Zwei gegen Ragnarøk

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Als Reaktion, auf Alviturs Gedanken, hörte man wieder ein paar gemurmelte Worte, und Hilda merkte instinktiv, dass da etwas in ihrem Kopf war, das sie noch nicht greifen konnte und sie spürte ein heftiges Kribbeln, als Alviturs Blick wieder auf ihr ruhte. Einen Schauer lief ihr über den Rücken und sie drückte sich fester an Alfger. Hilda kam sich plötzlich ganz klein vor, aber wiederum auch wach und von Alvitur angezogen.

„Ihr wisst alle, was Ragnarök bedeutet“, nahm Alvitur seine Erzählung wieder auf. „Ja, das ist der Untergang unserer Welt, so wie wir sie heute kennen und auch der Untergang unserer Götter, die Ragnarök deshalb auch fürchten. Es gibt selbst unter ihnen auch solche, die die Ihrigen verraten haben und die Welt in ein Chaos stürzen wollen.“ Seine Stimme wurde wieder leiser, aber fast beschwörend. „Ihr kennt bestimmt auch seinen Namen. Es ist der, den Odin als Sohn annahm, der aber die Ursache vieler Übel wurde.“

Wieder tuschelten einige ganz leise und ein Kinderstimmchen piepste fragend: „Loki?“

„Was hat er getan, dieser Loki, der Wahlsohn von Odin?“, drang nun Alviturs Stimme auffordernd an die gespannt lauschenden Zuhörer.

Alvitur beugte sich vor und sein Gesicht lag nun voll im Schein des Feuers. Sein Auge schaute so eindringlich in die Menge, dass die Kinder unter seinem Blick förmlich schrumpften.

Die Bedrohung, die aus Alviturs Worten sprach, empfand Hilda plötzlich ganz deutlich. Ihr war mit einem Male so, als ob Alviturs Worte nur an sie gerichtet waren. Sie begann nervös Alfgers Hand zu drücken und lauschte aber weiter Alviturs Worten.

„Obwohl Loki von Odin als Sohn erwählt wurde und mit einer Asin verheiratet war, verriet er die Asen und zeugte mit einer Riesin zusammen drei Kinder.“

Alvitur hob seine Hände leicht an, wie um seine Worte zu unterstreichen und sprach dann mit eindringlicher Stimme weiter: „Lokis Kinder, das waren der Wolf Fenrir, eine riesige Schlange und ein Mädchen, in den Farben halb blau und halb wie ein Mensch gefärbt. Odin und die anderen Asen erfuhren natürlich von Lokis Frevel und Odin befragte seine Runen nach der Bedeutung dieser Wesen.“

Alvitur machte eine kleine Pause und angespanntes Atmen war von den Kindern zu hören. Manche hörte man auch ängstlich die Erwachsenen fragen.

Das Feuer knisterte mit einem male viel stärker und plötzlich flogen, laut knallend, Funken durch den Raum, dass alle zusammenzuckten.

Alvitur hob, Achtung gebietend, eine Hand und lehnte sich dann aber mit einem geheimnisvollen Lächeln zurück. Er trank einen Schluck von seinem Gebräu, wobei sein Blick weiterhin über den Becherrand auf den Zuhörern weilte. Er fuhr fort: „Alle Antworten, die Odin erhielt, bedeuteten nichts Gutes. Großes Unheil war die Botschaft der Runen und so beschlossen die Asen Lokis Nachkommen einzufangen und nach Asgard19 zu bringen, um das Schlimmste zu verhindern. Alle Asen verurteilten Loki und meinten, dass er ein Verderber der Welt sei. Nur Odin selbst nahm seinen Wahlsohn noch in Schutz, denn er glaubte immer noch an Lokis guten Kern.“ Alvitur hielt inne und zeigte auf das Feuer, in der Mitte der Runde. „Odin verglich Loki mit der Kraft des Feuers, das zwar zerstören kann, das aber auch allen Wärme gibt.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, hielt Alvitur seine Hände mit den Handflächen zum Feuer und schloss kurz die Augen. Leises Getuschel war zu hören und dann aus der Menge die Worte: „Stimmt ja auch!“ Alviturs einäugiger Blick ging suchend dorthin, woher eben die Worte kamen, dann fuhr er fort: „Ja, was wären wir ohne das Feuer, aber Loki ist nicht das Feuer und das erkannten die Asen. Sie berieten weiter, was sie mit Lokis Kindern machen sollten, ob sie diese vielleicht wie das Feuer zähmen und sie nutzbar machen könnten. Sie fanden aber keine wirklich kluge Lösung und so nahm Odin die inzwischen schon riesig gewachsene Schlange und warf sie ins Meer, wo sie aber noch beträchtlich weiter wuchs und letztendlich die ganze Welt der Menschen umspannte. Es war die Midgardschlange20. Das zweifarbige Mädchen indessen, war schon zu einer Frau herangewachsen. Odin verbannte sie in das Land des ewigen Eises, weit hinter Niflheim21. Diese Frau und auch ihr Reich, in dem sie nun fortan herrschte, wurden von den Göttern Hel genannt.“ Alvitur schaute mit ernster Mine auf die Runde am Feuer, nahm genüsslich einen Schluck von seinem geheimnisvollen Trank und fuhr in mahnendem Ton fort: „Diejenigen von uns, die nicht in einer Schlacht, ehrenvoll, als Krieger sterben, sondern erst durch ihr Alter oder durch Krankheiten, die kommen in ihr Reich.“

Ein Geräusch drang plötzlich störend in die vor Spannung knisternde Runde und Alvitur, hob Achtung gebietend eine Hand. Alle lauschten. Es hörte sich an, als streiche etwas Riesiges an der Hauswand entlang. So laut war das Schaben und Schurren, dass die kleineren unter den Kindern sich ängstlich nach ihren Eltern umsahen.

„Aber am schlimmsten war Lokis drittes Kind, der Wolf Fenrir“, drang Alviturs Stimme in die eingetretene Stille. „Die Asen beäugten ihn misstrauisch, denn der junge Wolf wuchs und wuchs unaufhörlich. Er wurde zu dem riesigen Fenriswolf.“

Das letzte Wort sprach Alvitur fast wie eine Beschwörungsformel aus und bedachte die Kinder wieder mit seinen geheimnisvollen Blicken. Dann hielt er abermals inne, so, als fixierte er einen Punkt in der Dunkelheit des Hauses.

Alviturs Blick, die Stille und dann das plötzliche, aus weiter Ferne kommende, Geheul eines Wolfes, machten den Kindern Gänsehaut, dass sie die Luft anhielten.

Als Antwort, auf das Wolfsgeheul kläfften die Dorfhunde ganz aufgeregt.

„Mach den Kleinen nicht solche Angst“, flüsterte Fifilla in das ängstliche Schweigen und reichte dem kleinen Stufi einen Becher mit warmen Tee. Der saß ganz in sich zusammengekauert da und schaute ängstlich und weinerlich in die Runde.

Die Unheimlichkeit des Augenblicks unterstreichend, ertönte erneut das Wolfsgeheul, aber noch lauter. Es war jetzt viel näher und es klang bedrohlich, dass nicht mal die Dorfhunde mehr zu bellten wagten.

Selbst Hilda, die eigentlich nie ängstlich war, empfand das als schaurig und rutschte wieder ganz dicht an Alfger heran. Alfger wandte ihr sein Gesicht zu und sie sah sein Blinzeln und sein Grinsen, dass sie schon so oft aus der Fassung gebracht hatte und plötzlich ahnte sie, was hier wirklich geschah. Alviturs Auge blickte forschend von einem zum anderen, als suche er den Wolf unter seinen Zuhörern.

Da heulte der Wolf wieder, jedoch diesmal unheimlich lange und es schien so, als ob er direkt um das Langhaus herum strich.

Ein paar beruhigende Worte der Eltern, an die Kleinen folgten und dann wieder ein grässliches Heulen vom hinteren Teil des Hauses. Jetzt hatte ganz sicher auch das letzte Kind Gänsehaut und die kleineren schauten wieder ängstlich zu ihren Eltern.

„Ich denke, wir sollten diesen Wolf mal aus unserem Dorf vertreiben“, brummte nun Steinar in die Runde. Er ging langsam zum Ausgang und zog Ernir an der Schulter mit. „Komm mit, Ernir, du jagst doch auch gerne Wölfe.“

„Bleibt alle ruhig sitzen“, sagte Steinar mit fester Stimme, „wir zwei schaffen das schon. Stimmt’s, Ernir?“

Ernir antwortete nur mit einem zustimmenden Brummen und schon waren die beiden zur Tür hinaus. Sie waren kaum draußen, als der Wolf noch einmal zu einem grässlichen Geheule ansetzte, das dann aber ganz abrupt endete. Dafür waren Steinars und Ernirs dröhnende Rufe zu hören: „Hoho, hau ab! Mach dass du im Wald verschwindest!“

War der grässliche Spuk beendet?

Alle am Feuer hatten den Atem angehalten. Nun entspannte sich die Runde wieder und Stufi fragte erleichtert: „Ist er weg?“

Ganz unvermittelt sprach Alvitur weiter: „Ja, er ist weg, aber das war auch nicht der Fenriswolf, der ließe sich nämlich nicht so einfach, mit ein paar Rufen, verjagen.“

Alviturs Stimme nahm einen beschwörenden Klang an. „Und wie die Nornen Odin weissagten, wird dieser Höllenwolf ein Zeitalter der Axt, des Schwertes, des Windes und auch des Wolfes einleiten, dass zum Untergang unserer Welt führen würde. Für die Asen war das eine ganz schlimme Botschaft und sie beschlossen natürlich, das zu verhindern und sperrten den Wolf in einen großen Käfig. Als sie aber sahen, dass der Wolf immer weiter wuchs und stärker wurde, beschlossen sie ihn zusätzlich mit Ketten zu fesseln. Damit der Wolf das hinnähme, erzählten sie ihm, dass sie mit der Ketten nur feststellen wollten, wie stark er sei und so hielt Fenrir still, und ließ sich freiwillig in Ketten legen. Als er dann in Ketten lag jaulte er kurz, reckte und streckte sich und sie zerbrachen ganz einfach. Da waren die Asen ratlos und bekamen große Angst. Was sollten sie tun? Odin kam auf den Einfall, sich an die Zwerge zu wenden, denn sie waren ja für ihre große Handwerkskunst bekannt. Die Zwerge erschufen dann nach Odins Willen ein Halsband für Fenrir, aus ganz absonderlichen Zutaten. Odin vertraute ihrer Kunstfertigkeit und nahm dieses Band. Als die Asen dem Fenriswolf das neue Band anlegen wollten, war dieser aber misstrauisch geworden und weigerte sich.“

In Alviturs letzte Wort mischte sich plötzlich von draußen ein mehrstimmiges Wolfsgeheul. Es war ein fürchterliches und schauriges Geheul, das lang gezogen, auf und abschwellend, den wie gebannten dasitzenden Zuhörern bis ins Knochenmark drang. Selbst Alvitur hielt mit aufmerksamem Gesicht inne und sein Auge schaute sehr ernst auf die Leute. Seine Hände umschlossen die Armstützen des Stuhles so stark, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Dann war plötzlich Stille und nur dass das Knistern des Feuers war als einziges Geräusch noch zu hören. Ein allgemeines Aufatmen ging durch die Runde.

 

Alvitur nickte kurz und nahm seine Erzählung wieder auf. „Die Asen hatten auch allen Grund zur Angst, denn der Fenriswolf wollte sich das Band nur zu einer neuen Kraftprobe anlegen lassen, wenn ihm einer der Götter dabei seine Hand in das Maul legen würde. Nur ein Einziger von den Asen hatte dazu den Mut. Das war Tyr, der auch während der ganzen Zeit den Wolf täglich gefüttert hatte. Zum Zeichen der Ehrlichkeit der Götter wollte Fenrir Tyrs rechte Hand, die Schwurhand, in seinem Maul halten, während sie ihn fesselten. Als das von den Zwergen geschmiedete Band angelegt war, versuchte der Fenriswolf sich zu befreien. Er zog und riss, aber je stärker er an dem Band riss, je fester legte es sich um seinen Körper und er merkte, dass ihn die Asen nun wirklich gefesselt hatten. Die Asen freuten sich, dass das Band hielt, nur Tyr war der Leidtragende; ihm biss Fenrir, in seiner Wut, die rechte Hand ab. Der Wolf gebärdete sich wütend, schnappte und biss um sich, da nahm Odin sein Schwert und steckte es so in seinen Rachen, dass dieser das Maul nicht mehr schließen konnte. Seit dem muss nun der Fenriswolf bis zum jüngsten Tag ausharren, bis er das Band zerreißen und er die Welt verschlingen kann.“

Alvitur lehnte sich zurück, musterte mit durchdringendem Blick die aufmerksam lauschenden Björkendaler und gönnte sich wieder einen langen Schluck von Fifillas Zaubertrank.

Stufis helles Stimmchen drang aufgeregt durch die Stille: „Auweia. Sterben wir dann alle?“

Kibba sprang auf und fragte: „Können wir nicht irgendwo anders hingehen, wo der Wolf uns nicht findet?“

Noch einmal nahm Alvitur das Wort: „Weglaufen bringt nie etwas, das sollte jeder von euch wissen. Wenn es wirklich eine Rettung geben kann, dann nur durch unsere Herzen, durch unseren Mut, unsere Klugheit und durch den Willen, zu dem zu stehen was wir, seit hunderten Jahren, wirklich sind. Die Prophezeiungen sind ja nie so ganz eindeutig und lassen auch manchmal die Möglichkeit für ein anderes Schicksal offen. Man müsste schon die Nornen erneut befragen. Aber vielleicht ist ja schon Einer, oder Eine unter uns, der es wagt, das Schicksal herauszufordern, einer, der nicht nur sich selbst, sondern auch unsere Götter, uns und unsere Welt retten will.“

Wie zufällig ruhte Alviturs Blick einen Moment lang auf Hilda und Falki, dann ließ er sein Auge weiter über die immer noch andächtig sitzenden Zuhörer schweifen. So verharrte er ziemlich lange, dann erhob er sich bedächtig aus seinem Stuhl.

Sölvi beeilte sich, zu Alvitur zu kommen, um ihn wieder zu seiner Hütte zu begleiten. Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, war die magische Spannung in der Runde verflogen und ein vielstimmiges Gemurmel setzte ein. Auch die Stimmen der Erwachsenen wurden lauter und es hörte sich an, wie kurz vor einem Thing. Alle schickten sich eilig an, ihre Schlafplätze im Langhaus, oder auch in den Hütten aufzusuchen, aber auf fast allen Gesichtern lag ein nachdenklicher Ausdruck. Die älteren unter ihnen wussten, wovon Alvitur gesprochen hatte und sie wussten auch, dass ihr Björkendal nicht ewig so weiterexistieren würde, wie es jetzt war. Irgendwann würde der neue Gott und die Welt hinter dem Dänenwall, ihre Welt fressen, wie der Fenriswolf in der Geschichte.

FALKI WIRD SCHMIED

Am aufgeregten Gegacker der Hühner erkannte Hilda, dass die Mutter sie grade fütterte. Der Vater war mit den Fischern draußen im Fjord und Falki lag noch träumend auf seinem Lager.

Hilda kramte ihren Silberspiegel hervor und begann sich die Haare zu kämmen, aber das Feuer in der Hütte brannte so niedrig und durch den Rauchabzug fiel so wenig Licht, dass sie bei ihren Haarbändigungsversuchen nur wenig sah. Aber irgendwie schafft sie es dann doch, die Haare ordentlich zu kämmen und die Zöpfe neu zu flechten.

Als sie mit ihren Zöpfen zufrieden war, zog sie Falki kräftig an einem Zeh: „Komm hoch du Faulpelz, das Essen steht auf dem Tisch und etwas Nützliches müssen wir heute auch noch tun!“

Falki zog sein Schlaffell weit über den Kopf und brummte unwillig: „Hmmm, nööö.“

Hilda grinste schelmisch und zog ihm mit einem Ruck das Fell weg, aber Falki stellte sich tot. Da schüttelte sie ihn so heftig, dass ihm nichts weiter übrig blieb, als das Traumland zu verlassen. Er setzt sich auf, zog eine Grimasse und stöhnte übertrieben, wie ein alter Mann: „Ja, ja, ich komme ja schon. Ächz, uuhaa, ach ist das Aufstehen schwer. Kleine, hilf mir doch mal hoch, meine alten Knochen wollen nicht mehr so richtig.“

Hilda griente und ging zum Spaß darauf ein. Sie reichte ihm die Hand um ihn hochzuziehen, da brüllt Falki laut auf, sprang mit einem Satz vom Lager und riss Hilda dabei um.

„Haha, reingefallen! Ich habe Hunger. Was hat die Mutter denn auf den Tisch gestellt? Wieder Körnerbrei? Äh, ich muss aber erst mal raus, den Mund ausspülen und pinkeln“ – und schon war Falki zur der Tür hinaus.

Hilda hörte, wie er draußen mit der Mutter sprach. Dann setzte sie sich an den Tisch und schaute selbst, was die Mutter ihnen alles hingestellt hatte. Hinter sich hörte sie ein Aufflattern und Skyggi setzte sich krächzend auf dem Tisch.

„Skyggi, du Flattervieh, hast mich ja fast erschreckt, aber schön, dass du mit dem Essen auf mich gewartet hast. Oder hast du etwa nicht gewartet und dir hier schon den Bauch schon vollgeschlagen?“

„Korr, korr“, kam es leise aus Skyggis Schnabel und er hüpfte auf dem Tisch herum, besah sich die dort liegenden Speisen und begann an einem Stück Brot zu zupfen.

In diesem Moment kam Falki wieder zur Tür herein und schimpfte: „Blöde Hühner, die kacken überall hin und ich musste auch noch gleich dreimal reintreten – bäää! Ha, da ist ja noch so ein Huhn“ – und er zeigte auf Skyggi. „Hilda pass’ nur auf, dass der nicht auch noch hier auf dem Tisch kackt!“

Hilda lachte, „Na dann wirst du ja heute noch dreimal Glück haben, wenn du dreimal in die Hühnerkacke getreten bist. Warum läufst du auch barfuß aus dem Haus?“

Und nach einem Blick auf den Raben erwiderte sie: „Falki, du hast Recht, Skyggi darf seinen Dreck nicht auf den Tisch fallen lassen. Da muss ich ihn wohl noch etwas erziehen.

Uns haben die Eltern ja auch erzogen. Stromer, der Hund von Sigudur, ist auch gut erzogen und kann fast alleine die Schafe hüten, da werde ich doch wohl einen Raben erziehen können.“

Falki wischte sich den Hühnerdreck von den Füßen und setzte sich zu Hilda an den Tisch. Er griff sich ein Stück Fladenbrot und die Schüssel mit dem Fruchtbrei. Er tauchte sein Brotstück ein und schob es sich genüsslich in den Mund.

„Schwesterchen, das hast du wirklich gut gemacht. Ich meine diese Mischung aus Früchten. Hmmm, die schmeckt mit dem Brot köstlich und besonders dann, wenn man noch einen Becher Milch dazu hat“ – und schon angelte er nach dem Krug mit der Milch.

Hilda hatte ihre linke Hand auf Skyggis Rücken liegen und fütterte ihn mit kleinen Bröckchen.

Mit vollem Mund nuschelte Falki: „Da haben wir ja beide heute viel zu tun, du musst Skyggi erziehen und ich gehe zu Steinar in die Schmiede, um zu lernen.“

„Falki, du bist ja lustig, glaubst du etwa, einen Raben kann man an einem Tag erziehen? Bestimmt brauche ich ein ganzes Jahr dazu. Außerdem hat er ja auch schon etwas Erziehung bekommen. Wenn ich ihn rufe kommt er sofort und bei Sölvi klappt das auch.“

Falki schluckte und prustete dann heraus: „Na klar, erziehe ihn mal richtig, dann kann Skyggi, wie Stromer, Schafe hüten!“

Falki lachte über seinen eigenen Witz so doll, dass er sich verschluckte, vom Husten rot anlief und sein gekautes Brot über den ganzen Tisch prustete, dass Hilda erschrocken zurückzuckte.

Sie sprang auf und schlug Falki mehrmals heftig mit der flachen Hand auf den Rücken, bis er mit dem Gesicht auf dem Tisch liegen blieb und röchelte: „Danke, Schwesterchen, es ist gut.“

Skyggi hüpfte auf Falkis Rücken und pickte ihn mehrmals auf den Kopf, begleitet von einem kräftigen „Orr, orr.“

Hilda klatschte vor Freude in die Hände. „Skyggi, du lernst aber schnell. Genau so musst du das machen.“

Falki setzte sich wieder hin und lachte mit. „Na wir werden ja sehen, wie gut das geht. Du erziehst ein Jahr lang deinen Vogel zum Schafe hüten oder sonst was, und ich gehe ein Jahr lang zu Steinar und lerne das Schmieden. Mal sehen, wer am Ende mehr kann.“

„Aber das bleibt unter uns, ja?“ Hilda schaute Falki fragend und ernst in die Augen.

„Na klar, Schwesterchen. Das mit dem Schafe hüten war ja nicht so ernst gemeint, aber etwas können muss Skyggi nach einem Jahr schon, außer auf seinen Namen zu hören“, forderte Falki.

Hilda nickte und sagte: „Na gut, dann sei es so.“

Falki stand auf, steckte sich noch einen Trockenfisch in die Tasche, dann sagte er zu Skyggi: „Na dann lerne mal fleißig, wir lernen jetzt beide um die Wette“ – und wandte sich zur Tür.

Skyggi flatterte hinter Falki her, aber Hilda rief, „Komm zurück, Skyggi, komm!“

Der Rabe gehorchte sofort und setzte sich wieder auf den Tisch. Als ob er sagen würde: „Na, wie hab ich das gemacht?“, schaute er Hilda mit schief gelegtem Kopf an.

Falki drehte sich noch einmal zu Hilda um und meinte lachend: „Na das geht doch schon großartig“, dann lief er schnellen Schrittes zu Steinars Schmiede.

Vor der Schmiede saß Arnor und natürlich bei seiner Lieblingsbeschäftigung; Essen. Falki näherte sich mit der Bemerkung: „Na hast’ schon wieder drei Hühner verdrückt?“

Arnor erhob sich und schlug Falki auf die Schultern, „Nein, nicht drei Hühner, aber drei Trockenfische und eine Schüssel mit Bohnen.“

Falki zog die Augenbrauen zusammen und sagte dann grinsend: „Dann geh mal heute lieber zu den Fischern, als hier die Schmiede mit Bohnenwinden zu verpesten. Im Fjord ist nämlich viel frische Luft.“

Arnor schaute etwas verdutzt, doch bevor er etwas erwidern konnte, war Falki schon um die Hausecke und in der Schmiede verschwunden.

„Guten Morgen Steinar.“

„Guten Morgen Falki“, antwortete Steinar, „was treibt dich denn zu mir? Willst du mir wieder nur auf die Finger schauen oder wirklich helfen?“

Falki ging ganz dicht an Steinar heran, der dabei war, sein Schmiedefeuer neu zu entfachen und schaute ihn fest in die Augen. „Steinar, ich möchte ein richtiger Schmied werden, so wie du. Ich möchte gerne gute Schwerter schmieden können und vielleicht auch so kleine Sachen.“

Steinar richtete sich auf und legte Falki seine große Hand auf die Schulter. „Falki, du weißt, dass du mir immer willkommen bist. Du bist ein geschickter Junge, der auch fix im Kopf ist und nicht so gerne faul in der Ecke herumliegt, wie mein eigener Sohn.“

Falki wusste, dass Steiner oft über Arnors Faulheit schimpfte, aber Arnor war trotzdem ein guter Freund und hatte auch schon Ahnung vom Schmieden.

Er schaute etwas betroffen zu Steinar auf und Steinar ergänzte seine Worte: „Na ja, ich weiß, dass Arnor trotzdem ein guter Junge ist. Ich glaube, er ist nur ein Spätentwickler, so wie ich das auch war. Der wird schon noch aus sich herauskommen und auch ein guter Schmied werden.

Falki, wenn du wirklich helfen willst, hole mal bitte noch eine Kiepe Holzkohle und stelle sie genau hierher.“

Falki lief sofort los um die Kohle zu holen. Draußen rannte er Arnor fast um, der ein ziemlich vergrämtes Gesicht machte.

„Ich hab alles gehört“, kamen ihm die Worte etwas traurig über die Lippen. „Ich will ja gar nicht so faul sein, aber es überkommt mich einfach immer so und Hunger habe ich auch immer.“

Falki legte ihm tröstend den Arm um die Schultern. „Nimm es nicht so tragisch, hast ja gehört, dein Vater war wohl als Junge auch so und ist dann ein geachteter Mann geworden.“

„Ich will auch ein geachteter Mann werden“, flüsterte Arnor, immer noch geknickt, dann richtete er sich plötzlich auf und griff sich gleich zwei Kiepen, die mit Holzkohle gefüllt waren. Er schleppte sie in Windeseile in die Schmiede, dass Falki nur die Augenbrauen hochziehen konnte.

Falki hatte an einer Kiepe schon schwer zu tragen und Arnor rannte gleich mit zweien los. Er griff sich nun auch noch eine Kohlenkiepe und schleppte sie zur Esse, in die Schmiede.

Er sah grade noch, wie Steinar in Arnors Wuschelkopf herumwuselte und ihm dann auf die Schulter klopfte.

„Falki, du hast ja nun schon seit Tagen hier herumgestanden und mir Blutblasen auf die Finger geguckt, jetzt kannst du wirklich helfen. Bediene mal den Blasebalg, ich brauche viel Hitze.“

 

„Blutblasen auf die Finger geguckt? Wie geht das denn?“

Steinar lachte laut und hielt Falki seine Hände hin, und da waren wirklich ein paar Blutblasen.

Falki stotterte verdutzt: „Aber das war ich doch nicht.“

„Das war ja auch nur ein Scherz. Blase mal kräftig, die Funken müssen stieben.“

„Was wollen wir den heute schmieden“, fragte Falki interessiert und schaute auf die ganzen Eisenteile, die in der Schmiede herumlagen.

„Hm, zuerst werden wir zwei Zieheisen für Bjolfur und Egill herstellen, ein großes und ein sehr kleines, dann müssen wir einige Beschläge machen, viele Nägel, und wenn dann noch Zeit ist, einen Haufen stumpfer Schneiden schärfen.“

„Na gut, aber ich dachte, dass wir mal zusammen ein Schwert schmieden, das ist doch bestimmt interessanter“, meinte Falki etwas enttäuscht.

„Ja, ja, das dachte ich mir schon, ihr jungen Männer denkt natürlich beim Schmieden nur an Schwerter. Falki, schau’ dir doch mal unser Leben an, fischen die Fischer mit Schwertern, oder scheren wir die Schafe mit einem Schwert? Mit dem Schwert werden wir uns verteidigen, wenn es jemand wagt, uns anzugreifen, aber den Acker bestellen wir doch lieber mit einem Pflug oder mit Hacken und anderen Geräten.“

„Steinar, du hast ja Recht. Ich will auch lernen einen Pflug zu schmieden und Beschläge, eben alles, was wir brauchen. Aber ich möchte auch lernen, so kleines Zeug zu machen.“

„Was meinst du denn mit dem kleinen Zeug? Meinst du Nägel?“

Falki guckte Steinar komisch an, „nein Steinar, ich meine Fibeln und so, … na ja, auch Schmuck.“

„Ahhh, jetzt verstehe ich dich. Falki, du möchtest ein Kunst- oder Silberschmied werden. Na, da hast du dir ja was vorgenommen. Ich kann dir zwar eine Menge beibringen, aber eben nur das Schmieden von dem, was wir hier täglich brauchen, vom Nagel bis zur Bootsbaueraxt. Für so kleines Zeug, wie du sagst, habe ich gar keine Werkzeuge.“

Steinar hielt jetzt mit einer langen Zange ein flaches Eisen in die Glut, drückte Falki die Schulter und sagte: „Blase mal, was das Zeug hält, dass die Funken fliegen und lass den Kopf nicht hängen. Falki, das mit dem kleinen Zeug, kriegen wir auch noch hin. Ich weiß, dass du sehr geschickte Hände hast.“

Nach einiger Zeit, als Falki schon glaubte, dass ihm vom ständigen arbeiten am Blasebalg die Arme abfallen würden, kam Kibba in die Schmiede. Sie kam im Hüpferschritt herein und es sah so aus, als wolle sie Steinar anspringen, aber der griff sich seine Tochter im Fluge und warf sie hoch, bis fast an die Decke.

„Na, meine kleine Maus, was gibt’s denn, dass du so eilig angehüpft kommst?“

Kibba kreischte erst vor Vergnügen, dann piepste sie: „Die Mutter sagt, dass du essen kommen sollst.“

Steinar stelle seine Tochter wieder behutsam auf den Boden und sagte zu Falki: „Komm mit, du isst heute bei uns. Hast ja auch schwer geschuftet, da kannst schon war kräftiges vertragen. Junge, als ich so alt war, wie du und bei meinem Vater ständig am Blasebalg stehen musste, dachte ich immer, dass mir die Arme abfallen.“

Da verzog sich Falkis Leidensmine zu einem schiefen Grinsen. „Steinar, genau so habe ich mich eben gefühlt. Ich glaube, ich kriege die Arme nachher nicht mehr hoch, uff.“

„Komm“, sagte Steinar, „bist ein guter Junge und hast nicht ein einziges mal gemault. Ich weiß sehr gut, wie langweilig das Bedienen vom Blasebalg ist und ich hätte nicht gedacht, dass du so lange durchhältst. Nach dem Essen ist erst mal eine lange Pause und dann machen wir was anderes.“

Steinar und Falki gingen in die Hütte, zu Birta und Kibba. Der Tisch war reich gedeckt, aber das war Falki schon klar; Steinar war ein riesiger, kräftiger Mann und Arnor, der so alt war wie Falki, konnte bestimmt auch so viel essen, wie sein Vater.

Auf dem Tisch standen gebratener Fisch, gekochte Erbsen, Getreidebrei, Fladenbrot, für jeden ein gekochtes Ei und ein großer Krug mit Buttermilch.

Falki lief beim Anblick des Essens das Wasser im Munde zusammen.

„Falki, setz dich“, sagte Birta mit einem gütigen Lächeln. „Wo habt ihr denn Arnor gelassen? Das ist schon komisch, dass er zum Essen nicht da ist.“

Steinar ließ sich krachend auf seinen Stuhl fallen und zuckte die Schultern. „Der wird schon noch kommen, wenn er den gebratenen Fisch riecht.“

Falki ahnte, dass Arnors Fehlen hier beim Essen mit seiner kleinen Verstimmung zu tun haben könnte. Irgendwie fühlte er mit Arnor und wollte nicht ohne ihn essen. Falki stand auf und ging zur Tür. „Ich komme gleich wieder, muss nur noch rasch ein paar Blümchen gießen.“

Draußen rannte er um das Haus herum und suchte nach Arnor, aber dort war er nicht. Falki zog einen größeren Kreis und da sah er Arnor, am Dorfbach sitzend, mit den Füßen im Wasser und den Kopf in die Arme gestützt.

Falki näherte sich mit leisen Schritten und setzte sich neben seinen Freund. So wie Arnor da saß, war er doch noch verstimmt. Falki rückte ganz dich an ihn heran und stieß ihn sanft an. „Komm essen. Es gibt einen riesigen, leckeren Fisch und Erbsen. Sie warten alle auf dich, komm. Nimm das nicht so tragisch mit der Faulheit. Irgendwann bist du hier der Schmied von Björkendal und alle Leute werden dich achten.“

Arnor schaute zu Falki auf und in seinem Gesicht erhellte sich langsam wieder.

„Falki, du hast Recht und mein Magen schreit auch wirklich schon nach richtigem Essen.“

Arnor stand auf und wollte Falki freundschaftlich auf die Schulter klopfen, aber das Klopfen war wohl etwas zu kräftig und Falki fiel kopfüber in den Bach.

Prustend kroch Falki die Böschung hoch. „He, du Kraftprotz, ich wollte doch jetzt gar nicht baden. Hilf mir wenigstens wieder hoch“ – und er streckte seine Hand nach Arnor aus.

Arnor griff hilfsbereit zu und grinste dabei unverschämt, aber er hatte nicht mit Falkis List gerechnet – platsch, lag er auch im Wasser und prustete.

Nun grinste Falki. „Na jedenfalls kann keiner sagen, dass wir uns ungewaschen an den Tisch setzten.“

Kurze Zeit später standen sie, in triefender Kleidung und lachenden Gesichtern, wieder in Steinars Hütte.

„Wir haben uns nur etwas gewaschen, aber jetzt haben wir Hunger“, sagte Arnor und setzte sich in seiner klitschnassen Kleidung an den Tisch. Falki tat es ihm nach, weil er nun auch riesigen Hunger hatte und der große Kabeljau ihn magisch anzog.

Birta wollte wohl etwas wegen der nassen Kleidung sagen, aber Steinar winkte ab und grinste verständnisvoll.

Als sich alle satt und zufrieden zurück lehnten, stellte Birta noch eine Schüssel mit gekochten Äpfeln auf den Tisch.

Kibba, die bisher geschwiegen hatte, wohl weil die nassen Jungen ihren Kopf zu sehr beanspruchten, wurde jetzt munter. „Hmmm, Mama, kann ich einen ganz großen Löffel haben?“

Falki konnte es sich nicht verkneifen: „Da merkt man, dass du Arnors Schwester bist, hihi, aber ich mag die gekochten Äpfel auch gerne. Ich will auch einen großen Löffel.“

Birta schob die große Schüssel in die Tischmitte und legte mit der Bemerkung, „hier habt ihr noch zwei große Löffel“, zwei Suppenkellen auf den Tisch.

Steinar schaute erst etwas komisch drein, dann lachte er lauthals los, sein dröhnendes Lachen, dass der ganze Tisch wackelte.

„So lass ich mir das gefallen. Keiner soll sagen, dass er an unserem Tisch hungrig aufstehen muss. Und noch etwas: Jetzt lasst mich alle mal für eine kurze Weile in Ruhe. Mein Körper braucht Ruhe.“

Nachdem Steinar das gesagt hatte, stand er auf und plumpste auch schon auf sein Lager.

Birta lächelte und machte eine Handbewegung, dass die Jungen verschwinden sollten.

Draußen sagte Falki zu Arnor: „Komm, wir setzen uns wieder an den Bach, mir ist auch nach Ruhe. Ich spüre meine Arme kaum noch.“

„Ich weiß“, sagte Arnor, „ich stehe ja auch oft genug am Blasebalg. Es ist ja nicht so, dass ich immer nur herumsitze und vor mich hin mampfe.“