Eines Tages hol’ ich sie mir!

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KONFIRMATION

Wenige Monate später haben beide Mädels Konfirmation.


Stine ist konfirmiert

Auch Stines Tante, eine Schwester ihres Vaters, und deren Sohn, Stines Cousin, sind eingeladen. Schon im Sommer zuvor ist dieser mit seinem Freund zu Besuch gewesen und hat sich offensichtlich in Stines Mutter verliebt, die mit Stines Vater nicht glücklich ist. Auch Stine leidet schon jahrelang sehr unter der Disharmonie zwischen ihren Eltern. Sie selber sagte ihrer Mutter schon Monate vorher, dass sie den Vater doch verlassen sollte, weil es hier nicht auszuhalten ist. Stine kann schlecht einschlafen wegen des Kraches zwischen ihren Eltern. Trost findet sie in einem winzigen Teddybären. Durch Kratzen an der Bettdecke verschafft sie sich monotone Geräusche, auf die sie sich zu konzentrieren versucht, um überhaupt in den Schlaf zu kommen.

Was Stine an diesem Tag noch nicht ahnt ist, dass es die letzte Feier mit der Familie ist.

Sie bekommt herrliche Azaleen geschenkt, die sie liebevoll in ihrem Zimmer platziert. Sie stehen noch in voller Blüte als Stines Mutter eines Morgens verkündet, dass sie ausziehen will. Wer will, könnte mitkommen. Gleich käme Opa mit dem Gummiwagen und würde alles zu Oma in das Siedlungshaus bringen. Natürlich will Stine mit und ihr Bruder Holly auch. Damit ist der Traum vom eigenen Zimmer schnell ausgeträumt.

Stines Mutter und ihr Bruder teilen sich jetzt ein Zimmer im Hause der Großeltern. Stines Tante Emma, die jüngste Schwester ihrer Mutter und fünf Jahre jünger als Stine, muss sich nun ihr Zimmer mit Stine teilen. Das ist aber kein Problem, denn beide Mädels verstehen sich prächtig. Sie hätten ja auch Schwestern sein können statt Tante und Nichte.

TRENNUNG DER FREUNDINNEN, WEIL STINE WEGZIEHT

Die letzten zwei Schuljahre sind nicht einfach. Sie sind von zwei Kurzschuljahren geprägt, weil der Termin für den Schuljahreswechsel auf vor die Sommerferien verlegt wird. Auch in Schleswig-Holstein gibt es ein einziges langes Schuljahr, das zwei Klassenstufen auf einmal erfasst ohne Einschulung und Versetzung am 01. Dez. 1966. So kommt es, dass Schulanfänger Ostern 1966 in die Klasse »1/​2«, aus der im Herbst 1967 in die Klasse 3 versetzt werden. Die Schulabgänger haben zwei kurze Schuljahre, wodurch erforderlich wird, den Unterrichtsstoff zu straffen. Zum Glück wird den Schülern der 10. Klasse die sonst übliche Jahresarbeit erlassen. Ungeschickt ist nur, dass in jedem Bundesland andere Prioritäten gelten.

Das bekommt auch Stine zu spüren, denn sie wechselt wenige Monate vor Erlangen der Mittleren Reife (heute Realschulreife) das Bundesland, d. h., dass sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Niedersachsen zieht. Gut, sie hätte auch bei ihrer Oma bleiben können bis zum Ende der Schulzeit. Allerdings wollte Stine das nicht und lieber mit ihrer Mutter umziehen.

So setzt sich an einem kalten Februartag der große Umzugswagen in Bewegung und bringt Stine, ihren Bruder und ihre Mutter samt ihrer bescheidenen Habseligkeiten nach Hardegsen am Solling.

Dort haben sie zusammen mit Stines Cousin, dem Freund ihrer Mutter, den unteren Teil eines Hauses gemietet. Leider gibt es nur ein etwas größeres Kinderzimmer, das Stine sich nun wieder mit ihrem Bruder teilen muss. Es wird aber zweckmäßig zu Stines Gunsten eingerichtet, denn als Mädchen, das fast erwachsen ist, hat sie einfach Mehrbedarf.

Die für sie zuständige Schule befindet sich in Moringen und ist mit einem Schulbus gut zu erreichen. Nur schließt sich der Unterrichtsstoff nicht dem in Travemünde an, was besonders in Mathematik problematisch wird. Die Lücken, bedingt durch die Kurzschuljahre und den Umzug, sind einfach zu gravierend. Na gut, Stine boxt sich durch, kann aber ihre Zwei in Mathe nun nicht mehr halten. Zwar schade, aber nicht den Abschluss gefährdend. Stine bekommt das Zeugnis ihrer Mittleren Reife in Moringen. Lara erreicht ihre Mittlere Reife in Travemünde.

Eigentlich ist es Stines Plan, nach der Mittelschule aufs Wirtschaftsgymnasium zu wechseln, um dort das Abitur zu erlangen, welches für das Studium auf Lehramt erforderlich ist.

Stines Mutter macht ihr weiterhin Angst, dass sie doch schwanger werden könnte und sowieso sei ein Studium nicht nötig. Die Gesamtsituation zwingt Stine indirekt dazu, ihren Plan zu ändern. Sie lässt sich dazu überreden, doch eine Ausbildung in einer Bank zu machen. Durch eine Lehrerin erfährt Stine, dass deren Ehemann, Geschäftsführer einer Spar- und Darlehnskasse, eine Auszubildende gebrauchen könnte.

Am 01. August 1967 beginnt Stines dreijährige Ausbildung zum Bankkaufmann-Gehilfen. Gleichzeitig startet auch ihre Freundin Lara eine Bankausbildung in einer Handelsbank, weil ihr Vater es für sinnvoll hält. Beide junge Damen finden sich mit ihrem Schicksal ab und machen das Beste aus der Situation.

Briefe flattern hin und her, in denen sich beide allerlei Privates mitteilen. Auch telefonieren sie mal, was aber nicht so einfach ist, denn in Stines Zuhause gibt es leider kein Telefon. In der Wohnung über ihnen wohnt ein pensionierter Major, der über ein Telefon verfügt und nichts dagegen hat, wenn Lara mal bei ihm anruft um mit Stine zu sprechen.

Im darauf folgenden Jahr planen Lara und Stine ihren Urlaub so, dass sie eine Woche gemeinsam haben. In dieser Woche soll Stine Lara besuchen.

LARA HAT IHRE FREUNDIN EINGELADEN

Stine packt mit massiger Vorfreude ihre große Tasche, um für eine Woche ihre Freundin Lara, die bei Travemünde wohnt, zu besuchen.

Die inzwischen jungen Damen haben sich schon über ein Jahr nicht mehr gesehen und beide fiebern dem Wiedersehen neugierig entgegen.

Endlich ist der lange herbeigesehnte Tag gekommen. Die Fahrkarte ist gekauft und Stine parat für die große Reise. Es ist erst die zweite Reise in ihrem Leben, denn Stines Familie hatte für Reisen leider kein Geld. Die erste Reise machte Stine ca. 14 Jahren. Damals noch mit der vollständigen Familie inklusive ihres Vaters von Warnsdorf in den Solling, um die Familie der Schwester ihres Vaters zu besuchen.

Ja, und nun kommt ihre zweite Reise und dann noch ganz alleine. Zum Glück ist es nicht weit bis zum Bahnhof. Die 300 Meter wird sie von ihrer Mutter begleitet. Ach, was ist Stine aufgeregt und fiebert der Ankunft des Zuges entgegen. Wird auch alles klar gehen? Immerhin muss sie in Northeim, in Hamburg und in Lübeck umsteigen. Das ist schon kritisch, denn Stine kennt sich eben nicht aus. Zum Glück hatte ihr Stiefvater ihr genau erklärt wie es so ist mit dem Umsteigen.

Auf dem Bahnhof hat sie sich alle Umsteigezeiten und die Bahnsteige der Ankunft und Abfahrt aufschreiben lassen.

»Tschu, tschu, Tschu« und das ihr bekannte »Tuuuut« erklingen, als der Zug in den Bahnhof einrollt.

»Nicht so dicht an die Kante«, ermahnt Stines Mutter, »sonst reißt dich der Zug noch mit.«

»Drrrrrrrrrrrr«, erklingt es, als die Eisenbahn stoppt.

Stines Mutter hilft, die Tür zu öffnen, geht doch etwas schwer.

Nun aber »tschüüüsss, viel Spaß und komm heil wieder«, hörte sie ihre Mutter sagen.

Nun steigen Stine aber doch Tränen des Abschieds in die Augen, und sie bringt keinen Ton heraus. Rein in den Wagon »Nichtraucher« und schnell einen Platz am Fenster. Gleich darauf ertönt die Pfeife des Schaffners, was besagte, dass alles klar zur Abfahrt wäre.

»Tschu, tschu, tschu«, ertönte es von der Lokomotive, und dann das ihr vertraute »Tuuuuuuut«, denn das konnte Stine stets zu Hause hören.

Stine und ihre Mutter winken sich zu bis ihre Mutter nicht mehr zu sehen ist.

Bis Northeim sind es nur wenige Kilometer.

Stine steht schon lange vor der Ankunft an der Tür, um ja schnell aus dem Zug zu kommen. Okay, nun zum Bahnsteig Richtung Hamburg. Das ist einfach, denn der Bahnsteig liegt gegenüber. Der Zug kommt bald und Stine nimmt wieder am Fenster Platz, denn sie will etwas sehen, wenn sie schon mal unterwegs ist.

Bis Hamburg, das dauert schon etwas länger. Dann kommt der Bahnhof. Oh weia, wie groß der ist, staunt Stine und hat doch etwas Mühe, das Gleis für den Anschluss-Zug nach Lübeck zu erreichen. Auch noch die Treppe hoch, dann weitere 100 Meter und wieder die Treppe runter zum Gleis 13. Ach, da steht er schon, der Zug, der in Richtung Lübeck fährt.

Sicherheitshalber schaut Stine, ob die Verbindung oben an der Tafel angezeigt wird und auf dem Zug auch wirklich »Lübeck« steht. Sie hievt ihre schwere Tasche die Stufen hoch und findet ein Nichtraucher-Abteil mit freiem Fensterplatz. Das letzte Umsteigen in Lübeck, um in den Zug nach Travemünde zu gelangen, ist einfacher.

Mit jedem Meter steigt in Stine die Spannung, Würde sie auch abgeholt werden? Lara hat doch zugesagt, dass ihre Mutter und sie mit dem Auto in Travemünde am Hafen-Bahnhof, der sich hinter ihrer früheren Schule befindet, abholen würde.

»Drrrr«, macht der Zug und hält.

Stine entdeckt schnell ihre Freundin und deren Mutter, denn dieser Bahnhof ist klein und übersichtlich. Sie fallen sich in die Arme und freuen sich alle, dass es so gut geklappt hat. Natürlich wollen sie wissen, wie denn die Reise war und ob Stine die Umsteigereien gut bewältigt hat.

Laras Mutter öffnet den Kofferraum ihres VW’s, lädt Stines Tasche ein und ab geht es zum Anwesen von Laras Eltern, das ein paar Kilometer außerhalb von Travemünde liegt.

Dann bringt Stine ihr Gepäck in das Zimmer ihrer Freundin, wo ja immer noch das Klappbett für sie parat steht. Danach gibt es lecker Essen, denn Laras Mutter ist eine ausgezeichnete Köchin. Immer wieder werden gegenseitig Fragen gestellt und muss alles ganz genau erzählt werden. Die Freundinnen verbringen die Tage mit an den Strand fahren, gemeinsam kochen und ausgiebigen Spaziergängen. Einen Regentag genießen beide in Lübeck in der Schwimmhalle. Es muss doch noch etwas geben, was nicht alltäglich ist, denn schließlich haben sie Urlaub. Somit überlegen die jungen Damen, was nach »Urlaub« schmecken könnte und beschließen, mit dem Fährschiff Gedser von Travemünde nach Rodby in Dänemark zu fahren. Dann weiter mit einer anderen Fähre von Rodby nach Puttgarden/​Fehmarn, auf der dann ein Büfett an Bord gegessen werden könnte.

 

Zurück von Puttgarden auf der Vogelfluglinie über die Fehmarnsund-Brücke mit dem Zug nach Lübeck. Dann wieder mit dem Bus Richtung Travemünde.

Laras Vater hat gleich einen Auftrag, in Rodby auf Lolland unbedingt nach seinem Segelschiff zu sehen, ob es noch gut angetaut sei und alles okay ist. Das verspricht, eine tolle und interessante Reise zu werden. Somit wird nun genau festgelegt, an welchem Tag es los gehen soll und die Karten besorgt.

Dann ist der Tag der Seereise gekommen. Zu Fuß geht es zunächst einmal zur etwa zwei Kilometer entfernten Bushaltestelle. Der Bus bringt sie nach Travemünde zum Skandinavien-Kai, wo schon das große Schiff angetaut auf Reisende nach Gedser wartet. So ein riesiges Schiff! Gesehen hatte Stine diese Fährschiffe ja fast täglich, war aber noch nie mitgefahren. Das Gefühl, das die Mädchen befällt, ist unbeschreiblich. Sie kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was gibt da alles zu sehen? Riesige Restaurants und so viele Decks. Immer die Treppen rauf und runter wird alles erkundet.

»Ach, was ist das denn?«, staunt Stine, »da sind ja so viele Autos unten im Schiff. Toll, da lassen wir uns gleich mal fotografieren vor den Autos, dass das unsere Freunde auch glauben.«

Lara hält es für besser, die bis dahin zusammengebundenen Haare nun zu lösen, offen zu tragen und mit einem breiten Stirnband zu halten. So würden sie erwachsener aussehen. Was haben die Freundinnen damit ihr Vergnügen.

Das Auslaufen durch die Trave in die Ostsee, vorbei an Travemünde, all den Brücken mit kleineren Schiffen, der Halbinsel Priwall, wo das wunderschöne ehemalige Segelschulschiff »Passat« liegt, den alten Leuchtturm, das Maritim und die lange Mole, das allein ist schon ein Erlebnis vom Schiff aus gesehen.

Es wird heftig gewinkt und Passagiere anderer Schiffen winken zurück, auch die Touristen in Travemünde, die am Kai spazierengehen, grüßen bzw. erwidern den Gruß der Passagiere auf dem auslaufenden Fährschiff, das von Lotsenschiffen durch die Trave begleitet wird.


Unten im Schiff bei den Bussen und Autos

In Höhe der Mole hupt das große, weiße Fährschiff zum Abschied.

Weiter und weiter entfernt sich die Gedser vom Ufer und vom Strand. Die Möwen haben noch eine Zeitlang Vergnügen, in dem aufgewirbelten Fahrwasser nach Fischen zu schnappen. Dann fliegen sie zurück. Immer kleiner werdend verschwindet auch langsam die Silhouette des Maritims am Horizont. Nun sind sie mitten auf der Ostsee und lassen sich an Deck den Wind um ihre Nasen wehen, was die beiden Freundinnen jedenfalls sehr genießen.

Dann »Land in Sicht«, allgemeine Aufregung. Wir sind in Dänemark.

Nach einer Weile enttäuschte Gesichter, denn Rodby auf Lolland in Dänemark hört sich zwar gewaltig an, aber zeigt nichts her. Eine öde und langweilige Anlegestelle mit einer mittelmäßigen Marina, wo Segelboote liegen.

Die Mädels steigen aus und suchen das Segelboot von Laras Vater.

»Ach, das liegt aber weit hinten«, verkündet Lara und Stine fragt: »Weißt du denn wie es heißt?«

»Ja, Seewind.«

Da ist es endlich, und alle Taue sind zum Glück fest. Auch sonst scheint alles in Ordnung zu sein.

»Wo ist denn nun das Schiff, mit dem wir von Rodby nach Puttgarden wollen?«, fragt Stine, da sie es nicht sehen kann.

Okay, Lara weiß den Weg, und die Mädels schlendern zum Kai … und siehe da, da liegt es schon erwartungsvoll. Die Mädels gehen an Deck und suchen sich einen schönen Platz am Fenster, denn inzwischen ist es kühler geworden. Endlich »Leinen los« und volle Fahrt auf Puttgarden, einem kleinen Ort im Norden der Ostseeinsel Fehmarn, die durch eine Brücke mit dem Festland verbunden zu einer Halbinsel wurde. Die Mädels freuen sich mächtig auf das nordische Büfett, das es jetzt gibt. Der leckere Anblick des mächtigen Büfetts sorgt dafür, dass sich bei den Freundinnen mehr und mehr der Hunger einstellt. Lara belehrt ihre Freundin, dass es nicht erlaubt ist, sofort darauf loszustürzen. Erst muss es eröffnet werden. Mit weiteren duftenden Speisen werden die vielen Tische des Büfetts bestückt. H’m, und wie köstlich alles aussieht.

Endlich ist es soweit und ein Stuart verkündet: »Das Büfett ist eröffnet.«

Das wird aber auch höchste Zeit, denn lange hätten die knurrenden Mägen es nicht mehr ausgehalten.

Lara gibt Stine nun Anweisungen, wie es geht mit dem Essen vom Büfett. »Stine, du kannst so oft gehen wie du willst. Deshalb packe dir nicht den Teller so voll; außerdem sieht es nicht gut aus und schmeckt dann durcheinander, weil zu viel übereinander liegt.«

»Okay, muss ja ‘nen Dummen erst einmal gesagt werden«, bedankt sich Stine.

Dann pirschen sich beide an das Büfett heran. Zunächst einmal bestaunen die Mädels all die feinen Köstlichkeiten. Ganze Fische mit großem Maul thronen über dem langen Tisch. So viele leckere Salate, Fisch und Fleisch in allen Variationen, gar nicht so einfach, etwas auszuwählen. Natürlich wollen die Mädels das essen, was es zu Hause nicht gibt, besonders die leckeren Fische. H’m, lecker, lecker, lecker … Immer wieder gehen die »jungen Damen« in Richtung Büfett und suchen sich weitere Leckereien aus bis aber auch wirklich nichts mehr hineinpasst … auch, wenn die Augen noch so viel gerne hätten.

Stine, als Fan von Wilhelm Busch, denkt dabei an Max und Moritz, die alle Hühner der armen Witwe Bolte vertilgt haben bis oben durch den Hals aus dem Munde noch jeweils ein Bein herausschaute.

So vergeht die Zeit auf hoher See nach Puttgarden schnell. Runter vom Schiff und den Bahnhof suchen, denn von hier wollen sie den Zug nach Lübeck nehmen. Die Fahrt hatten sie schon von zu Hause aus gebucht.

»Ach, da ist er ja schon, der Bahnhof … welcher Zug … wo fährt er ab?«

Lara kennt sich aus und findet schnell das richtige Gleis mit dem entsprechenden Zug.

»Supi, nun kann ja nicht mehr viel schief gehen«, freut sich Stine und setzt sich zu ihrer Freundin Lara in ein Eisenbahn-Abteil.

Beide schwärmen während der ganzen Fahrt von dem wunderbaren und ereignisreichen Tag.

In Lübeck müssen sie noch einmal umsteigen in den Bus, der sie in Richtung Travemünde bringt. Die letzten zwei Kilometer ist wieder Fußmarsch angesagt, was gerade noch so zu mit fast letzter Kraft schaffen ist.

Die gemeinsamen Tage vergehen wie im Fluge.

Der Tag der Abreise von Stine ist gekommen. Im Auto von Laras Mutter geht es zum Bahnhof.

»Ja, echt schade, dass du schon wieder weg musst«, sagt Lara traurig.

Stine entgegnet: »Wir schreiben uns doch wieder; und telefonieren können wir auch ab und zu. Und im nächsten Urlaub, liebe Lara, kommst du mich in Hardegsen besuchen.« Mit diesem Lichtblick verabschieden sich die Freundinnen.

Stine steht noch im Abteil des Zuges am Fenster und winkt bis Lara und ihre Mutter sich scheinbar aufgelöst haben.

Die Rückfahrt ist wesentlich entspannter für Stine, denn durch das viele Umsteigen auf der Hinreise hatte sie Übung bekommen.

Nach stundenlanger Fahrt mit x-maligem Umstiegen hält der Zug endlich in Hardegsen, wo Stine von ihrer Mutter auf dem Bahnsteig schon erwartet wird.

Noch tagelang erzählt Stine von den ereignisreichen Tagen bei Lara.

Nichts desto trotz hat der Alltag mit all seinen Pflichten sie wieder voll im Griff.

Lara wird von ihren Eltern ins gesellschaftliche Leben eingeführt und besucht einen Presseball, wie aus einem ihrer Briefe zu entnehmen ist.

Von einem Bernhard hat sie sich getrennt und wieder dem Werben ihres Kollegen Bert nachgegeben, der nun in die Sparkassen-Filiale zurückgekommen ist.

In einem Brief schreibt Lara ihrer Freundin Stine, dass sie ihn immer noch sehr nett findet. Sie hätten sich ausgesprochen und nun wieder versöhnt. Auch liest Stine, dass Lara schon einige Male im Kino gewesen sei und immer denselben Film angeschaut hat: »Vom Winde verweht«. Stine sollte ihn sich unbedingt anschauen und auch das Buch lesen. Lara schreibt, dass es der beste Film sei, den sie in ihrem Leben gesehen hat.

Endlich ist es wieder die Zeit, dass beide Freundinnen ihren Urlaub planen. Dieses Mal kommt Lara zu Stine.

GEGENBESUCH VON LARA BEI STINE UND HÖHNER IN GUMMIGALOSCHEN

Stine bereitet mit ihrer Mutter alles für den Besuch ihrer Freundin Lara vor. Es ist nicht nötig, Stines Bruder aus dem gemeinsamen Zimmer auszuquartieren, denn der macht glücklicherweise Urlaub bei seinem Freund in Warnsdorf und hilft dort bei der Ernte.

Das Zimmer wird gründlich geputzt, das Bett für Lara frisch und hübsch mit einem geblümten Bezug bezogen. Im kleinen Kleiderschrank wird Platz geschaffen für Laras Sachen; und ein Teil der Garderobe ihres Bruders vorübergehend in den Keller gebracht. Auf den kleinen Tisch kommen frische Blumen aus dem Garten.

Nun ist der Tag gekommen, an dem sich die Freundinnen endlich wieder in die Arme schließen können. Stines Mutter hat Kartoffelsalat vorbereitet. Gegen Mittag klingelt es an der Tür und Lara steht da in Begleitung ihrer Mutter, die sie mit dem Auto gebracht hat. Gemeinsam wird Kartoffelsalat mit Würstchen gegessen. Stine zeigt Laras Mutter stolz ihre schöne Wohnung. Nach einer lockeren Plauderei verabschiedet sich Laras Mutter.

Die Mädels räumen Laras Sachen in den Schrank und machen zunächst einmal einen Spaziergang in den ganz in der Nähe liegenden Wildpark. Dabei tauschen sie alle Neuigkeiten aus.

Am Abend dürfen sie in die, in der Nachbarschaft gelegene, Diskothek am Bahnhof. Das ist ganz in der Nähe. Nun ja, und so klein sind die Mädels inzwischen auch nicht mehr mit ihren 18 Jahren. Natürlich treffen sich dort viele Jugendliche des Ortes und auch aus der Nachbarortschaften.

Lara wirft gleich ein Auge auf Holger, der nicht abgeneigt ist. Stine tanzt mit einem jungen Mann aus Moringen. Es ist ein amüsanter Abend; und alle verstehen sich prächtig. So kommt es, dass sie sich für den übernächsten Tag verabreden. Gemeinsam wollen alle in die Weper, einen Höhenzug von Hardegsen, gehen.

Die jungen Damen kleiden sich zweckmäßig und trotzdem nett. Es ist ja Sommer und lange hell.

Somit sind sie zu 19 Uhr in der Stadt verabredet. Lara und Stine können schon aus der Ferne die jungen Männer sehen. Alle freuen sich über das Wiedersehen. Stine kennt sich gut aus und übernimmt die Führung. Es geht zum Ortsausgang Richtung Lutterhausen, aber nicht auf der Hauptstraße, sondern zur sogenannten Zwetschgen-Allee an der Zement-Fabrik vorbei. Auf halber Strecke biegen sie links ab in den Wanderweg, der in die Weper führt. Stine liebt diesen Weg, denn von da oben werden sie mit einem herrlichen Blick auf die Stadt belohnt.

»Ach nee«, staunt Holger, »hier steht ja sogar eine Bank und dann noch so versteckt.«

Stine will gerne weitergehen, aber Lara und Holger müssen zunächst einmal die Bank ausprobieren. Stine kann sehen, dass sie sich umarmen und eventuell sogar küssen. »Wir wollen aber noch weiter«, ermahnt Stine.

Langsam kommen Lara und Holger angetrottet, um gemeinsam den Weg fortzusetzen. Es gibt noch viel zu sehen. Zum Beispiel die Falkenburg, die eine kleine Ecke hinter dem Bahnhof liegt.


Die Falkenburg mit ihren gigantischen Felsen

Es ist keine richtige Burg, eher eine Höhle im Berg und von hohen Hängen umgeben. Manchmal sind hier Falken zu sehen. Dieses Glück haben die jungen Leute allerdings heute nicht. Aber allein die Vorstellung, dass es hier Falken gibt, ist einfach märchenhaft.

Der Rundweg endet am Wildgehege, das in der Nähe von Stines Zuhause liegt. Sie verabreden sich für Donnerstag.

 

Stine meint, dann könnten sie doch mal nach Ertinghausen gehen. Das sei ein Dorf, das in einer Sackgasse liegt, aber sogar einen Bahnhof hat.

Für Mittwoch ist ein Ausflug nach Göttingen angesagt. Lara ist ganz angetan von der langen herrlichen Fußgängerzone mit vielen interessanten Geschäften. Die jungen Damen schnüffeln die Kaufhäuser und kleineren Läden durch, ob etwas besonders Hübsches zum Anziehen zu finden ist. Und siehe da, sie werden fündig. Lara kann sich von einem roten Sommerkleid mit großem Ausschnitt nicht trennen und investiert dafür einen großen Teil ihres Urlaubsbudgets. Stine gönnt sich eine Rüschenbluse mit Blütenmuster, weil sie so schön romantisch aussieht. Auch die Fachwerkhäuser ziehen ihre Aufmerksamkeit an.

»So ein wunderschönes Rathaus mit einem Gänseliesel-Brunnen davor«, staunt Lara. Stine lässt Lara wissen, dass jeder Student das Gänseliesel küssen muss, weil es Glück bringen soll.

Dieser Marktplatz lädt zum Verweilen ein mit seinen hübschen Bänken und bunten Blumen. Daran finden die Freundinnen Gefallen und holen sich jede eine Riesen-Waffeltüte mit leckerem Eis.

Die Sonne und das Ambiente genießend finden sie es auch interessant, die vorüber gehenden Leute zu beobachten.

»Schau mal, wie findest du den denn?«, fragt Lara, als ein äußerst gut aussehender junger Mann die Straße passiert.

»Ach nee«, antwortet Stine, »der ist nicht mein Typ mit seinem Bart und den rötlichen Haaren. Ich stehe auf Männer mit schwarzen Haaren und etwas bräunlichem Teint.«

So schauen sie sich die vorbeischlendernde Männerwelt an und geben entsprechende Kommentare ab.

Am späten Nachmittag wird es Zeit, zur Bushaltestelle zu gehen, um die Rückfahrt anzutreten. Während der Fahrt lassen die Mädels noch einmal alles Gesehene und Erlebte Revue passieren. Zufrieden erreichen sie Hardegsen und bummeln nach Hause.

Vor dem Einschlafen wird immer viel gequatscht über die Familie, die Arbeit und was jede so alles im Alltag erlebt hat. Stine wundert sich, dass Laras Mutter einmal zu Lara gesagt hat:

»Mit den Männern ist es wie mit dem Pudding. Wie willst du wissen, welcher dir am Besten schmeckt, wenn du nur einen probiert hast?«

Die Zeiten, sich für den »Richtigen« aufzusparen, gehören schon damals der Vergangenheit an.

»Woher sollen wir auch wissen, welcher Mann der ›Richtige‹ für uns ist, wenn wir gleich den Erstbesten nehmen und behalten würden«, ergänzt Stine.

»Gute Nacht und schlafe gut.«

»Du auch.«

Heute ist Donnerstag; und der Fußmarsch nach Ertinghausen in männlicher Begleitung steht auf dem Plan. Pünktlich klingeln die jungen Männer; und die Vier machen sich auf den Weg. Zunächst einmal gehen sie durch den Wildpark. Das große Gehege mit den Wildschweinen, die gerade Junge haben, ist einfach toll anzusehen. »Ach, die süßen Kleinen, die sind noch ganz gestreift, freut sich Lara, »und schaut doch mal, wie die drängeln, um bei der Mutter-Sau Milch zu bekommen.«

Nun über den Bach mit den Forellen. »Die können mit der Hand gefangen werden«, sagt Stine. Die beiden jungen Männer stecken doch tatsächlich ihre Hände ins fließende Wasser und versuchen, einen Fisch zu schnappen. »Geht heute wohl nicht«, meint Stine, »sehen Euren Schatten. Kommt, lasst uns weitergehen.«

Nun entdeckt Lara ein Wasserbecken in der Landschaft und ist ganz erstaunt, als Stine erklärt, dass es ein Fußtretbecken sei. Nee, so etwas hatte sie noch nie gesehen. Ist schon verlockend, aber niemand hat Lust, nach dem Wassertreten mit nassen Füßen in Socken und Schuhen zu laufen.

»Da hinten der Wald«, sagt Stine, »das ist ein Märchenwald mit ganz vielen nachgebauten Märchen.«

»Wirklich«, staunt Lara, »dann lass uns doch gleich hingehen.«

»Okay«, antwortet Stine, »nach Ertinghausen sind es ‘eh nur zwei Kilometer, das schaffen wir noch.«

Nur etwa 200 Meter in den Wald hinein und schon ist das erste aufgebaute Märchen zu sehen. »Tatsächlich«, staunt Lara«, das ist Schneewittchen mit den sieben Zwergen.«

»Das ist aber zauberhaft.«

Nach wenigen Schritten bestaunen sie das Märchen »Hänsel und Gretel«. Lara ist ganz entzückt und kann sich kaum trennen von diesem Anblick.

»Ach, schaut doch mal«, ruft sie, als sie das Märchen vom »Rotkäppchen« entdeckt, »und da ist ja noch eines versteckt; das sind doch die ›Sieben Geißlein‹. Das ist so süß dargestellt.«

Die beiden jungen Männer hatten diesen Anlagen zwar schon einmal gesehen, aber sind genau wie Stine erneut entzückt.

Nachdem sie alles wieder und wieder bestaunt haben, verlassen die Vier den Wald, erreichen zügig die Straße und passieren nach wenigen Metern den Tunnel unter der Eisenbahn. Rechts und links wird ihr Weg von Tannenwäldern begleitet, was wieder etwas Märchenhaftes hat. Ein paar Kurven weiter liegt das Dorf Ertinghausen vor ihnen mitten im Wald und an einen Hang gekuschelt. Die wenigen Häuser sind leicht zu zählen.

»Ach was«, lässt Lara verlauten, »die haben doch tatsächlich eine Gaststätte hier. Und das soll sich lohnen?«

Stine erwidert, dass dort auch Zimmer vermietet werden. Dieser Ort in der Sackgasse ist ein Geheimtipp für Gestresste und Verliebte, weil sie hier ihre absolute Ruhe haben.

Irgendwie macht der Gasthof einen urigen Eindruck. Da alle durstig sind, öffnen sie die schwere quietschende Eichentür und betreten die etwas dunkel wirkende Gaststube. Gleich rechts kommen sie an eine Theke mit Zapfhähnen vorbei und steuern auf die wenigen Tische mit Stühlen zu, die alle leer sind. »Komisch, dass keiner zu sehen ist«, wundert sich Lara.

Aber Stine meint, dass es auf den Dörfern nicht ungewöhnlich ist, dass alle Türen offen sind und niemand in Sicht. »Hallo, ist da denn niemand?«, ruft Stine in den Raum hinein.

Nach einer Weile schlurzt ein schon älterer Mann, der offensichtlich die Füße nicht mehr richtig heben kann, von hinter der Theke kommend in die Gaststube und grüßt mit: »Gooden Dach, wat kann ick för sei dohn (Guten Tag, was kann ich für sie tuen?)?«

Stine fragt: »Könnt we wat to drinken hem (Können wir etwas zu Trinken bekommen?)?«

»Wat sall dat denn sinn (Was darf es denn sein?)?«, will der merkwürdig ausschauende Gastwirt wissen.

Stine fragt ihn, ob er Cola hätte. »Dat hebt wi (Das haben wir)«, entgegnet der Wirt brummig; und Stine bestellt vier Cola mit Strohhalmen, denn sie hat Bedenken, dass die Gläser nicht besonders sauber sein könnten und sie dann Gefahr laufen würde, Herpes zu bekommen, da sie dafür sehr empfänglich ist. »Dor möt ick mal kieken, ob dor noch Halms tou finden sünd (Da muss ich mal sehen, ob ich noch Strohhalme finde).«

Lara, die sich sichtlich unwohl fühlt, steht das Entsetzen im Gesicht geschrieben, sagt aber nichts. Die Vier setzen sich an einen dunklen Holztisch mit Plastikblumen in einer nicht mehr ganz heilen Vase. Sie blicken etwas irritiert umher und beobachten gespannt den Wirt. Dieser trägt eine dunkle Manchester-Arbeitshose, die schon etwas mitgenommen aussieht und ein kariertes halb offenes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Seine Füße stecken in alten löchrigen Pantoffeln. Mit schlurzigen Beinbewegungen und einem Tablett mit vier Gläsern Cola drauf nähert sich dieser dem Tisch. Er stellt die Gläser, sogar mit Strohhalmen drin, auf den Tisch und fragt: »Sünd jou ut Hardegsen or anderswo her? (Seid ihr aus Hardegsen oder woanders her)«, was dieses Mal sogar die anderen Drei verstehen bzw. vermuten.

Es entwickelt sich eine lockere Unterhaltung, die dem Wirt zu gefallen scheint.

Stine fragt ihn, ob er denn seine Zimmer alle vermietet hätte. »Nee, vun Tog nich, för Sünabend hebt sick aber Lüe anmeld (Nein, heute nicht, aber für Samstag haben sich Leute angemeldet)«, brummelt er aus seinem unrasierten Gesicht, auf dem die Haare wie gerade aufgestanden wirken. Mit seiner befleckten alten Hose, über die sein Bauch, wie ihn fast alle Gastwirte haben, etwas rüberhängt, dem karierten Hemd, das leicht geöffnet ist und den alten durchlöcherten Hausschuhen sieht er wirklich gewöhnungsbedürftig aus. Er scheint ihre Blicke zu spüren und erklärt, dass er in erster Linie Landwirt sei und das kleine Wirtshaus nebenbei betreibt, um besser über die Runden zu kommen. Gerade wäre er noch im Stall gewesen, denn eine seiner fünf Kühe ist am Kalben. Da muss er hin und wieder schauen, ob alles okay ist. »De Stadtlü kömmt gern tou mi, denn bi mi hebt sei dat Gefeul, in ne all lang trüchleigende Tied to kummen (Die Stadtleute kommen gerne zu mir, denn bei mir haben sie das Gefühl, in eine schon lange zurück liegende Zeit zu kommen). Hier hebt se ok Rou, hört den Hahn kreien und ock mal de Kou muhen.«

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