Die Suche nach der Identität

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„Direkt nach dem Abitur hab ich zwei Konzerte in Berlin und in Wien. Dann das Sommerkonzert auf der Wartburg, und im Herbst bin ich auf einer großen Tournee in den Städten Buenos Aires, Santiago de Chile, Lima, La Paz und Bogota. Im Winter hab ich dann wieder meine Weihnachtskonzerte, und im Frühjahr bin ich in Mailand, Madrid und in London. Im Sommer soll ich dann in China spielen. Darauf freu ich mich ganz besonders. Dann kommt wieder die Wartburg. Mehr Termine hab ich noch nicht, das Abitur geht vor.“

Dennis fand das hochinteressant. „Das passt ja prima. Dann kann ich mich erst mal hier in Berlin ein wenig um die Talentschule kümmern, und nach deinem Konzert auf der Wartburg können wir zusammen nach Südamerika fliegen. Die Zeit können wir für Recherchen in Sachen Musik nutzen. Dann kann ich im Winter noch mal nach Südamerika reisen. Diesmal aber in meiner eigenen Angelegenheit.“

„Mann, du legst ein Tempo vor“, sagte Laura. „Da wird mir ja schwindlig“. Conny lachte. „Anders kenn ich Dennis nicht. Du etwa?“

Dann wechselte sie das Thema. „Was haltet ihr von Frischluft? Vielleicht etwas Spreewald? Wir könnten mit dem Auto fahren und dann laufen.“ Die Freunde fanden, das sei eine gute Idee.

Es wurde ein schöner Abend.

„Morgen muss ich aber lernen“, meinte Conny. „Englisch und Französisch.“

Beim Laufen erzählte sie mehr. „In der Prüfung werden wir irgendwelche Texte kriegen. Vielleicht zum übersetzen oder für eine Analyse. Vielleicht auch einen Aufsatz zu einem bestimmten Thema. Genau weiß das keiner. Die Vokabeln müssen sitzen. Meine Mutter hört mich ab. Aber vielleicht können wir noch ein bisschen über Textanalyse sprechen. Diese Dichter und Philosophen da. Robbespiere, Shakespeare und wie sie alle heißen. Das ist echt schwierig. Auch wenn sie neuere Autoren nehmen, so wie Sartre oder Böll, dann geht’s immer um irgend etwas Hintergründiges.“

Dennis ließ sich das erklären. Er hörte genau zu. Dann überlegte er lange. „So wie du das sagst, geht es um Liebe, um Tod und um Moral. Darf ich jemanden Töten? Warum liebt A den B aber nicht umgekehrt, was ist die Legitimation der Herrschaft, lebt Gott?“ Conny nickte. „Ja genau so.“ Dennis überlegte weiter: „Deine Musik da. Was ist die Legitimation für deine Musik?“ Conny schaute ihn verblüfft an. „Wieso. Diese Musik braucht doch keine Rechtfertigung.“

Dennis schüttelte den Kopf.

„Du nimmst das zu selbstverständlich. Du hinterfragst die Musik nicht. Hast du mir nicht mal erzählt, das sei höfische Musik? Es gibt aber auch Romantiker. Bürgerliche Musik nennt man das wohl. Und es gibt ganz andere Richtungen. Denk mal an Schlager, Jazz oder Volksmusik. Jede Musik hat doch ihr eigenes Publikum. Schau doch mal, wer in deine Konzerte kommt. Sind das nicht Leute mit Geld, oder zumindest das, was man das Bildungsbürgertum nennt? Das sind doch nicht die Berliner U-Bahnkids oder die Arbeiter. Also bezieht doch jede Musik ihre Legitimation aus den Menschen, für die sie geschrieben ist. Egal, ob es einfache oder komplizierte Musik ist. Hast du nicht den Anspruch „Kunst“ zu machen? Ist das nicht höchste Perfektion? Und doch. Wenn ich an die Musik bei den Indios denke, das war vielleicht schräg, aber es war absolut perfekt. Es war ganz in die Herzen aller Menschen gespielt. Nicht nur in die Herzen einiger weniger.“

„Aua aua“, meinte Laura. Jetzt wird’s aber kompliziert. Wir haben nun mal ganz unterschiedliche Gruppen in der Gesellschaft. Unsere U-Bahnkids sind doch nicht die Politiker, sie sind nicht die Arbeiter, die Studenten, oder die Beamten der Ausländerpolizei. Wie willst du alle mit einer einzigen Musik ansprechen? Außerdem gibt es eine Definition von Kunst. Eine Kunsttheorie.“

Davon hatte Dennis keine Ahnung. Er sah das praktisch.

„Wenn wir das herausgefunden haben, dann haben wir gefunden, was ich mit Musik meine. Conny denk mal an deine Konzerte in Mailand, auf der Wartburg, auf dem Campingplatz oder vor den Ratten im Berliner Tunnel. Denk auch an deine Übungen vor zwei Tagen mit der dritten Geige. Vergleich das mal. So viele unterschiedliche Zuhörer und doch haben dir alle andächtig zugehört. Und dennoch: Es war noch nicht perfekt. Es hatte immer irgendwas gefehlt. Genau danach suchen wir. Vielleicht finden wir in Südamerika die Antwort auf unsere Fragen.

Eigentlich wollten sie nur spazieren gehen, doch es war ein sehr tiefsinniges Gespräch geworden. Sie ließen sich von Bob nach Hause fahren.

„Wenn ich das alles in die Analyse im Abitur packe, dann hab ich noch was vor mir“, sagte Conny. Dennis nickte. „Dann lass uns noch mal darüber sprechen. Nicht jetzt. Nicht morgen. Aber bitte mit konkreten Texten. Es muss vor deinem geistigen Auge bildlich entstehen. Wie ein Film.“

Als er dann mit Laura alleine war, fragte er: „meinst du, dass es für Conny gut ist, wenn wir so oft hier sind? Sie ist das sicher nicht gewöhnt und sie wird vielleicht auch abgelenkt von dem, was sie sonst tut.“

„Wir können sie morgen fragen“, meinte Laura. „Ich habe in der Stiftung meine eigene kleine Wohnung. Wenn du willst, können wir auch dorthin gehen, oder du kannst mal ein paar Nächte bei den Kids schlafen. Sie werden sich sicher darüber freuen.“

9.

Am nächsten Morgen war alles wie sonst auch, aber Conny meinte: „Der Tag gestern hat mich etwas ins Grübeln gebracht. Ich muss ein bisschen nachdenken. Ich will auch ein bisschen Geige spielen, ganz für mich alleine. Könnt ihr mich heute in Ruhe lassen?“

Dennis schaute Laura an. Er sah, wie es in ihren Augen kurz aufflackerte, als sie nickte. „Gut. Dann wird mir Laura jetzt mal ihre Wohnung zeigen. Wir haben viel zu recherchieren. Wir rufen dich an.“

„Du und deine Vorahnungen“, lachte Laura, als sie auf dem Weg in die Stadt waren. Sie hängte sich bei Dennis ein und hüpfte glücklich neben ihm her.

10.

Heute am Sonntag morgen waren die Räume der Stiftung leer. Nur am Nachmittag würden vier oder fünf Freunde kommen, um Telefondienst zu machen, aber das müsse sie nicht interessieren. „Ich kann dann mal kurz runtergehen und sehen, ob ich gebraucht werde. Ich mache das immer so. Es gibt Tage, da muss ich dann unerwartet los. Das kennst du ja. An den Wochenenden gibt’s nun mal viele Veranstaltungen, wo man präsent sein will. Heute hab ich darum gebeten, dass sie mich in Ruhe lassen.“

Lauras Wohnung lag über den Büros der Stiftung, im Dachgeschoss. „Offiziell wohne ich immer noch bei meinen Eltern“, hatte Laura erklärt. „Die sind immer noch in der Welt unterwegs. Mal in Australien, mal in den USA, in Kanada oder auch in Südamerika oder Japan. Sie sollen machen, was sie wollen. Ich hab auch immer noch meine „Nanny“. Die gehört längst zum Inventar. Sie passt auf das Haus der Eltern auf. Sehr praktisch. Ich wohne meistens hier.“

Sie waren mit dem Aufzug hochgefahren. Laura schloss die Tür auf. Dennis staunte. „Kleine Wohnung, hast du gesagt. Das ist ja ein riesen Teil.“ „Naja. Ich hab genug Platz. Trifter hat übrigens seine Wohnung direkt neben mir. Wenn wir auf dem Balkon stehen, können wir ihm hallo sagen, wenn er da ist.“ Dennis war überwältigt.

„Das müssen wir erst mal feiern“, meinte er und schlug mit der flachen Hand auf die Bettkante. Laura hatte ihn schon umarmt, warf ihn um und sie fielen lachend aufs Bett.

An diesem Sonntag zeigte sie Dennis, was man im Internet alles in Erfahrung bringen kann. Politiker, Städtenamen, Luftbilder, die Namen der Frachtdampfer und die Abfahrtszeiten, Kosten der Schiffspassagen und sogar Querschnitte und Aufbau einzelner Schiffe. Sie konnte sich Entfernungen berechnen lassen und einzelne Seiten ausdrucken.

Dennis war in diesen Sachen völlig unerfahren. Er hatte sich damit nie beschäftigt. Für ihn waren stets ganz andere Dinge wichtig gewesen. Er verstand auch die Bedienung des Geräts nicht. Die Schritte waren für Laura recht einfach, die sie da ausführte. Für Dennis war alles neu.

Außerdem hatte ihn Laura gewarnt. Im Internet gibt es Seiten, die man lieber nicht öffnen sollte. Ich habe da zwar einen aktuellen Virenschutz drauf, aber das hilft nicht immer. Wir wollen nicht, dass irgendjemand unseren Rechner übernimmt.

Das verstand Dennis nun gar nicht. Laura erklärte es kurz.

„Wenn jemand Viren oder sogenannte Backdoorprogramme in unseren Rechner schleust, dann kann er unseren Rechner übernehmen. Er kann ihn selbsttätig zu bestimmten Arbeitsschritten zwingen, ohne dass ich das merke. Er kann sogar Abbuchungen oder Umbuchungen vornehmen. Das ist hochgefährlich und das passiert leider viel öfter, als man denkt. Wir machen hier viele Dinge. Wir müssen uns vorsehen, und dem Rechner nicht alles anzuvertrauen, was wir wissen. Es ist besser, wenn ich dich erst mal nicht alleine mit diesem Ding lasse.“

Dennis verstand, aber er begriff es nicht. Es war zu weit weg von seinem Lernhorizont. Er würde das in der Schule der Kids besprechen müssen.

Die Recherche war immerhin vielversprechend. So langsam kamen sie der Sache näher. Es würde noch viele Tage dauern, bis Dennis Legende perfekt war. Soviel verstand Dennis, er musste die Details auswendig lernen, und er musste das sogar noch parat haben, wenn er plötzlich aus dem Tiefschlaf geholt wird. Er durfte keinen Fehler machen.

„Wie bei einem Geheimagenten“, dachte er.

Er kannte sich. Normalerweise würde er auf einer solchen Reise viele Menschen treffen und denen auch im Gedächtnis bleiben, eben wegen seiner besonderen Art, also war es das Beste, wenn er anonym gereist war. Er hatte zu den Indios Kontakt gehalten, aber nicht zu bekannten Leuten der Zeit. Dennoch konnte das ungewollte Fragen aufwerfen. Er musste sich vorsehen.

 

Außerdem wollte er mehr wissen über die Indios von heute. Wie sie leben, wo sie leben, was für Gebräuche sie hatten. Laura würde ihm noch oft helfen müssen.

Es waren noch drei Wochen bis zu Connys Abitur und damit auch zu Dennis geplanter Wiedergeburt. Drei Wochen können schnell rumgehen. Dennis hatte es plötzlich eilig.

11.

In den nächsten drei Wochen besuchte Dennis Conny oft. Er schlief mal bei Laura, mal bei Conny und auch bei den Kids im Bunker. Die Postkarte war fertig. Richtig mit (gefälschter) Briefmarke, Datum und (gefälschtem) Stempel. Dennis brauchte sie nur noch in seiner Schrift zu schreiben.

Die Route war fertig. Alle Details festgelegt. Alles auswendig gelernt.

Dennis sah in dieser Zeit auch Susi noch mal. Alle andern Kontakte verkniff er sich. Seine Sicherheit ging vor. Er hatte den Bart stehen lassen. Die Haare hatte er, entgegen dem Rat „des Dicken“, nicht gefärbt.

„Wie sieht das aus mit blauen Augen“, hatte er gefragt. „Das ist unglaubwürdig.“ „Ob das einer bemerkt hat“, bezweifelte der Dicke, doch Dennis hatte geantwortet: „Es sind die Details, die sich ein guter Leibwächter merkt. Daran erkennt er jeden wieder. Auch nach Jahren. Mein Tattoo hat Gott sei Dank niemand gesehn.“ Dieser Argumentation konnte sich „der Dicke“ nicht entziehen. „Naja. Ganz können wir dich eh nicht verändern. Dann müssten wir schon eine Gesichtsoperation machen.“ Er grinste. „Schöner wirst du dabei nicht und so groß ist die Gefahr der Entdeckung nun auch wieder nicht. Vor allem, wenn du gleich wieder ins Ausland gehst, wie ich gehört habe.“

Dennis lächelte. „Der Dicke“ hatte Ohren, die waren größer als Berlin. Gab es überhaupt irgendetwas, was der nicht wusste? Wie gut, dass die Kids solche Leute wie „den Dicken“ oder Trifter auf ihrer Seite hatten.

Alles war vorbereitet. Die Postkarte war so abgestempelt, dass sie an Dennis alte Adresse ging, dann unzustellbar zurückging ins Hauptpostamt, dort neu adressiert wurde, und dann Dennis Mutter zugestellt wurde. Das war alles gefaked. Tatsächlich warf einer der Kids Dennis’ Postkarte einen Tag nach Connys Abitur in den Briefkasten von Dennis Mutter.

Zwei Tage später würde Dennis offiziell im Hamburger Hafen ankommen, wenn auch als blinder Passagier, und dann per Anhalter nach Berlin reisen. Auch das war nur die offizielle Version. Tatsächlich sperrte sich Dennis einige Tage vorher bei den Kids ein. Er büffelte, er wusch sich nicht und er ließ sich vergammeln. Die Kids hatten ihm verdreckte Kleidung aus dem Container besorgt. Dennis stank so, dass ihn selbst Laura nicht in ihre Wohnung gelassen hätte.

Die Kids jedoch hatten an Dennis ihre helle Freude. „Whow“, meinte Bübchen. „So versifft sind sonst nur die Junkies unter der Brücke. Wenn das nicht funktioniert, dann funktioniert nichts mehr.“

12.

Als Dennis Mutter die Postkarte im Briefkasten fand, war sie einem Herztod nahe. Sie rief sofort ihren Mann an, und holte ihn aus einer wichtigen Produktion. Er fand sie in Tränen aufgelöst und fast wahnsinnig vor Glück.

Drei Tage später klingelte das Telefon. Dennis sagte nur, „Mama. Ich bin zurück. Liebst du mich noch?“

Es gab ein kurzes hin und her. Abholen. Nein. Taxi nein. Der Taxifahrer würde sich weigern. Ich fahre mit der U-Bahn. Er ließ sich die neue Adresse geben. „Mama. Kannst du ein Bad einlassen und mir etwas zu essen machen?“

Als Dennis in der eleganten Altbauwohnung ankam, drückte sich einer der Hausbewohner vor Schreck an die Wand im Hausflur, dann feixte er hinter Dennis her. Penner seien hier nicht erwünscht. Dennis hörte nicht auf ihn. Er stieg schnell die Treppe hinauf, wo er die Tür geöffnet vorfand.

„Mama. Ich bin’s wirklich“ sagte er, „jetzt verstehst du, dass ich kein Taxi wollte. Ich bin völlig abgebrannt. Naja, ein paar Sachen hab ich noch im Bahnhofsschließfach.“

Die Mutter war entsetzt, aber als Dennis in der Badewanne lag und das erste schwarze Badewasser ausgetauscht war, kam ihr Dennis zum Vorschein, den sie so liebte. Älter, reifer, mit einem Bart, aber immer noch mit den wunderbar vertrauten blauen Augen.

Sie blieb die ganze Zeit im Bad. Sie sah Dennis zu. Wie er sich von einem Ferkel in ihren Dennis verwandelte. Nur den Bart wollte er nicht abnehmen. Sie sah auch seine wulstigen Narben an den Händen. Sie war bestürzt und sie streichelte über seine Handflächen, Tränen in den Augen.

„Frauen sind doch überall gleich“, dachte sich Dennis, der dieses Spiel dirigierte. Aber er liebte seine Mutter, und es gab ihm einen Stich ins Herz, dass er ihr nicht erzählen konnte, was wirklich passiert war. Die Wirklichkeit war nicht für die Welt des Lichts bestimmt. Diese Version kannten nur seine engsten Freunde im Dunkel des Tunnels.

Natürlich wollte Dennis Mutter alles wissen. Dennis erzählte, aber er beschränkte sich auf eine stark gekürzte Version seiner offiziellen neuen Identität.

Als der Mann von Mama kam, fand er seine Frau und Dennis plaudernd auf der Couch. Er sah Dennis lange und prüfend an. Dann reichte er ihm die Hand. „Soweit ich gehört habe, bist du erst sechzehn, aber du siehst aus wie ein Erwachsener“ sagte er. „Du musst viel erlebt haben.“ Er fühlte die Narbe an Dennis Hals und besah sich die Kreuznarben in beiden Händen. „Keine Frage. Du hast viel erlebt. Willst du uns davon erzählen?“

Dennis spielte das Spiel mit. „Ich habe Mama schon einiges gesagt. Nun ja. Ich habe wirklich viel erlebt. Ich denke nicht, dass alles wichtig für euch ist. Ich war lange am Amazonas und in den Anden. Ich habe mit den Indios gelebt. Ich habe diese Auszeit gebraucht. Doch jetzt bin ich wieder da. Meine alten Klamotten könnt ihr verbrennen. Die stinken. Vielleicht habt ihr irgendetwas für mich zum anziehen. Nichts besonderes. Freizeitkleidung. Einfach. Ich habe kein Geld mehr, weil alles geklaut wurde. Vielleicht ist noch etwas von meinem Konto übrig.“ Er sah seine Mutter an und sah, dass sie nickte.

„Außerdem möchte ich mit Laura telefonieren“, heuchelte er. „Wisst ihr, wie ich die erreiche? Muss nicht sofort sein. Wenn ich heute bei euch schlafen kann, dann mach ich das morgen.“ Dann sah er auf seine Mutter. Der Bauch war inzwischen dick. „Ich freu mich für dich“, sagte er und nickte zu ihrem Bauch. „Das ist ein gutes Zeichen. Wenn es möglich ist, dann geh ich wieder in die Stiftung, wenn die mich überhaupt noch haben wollen, ihr könnt dann euer eigenes Leben weiterführen. Ohne mich. Ich glaube ich störe da nur. Aber wenn ihr mir erlaubt, euch von Zeit zu Zeit zu besuchen, das wäre schön.“

Dennis sah Mamas Einwände, aber er winkte ab. Er sah, dass er Mamas neuem Lebensgefährten aus der Seele gesprochen hatte. Das war junges Glück. Er gehörte zu den Altlasten. Er würde sich da raushalten. Außerdem hatte er sein eigenes Leben. Wenn er ehrlich war, dann würde seine Mutter ihn jetzt bloß stören. Außerdem würde sie dieses Lügengebilde irgendwann durchschauen. Das durfte nicht sein.

„Eine Bitte hab ich“, schloss Dennis. „Ich hab keine Papiere mehr. Auch die sind weg, wie vieles. Ich bin als blinder Passagier zurückgekommen. Könnt ihr mir neue Papiere besorgen? Eine Geburtsurkunde gibt’s ja sicher noch.“

Die beiden nickten.

Innerhalb von zehn Tagen hatte Dennis vorläufige Notpapiere, und er erhielt nach vier Wochen seinen nagelneuen Personalausweis und einen Pass. Echt, mit Stempel.

Am Anfang war es nicht ganz leicht. Wer tot war, der war tot. Der Beamte stellte sich stur. Aber Dennis erinnerte die Beamten an die vielen Soldaten, die nach dem Krieg für tot erklärt worden waren und nach Jahren wieder auftauchten. Er kannte seine Daten, seine Schule, seine Lehrer. Seine Mutter beeidete, dass dies ihr Sohn sei, der vor zwei Jahren verschwunden war. Er war blauäugig und blond. Die Größe stimmte, wenn man der Zuwachs in den letzten zwei Jahren schätzte. Dennis gab eine Kurzerklärung seiner letzten zwei Jahre ab. Da er nie offizielle Fahrkarten benutzt hatte, verlief jede Nachfrage der Beamten im Sand.

Dennis hatte eine neue Identität.

Die andern Dinge konnte Dennis regeln. Laura und Trifter spielten das Spiel hervorragend mit. Susi hatte dichtgehalten, obwohl ihr das sehr schwer gefallen war. Allan und Roman fielen aus allen Wolken.

Dann begann Dennis seine alten Freunde der Talentschule aufzusuchen. Einen nach dem andern.

Die Stiftung unter der Leitung von Laura und Trifter machte es sich einfach. Sie stellte Dennis kurzerhand wieder als Talentscout ein, mit dem Schwerpunkt der Betreuung von Conny. Sie verbürgten sich für Dennis. Die Berufsschulpflicht konnte unter den besonderen Bedingungen umgangen werden. Dennis bezog jetzt ein eigenes Gehalt. Er schenkte seiner Mutter das verbliebene Geld seiner alten Identität. Er habe jetzt wieder ein eigenes Einkommen, sagte er. Seine Mutter solle das Geld für ihr Baby verwenden. „Das braucht dich jetzt mehr, als ich dich brauche.“ Offiziell zog Dennis bei Laura ein. Eine Postadresse für die Behörden musste er ja schließlich haben.

Der Anwalt der Stiftung konnte erreichen, dass Dennis für geschäftsfähig erklärt wurde, so wie er das vor einiger Zeit bereits für Laura in die Wege geleitet hatte, als sie 16 wurde. Alles schien perfekt.

Dennoch blieb Dennis stets vorsichtig. Er versuchte sich nicht zu exponieren. Er suchte sich sichere Wege. Er versuchte sich regelrecht unsichtbar zu machen, wenn er unterwegs war, und er benutzte oft die Fähigkeit, Räume zu überspringen, die er von seinem Bruder erhalten hatte. Dennis eignete sich darin geradezu eine Perfektion an. Zumindest in Berlin klappte das gut, wo er bald jeden Ort, den er kannte, direkt und zielgenau ansteuern konnte.

Außerdem hatte er jetzt ein eigenes Konto, auf das er 2500 Euro einzahlte und auf das Trifter die 155.000 Euro aus dem Verkauf des Goldes und der Steine überwies. Er würde jetzt monatlich sein Gehalt beziehen. Er legte seine Papiere für die Geschäftsfähigkeit vor. Auch das gefiel der Bank gut.

Die indianischen Sachen blieben vorerst offiziell im Banksafe, bis ein ordentlicher Weg gefunden war, sie an die Öffentlichkeit zu bringen.

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