Kleine Geschichte des Hörspiels

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LITERATUR UND MUSIK

Doch was bedeutet »literarisch relevant« fürs Hörspiel? Schriftsteller, die oft schon vor 1929 dem Rundfunk verbunden waren, moderiert, gelesen, plädiert, bearbeitet, vorgeschlagen, kritisiert oder gebastelt hatten, schrieben nun bedeutende Hörspiele – deren akustische Realisation freilich nur den Zeitgenossen während der Ausstrahlung kurzzeitig zugänglich war. Aber es war kein so plötzlicher Durchbruch: 1925 trat Bertolt Brecht (Mann ist Mann, 1927; Macbeth, 1927) erstmals im Hörfunk auf, 1925 begannen Alfred Döblin und Hermann Kasack als Funkmitarbeiter, 1926 Hans Kyser, Eduard Reinacher, Walter Erich Schäfer oder Friedrich Wolf. Und ihre Vorstellungen vom Hörspiel waren überraschend offen, ausprobierend und keineswegs nur rein literarisch: Bertolt Brechts ›Radiohörspiel‹ Lindberghflug etwa wurde während des Baden-Badener Musikfestes 1929 uraufgeführt. Die Musik stammte von Paul Hindemith und Kurt Weill, es spielte das Frankfurter Rundfunkorchester – und Ernst Hardt (neben Braun Brechts Regisseur in den Weimarer Jahren) führte Regie. Technische Probleme verhinderten eine Direktübertragung der Aufführung. Stattdessen wurde eine am 29. Juli im Frankfurter Sender nachproduzierte Fassung über alle deutschen Sender (außer München) ausgestrahlt – wegen Leitungsproblemen war die Qualität der Übertragung katastrophal (LEONHARD 1997: 854). Eine Aufzeichnung gibt es nicht, nur Teile einer späteren Produktion der Berliner Funk-Stunde (18.3.1930) mit dem Berliner Funkorchester (Regie: Hermann Scherchen) haben sich erhalten. Doch war der Lindberghflug ein Hörspiel? Brecht hat das Stück später ein »Radiolehrstück für Knaben und Mädchen« genannt, in den Nachkriegsjahren spielte es unter den Hörspielern offenbar keine große Rolle. Für den damals maßgeblichen Hörspieltheoretiker Schwitzke beruhten »Rundfunksendungen als Hörspiel eigentlich auf einem Missverständnis« (WÜRFFEL 1978: 35). Inzwischen spricht man auch vom – kurzen – »Durchbruch des musikalischen Hörspiels« im Jahre 1929 (LEONHARD 1997: 947).

Andere Schriftsteller wie Walter Bauer, Johannes R. Becher, Günter Eich (Leben und Sterben des großen Sängers Enrico Caruso; Funk-Stunde 1931), Fred von Hoerschelmann (Flucht vor der Freiheit; ORAG, 14.8.1931), Ernst Johannsen, Erich Kästner, Hermann Kesser oder Wolfgang Weyrauch wandten sich – es fehlt immer noch an präzisen Funkbi(bli)ografien – offenbar erst gegen 1929 mit sehr unterschiedlichen Funkpoetiken auch dem Hörspiel zu. »Die Prominenten der älteren Generation« aber, so notierte der Medienkritiker von Heister 1931, »verhielten und verhalten sich auch heute noch dem Rundfunk gegenüber ablehnend« (HUCKLENBROICH 2002: 40). Das Bild ist freilich sehr vielschichtig. Gerhart Hauptmann (1862-1946) etwa schrieb zwar nie ein Originalhörspiel, doch 66 Sendetermine mit Hörspieladaptionen von einigen seiner dramatischen Werke sind zwischen 1924 und 1932 nachweisbar.

Die Schauspieler, die sich anfangs sehr zurückhaltend verhielten, wandten sich zunehmend dem Hörspiel zu. Sie verdienten so nicht nur zusätzliche Honorare, sie wurden, so Alfred Braun, »begeisterte Träger« und »Stützen« des frühen Hörspiels: Otto Blumenthal etwa, Ernst Busch, Kurt Erhardt, Heinrich George, Hilde Körber, Fanny Schreck, Hans-Heinrich von Twardowski und viele andere – ihre Hörspielgeschichte ist noch nicht geschrieben. Und als Regisseure traten – auch über ihr Wirken und ihre Regiearbeit weiß man nur sehr wenig – nun Max Bing, Fritz Walter Bischoff, Hans Böttcher, Alfred Braun, Gerd Fricke, Ernst Hardt, Edlef Köppen, Ernst Pündter, Rudolf Rieth oder Julius Witte hervor.

DER NARR MIT DER HACKE

Es war vor allem ein Werk, das für die erste Blütezeit des Hörspiels stand: Eduard Reinachers – fast vergessenes – Hörspiel Der Narr mit der Hacke. Das als Wachsplattenmitschnitt erhaltene Spiel wurde am 11. Juli 1930 in Köln urgesendet und war der Höhepunkt der frühen Kölner Dramaturgie. Regie führte Ernst Hardt. Der WERAG-Intendant setzte in dem dichterischen Spiel nach japanischen Motiven auf das (lyrische) Wort und das symbolisch eingesetzte Geräusch (einer Hacke). »Hardt gebührt das Verdienst, Reinacher zuerst als Autor, dann – 1932/33 – auch als Dramaturgen an seinen Sender geholt zu haben […] Hardt sah seine wichtigste Programmaufgabe in der Hörspielarbeit. Er hat unter anderem einen eigenen, sehr charaktervollen Inszenierungsstil entwickelt« (SCHWITZKE 1963: 172).

Die Zeitgenossen, vor allem aber die ersten Hörspieltheoretiker, waren von Reinachers Der Narr mit der Hacke begeistert – und setzten große Hoffnungen in ihn und das literarische Hörspiel, das literarische Mono- und Mittelwellenhörspiel. »Das künstlerische Hörspiel«, so schrieb etwa M. Felix Mendelsohn, »könnte die Kreise zum Rundfunk bekehren, die ihm heute noch fern stehen; denn alles, was sonst der Rundfunk an Kunst bietet, lässt sich auch anderweitig vermitteln. ›Nur die Hörspieldichtung ist spezifisch funkisch. Sie ist die Krönung des Funks!‹ Diese vortrefflichen Sätze stehen im Buch Das Horoskop des Hörspiels von Richard Kolb« (MENDELSOHN 1932: 202). Eduard Reinacher, so lobte Schwitzke später, ist »als Erstem der Durchbruch zum wirklichen Hörspiel gelungen […] Sein Beispiel ist für alle weiteren Versuche der nächsten Jahre, bis hinein in die unmittelbare Vorkriegszeit, Triebkraft und Unruhe gewesen. Man wusste nun, dass es von der gesprochenen poetischen Sprache her einen Zugang gibt zu dieser eigenen inneren Welt, die im Hörspiel Leben gewinnt« (SCHWITZKE 1963: 179). Aber es gab in dem Hörspiel auch Musik. Sie stammte von Hans Ebert.

WELTERFOLG

Das ›eigentliche‹ Weimarer Hörspiel stammte von Reinacher, das wohl meistgespielte war Ernst Johannsens Kriegshörspiel Brigadevermittlung (Deutsche Stunde 1929). Beide handelten in damals hörspieltypischen Situationen: Reinackers Spiel im (dunklen) Berg, Johannsens Originalhörspiel in einer unterirdischen Telefonvermittlungszentrale an der Front. Mehr als 50 Mal wurde das Stück über den 1. Weltkrieg in elf Ländern gesendet. Der Deutsche Rundfunk schrieb 1931 von einem »Welterfolg, wie er bei Werken der Film- und Bühnenkunst vorkommt«, den es aber bei einem Hörspiel noch nicht gegeben habe – und auch nach 1933 wurde die Produktion noch mehrmals gesendet. Hermann Kesser machte in Schwester Henriette (Deutsche Stunde 1929) erstmals den inneren Monolog zum ausschließlichen Gestaltungselement – das Hörspiel adaptierte eine ältere Erzählung. Hermann Kasacks Worthörspiel Stimmen im Kampf (Funk-Stunde 1930) verschränkte die inneren Monologe zweier Tennisspieler. Andere Autoren bevorzugten Polarexpeditionen und Ozeanüberquerungen. Walter Erich Schäfer brachte mit seinem Polarstück Malmgreen (Berlin 1929) das Hörspiel in die Nähe des realitätsgesättigten (damals Hörfolge genannten) Features; Friedrich Wolf erzählte in dem Polarhörspiel S.O.S … Rao rao … Foyn. Krassin rettet Italia (Deutschlandsender 1929) eine dramatische Rettungsaktion. Solche Hörspiele über exponierte Aktionen spielten nach 1929 eine bedeutende Rolle im Hörspielprogramm.

ZEITSTÜCKE UND ARBEITSLOSENHÖRSPIELE

Einen beträchtlichen Anteil am Hörspielangebot hatten bis 1933 dramatische Reportagen und Zeithörspiele. 1930 erregte Erich Ebermayer mit Der Minister ist ermordet (Funk-Stunde 1930) reichlich Aufsehen – man hatte das Hörspiel als real rezipiert. Seit 1929 gab es Arbeitslosenhörspiele (KRUG 1992) mit oft ungewöhnlichen Entstehungsgeschichten. Der Arbeiterschriftsteller Karl August Düppengießer etwa stand an seiner Werkbank und schrieb dort Toter Mann (WERAG 1931). »Ich habe«, erklärte Düppengießer später, »das Hörspiel geschrieben, weil ich mich schuldig fühlte, weil es mir verhältnismäßig viel besser ging«. Das erste und einzige Hörspiel Düppengießers bildete den krönenden Abschluss einer hervorgehobenen Kölner ›Solidaritätswoche‹ zum Thema ›Arbeitslosigkeit‹ – und sollte Emotionen freisetzen, Hilfe ermöglichen, wirken. Darauf zielte auch die Inszenierung, die Intendant Ernst Hardt eigenhändig leitete und eindringlich gestaltete: realistisch mit Maschinenklang und Stadtlärm und doch voll Solidarität – und Hoffnung. Mehr als 60 publizistische Reaktionen – so erinnerte sich Düppengießer Jahrzehnte später in einem Radiointerview mit Karl Karst – erregte das Spiel um den jungen Hannes Rader (Sprecher: Wolfgang Langhoff) und ein »derart überwältigendes Echo, wie die Funkleute es in diesem Ausmaße nicht kannten und niemals erwartet hatten«. Doch nur die etwa 800.000 Hörer im Bereich der WERAG konnten das flüchtige Spiel damals einmal hören, dann schien es selbst in Köln ›zu gefährlich‹ geworden zu sein.

Nicht nur Düppengießer beschäftigte sich mit der Arbeitslosigkeit. Auch die Arbeiterschriftsteller Georg W. Pijet oder Bruno Schönlank schrieben Arbeitslosenhörspiele, Journalisten wie Kurt Wagenführ (Pseudonym Otto Berg) oder Erich Lüth wandten sich mit feature- und lehrspielnahen Hörspielen an die Hörer – und erweiterten das Hörspielangebot um Reportage, Hörfolge und Lehrspiel. Wolfgang Weyrauch (Ein Warenhaus schließt [gemeinsam mit Andreas Zeitler], MIRAG 1932) hingegen suchte das hörgemäße Radiospiel: »Hörspiele schreiben die Schriftsteller noch nach Regeln, die sie entweder irgendwo gelesen oder die sie sich selbst zurechtgelegt haben. Noch sind sie nicht dazu gelangt, nur das aufzuschreiben, was sie hören können, nichts anderes. Wendeten sie diese Regel an, wäre es eine, die aus dem Rundfunk selbst erwüchse«, notierte er 1933 (WEYRAUCH 1933) – etwa dreißig Jahre später erhielt er dann den ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹.

Auch Hermann Kasack wandte sich dem Problem ›Arbeitslosigkeit‹ zu (Der Ruf; Funk-Stunde 1932). Kasack war zwischen 1925 und 1933 vielfältigst für die Berliner Funk-Stunde tätig. Er moderierte Die Stunde der Lebenden (1925-1927), leitete Zwiegespräche, schrieb Rezensionen, hielt Vorträge, führte Regie, las eigene Texte. Mehr als 180 Literaturbeiträge des freien Mitarbeiters Kasack sind heute nachweisbar. Zeitweilig gelang ihm die »Einführung regelmäßiger literarischer Sendetermine« für »hochwertige, aktuelle Dichtungen«. »Ich verkaufte mich an den Rundfunk, was die Existenz sicherte«, urteilte er dennoch später eher bitter über seine Radiojahre. 1929 wandte er sich von der Literaturvermittlung übers Radio wieder ab; er schrieb Jugendhörspiele und – unter dem Pseudonym Hermann Wilhelm – die zwei Hörspiele Stimmen im Kampf und Der Ruf. Letzteres wurde 1932 von dem Autor und Regisseur Edlef Köppen inszeniert, die Musik stammte von Karl Knauer, und der linke Schauspieler und Sänger Ernst Busch sprach den Arbeitslosen.

 

Zum Weimarer Zeithörspiel gehörten auch Kriegs- und Nachkriegsspiele. Der niederdeutsche Autor Hans Ehrke schrieb Batallion 18 (NORAG 1932), Eberhard Wolfgang Möller das Kriegsheimkehrerstück Douaumont (Funk-Stunde 1932) mit Heinrich George in der Hauptrolle. Weniger erfolgreich waren die Versuche von Johannes R. Becher, Georg W. Pijet oder Günter Weisenborn, sozialistische Hörspiele im Weimarer Rundfunk zu platzieren (WÜRFFEL 1982). Doch ob rechts oder links, unterhaltend oder avantgardistisch, alle diese Weimarer Zeitspiele waren in einem gleich: Ein Autor schrieb sie und ein Regisseur realisierte sie im Hörfunkstudio. Heute sind die Namen und die Inszenierungsstile der Regisseure Max Bing, Franz Josef Engel, Eugen Kurt Fischer oder Edlef Köppen weitgehend unbekannt.

HÖRSPIELTHEORIE UND KÖRPERLOSE WESENHEITEN

Hörspieltheoretisch wurde Richard Kolb mit seiner Artikelreihe Das Horoskop des Hörspiels (1930ff.) rasch zum normativen Hörspieltheoretiker der letzten Weimarer Jahre. »Und das ist die Aufgabe des Hörspiels, uns mehr die Bewegung im Menschen, als die Menschen in Bewegung zu zeigen«, war eine seiner zentralen Aussagen. »Hörspieler und Hörer treffen sich gleichsam im gemeinsamen Brennpunkt seelischer Akustik […] Die entkörperlichte Stimme des Hörspielers wird zur Stimme des eigenen Ich […] sie wird zur körperlosen Wesenheit […] Niemand kommt näher an den Menschen heran als der Hörspieler und vielleicht – der Psychotherapeut.« Kolb plädierte deshalb auch für das Live-, nicht für das Schallplattenhörspiel. »Bei einem Hörspiel, das uns vorschwebt, handelt es sich um so feine seelische Schwingungen, dass sie durch Schallplatte nicht wiedergegeben werden können« (KOLB 1932). Noch lange war Kolbs Aufsatz-Theorie, die 1932 auch als Buch publiziert wurde, für Theoretiker wie Schwitzke, Eugen Kurt Fischer (1964), Friedrich Knilli oder Helmut Heißenbüttel positiv oder negativ die Folie eigener Überlegungen.

Doch das Weimarer Hörspiel war in der Praxis nicht homogen. Es war vielfältig und komplex – und das Spektrum reichte von Benjamin bis Bronnen, Döblin bis Eich, Kasack bis Wolf. Die verschiedensten politischen und ästhetischen Strömungen waren – so weit es die funkinternen und -externen Kontrollen zuließen – vertreten. Hörspiele konnten zunehmend leichter aufgezeichnet und so auch wiederholt werden. Dennoch setzte die bevorzugte Live-Ausstrahlung der Vielfalt und den akustischen Möglichkeiten noch deutliche Grenzen. Darüber hinaus, so spitzte ein Beobachter einmal zu, hatte der Hörfunk »Stadt und Land, Bürgertum und Proletariat, geistige und ungeistige Menschen, anspruchsvolle und anspruchslose« zu bedienen – und auch sein Hörspielprogramm entsprechend auszurichten.

REGIONALE ENTWICKLUNGEN

Von der Hörspielforschung wurde bisher kaum berücksichtigt, dass das Weimarer Hörspiel zuerst und seit den Anfängen 1924 ein regionales Hörspiel war. Jeder Sender hatte seine spezifischen und eigenen Programmvorstellungen – und die wurden durch Auftragsvergabe oder ›ständige Fühlung‹ auch umgesetzt.

»Unter Ernst Schoen entwickelte Radio Frankfurt in den Jahren 1929 bis 1933 ähnlich kompromisslos wie die neue Musik einen neuen Hörspieltypus, mit dem es ebenso einsam in der deutschen Rundfunklandschaft stehen sollte. Das Hörspiel als soziologisches Experiment und Lehrstück. […] Die persönliche Freundschaft Schoens mit Walter Benjamin und über diesen die Verbindung zu Brecht war dabei sicherlich nicht ganz unbeteiligt. Die geistige Nähe zu beiden findet man in Schoens Vorschlag, das alte Begriffspaar im deutschen Rundfunkprogramm, ›Unterhaltung und Belehrung‹, durch ›Spiel und Arbeit‹ zu ersetzen, da dieses aktiv, jenes passiv sei« (SCHIVELBUSCH 1982: 70).

Bei der Schlesischen Funkstunde in Breslau verdeutlichte man das eigene Profil gerade durch Auftragsarbeiten. Intendant Bischoff setzte nach 1929/1930 den Schwerpunkt auf die Hörfolge, die Zusammenarbeit von Autoren und Komponisten sowie vor allem auf die (musikalischere) Funkrevue. Zum größten Erfolg wurde die Auftragsarbeit Leben in dieser Zeit (14.12.1929) von Erich Kästner und Edmund Nick (Musik). Bischoff führte Regie, und Ernst Busch spielte die Hauptrolle in der ›lyrischen Suite‹. Walter Mehring wurde von Bischoff als Autor gewonnen, Walther von Hollander, Arnolt Bronnen, Carl Behr, Gerhard Menzel, Otto Zoff oder Max Ophüls wirkten in Breslau. 1931 stellte Bischoff für die Berliner Funkausstellung sein legendäres Hörspiel vom Hörspiel zusammen.

In Leipzig war Eugen Kurt Fischer seit 1929 literarischer Leiter. Er setzte gerade auf junge Autoren wie Walter Bauer, Günter Eich oder Andreas Zeitler, und er berücksichtigte gern Stücke von Mitarbeitern aus der Literaturabteilung der MIRAG: Kurt Arnold Findeisen, Henrik Herse, Arno Schirokauer oder Hans Peter Schmiedel. Seine Vorstellungen vom lyrischen Stimmenspiel setzte Fischer in Arbeiten wie Die Visionen des Tilman Riemenschneider (7.7.1931) oder Trommel, Trommel, Gong (27.4.1932) um.

In Bayern hingegen pflegte man das Volksstück. »Ein Rückblick auf das vergangene Münchner Spieljahr tut dar, dass das Volksstück einschließlich sonstiger Unterhaltungsstücke von unten, von der Hörerschaft aus gesehen, die Grundlage des gesamten Hörspiels einnimmt. Führend im Volksstück waren beim bayerischen Rundfunk Thomas, Anzengruber und Ganghofer […] Warum ist das Volksstück so beliebt? […] Weil im Volksstück ›Seele‹, in Bayern sagt man ›G’müt‹, ist, wenn es auch manchmal so dünn wie Blattgold sein mag; aber das Seelische ist da und rührt an« (JÄGER 1930).

EIN TEXT – VERSCHIEDENE INSZENIERUNGEN

Ob die besonders profilierten Hörspieler in Köln und Breslau oder die Kollegen in Berlin und Leipzig, Stuttgart oder Frankfurt, München, Königsberg oder Hamburg: Jeder Sender pflegte sein eigenes Profil und seinen eigenen Stil – und deshalb waren nicht nur die Programme sondern selbst die Realisationen identischer Texte sehr unterschiedlich. Der Kritiker von Heister schrieb 1930 nach dem Anhören zweier Sendungen: »Welch ein Abstand zwischen den Aufführungen. Welchen Provinzialismus der Berliner Regie offenbarte der Vergleich. Heute noch steht Berlin weit hinter dem zurück, was Breslau schon vor drei Jahren erreichte.« Jeder Sender hatte nicht nur seine besonderen Autoren und Regisseure, sondern auch seine eigenen, meist von den regionalen Bühnen kommenden Sprecher. Arno Schirokauer kritisierte 1927 zwar, dass »das Hörspiel kein Tummelplatz für Prominente« sein darf, aber bekannte Schauspieler wurden früh eingesetzt. Ernst Busch etwa oder Heinrich George.

SPRECHSTILE

Das Hörspiel war seit seinen Anfängen ausschließlich im Radio möglich – und es musste über Mittelwelle zum Hörer gebracht werden. Eine Verbreitung außerhalb des Funks gab es nicht, und diese Mittelwellenorientierung bestimmte zunächst auch den Anrufungsstil der frühen Hörspiele. Das Gesagte sollte schließlich beim Hörer ankommen. Anfang der dreißiger Jahre entwickelte sich dann das Stimmideal der »vollklingenden Kunststimme« zwischen Singen und Sprechen heraus (HAGEN 2005: 120f.). Das potenzielle Publikum war riesig, doch die Spiele existierten nur, während sie gesendet wurden; Radiospiele waren (und dies blieb noch Jahrzehnte ein Dilemma) kurzlebig, vom Sendetermin abhängig und vergänglich. Obwohl Hunderte Hörspiele gesendet wurden, gab es nur in Ausnahmefällen auch Hörspielbücher zum Lesen und Nachlesen. Ein Verlag für Hörspiele blieb im Planungsstadium, nur der ›Programmdienst für den deutschen Rundfunk‹ verbreitete Hörspielmanuskripte. Seit Mitte 1929 wurden wichtige Hörspiele zwar auch auf Wachsplatten mitgeschnitten, doch nicht auf Schallplatten verbreitet.

FRÜHE MEHRMEDIALITÄT

Das Hörspiel war ein bloß flüchtiges Medium, und jede künstlerische Leistung ging den Weg eines Börsenberichts oder einer Wettervorhersage. Die mehrmediale Verarbeitung eines Stoffes für Buch, Kino und Hörspiel war in der Weimarer Republik noch nicht üblich. Multimedialität war unbekannt, und vermutlich war Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz der erste Versuch, die verschiedenen Medien ›Buch‹ (1929), ›Film‹ (1931) und ›Radio‹ (Hörspiel), ›Schrift‹, ›Bild‹ und ›Ton‹ spezifisch zu bedienen. Doch die Funkfassung Die Geschichte vom Franz Biberkopf wurde 1930 von der Funk-Stunde Berlin zwar produziert (Regie: Max Bing), aus nie ganz geklärten Gründen aber vier Stunden vor der geplanten Ursendung (30.9.1930) abgesetzt; die Platten verschwanden im Archiv. Auch Friedrich Wolfs S.O.S … Rao rao … Foyn. Krassin rettet Italia war ursprünglich als Synthese für Bühne, Funk (Hörspiel) und Film gedacht. Einen kleinen multimedialen Erfolg anderer Art erreichte die Schlesische Funkstunde mit Kästners Leben in dieser Zeit (1929). »Während der Rundfunk sonst an den Kassenschlagern der Theater teilzuhaben versuchte, fand hier einmal der umgekehrte Prozess statt. 1931 wurde Leben in dieser Zeit vom Alten Theater in Leipzig inszeniert, anschließend von vielen weiteren Bühnen übernommen, so dass am 17. April 1932 die Schlesische Funkstunde ihr eigenes Auftragswerk aus dem Breslauer Stadttheater übertragen konnte« (LEONHARD 1997: 1175).

Trotz der Fülle an Sendeplätzen wurde während der Weimarer Republik wohl kein Schriftsteller ein spezialisierter, reiner Hörspielautor. Das Schreiben von Hörspielen war höchstens eines von vielen Berufsfeldern, und die Zusammenarbeit mit den Hörspielern blieb eher einmalig: Die 460 ›eigentlichen‹ Hörspiele, die 1932 gesendet wurden, stammten von 278 Autoren; die meisten kamen also nur »ein einziges Mal« (FISCHER 1933) zu Wort. Regelrechte Hits waren wohl eher selten, aber es gab auch sie: Neben Brigadevermittlung wurde Friedrich Wolfs S.O.S … Rao rao … Foyn. Krassin rettet Italia oft wiederholt – und 1929 als der »bisher stärkste Hörspielerfolg des deutschen Rundfunks« (LEONHARD 1997: 1183) gehandelt. »Allein am 5. und 8. November 1929 wurde das Stück fünfmal aufgeführt und von weiteren drei Sendegesellschaften übernommen« (LEONHARD 1997: 1183). Doch damit nicht genug. Noch nach der Premiere erhielt das prominente KPD-Mitglied Wolf von Intendant Flesch einen gut dotierten (2.000 RM) neuen Auftrag – und auch John D. erobert die Welt (7.5.1930) wurde von den meisten deutschen Sendern ausgestrahlt. 60 Prozent der Hörspielautoren sollen 1932 aus Journalistenkreisen gekommen sein (LEONHARD 1997: 1194). Doch auch Außenstehende entwickelten großes Interesse: Jährlich 1.000, einige Quellen notieren gar 2.000 (LEONHARD 1997: 1187), Einsendungen gelangten schon 1933 unaufgefordert in die Funkhäuser – und 98 Prozent waren ›unbrauchbar‹.

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