tristan. Niemals. Dazu bist du für die Vampire zu wichtig.“

Hatte Tristan irgendwelche Zweifel an der Richtigkeit seiner Wahl gehabt, verflogen die nun endgültig und restlos. Er zog Leilani an sich und grub sein Gesicht in ihre Halsbeuge.

„Ich danke dir, Gott!“, flüsterte er. Dann küsste er ihren Hals hinauf, über den zarten Schwung des Unterkiefers zu ihren Lippen, verweilte dort einen Moment in einem zarten Abstand. Dann versanken beide in einem langen und leidenschaftlichen Kuss, klammerten sich aneinander.

Tristan hatte jedes Zeitgefühl verloren, als er sich von ihr löste und Leilani ins Gesicht sah. Ihre Lippen waren durch den Kuss geschwollen und rot, die Augen glühten in entfachter Lust, aber sie hielt sich zurück.

„Ich würde dich am liebsten in das nächste Flugzeug setzen und zu Rashid ins Refugium schicken“, meinte er. „Dort wärst du in Sicherheit.“

Leilani seufzte. „Ich möchte zwar irgendwann Rashid und dessen Frau kennen lernen, aber bitte nicht unter dramatischen Umständen, wenn´s geht. Außerdem, wie lange soll ich mich denn dort verstecken? Hinter Darius bist du seit 829 Jahren her. Und was diese fanatischen Glaubenskrieger betrifft, die werdet ihr kaum mit einem einzigen Streich erledigen können.“

Tristan strich sanft über Leilanis Gesicht und sein Lächeln vertiefte sich immer mehr, erreichte nun doch seine Augen. „Was habe ich nur für eine kluge und verständnis­volle Frau.“

„Das geht sogar noch weiter.“ Leilani nahm seine Hand und küsste die Handfläche. „Ich weiß sehr wohl, dass es Dinge geben wird, die du mir nicht berichten darfst. Das ist okay. Wenn ich also mal was nachfrage und du darfst das nicht sagen, sage einfach, das du es nicht sagen darfst!“

Zweifelnd rümpfte Tristan die Nase. „Und du wirst dann nicht sauer sein?“

„Das habe ich nicht gesagt. Wahrscheinlich werde ich zuerst sauer sein, weil du ein Geheimnis vor mir hast. Aber dann werde ich, weil ich klug und verständnisvoll bin, wie du schon richtig erkannt hast, dir verzeihen.“

Tristans Anspannung löste sich in einem langen und wunderbaren Lachanfall, in dem Leilani einstimmte und zusammen lachten sie, bis es an der Haustür klingelte.

Tristan stand auf und ging zur Wohnungstür, horchte, wer die Treppe hochkam. Es war Tobias, der Tristan ein Erkennungssignal sandte. Die beiden Männer umarmten sich stumm und Leilani betrachtete sie, wie sie, so ähnlich und doch verschieden, zu ihr hinüberblickten.

„Anita hat mit den Legionären nichts zu tun“, sagte Tobias ruhig und Leilani ließ ihre Schultern, die vor Anspannung schon schmerzten, sinken.

„Den Göttern sei Dank!“, seufzte sie und lehnte sich gegen den Türrahmen der Küche.

„Wir haben jegliche Erinnerung an uns in ihr getilgt. Sie wird morgen ganz normal im Büro auftauchen, wie üblich.“

„Und was ist mit Tufek?“ Leilani hatte eigentlich Angst zu fragen. Aber sie musste es wissen, ihre Verstrickung war schon tief genug, es gab kein Zurück mehr.

Tobias schwieg einen Moment und seine Augen glommen kurz schwarz auf. „Ben wird sein Verschwinden so aussehen lassen, als hätte er zu seiner Familie nach Tunesien zurück müssen.“

Einen Moment starrte Leilani Tobias an. Sie hatte sofort verstanden, was er meinte, musste aber die Information erst einmal sacken lassen. „Ging es schnell?“

Tobias nickte. „Er hatte drei von uns getötet, war bis zuletzt der Meinung, wir wären widernatürliche und gottlose Kreaturen. Die, die er getötet hatte, starben relativ schnell durch seine Hand. Und selbst wenn nicht, so vergelten wir nicht Gleiches mit Gleichem, Leilani. Ben hat ihm schnell und sauber das Genick gebrochen.“

Leilani holte ein paar Mal Luft. Ihr war leicht übel, aber sie verstand die Notwen­digkeit. „Was habt ihr herausbekommen?“

„Er war tatsächlich auf dich angesetzt, Leilani.“

Tristan knurrte, nahm sie in seine Arme.

„Er hatte den Auftrag, durch deine Kollegin Anita an dir dran zu bleiben. Dabei war es wichtig, dass er sich dir nicht zu sehr nähert, sondern Abstand bewahrt. Anita war für ihn nur Mittel zum Zweck.“

Leilani grübelte. „Aber es wäre doch besser gewesen, wenn er direkt mit mir Kontakt aufgenommen hätte. Dann hätte er mich doch viel besser observieren können.“

„Sein Auftrag lautete, dich zu beobachten. Und mögliche Liebhaber zu verscheu­chen.“

Tristan horchte auf. „Wie bitte? Das ist doch …. Warum?“

Tobias hob die Schultern. „Das wusste er auch nicht. Er wusste nur, dass sie unberührt bleiben sollte.“

Kälte stieg in Leilani hoch, eine Kälte, die Übelkeit verursachte.

„Das sind zu viele Zufälle, Lani!“, raunte Tristan und seine Zähne knirschten vor Anspannung.

„Da gebe ich dir Recht. Aber was jetzt?“ Leilani verspürte plötzlich Angst, reelle und unerklärliche Angst. Etwas stimmte so ganz und gar nicht, passte nicht ins Bild.

„Ich gehe dann mal nach Hause, ihr Zwei“, sagte Tobias und sah seinen Freund lange an.

>Bleibst du heute Nacht bei ihr? <

>Natürlich. Danke, Partner. <

Tobias lächelte müde und ging. Leilani drehte sich um und kuschelte sich in Tristans Arm, barg ihr Gesicht an seine breite, muskulöse Brust. Tristan dachte nicht daran, sie jetzt loszulassen.

„Es tut mir leid, Lani“, flüsterte er irgendwann.

Sie hob den Kopf und sah ihn verwirrt an. „Was tut dir leid?“

„Das du das miterleben musst. Hätte ich dir gern erspart.“

„Das gehört zu deinem Leben, Tris. Und damit jetzt zu meinem. Irgendwann wäre ich damit konfrontiert worden, warum nicht heute? Ist schon okay, ich bin ein großes Mädchen.“

Er küsste ihre Stirn, die Schläfen, die Lider. „Ich würde gern heute Nacht hierbleiben. Ist das für dich in Ordnung?“

Leilani lächelte müde. „Ich wäre sauer gewesen, wenn du gegangen wärst.“ Sie nahm seine Hand und zog ihn in ihr Schlafzimmer.

>Weiber! <, dachte Tristan, schmunzelte aber.

Kapitel 6: „Wehre dich nicht!“

Leilani saß Anita gegenüber und hatte ein schlechtes Gewissen. Am Morgen war die dralle Kollegin mit durch Tränen aufgeweichtem Gesicht in das Büro gekommen, einen Brief in der Hand haltend. Mit stockender Stimme und kaum verständlichen Worten hatte Anita Leilani zu verstehen gegeben, dass Tufek sie von gestern auf heute einfach so verlassen hatte, um zu seiner Familie nach Tunesien zurückzukehren und eine Frau zu heiraten, der er versprochen war. Dieses hatte er in einem Brief mitgeteilt, den sie am Morgen auf der Fußmatte vor ihrer Wohnungstür gefunden hatte, zusammen mit ihrem Haus- und Wohnungsschlüssel.

>Das hat Ben wirklich gut hinbekommen. Aber warum fühle ich mich so … schuldig? <

Leilani tröstete ihre Kollegin so gut sie konnte, wohl wissend, dass sie die Wahrheit hinter der Geschichte kannte und sie ihr niemals sagen würde, sagen konnte. Ver­bitterung stieg in ihr hoch, aber sie schluckte sie wieder herunter.

>Kein Zurück! <

Anita war nach einigen Stunden von ihrer Schwester von Arbeit abgeholt und nach Hause gebracht worden. Vermutlich würde Anita den Rest der Woche zu Hause bleiben, in Schüben zwischen Wut und Trauer gefangen. Aber das war das Beste.

Leilani ging nachdenklich die Stufen in ihrem Haus hoch. Tristan hatte, nachdem er sich heute Morgen sehr liebevoll von ihr verabschiedet hatte, sich nochmal am frühen Nachmittag gemeldet. Es würde heute Abend nicht klappen, dass sie sich trafen, es war etwas dazwischengekommen. Leilani fragte nicht nach, war im Grunde auch froh, dass sie diesen Abend mal für sich hatte.

>Dreieinhalb Wochen. In dieser Zeit ist so unglaublich viel geschehen. Dreieinhalb Wochen. <

An der Wohnungstür musste sie plötzlich kichern. >Klingt wie der Titel eines Films. So in etwa. <

Kaum hatte sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen spürte Leilani, das etwas anders war.

>Nicht schon wieder! <, dachte sie und sah in die Küche.

Ein Schrank von einem Mann stand ruhig da und starrte sie mit schwarzen Augen an. Der Mann hatte ein südländisches Aussehen, schwarze, kurzgeschorene Haare und einen akkurat getrimmten Vollbart, der sich elegant um das brutal aussehende Gesicht wand. Er trug einen hellgrauen Designer-Anzug, einen dunklen Schlips und dunkle Schuhe. An dem kleinen Finger der linken Hand steckte ein goldener Ring.

Leilani kam nicht einmal auf die Idee, wegzurennen. Sie hätte keine Chance gehabt, das war ihr sofort klar, zumal der Mann jetzt, offensichtlich höflich lächelnd, die Oberlippe hochzog und zwei sehr lange und spitze Eckzähne entblößte.

Leilani schluckte. >Darius! <, schoss es ihr durch den Kopf. Der fremde Mann machte mit seiner Hand eine Geste, die sie in Richtung Wohnzimmer schickte. Sie holte tief Luft und folgte der Aufforderung. Dabei klammerte sie sich an ihre Handtasche, die sie immer noch in der Hand hielt.

Im Wohnzimmer saß Darius alias Hagen Sörensen auf dem Sessel und sah Leilani kalt lächelnd entgegen. Zwei Männer, ebenfalls in Designer-Anzügen, standen links und rechts hinter dem Sessel. Der Linke war nicht besonders groß und eher hager, sein Gesichtsausdruck wirkte gelangweilt, anteilnahmslos. Der Rechte hatte in etwa Tristans Statur, war aber ein wenig kleiner. Grausame schwarze Augen blickten sie abschätzig an, und für einen winzigen Augenblick konnte sie so etwas wie Begehren erkennen.

Leilani riss sich zusammen, um ihr Zittern zu verbergen.

„Hallo, meine Sonne.“ Darius Stimme, die die Worte von Hagen Sörensen benutzte, traf Leilani wie ein Schlag in die Magengrube. Saphirblaue Augen, so vertraut und doch fremd, sahen sie aus einem gut geschnittenen Gesicht an. Um die fein ge­schwungenen Lippen des Mannes lag ein kaltes Lächeln, der gepflegte Vollbart umrahmte Unterkiefer und Mund. Die Hände, kräftig mit kurzen, aber gepflegten Fingern, lagen gefaltet auf seinem Schoß, ein Bein war über das andere geschlagen. Darius trug einen schwarzen Anzug, offenbar vom gleichen Designer. Im Gegensatz zu seinen Lakaien trug er allerdings keine Krawatte, sondern das Hemd weit geöffnet.

 

„Hagen. Oh, verzeih. Natürlich Darius.“ Leilani wunderte sich über sich selbst: sie verspürte keine Panik, keine Wut. Sie war neugierig, was der Mann von ihr wollte. Also setzte sie sich auf die Couch ihm gegenüber und schlug ihr Bein über das andere, sah den Vampir abwartend an.

„Du hast keine Angst?“, fragte Darius leise.

Leilani lächelte bitter. „Ich habe ´ne Scheißangst, Darius. Aber ich bin auch neugie­rig. Was wird das hier?“

Darius hob jovial seine Hände. „Ich wollte meinem Mädchen mal einen Besuch abstatten.“

Leilani ließ einen verächtlichen Laut hören und deutete auf die Leibwächter. „In Begleitung der `Three Stooges´? Du hättest anrufen können, dann hätte ich Tee gemacht und Plätzchen serviert.“

„Pass auf, was du sagst!“, zischte der linke, hagere Typ und fletschte seine ausge­fahrenen Eck- und Schneidezähne. Er hatte einen schweren Akzent und Leilani tippte auf Arabisch oder zumindest in diesem Lebensraum ansässig.

„Nicht doch, Kam-al.“ Darius hob seine Hand, drehte sich aber nicht zu seinem Lakaien um. „Leilani ist verwirrt, verängstigt und wütend. Es ist in Ordnung, dass sie sich so äußert. Zumindest im Moment.“

Leilani versuchte einzuschätzen, was in Darius vorging, aber sie konnte es nicht. „Kann ich mir ein Glas Wasser holen? Ich habe einen trockenen Mund.“

Darius lächelte. „Wie unaufmerksam von mir. Jassid, bist du so nett und holst ihr etwas Wasser?“ Darius hatte seine Worte an den Schrank aus der Küche gerichtet, der sich neben Leilani platziert hatte. Der Mann nickte und ging wortlos in die Küche, kam etwas später mit einem Glas und einer Wasserflasche zurück.

>Stil haben sie ja, das muss ich sagen. < Leilani goss sich mit zitternder Hand etwas Wasser ein und trank in kleinen Schlucken, während sie von den Männern beob­achtet wurde.

„Danke, mein Kind“, sagte Darius.

Leilani stutzte einen Moment, dann wusste sie, was ihr Stiefvater meinte. „Es wäre nett, wenn du meine Gedanken nicht lesen würdest. Das gilt natürlich auch für deine … Männer.“ Ihr fiel kein Wort ein, was nicht eine beleidigte Reaktion des Linken nachgezogen hätte. Also nahm sie das neutralste Wort und verpackte es in tiefster Verachtung.

„So feurig und tapfer.“ Darius sog ihren Duft ein und ein breites Lächeln legte sich auf sein Gesicht. „Du bist also keine Jungfrau mehr. Kadian?“

Einen Moment überlegte Leilani, ob sie ihn anlügen sollte, aber das würde nichts bringen. Darius war zu erfahren um die Lüge zu erkennen, das wusste sie.

„Mit Freuden, Darius. Mit Freuden.“

Die saphirblauen Augen blitzten kurz schwarz auf, dann hatte sich der Mann wieder in seine Gewalt. „Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass er dich schon in der ersten Nacht, als du bei ihm eingebrochen bist, vergewaltigt. Oder tötet. Oder beides.“

Leilani lachte auf. „Da sieht man doch, wie wenig du über Tristan weißt.“

Die Wangenmuskeln von Darius zuckten kurz. „Ist auch nicht mehr wichtig. So, wie es jetzt ist, ist es sogar viel besser.“

Leilani trank einen Schluck und stellte das Glas auf den Tisch. „Wie meinst du das?“

„Nun, offensichtlich ist er in dich verliebt. Und damit habe ich ihn in der Hand.“

Lange sah Leilani ihren Stiefvater an, dann schüttelte sie den Kopf. „Warum, Dari­us?“, fragte sie leise. „Warum hasst du ihn so sehr. Nach allem, was du ihm angetan hast, was er durchlitten hat, verfolgst du ihn immer noch. Er hat dir doch nicht als einziger eine Niederlage beschert.“

Darius lächelte wieder. „Ah! Er hat dich in alles eingeweiht. Hat er dir auch erzählt, was wir vor seiner Wandlung mit ihm angestellt haben?“

Leilani sah in die kalten Augen des Mannes, der ihr einst so vertraut war. „Ja, hat er. Wir haben keine Geheimnisse voreinander.“

Darius lachte leise. „Das glaubst du. Hat er dir erzählt, dass er regelmäßig eine Nutte aufsucht?“

Leilanis Herzschlag setzte für einen Moment aus, dann beruhigte sie sich wieder. „Wenn das stimmt, dann war das bestimmt, bevor wir uns ineinander verliebten. Tristan würde mich nie betrügen, dass weiß ich.“

Darius sah sie prüfend an, erkannte, dass ihre Meinung über Tristan Kadian feststand. „Du fragtest, warum. Nun, weil ich ihn hasse. Nach seiner Wandlung ist er wie ein Komet aufgestiegen, hat es zu Ansehen und Ruhm gebracht. Das hatte ich nie für ihn vorgesehen.“

Leilani lachte, lachte und konnte nicht mehr aufhören. Darius sah sie zuerst fragend, dann wütend an. „Hör auf!“, schrie er.

Leilani beruhigte sich allmählich, kicherte aber noch. „Oh, Dada. Wie armselig du doch bist. So voll Neid.“

Der Hagere, Kam-al, schoss auf Leilani zu und packte sie an der Kehle. In einem ersten Impuls wollte sie sich wehren, untersagte es sich dann aber und starrte den Mann nur an.

„Kam-al!“ Darius´ scharfe Stimme pfiff den Hageren langsam zurück, aber der Blick aus den schwarzen Augen war mehr als eindeutig. Immer würde Darius ihn nicht zurückhalten können. Leilani rieb sich den malträtierten Hals und sah keuchend ihren Stiefvater an.

„Und was jetzt? Tötest du mich persönlich oder überlässt du das deinen Hand­langern?“

Darius schien zu überlegen, dann spitzte er die Lippen. „Im Moment bist du lebend von großem Wert. Ich nehme dich mit, in meine Heimat.“

Leilani zog die Brauen hoch. „Du glaubst doch nicht, dass ich dich so einfach begleite, oder?“

„Nein. Aber ich appelliere an deine Vernunft.“

Spöttisch lächelte Leilani. „Oh ja. Ich werde sehr vernünftig am Flughafen alle Menschen zusammen brüllen.“

Darius lachte trocken. „Das ist meine Kleine. Eine Kämpfernatur. Und so klug! Und weil du so klug bist, wirst du uns ohne Schwierigkeiten zu machen begleiten.“

Leilani fühlte einen Druck in ihrem Kopf und wusste, dass Darius versuchte Kon­trolle über sie zu erlangen. Sie wehrte sich, kämpfte dagegen an.

„Sieh mal einer an. Ich habe keinen Einfluss mehr auf dich. Aber vielleicht kannst du dich nicht gegen alle wehren.“

Der Druck in Leilanis Kopf nahm sprunghaft zu und sie erkannte, dass Darius´ Hand­langer ihre Fähigkeiten gegen sie einsetzten. Sie keuchte, ihre Hände krallten sich in die Couch, sie versuchte sich dagegen zu wehren.

„Wehre dich nicht, Lani“, sagte Darius sanft und die Sanftheit seiner Stimme strafte seine Taten und Worte Lüge. „Ich brauche dich noch. Also komm´ mit uns.“

Obwohl Leilani es nicht wollte, stand sie auf, ließ sich von dem Hünen, Jassid, an der Taille umfassen. Darius stand auf und nahm ihre Handtasche, öffnete sie und holte das Handy von ihr raus.

„Das werde ich noch brauchen können“, murmelte er und ließ es in seine Jacke gleiten. Dann nahm er ihre Papiere hinaus. „Wo ist dein Reisepass?“

„Im Arbeitszimmer“, antwortete Leilani ohne es zu wollen. „Schreibtisch. Oberste Schublade rechts.“

Der dritte Leibwächter, der bisher kein Wort gesagt hatte oder sich zu einer Regung hatte hinreißen lassen ging in Leilanis Arbeitszimmer. Kurz darauf kam er mit dem Reisepass in der Hand wieder heraus, händigte ihn seinem Herrn aus.

„Komm, meine Sonne. Ich habe große Pläne mit dir“, sagte Darius und ging, gefolgt von Leilani und den drei Leibwächtern, aus der Wohnung.

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