Evangelisches Kirchenrecht in Bayern

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Weiterführende Literatur:

A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), § 13;

M. Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 26, Berlin 1968, S. 5 ff, = ders., Gesammelte Schriften Bd. 1, Jus Eccl. 38, Tübingen 1989, S. 402–446;

Chr. Link, Verfassungsrechtliche Fragen zur Aufhebung der „Staatskirche“, BayVBl 1966, S. 297 ff.;

St. Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg)., HdbStR Bd. 7 (Freiheitsrechte), 3. Aufl. Heidelberg 2009, § 159;

P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 5.

1Mit „Kirche“ sind im Folgenden selbstverständlich alle Kirchen und Religionsgemeinschaften gemeint.

2So der Abg. Joseph Mausbach (Zentrum), zit. nach H. de Wall, Aufbruch zu neuen Ufern – Die Weimarer Reichsverfassung und ihre Religionsartikel, in: Zeitzeichen, 3/2019 S. 27–29 (27).

3H. de Wall, ebenda S. 29. Zur Bandbreite dessen, was unter „Trennung“ verstanden werden kann, vgl. oben § 7.

4BVerfGE 18, 385/386 ff.; 30, 415/428; 42, 312/321 ff., 332; 66, 1/19 u. ö.

5A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 92.

6Hierzu bereits o. § 7. 6.

7BVerfGE 19, 1/8; 41, 65/87.

8A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 69. Zum Ganzen jetzt auch M. Heckel, Gleichheit oder Privilegien? Der Allgemeine und der besondere Gleichheitssatz im Staatskirchenrecht. Jus. Eccl. Bd. 47, Tübingen 1993.

9Vgl. bereits o. § 6.5 b.

10A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 96.

11A. Hollerbach, Verfassungsrechtliche Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Bd.1, 1. Aufl. Berlin 1974, S. 215/252.

12Hierzu u. § 11.

13Hierzu M. Droege und W. Schöpsdau, Art. Subsidiarität, in: Evangelisches Staatslexikon (Neuauflage), Stuttgart 2006, Sp. 2416 ff. bzw. 2422 ff.

14A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 94.

15A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 93; P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 5 Rz. 145.

16U. Stutz, Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII. nach den Denkwürdigkeiten des Kardinals Domenico Ferrata. Berlin 1926, S. 54.

17Vgl. M. Heckel, „In Verantwortung vor Gott und den Menschen … “, in: K. W. Nörr (Hrsg.), 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland – 40 Jahre Rechtsentwicklung, Tübingen 1990, S. 14.

18Hierzu A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 96, und P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 5 Rz. 142–143.

§ 9Selbstbestimmungsrecht der Kirchen
1.Kirchliche Selbstbestimmung und Religionsfreiheit

Eine wichtige Ergänzung zu der in Art. 4 GG enthaltenen Garantie der Religionsfreiheit ist das in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistete kirchliche Selbstbestimmungsrecht (entsprechend: Art. 142 Abs. 3 BV). Während Art. 4 die einzelne Person wie auch Kirchen und Religionsgemeinschaften – oder Weltanschauungsgemeinschaften – als Korporationen, d.h. in ihrer Eigenschaft als religiöse oder weltanschauliche Vereinigungen, in der Freiheit des Glaubens, Bekennens und der religiösen oder weltanschaulichen Betätigung schützt und damit bereits einen gewissen Kernbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts erfasst und gewährleistet1, greift Art. 137 Abs. 3 über die Kultusausübung im engeren Sinne hinaus. Damit erweist sich diese Garantie der freien Ordnung und Verwaltung eigener Angelegenheiten „als notwendige, wenngleich rechtlich selbstständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirche und der Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt“.2 Damit ist auch der gesamte organisatorische Rahmen, dessen die Kirchen und Religionsgemeinschaften bedürfen, um ihren Auftrag ihrem Verständnis nach sachgerecht erfüllen zu können, dem Schutz der Verfassung unterstellt.3 Der Staat erkennt auch auf diese Weise an, dass es sich bei den Kirchen und Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften um Institutionen handelt, die mit eigener, nicht vom Staat abgeleiteter Rechtsmacht ausgestattet sind. Diese Freiheit gilt allerdings nicht schrankenlos. Im Rahmen seiner Verantwortung für das Gemeinwohl hat der Staat darüber zu wachen, dass zwingendes staatliches Recht durch innerkirchliche Regelungen nicht missachtet wird. Dazu dient der Vorbehalt des „für alle geltenden Gesetzes“. Sinn dieses Schrankenvorbehaltes ist es, staatliche und kirchliche Rechtsordnung in einen sinnvollen Ausgleich zu bringen, damit einerseits die notwendige kirchliche Eigenständigkeit gewahrt bleibt, andererseits aber der Einheit der staatlichen Rechts- und Verfassungsordnung Rechnung getragen wird.4

2.Geltungsbereich

Das Selbstbestimmungsrecht steht allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu („jede Religionsgesellschaft …“; Gleichstellung der Weltanschauungsgemeinschaften in Art. 137 Abs. 7) und gewährt ihnen – frei von staatlicher Einflussnahme – das Recht der eigenen Rechtsetzung, Verwaltung und Rechtsprechung. Wie dieses Recht dann ausgeübt wird, ob in den Formen des Privatrechts (z. B. als Verein) oder denjenigen des öffentlichen Rechts (als Körperschaft des öffentlichen Rechts, Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV5), ist wiederum den Kirchen und Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften selbst überlassen. So haben beispielsweise nur Gemeinschaften mit Körperschaftsstatus das Recht, öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse zu begründen, während andere Gemeinschaften allein auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse angewiesen sind.

Das in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV garantierte Selbstbestimmungsrecht gilt nicht allein für die „verfasste Kirche“, sondern auch für alle dieser (verfassten) Kirche in einer bestimmten Weise zugeordneten Einrichtungen. Auch diese haben teil an dieser Garantie, wenn sie – ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform – „nach kirchlichem Selbstverständnis, ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrages der Kirche wahrzunehmen und zu erfüllen“.6 So hat insbesondere auch das rechtlich selbstständige, privatrechtlich (als Verein) organisierte Diakonische Werk teil an dieser Garantie des kirchlichen Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrechts.7

3.Eigene und gemeinsame Angelegenheiten

a)Zu den eigenen Angelegenheiten zählt alles, was durch den „kirchlichen Auftrag umschrieben und für den Vollzug dieses Dienstes nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft unentbehrlich ist“.8 Wegen der weltanschaulichen Neutralität des Staates darf dieser den Inhalt dieser Freiheit nicht bestimmen, sondern ist auf das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften angewiesen. In der Definition dessen, was „eigene Angelegenheiten“ ist, kommt es daher maßgeblich auf den Standpunkt der einzelnen Religionsgemeinschaft an,9 wobei für diese nur das hierfür zuständige Organ sich verbindlich äußern kann.10 In Wechselwirkung hierzu kann der Staat natürlich nicht jede kirchliche Selbstdefinition der „eigenen Angelegenheiten“ mit der Folge hinnehmen, dass dann allein kirchliches Recht gilt, da dadurch andere, vom Staat zu schützende Rechtsgüter betroffen sein könnten. Diese Schrankenziehung erfolgt durch das „für alle geltende Gesetz“.

b)Unter die eigenen Angelegenheiten fallen insbesondere11

–Lehre und Kultus (also Fragen der Lehre und Verkündigung, Gottesdienstgestaltung, Sakramentsverwaltung und Seelsorge),12

 

–Kirchenverfassung und Organisation (also organisatorische Gliederung, Aufbau und Leitung der betreffenden Religionsgemeinschaft, einschließlich der Errichtung von Gemeinden sowie von Ämtern und Einrichtungen13), freie Ämterverleihung14 einschließlich der Versetzung und Entlassung von Amtsinhabern (also mit Disziplinar- und Lehrordnungsrecht),

–kirchliches Amtsrecht (Verständnis und Gestaltung des geistlichen Amtes) und das damit verbundenen Dienst- und Versorgungsrecht der Geistlichen sowie das Dienst- und Arbeitsrecht der übrigen kirchlichen Mitarbeiter (einschließlich der Festlegung der hierfür geltenden Maßstäbe)15; ferner die Ausbildung der Geistlichen (einschließlich des Rechts, eigene Ausbildungsstätten, auch mit Hochschulcharakter, zu errichten und zu unterhalten),

–mitgliedschaftliche Rechte und Pflichten,16

–kirchliche Vermögensverwaltung,17

–karitative Tätigkeit.

c)Von den „eigenen Angelegenheiten“ zu unterscheiden sind die „gemeinsamen Angelegenheiten“, die eine Zweckbeziehung sowohl zur Kirche als auch zum Staat haben und daher im Rahmen dieser Zweckbeziehung jeweils kirchliche18 bzw. staatliche Angelegenheiten mit jeweils eigener Zuständigkeit sind.19

Nicht zu den eigenen Angelegenheiten zählen dagegen solche Bereiche, die die Rechtsstellung der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und ihrer Mitglieder im weltlich-staatlichen Bereich betreffen, so z. B. die Bestimmungen über die Rechtsfähigkeit von Religionsgemeinschaften nach staatlichem Recht, die Verleihung der Körperschaftsrechte, die Auswirkungen der Mitgliedschaft im staatlichen Bereich, die religiöse Kindererziehung (Wer entscheidet? Bis zu welchem Alter?) u. a.m. Trotz unmittelbarer Betroffenheit handelt es sich hier nicht um kirchliche, sondern allein um staatliche Angelegenheiten.

4.Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

Fallbeispiel 4:

In Großglockendorf ist Streit über das Geläute der Glocken der evangelischen Friedenskirche ausgebrochen. In einer von dem Privatier Sanftleben veranstalteten Unterschriftenaktion fordert eine größere Anzahl von Anwohnern unter Berufung auf das staatliche Immissionsschutzrecht, welches gesundheitsschädliche Geräusche verbiete, eine sofortige Einstellung des über vierundzwanzig Stunden hinweg erfolgenden viertelstündlichen Glockenschlags. Auch das Läuten zum sonntäglichen Frühgottesdienst um 7.30 Uhr soll abgeschafft werden. Der Kirchenvorstand der Friedensgemeinde will sich bei seiner nächsten Sitzung mit diesem Thema befassen. Dabei soll der gerade aus dem Kirchenrechtskurs zurückgekehrte Vikar Flink-Merklein die Angelegenheit aus staatskirchenrechtlicher Sicht würdigen.

Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht wird begrenzt durch das „für alle geltende Gesetz“:

a)Die nähere Umschreibung dieser Schrankenformel wurde lange Zeit beherrscht durch die von Johannes Heckel in den 1930er-Jahren entwickelte Definition eines „Gesetz(es), das trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der gesamten Nation als notwendige Schranke der kirchlichen Freiheit anerkannt werden muss, mit anderen Worten jedes für die gesamte Nation als politische Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Gesetz“.20 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bekannten Bremer Mandatsentscheidung21 die – nicht unumstrittene – sog. „Jedermann-Formel“ entwickelt, wonach ein für alle geltendes Gesetz im Sinn dieser Vorschrift dann vorliegt, wenn es für die Kirche dieselbe Bedeutung hat wie für den Jedermann, sie also in ihrer Besonderheit als Kirche nicht härter trifft als andere. Trifft ein Gesetz dagegen die Kirche nicht wie den Jedermann, sondern in ihrer Besonderheit als Kirche härter, ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistig-religiösen Auftrag beschränkend, dann bilde es insoweit keine Schranke, könne also kein „für alle geltendes Gesetz“ sein.22 Doch mit dieser Formel können nicht alle auftauchenden Problemfälle gelöst werden.

In einer nachfolgenden Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht daher einen Gedanken wieder aufgegriffen, der auch sonst im Verfassungsrecht geläufig ist, den der Rechtsgüterabwägung. Wie auch sonst bei der Kollision verschiedener verfassungsmäßig geschützter Rechtsgüter hat eine Abwägung zu erfolgen23: Der Wechselwirkung zwischen Kirchenfreiheit und dem Zweck dieser Schranke in Art. 137 Abs. 3, nämlich dem Schutz anderer für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter, „ist durch Güterabwägung Rechnung zu tragen. Dabei ist jedoch dem Eigenverständnis der Kirchen … ein besonderes Gewicht beizumessen“.24

b)Es liegt auf der Hand, dass diese Abwägung jeweils nur im Einzelfall erfolgen kann. Verschiedentlich hat der staatliche Gesetzgeber bei Erlass von Gesetzen selbst schon die Kirchen und Religionsgemeinschaften von der Geltung des betreffenden Gesetzes ausgenommen bzw. Ausnahmetatbestände geschaffen und so zu erkennen gegeben, dass ein „für alle geltendes Gesetz“ gerade nicht gegeben sein soll.25 Insoweit wurde bereits vor Erlass des Gesetzes das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berücksichtigt und ihm ein stärkeres Gewicht beigemessen als der mit dem Gesetz zu regelnden Materie und dem durch das Gesetz zu schützenden Rechtsgut. In allen anderen Fällen bedarf es der Einzelabwägung, wobei jeweils die Nähe der zu regelnden Materie zum kirchlichen Auftrag zu berücksichtigen ist: Je mehr der kirchliche Auftrag berührt wird, desto eher wird das Selbstbestimmungsrecht der Kirche Vorrang haben, in den Randzonen dagegen die staatliche Regelung als „für alle geltendes Gesetz“.26 Das Bundesverfassungsgericht erkennt dabei sogar einen bestimmten innerkirchlichen Bereich an, der einer staatlichen Schrankenziehung in Form des „für alle geltenden Gesetzes“ überhaupt nicht zugänglich ist.27 Die Bestimmung darüber, was zu den „eigenen Angelegenheiten“ zählt, muss auf jeden Fall dem Selbstverständnis der betreffenden Kirche oder Religionsgemeinschaft vorbehalten bleiben und kann nicht durch eine Güterabwägung entschieden werden. Letztere betrifft also nur die Frage, ob die betreffende staatliche gesetzliche Regelung eine Schranke im Sinne eines „für alle geltenden Gesetzes“ bilden kann.

c)Generell unterstehen die Kirchen und Religionsgemeinschaften selbstverständlich grundsätzlich dem staatlichen Recht. Dies gilt uneingeschränkt für die Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr: Verträge, Grundstücksgeschäfte, Vereinsgründungen, Bauvorhaben etc. können nur in den vom staatlichen Recht hierfür vorgesehenen Formen und Maßgaben vorgenommen werden. Dort jedoch, wo staatliche Gesetze das kirchliche Selbstverständnis tangieren, finden sie auch als „für alle geltendes Gesetz“ ihre Grenze, wenn es um die Verfassung der Kirche und die Erfüllung ihres Auftrages geht.28 Insoweit bedarf es dann der Abwägung: Weil nämlich das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ebenfalls unter dem Schutz der Verfassung steht, können andere, vom Staat in gleicher Weise zu schützende Rechtsgüter nicht einfach auf Kosten des Selbstbestimmungsrechts realisiert werden. In derartigen Kollisionsfällen gilt es vielmehr, einen Ausgleich beider Rechtsgüter vorzunehmen, die beide zu optimaler Wirkung kommen lässt. Dies bildet die Basis für eine Konkordanz von kirchlichem und staatlichem Recht, „die es gestattet, auf beiden Seiten davon auszugehen, dass staatliche Gesetze nicht die den Kirchen wesentlichen eigenen Ordnungen beeinträchtigen, und dass kirchliche Gesetze nicht die für den Staat unabdingbare Ordnung kränken werden“.29

5.Kirchliches Arbeitsrecht

Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist somit die Grundlage z. B. auch dafür, dass die Kirche mit dem sog. Dritten Weg30 ein eigenständiges Modell zur Regelung der arbeitsvertraglichen Bedingungen ihrer privatrechtlich angestellten Mitarbeiter entwickelt hat und dass sie ihren gesamten dienst- und arbeitsrechtlichen Regelungen den Gedanken der „Dienstgemeinschaft“ zugrunde legt, woraus sich gewisse Loyalitätsanforderungen ergeben können.31 Auch das eigene Mitarbeitervertretungsrecht32 hat hier seine Grundlage. Aus dem Selbstbestimmungsrecht folgt ferner, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften entsprechend ihrem Amtsverständnis die Dienstverhältnisse ihrer Pfarrer und Kirchenbeamten regeln können und ihnen dabei besondere Auflagen33 oder Beschränkungen34 auferlegen können.

6.Konkordanz von staatlichem und kirchlichem Recht

Der Freiraum, der hier den Kirchen und Religionsgemeinschaften gewährt ist, und der zwingend daraus resultiert, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften ihre Gewalt nicht vom Staat herleiten und einem „für die Staatsgewalt unantastbaren Freiheitsbereich“ entstammen,35 ist für diese aber auch eine Verpflichtung. Sie haben darauf zu achten, dass in den Bereichen, in denen ihr Wirken unverzichtbar ist, sie ihre eigene Ordnung gemäß ihrem Selbstverständnis schaffen.36 Dabei gilt es, den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Gedanken der Konkordanz zwischen staatlichem und kirchlichem Recht zu beachten.

Zu dieser Verpflichtung, den von der Verfassung gewährten Freiraum in rechter Weise zu füllen, gehört auch, dass kirchlicherseits dieses Recht selbst geachtet und bejaht wird. Die Kirche gründet sich auf ihren Auftrag und steht auf dem Boden eines Bekenntnisses. Dies unterscheidet sie grundlegend vom neutralen Staat und auch von anderen Institutionen. Der Staat gewährt ihr den Freiraum, sich diejenige Organisation zu geben, die ihrem Selbstverständnis am besten entspricht. Dieser Freiraum wäre allerdings dann nicht mehr verdient, wenn die Kirche selbst sich als „Jedermann“ und nicht mehr als besondere, ihrem spezifischen Auftrag verpflichtete Gemeinschaft ansähe.37

Weiterführende Literatur:

A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), § 14;

W. Geiger, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, in: ZevKR 26 (1981), S. 156–174;

K. Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR Bd. 1 (A.), S. 521–559;

St. Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg)., HdbStR Bd. 7 (Freiheitsrechte), 3. Aufl. Heidelberg 2009, § 159;

P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 6.

1Vgl. hierzu o. § 6.4 u. § 7.8.

2BVerfGE 53, 366.

3Zu dieser Besonderheit der deutschen Rechtsordnung, der zweifachen verfassungsrechtlichen Garantie, einmal in Form der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und zum anderen in Form der Kirchenfreiheit (Selbstbestimmungsrecht, Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und weiterer damit verbundener institutioneller Garantien vgl. bereits o. § 6.6.

 

4Vgl. näher u. 4.

5Dazu u. § 10.

6BVerfGE 46, 73; ferner BVerfGE 57, 220/242.

7Hierzu u. §§ 58, 59. Wichtig in diesem Zusammenhang ist Art. 38 KVerf, der eine gewisse Anbindung dieser Arbeitsbereiche an die verfasste Kirche enthält („Schutz und Fürsorge“, „Leitungsorganen verantwortlich“).

8A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 104.

9K. Hesse, Selbstbestimmungsrecht (W.), S 542; Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts (W.), § 138 Rdnr. 116 (S. 535); A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 103; P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 6 Rz. 159. Das Bundesverfassungsgericht hat für die Frage, ob eine kirchliche Maßnahme dem innerkirchlichen oder dem staatlichen Bereich zuzurechnen ist, als entscheidend festgehalten, was „materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach als eigene Angelegenheit der Kirche“ anzusehen ist (BVerfGE 18, 385/387; 42, 312/334). Zur Problematik der Entscheidung nach der „Natur der Sache“ vgl. jedoch Hesse und v. Campenhausen/H. de Wall a. a. O.

10Hollerbach a. a. O.; vgl. auch BVerfGE 70, 138.

11Vgl. zum folgenden: A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 104 ff.; P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 6 Rz. 160 ff.

12Diese Bereiche werden im Wesentlichen auch durch die insoweit nicht der Schranke des für alle geltenden Gesetzes unterliegende Religions- und Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 GG) geschützt. Zu den möglichen Schranken dieses Grundrechts vgl. o. § 7.5.

13Vgl. etwa Art. 2 u. 38 KVerf.

14In Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV noch einmal ausdrücklich erwähnt. Dem stehen nicht die sog. „politischen Klauseln“ in Kirchenverträgen entgegen, nach denen bei Bischofswahlen bei den Landesregierungen angefragt wird, ob gegen die in Betracht kommenden Kandidaten „Erinnerungen politischer Natur obwalten“ (vgl. Art. 29 Staatskirchenvertrag – RS 110). Hier liegt eine vertragliche kirchliche Selbstbindung vor, die historisch bedingt ist, der aber außer der vorherigen Kandidatenanzeige keine weitere Bedeutung zukommt. Insbesondere könnte die Bayerische Staatsregierung die Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer bestimmten Kandidatin nicht verhindern.

15Vgl. insbesondere BVerfGE 42, 312 (Amtsrecht) und BVerfGE 70, 138 (kirchliches Arbeitsrecht). Ausführlich dazu P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 6 Rz.188 ff.

16Hierzu näher u. § 14, 15.

17Hierzu näher u. §§ 39 u. 65.

18In dieser Beziehung also: Zwar auch „eigene Angelegenheiten“, aber nicht nur eigene Angelegenheiten.

19Hierzu u. § 11. Beispiele sind: Sonn- und Feiertagsrecht, Religionsunterricht, Kirchensteuer, Theologische Fakultäten, Anstaltsseelsorge, Friedhofswesen (soweit es sich um kommunale Friedhöfe handelt).

20J. Heckel, Das für alle geltende Gesetz, Verwaltungsarchiv 37 (1932), S. 280/284 (= ders., Das blinde undeutliche Wort „Kirche“. Gesammelte Aufsätze, hrsg. v. S. Grundmann, Köln, Graz 1964, S. 590/593).

21Zu Unvereinbarkeit von kirchlichem Amt und politischem Mandat, BVerGE 42, 312, vgl. hierzu auch die Dokumentation von D. Dahrmann, Kirchliches Amt und politisches Mandat, Hannover 1977.

22BVerfGE 42, 312 (334).

Beispiele (nach W. Geiger, Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (W.): Baurechtliche Vorschriften, die der statischen Sicherheit eines Bauwerkes dienen, gelten selbstverständlich auch für Kirchengebäude (gleiche Bedeutung wie für „den Jedermann“). Vorschriften dagegen, die für Neubauten von Kirchengebäuden ein Verbot von Kirchtürmen enthalten würden, träfen die Kirche anders als den Jedermann und könnten daher keine Schranke im Sinn von Art. 137 Abs. 3 WRV bilden. Gesetze, die die Ausbildung von Krankenhauspersonal regeln, gelten selbstverständlich auch für das Personal in kirchlichen Krankenhäusern. Auch berührt eine staatliche Krankenhausbedarfsplanung die Kirche nicht in ihrem besonderen Auftrag. Wird dagegen gesetzlich festgelegt, dass in allen Krankenhäusern Abtreibungen, soweit diese staatlichem Recht nicht zuwiderlaufen, vorgenommen werden müssen oder werden öffentliche Zuschüsse hiervon abhängig gemacht oder bewirkt die staatliche Bedarfsplanung eine wesentliche Einschränkung kirchlicher Einrichtungen, dann läge eine unzulässige Beschränkung des Rechts der Kirche vor, ihre Angelegenheiten selbstständig zu ordnen und zu verwalten.

23Vgl. bereits o. § 7.3 b (Abwägung bei Kollision zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit) und § 7.5 a u. b (Kollision zwischen Religionsfreiheit und anderen Grundrechten).

24BVerfGE 53, 366/401 (vgl. u. § 13 II 8, S. 163); ferner BVerfGE 66, 1/22.

25Beispiele: § 118 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz, § 112 Bundespersonalvertretungsgesetz, § 92 Bayer. Personalvertretungsgesetz, § 1 Abs. 4 Satz 2 Mitbestimmungsgesetz, wonach die Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht den dort geregelten Formen einer bestimmten betrieblichen Mitbestimmung unterliegen (Betriebsrat, Personalrat), sondern ihnen insoweit eine „selbstständige Ordnung“ überlassen bleibt.

Beachte dabei, dass Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht, wie häufig zu lesen und zu hören ist, zu den „Tendenzunternehmen“ etwa des § 118 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz zählen, für die dieses Gesetz in eingeschränkter Weise gilt. Aufgrund des nur ihnen zustehenden und verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts sind Kirchen und Religionsgemeinschaften vom Geltungsbereich dieser Gesetze gänzlich ausgenommen (hierzu BVerfGE 46, 73/74 Ls. 2 u. S. 94).

Weitere Ausnahmeregelungen (meist beschränkt auf Kirchen und Religionsgemeinschaften mit dem Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts) sind z. B. enthalten im Beamtenrecht (§ 135 Beamtenrechtsrahmengesetz: Keine Geltung für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften), im Bundesbaugesetz (Freistellung von bestimmten Genehmigungen), im Stiftungsrecht (vgl. Art. 21–24 Bayer. Stiftungsgesetz – RS 460), im Denkmalschutzrecht (vgl. Art. 26 Bayer. Denkmalschutzgesetz – RS 405: Berücksichtigung kirchlicher Belange) u. a. m.

26A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 113 m. w. N.

27Bei rein „innerkirchlichen Angelegenheiten“, d. h. elementaren Teilen der kirchlichen Ordnung, für die der Staat nicht imstande ist, Schranken in Gestalt von allgemeinen Gesetzen aufzurichten. Z. B. bei Teilung einer Kirchengemeinde (BVerfGE 18, 385), ferner im kirchlichen Amtsrecht (BVerfGE 42, 312).

28R. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 7. Aufl. München 2015, S. 4. Mit Recht wird als „für alle geltendes Gesetz“ daher nur dasjenige angesehen, „das zwingenden Erfordernissen des friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirche in einem religiös und weltanschaulich neutralen politischen Gemeinwesen entspricht“ (Hollerbach (Fn. 9) Rdnr. 118 (S. 536); A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 112 f. Vgl. auch BVerfGE 53, 366/401.

29BVerfGE 42, 312/340; BVerfGE 46, 73; 53, 366.

30Regelung und Festlegung der arbeitsvertraglichen Bedingungen durch eine paritätisch besetzte Arbeitsrechtliche Kommission – im Gegensatz zum „Ersten Weg“ (Regelung durch Kirchengesetz) und „Zweiten Weg“ (Regelung durch Tarifvertrag). Hierzu näher u. § 30.

31Dazu näher u. § 16 mit Literaturnachweisen.

32Mitarbeitervertretungen im Gegensatz zu Betriebs- oder Personalräten im nichtkirchlichen Bereich. Hierzu u. § 17.

33Vgl. z. B. § 27 Abs. 4 PfDG.EKD (RS 500) i. V. m. § 12 PfDAG.ELKB (RS 500/2) – Religionsunterricht.

34Vgl. PfDG §§ 63 ff., 35. (Nebentätigkeit, politische Betätigung); hierzu auch §§ 27, 43 ff. KBG.EKD (RS 600), § 10 KBErgG (RS 601).

35BVerfGE 42, 312/332.

36W. Geiger, Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (W.), S. 174.

37Z.B. wenn – wie es verschiedentlich geschieht – in der kirchlichen Mitarbeiterschaft das Erfordernis gewisser Loyalitätspflichten angezweifelt wird, die aber für andere „Gesinnungsverbände“ für selbstverständlich gehalten und dort auch ohne weiteres hingenommen und befolgt werden; wenn ferner für kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen das grundsätzliche Erfordernis einer Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche in Frage gestellt wird u. a. m. Hierzu eindringlich: A. v. Campenhausen, Erosion des Staatskirchenrechts? Aktuelle Probleme der Volkskirche heute, LM 1984, S. 368–371, auch in: ders., Kirchenrecht und Kirchenpolitik, Göttingen 1996, S. 260–268.