Evangelisches Kirchenrecht in Bayern

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§ 10Körperschaftsstatus, kirchliches Vermögen und Staatsleistungen
1.Religionsverfassungsrechtlicher Begriff und Bedeutung des Körperschaftsstatus

a)Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass den Kirchen und Religionsgemeinschaften in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verfassungsrechtlich zuerkannt ist. Unter Körperschaften des öffentlichen Rechts versteht man nämlich im allgemeinen Recht Personenverbände (also mitgliedschaftlich organisierte Vereinigungen), die mit eigener Rechtsfähigkeit ausgestattet sind und unter staatlicher Aufsicht staatliche Aufgaben wahrnehmen.1

Dieser Definition entsprechen die Kirchen und Religionsgemeinschaften gerade nicht. Weder nehmen sie staatliche Aufgaben wahr, noch stehen sie unter staatlicher Aufsicht. Nur historisch ist erklärbar, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften diesen Status haben. Früher waren sie in der Tat ein Teil des Staates und nahmen damit staatliche Aufgaben wahr. Die früheren Landeskirchen zur Zeit des landesherrlichen Kirchenregiments waren es auch, für die dieser Begriff der öffentlichen Korporation zunächst entwickelt worden ist.2 Seit der 1919 durch Art. 137 Abs. 1 WRV vollzogenen institutionellen Trennung von Staat und Kirche passt dieser Begriff dagegen in der beschriebenen Bedeutung für die Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht mehr. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts eigener Art.3 Dasselbe gilt für Weltanschauungsgemeinschaften, die gemäß WRV Art. 137 Abs. 7 den Religionsgemeinschaften gleichgestellt sind.

b)Mit der Regelung des Art. 137 Abs. 5 WRV war beabsichtigt, die den Kirchen und ihren Untergliederungen (Kirchengemeinden, Gesamtkirchengemeinden, Dekanatsbezirke) bis zum Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung zustehende öffentliche Rechtsposition und die damit verbundenen Vorrechte auch weiterhin zu erhalten.4 Wegen der nunmehr geltenden religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates und dem Gebot der Parität (vgl. o. § 7.6 b) wurde dieser Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft durch Art. 137 Abs. 5 jetzt aber allen Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften angeboten.5

c)Selbstverständlich steht es im Ermessen der einzelnen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, ob sie – wie Art. 137 Abs. 4 WRV dies allgemein vorsieht – ihre Rechtsfähigkeit „nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts“ besitzen wollen, sich also in der Form des rechtsfähigen Vereins organisieren,6 oder ob sie dagegen die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erwerben wollen.7 Die Art und Freiheit der Religionsausübung (Art. 4 GG), die Unabhängigkeit vom Staat (Art. 137 Abs. 3 WRV) und die Garantie des Selbstbestimmungsrechts (Art. 137 Abs. 1 WRV) bleiben davon unberührt. Sie gelten für alle Kirchen und Religionsgemeinschaften, gleich welcher Organisationsform. Die Beibehaltung des Korporationsstatus für die Kirchen bzw. die Möglichkeit der Zuerkennung dieses Status für andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften enthält zum einen die Absage an eine radikal-laizistische Trennung von Staat und Kirche. Zum anderen bedeutet sie die Entscheidung für den Fortbestand gewisser Beziehungen zwischen Staat und Kirche und damit auch für die Zusammenarbeit beider Institutionen in einem bestimmten Rahmen.8 Durch Art. 137 Abs. 5 WRV wird die Bedeutung der Kirchen und der Religionsgemeinschaften sowie nach Art. 137 Abs. 7 WRV auch der Weltanschauungsgemeinschaften für die öffentliche Gesamtordnung und das Gemeinschaftswesen anerkannt. Als nach wie vor gesellschaftlich und politisch relevante Vereinigungen werden ihnen die Gestaltungsmöglichkeiten des öffentlichen Rechts zugestanden, weil dies für ihr Wirken angemessener erscheint als die Form eines privatrechtlichen Vereins.9 Die Zuerkennung der Korporationsqualität bedeutet dabei aber keine Gleichstellung mit staatlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts und auch keine organische Eingliederung in den Staat: „Durch die Zuerkennung dieses öffentlich-rechtlichen Status wird die Kirche anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht gleichgestellt. Dieser Status soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirche vom Staat sowie ihre originäre Kirchengewalt bekräftigen. Durch sie wird die Kirche weder in den Staat organisch eingegliedert, noch einer besonderen Kirchenhoheit unterworfen.“10

d)Der Körperschaftsstatus kommt nach dem Wortlaut von Art. 137 Abs. 5 WRV auch dem Zusammenschluss von mehreren körperschaftlich organisierten Religionsgemeinschaften zu (Art. 137 Abs. 5 S. 3). So haben nicht nur die einzelnen Landeskirchen und deren Untergliederungen diesen Status, sondern etwa auch die VELKD und die EKD.

2.Erwerb des Körperschaftsstatus

a)Gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV müssen anderen – als den 1919 vorhandenen – Religionsgemeinschaften „gleiche Rechte“ gewährt werden, wenn sie durch ihre Verfassung und Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Es muss demzufolge eine gewisse rechtliche Organisation bestehen, eine gesicherte Finanzausstattung und eine bestimmte Zeit der Existenz.11 Hinsichtlich der Mitgliederzahlen besteht keine starre Grenze12, insbesondere kann dabei auch der Mitgliederbestand in anderen Bundesländern oder anderen Staaten eine Rolle spielen.13

Darüber hinaus setzt die Verleihung dieses Status, wie insbesondere das Bundesverfassungsgericht in seinen Zeugen-Jehovas-Entscheidungen14 herausgearbeitet hat, die Gewähr der Rechtstreue voraus. Eine Religionsgemeinschaft, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts begehrt, muss deshalb die Gewähr dafür bieten, dass ihr künftiges Verhalten die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet. Unter diesen Voraussetzungen können insbesondere auch muslimische Gemeinschaften und Verbände den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erwerben.15

b)Die Zuständigkeit für die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften liegt bei den einzelnen Bundesländern. In Bayern erfolgt dies durch einen Verwaltungsakt des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus16. Geregelt ist dies im Einzelnen in Art. 1 Bayer. Kirchensteuergesetz (RS 430). Gemäß der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (RS 108)17 besitzen in Bayern folgende Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts:

1. die Römisch-Katholische Kirche,

2. die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern,

3.die Evangelisch-reformierte Kirche in Bayern,

4. die Alt-Katholische Kirche im Freistaat Bayern,

5. die Evangelisch-methodistische Kirche,

6. die Vereinigung Bayerischer Mennonitengemeinden,

7. die Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland,

8. der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern,

9. der Bund für Geistesfreiheit Bayern,

10. die Christian Science in Bayern,

11. die Neuapostolische Kirche Süddeutschland,

12. die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Bayern,

13. die Christengemeinschaft in Bayern,

14. die Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland,

15. der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland,

16. der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden,

17. die Rumänische Orthodoxe Metropolie für Deutschland, Zentral- und Nordeuropa,

18. Jehovas Zeugen in Deutschland,

19. der Humanistische Verband Deutschlands – Bayern,

20. der Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland.

Gemäß Art. 2 Abs. 3 Bayer. Kirchensteuergesetz ist das Bayerische Kultusministerium auch für die Verleihung (und den Entzug) der Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an (Gesamt-)​Kirchengemeinden, kirchliche Zweckverbände und von einem gemeinschaftlichen Steuerverband errichtete Anstalten des öffentlichen Rechts zuständig.

3.Inhalt des religionsverfassungsrechtlichen Körperschaftsstatus

Die mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verbundenen Rechtsfolgen sind18:

 

Dienstherrnfähigkeit, d. h. z. B. die Befugnis, Beamte zu haben, also Dienstverhältnisse öffentlich-rechtlicher Natur zu begründen19, die nicht dem Arbeits- und Sozialversicherungsrecht20 unterliegen. Damit einher geht die Disziplinargewalt (das Recht, im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse disziplinarische Maßnahmen auch mit Wirkung im staatlichen Rechtskreis zu verhängen21, einschließlich eines in diesem Zusammenhang möglichen Vereidigungsrechtes).

Organisationsgewalt, d.h. die Möglichkeit zur Untergliederung in öffentlich-rechtliche Körperschaften22 oder zur Schaffung sonstiger öffentlich-rechtlicher Rechtssubjekte.23

Parochialrecht, d. h. die automatische Zugehörigkeit zu der Kirchengemeinde der betreffenden Religionsgemeinschaft, in der der Einzelne seinen („ersten“) Wohnsitz nimmt. Wer in einer Kirchengemeinde zuzieht, braucht daher nicht seinen förmlichen Beitritt zu erklären. Dies gilt entsprechend auch für übergeordnete Gliederungen, also die entsprechenden Landeskirchen.24 Auch nach staatlichem Recht wird der Zuziehende als Glied dieser Kirchengemeinde bzw. Religionsgemeinschaft angesehen und z. B. zur Kirchensteuer herangezogen.

Autonomie, d. h. die Befugnis, die vorgenannten Bereiche mit öffentlich-rechtlicher Wirkung regeln zu können. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben kraft eigenen Rechts eine Rechtsetzungsgewalt. Diese ist durch Art. 137 Abs. 3 WRV auch anerkannt. Sie ist aber zunächst auf den internen Kirchenbereich beschränkt. Erst durch die aus Art. 137 Abs. 5 folgende Autonomie (Ermächtigung zur Rechtsetzung auf öffentlich-rechtlichem Gebiet) genießt das kirchliche Recht auch Anerkennung und Geltung im staatlichen Bereich, mit der Wirkung, dass etwa staatliche Gerichte gegebenenfalls auch Bestimmungen des Pfarrer- oder Kirchenbeamtengesetzes anzuwenden haben und daran gebunden sind.25

Besteuerungsrecht, d. h. die Befugnis, Kirchensteuern zu erheben. Dies ist in Art. 137 Abs. 6 WRV noch einmal ausdrücklich festgehalten. Das Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, von ihren Mitgliedern Beiträge bzw. Abgaben zu erheben, steht ihnen kraft eigenen Rechts zu. Im staatlichen Bereich wären diese Beiträge nur durch Klagen vor den ordentlichen Gerichten beitreibbar. Zur „Steuer“ werden diese Beiträge dadurch, dass sie aufgrund der staatlichen Steuerlisten veranlagt und mit staatlicher Hilfe hoheitlich beigetrieben werden können, also ohne die Notwendigkeit einer vorhergehenden Klage vor dem ordentlichen Gericht. Insoweit enthält Art. 137 Abs. 6 eine staatliche Verleihung zur Steuererhebung durch die Kirchen und Religionsgemeinschaften.26

Res sacrae und kirchliche öffentliche Sachen:

Die dem Kultus dienenden Gegenstände (res sacrae, z. B. Kirchengebäude, Glocken, vasa sacra, Friedhöfe) sowie das Verwaltungsvermögen der Kirchen und Religionsgemeinschaften (Pfarrhäuser, Gemeindehäuser, kirchliche Verwaltungsgebäude u. ä.) unterliegen dem öffentlichen Sachenrecht. Die Eigenschaft als res sacrae wird begründet durch die Widmung zum kirchlichen Gebrauch. Ein etwa bestehendes fremdes Eigentumsrecht wird dadurch überlagert und die Verwendung auf den Widmungszweck beschränkt.27 Bei den eigentlichen res sacrae gilt dies wohl zugunsten aller Religionsgemeinschaften, beim sonstigen kirchlichen Verwaltungsvermögen wohl nur zugunsten der korporierten Religionsgemeinschaften.28

„Privilegienbündel“

Hierunter fällt ein Bündel von in zahlreichen Gesetzen enthaltenen Einzelvergünstigungen29, die meist allgemein allen Körperschaften des öffentlichen Rechts und damit auch den korporierten Religionsgemeinschaften zukommen. Hierzu zählen etwa Vergünstigungen und Befreiungen im Bereich des Steuerrechts (Befreiung u.a. von Körperschaftssteuer, Vermögenssteuer, Grundsteuer und Erbschaftssteuer), des Kosten- und Gebührenrechts, des Konkursrechts30, ferner im Bauplanungsrecht31, die Anerkennung als Träger freier Jugendhilfe32 oder eigener Aufgaben in der Sozialhilfe33, sowie das Recht, amtliche Beglaubigungen vorzunehmen.34 Soweit es um Mitwirkung und Repräsentation gesellschaftlich relevanter Kräfte in staatlichen oder öffentlichen Gremien geht, wird hinsichtlich der Kirchen und Religionsgemeinschaften ebenfalls regelmäßig an den Körperschaftsstatus angeknüpft, z. B. bei der Vertretung im Rundfunkrat, im Medienrat u. a.

4.Verfassungsrechtlicher Schutz des kirchlichen Vermögens (Kirchengutsgarantie)

a)Die Kirchengutsgarantie des Art. 138 Abs. 2 WRV, wonach „das Eigentum und andere Rechte“ der Religionsgemeinschaften und religiösen Vereine gewährleistet werden, kommt allen Religionsgemeinschaften unabhängig von ihrer Rechtsform zu. „Eigentum und andere Rechte“ umfasst alle Vermögenswerte, die bestimmt sind, einem kirchlichen Zweck zu dienen.35 Dazu gehören also nicht nur die beweglichen u. unbeweglichen Sachen sowie die Ansprüche kirchlicher Rechtsträger auf Geld-, Sach- und Dienstleistungen (z. B. Kirchensteuern, Gebühren, Staatsleistungen, Erfüllung von Baulastverpflichtungen), sondern auch Nutzungsrechte an fremdem Eigentum.

b)Das kirchliche Vermögen ist dabei nach Finanzvermögen und nach Verwaltungsvermögen zu unterscheiden. Kirchliches Finanzvermögen ist alles Vermögen, dessen Ertrag zur Finanzierung der kirchlichen Tätigkeit verwendet wird. Dazu zählen insbesondere Erträge aus land- oder forstwirtschaftlicher Nutzung und aus Kapitalanlagen. Zum kirchlichen Verwaltungsvermögen gehören alle Sachen und Rechte, die unmittelbar der Durchführung kirchlicher Aufgaben dienen, insbesondere Kirchengebäude, Altäre, Glocken, Orgeln, Taufbecken, Abendmahlsgeräte, Pfarr- und Gemeindehäuser, Predigerseminare, kirchliche Kindertagesstätten, Friedhöfe, Studentenwohnheime, Krankenhäuser, Pflegeheime, (Fach-)​Hochschulen, Archive und Bibliotheken.

c)Träger des kirchlichen Vermögens gibt es auf allen Ebenen des körperschaftlichen Aufbaus der Landeskirchen. Die Landeskirchen sind in der Regel vor allem Gläubiger der Kirchenumlagen und der Staatsleistungen; das landeskirchliche Vermögen der ELKB wird vom Landeskirchenrat – Landeskirchenamt – verwaltet, der dafür gegenüber der Landessynode berichtspflichtig ist. Kirchlicher Grundbesitz steht zum großen Teil im Eigentum der ortskirchlichen Rechtsträger, in erster Linie der Kirchengemeinden, die in der ELKB – wie in den meisten Landeskirchen – auch Gläubiger des (Orts-)​Kirchgelds sind und – neben den Zuweisungen im Rahmen des innerkirchlichen Finanzausgleichs – weitere Einnahmen aus ortskirchlichen Kollekten und Gemeindegebühren erzielen; demgegenüber haben Kirchen- und Pfründestiftungen als örtliche Vermögensträger zunehmend an Bedeutung verloren. Seitdem die Kirchengemeinden die Fähigkeit erlangt haben, selbst Träger von Vermögensrechten zu sein, besteht für Kirchenstiftungen kein Bedarf mehr; das in vielen Landeskirchen zentral verwaltete oder im Wege der Zusammenlegung der ursprünglichen örtlichen Pfründestiftungen vereinigte Pfründevermögen trägt nur noch zu einem geringen Teil zur Sicherung der Pfarrbesoldung bei.36 Deshalb sind z. B. in Bayern seit 1940 bzw. 1994 keine neuen Kirchen- und Pfründestiftungen mehr errichtet worden. Die Verwaltung des Ortskirchenvermögens obliegt dem Kirchenvorstand, wobei bestimmte Rechtsgeschäfte der kirchenaufsichtlichen Genehmigung bedürfen und bis zu deren Erteilung schwebend unwirksam sind.37 Zum kirchlichen Vermögen ist ferner das Vermögen der kirchlichen Versorgungskassen und -fonds, der unter kirchlicher Aufsicht stehenden Erziehungs-, Unterrichts- und Wohltätigkeitsstiftungen sowie von als kirchlich anerkannten Vereinen zu rechnen.

d)Durch ihre Widmung zu kirchlichen Zwecken werden Gegenstände des kirchlichen Verwaltungsvermögens den Regeln des staatlichen Rechts der öffentlichen Sachen unterstellt. Da die Widmung eine Einschränkung privater Rechte bewirkt, bedarf diese, wenn die widmende Religionsgemeinschaft selbst nicht Eigentümerin der Sache ist, der Zustimmung des Eigentümers bzw. des Inhabers sonstiger dinglicher Rechte. Die Befugnis zu einer solchen Widmung ist Ausfluss der besonderen Rechtsstellung der als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV).

Der Schutz vor staatlichen Beeinträchtigungen durch die Kirchengutsgarantie des Art. 140 GG/Art. 138 WRV ist besonders intensiv bei den durch agendarische Handlungen insbesondere für Gottesdienst, Verkündigung und Liturgie gewidmeten Gegenständen (res sacrae). Diese dürfen den Kirchen ohne ihr Einverständnis unter keinen Umständen entzogen werden. Bei den nichtkultischen Gegenständen des kirchlichen Verwaltungsvermögens ist der Grad des Schutzes vor widmungswidriger Verwendung jeweils abhängig von ihrer Nähe zum kirchlichen Auftrag und ihrer Unentbehrlichkeit für die kirchliche Funktion.

e)Die Verwaltung des kirchlichen Vermögens gehört zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen (Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 3 WRV). Für alle kirchlichen Ebenen ist der Grundsatz wirtschaftlicher, mit dem kirchlichen Auftrag vereinbarer und nachhaltiger Vermögensverwaltung leitend. Mit der Befugnis zur eigenverantwortlichen Vermögensverwaltung der Kirchengemeinden und anderer kirchlicher Rechtsträger korrespondieren landeskirchliche Genehmigungsvorbehalte bei Verfügungen über Grundvermögen und besonders bedeutsamen oder risikoreichen vermögensrelevanten Maßnahmen. Einzelheiten sind in den Richtlinien des Rates der EKD zum kirchlichen Finanzwesen vom 9. Dezember 2016 (ABl EKD 2017, S. 30 und 58) und in entsprechenden landeskirchlichen Ordnungen geregelt. Mit der schrittweise im Bereich der EKD und ihrer Gliedkirchen erfolgenden Neuausrichtung des Finanz- und Haushaltswesens im Sinne der erweiterten Kameralistik oder der Doppik soll neben einer Optimierung der Steuerung der kirchlichen Ressourcen insbesondere auch ein höheres Maß an Transparenz über den kirchlichen Vermögensbestand und den Grad seiner Bindung durch Rückstellungen (z. B. zur Absicherung von Versorgungs- und Beihilfeverpflichtungen) und Verbindlichkeiten erreicht werden.

f)Insgesamt gesehen, besteht die Bedeutung der Kirchengutsgarantie darin, dass die öffentliche Funktion des kirchlichen Vermögens gegen alle Arten von Säkularisation geschützt wird. Ihr Schutzbereich geht daher weit über den einer einfachen Eigentumsgarantie hinaus, denn Art. 138 Abs. 2 WRV schützt das religionsgemeinschaftliche Kultus- und Verwaltungsvermögen nicht nur gegen jede Entziehung vonseiten des Staates, sondern auch gegen eine Zweckentfremdung.

5.Staatsleistungen

a)Grundsätzlich unabhängig vom Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sind auch die „auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln“ beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften gemäß Art. 138 Abs. 1 WRV.

Tatsächlich handelt es sich bei den Empfängern dieser Staatsleistungen zwar nicht ausschließlich, aber im Wesentlichen um altkorporierte Religionsgemeinschaften, also die Großkirchen, weil diese es waren, die die Opfer früherer Säkularisationen erbracht haben. Für diese sollten die historisch gewachsenen Staatsleistungen einen gewissen Ausgleich darstellen.38 Diese historischen Staatsleistungen, die nur als Ausgleich für die frühere Wegnahme von Kirchengut und aus der früheren Verflechtung von Staat und Kirche erklärbar sind, unterliegen einem Ablösungsgebot. Bis zur Aufstellung der dafür erforderlichen Grundsätze durch das „Reich“ – jetzt den Bund – genießen diese Leistungen indes verfassungsrechtlichen Bestandsschutz, können also nicht einseitig von staatlicher Seite aufgehoben werden.

 

Die Staatsleistungen haben im Vergleich zu den von den Kirchenmitgliedern gewissermaßen als Mitgliedsbeiträge erbrachten Kirchensteuern, die die Haupteinnahmequelle der Kirchen in Deutschland darstellen, zwar eine nachgeordnete, aber keineswegs unwesentliche Bedeutung. In den „alten“ Bundesländern beträgt ihr Anteil am jährlichen Haushalt der Kirchen 2 bis 3 Prozent der Einnahmen, in den „neuen“ Bundesländern jedoch 20 bis 25 Prozent. Insgesamt belaufen sich die von den Bundesländern an die Kirchen gezahlten Staatsleistungen pro Jahr auf 500 bis 550 Mio. Euro; die jährlichen Staatsleistungen des Freistaates Bayern an die ELKB betragen ca. 23 Mio. Euro. Berechtigung und Ablösung der Staatsleistungen gehören zu den aktuell besonders intensiv diskutierten Fragen des Religionsverfassungsrechts. Eine sachgerechte Auseinandersetzung setzt zunächst eine präzise Begriffsklärung voraus.

b)Unter Staatsleistungen sind ausschließlich Geld- oder Naturalleistungen des Staates an die Kirchen zu verstehen, welche historisch durch

die staatliche Säkularisation von Kirchengut begründet und

als Rechtstitel vor Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung entstanden sind.

Dabei liegt der Rechtsgrund der Staatsleistungen für die evangelischen Landeskirchen ganz überwiegend in der Reformationszeit, in der protestantisch gewordene Fürsten und Städte – mit Ausnahme des örtlichen Pfründe- und Kirchenvermögens – das gesamte Kirchengut übernahmen und dafür im Wege der Universalsukzession fortan aber auch den Personal- und Sachaufwand gesamtkirchlicher Aufgaben und subsidiär für Pfarrbesoldung und Bauunterhalt trugen.

Die Größenordnung der Säkularisation von Kirchengut in den heute zu Bayern gehörenden evangelischen Territorien war beträchtlich: Gemäß den Angaben in den Protokollen des Bayer. Landtages von 1822 wären im 19. Jahrhundert allein aus den jährlichen Erträgen der in der Reformationszeit eingezogenen Güter der Stifte Ansbach-St. Gumbertus und Feuchtwangen und des Klosters Heilsbronn in Höhe von 470.000 Florin (Gulden) die Gehälter aller damals 900 evangelischen Pfarrer zu bezahlen gewesen.39

Für die katholische Kirche hingegen liefert die Neugliederung des Reiches nach dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803, wodurch die weltlichen Fürsten für ihre linksrheinischen Gebietsverluste an Frankreich infolge des Friedens von Lunéville von 1801 einen Ausgleich erhalten sollten, den erforderlichen Begründungszusammenhang. Die „Entschädigung“ ging in der Regel deutlich über den Verlust hinaus. Die Gebietsverluste Bayerns sind in etwa um das Siebenfache, die Gebietsverluste Preußens um das Fünffache mit kirchlichem Land kompensiert worden.40

Sowohl für die katholische wie für die evangelische Kirche gilt: Staatsleistungen sind nicht Abstandszahlungen für das seinerzeit enteignete Vermögen selbst, sondern das Äquivalent für die durch den Verlust entzogenen Vermögenserträge. Aus diesem Grund haben sich die Staatsleistungen auch nicht etwa durch die in den letzten 100 Jahren geleisteten Zahlungen einfach erledigt.41 Vielmehr gilt wie bei Miete und Pacht: Solange der Mieter oder Pächter die Mietsache bzw. das Pachtgut nutzt, ist er auch zur Zahlung der Miete bzw. des Pachtzinses verpflichtet, und kann sich nicht darauf berufen, dass sich diese Verpflichtung aufgrund der langen Vertragslaufzeit amortisiert hätte. Insofern sind Staatsleistungen grundsätzlich „ewige Schulden“. Sie sind im Übrigen auch unabhängig von einem etwaigen Rückgang der Mitgliederzahl der begünstigten Kirchen – wie es ja auch nicht bei anderen Dauerschuldverhältnissen darauf ankommt, dass z. B. ein Vermieter ursprünglich eine Personenmehrheit war, später aber nur noch eine Person ist.

Zu den von Art. 138 Abs. 1 WRV erfassten Staatsleistungen gehören vor allem

–sog. Dotationen (Leistungen an kirchenleitende Behörden und ihre Amtsträger, Zuschüsse zur Besoldung und Altersversorgung),

–Reichnisse42 und nicht zuletzt

–Ansprüche aus Kirchenbaulasten.43

Neben solchen positiven Staatsleistungen in Form von Zahlungen aus öffentlichen Mitteln sind auch Befreiungen von Steuern, Abgaben und Gebühren als negative Staatsleistungen anerkannt.44 Einzelheiten über diese Leistungen sind meist in Konkordaten und Kirchenverträgen oder Verwaltungsvereinbarungen festgehalten.45 Nach umstrittener, im Ergebnis zutreffender Ansicht werden zu den Leistungen nach Art. 138 Abs. 1 WRV auch die Leistungen politischer Gemeinden (z. B. kommunale Baulastverpflichtungen) gerechnet.46

Staatsleistungen sind strikt zu unterscheiden von

–Erstattungen für Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach, der von kirchlichen Lehrkräften an öffentlichen Schulen erteilt wird,

–der verfassungsrechtlich und vertraglich eigens geregelten staatlichen Finanzierung der Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten einerseits und der Seelsorge an staatlichen Einrichtungen (z. B. Militär- und Gefängnisseelsorge) andererseits, sowie

–staatlichen Subventionen und Fördermitteln für die Wahrnehmung staatlicher oder in seinem Interesse liegender Aufgaben, welche auch andere Institutionen für ihre gemeinnützige Tätigkeit (z. B. Betrieb von Kindergärten) oder z. B. als Eigentümer von denkmalgeschützten Baudenkmälern erhalten.

Während in den älteren Kirchenverträgen und Konkordaten, wie z. B. Bayerns (1924), zwischen einzelnen Leistungstiteln (z.B. Personal- und Sachbedarf kirchenleitender Organe, Besoldung und Versorgung der Geistlichen, Baulasten) differenziert wird,47 sind in den nach dem 2. Weltkrieg und nach der politischen Wende von 1989/90 im Osten Deutschlands mit den Kirchen geschlossenen Kirchenverträgen und Konkordaten die Staatsleistungen als jährlicher Gesamtzuschuss mit Dynamisierung fixiert worden, der alle anderen auf älteren Rechtstiteln beruhende Zahlungen ersetzt hat.48

c)Staatsleistungen stehen im Einklang mit den anderen religionsverfassungsrechtlichen Grundsätzen des Grundgesetzes bzw. der Weimarer Verfassung49:

–Solange der Staat mit der Leistung nicht den Anspruch verbindet, sich deshalb in kirchliche Angelegenheiten einzumischen, ist die organisatorische Unabhängigkeit der Kirche vom Staat im Sinne von Art. 140 GG/137 Abs. 1 WRV nicht in Frage gestellt.

–Nach der aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit und dem Verbot der Staatskirche abzuleitenden Neutralitätspflicht des Staates darf sich der Staat nicht mit bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Positionen identifizieren. Die Zahlung von Staatsleistungen berührt indes die Neutralität des Staates nicht, weil die Zahlung allein aufgrund der bestehenden Rechtspflicht und nicht etwa aus einer Affinität zu den religiösen Intentionen des Gläubigers erfolgt.

–Der Paritätsgrundsatz verbietet eine Ungleichbehandlung von Religionen und Weltanschauungen, welche nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden kann. Das historische Herkommen der Staatsleistungen ist ein solcher sachlicher Differenzierungsgrund, sodass der Paritätsgrundsatz nicht verletzt wird.

d)So sehr festzuhalten ist, dass Staatsleistungen Gegenstand eines Dauerschuldverhältnisses sind, ist es nachvollziehbar, dass zunehmend an das bisher nicht erfüllte Gebot von Art. 138 Abs. 1 WRV erinnert wird, „die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen“ abzulösen. Nachdem ein seinerzeit mit den Kirchen abgestimmter Entwurf eines Reichsgesetzes „über die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften“ aus dem Jahr 192450 wohl aufgrund der damals prekären Finanzlage der Länder im Plenum des Reichstages nie beraten worden war51, gab es dazu auf Bundesebene erst 2012 wieder eine entsprechende Gesetzesinitiative, die von der Fraktion „DIE LINKE“ (Bundestags-Drucksache 17/8791) kam, die aber nach Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss vom Bundestag abgelehnt worden ist.52 Sowohl von fachwissenschaftlicher als auch amtskirchlicher Seite ist gleichwohl zur Ablösung von Staatsleistungen grundsätzliche Bereitschaft signalisiert worden. Die Einsicht, dass – unbeschadet der rechtlichen Klarheit und Verbindlichkeit – Staatsleistungen auf Akzeptanzschwierigkeiten stoßen und eine „Entrümpelung der historischen Verbindlichkeiten“53 sachdienlich sein könnte, ist jedenfalls auf Empfängerseite weithin vorhanden.

In diesem Zusammenhang ist aber zu beachten:

–Adressat des Ablösegebots sind nicht die Kirchen, sondern der Staat. In der Nachfolge des Deutschen Reiches obliegt es zunächst dem Bund, im Sinne eines Rahmengesetzes die Grundsätze der Ablösung zu definieren, auf deren Grundlage dann auf Länderebene die Ablösung im Einzelnen auszugestalten ist. Dies ist darin begründet, dass die Länder, die sich von Lasten befreien wollen, nicht Richter in eigener Sache sein sollen. Vielmehr soll der Bund gewissermaßen als „ehrlicher Makler“ die Grundlagen für einen schiedlich-friedlichen Ausgleich schaffen.54

–Ablösung bedeutet nicht Einstellung der Zahlungen zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern Aufhebung gegen Wertausgleich. Umstritten ist, ob dieser Wertausgleich bei voller Leistungsäquivalenz, also in dem Sinne zu erfolgen hat, dass die Ablösung dem wirtschaftlichen Wert der Staatsleistung im Zeitpunkt ihrer Aufhebung entspricht,55 oder ob eine angemessene Entschädigung, die im Ergebnis einer im Einzelfall der Ablösung vorzunehmenden Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit und der betroffenen Religionsgemeinschaft auch hinter dem vollen Wertersatz zurückbleiben kann, genügt.56 Beide Positionen können sich auf gewichtige verfassungsgeschichtliche und dogmatische Argumente berufen. Im Ergebnis dürfte indes maßgeblich sein, dass einerseits der unterschiedlichen Bedeutung und Situation der Staatsleistungen in den Ländern Rechnung zu tragen ist, andererseits die wirtschaftliche Existenz der betroffenen Kirchen durch die Regelung der Ablösung nicht gefährdet werden darf. Dementsprechend sind die Staatsleistungen so zu kapitalisieren, dass die Kirchen einen Kapitalstock erhalten, dessen Erträge die abgelösten Zahlungen der Länder auskömmlich kompensieren können. Bemerkenswert ist, dass schon der Entwurf eines Reichs-Grundsätzegesetzes von 1924 sich in § 3 auf die Feststellung beschränkt hat, dass die Ablösung einen „angemessenen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen Staatsleistungen gewähren muss, und in der Gesetzesbegründung ausgeführt war: „Einen Kapitalisierungsfaktor allgemein für alle Länder reichsrechtlich festzulegen, ist nicht möglich.“57 In diesem Sinne reicht die Bandbreite der Vorschläge für einen Ablösefaktor vom 10-Fachen58 über das 18,6-Fache – entsprechend § 13 des Bewertungsgesetzes für wiederkehrende Leistungen – bis zum 20-, 25- oder 40-Fachen des jeweiligen Betrags.59