Das Leben ist ein Abenteuer

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5.

Bevor sie in den Stadtwald kamen, gab es die erste Gelegenheit zum üben. Etwa ein dutzend Italos kamen in die Bahn. „Zeit zum kassieren“, grölten sie. „Los, los, los, Geld her.“

Sie waren bewaffnet. Italos waren immer bewaffnet.

Nils sah Ellen an. „Dann wollen wir mal.“ Er schlug dem ersten die Tasche unters Kinn, dann ließ er sie fallen und schlug mit der Hand zu. Die Fingerspitzen rammten sich dem Gegner oberhalb der Brustbeins in den Nerv. Der Gegner klappte zusammen. Mit einer Drehbewegung holte Nils erneut aus und trat dem nächsten voll in den Hals. Der verdrehte die Augen und flog in die Stuhlreihe.

Ellen hatte schon den nächsten abgegriffen. Sie schlug mit der Faust zu, mitten aufs Nasenbein. Das Blut spritzte. Jetzt zogen die Italos die Messer, und versuchten auf Nils und Ellen einzustechen. Von zwei Seiten.

Nils verdrehte dem ersten den Arm, bis der Knochen knackte. Dann wurde er von einem Messer am Oberarm getroffen.

Ellen war schlauer gewesen. Sie hatte sich geduckt und hatte dem Gegner in die Eier getreten. Er stöhnte und ließ das Messer fallen. Auch die beiden nächsten Angreifer wurden außer Gefecht gesetzt. Jetzt stand es nur noch 4 : 2. Nils grinste. Dann kreischten die Bremsen. Sie fuhren gerade in den Bahnhof ein. Inzwsichen hatte der Lokführer die U-Bahnpolizei über Funk verständigt. Die unverletzten Italos flüchteten auf den Bahnsteig und ließen ihre Kumpane im Stich.

Nils schnappte sich seine Tasche, zog Ellen aus dem Zug, lief nach vorne und sprang auf die Gleise hinunter. „Los, los, komm“, dann zog er Ellen in das Dunkel des U-Bahnschachtes. Er kannte sich hier aus. Das hatte er von seinem Vater gelernt.

Dann nahm er Ellen bei der Hand. Er blutete ziemlich stark. So konnte er nicht weiter. Die Blutspur würde sie verraten. Nils konzentrierte sich und sprang mit Ellen in die kleine Wohnung, die Papa ihm in der Nähe der Schule eingerichtet hatte, damit er „Schulweg sparen“ konnte. Er benutzte die Wohnung oft. Auch nachmittags, um mal seine Ruhe zu haben.

6.

Ellen war völlig verdattert. Von diesen Kräften hatte sie keine Ahnung gehabt. Jetzt stand sie plötzlich mit Nils in diesem Appartement. Sie hatte gespürt, wie sie quasi durch einen Tunnel geflogen war. Eine eigenartige Wärme hatte sie umfangen. Sie begann zu zittern.

„Ist schon gut“, beruhigte Nils. „Hast du schon mal ‚ne Wunde versorgt?“ Ellen nickte und Nils holte den Erstehilfekasten. Das Messer war durch die leichte Jacke gegangen, die Nils trug. Er zog sie jetzt aus. Die Wunde sah wirklich schlimm aus. Ein ekelhaft tiefer, klaffender Schnitt, der bereits angefangen hatte heftig zu bluten wie ein pulsierender Quell. Es war immer so, sobald der erste Wundschock vorbei war.

Nils zog die Kappe vom Desinfektionsspray, schloss die Augen, biss die Zähne zusammen und sprühte los.

„Ooaargh“, tat das höllisch weh. Die Tränen schossen ihm aus den Augen. Jetzt fing das Blut erst richtig an zu laufen.

Ellen hatte das schon ein paar Mal gemacht. Sie hatte wirklich Übung. In der Packung gab es Wundklammern und Nadel und Faden. Sie nahm Nils die Dose aus der Hand, desifizierte sich die Hände, wischte das Blut mit einem Handtuch oberflächlich weg, und sprühte noch mal gründlich auf und in die Wunde.

Nils stöhnte und verdrehte die Augen. Jetzt kam ihm das autogene Training zugute. Er fing an zu summen, dann fiel er langsam in eine Art Trancezustand.

Ellen brachte die Wundklammern auf, legte eine dicke Schicht Mull darüber und begann den Verband darum zu wickeln. Das hätte eigentlich fachgerecht versorgt und dann vernäht werden müssen. Hoffentlich gab das keinen Wundbrand. Nils summte und sang leise vor sich hin. Er schien überhaupt nicht mehr wahrzunehmen, was Ellen da machte.

Als die Pflaster den Verband endgültig fixierten, sah sich Ellen um. Das war ja eine niedliche kleine Wohnung. Dann holte sie ein Handtuch und wischte das Blut vom Parkettboden. Es hatte eine ziemliche Sauerei gegeben. Sie sah an sich herunter. Auch ihre Kleidung war voller Blut. „Scheiße.“

Nils summte immer noch. Ellen hob ihn leicht an und Nils schien in sich zusammenzusacken, dann nahm sie ihn in beide Arme und trug ihn zum Bett.

Sie legte sich dazu und nun begann sie Teil eines Prozesses zu werden, der ihr zukünftiges Leben bestimmen würde.

Um Nils und Ellen wob sich ein Feuer. Wie eine elektrostatische Entladung. Ein Ball aus feingeäderten Blitzen. Sie versuchte, den Arm herauszustrecken und aufzustehen. Es ging nicht. Sie war mit Nils in dieser Kugel gefangen.

Ellen seufzte. Erst dieser seltsame Sprung in dieses Appartement, dann diese Leuchtkugel. Sie verstand die Welt nicht mehr. Dann begann sie auf das leichte Gesumm zu achten, das immer noch aus Nils strömte. Er bewegte die Lippen nicht. Diese Klänge entströmten seinem Kopf, seinem Körper, sie waren einfach da, und nun wurde Ellen in diese Klänge eingewebt. Es kam ihr vor, als würde plötzlich ein dunkelhaariges Mädchen vor ihr stehen, vielleicht 20 Jahre alt, sie konnte das schlecht einschätzen. Das Mädchen breitete die Hände über die Leuchtkugel, es knisterte. Ellen wurde ganz tranig im Kopf und sie schlief ein.

Sie wusste nicht, wann sie aufwachte. Es war noch hell. Die Leuchtkugel und das Mädchen waren verschwunden. Sie sah auf ihrer Uhr, dass es neun war. Sie sah zu Nils und berührte ihn leicht am Hals, wie um seinen Puls zu fühlen.

Nils legte plötzlich die Hand um ihren Hals und zog sie leicht zu sich herunter. Ihr Kopf lag neben Nils und sie spürte seinen warmen Atem. Sie spürte auch sein „Danke“, das er unausgesprochen formulierte. Dann wanderte Nils Finger leicht über ihren Hals.

Ellen war keine Jungfrau mehr. Sie wusste, wohin das jetzt führt und sie war nicht bereit dazu. Sie richtete sich halb auf und sah Nils an.

Nils lächelte. Dann schlug er die Augen auf und sah sie direkt an. „Du kannst den Verband jetzt abnehmen.“

Ellen schüttelte den Kopf. „Wieso das? Die Wunde fängt dann sofort wieder an zu bluten.“ Nils summte und setzte sich auf.

Ellen gehorchte. Sie wusste nicht, warum sie das tat. Es war, wie eine Art innerer Antrieb. Sie tat, was Nils ihr befahl.

Der Verband war völlig durchnäßt, aber es gab keine Wunde mehr. Sie nahm die Klammern ab und sah eine 3x sechs Zentimeter lange wulstige Narbe in V-Form. Der Arm sah auf den ersten Blick aus, als habe es dort nie einen frischen Messerstich gegeben. Ellen blieb der Mund offen stehen.

Sie sah Nils an, diesen Nils, der immer noch summte. Dann wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie über dieses Ereignis nicht sprechen würde. Mit niemandem. Nils wusste es. Sie wusste es. Es war ein Geheimnis zwischen den beiden.

Plötzlich schlang Ellen Nils die Hände um den Hals und begann zu weinen. Der Schock saß einfach zu tief. Nils summte immer noch. Er nahm sie in die Arme und hielt sie fest.

„Morgen“, sagte er tröstend, „morgen können wir unseren Waldlauf machen.“

Ellen nickte und weinte immer noch. Sie war hart im nehmen, aber das war zuviel gewesen. Sie blieb über Nacht bei Nils. Es war jetzt ihr Wille. Sie merkte, dass es für Nils das erste mal war. Sie zeigte ihm ein paar Tricks. Sie zeigte ihm vor allem, dass er mit ihr behutsam sein musste.

Am nächsten Morgen wachten sie zusammen auf. Nils fragte: „sind wir noch Freunde?“

Ellen nickte. Sie war älter als Nils. In diesem Alter sind zwei Jahre sehr viel. Sie würden heute Nachmittag zusammen Waldlauf machen. Sie waren sich zu nichts verpflichtet.

Nils Handy hatte am Abend ein paar mal geklingelt. Er war nicht rangegangen.

7.

Dann gingen sie in die Schule, wie immer. Nils gab ihr ein neues T-shirt und eine Leggins, die er im Schrank fand. „Von meiner Schwester“, sagte er. Mit den blutverschmierten Sachen konnte er sie schlecht in die Schule gehen lassen.

Als Nils in die Schule kam, wurde er von Tina angemacht. „Ich hab dich gestern ein paar mal angerufen. Wo warst du?“ Nils hob entschuldigend die Hände. „Hab das Handy zum Aufladen gahabt. Sorry. Jetzt bin ich ja wieder da.“ Er grinste.

„Was’n das?“ Tina fasste in den blutigen Schlitz in der Windjacke. „Nils schaute an seinem Arm hinunter. „Ach so. Bin ich an Stacheldraht hängengeblieben. Muss ich wohl ausmustern.“

An diesem Morgen wurde überraschend eine Mathearbeit geschrieben und Nils war froh, dass er etwas abgelenkt wurde.

Nach der Schule ging er hinüber in seine kleine Wohnung, schlug sich ein Ei in die Pfanne und aß ein paar Sauergurken und Cracker dazu, dann klingelte es und Ellen holte ihn zum Training ab.

Als sie zur U-Bahn kamen, lasen sie die Schlagzeilen der Berliner Boulevarpresse. „Wieder Schlägerei in der U-Bahn. Opfer verletzt - Blutspur führt in U-Bahnschacht“. Nils zog sich eine Zeitung und las. Blutspur führt U-Bahnschacht? Das klang ja nicht gut. Sie waren der Blutspur gefolgt. Nach dreissig Metern hörte sie plötzlich auf. Sie hatten die Umgebung abgesucht, aber der Verletzte war im Nirgendwo verschwunden. Es gab in diesem Abschnitt keinen Quergang, keine Schächte von oben. Der Verletzte konnte nirgendwo hin. Er hatte sich in Luft aufgelöst. Die Zeugen in der U-Bahn hatten ihre Aussage gemacht. Vier italienische Jugendliche waren festgenommen worden, die man zusammengeschlagen in der U-Bahn aufgelesen hatte. Die Beschreibungen der Zeugen waren nichtssagend. Man würde Nils und Ellen auf diese Weise nie finden.

 

Nils gab Ellen die Zeitung. „Es gibt schon seltsame Dinge in der Welt“, sagte er todernst.

Ellen musste sich das Lachen mühsam verkneifen. Sie sah, dass Nils jetzt eine andere Jacke anhatte. Er war vorsichtig gewesen.

Im Grunewald begannen sie ihre Tour. Ellen staunte wieder. Sie hatte Nils gestern gesehen. Die Verletzung war wirklich heftig gewesen. Das Messer war bestimmt bis auf den Knochen gegangen und hatte den Oberarmmuskel komplett durchgetrennt. Nils lief mit einer Leichtigkeit, als hätte er nie eine Wunde gehabt. Es gab wirklich seltsame Dinge auf der Welt.

Dann begannen sie mit dem eigentlichen Training. Ausfallschritt, Luftsprünge. Tempo steigern, Schattenboxen. Nils machte ein paar mal Überschläge vor- und rückwärts, er drehte Schrauben, mitten aus dem Lauf. Er begann mit Ellen Scheingefechte. Das wars. Ellen spürte, dass dieses Training sie schnell und beweglich machen würde. Manchmal liefen sie rückwärts, in unverminderter Schnelligkeit.

Dann kam eine Kreuzung. Sie liefen wieder rückwärts, da wurde Nils plötzlich gestoppt. „Halt, halt, junger Mann, wohin so eilig?“

Sie drehten sich um. Nils fiel der Kiefer herunter. „Äh“, machte er.

Vor ihm standen Helen und eine Frau, die wohl ihre Mutter sein mochte, vom Aussehen her. Beide im Sportdress. Sie hatten wohl gerade dasselbe gemacht, wie Ellen und Nils.

Helen kicherte. „Mama“, sagte sie, „darf ich vorstellen? Das ist unser geheimnisvoller Gönner von gestern, er heißt Nils.“

„So so.“ Helens Mutter sah an Nils herunter und wieder hinauf. „Ein Sportler, wie es scheint.“ Dann forderte sie Nils auf, „dann wollen wir mal, zeigt, was ihr drauf habt.“

Sie begann zu laufen und Helen nahm Nils kurz bei der Hand. „Komm.“

Sie liefen zu viert weiter. Den ersten Kilometer liefen Nils und Ellen in schnellem Tempo mit, dann stoppten sie die beiden. „Wir haben Training, aber nicht im Dauerlauf.“ Nils drehte sich um und lief ein Stück rückwärts, dann begann er mit Helen das Training wieder aufzunehmen. „Whow“, sagte Helens Mutter. „Das müsst ihr mir zeigen.“

Nils nickte. Er lief ein Stück hinter ihr her, er fasste sie an den Hüften und drehte sie beim laufen mal nach links, mal nach rechts. Dann nahm er die Schultern und tat das gleiche. „Und jetzt alleine“, forderte er auf und nach einer Weile, „wenn Sie jetzt die Drehbewegung ausnutzen, dann können sie springen.“ Er machte das vor, indem er eine Schraube drehte.

Helens Mutter versuchte das, aber sie hatte nicht genügend Schwung. Sie stolperte und fiel hin. „Mama“, fragte Helen besorgt, „alles in Ordnung?“ Nils reichte ihr die Hand und zog sie hoch, dann lief er eine Weile neben ihr her und beobachtete ihr Sprunggelenk. Es schien alles OK.

Helen machte das schlauer. Sie begann mit leichten Übungen, ging dann ins Schattenboxen über und begann ihr Gewicht zu verlagern, dann sprang sie plötzlich in die Luft, drehte sich, kam mit beiden Beinen auf und lief weiter.

„Bravo“ meinten Ellen und Nils wie aus einem Mund.

Sie liefen noch ein Stück, dann meinte Helens Mutter. „Genug für heute. Dort vorn ist der Parkplatz. Können wir euch irgendwohin mitnehmen?“

„Nein nein“, meinte Nils „Wir haben’s nicht weit“. Sie hoben die Hand zum Gruß und liefen den nächsten Waldweg wieder hinein.

Nach einem Kilometer kam ein Übungsplatz zum Stretchen und Nils hielt an. Er machte seine Dehnungsübungen, dann schaute er sich um. „Es reicht für heute. Komm.“ Er nahm Ellen bei der Hand und sprang mit ihr in seine kleine Wohnung. Sie gingen unter die Dusche, dann gingen sie zusammen ins Bett.

Ellen, die wohl gemerkt hatte, dass Nils für dieses Mädchen etwas empfand - und dass beruhte wohl auf Gegenseitigkeit - schaute ihn an. „Du sollst wissen, dass ich dir nicht im Wege stehe.“ Sie machte eine schweifende Bewegung mit der Hand. Nils sah sie erstaunt an. „Das hast du bemerkt? Aber es ist doch noch gar nichts.“

Ellen lächelte. „Wenn ihr euch nicht zu blöd dabei anstellt, dann wird das aber nicht mehr lange dauern.“

Dann plötzlich: „Sind wir noch Freunde?“ Nils nickte. „Immer“, und Ellen begann, Nils wieder zu erregen. Sie würde mitnehmen, was sie von Nils bekommen würde.

„Ich muss heute noch lernen”, meinte Nils. “Morgen komme ich nicht zum Training. Mein Vater hat sich angekündigt. Wir haben ein paar Dinge zu besprechen. Du kannst mich jederzeit anrufen. Wir sind ja Freunde.“

8.

Zwei Tage später begann Nils mit Ellen zu trainieren. Diesmal nicht als Waldlauf. Er ging mit ihr in die Stadt und übte mit ihr, das Gedächtnis zu trainieren und sich „unsichtbar“ zu machen.

Sie verfolgten wildfremde Passanten. Nils zeigte Ellen zehn verschiedene Leute im vorbeigehen und fragte dann nach Details. Welche Farbe hatte der Rock? Waren die Haare kurz oder lang? Der Mann mit dem Bart, was hatte der in der Hand? Der Obdachlose. Wieviel Geld hatte er in seinem Hut? Nein genau. Auf den Cent genau.“ Er nickte.“ Solche Dinge werden dir nützen, deine Gegner einzuschätzen. Wie bewegen sie sich? Wie schnell sind sie? Wieviel Ausdauer haben sie? Sind sie allein oder zu Zweit?

Ellen fand das ziemlich anstrengend. Nils nickte. „Jede Übung ist am Anfang schwer. Wenn wir zusammen unterwegs sind, dann werden wir das üben. Wenn wir im Sportzentrum sind, dann werden wir das üben. Wenn du später alleine nach Hause gehst, dann wirst du das üben. Gedächtnistraining ist genauso wichtig wie Waldlauf oder unser Singen. Roman hat das in der Sportschule noch nie als Disziplin eingeführt. Einige der Sportler, die du aus der Schule kennst, die praktizieren das schon lange.“ Er nannte ein paar Namen. „Sind alle Cracks. Die Gedächtnisübungen sind eines der Geheimnisse ihrer Kampfkunst. Du wirst bald noch etwas anderes feststellen. Beim springen musst du wissen, wie du aufkommst, sonst knickst du um, so wie Helens Mutter. Sie hat diese Fähigkeit noch nicht. Das ist sehr gefährlich. In einem Kampf kann dich das dein Leben kosten oder dich am Leben erhalten.“ Er hob die Hände.

„Ja ja. Die Sache mit dem Messer. Ich bin gut, aber ich bin auch noch nicht perfekt. Solche Dinge passieren manchmal. Man muss sie minimieren.“

Dann sah er sie an. „Sind wir noch Freunde?“ Ellen nickte. „Dann solltest du wissen, dass du immer zu mir kommen kannst, auch wenn so etwas passiert wie...“ er zeigte auf seine Schulter.

Ellen nickte noch einmal.

9.

Als Nils nach Hause kam, wartete sein Vater auf ihn.

„Ich möchte mein Gespräch von vor einer Woche fortsetzen“, begann er. „Es geht um die Ethik unseres Handelns und es geht darum, wie wir in unserer Stadt - und darüber hinaus - endlich wieder so etwas wie eine Ordnung hineinkriegen. Nicht nur im Zentrum. Überall.“

„Damals, als Théra uns bei der Millionenbeute geholfen hat, da hat sie nicht lange gefackelt. Sie hat den Kassier umgebracht. (Siehe Band 6). Man kann darüber streiten, ob das legitim war. Schließlich haben sich die Dealer anschließend gegenseitig umgebracht, bis sie schließlich alle von bezahlten Killern ins Jenseits geschickt wurden. Das ist eine eigene Welt. Es ist aber etwas komplett anderes wenn wir so etwas tun. Wir sind keine Killer, aber auch ich habe schon getötet.“

Nils nickte. Auch er hatte das schon getan.

„Warum rede ich mit dir darüber? Es ist uns ein leichtes, uns in eine giftige Spinne zu verwandeln und den Gegner auszulöschen, und mit deinen Fähigkeiten als Kickboxer kannst du fast jeden Gegner mit den bloßen Händen vernichten. Roman hat dir eingeimpft, den Gegner zu achten. Es ist eine Kampfsportart, aber es ist keine Lizenz zum Töten.“ Dann fing er an, von Théra zu erzählen.

„Auch sie hat schon mehrfach getötet. Als Familie haben wir darüber zu Gericht gesessen. Théra hat aber viel größere Fähigkeiten. Sie kann Menschen für sich gewinnen. Sie kann sie beeinflussen.“

Er sah Nils tief in die Augen. „So, wie du das gerade mit Ellen machst.“

Nils blickte erschrocken auf. „Ja Ja. ist schon gut. Ich weiß, was du vorhast. Du rekrutierst gerade ein neues Mitglied für die Truppe „des Dicken“. Ich spreche aber noch von etwas anderem: Théra hat es ein paar Mal fertig gebracht, dass ihr Massen von Menschen zu Füssen lagen. Sie gehorchten ihr. Sie kann sie immer noch steuern. Sie tut das gelegentlich. Unsere Erfolge in Südamerika wären nicht so groß, wenn sich Théra nicht immer mehr Industriekapitäne, Politiker, ihre Frauen und ihre Kinder unterthan machen würde. Es ist wirklich so. Sie beeinflusst die Meinungen der Menschen.“

„In vielen Bereichen ist uns das noch nicht gelungen. Hier in Berlin, im Regenwald des Amazonas, aber natürlich auch in Afrika oder Indonesien - überall, wo solche schrecklichen Dinge passieren, wie Verschleppung, Vertreibung, Raubrodung, Hunger und Mord. Wir können nicht überall gleichzeitig sein und wir haben nicht die Kraft vor Théra.“

Er fuhr fort: „Wir sind auch nur Menschen, aber wir sollten versuchen, hier in Berlin etwas mehr Ordnung in das Chaos zu bringen. Wir haben schließlich eine soziale Verantwortung. Ich weiß aber auch noch nicht wie die beste Lösung aussieht. Morgen abend kommt mal wieder eine Lieferung Frischfleisch aus Russland. Ein ganzer Container mit jungen Mädchen, die für den Strassenstrich bestimmt sind. Wir werden sie beobachten und wir werden der russischen Mafia einen weiteren schweren Schlag versetzen. Du weist, hier geht es um Menschenhandel und um Zwangsprostitution. Wir kämpfen allerdings nicht gegen Prostituierte, die das freiwillig und aus eigenem Antrieb machen. Auch das gibt es. Bist du dabei?“

Nils nickte. Sie waren stets erfolgreich, wenn es darum ging, diesen Ganoven das Geld oder die Ware abzunehmen. Inzwischen hatten die Gegner geheime Kommandos aufgestellt und große Summen als Belohnung ausgelobt. Sie wollten endlich diese ständigen Verluste minimieren. Drogengeld, Schmuggelware, Bestechungsgelder... immer wieder verschwanden solche Dinge auf unerklärliche und geheimnisvolle Weise. Die Bosse und ihre Hintermänner tobten. Nicht nur die Männer der russischen Mafia.

Inzwischen hatten sich sogar mehrere dieser Gangs zusammengetan. In dieser einen Sache arbeiteten sie zusammen. So langsam wurde es auch für die Familie von Nils brenzlig. Noch hatte niemand Verdacht geschöpft, aber es war nur eine Frage der Zeit, dass die Gegner sich irgendwann das Zentrum vorknöpfen würden.

Dann sagte Papa, „ich hab für morgen abend Théra dazugebeten, als Beobachterin. Und nun noch etwas anderes. Ich weiß, dass du dich mit Paras und Alanques Kindern häufig triffst. Seid ihr in dieser Methode weitergekommen, eure Energie wie ein Feld aus Beeinflussung über die Menschen zu legen?“

Nils schüttelte den Kopf. „Im Kleinen gelingt uns das gut. Im Großen müssen wir unsere Kräfte bündeln. Théras Kraft haben wir nicht. Aber solche Dinge, wie einen Hubschrauber in der Luft explodieren zu lassen, das können wir.“

Dennis nickte. „Könntest du ein Vorhängeschloß knacken oder einen LKW anhalten?“ Nils schüttelte den Kopf. „Das erste ist leicht, das Zweite ist schwer, weil ich die Technik noch nicht kenne. Dafür müssten wir schon zu dritt oder zu viert sein. Nur Théra hat diese Kraft.“

„Gut. Wir werden das morgen Nacht sehen.“

Morgen war Samstag. Nils würde einen langen Schlaf brauchen, um nachts fit zu sein. Solche Lieferungen kamen immer zwischen zwölf und drei. In seinem Alter war das die Tiefschlafphase. Er würde sich am Tag irgendwann noch einmal hinlegen müssen. Dann rief er Ellen an. „Morgen ist nich“, meinte er. „Sonntag lassen wir offen. Ich melde mich.“