Die wilden Zeiten der Théra P.

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Théra sah, dass sich die Jungs des Emirs hervorragend schlugen. Der neue Reitstil hatte sie feinfühliger und vor allem schneller gemacht. Sie sackten eine Reihe dieser begehrten Preise ein.

Sie sah Para mitten unter den Pferden. Sie sah ihn mit verschiedenen Kids reden. Nicht alle waren Söhne des Emirs. Er verteilte seine Aufmerksamkeit wie mit einer Gießkanne unter den verschiedenen Königreichen. Er war für alle da und er bevorzugte niemanden.

Die Frauen durften sich frei bewegen, aber sie mussten das mit Würde und Anstand tun. Sie blieben meist in der Gruppe zusammen und trafen sich mit den Frauen der anderen Herrscher zu einem Erfahrungsaustausch (wie sie das nannten). Théra bekam das nur am Rande mit. Sie spürte, dass sich die Frauen hinter den Rücken ihrer Männer über wichtige Dinge unterhielten. Sie spürte, dass es in jedem dieser Länder zwei Reiche gab. Das Reich der Männer und das Reich der Frauen.

Sie hatte auch bemerkt, wie die Frauen nachts das Zelt verließen, um zu ihren Männern zu schlüpfen.

Die Männer blieben unter sich. Sie führten Männergespräche. Théra hätte sich schon in ein Insekt verwandeln müssen, um zu hören, was die Männer miteinander redeten. Es mussten sehr wichtige Dinge sein. Dieses Fest war mehr, als nur ein Reiterfest. Es war ein Gipfeltreffen der mächtigsten Männer und Frauen der arabischen Welt. Hier wurde die Politik von morgen gemacht.

Am ersten Abend wurde Théra von ihrer Freundin Leyla angestupst. „Sieh nur, dort reitet Ali, mein Zukünftiger.

Théra ließ sich das Fernglas geben. Ali war ein schöner Mann. Vielleicht achzehn Jahre alt. Er hatte die ausdrucksvollen Züge, die viele Araber haben. Markant und willensstark.

Er wusste, wo die Gruppe der Frauen des Emirs stand, und vor dem Rennen erlaubte er sich einen kleinen Trick. Sein Pferd „brach aus“ und führte ihn zu der Gruppe der Frauen um Théra und Leyla. Er ließ das Pferd tänzeln, und verbeugte sich dann mit einem Lächeln zu der Gruppe der Frauen. Sie hatten alle diesen Schleier an, er wusste nicht, welche von Ihnen Leyla war, aber er wusste, dass Leyla unter den Frauen stand, und Leylas Schleier verrutschte wie durch einen Zufall ein wenig, so dass er ihr einen Moment lang in die Augen sehen konnte. Das war eines der Zeichen, die bei den Frauen bekannt waren. Ali wusste sofort, wer seine Zukünftige war. Er führte sein Pferd glücklich zurück in die Reitergruppe und er gewann dieses Rennen souverän, obwohl er umgeben war von anderen hervorragenden Reitern. „Was für ein Mann“ flüsterte Leyla, und Théra spürte, wie ein Schauer der Vorfreude über Leylas Körper huschte.

Auch am nächsten Tag gab es ein Rennen, bei dem Ali souverän gewann. Es gab zwei weitere Rennen, da spurteten die Pferde Kopf an Kopf mit einem anderen Reiter durch das Ziel. Es war kaum auszumachen, wer gewonnen hatte.

„Das ist Mustafa“, flüsterte Leyla. Er ist der jüngste Enkel des Herrschers von Algerien. Er ist kein wirklicher Prinz. Sein Großvater ist ein früherer Oberst und er herrscht seit vielen Jahren über dieses Land. Man erzählt sich, dass Mustafa in diesem Jahr die Prämie unbedingt gewinnen will.

Théra ließ sich das Fernglas geben und sie erkannte in Mustafa den jungen Mann, bei dem sie vor kurzem drei Nächste verbracht hatte. Sie stöhnte leise.

Leyla kicherte. „Meine Mutter hat mir erzählt, dass er deine Gunst erkauft hat, um für die erste Nacht mit Cennet gewappnet zu sein.“ Théra sah erschrocken auf, und Leyla fuhr fort. „Cennet heißt soviel, wie Das Paradies. Ich habe sie nie gesehen, aber alles was man über sie erzählt, ist wundervoll. Es ist eine Ehre, dass du diese Nacht mit Mustafa verbringen durftest“, flüsterte Leyla.

„Bezahlung“, raunte Théra. „Wieso hat Mustafa für mich bezahlt?“ „Sieh das nicht durch deine amerikanischen Augen“, bat Leyla. „Er hat eine sehr hohe Summe bezahlt und das ist eine sehr große Ehre. Er hat dafür bezahlt, dass er eine ehrbare Jungfrau von Stand in sein Bett nehmen durfte. Es gibt nicht viele, die da zur Verfügung stehen. Die Töchter der Herrscher sind tabu. Das macht die Auswahl etwas kompliziert. Wir haben Glück gehabt. Dein Verlangen und das Verlangen des jungen Mannes standen ganz zufällig in derselben Zeit zum Gebot.“

Théra war entrüstet. „Ich bin verkauft worden?“. Leyla schüttelte energisch den Kopf. „Nein. Unsere Frauen haben dich als ein Geschenk des Himmels vermittelt, und Mustafa hat sich für dieses Geschenk anschließend reichlich bedankt. Meine Mutter hat kein Geld verlangt, und Mustafa hat mit seinem Geschenk ausgedrückt, dass er hoch zufrieden war. Das ist eine sehr edle Geste. Du kannst dich glücklich schätzen. Ich wäre froh, wenn ich das erleben dürfte. Als Königstochter ist mir das untersagt. Ich spare mich für Ali auf.“

Leyla legte die Hand beruhigend auf Théras Arm. Sie überlegte einen Moment, dann fuhr sie verschwörerisch und sehr leise fort: „Du musst eins wissen. Die Frauen, die dich in ihrem Haus aufgenommen haben, sind eine besondere Kaste von ehrenwerten Liebesdienerinnen. Sie gelten als rein. Sie sind hoch gebildet und sie könnten Königinnen sein, wenn sie nicht alle ein besonderes Schicksal verbinden würde, das sie zu dem gemacht hat, was sie sind. Glaube mir. Es sind edle Frauen, die viele Geschicke unserer Länder beeinflussen. Sie haben einen sehr hohen Ehrenkodex. Sie haben sehr viel Macht. Vielleicht viel mehr, als ein Herrscher alleine und viel mehr, als die Frauen in unserem Harem. Sie kennen alle Herrscher der Islamischen Welt zwischen Afrika und Indonesien und sie teilen mit ihnen von Zeit zu Zeit das Bett, so wird erzählt.“

Leyla ergänzte leise: „Théra, du musst das wirklich für dich behalten. Diese Frauen sind geschickte Diplomaten und die Männer unserer Welt benutzen sie für Geheimbotschaften und für den Gedankenaustausch zwischen den einzelnen Staaten.

Völlig ohne Telefon und völlig unerkannt. Diese Frauen sind verschwiegen, wie der Tod. Es ist ein Geheimbund ausgesuchter Frauen. Es ist eine hohe Ehre, sich ihrer bedienen zu dürfen. Du wirst einige von Ihnen hier in diesem Lager wiederfinden, wenn du deine Augen ein wenig aufmachst. Wenn du sie einmal brauchst, dann können sie mehr für dich tun, als jeder andere in unserer Welt, und sicher auch viel mehr, als jeder in eurer Welt, und das sogar bei radikalen Islamisten, die ihr Gesicht verlieren würden, wenn das öffentlich bekannt werden würde. Namen kenne ich aber auch nicht.“

Dann bekräftigte sie noch einmal: „Versprich mir, dass du das für dich behältst. Ich erzähle dir das, weil du meine Freundin bist. Die Herrscher in unseren Ländern wissen davon. Die Haremsfrauen wissen das. Das einfache Volk weiß das nicht. Es ist ein Geheimbund und ich riskiere mein Leben, weil ich dir davon erzähle.“

Théra war erschrocken und völlig verblüfft. Was Leyla da eben erzählte, klang unglaublich. Mit dem Geschick, das Ihnen als Liebhaberinnen und Diplomaten zur Verfügung stand, waren diese Frauen die heimlichen Herrscherinnen zweier Kontinente? Théra fragte bei Leyla noch einmal nach und Leyla nickte ernsthaft.

„Das behältst du aber wirklich für dich“, flüsterte sie noch einmal. „Es ist ein Geheimnis, und es würde die Ehre unserer Männer verletzen, wenn darüber öffentlich gesprochen würde. Du müsstest diesen Palast sofort verlassen. Ich weiß nicht einmal, ob du das überleben würdest. Du bist meine Freundin. Nur deshalb habe ich dich eingeweiht. Zeige dich als ehrenvoll. Vater hat mir gesagt, dass du in deinem Land auch so etwas bist, wie eine zukünftige Königin.“

Théra blickte überrascht auf. „Wieso das? Ich bin doch nur eine kleine Indianerin, die gut mit Pferden umgehen kann.“ Leyla lachte leise. „Dein Bruder hat ein wenig geplaudert. In dir steckt viel mehr, als deine Fähigkeit mit Pferden. Genaues weiß ich nicht. Darüber hat Papa nicht mit mir gesprochen, und er weiß auch nichts genaues, aber Papa ist ein weiser Mann. Manche Dinge spürt er instinktiv. Er hat so etwas wie Ahnungen, und er kann in andere Menschen hineinsehen. Er sieht Dinge, die andere nicht einmal spüren.“

Das hatte Théra allerdings auch schon bemerkt. Solche Fähigkeiten verstand sie nur zu gut. Sie nickte, und begann sich ihre Gedanken zu machen. Eine letzte Frage hatte sie noch. „Wenn du verheiratet bist. Darf ich dich dann besuchen kommen?“ Leyla hakte sich bei Théra ein, was wegen der wallenden Gewänder gar nicht so einfach war. „Aber klar doch. Wir sind doch Freundinnen. Wir finden einen Weg.“

In diesem Moment spürte Théra so etwas wie einen warmen Strahl von Energie, der sich von ihr zu ihrer Freundin Leyla hinbewegte, und sie spürte, wie Leyla diesen Energiestrahl überrascht und fast erschrocken zur Kenntnis nahm.

Was die Frauen nicht öffentlich bewerkstelligen könnten, das würden sie im Geheimen tun. Plötzlich verstand Théra Leylas Welt um vieles besser. Sie dachte an die Geschichten mit den Ratten, die Papa ihr schon oft erzählt hatte. Diese wunderbaren Geschöpfe, die im Verborgenen leben und dort die ungekrönten Könige des Untergrunds sind. Diese Frauen hatten mindestens so viele Geheimnisse wie Théras Familie. Nur durch ihre geheimen Kenntnisse hatten sie eine fast unermessliche Macht, die sie nach außen nie zeigten.

Das Geheimnis bewahren zu können, war eines der wesentlichen Bestandteile dieser Macht. So und nicht anders war es auch in Théras Familie. Plötzlich verstand Théra ihre Freundin um vieles besser und sie war den Frauen noch dankbarer als zuvor. Es war eine Art Geistesverwandtschaft, das ihre Familie mit Leylas Familie verband, und es war ein gewaltiges Privileg, das Théra da genoß. Sie war Teil dieser Gruppe geworden. Vielleicht noch nicht ganz, aber sie war als Freundin akzeptiert worden. Als Freundin, die für Wert erachtet worden war, ein Geheimnis von enormer Tragweite ganz für sich zu behalten.

 

13.

Am Dritten Tag hatte sich die Erregung der Zuschauer und Teilnehmer gesteigert. An diesem entscheidenden Tag ging es um den höchsten Preis des Turniers.

Die Rennen am Vormittag schon zeigten eine Vorauswahl für die Teilnehmer des Schlussrennens. Mustafa und Ali gehörten bereits sicher zu den Teilnehmern der Auswahl.

„Was machst du, wenn Ali das Turnier für sich entscheidet?“ fragte Théra ihre Freundin. „Das wäre ein besonderes Glück und eine hohe Ehre.“ „Aber Ali würde Cennet heiraten.“ „Selbstverständlich“, flüsterte Leyla. „Du darfst an diese Dinge nicht mit euren westlichen Augen herangehen. Für Ali wäre das die höchste Ehre, die es in unseren arabischen Staaten gibt. Sie würde auf mich abfärben. Ich wäre dann die Frau des Gewinners dieses Rennens. Etwas schöneres gibt es bei uns nicht.“

Théra dachte lange nach. Dann dachte sie an Papa und seine beiden „Frauen“. Sie wusste, dass Papa beide seiner Frauen gleich liebte. Er hatte sie nie geheiratet, weil das in ihrer Welt nicht gestattet war, mit zwei Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Die arabische Welt hatte einen anderen Ehrenkodex. Hier war das normal. Langsam begann sie zu verstehen. Solche Dinge werden den Völkern durch lange Traditionen vorgeschrieben. In ihrem Land wurden die Traditionen durch die katholische Kirche bestimmt. Im Land der Araber galten andere Werte.

Dann erinnerte sich Théra an die Geschichten, die ihr Papa von den Völkern der Péruan und der Théluan erzählt hatte. Auch die alte indianische Ordnung war ganz anders gewesen. Sie war nur durch die Spanier und die Portugiesen gestürzt worden. Plötzlich wurde Théra klar, dass sie als Nachkomme dieses Reiches der Théluan eine besondere Verpflichtung hatte. Sie musste dafür sorgen, dass die 6000 Jahre alten Traditionen der Indios wieder lebendig werden würden. Jetzt nach diesem gescheiterten Putsch war das erst recht notwendig.

Sie dachte ein wenig nach. Das würde vielleicht Kampf bedeuten. Die katholische Kirche würde sich das sicher nicht gefallen lassen.

Sie wachte aus ihren Gedanken auf, weil Jubel aufbrandete. Einer der Söhne des Emirs hatte das gerade zu Ende gegangene Ausscheidungsrennen für sich entschieden. Er war nun schon der Zweite von Leylas Brüdern, der an dem letzten entscheidenden Rennen teilnehmen durfte. Einem Rennen der Besten unter den besten Reitern. Das war das Verdienst von Théra und Clara gewesen. Sie hatten die Jungs so schnell gemacht. Leyla hakte sich spontan bei Théra ein und flüsterte ihr glücklich zu. „Vielleicht kommt die Blume der Blumen ja auch in unser Haus. Das wäre für Papa das höchste Glück.“

„Darf ich mit den beiden Jungs sprechen“, fragte Théra. Leyla zuckte mit den Schultern. „Sprich mit Mama. Sie wird Papa um Erlaubnis fragen.“

So kam es, dass Théra, Clara, die beiden Jungs, und drei der Frauen des Harems mit Ferngläsern bewaffnet auf die höchste Sanddüne stiegen und den Parcours absuchten. Er ging weit in die Wüste hinaus. Es würde ein Mörderritt werden. Sand, Steine, Felsen. Zwischendurch Stöcke mit Trophäen, manche am Boden. Bändchen, Kugeln, Wimpel.

Théra ließ sich das Rennen erklären. Sie würden alle auf das Startzeichen losreiten. Alle in einer großen Linie. Dann würde sich das Feld verengen, um wieder auseinanderzulaufen. Es würde zu Rangeleien um die besten Plätze kommen. Im zweiten Drittel des Parcours standen zwei oder mehrere der Trophäen in derselben Entfernung, aber weit auseinander, damit das Feld sich ausanderzog. Mehrere Gruppen konnnten in einiger Entfernung zueinander parallel reiten und Trophäen absahnen. Dennoch würde um jeden Winpel gekämpft werden. Sie würden andere zu Fall bringen oder mit ihnen um Wimpel ringen. Es war ein Kampf mit Fäusten, Füssen, Körpern. Manche der Tiere würden sich die Beine brechen, andere würden zu Tode geritten. Es langte nicht, ein guter Reiter zu sein. Man musste Geschick, Mut und Taktik beweisen.

„Geschick und Taktik“, sagten Théra und Clara wie aus einem Mund. Théra sah Clara an und Clara gab ihr den Vortritt. Théra sah die Jungs an. „Ihr wollt beide die Trophäe?“ Die Jungs nickten. Deshalb waren sie da. „Gibt es Regeln? Dürft ihr euch gegenseitig helfen?“ „Naja, meinte die Jungs. „Es ist ein Kampf Mann gegen Mann. Wir dürfen uns helfen, aber es darf nicht zu offensichtlich sein, sonst verlieren wir unsere Ehre und müssen aus dem Rennen ausscheiden.“

Théra überlegte. „So wie ich diesen Parcours da sehe, geht es nicht nur um Geschick. Der Parcours wird euch alles abfordern, was ihr gelernt habt. Viele Pferde werden straucheln. Andere werden über gestürzte Gegner fallen. Einige von euch werden verletzt oder vielleicht sogar getötet werden. Es geht bei diesem Rennen auch um sehr viel Glück.“

Sie sah, wie die Jungen selbstbewusst nickten. Es war ein Parcours der Besten unter den Besten. Allah würde den Besten auswählen. Die Gewinner würden diesen Ruhm ein Leben lang mit sich tragen. Das war viel mehr als so eine läppische Olympiamedaille, die bei den Europäern oder den Amerikanern so viel galt. Das hier war ein friedlicher Wettkampf zwischen zukünftigen Herrschern, und sie waren ein Teil dieser Elite. Es entschied über den Einfluss ihres Landes in der Völkergemeinschaft der islamischen Staaten. Der Gewinner würde das Recht auf den Thron erwerben, selbst wenn er kein Erstgeborener war. Nur der Vater würde darüber bestimmen, wer letzlich der Thronerbe werden würde.

„Taktisches Geschick also“, sinnierte Théra. Clara mischte sich ein. „Das ist es doch, was wir euch in den letzten Jahren versucht haben beizubringen. Feingefühl für die Pferde, Mitdenken in jeder Situation, taktische Überlegungen und Demut.“ Sie sah, wie die Jungen ins Grübeln kamen. Théra ergänzte. „Wenn einer eurer Gegner etwas schneller ist - oder auch etwas glücklicher - dann dürft ihr ihm die Trophäe also abjagen?“ Die Jungen nickten. „Das ist so gewollt. Mann gegen Mann.“ „Dann“, sagte Théra, „ist es recht einfach, auf einen der vorderen Plätze zu kommen. Seht zu, dass die Pferde nicht stürzen. Einer von euch wird den schnelleren Gegner in einen Kampf um die Trophäe verwickeln. Der andere wird im selben Moment nach vorne preschen, um sich die nächste Trophäe zu sichern. Ihr könnt euch abwechseln. Tut so, als kämpft ihr gegeneinander. Seht zu, dass ihr all eure Trophäen behaltet. Lasst sie euch nicht abnehmen. Weicht Angriffen aus. Im letzten Drittel zeigt ihr, dass ihr erbarmungslos und mit Geschick gegeneinander kämpft. Im Ziel dürfte es dann kaum einem Gegner gelingen, mehr Trophäen zu haben, als ihr beide. Wenn ihr das geschickt anfangt, dann werdet ihr dieses Turnier zwischen euch beiden entscheiden.“

Die Jungs sahen sich an. Sie waren 18 und 16. Beide in einem Alter, wo man draufgängerisch ist. Sie hatten von Clara und Théra aber auch gelernt, ihre Pferde zu schonen. Das konnte diesen Ritt entscheiden. Sie sahen sich erneut an. Dann begannen sie über einige strategische Schachzüge zu sprechen. Wie sie am Beginn des Rennens ihre Ausgangsposition sichern, wie sich im Mittelfeld verhielten. Wenn es in das dritte Drittel ging, würden sie gegeneinander kämpfen, aber ohne sich zu verletzen. Théra und Clara nickten.

„Die Details überlassen wir euch. Ihr seid hier aufgewachsen. Es ist euer Rennen.“

„Lasst uns zurückgehen“, baten die Frauen. „Wir waren schon zulange hier. Es soll nicht mehr auffallen als nötig.“ Inzwischen brannte die Mittagssonne gnadenlos. Sie gingen langsam zu den Zelten zurück, um nicht zuviel Kraft zu verbrauchen, dort nahmen die Jungs als erstes ein Bad, um einen kühlen Kopf zu bekommen. Sie legten sich in den hintersten Winkel des Zeltes, und sprachen leise miteinander. Dann schlummerten sie ein.

Bevor das Rennen begann, nahm ihr Vater sie auf die Seite. „Ihr habt über das Rennen gesprochen? Gut. Helft euch, wo es notwendig ist, aber keine unerlaubten Tricks. Es geht um die Ehre unseres Landes.“

Die Jungs nickten. Genau darüber hatten sie lange geredet.

14.

Die Pferde spurteten auf breiter Linie los. Schon zu Anfang fingen einige der Teilnehmer an sich zu bekämpfen, um den Gegner aus dem Rennen zu schlagen. Die beiden Söhne des Emirs, Abdullah und Burak, hielten sich aus diesen Kämpfen geschickt heraus. Ali und Mustafa waren genauso geschickt. Sie ließen ein paar Mal ihre Gegner in eine Falle laufen. Eins der gegnerischen Pferde kam dabei zu Fall und brach sich das Genick.

In dieser Startphase gab es noch acht weitere Verletzte Pferde. Sie würden alle getötet werden müssen. Das Feld war um neun Teilnehmer kleiner geworden.

Nun ging es an die Erbeutung der Wimpel. Wieder waren Ali und Mustafa äußerst geschickt. Sie kannten ihre Stärke und die Stärke des Gegners. Sie traten nicht gegeneinander an. Sie ritten in zwei getrennten Linien. Sie würden den Kampf untereinander erst im letzten Drittel ausfechten.

Abdullah und Burak waren in einer Gruppe. Sie beherzigten Théras Rat. Während sich Ali und Mustafa durch Geschick, Schnelligkeit und Kampfgeist die Trophäen alle einzeln erkämpfen mussten, teilten sich Ali und Mustafa die Trophäen geschickt untereinander auf.

Sie würden diese Entscheidungsschlacht im letzten Drittel des Rennens suchen. Durch die gemeinsame Strategie hatten sie ihre Pferde geschont. Ali und Mustafa hatten indes schon im zweiten Drittel alles aus ihren Gäulen rausholen müssen, um besser zu sein, als die Mitbewerber in ihrer Gruppe und die waren alle hervorragende Reiter.

Dann kamen sie zu der Kehre. Vom Lager aus waren sie nur noch als kleine Punkte zu erkennen, selbst mit dem Fernglas. In der Spitze der Reitergruppe bewegten sich etwa zehn oder zwölf Reiter. Mehr war in der vibrierend heißen Luft nicht zu erkennen.

Als dann die Reiter zurückkamen, erkannten sie deutlich, dass Ali, Mustafa, Abdullah und Burak die Spitze der Gruppe bildeten. Dann wurde Burak von einem der anderen Reiter attackiert. Man sah das durch das Fernglas nicht deutlich, was dann geschah. Das Pferd des anderen Reiters stürzte. Sie sahen, wie Burak triumphierend einen Arm über den Kopf riss und einige der Bänder schwenkte.

Der Parcours wurde nun sehr eng. Nun ging es um jede einzelne Trophäe, um Schnelligkeit und Geschick. Es war durch die Ferngläser deutlich zu sehen, dass die Gegner sich nichts schenkten. Sie sahen aber auch, dass Abdullah und Burak einen anderen Reitstil hatten als ihre Gegner. Sie machten sich auf den Pferden leicht. Sie gewannen an Schnelligkeit und sie gewannen leicht die Oberhand. Sie vermieden den direkten körperlichen Kampf Mann gegen Mann und konzentrierten sich darauf, möglichst viele Wimpel zu ergattern.

Sie halfen sich jetzt nicht mehr. Manchmal gab es Rempeleien. Eines der Pferde geriet ins Straucheln, fasste sich jedoch wieder und rannte in unverminderter Schnelligkeit weiter. Abdullah hatte durch dieses Manöver zwei Pferdelängen verloren. Die Wimpel wurden jetzt unter den andern drei Reitern aufgeteilt. Manchmal war der eine schneller, manchmal der andere. Einige der Trophäen lagen am Boden. Man musste sich in vollem Galopp bücken, um sie vom Boden aufzuheben. Das war mehr als nur Reitkunst, das war lebensgefährlich.

Zum Schluß gaben die Pferde alles, um als Erster durch die Ziellinie zu reiten. Es war nicht auszumachen, wer der Schnellere von den drei Reitern war. Mustafa, Abdullah oder Burak. Nur die Zahl der Wimpel würde über den Sieg entscheiden.

Die Pferde waren verschwitzt und fast dem Tode nah. Para scheuchte die Helfer mit Worten und Gesten energisch beiseite, und befahl, die Tiere gemeinsam zu einem Abreibeplatz zu bringen, dann kümmerte er sich um die drei Pferde. Sie zitterten vor Anstrengung. Para wollte sie nicht verlieren.

Der Jubel war gewaltig, als die drei ins Ziel ritten. Dennoch war die Spannung groß. Drei hervorragende Reiter. Alle drei gleich schnell. Es war ein unglaubliches Rennen. Wer würde den Sieg davon tragen?

Als die Wimpel zusammengezählt wurden, ergab sich eine Differenz von nur einem Wimpel. So etwas hatten die Scheichs und Emire noch nie erlebt. So ein Kopf an Kopf Rennen. Jeder dieser drei Reiter würde als Gewinner nach Hause gehen, auch wenn nur einer von Ihnen die begehrteste aller Trophäen mit nach Hause nehmen durfte.

 

Wer würde der Glückliche sein?

Der saudische König machte es spannend. Er rief nach einem Mikrophon. „Wir haben hier drei Sieger“, begann er. „Einen ersten und zwei Zweite. Die Differenz beträgt nur einen Wimpel. Ich habe noch nie ein knapperes Rennen erlebt. Wir haben inzwischen Bilder der Zielkamera. Keiner der drei war nur ein wenig schneller als die anderen. Sie waren völlig gleich. So etwas hat es noch nicht gegeben. Alle drei sind Sieger. Ihnen allen gebührt die Ehre. Allerdings ist nur einer der Dreien auch der Gewinner der Trophäe des heutigen Abends. Ich schlage vor, dass die drei jetzt in ihr Zelt gehen und sich frisch machen. Ich möchte, dass sie sauber und gekleidet wie Herrscher wieder vor mir erscheinen, bevor ich meine Entscheidung bekannt gebe.“

Die Spannung wurde noch um einiges höher. Man tuschelte. Man trug die drei auf Händen zu ihren Zelten. Die Frauen eilten in die Zelte, um ihre Kinder zu waschen und zu erfrischen. Kleider wurden bereit gelegt. Teppiche wurden ausgerollt und eine Musikkapelle begann zu spielen.

Ein Podest wurde auf das Zielgelände getragen. Fackeln wurden angezündet, dann betrat die Braut das Gelände. Die Gespräche verstummten.

Sie war traditionell verschleiert und fürstlich geschmückt. Blumen, Goldbändchen, Schärpen und Schleifen. Während sie ging, blitzte ein goldener Schuh auf. Die Männer verfielen in ein andächtiges Aahh. Niemand würde sie sehen dürfen, außer ihrem Ehemann. Sie wurde begleitet von Frauen ihres Hofes, von ihrer Familie. Die Scheichs und Emire hatten sich alle in festliche Gewänder gehüllt.

Wer würde diese Schönheit für sich gewinnen?

Als die drei Sieger über die roten Teppiche schritten, begann ein Raunen. Die Spannung stieg und stieg. Es waren die Abkömmlinge dreier herausragender Familien. Ihnen allen gebürte Dank für diesen Abend und Lob für dieses phantastische Rennen. Sie galten schon jetzt als zukünftige Könige, auch wenn nur einer die Trophäe für sich beanspruchen durfte. Diese einzigartige Trophäe.

Als die Sieger versammelt waren, bat der Saudi die Perle aller Perlen zu sich. „Ich möchte hier eins betonen. Der Abstand zwischen dem Sieger und den beiden anderen ist geringer, als jemals zuvor in der langen Geschichte dieses Landes. Wir haben einen ersten und zwei zweite Plätze.“ Er wandte sich an Cennet.

„Jeder dieser drei jungen Männer wäre dir ein wunderbarer Ehemann. Jeder dieser drei jungen Männer ist es wert, dich als deine Frau nach Hause zu führen. Jeder ist gleich viel. Wir haben drei Sieger. Sie haben fair und mit Umsicht gekämpft. Dennoch ist einer ein ganz klein wenig besser gewesen, als die beiden anderen. Vielleicht war es Geschick, vielleicht war es Glück. Am Mut und an der Reitkunst hat es nicht gelegen. Da waren sich alle drei ebenbürtig. Es war Allahs Wille.“

Er hob die Hände zum Himmel. „Wir sollten Allah danken, dass wir dieses wunderbare Reiturnier ausrichten durften. Wir sollten Allah danken für unsere wundervollen Söhne und Töchter. Allah hat aber auch entschieden, wer die Blume der Blumen mit sich nehmen darf.“

Araber sind beredt, wenn es um wichtige Dinge geht.

„Ich möchte, dass sich unsere drei Sieger jetzt die Hände geben und sich ein feierliches Gelöbnis abgeben.“ Er führte die Hände der drei jungen Männer zusammen. „Schwört bei Allah, dass ihr in Frieden auseinandergeht. Unsere Geschäfte gehen besser, wenn wir in Frieden untereinander leben. Mir wäre es lieb, wenn ihr euch ewige Freundschaft schwören würdet. Die Freundschaft dreier Sieger. Aber das ist eure Entscheidung. Es ist euer Leben. Es ist aber nicht nur eure Zukunft, sondern auch die eurer Völker. Bedenkt das. Akzeptiert das weise Urteil Allahs.“

Burak dachte an Théra und ihre Ratschläge. Er dachte an seinen Vater, der sich schon immer für diplomatische Lösungen ausgesprochen hatte. Er senkte einwilligend den Kopf.

Auch Mustafa dachte an Théra. Er hatte alles gegeben, um die Blume des Orients mit nach Hause zu nehmen. Er hatte sich dafür fit gemacht. Würde er der Sieger sein? Noch einmal dachte er an Théra. Er wusste nicht, wer dieses geheimnisvolle Geschöpf gewesen war. Er hatte gespürt, dass sie in seiner Welt noch fremd war. Würde er den beiden anderen die Trophäe gönnen?

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