Zwei gegen Ragnarøk

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

SKYGGI

Nach ihrem erfolgreichen Abenteuer erreichten die Freunde endlich den Dorfrand. Alle drei hatten vom schnellen Laufen gerötete Gesichter.

Alfger und Falki schauten stolz drein, wie zwei siegreiche Krieger auf der Heimkehr und Hilda, die ihnen vorsichtigen Schritten folgte, war anzusehen, dass sie einen besonderen Schatz trug. Ihre Augen strahlten.

Wenn Falki allerdings die Stellen seiner Sturzverletzung berührte, dann sah er für einen Moment doch nicht mehr ganz so glücklich aus. Das Seil, dass seinen Sturz abfing, hatte doch einige böse Stellen, rund um seine Hüften, hinterlassen.

Alfgers Mutter, Einurd, lief ihnen mit einem Dorfhund über den Weg. Mit erfahrenem Blick sah sie den Dreien an, dass sie vor Spannung fast platzten. „Na, was habt ihr denn da zusammen ausgeheckt? Ihr strahlt ja so geheimnisvoll.“

Die Freunde schauten sich an, grinsten und als Alfger Hilda zunickte, holte sie aus ihrer Tunika die Tasche mit dem Rabenei hervor. Sie hielt Einurd die Tasche hin.

„Hier schau mal rein“ – und ganz vorsichtig öffnete sie ihr Geheimnis. Mit Verschwörerstimme flüsterte sie: „Einurd, schau, das ist ein Rabenei.“

Der Dorfhund schnüffelte an Hilda und den Jungen herum und Hilda bekam schon Angst um ihren Schatz. Sie befahl ihm barsch: „Geh weg, Hund, das ist nichts für dich. Schnüffle bei den Schafen herum“ – und dabei stampfte sie mit einem Fuß auf.

Der erschrockene Hund zuckte zurück und hielt dann aber Abstand.

Einurd machte große Augen und fragte: „Wollt ihr das essen?“ Und lachte dann aber schelmisch. „Das wird wohl nicht reichen für euch drei.“

Die Drei schauten ganz verdutzt drein und Hilda rief empört: „Nein, was denkst du denn. Wir essen doch keine Rabeneier. Da ist doch ein Küken drin und das will ich jetzt ausbrüten!“ Und mit ganz ernster Miene fügte sie hinzu: „Aber sag das noch nicht weiter. Das ist unser Geheimnis!“

Einurd lächelte und antwortete mit ebenso ernster Mine: „Du willst ein Rabenei ausbrüten? Wirst du das denn aushalten, den ganzen Tag lang auf deinem Nest still zu sitzen, um auf dem Ei zu brüten? Du kannst doch gar nicht stille sitzen, du bist doch die Strumpfhilda, die nicht einen Moment still sitzen kann.“

Hilda runzelte die Augenbrauen. „Sag du das nicht auch noch. Du bist zwar Alfgers Mutter, aber du darfst nicht Strumpfhilda zu mir sagen und außerdem wirst du schon sehen, dass ich doch stillsitzen kann. Wenn ich zu Hause bin, werde ich gleich mit dem Brüten anfangen.“

Einurd legte ihren Arm um Alfgers Schultern und zog ihn mit sich. „Hilda, viel Erfolg beim Brüten. Macht’s gut ihr beiden. Jetzt gibt es Abendessen und morgen ist auch noch ein Tag.“

Alfger drehte sich im Weggehen noch einmal nach Hilda um und zuckte grinsend mit den Schultern.

Falki legte seinen Arm um Hilda und versuchte sie etwas zu ermuntern: „Mein Magen knurrt auch schon gewaltig, wie bei einem hungrigen Wolf. Komm lass uns auch nach Hause gehen, damit wir essen können und du mit dem Brüten anfangen kannst“, dabei lächelte er Hilda so lieb an, dass sie nicht anders konnte, als ihm einen Kuss auf die Wange zu geben.

In der Hütte angekommen, rochen sie das Feuer und das Essen, ein Duft den Falki gerne mochte. Er schnüffelte geräuschvoll herum und rief: „Hmmm, es gibt tote, gebratene Fische – lecker.“

Mutter Hilda hantierte geschäftig herum und war noch dabei, das Essen vorzubereiten. Sie schaute mit einem Seitenblick auf Falki und witzelte: „Du magst wohl lieber einen lebendigen Fisch, der noch im Mund zappelt?“

„Ihhh“, schrie Hilda, „das ist ja eklig, so ein zappelndes und schleimiges Fischding im Mund, bäää.“

Alle drei lachten und freuten sich auf das gemeinsame Essen. Auf dem Tisch standen schon Brot, Körnerbrei mit Früchten und ein Krug mit Milch. Mutter Hilda stellte mit einer einladenden Geste den gebratenen Fisch dazu und sagte: „Kommt, lasst es euch schmecken.“

Falki mit seinem Wolfshunger setzte sich sofort hin und schaute mit gierigem Blick auf den dampfenden Fisch. Da Hilda nicht wie gewöhnlich auch gleich beim Essen zugriff, sondern am Tisch vorbei schlich, schaute die Mutter etwas besorgt nach ihr.

Hilda indessen bewegte sich, fast auf Zehenspitzen, zu ihrer Schlafstelle und fing dort an, ihre Decken neu zu ordnen.

Mutter Hilda schaute verwundert auf ihr Treiben und fragte: „Meine kleine Hilda, magst du nicht essen kommen? Hast du keinen Hunger, dass du gleich ins Bett willst? Geht es dir nicht gut?“

Falki, am Tisch, schmatzte sofort genießerisch los. Er grinste wissend über das ganze Gesicht und wartete auf Mutters Reaktion bei der Lösung des Rätsels. Er wusste ja, was Hilda mit ihren Schlafdecken vorhatte. Jetzt war er ganz darauf gespannt, wie Hilda das mit dem Nest bewerkstelligen würde. Er konnte es sich auch nicht, ohne zu grinsen, vorstellen, wie Hilda dort sitzen und brüteten würde. Falki musste dann doch laut loslachen und verschluckte sich dabei. Mit vollem Mund platzte er heraus: „Mama, Hilda baut ein Nest und will ihr Rabenei ausbrüten!“

Mutter Hilda fuhr wie von einer Biene gestochen zu Hilda herum: „Was willst du, einen Raben ausbrüten?“ Ihre Augen wurden so groß wie bei einer Kuh und sie wandte sich Hilda zu, um sich das genauer anzusehen.

„Mein Kind bist du krank, hast du Fieber?“ Und sie streckte die Hand aus, um Hildas Kopf zu fühlen.

Klein Hilda wurde noch kleiner und zog sich ganz in ihre Decken zurück. Doch dann sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus: „Nein, Mama, ich bin nicht krank. Ich will schon lange einen Raben haben. Odin hat ja auch zwei, aber mir reicht ein Rabe und ich möchte jetzt mein Rabenei ausbrüten.

Falki hat mir das Ei aus dem Rabennest geholt und Alfger hat uns dabei geholfen. Es war ganz schön gefährlich. Die Raben haben Falki angekackt und dann ist er auch noch abgestürzt, aber es ist nichts Schlimmes passiert. Alfger hat Falki mit einem Seil gehalten und wir haben alles richtig gemacht. Nur die Raben machten riesiges Spektakel, weil im Nest schon zwei kleine Küken waren.“

Mutter Hilda schüttelte erst den Kopf doch dann wandelte sich ihr Gesicht von arg besorgt, zu einem glücklichen Lächeln, und sie umarmte Hilda. „Das sieht euch ähnlich. Dann war das heute früh also doch kein Scherz und ihr habt das ernst gemeint. Ich dachte nur: „Lass den Kindern doch ihren Spaß haben.

Sie setzte sich neben ihre Tochter und wackelte mit dem Kopf.

„Ihr drei macht wirklich die tollsten Dinger, aber ihr macht sie richtig gut und mit Köpfchen. Wer hat hier schon einen Raben als Haustier? Haha, ihr seid wirklich Klasse.“

Alle Spannung wich von Hilda und sie war erleichtert, dass die Mutter ihr Abenteuer so wohlwollend aufnahm und nicht geschimpft hatte.

„Mama, du bist großartig“, rief Hilda vor Freude.

„Na dann bau’ mal dein Rabennest, aber lass mich doch mal das Ei sehen“, meinte Mutter Hilda, mit neugierigen Blicken auf die Tasche mit dem Ei.

Ganz vorsichtig öffnete Hilda die Tasche und zeigte der Mutter stolz ihr Rabenei.

„Hier Mama, schau mal, wie schön es ist“ – und Hilda hielt ihr das Ei mit beiden Händen hin. „Es darf nur nicht kalt werden.“

Die Mutter schaute interessiert auf Hildas Schatz. Ein Rabenei hatte sie noch nie gesehen. Dann streichelte sie ihrer Tochter über den Kopf und sagte liebevoll: „Mach mal dein Nestchen fertig, ich werde dich dann füttern.“

Sie ging zum Tisch zurück und legte ein paar Bissen für Hilda auf einen Teller.

Hilda hatte inzwischen ihr Nest aus den Decken gebaut, so dass sie ringsum eingehüllt war und sich dabei noch bequem anlehnen konnte.

Falki sprang rasch vom Tisch auf ging zu seiner Kiste. Er entnahm ihr das kleine Fell von einem Hasen. „Hier Hilda, nimm das, dann liegt das Ei ganz warm und weich.“

„Danke, Falki, ja das ist wirklich gut, richtig wie Daunen in einem Nest“ – und Hilda formte mit dem kleinen Fell eine Mulde für ihr Rabenei. Sie legte es hinein und schob ihre Beine ganz dicht heran, das es nun rundum eingehüllt war. Hilda strahlte glücklich und lehnte sich erleichtert zurück.

Mutter Hilda setzte sich vorsichtig neben ihre Tochter und begann sie, wie versprochen, zu füttern. Sie versuchte ihr Lachen zu unterdrücken und schob Hilda Bissen, für Bissen in den Mund. „Hier, mein Schatz, du wirst bestimmt auch hungrig sein, iss etwas. Ich werde dich füttern, bis du genug hast. Merke dir, wie das geht, du musst ja später deinen kleinen Raben auch füttern.“

Aus dem Hintergrund kam Falkis verhaltenes, glucksendes Lachen.

Klein Hilda riss ihre Augen auf. „Ich habe ja gar keinen Schnabel! Wie füttert man denn einen kleinen Raben?“

In diese lustige und merkwürdige Stimmung hinein, kam plötzlich von der Tür her Alviturs Stimme: „Einen kleinen Raben muss man natürlich so füttern, wie es seine Eltern auch machen. Er soll ja schließlich nicht verhungern.“

Alvitur trat näher, griff sich am Tisch einen Stuhl und zog ihn näher zu Hildas Nest. Er setzte sich mit leisen Ächzen neben sie. „Na das ist aber sehr interessant. Noch nie in meinem Leben habe ich ein Mädchen gesehen, das ein Rabenei ausbrütet.“

Er wiegte nachdenklich den Kopf und meinte: „Wir sind ja gastfreundliche Menschen, warum soll nicht auch ein Rabe bei uns leben und seinen Platz hier haben?“

Hilda war nicht ganz wohl zumute. Alvitur war ja freundlich, aber er war der Dorfälteste, der weiseste und bestimmt auch der wichtigste Mann in Björkendal. Sehr streng konnte Alvitur auch sein, das wusste sie. Wenn er schon zu ihr ans Bett kam, dann war sie wohl so etwas wie ein wichtiges Ereignis.

 

Sie schaute Alvitur etwas ängstlich an und fragte: „Darf ich das nicht, das Ei ausbrüten?“

Alvitur lächelte. „Einurd hat mir von deinem sehr außergewöhnlichen Vorhaben berichtet, und ich dachte mir, dass ich so etwas unbedingt sehen müsste. So alt ich auch bin, von einem brütendem Mädchen habe ich noch nie gehört. Du musst nur bedenken, dass Raben für uns heilige Tiere sind. Gehe also nicht leichtfertig mit diesem Ei um. Du weißt auch, dass Odins engste Helfer, neben den Wölfen, zwei Raben sind, Hugin und Munin. Jetzt übernimmst du also, für das kleine Leben in dem Ei, eine große Verantwortung, die sehr lange dauern kann, denn Raben können uralt werden. Überlege dir, was die Raben alles fressen und wenn dein Küken schlüpft, füttere es damit. Mach dir nichts draus, dass du keinen Schnabel hast. Wenn du alles gut vorkaust und ihn dann mit den Fingern fütterst, wird das schon funktionieren.“

Niemand hatte Hildas Vorhaben bisher verurteilt, im Gegenteil, Alvitur machte ihr sogar Mut. Hilda war froh darüber, wie ernst Alvitur sie nahm, aber sie war jetzt auch müde und etwas besorgt. Sie trank noch einen Schluck Tee, den ihr die Mutter reichte und ganz plötzlich fielen ihr die Augen zu. Den Becher mit dicker, süßer Milch, sah sie gar nicht mehr und Mutter Hilda stellte ihn lächelnd beiseite. Dieser Tag war so aufregend und anstrengend für sie, das sie im Sitzen fest einschlief und gar nicht mehr mitbekam, wie Alvitur ihr über das Haar strich und sich mit nachdenklichem Gesicht verabschiedete.

Mutter Hilda räumte noch das Geschirr vom Tisch und Falki ließ sich indessen noch Hildas Anteil vom gebratenen Fisch schmecken, dann zog auch ihn die Müdigkeit an Hildas Seite. Hildas Nacht war, dadurch, dass sie im Sitzen schlafen musste, etwas merkwürdig. Es war mehr ein Dämmerschlaf und ihr Unterbewusstsein achtete ständig darauf, das Ei nicht zu drücken. Im Traum erschien ihr ein alter Mann, der sie aus einem Auge streng, aber nicht böse ansah. Dieser Alte sagte ihr auch, dass sie dem Raben eine gute Mutter sein solle. Es war schon merkwürdig, denn er sprach zu ihr, aber er machte den Mund dabei nicht auf. War das Alvitur?

Durch das Feuerloch im Dach begann langsam das Morgenlicht herein zu sickern; ein neuer Tag brach an und die Dinge in der Hütte erhielten langsam Konturen. Hilda war natürlich zuerst wach und im Dämmerlicht sah sie, dass auf dem Tisch immer noch das Öllämpchen brannte. Bevor sie jedoch zu irgendeinem anderen Gedanken fähig war, tastete sie ganz vorsichtig nach ihrem Ei. Es war noch da und unversehrt. Hilda war erleichtert. Warm und wunderschön glatt lag es immer noch in dem Hasenfellchen. Sie war froh, dass sie die Nacht so gut überstanden hatte und das Ei heile geblieben war. Da fiel ihr der alte Mann aus ihrem Traum ein, der wie Alvitur nur ein Auge hatte. Sie grübelte etwas und das Bild entstand neu in ihrem Kopf. Der Mann trug einen langen, blauen Mantel. „Odin“, flüsterte sie. Sie hatte im Traum Odin gesehen und er hatte zu ihr gesprochen. Bei diesem Gedanken bekam sie plötzlich Gänsehaut und ein Schauer ging ihr über den Rücken.

„Odin, na klar. Der hatte ja auch Raben, weil Raben die weisesten Vögel waren und überall hinfliegen konnten“, grübelte sie.

Da rekelte sich Mutter Hilda und setzte sich auf. Sie schaute sofort zur Tochter hinüber und fragte: „Na, mein Schatz, hast du gut geschlafen und dein Ei bebrütet?“

„Ja, Mama und es ist noch da und ganz warm.“

„Ihr habt gestern erzählt, dass da noch zwei Küken im Nest waren, dann müsste ja dieses Ei auch bald so weit sein und das Küken könnte schlüpfen. Also halte es schön warm und sei ganz vorsichtig.“

Hilda lächelte glücklich, weil die Mutter so sehr Anteil an ihrem Vorhaben nahm. „Ja, Mama. Ich habe etwas Hunger, kannst du mich wieder füttern? Das war so schön gestern Abend.“

„Ja, mein kleines Vögelchen, warte noch bis Falki wach ist, dann mache ich uns etwas zum Essen. Wenn du mal raus musst, dann mach das Fellchen über das Ei und deine Decken, dann bleibt es warm.“

„Ja, Mutter, danke“, erwiderte Hilda und kuschelte sich erneut in ihr Nest.

Da gähnte Falki laut und sprang dann mit einem Satz vom Lager, drehte sich zu Hilda um und machte staunende Augen. „Also ist doch alles wirklich wahr, das mit dem Ei, dem Nest, und Odin auch?“

„Wieso Odin?“, fragte die Mutter erstaunt.

„Ich habe eben geglaubt, dass ich alles nur geträumt habe. Da war in meinem Traum so ein alter Mann im blauen Mantel und einem Auge, der stand hier in der Hütte und schaute auf Hilda und ihr Nest. Er sah auch aus, wie Alvitur, aber es war nicht Alvitur, weil er das fehlende Auge auf der anderen Seite hatte! Komischer Traum.“

„Na ja, so sind Träume eben“, entgegnete Mutter Hilda und stellte Essen auf den Tisch, aber wenn Odin persönlich seine Hand über Hilda hält, wird das Brüten ganz sicher gut gehen.“

Hilda schaute ihren Bruder mit fragendem Blick an, verdrehte dann mit einem verschwörerischen Gesicht die Augen und flüsterte: „Bei mir war er auch. Er war in meinem Traum. Er sah genau so aus, wie du es eben gesagt hast.“

Falki rannte kurz aus der Hütte, sich frisch zu machen und um Blumen zu gießen, wie er immer sagte. Als er zurück kam, brummte er mit tiefer Stimme: „Hunger.“

Die Mutter und Falki setzten sich zum Frühstück an den Tisch während Hilda auf ihrem Nest sitzen blieb. Falkis Augen liebäugelten erst mit dem Brei, aber dann griff er doch zu Brot und Käse. „Mama, darf ich mir etwas Honig in die Molke machen?“ Und er setzte zu seiner Frage ein leidendes Gesicht auf.

Mutter Hilda lächelte und schob ihm den kleinen Topf mit Honig über den Tisch.

Als die Mutter mit dem Essen fertig war, nahm sie ein paar Happen und setzte sich, wie am Abend zuvor, zu Hilda, um sie zu füttern. Diesmal trank sie auch den Becher mit süßer Dickmilch. Hilda genoss es wieder, von ihrer Mutter so aufmerksam umsorgt zu werden und lehnte sich genießerisch in ihrem Nest zurück.

Plötzlich drang von draußen leises Geraune, vieler Stimmen, in die Hütte. Dann klopfte es an der Tür und Steinars Stimme dröhnte: „Ist jemand zu Hause?“

„Komm rein!“, rief Mutter Hilda.

Die Tür ging auf, herein kamen Steinar und hinter ihm fast das halbe Dorf.

Die drei in der Hütte machten erschrockene Gesichter und Hilda wurde in ihrem Nest immer kleiner.

„Hehe“, rief Mutter Hilda, „was wird das denn, ein Überfall? Ihr habt wohl auch alle Hunger?“

Steinar grinste und sagte, ihm sei zu Ohren gekommen, dass hier ein Rabennest sein soll, aber das wollte er nicht so recht glauben. Die anderen Björkendaler, die mit in der Hütte standen, nickten eifrig und murmelten: „Wir auch nicht.“

Mutter Hilda baute sich schützend vor ihrer Tochter auf und erwiderte: „Macht nicht so viel Wind hier in unserer kleinen Hütte. Ja, es ist wahr, die Kinder haben gestern ein Rabenei mitgebracht und nun brütet Hildas das Ei aus. Also, alles ist hier in bester Ordnung.“

Elfa, Lipurta und Stina, die drei Mädchen in Hildas Alter drängten sich nach vorne, ganz nahe an Hildas Lager. Sie machten lange Hälse und die Neugier stand ihnen buchstäblich ins Gesicht geschrieben.

Stina platzte heraus: „Hilda, stimmt das? Zeig mal das Ei. Ein richtiges Rabenei?“

Die anderen Leute drängten nach und die brummelnde Menge stand wie eine Mauer um Hilda und ihrem Rabennest herum.

Da meldete sich Steinar wieder mit den Worten: „Macht mal dem armen Mädchen keine Angst, erdrückt sie nicht. Hilda zeig uns kurz das Rabenei und dann verschwinden wir alle wieder.“

Hilda schaute nun ziemlich ängstlich drein, aber auf Steinar konnte man sich verlassen, das wusste sie.

Ganz schüchtern und vorsichtig nahm Hilda die Decken hoch, öffnete das Hasenfellchen und zeigte ihren Schatz: „Da seht, ist es nicht schön?“

Die Leute drängten immer dichter an Hildas Schlafstelle und machten erstaunte Augen. Jeder wollte das Rabenei sehen. Die einen drängten vor, die anderen gingen wieder zurück, wenn sie genug gesehen hatten. Einige schauten anerkennend auf Hilda und andere schüttelten ungläubig die Köpfe.

Alle staunten. „Oooh, wirklich ein kleines Rabenei“, rief Elfa, und das willst du ausbrüten?“

Die drei Mädchen waren sichtlich neidisch auf Hildas Schatz und Stina flüsterte fast andächtig: „Es ist wirklich schön, aber wenn du nicht mehr sitzen kannst, sag uns Bescheid, dann kommen wir dich ablösen.“ Elfa nickte heftig zur Bestätigung.

Die Leute brummelten alle durcheinander und es begann in Hildas Kopf zu schwirren. So viele Leute waren hier noch nie in der Hütte gewesen. Sie schaute flehend zu Steinar auf. Er zwinkerte ihr verstehend zu und reagierte sofort. „Genug geglotzt, husch, husch, geht wieder nach Hause. Ihr atmet hier ja die ganze Luft weg und die beiden Hildas werden krank davon.“

Einige brummten zwar etwas unwillig, weil ihre Neugier noch nicht vollends befriedigt war, aber wenn Steinar etwas sagte, fügt man sich besser und so verließen sie zügig die Hütte.

An der Tür drehte sich Steinar noch kurz um, zwinkerte Klein Hilda zu und sagte mit einem Lächeln: „Mach das aber richtig. Das ist was ganz Tolles, ein brütendes Mädchen gab’s hier noch nie. Vielleicht brüte ich mir mal einen Auerhahn aus, haha.“ Dann schloss er leise die Tür.

„Uff“, sagte die Mutter, das waren ja so viele wie bei einem Thing und Falki nickte grinsend. Er hatte ja auch seinen Anteil daran. Bei diesem Gedanken vielen ihn seine Wunden vom Sturz wieder ein. Es tat noch ganz schön dolle weh und er zog sein Hemd hoch. Mutter Hilda schaute und rief erschrocken aus: „Oh je, mein Junge, was hast du den da gemacht. Das sieht ja schlimm aus!“

Sie betrachtete die Blutergüsse rund um Falkis Hüfte, die von dem Seil herrührten, das Falkis Sturz aufgefangen hatte. Sie suchte nach dem Töpfchen mit Salbe. „Komm mal her mein tapferer Held, lass mich mal die bösen Stellen behandeln“, und sie versorgte ihn mit Fifillas Wundsalbe.

Falki hielt still und als die Mutter fertig war, sagte er schon wieder vergnügt: „Mama, ich gehe jetzt raus, zu Sigudur. Ich habe ihm versprochen, heute zu helfen. Ich will ihm helfen, den Schafen die Wolle abzuschneiden.“

„Das heißt Scheren“, verbesserte Mutter lächelnd, „aber geh nur, da machst du etwas Nützliches und kannst noch was lernen.“

Kaum war Falki draußen, ging die Tür wieder auf und Sölvi stand in der Hütte.

Hilda mochte den dünnen, blassen Sölvi sehr. Er war nie grob zu ihr und er hatte einen klugen Kopf. Alvitur hatte ihn vor langer Zeit, als Sohn angenommen und Sölvi war auch so etwas, wie sein Gehilfe geworden.

„Alvitur hat mir erzählt, was du hier machst. Hilda, darf ich auch mal das Ei sehen? Brütest du wirklich?“

Hilda lächelte ihm freundlich zu. „Komm her und schau es dir an“, sagte sie und zeigte ihm das bunte Rabenei.

Sölvi staunte, als Hilda das Fellchen öffnete. Dann schaute er Hilda an. „Es ist wunderschön. Hilda, du bist das tollste Mädchen auf der Welt. Du bist so anders, du siehst und spürst Dinge, die andere nicht sehen und du traust dich etwas, woran andere nicht mal denken würden. Wenn Alfger nicht wäre, würde ich mich glatt in die verlieben.“

„Ups“, machte Hilda und wurde rot. Sie schaute Sölvi in sein schönes, blasses Gesicht und sah, dass auch er rot wurde.

„Sölvi, ich mag dich auch und wenn du nicht wärst, würde bestimmt ich bei Alvitur lernen, was du bei ihm lernst. Ich beneide dich manchmal darum.“

Sölvi lächelte etwas verlegen. „Danke Hilda“, dann drehte sich um und verließ eilig die Hütte.

Am späten Vormittag kam Falki wieder zurück. „Na, Schwesterchen, wie geht’s dir? Ist dein Küken schon geschlüpft?

Draußen scheint die Sonne und es riecht so wunderschön nach Frühling. Nimm dein Nest um komm raus.“

„Du spinnst ja“, ereiferte sich Hilda, „hast du schon einmal Vögel gesehen, die mit dem Nest umziehen, weil die Sonne scheint?“

„Hildchen, ich hab doch nur einen Spaß gemacht. Brüte nur weiter. Ich bin schon ganz neugierig, wann das Küken schlüpfen wird.“

Der Tag tröpfelte für Hilda unendlich langsam dahin. Sie döste auf ihrem Nest immer wieder ein und dachte: „Ganz schön langweilig, aber wenn da schon zwei Küken waren, müsste ihr Rabe ja auch bald schlüpfen.“ Als sie es kaum noch aushielt, öffnete sie das Hasenfell und schaute nach dem Ei. Mit einem Finger strich sie sanft drüber und flüsterte: „Komm endlich raus, ich warte auf dich.“

Die einzige Abwechslung für Hilda war, dass ab und zu noch einer aus dem Dorf kam und ihr Brüten sehen wollte, aber viel zu sehen war da nicht mehr. Hilda war nach dieser merkwürdigen Nacht, die sie im Sitzen verbringen musste, doch ziemlich müde und saß den ganzen Tag nur noch schläfrig auf ihrem Nest.

 

Zum Mittag war Mutter Hilda wieder so lieb und fütterte die brütende Hilda mit ihrem Lieblingsessen, Hirsebrei mit Äpfeln und zum Nachtisch geschmorte Äpfel.

Das Abendessen war wie das Frühstück; Falki saß mit der Mutter am Tisch, Klein Hilda saß auf ihrem Lager und brütete. Wieder fütterte die Mutter ihre Tochter und an Hildas Gesicht konnte man unschwer erkennen, dass ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt wurde. Hilda gruselte es jetzt schon vor der kommenden Nacht. Sie musste ja wieder im Sitzen schlafen und durfte sich kaum bewegen. Das war anstrengend und langweilig. Irgendwann schlief sie doch ein und merkte nicht mal, wie die Mutter und Falki unter ihren Schlafdecken verschwanden.

In dieser Nacht schlief Hilda trotz ihrer ungewöhnlichen Haltung fest, doch dann erwachte sie, weil sie Etwas spürte; ein Kribbeln am ganzen Körper. Sie blinzelte; nur etwas Dämmerlicht erhellte die Hütte spärlich, doch sie spürte, mit ihrem besonderen Sinn, dass jemand bei ihr war. Es schauerte sie, als eine Hand sie ganz sachte an der Schulter berührte. Hilda strengte ihre Augen an und im spärlichen Dämmerlicht, sah sie eine schlanke Frauengestalt vor sich und eine sanfte, Stimme flüsterte: „Hab keine Angst. Du bist ein mutiges Mädchen und ich werde dir immer helfen, solltest du in Bedrängnis sein. Schon vor einiger Zeit erhieltest du von mir die Gabe, dich anderen Wesen nahe zu fühlen und sie zu verstehen. Du hast sie jetzt erst entdeckt. Diese Gabe ist mein Geschenk an dich und sie soll dich dein Leben lang begleiten.“

Hilda sah fasziniert zu dieser geheimnisvollen Frau auf. Wie von selbst leuchtete ihr wunderschönes Gesicht, umrahmt von wallenden, goldenen Haaren. Hilda war es plötzlich wie im Fieber und ihr Herz klopfte heftig. Dann staunte sie; der Kopf der Frau war gekrönt mit einem ganz gewöhnlichen Kranz aus Gänseblümchen.

Langsam löste sich die wunderschöne Gestalt in der Dunkelheit auf, aber ihre Stimme flüsterte noch einmal an Hildas Ohr: „Du kannst jetzt ruhig weiterschlafen, ich beschütze dich und deinen Raben. Er soll wie dein Schatten sein.“

Mit der eintretenden Stille spürte Hilde nur noch eine tiefe, innere Ruhe und schlief wieder ein.

Hilda wurde wach, weil sie in ihrem Bett plötzlich Nässe spürte, und das Nasse bewegte sich zwischen ihren Beinen. Im Nu waren ihre Sinne hellwach und sie zirpte leise: „Mama, Falki, es ist geschlüpft.“

Kein Augenblick war vergangen, da standen die beiden an Hildas Nest und wollten schauen. Hilda zog ganz vorsichtig die Decken auseinander, bewegte ihre Beine vom Nestchen, und dann sahen sie es, ein kleines, nacktes und blindes Vögelchen. Es bewegte sich und versuchte sein Köpfchen zu heben.

Alle drei waren gerührt und konnten ihre Augen gar nicht weit genug aufreißen.

„Es hat geklappt“, rief die Mutter freudig aus. „Meine kleine Hilda, du bist jetzt eine Vogelmutter. Jetzt wird es ernst für dich, wenn dein Vögelchen ein großer Rabe werden soll.“

„Ist der aber klein und so nackig“, staunte Falki. „Füttern wir ihn jetzt?“

„Mama, womit soll ich ihn den jetzt füttern?“, fragte Hilda ganz aufgeregt und besorgt.

„Mein Schatz, ich verstehe ja deine Aufregung, aber ich glaube, er will jetzt noch nichts zu fressen haben, aber ich lege dir hier etwas Fleisch hin und du zerkaust es später ganz fein, wie Alvitur es gesagt hat. Lass ihm jetzt etwas Ruhe und wenn dein Rabe wieder zu zappeln anfängt, dann halte ihm einfach etwas davon vor sein Schnäbelchen. Wenn er Hunger hat, wird er schon danach schnappen.“

„Ja Mama, danke“, hauchte Hilda. Sie war glücklich und ihr Herz pochte wie wild. Sie war nun die Mutter von einem richtigen, kleinen Raben und Freya würde sie beschützen, fiel ihr plötzlich wieder ein. Ihr kamen wieder die Worte in den Sinn, die sie heute Nacht von dieser schönen Frau gehört hatte. Sie wusste, das konnte nur Freya gewesen sein. Sie würde wohl noch öfter darüber nachdenken müssen. „Wie kann das sein, dass sich eine Göttin persönlich um sie kümmern wollte?“, ging es ihr durch den Kopf.

Das kleine Küken bewegte sich wieder und Hilda steckte sofort ein Stückchen Fleisch in den Mund. Sie begann es wie wild zu zerkauen und sagte: „He, zapple nur, lebe, ich will dich großfüttern, damit du ein richtiger, schöner Rabe wirst. Hier nimm etwas Futter“ – und Hilda hielt ihm ein ganz kleines Bröckchen von dem zerkauten Fleisch hin. Aber das Küken wollte nicht.

„Du bist bestimmt noch zu schlapp davon, dass du das Ei aufbrechen musstest“, flüsterte Hilda ihm zu und versuchte ein zartes Streicheln auf dem nackten Köpfchen.

Einige Zeit später machte Hilda den zweiten Versuch und diesmal schluckte das Küken, zu Hildas großer Freude, ein Fleischbröckchen und schlief anschließend sofort wieder ein.

Hilda war richtig glücklich, aber dann stieß sie hervor: „Ha, aber du hast ja noch keinen Namen!“ Sie grübelte und zog ihre Stirn in Falten. Sie dachte angestrengt nach, ging im Gedanken alle Namen für Tiere durch, die ihr einfielen, wieder und wieder. Nach einer Weile schwirrte ihr der Kopf vor lauter Namen.

Dann hellte ein Lächeln ihr Gesicht auf; Freya hatte doch etwas gesagt. „Ich hab’s!“, rief sie laut. Falki und die Mutter schauten erschrocken auf.

„Was hast du? Hilda, sag schon“, fragte die Mutter neugierig.

„Ja, sag schon!“, rief Falki ganz ungeduldig.

„In meinem Traum hat mir eine wunderschöne Frau gesagt, dass mein Rabe wie mein Schatten sein soll; darum soll er „Skyggi“18 heißen!“