Kleine Geschichte des Hörspiels

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FRÜHE RADIOFASZINATION: RADIOBASTLER

Es war eine besondere Zeit, der Reiz des neuen Mittelwellenmediums enorm. »Am 1. Juli 1924 gab es bereits 100.000 Rundfunkteilnehmer, deren Zahl im 2. Halbjahr 1924 bis auf eine Million anwuchs« (WÜRFFEL 1978: 11). »Aus eigener Erinnerung«, so berichtete der spätere ›Hörspielpapst‹ Heinz Schwitzke über seine frühen Radioerfahrungen, »wie aus den Erzählungen alter Rundfunkmänner und Rundfunkhörer möchte ich geltend machen, dass in den grauen Jahren nach 1920 – bis etwa 1925/26 – eine fantastische und wilde Radio-Bastelleidenschaft die Menschen, gerade auch die geistigen, ergriffen hatte, in der sich technische und künstlerische Neugier auf eine heute unvorstellbare Weise mischten. Ich entsinne mich noch der Empfindungen von 1922/23 beim Anhören der ersten Rundfunkkonzerte vom Königswusterhausener Versuchssender, aber genauer kann ich mich der Schauer erinnern, die wir – mein Vater und ich, als etwa Fünfzehnjähriger – verspürten, als wir, die Kopfhörer an den Ohren, mit einem selbstgebastelten Apparat, einer riesigen Akkumulatoren-Batterie und sogenannten ›Rotkäppchenröhren‹ aus dem Weltkrieg, in unserer Berliner Vorortswohnung zum ersten Male den Glockenschlag von Big Ben vernahmen […] Ich glaube, dass die Funkbearbeitungen klassischer und moderner Dramen mit den Anfängen des Hörspiels weniger zu tun haben als diese Erscheinungen, die man mit dem Begriff ›Hörspielerei‹ zusammenfassen könnte. Hier ist wirklich ab ovo begonnen worden. Alfred Braun hat mir mündlich berichtet, wie er einmal auch den Dichter Döblin in dessen Wohnung ertappte: Kopfhörer über den Ohren, eine schwarzlackierte Spule auf den Knien, den Detektorstift in der Hand, und wie er, Braun, erschrocken auf den Zehen stehen blieb, um den Lauschenden nicht zu stören. Dies muss einkalkuliert werden, wenn man Brechts, Benns, Döblins, Kasacks schöpferische Anteilnahme an dem Instrument Rundfunk begreifen will, um wie viel mehr bei den anonymen Hörern. Die Bastelleidenschaft war jahrelang ein künstlerisches Stimulans, ähnlich wie es die Theaterleidenschaft sein kann« (SCHWITZKE 1963: 56f.).

Adaptionen, die den Hörern Theaterstücke nahe bringen sollten, waren früh ein fester – und manchmal sogar zwei- bis dreistündiger – Programmteil. Bereits 1926 wurden rund 600 Werke von 280 Dramatikern im Hörfunk gesendet. Doch die Zusammenarbeit zwischen den Konkurrenten Theater und Hörfunk war zunächst schwierig. Das alte Medium ›Theater‹ sah in dem neuen Medium ›Hörfunk‹ nur die gefährliche Konkurrenz – und auch aus diesem Grund musste das Radio früh nach eigenen, radiospezifischen Formen suchen. Um neue Autoren und Stoffe zu bekommen, schrieb die Radiozeitschrift Die Sendung 1924 erstmals ein Preisausschreiben aus – und musste es wieder absagen. Auch ein neuer Versuch 1927 brachte zwar 1.177 Einsendungen, aber keine besonderen Qualitäten und keine neuen Hörspieldichter. Der von der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft ausgeschriebene Preis wurde nicht verliehen.

ANPASSUNG ANS RADIO: DIE BEARBEITER

Recht bald zeigte sich, dass Theaterstücke nicht eins zu eins im Radio übertragen werden konnten oder besser sollten. Die Helden etwa mussten im Hörfunk unsichtbar bleiben – und dies hatte für die Inszenierung Folgen. Früh etablierte sich deshalb neben dem Autor auch der Bearbeiter zunächst vor allem von klassischen Theatertexten. Über diese in der Regel eher unbekannten Mitarbeiter ist nur wenig bekannt. Rudolf Hoch etwa bearbeitete 1927 Shakespeares Hamlet, Prinz von Dänemark (Deutsche Stunde), führte Regie und gehörte auch zu den Sprechern. Auch populäre Autoren probierten sich damals als Bearbeiter aus. Arnolt Bronnen beispielsweise bearbeitete Schillers Wallenstein (1927), Kleist oder Hoerschelmann, Bertolt Brecht das Shakespeare-Stück Macbeth (Funkstunde Berlin 1927).

RADIO, TECHNIK, LIVE-PRINZIP

Die frühen Hörspiele konnten einzig in den Funkhäusern produziert werden. Sie waren unabdingbar mit der Radiotechnik verbunden und ein reines und ausschließliches Radioprodukt. »Die Tatsache, dass die Hörspielform ohne die technischen Rundfunkvorgänge nicht entstehen kann, unterscheidet sie grundsätzlich von allen anderen Sendeformen des Rundfunks, die, sofern sie nicht mit Hörspielelementen gemischt sind, bloß Übertragung, bloß Reproduktion darstellen. In diesem Satz ist die erste Definition des Hörspiels enthalten« (SCHWITZKE 1963: 43). Die frühen Hörspiele wurden ausschließlich live gesendet und unter schwierigen Produktionsbedingungen hergestellt: »Ich hatte«, schrieb Erich Kästner 1929, »anderthalb Stunden Gelegenheit, zu beobachten, mit welcher Präzision die Inspizienten und ihre Handlanger zu arbeiten verstehen. Und ich sah auch, welche Mühe und welche Aufmerksamkeit diese Präzision erfordert. Kein Wort darf gesprochen oder auch nur geflüstert werden. Zwanzig Menschen, über zwei Räume und einen Flur, der die Säle verbindet, verteilt, und jeder hält ein Textbuch in der Hand, in dem der Regisseur mit Blau- und Rotstift inszeniert hat, und jeder wartet auf bestimmte Winke, winkt weiter, winkt wieder, führt Winkbefehle aus! […] Er selber, der Regisseur, sitzt inzwischen in seiner Isolierzelle, hört per Radio, was außerhalb seiner Zelle geschieht, gibt durch ein Fenster Wink-Kommandos, jagt seine Sendboten zu den Inspizienten, sie möchten den Regen das nächste Mal besser machen, und zu der Schauspielerin X, sie möge lauter sprechen oder eindringlicher weinen. Und zwischendurch verschlingt er ein Wurstbrötchen, weil er den ganzen Tag schon gesprochen und einstudiert und gewirkt hat« (BLAES 2002: 28).

Außerhalb der technisch noch einfachen Hörfunkstudios war das frühe Hörspiel nicht realisierbar. Es war ausschließlich im Radio mit seinen knisternden Mittel(MW)- und Langwellefrequenzen (LW) hörbar. Unabhängig vom Hörfunk war die spezifische Radiokunst nicht möglich. Hörspiele wurden nicht separat aufgeführt (wie etwa Theaterstücke), sondern waren ein Bestandteil eines vielfältigen – 1925 durchschnittlich etwa sechsstündigen und bald permanenten – täglichen Live-Radioprogramms. Und sie waren vor allem regionale Spiele. Weiter als 150 Kilometer konnten die ersten Sender nicht senden; das Hamburger Programm blieb den Leipziger Hörern unbekannt – und umgekehrt. Die Hörer hatten kaum Alternativen, aber das störte damals wenig. Und wenn ein Stück von mehreren Sendern gespielt wurde, dann immer in verschiedenen Realisationen. Kein Spiel war gleich. Doch die Ausstrahlung eines Hörspiels bei zwei Sendern war lange nicht die Regel, sondern ein »unwahrscheinliches Glück« (SCHNEIDER 1984: 162).

DAS HÖRSPIEL ALS REGIONALE RADIOKUNST

Die Zahl der Hörfunkmitarbeiter war in den ersten Jahren gering, eigenständige Hörspielabteilungen gab es bis Anfang der 1930er-Jahre nicht – und so bestimmten einzelne Personen das jeweilige, regionale Hörspielprofil.

Alfred Braun war seit 1924 der erste Berliner und wohl auch deutsche Hörspielleiter. Er förderte bei der Berliner Funk-Stunde das literarische Hörspiel und schuf den ›akustischen Film‹ Der tönende Stein (Funk-Stunde Berlin, 6.3.1926). Braun »vereinigte damals in seiner Person alle künstlerischen Ambitionen des deutschen Rundfunks«, notierte Bronnen (1954: 162), der seit 1928 als Hörspieldramaturg unter Braun arbeitete. 1929 berichtete Braun auf der Arbeitstagung ›Dichtung und Rundfunk‹ in Kassel-Wilhelmshöhe: »Lassen Sie mich allgemein vorweg nur eine Feststellung machen, die, dass ich nicht vom Hörspiel als von einem existierenden gewissen Besitz des Rundfunkprogramms rede – von einer bereits gelungenen Lösung, einer bereits erlebten Vollendung; ich spreche lediglich von der Möglichkeit eines Hörspiels, vielleicht auch von den Möglichkeiten eines Hörspiels und von Versuchen zu einem Hörspiel« (DUR 2000: 94). »Als ein erster, grundlegender Versuch erscheint mir die Aufführung eines akustischen Films im zweiten Jahr der deutschen Sendespieltätigkeit. Akustischer Film – so nannten wir in Berlin […] ein Funkspiel, das in schnellster Folge […] bewusst die Technik des Films auf den Funk übertrug. Jedes der kurzen Bilder stand auf einer besonderen akustischen Fläche: eine Minute Straße mit der ganz lauten Musik des Leipziger Platzes, eine Minute Demonstrationszug, eine Minute Sportplatz, eine Minute Bahnhofshalle, eine Minute Zug in Fahrt usw. […] Und das Ergebnis dieses ersten, gewiss nicht vollkommenen Versuches? Unser Publikum hat uns mit größter Begeisterung länger als zwei Stunden zugehört« (DUR 2000: 95f.). Später realisierte Braun legendäre Hörspiele wie Friedrich Wolfs SOS … rao rao … Foyn – Krassin rettet Italia oder Hermann Kessers Straßenmann.

Hans Flesch, der mit seiner »Groteske« (Flesch) Zauberei auf dem Sender 1924 das erste Hörspiel schuf, prägte auch als Intendant der Südwestdeutschen Rundfunkdienst AG in Frankfurt ein eher akustisch orientiertes Hörspiel. »Ich habe noch kein sogenanntes Hörspiel gefunden, das sich nicht als ein verkapptes Schauspiel entpuppt hätte […] Der Rundfunk ist ein mechanisches Instrument, und seine arteigenen künstlerischen Wirkungen können infolgedessen nur von der Mechanik herkommen. Glaubt man nicht, dass das möglich ist, so kann man eben an das ganze Rundfunk-Kunstwerk nicht glauben« (HAGEN 2005: 107). Flesch wandte sich wie kein anderer gegen das reine Live-Hörspiel und plädierte für die Verwendung des Tonbands bei der Produktion von Hörspielen. Schließlich bevorzugte er die Auftragsvergabe – etwa an Walter Benjamin.

Ernst Hardt prägte seit 1926 das Hörspiel bei der Westdeutschen Rundfunk AG (WERAG) in Köln. Er orientierte sich stark am Drama und an der Sendespiel-Bühne. 1929, als das Hörspiel eine »noch mehr erträumte als erkannte oder gar geschaffene Kunstform« (DUR 2000: 82) war, formulierte er in Kassel: »Das Urelement der dramatischen Partitur scheint mir das Wort, scheint mir die Sprache zu sein, und der Rundfunk bedeutet die Reinthronisation ihrer ursprünglichen Macht, die wir fast vergessen hatten. Der Hörspieler, erlöst von der hemmenden Zwangsvorstellung des vergessenen Textes, befreit von Schminke, Kostüm und aller körperlichen Ablenkung, ist für seine Wirkung einzig und allein gestellt auf die seelische und gedankliche Erfülltheit seines Innern, das sich nicht anders als in den abertausendfachen Tönungen des gemeisterten Wortklangs offenbaren kann. Vertiefung in die Dichtung und durch die Dichtung heißt für ihn also Leben oder Sterben, und wehe ihm, wenn er nicht ein Mensch ist; den größten, den berühmtesten Komödianten zerbricht das Mikrofon bis zur Kläglichkeit« (DUR 2000: 85f.). Eigene Radiostücke schuf Hardt nicht, er konzentrierte sich auf die Regie und realisierte zwei Hörstücke, die (später) exemplarisch für zwei sehr unterschiedliche Hörspieltraditionen stehen sollten: Bertolt Brechts Der Lindberghflug (1929) sowie Eduard Reinachers Der Narr mit der Hacke (1930).

 

Julius Witte war bis 1928 der literarische Leiter bei der Mitteldeutschen Rundfunk AG (MIRAG) in Leipzig. Er schrieb 1924 das Vorweihnachtshörspiel Ein Familienabend am Kamin (2.12.) und wurde vor allem mit Klassik-Inszenierungen berühmt. Sein Käthchen von Heilbronn wurde bis 1929 fünf Mal wiederholt. Doch dann hieß es: »Die bis dahin übliche Methode, Hörspiele von drei bis vier Stunden Dauer zu senden, wurde als zu ermüdend erkannt.« Für Witte musste das Hörspiel die »intensivste Verinnerlichung des Wortes, der Sprache und ihres Inhalts« (DÖHL 1988: 123) ermöglichen.

Hans Bodenstedt arbeitete bei der Nordischen Rundfunk AG (NORAG) in Hamburg. Er war seit 1924 literarischer Leiter, schrieb Hörspiele (Der Herr der Erde, NORAG 1926) und wurde später Intendant. Um »den Rundfunk für die jüngsten Dichter, die jüngsten Dichter für den Rundfunk zu gewinnen«, gründete er den ›Kreis der Zwölf‹. »Der ›Kreis der Zwölf‹ ist im April 1928 entstanden. Die Idee ging von Hans Bodenstedt aus […] Sein schönstes Ziel ist, der jüngsten Dichtung mit dem grandiosen Mittel des Rundfunks eine Heimat im Kopf und Herzen der Zeit zu schaffen […] Der ›Kreis der Zwölf‹ bekennt sich zum Rundfunk […] Er will aus dem Geiste der jüngsten Dichtung heraus gerade das Sendespiel, dies Zentralgebiet allen funkischen Schaffens, beleben, vorwärts treiben, aus dem Nur-Experimentellen zu Geltung und Gültigkeit führen« (WILLE 1929: 9). Und in der Tat: »Von Martin Beheim-Schwarzbach, Manfred Hausmann, Hansjürgen Wille, Erik Brädt und Otto Alfred Palitzsch wurden ab 1928 Hörspiele bei der NORAG uraufgeführt, die im Falle von Palitzsch auch überregional auf großes Echo stießen« (LEONHARD 1997: 1158).

Fritz Walter Bischoff ging seit 1925 bei der Schlesischen Funkstunde in Breslau einen ganz eigenen Weg. Er dachte vor allem akustisch, hoffte auf das ›reinste Kunstwerk‹ und realisierte selbst das Hörspiel Hallo! Hier Welle Erdball!! (Breslau, 4.2.1928) – es sollte viel später als frühes akustisches Funkwerk Furore machen. In Breslau wurden präzise abgesprochene Aufträge an Autoren vergeben. In den Anfangsjahren bevorzugte man Hörfolgen und stark musikorientierte Funkrevuen. 1929 sendete Breslau Bischoffs Revue Song (9.4.). Bischoff verstand sich auch als Intendant als Initiator: »Der Sendeleiter muss anregend, beratend, mitschöpferisch Bewegung unter den Dichtern und Komponisten entfesseln, diese Bewegung seinem Programmwillen einordnen, nur so werden die Schaffenden dem Rundfunk zugeführt« (LEONHARD 1997: 1173).

Die ›Deutsche Stunde‹ in München hingegen verzichtete fast vollständig auf funkeigene Originalhörspiele. Seit 1926 war Hellmuth Habersbrunner Spielleiter, er setzte eher auf bayrische Volksstücke. Der Anteil an funkeigenen Originalhörspielen war äußerst gering. »Bahnbrechende Experimente« – so die Zeitgenossen – gab es eher bei den vom musikalischen Leiter Gerhart von Westerman angeregten musikalischen Hörspielen.

HÖRSPIELDISTANZ DER ETABLIERTEN SCHRIFTSTELLER

Die Anfänge waren schwierig, und viele der frühen – eigens für den Hörfunk erstellten – Hörspiele waren vermutlich Sendespiele oder akustisch-literarische Spielereien. Schon sehr früh versuchte man, auch die Musik für die Hörspiele nutzbar zu machen. Bereits das erste Hörspiel, Fleschs Zauberei auf dem Sender, enthielt etablierte (Walzer-)Melodien, für andere Produktionen wurden Komponisten wie Giuseppe Becce oder Gerhart von Westerman mit Aufträgen betraut. 1925 prägte Kurt Weill, damals Redakteur der Hörfunkzeitschrift Der Deutsche Rundfunk, den Begriff »absolute Radiokunst«, doch das »über der Erde schwebende, seelenhafte Kunstwerk«, das »zu den Tönen und Rhythmen der Musik neue Klänge hinzutreten« lässt, wurde nie umgesetzt (DÖHL 1988: 80).

1926 schrieb Fritz Gerathewohl erste Hörspielvorlagen mit Musik (Der Pomeranzendieb; MIRAG), 1928 begründete Bronnen die Form der dialogisierten Novelle (Michael Kohlhaas; Funk-Stunde 1928). Der Textbedarf des Hörfunks war enorm, seit 1925 bestanden etwa zwei Prozent des Programms aus Hörspielen. Aber die berühmten Autoren blieben reserviert. Bereits 1927 forderte Brecht funkeigene Radiospiele – und machte sich über die Honorare lustig: »Es müssen Werke […] ausschließlich für das Radio gemacht werden. Was die Hörspiele betrifft, so sind hier ja tatsächlich von Alfred Braun interessante Versuche gemacht worden. Der akustische Roman, den Bronnen versucht, muss ausprobiert und diese Versuche müssen fortgesetzt werden. Dazu dürfen auch weiterhin nur die allerbesten Leute herangezogen werden. Der große Epiker Alfred Döblin wohnt Frankfurter Allee 244 (Berlin). Ich kann Ihnen aber vorher sagen, dass alle diese Versuche an den ganz lächerlichen und schäbigen Honoraren scheitern werden, die die Funk-Stunde für solche kulturellen Zwecke zu vergeben hat« (BRECHT 1967: 122f.).

Doch nicht nur die Honorare hielten die Autoren vom Funk ab. »Von den Autoren will noch immer ein mächtiger Teil, man möchte sagen unbesehen, nichts vom Rundfunk wissen«, beklagte Döblin im September 1929 auf der Arbeitstagung ›Dichtung und Rundfunk‹ in Kassel, »weil er den Rundfunk für etwas Vulgäres, für Unterhaltung und Belehrung plumper Art hält« (DUR 2000: 35f.). Döblin hingegen sah in dem neuen terziären Medium eine Möglichkeit, die Beschränkungen der nur schriftlichen Literatur zu durchbrechen und wieder den »eigentlichen Mutterboden jeder Literatur« (DUR 2000: 37) zu betreten: die Mündlichkeit. Jetzt aber in ihrer modernen rundfunkmedialen Form und durch Musik, Geräusche, gar Serialität ergänzt. Ironie am Rande: Auf »einer der glanzvollsten Tagungen der Rundfunk- und Hörspielgeschichte« (SCHWITZKE 1963: 33) diskutierten über den Rundfunk Autoren, die nur zu einem Viertel selbst auch einen Empfangsapparat besaßen (LEONHARD 1997: 1165).

FUNKANGESTELLTE UND NEWCOMER MACHEN HÖRSPIELE

»In den ersten Rundfunkjahren stammten fast alle Hörspielversuche, die über das reine Unterhaltungsspiel hinausgingen, noch von Mitarbeitern der Sendegesellschaften« (LEONHARD 1997: 1160), und häufig gab es Personalunionen zwischen Autoren, Produzenten und Hörspielern. Auch die Schauspieler taten sich mit dem neuen Medium schwer. »Mein erster Eindruck vor dem Mikrofon«, schrieb der Schauspieler Paul Bildt: »Weißer Schrecken überfiel mich. Kein gewohntes Premierengeräusch, kein Stuhlknacken, kein Tuscheln, kein feindliches Sichräuspern, kein Vollhusten ringsum. Die unheimliche Stille kam über mich.« Und dann kam auch noch die Schwierigkeit, so zu sprechen oder besser zu rufen, dass der Inhalt der Stücke von den Hörern auch über Mittelwelle verstanden werden konnte.

Neben den Funkangestellten schrieben auch literarisch Unbekanntere wie Rolf Gunold oder der im Funk ungemein präsente Autor Gerhart Hermann-Mostar Hörspiele. Der in Paris lebende Lyriker und Dramatiker Rudolf Leonhard (Wettlauf, Schlesische Funkstunde 1928) debütierte »ohne je ein Hörspiel oder sonst eine Sendung gehört zu haben« (SCHNEIDER 1984: 165). Radioanfänger wie Peter Fritz Buch taten sich mit dem neuen Medium schwer: »Als ich zum ersten Mal den Plan fasste, ein Hörspiel zu schreiben, schien mir das eine sehr leichte Sache zu sein. Als ich an die Ausführung ging, wurde ich nachdenklicher. Als ich den Entwurf überlas, erschrak ich vor seiner Unzulänglichkeit. Ich packte alles in den Papierkorb und fing noch einmal von vorne an. Ich hatte gedacht, es genüge, einen allgemein interessierenden Stoff zu haben, ihn in eine prägnante Szenenfolge zu fassen und diese nach den besonderen Erfordernissen des Rundfunks mit möglichst vielen akustischen Sensationen auszustatten. Während der Arbeit erst gingen mir die Ohren auf. Ich dachte nämlich plötzlich, dass es gar nicht darauf ankommt, dem Hörer möglichst reiche Höreindrücke zu vermitteln. Im Gegenteil. Ich musste ihn eigentlich vergessen machen, dass er zu Hause in seinen vier Wänden sitzt, den Kopfhörer über den Ohren oder den Lautsprecher vor sich auf dem Tisch« (BUCH 1930: 9).

»Vor 1929«, so notierte Heinz Schwitzke in seiner immer noch lesenswerten Hörspielgeschichte, »hat kein Schriftsteller von Rang der jungen Hörspielform seine Gunst geschenkt« (SCHWITZKE 1963: 65). Die etablierten Schriftsteller mieden das noch speicherfreie neue und rein orale Medium ›Hörfunk‹ und blieben ihrer ›Gutenberg-Galaxis‹, der Kultur des Buches und des (leise) Lesens, fest verbunden. Dabei war das Radio Ende der 1920er-Jahre längst nichts Unbekanntes mehr, auch kulturell nicht. »Das rasche Anwachsen der Hörer-Anzahl vergrößerte auch die Etats der Sende-Gesellschaften. Es gab damals (1928) mehr als drei Millionen Hörer, für die Sendegesellschaften fielen 36 Millionen Mark ab, eine im kulturellen Bereich unvorstellbar große Summe […] Der Rundfunk war eine Macht geworden« (BRONNEN 1954: 205).

3.LITERARISCHE BLÜTEZEITEN (1929-1968)
3.1SCHRIFTSTELLER ENTDECKEN DAS HÖRSPIEL

Ende der 1920er-Jahre stieg die Zahl der gesendeten Hörspiele enorm. 1930 wurden 854 ›dramatische Sendespiele‹ gezählt. Bis 1932 war das Radioangebot auf 1.400 Hörspiele, Hörfolgen und hörspielartige Darbietungen für Erwachsene gestiegen. Etwa zwei Prozent des stetig verlängerten Gesamtprogramms bestand aus Hörspielen – aber unter einem Hörspiel konnte man sich sehr Unterschiedliches vorstellen. In der Regel wurden die Hörspiele zu den besten Sendezeiten gegen 20 Uhr ausgestrahlt. Die ›eigentlichen‹ Hörspiele machten etwa ein Drittel des Angebots aus – und unter diesen waren plötzlich vor allem literarische Produktionen aufregend. »1929«, so Schwitzke, »beginnt mit einem Schlag die Zeit des literarisch relevanten Hörspiels in Deutschland«, eine erste »Blütezeit« (SCHWITZKE 1963: 71).

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