Winterkuss

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Aus der Reihe: Minnesota Christmas #1
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Kapitel 2

Erleichtert atmete Marcus Gardner aus, als der hübsch zurechtgemachte Junge das Café verließ, aber die Erinnerung an den Mann, der Steves Zwilling hätte sein können, klang noch lange in ihm nach. Sie blieb ihm erhalten, bis er und seine zwei besten Freunde sich in Arthurs Truck quetschten. Er wurde gegen die Tür gedrängt, als sie sich in Richtung des Pflegeheims in die Stadt schlängelten.

»Was nagt an dir?« Arthur griff über Paul hinweg und stieß Marcus' Knie an. Seine Wangen waren fast so rot wie sein Haar und ließen ihn wie den Weihnachtsmann in jungen Jahren aussehen.

Schulterzuckend wandte Marcus den Blick aus dem Fenster, hinter dem der Schnee wie ein Vorhang vom Himmel fiel. »Nichts.«

»Die übliche miese Laune also?« Seufzend lehnte Arthur sich in seinem Sitz zurück. »Das Wetter ist zum Kotzen, so viel steht fest. Ich weiß nicht, wo der Süße aus dem Café hin wollte, aber ich hoffe, er hat Winterreifen.«

»Er hat sich verirrt.« Das kam von Paul. Er zog seine Mütze ab und fuhr durch seine Locken, womit er sie noch stärker zerzauste, anstatt sie zu ordnen. »Patty hat sich wie eine Glucke um ihn gekümmert. Er hat gesagt, er will zurück nach Duluth. Eigentlich wollte er von dort zurück nach Minneapolis, ist aber wohl irgendwo ziemlich falsch abgebogen. Armer Kerl. Ich hoffe, er schafft es nach Hause.«

Es bestand nicht die geringste Chance, dass der Süße heute Nacht noch die Cities sehen würde. Marcus' Stirnrunzeln verstärkte sich. Was zum Teufel machte so ein Kerl überhaupt hier oben? Und dann fuhr er auch noch einen Festiva. Wie konnten diese Blechbüchsen überhaupt zulässig sein?

»Ich hätte ihm anbieten sollen, bei der Hütte vorbeizukommen. Ich hätte ihn warm halten können«, stellte Arthur fest.

Paul schnaubte. »Ein Blick in dein hässliches Gesicht hätte ihn in die Flucht geschlagen.«

Arthur grinste anzüglich und legte eine seiner gewaltigen Pranken auf die Innenseite von Pauls Schenkel. »Du scheinst mein Gesicht nicht so abstoßend zu finden, Babe.«

Paul grummelte und zog sein Bein weg. Als der Truck ausbrach, wurde Marcus aus seinen Gedanken gerissen und sah Arthur finster an. »Augen auf die Straße, Romeo.«

Arthur lehnte sich vor und starrte mit zusammengekniffenen Augen in den Schnee. »Himmel. Haben sie gesagt, dass es so schlimm werden soll? So wie das runter kommt, brauch ich in einer halben Stunde den Allradantrieb.«

»Wir können den Besuch verschieben«, bot Marcus an, obwohl er das nicht wirklich wollte.

Ablehnend wedelte Arthur mit der Hand. »Das würde uns auch nur ein paar Minuten sparen. Außerdem wärst du dann unerträglich.«

»Er wird so oder so unerträglich sein«, murmelte Paul.

Marcus drehte sich wieder zum Fenster.

Logan Manor war schon weihnachtlich geschmückt. Inmitten des wirbelnden Schnees wirkten die bunten Lichter an der Dachrinne wie ein Signalfeuer. Arthur parkte in der Nähe der Tür, aber dennoch waren sie von Kopf bis Fuß mit Schnee bedeckt, als sie die Eingangshalle betraten.

Kyle, der Nachtpfleger, lächelte Marcus an, als er am Stationstresen seine schneebedeckten Stiefel gegen Papierüberzieher eintauschte. »Sie hat gerade zu Abend gegessen und es sich jetzt vor dem Fernseher bequem gemacht.«

Marcus nickte knapp, während er seine Handschuhe in die Manteltasche schob. Er ließ den Holzfäller-Overall an, hauptsächlich deshalb, weil es mehr Arbeit wäre ihn auszuziehen, als sich angesichts der Dauer seines Verbleibs gelohnt hätte. Bei der Temperatur, die man hier eingestellt hatte, würde er jedoch definitiv in zwei Minuten schwitzen wie ein Schwein. »Wie geht's ihr heute?«

Kyle zuckte die Achseln. »Mittelprächtig. Nicht ihr bester Tag, aber auch nicht ihr schlechtester. Sie ist vielleicht ein bisschen weinerlich und desorientiert, aber sie wird wissen, wer Sie sind, und wird sich freuen, Sie zu sehen.«

»Wir warten hier.« Arthur lehnte sich über den Tresen, um Kyle ein kokettes Grinsen zuzuwerfen, woraufhin Paul finster dreinblickte und der Pfleger errötete.

Froh, diese Seifenoper namens Arthur Anderson für ein paar Minuten hinter sich zu lassen, lief Marcus den Flur entlang zu seiner Mutter.

Mimi Gardner saß zusammengesunken in ihrem Lehnstuhl, eine Steppdecke über den Beinen, ein Magazin auf ihrem Schoß, während im Fernseher die Nachrichten liefen. Als sie Marcus sah, zeigte sie mit finsterem Blick und ein wenig hilflos auf den Fernseher.

»Schatz, ich bin so froh, dass du hier bist. Ich will das nicht sehen, aber die Fernbedienung funktioniert nicht.«

Marcus angelte sie aus ihrem Schoß und richtete sie auf den Bildschirm. Geduldig erklärte er seiner Mutter erneut, wie sie damit das Programm wechseln konnte. »Willst du den Kochkanal sehen, Mom?«

»Ich weiß nicht.« Sie schien verwirrt und wütend, aber als Rachael Ray auf dem Bildschirm erschien und vergnügt und fröhlich in ihrer Küche herumflitzte, entspannte sie sich. »Ja, den da.« Sie lächelte und tätschelte Marcus' Hand. »Danke, Schatz. Hattest du eine schöne Fahrt aus der Stadt hierher?«

Marcus' Herz sank. Er hasste es, wenn sie so viel vergaß, weil das ihre Unterhaltungen immer unangenehm machte. »Ich wohne jetzt hier in Logan, erinnerst du dich?«

Erneut runzelte Mimi aufgebracht die Stirn. »Aber du hast doch diesen guten Job in der Anwaltskanzlei und diesen süßen Freund. Warum solltest du das zurücklassen?«

»Weil Steve mich betrogen und gelogen hat, sobald er den Mund aufgemacht hat. Und der Job hat mich aufgefressen.« Lächelnd nahm er ihre Hand und versuchte, die Unannehmlichkeit ihrer Vergesslichkeit zu überspielen. »Wie war das Abendessen? Hier riecht's nach Hühnchen.«

»Es war gut.« Mimi berührte ihr Haar, noch immer aufgewühlt, aber nicht so schlimm, wie es sein könnte. »Marcus, ich muss meine Haare färben lassen. Ich kann doch so morgen nicht arbeiten gehen.«

Oh, einer dieser Tage. »Du musst nicht mehr arbeiten gehen, Mom. Du bist in Rente.«

»Das ist lächerlich. Ich will nicht in Rente gehen. Wer geht schon mit dreiundfünfzig in Rente? Außerdem kann diese dumme Nuss Kristen doch gar nicht mit dem neuen Computersystem umgehen. Und sie ist furchtbar bei den Vorlesestunden.«

»Wenn du 53 wärst, Mom, hättest du mich mit 15 bekommen.«

Einen Moment lang blickte Mimi ihn noch an, dann füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Ich vergesse wieder alles, nicht wahr?«

»Ich denke, du bist müde.« Marcus strich durch ihr Haar, wobei ihm auffiel, dass es wirklich viel grauer war, als sie es eigentlich mochte. »Mal sehen, was wir tun können, um dich zu Cut'N'Curl zu bringen, sobald der Sturm vorbei ist. Vielleicht kann ich dich sogar nach Duluth fahren und dir anschließend ein schönes Abendessen spendieren.«

Sie schien ein wenig beruhigt zu sein, aber sie ließ sich in ihren Stuhl zurücksinken und sah klein, zerbrechlich und sehr alt aus. »Ich bin müde, du hast recht. Ich verstehe allerdings immer noch nicht, wie diese Kristen die Bibliothek führen kann.«

»Das tut sie nicht. Inzwischen haben sie einen jungen Mann eingestellt. Nach dem, was ich gehört habe, ist die Vorlesestunde sehr beliebt.«

Nach dem, was Marcus noch so gehört hatte, war er ein weiterer Freund von Dorothy. Für eine Stadt mit weniger als tausend Einwohnern hatte Logan zweifellos eine seltsame Homosexuellen-Quote.

Mimi drückte Marcus' Hand. »Danke, dass du vorbeigekommen bist, Marcus.«

»Natürlich.« Er strich immer noch durch ihr Haar. »Draußen herrscht ein Schneesturm, also könnte es ein paar Tage dauern, bis ich wieder vorbeischaue. Ich sage am Empfang Bescheid und lass es an die anderen Pfleger ausrichten für den Fall, dass du es vergisst.«

Sie schnaubte und verdrehte die Augen. »Ich denke, davon können wir ausgehen.«

»Shh.« Er hob ihre Hand und küsste sie. »Du kannst mich immer anrufen, das weißt du. Daran werde ich die Pfleger auch erinnern.«

»Ich hasse das«, flüsterte Mimi. »Ich bin zu jung, um so senil zu sein.«

Das war sie, aber es gab nicht viel, was daran etwas ändern könnte. Alzheimer war eine beschissene Angelegenheit. »Du bist nicht senil. Du bist meine Mutter und du bist wundervoll. Ich schaue mich gerade nach etwas eigenem um und wenn ich etwas gefunden habe, lade ich dich jedes Wochenende zum Abendessen ein.«

»Du solltest zurück in die Stadt. Hier findest du doch nie jemanden zum Ausgehen.«

Das entsprach ziemlich sicher der Wahrheit. »Ich will mit niemandem mehr ausgehen. Mit dem Quatsch bin ich durch.«

»Wer ist jetzt hier senil?«

Das flüchtige Aufflackern der Mutter, die er gekannt hatte, brachte Marcus zum Lächeln. Er küsste sie auf die Wange. »Ruh dich aus, Mom, okay? Ich rufe morgen an, um sicher zu gehen, das alles okay ist.«

Mimi küsste ihn ebenfalls. »Ich liebe dich, Schatz.«

»Ich liebe dich auch, Mom.«

Als Marcus zum Stationstresen zurückkehrte, hatte Arthur es bei Kyle aufgegeben und stritt sich stattdessen mit Paul vor dem Vogelhaus. Begierig darauf zu flirten strahlte Kyle zu Marcus hoch, als er ihm die Nachricht für seine Mutter weitergab, dass der Schnee ihn eine Weile fernhalten würde, doch Marcus ignorierte Kyle beharrlich.

Es war seltsam, dass eine kleine Stadt wie Logan voller schwuler Männer sein konnte, aber Marcus hatte gemeint, was er seiner Mutter gesagt hatte. Eine Schwulenparade könnte die Hauptstraße hinunterlaufen und Marcus würde trotzdem kein Interesse zeigen.

Obwohl der gepflegte, schlanke Junge aus der Stadt, der aussah wie eine nette und höfliche Version von Steve, wieder in seinem Kopf auftauchte, als er sich neben Paul in den Truck setzte.

Nein, ermahnte er sich. Daran war er ganz besonders nicht interessiert.

 

***

Mehrere Minuten lang saß Frankie in der bleiernen Stille seines Autos und versuchte zu verstehen, was verdammt noch mal passiert war.

Er hatte die Musik ausgemacht, weil er die letzten Reste der geistigen Stimulation loswerden musste. Er konnte spüren, wie sein Gehirn den Gedanken verarbeitete, dass er einem Elch ausgewichen war – einem Elch, um Himmels willen –, und jetzt in einem tiefen Graben festsaß, begraben unter Schnee.

Begraben. Unter Schnee.

Begraben in einem Graben unter Schnee. Im Norden von Minnesota auf einer Straße, auf der er lange, lange Zeit das einzige Auto gewesen war.

Obwohl der Schockzustand ihn weiterhin ruhig dasitzen und das Ganze verarbeiten lassen wollte, riss ihn die heraufziehende Wahrheit, dass er bald buchstäblich unter Schnee begraben sein würde, aus seiner Benommenheit und versetzte ihn in Bewegung. Mit zitternden Händen kletterte er auf den Rücksitz und fischte seine Stiefel, seine Decke, seine Wollmütze und seine dicken Handschuhe aus dem Kofferraum – die hässlichen, die er im Fachgeschäft für Landwirtschaft in Saint Peter gekauft hatte. In seiner Tasche befanden sich seine dünnen, isolierten Touchscreen-Handschuhe, über die sich Josh andauernd lustig machte, weil er das beschissenste Handy der Welt besaß, das überhaupt keine Touchfunktion hatte. Allerdings waren die Handschuhe stylisch und trendy, genau wie Frankies Mantel. Seine Columbia-Skijacke konnte ihn auf dem Gipfel eines Bergs warm halten. Für den Preis, den er bezahlt hatte, ging er davon aus, dass das auch für einen Schneesturm in Minnesota galt. Er besaß auch ein Stirnband aus Feece, das seine Haare nicht durcheinanderbrachte. Mit dieser Ausrüstung konnte er sich dem schlimmsten denkbaren Sturm in Minneapolis stellen.

Allerdings war er nicht in der Stadt. Das einzige Stück seiner üblichen Winterkleidung, das wirklich etwas taugte, war die Jacke.

Den Rest warf er zu Gunsten der Wollmütze und den dicken, dicken Handschuhen auf den Sitz. Letztere hatte er eigentlich noch nie getragen und bewahrte sie nur für einen Fall wie diesen in seinem Auto auf. Ein Fall, der nun eingetreten war.

Begraben im Schnee im Norden von Minnesota.

Ich muss hier raus. Er zog sich die Wollmütze auf und umklammerte die Decke und die Handschuhe in seinen Fingern fester. Ich muss zu einem Telefon.

Moment, er hatte ein Telefon. Mit klopfendem Herzen kramte Frankie in seiner Tasche herum.

Sein Handy hatte keinen Empfang.

Er schaltete es aus und wieder an, hielt es in alle möglichen Richtungen und dicht an die Fenster heran, aber nichts davon brachte ihm ein Signal ein.

Er saß in einem Graben fest, begraben unter Schnee, es wurde dunkel, er hätte fast einen Elch angefahren und er hatte keinen Empfang.

Frankie konnte es nicht zurückhalten: Er wimmerte. Er weinte nicht, aber ihm entkamen ein paar sehr unmännliche Laute. Er schloss die Augen und wünschte sich verzweifelt, dass er im Wohnzimmer seiner Mutter wäre oder zuhause in Minneapolis oder wieder in diesem verdammten Café, belästigt von den drei Bären.

Raus hier. Schnapp dir deine Decke, deine Handschuhe und los. Lass alles andere hier. Geh einfach. Such einen Unterschlupf.

Einen schrecklichen Augenblick lang glaubte Frankie, dass die Tür sich nicht öffnen ließ, aber nach einem panischen Schubs und einem Ächzen gab das Metall nach und ließ ihn ins Freie. Kälte schlug ihm entgegen, aber die Columbia-Jacke hielt wirklich warm und was sie nicht schützen konnte, erledigte die Decke. Frankie zog die alte Steppdecke eng um sich, als er aus dem Graben kletterte und zurück auf die Straße stolperte, auf der es kein Anzeichen mehr von einem Elch gab.

Es gab keine Anzeichen für irgendetwas, nicht einmal Reifenspuren. Als er in die Mitte der Straße stapfte, realisierte Frankie, dass niemand je sein Auto so weit unten im Graben sehen würde.

Außerdem bemerkte er die zerklüfteten Steine, die er irgendwie verfehlt hatte. Steine, die einen viel größeren Schaden hätten verursachen können, nicht nur an dem Auto, sondern auch an ihm. Frankie könnte blutend und mit Knochenbrüchen im kalten Graben liegen, unsichtbar für jeden auf der Straße – und ohne Handyempfang.

Beweg dich. Steh nicht hier rum und denk darüber nach, wie du hättest sterben können. Beweg dich. Beweg dich, beweg dich, beweg dich.

Frankie setzte sich in Bewegung, indem er die Straße in die unheimlich stille Nacht hinunterging. Inzwischen fiel der Schnee so stark, dass er dagegen anblinzeln musste, weil er an seinen Wimpern festfror. Die Schuhe und Handschuhe waren dick, aber seine Zehen und Finger begannen, gegen die Elemente zu protestieren. Er musste so was wie einen Unterschlupf finden. Irgendeinen Unterschlupf.

Er überlegte, wie lange es her gewesen war, dass er den letzten Briefkasten an der Straße gesehen hatte. Er fragte sich, ob er in Richtung der Stadt ging oder davon weg. Er fragte sich, wie kalt ihm noch werden würde, bevor er einen warmen und sicheren Ort gefunden hatte – und wie lange es dauern würde, dorthin zu gelangen.

Frankie lief eine volle halbe Stunde. Sein Handy hatte immer noch keinen Empfang, aber es hatte eine Uhr. Es war schon fast acht, als er eine Zufahrtsstraße sah. Die kleine rote Flagge am Briefkasten signalisierte ihm, dass am anderen Ende jemand lebte.

Vor Erleichterung stieß Frank ein Wimmern aus und stapfte schneller, angetrieben von dem Gedanken an Rettung. Es kümmerte ihn nicht einmal, ob dort ein Axtmörder lebte, solange er Frankie an einem warmen Plätzchen umbringen würde.

Die Hütte am Ende der Einfahrt sah nach nichts Besonderem aus, weder bedrohlich noch einladend. Auf jeden Fall lebte hier jemand, der Ansammlung von Gerümpel auf der Veranda und den Möbeln, die durch das Fenster sichtbar waren, zu urteilen, aber niemand war zu Hause – entweder das oder sie waren taub, denn Frankie hatte mit aller Kraft gegen die Tür gehämmert.

Gott sei Dank waren die Bewohner der Hütte vertrauensvoll, denn sie hatten die Tür nicht abgeschlossen. Sie schwang ganz einfach auf, als Frankie die Klinke drückte.

»Hallo?«, rief er, als er den Kopf hineinsteckte. »Jemand zu Hause?« Niemand antwortete und er schloss die Tür hinter sich, bevor er seine Stiefel hart auf der Matte im Eingangsbereich, der als eine Art Foyer konstruiert war, abtrat. »Hallo?«

Wärme umhüllte ihn – der Hauptraum war zwar keine Sauna, aber verglichen mit draußen war es angenehm. Dennoch ließ Frankie die Jacke an und die Decke eng um sich geschlungen, während er an der Tür stand und das Zuhause begutachtete, in das er eingedrungen war.

Die Hütte war nicht groß. Das ganze Erdgeschoss bestand aus einem einzigen Raum, abgesehen von einer Tür nahe der Küche, die augenscheinlich in ein Badezimmer führte, und einer zweiten, von der Frankie wetten würde, das sie zu einem Wandschrank gehörte. Stufen führten in ein Dachgeschoss hoch, aber angesichts des Grundrisses und der Neigung des Dachs konnte sich dort oben nur ein einziger Raum befinden. Es sah beinahe wie eine Jagdhütte aus, aber derzeit lebte hier jemand dauerhaft – die Post lag auf dem Tisch verstreut und ein halb aufgegessenes Essen stand neben dem Waschbecken. Offensichtlich Haferbrei, der in einer Pfanne auf dem Herd geronnen war.

Jemand lebte hier und war nicht besonders ordentlich.

Allerdings fielen Frankie keine Hinweise auf einen Axtmörder ins Auge, also lüftete Frankie seine Decke lange genug, um seine Jacke an einen Haken hinter der Tür zu hängen und seine Stiefel auszuziehen. Wollmütze und Handschuhe auf der Bank neben der Tür abgelegt, wickelte sich Frankie wieder in die Decke ein und tapste in Socken durch die Hütte, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Der Strom war abgestellt, denn keiner der Schalter funktionierte, und es gab kein Telefon. Als er nach seinem eigenen suchte, um nachzusehen, ob er Empfang hatte, konnte er es nicht finden – vermutlich hatte er es irgendwo auf der Zufahrtsstraße verloren und dieses Wissen vermittelte ihm ein Gefühl der Leere, als hätte er einen Teil von sich selbst abgeschnitten. Er kannte die Telefonnummer seiner Eltern nicht, seit sie umgezogen waren, und hatte sich auch nie eine ihrer Handynummern gemerkt. Es war zu einfach, nur ihren Namen aus der Kontaktliste auszuwählen und sich das Handy für ihn erinnern zu lassen. Das Gleiche galt für seine Arbeit und seine Freunde.

Du bist in Sicherheit. Hier ist es warm und du bist in Sicherheit.

Franke stieß die Luft aus und rollte sich auf dem Sofa vor dem kalten Kamin zusammen. Daneben waren sorgfältig Holzscheite aufgeschichtet, ebenso wie Anzünder und eine Schachtel Streichhölzer, aber Frankie ließ die Finger davon. Er beschloss, sich unter den Decken zu vergraben, die ordentlich gefaltet am anderen Ende der Couch lagen und die er gegen seine eigene feuchte Decke eintauschte, die er über einen Stuhl beim Herd legte. Falls nötig, würde er ein Feuer entzünden, aber momentan würde er sich einfach warm halten. Er würde sich warm halten und auf denjenigen warten, wer auch immer hier lebte, und dann würde er schon sehen, wie es weiterging.

Er versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass das hier die kleinste aller Kleinstädte war und wie dürftig sie jemanden wie ihn willkommen hießen. Allerdings war das gar nicht so einfach, denn in diesem Zimmer gab es nicht das kleinste Anzeichen einer weiblichen Hand. Hier lebte ein Mann alleine, einer, der nicht glauben würde, dass Frankie ein echter Mann war und möglicherweise nur ein paar besondere Arten hatte, um das deutlich zu machen.

Hör auf, schimpfte Frankie sein Angsthasen-Gehirn. Und das erste Mal in seinem Leben, hörte es zu.

Gott, aber es war so still in der Hütte.

Und kalt.

Und einsam.

Frankie schloss die Augen und zog die Decken bis zu seiner Nase hoch, um die Hütte, den Sturm und die Welt auszuschließen.

Er hatte nicht einschlafen wollen, musste es aber doch getan haben und zwar ziemlich fest, denn das Nächste, das er mitbekam, waren kräftige Hände, die ihn wachrüttelten. Nachdem er den Schlaf aus den Augen geblinzelt hatte und aufsah, sah er in drei bärtige Gesichter, die in verschiedenen Stufen der Überraschung auf ihn hinunter starrten, obwohl besonders eins verärgert zu sein schien.

Papa Bär, erkannte Frankie und dachte, er musste träumen, aber das frostige Gefühl in seinem Körper und der Druck seiner Blase verrieten ihm, dass dem nicht so war. Desorientiert, verwirrt und erschrocken starrte er zu den Männern hoch. Mama und Baby Bär waren auch anwesend, die drei Holzfäller aus dem Café.

Die, die Frankie an die Kerle erinnerten, die ihn in der Highschool gequält hatten. Erwachsen geworden und in den abgelegenen Northwoods lebend.

Oh. Scheiße.

Baby Bär lehnte sich vor und blinzelte. »Sag mal, bist du nicht der aus dem Café?«

»Ja.« Frankie versuchte, sich aufrechter hinzusetzen, aber ihm war kalt und schwindelig und er hatte Angst. »Ich bin einem Elch ausgewichen und im Graben gelandet. Ich hatte keinen Empfang mit meinem Handy, also bin ich einfach gelaufen, bis ich einen sicheren Unterschlupf gefunden habe. Deshalb bin ich hier. Tut mir leid, ich bin wohl eingeschlafen, während ich gewartet habe.«

»Himmel, ich habe dein Auto überhaupt nicht gesehen.« Die beiden anderen Männer runzelten die Stirn, aber der Blonde setzte sich ans Ende des Sofas und lächelte. »Ich bin froh, dass du okay bist. Entschuldige, dass wir nicht hier waren, als du aufgetaucht bist.« Er streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Paul.«

Frankie zog seine rechte Hand unter den Decken hervor und nahm Pauls Begrüßung an. »Frankie.«

»Arthur.« Der Rothaarige sprach schroff, aber er grinste dabei und zwinkerte, während er dem großen Dunkelhaarigen einen Stoß gegen den Arm gab – der große Dunkelhaarige, der immer noch finster dreinblickte. »Das ist Marcus, in dessen Bettchen du geschlafen hast.«

Es brauchte nur einen Blick auf den mürrischen Papa Bär und Frankie wollte zurück unter seine Decken krabbeln. »Entschuldige«, sagte er stattdessen und zwang sich zu einem Lächeln.

Papa Bär grunzte nur, drehte sich um und ging weg.

Frankie holte tief Luft und machte sich klar, dass bis jetzt niemand Anstalten dazu gemacht hatte, ihn zu schlagen oder ihm sein Essensgeld abzunehmen.

Bis jetzt.