Zwei gegen Ragnarøk

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Sie stand noch immer an dem kleinen Zaun und sah, wie Andreas das kühle Wasser sichtlich genoss, da kam ihr eine Blitzidee, und schon sauste sie los. Es waren ja nur wenige Schritte mit ihrem Sprint.



Obwohl die Sonne schon richtig schien, umfing sie in der Hütte wieder das übliche Halbdunkel und die Stimmer der Mutter: „Thurid, was heckst du grade wieder aus? Erst schleichst du dich wie eine Katze aus dem Haus und nun kommst du wie Wolf zurück gerannt?“



„Ach Mama, ich mache doch nichts Böses, aber es ist mir wichtig. Ich brauche ganz schnell etwas zum Essen“, und schon begann Thurid in den Vorräten nachzuschauen.



„Ganz sicher ist es dieser Andreas, für den du etwas zum Essen suchst. Ich habe ja mitbekommen, wie du ihn angeschaut hast, wie du um ihn herumschleichst. Na ja, er scheint ein guter Mensch zu sein, denke ich mal. Seine Augen strahlen Güte aus. In dem Korb dort, liegt noch etwas von dem gestrigen Schweinebraten, nimm davon mit und guten Appetit, euch beiden.“



„Danke, Mama.“ Schnell war der Braten eingepackt und noch zwei Eier, etwas Brot und ein Krug mit verdünntem Apfelwein.



Thurid sauste wieder zurück und kam genau in dem Moment an, als Andreas vor seiner Hütte anlangte. Nun sah Thurid ganz deutlich die Spuren der vielen Kämpfe, die Andreas ausgefochten hatte.



„Warum hat er so viel gekämpft?“, ging es ihr im Kopf herum.



Andreas sah ihre Blicke, lächelte etwas verlegen und legte ihr dann einen Arm um die Schulter. „Nach und nach werde ich dir alles erzählen, weil ich glaube“, … Da brach der mitten im Satz ab und schaute Thurid direkt in die Augen, dass ihr ganz komisch wurde.



Sie spürte so etwas wie ein Tasten seines Geistes, etwa so, als wenn sie einen anderen Menschen mit ihrem besonderen Sinn ergründen wollte.



„Je öfter ich dir in die Augen schaue und höre, was du sagst und sehe, wie schnell du reagierst, je mehr glaube ich wirklich, dass ich hier ganz richtig angekommen bin. Da ist doch Essen in deinem Korb, oder irre ich mich?“



„Nein, du irrst nicht. Du hast ja vorhin gesagt, dass du einen Bärenhunger hast und da wir Nachbarn sind und du noch nicht so viel in deiner Hütte hast, möchte ich dir etwas abgeben. Na ja und ganz viel fragen möchte ich dich auch.“



Das Letzte kam nur aus ihr heraus, weil sie sah, wie Andreas Augenbrauen hoch gingen und er sie eindringlich ansah.



„Komm rein und lass uns zusammen essen. Mal sehen was du da mitgebracht hast. Ganz arm bin ich ja nicht, denn vom gestrigen Fest habe ich auch einige Reste mitnehmen dürfen. Komm rein, ich bin auch schon ganz auf dich gespannt“ – und Andreas schob Thurid mit sanftem Druck in seine Essecke, wo zwei Schemel standen. Zusammen mit dem, was Andreas noch auf den Tisch stellte, war es ein üppiges Mahl und beide langten kräftig zu.



Als sie mit dem Essen fertig waren und Andreas den Becher Apfelwein sichtlich genossen hatte, schaute er Thurid wieder wie vorhin in die Augen und sagte: „Ich ahne ja, was du hören willst, und ich will dir auch von mir erzählen.“



Er erzählte so viel, dass es in Thurid Kopf zu schwirren begann:

Aufgewachsen im Frankenland, an einem schönen Fluss, mit Namen Rein.





Sie waren drei Brüder. Der ältere erbte das Land und die vielen Leibeigenen.





Thurid überlegte: „Was waren denn Leibeigene?“





Er und sein jüngerer Bruder Martin mussten ins Kloster gehen, wurden Mönche und schließlich Ritter des Ordens. Sie kämpften mit dem Schwert für ihren Glauben, aber Andreas merkte irgendwann, dass an ihrem Kampf etwas oberfaul war.







Sie missionierten die Menschen mit dem Schwert; wer sich nicht beugte, nicht taufen ließ – Kopf ab.







Ein kleines Kind, das ihn mit großen Angst erfüllten Augen ansah und fragte: „Warum macht ihr das? Hat dir dein Gott gesagt, dass du meinen Vater töten sollst?“, brachte ihn letztendlich zum Nachdenken.







Martin blieb bei dem Orden, weil er sich seinem Eid mehr verpflichte fühlte, als seinem Gewissen.







Aber der Eid war falsch, denn nirgendwo in der Bibel befiehlt Gott die Andersgläubigen zu töten und ihren Besitz zu rauben.







Er wollte nicht mehr töten, aber vor allem nicht mehr in die Augen dieser Menschen sehen, die sie „tauften“ sollten.





Thurid rief plötzlich: „Andreas halt ein, das verstehe ich alles nicht. Mir schwirrt ja schon der Kopf. Ich weiß nicht, was das für ein Fluss ist, dieser Rhein. Was ist die Bibel, oder das Taufen?“



Andreas lächelte. „Ich denke, wir werden noch viel Zeit miteinander verbringen und ich werde alle deine Fragen beantworten.“



Nach einer kleinen Pause, in der er Thurid intensiv in die Augen schaute, fuhr er fort: „Lass es mich kurz zu Ende bringen, dann kannst du mich alles fragen.



Ich verließ also diese Truppe. Ich desertierte und wenn sie mich erwischt hätten, würden sie mich aufgehängt haben. Mir blieb bloß eine Weg offen, nach Norden, ins Land der Barbaren oder Heiden, wie sie euch oft nannten. Dann landetet ich irgendwann in Haithabu und lernte deinen Vater kennen. Ich habe selten einen so großzügigen und freundlichen Händler gesehen. Wir tranken manchen Becher von eurem köstlichen Apfelwein und aus Ernirs Erzählungen wusste ich, wie ihr hier lebt und in mir wuchs der Wunsch, hier bei euch leben zu dürfen. Mit diesen Gedanken im Kopf, trieb ich mich mehrere Monate in der Nähe von Haithabu herum, beschützte Händler und buckelte auch ihre Waren im Hafen. Dann, vor etwa einem Monat, traf ich deinen Vater ein zweites Mal und auch deinen Bruder, Falki. Er ist ein ganz toller Junge und beide haben mir von dir erzählt. Aber ich kannte auch andere Leute aus eurem Volk, Dänen und Schweden. Die auf Wikingfahrten waren, die mit dem Wort

Odin

 auf ihren Lippen anderen Menschen Verderben brachten, sie ausraubten und selber in den Tod rannten. Ich weiß aber auch soviel von ihnen, dass es nicht der Glaube war, der sie zu solchen Fahrten antrieb, sondern Abenteuerlust und die Gier nach Reichtum und Ruhm. Überall in der Welt läuft es nach den gleichen Gesetzen ab; die Reichsten sind die Mächtigsten und befehlen dem Volk für sie zu morden, damit sie noch mächtiger und noch reicher werden. Ich wollte und konnte das nicht mehr mitmachen. Der Glaube war für die, die uns befohlen haben, immer nur ein Vorwand, denn sie kannten niemals Gnade oder wirkliches Mitgefühl für den Nächsten. Ihr hier in Björkendal und noch einige andere, abgelegene Dörfer, ihr seid wohl die einzigen Menschen, die noch in wirklicher Freiheit leben können und würdevoll miteinander umgehen. Ernir hat soviel von euch erzählt und auch Falki von eurer Kindheit, dass ich mir dachte, mit euch zu leben ist das wahre, lebenswerte Leben. Mein Gott möge mich strafen, aber ich konnte nicht länger den Befehlen des Ordens folgen und in seinem Namen Unrecht tun. Jesus, Gottes Sohn, ein Mann, für den ich sofort mein Leben geben würde, hat mit keinem Wort gesagt, dass wir das tun sollen, was ich jahrelang getan habe.“



Andreas’ letzte Worte kamen stockend über seine Lippen und er hielt sich plötzlich die Hände vor das Gesicht, aber Thurid sah doch Tränen in seinen Augen glitzern.



Einen Moment lang war Stille in der Hütte, dann legte Andreas ganz langsam eine Hand auf Thurids Hand, schaute sie an und sagte mit einem Lächeln: „Ich werde bei euch bleiben und einer von euch werden. Thurid, dir möchte ich gerne etwas beibringen, dass deinem wachen Geist angemessen ist, lesen und schreiben!“







DER STELZENTROLL





Zwei Fischerboote lagen am steinigen Ufer des Fjordes. Sie waren voll mit Fischen der unterschiedlichsten Arten und die Männer machten sich gut gelaunt daran, ihren Fang zu entladen. Während zwei noch dabei waren, die Boote zu sichern, luden die anderen, die Fische in große Körbe.



Die Männer waren in der frühen Morgendämmerung ausgefahren und hatten jetzt schon, am Vormittag, genug für ihren Bedarf gefangen.



Sven, unter dessen Führung die Fischer heute unterwegs gewesen waren, stand mit vor Stolz geschwollener Brust, vor den Booten und gab Anweisung, wie die Fische aufgeteilt werden sollten. Er schaute zufrieden in die Sonne und lächelte einer Möwe nach, deren Kreise immer enger wurden, in der Hoffnung, von dem fetten Fang auch ihren Teil abzubekommen.



Der Fang war überdurchschnittlich gut gewesen und es ging heute auch ungewöhnlich schnell. „Haha, und das hatten die Björkendaler mir zu verdanken“, dachte Sven und grinste zufrieden. Er wusste genau, wo um diese Zeit, welche Fische im Fjord standen und wie man sie am besten fing.



Ein Teil des Fangs wurde gleich unter den Björkendalern aufgeteilt, die sich jetzt am Ufer einfanden. Gleich verteilt wurden meistens die kleineren Fische, wie Heringe und Makrelen, wovon Unmengen in den beiden Booten waren.



Ein paar Frauen waren auch damit beschäftigt, die Fische in die verschiedenen Körbe für die Weiterverarbeitung, wie das Räuchern, oder für das Trocknen, zu sortieren.



Als mittlerweile ein sehr geschäftiges Treiben um die Boote herum zugange war, erschien auch Alvitur am Strand. Wie alle die anderen genoss auch er diesen milden Morgen und hoffte nebenbei noch auf einen besonderen Leckerbissen, nämlich

seinen

 frischen Heringsrogen.



Mit einem selbstbewussten Lächeln ging Sven Alvitur entgegen und hielt ihm ein Päckchen entgegen, das er eben von den Frauen erhalten hatte, die die Fische sortierten.



„Guten Morgen Alvitur, ich grüße dich. Dein Rat war gut, wir haben genau dort, wo du es sagtest, viel gefangen.“



Mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: „Hier hast du deinen

besonderen

 Teil vom Fang. Lass ihn dir schmecken.“

 



Dann drehte er sich um und zeigte auf die vollen Fischkörbe und bemerkte nicht ohne Stolz: „Drei Dornenhaie haben wir auch gefangen. Du kannst gerne davon die Bauchlappen haben und sie nach deinem Geheimrezept räuchern.“



„Sven, ich danke dir. Es freut mich, zu hören, dass mein Rat immer noch etwas wert ist. Gib schon her“ – und er griff nach dem Päckchen mit dem Rogen.



„Aaaa, mir läuft jetzt schon das Wasser im Munde zusammen, so dass manch Einer hier denken könnte, dass der alte Alvitur schon zu sabbern anfängt.“



Er lachte. „Haha, aber so weit ist es noch lange nicht, aber das mit den Haien ist gut. Ich werde Sölvi gleich sagen, dass er unseren Räucherofen vorbereiten soll. Da lernt er gleich, wie man diese geringelten und Köstlichkeiten herstellt.“



Alvitur setzte sich mit nachdenklichem Gesicht auf einen leeren Korb und zupfte an seinem Bart. Man sah, dass er angestrengt nachdachte. „Sven, sag mal, schmecken dir diese geräucherten Bauchlappen auch so gut?“



„Hm, na klar, die schmecken doch jedem, der Geräuchertes mag und sie zergehen richtig auf der Zunge.“



„Ich glaube auch“, sagte Alvitur und zog dabei die Stirn in tiefe Falten. „Vielleicht solltet ihr mehr von diesen kleinen Haien fangen und wir könnten dann mit diesen geräucherten Röllchen gut handeln, ähnlich, wie mit unserem Apfelwein. Wenn ich die nicht regelmäßig bekäme, würde ich viel dafür geben. Sie sind einfach köstlich. Denkt mal drüber nach.“



Sven nickte und ging befriedigt zu den Frauen zurück.



Wenn auch nur für kurze Zeit, so hatte er hier doch etwas zu sagen, sein Wort hatte heute Gewicht und das gefiel ihm.



Thurid stand mit dem Bootsbauer Finnur, bei den Stangen, auf denen die Netze zum Trocknen aufgehängt wurden und ließ sich von ihm zeigen, wo überall Löcher zu flicken waren. Thurid mochte zwar nicht gerne stricken, aber die Netze flicken, das ging ihr gut von der Hand und außerdem konnte sie hier an der frischen Luft arbeiten, dabei die Möwen fliegen sehen und den Fjordes erleben, so wie sie es mochte.



Skyggi saß in ihrer Nähe, auf einer Stange und gab von Zeit zu Zeit Kommentare in seiner Rabensprache ab. Wenn er dann noch einen Happen frischen Fisch ergattern konnte, zeigte er durch heftiges Umherhüpfen und einer ganzen Folge von Krächzern, seine Dankbarkeit.



Als Thurid, ganz vertieft, an einem Netz knüpfte und ihre Hände fast wie von selbst die Knoten machten, glitten ihre Gedanken ab, zu Falki. So lange war er jetzt schon fort. Es war schon komisch, alles war hier so wie immer und sie hatten sogar einen Menschen in ihrer Gemeinschaft aufgenommen, einen Mann, der durch seine Andersartigkeit alle Björkendaler im Geiste beschäftigte und trotzdem waren ihre Gedanken ständig bei Falki. Es war fast so, als ob sie Zwillinge wären, nur wenn sie zusammen waren, ging es ihr richtig gut.



Da rissen sie plötzlich Worte aus ihrer Versunkenheit: „He, … du machst das aber sehr geschickt. Zeigst du mir auch wie das geht? Ich möchte gerne dabei helfen.“



Ohne sich umzudrehen, wusste Thurid sofort wer sie da angesprochen hatte. An seiner Art zu sprechen, merkte man, dass er kein Norweger oder Schwede war. Aber am Klang seiner Stimme spürte sie auch sofort wieder seine Zuneigung, die sie wie ein warmer Hauch berührte. Es war Andreas, der mit fragendem Blick neben ihr stand.



Doch dann wurde ihre Unterhaltung von drei langen Horntönen und Rufen unterbrochen: „Ein Schiff! Ein Schiff kommt! Es ist unser Schiff, unsere Knorr! Unsere Leute kommen zurück!“



Das war Elfas Stimme und sie hüpfte begeistert auf der Sitzbank, eines Fischerbootes herum, dass das ganze Boot wie eine große Trommel dröhnte, auf der sie tanzte.



Thurid ließ ihr Netz fallen, sprang an Andreas vorbei und rannte zum Bootsschuppen. Sie wusste, dass dort für solche Fälle immer eine Leiter stand. Das Dach des Bootsschuppens diente gleichzeitig als Aussichtsturm, mit weitem Blick über den Fjord.



Sie rannte, als wäre ein Untier hinter ihr her. „Falki kommt zurück“, war ihr einziger Gedanke, zu dem sie fähig war.



Am Bootsschuppen angekommen, stutzte sie, die Leiter war weg. Sie rannte um den Holzschuppen herum, aber die Leiter blieb verschwunden.



Von oben kam plötzlich eine, ihr gut bekannte, Stimme: „Hallo, schöne Thurid, hihi, ich war schneller.“



Thurid war kurz davor, sauer zu reagieren. Dann sah sie jedoch Alfgers fröhliches Gesicht und wie er die Leiter über den Rand des Daches schob, da musste sie auch lachen und stieg eilig zu ihm hinauf. Sofort drängelten sich immer mehr Leute um die Leiter, um vom Dach das ankommende Schiff zu sehen.



Bjarki, Stina und Lipurta, hatten sich natürlich zuerst an die Leiter gedrängt und kletterten wieselflink hinauf.



Plötzlich ging ein kleines Beben durch die Leiter und irgendwer witzelte: „Arnor, du doch nicht, dann bricht die Leiter zusammen!“



„Falki kommt zurück“, ging es in ständigen Wiederholungen durch Thurids Kopf.



Neben ihr standen Alfger und Arnor am Rand des Daches. Arnor schnaufte noch ziemlich heftig vom schnellen Laufen.



Als sie Alfgers Arm auf ihrer Schulter spürte, ließ ihre Spannung etwas nach und sie lehnte sich an ihn. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, dass auch die Mutter jetzt neben ihr stand.



„Es sind wirklich unsere Leute. Ich kann Ernir sehen, er steht ganz vorne“, vermeldete Arnor.



Um sie herum herrschte ein so aufgeregtes Stimmengewirr, wie vor einer Versammlung im Langhaus oder auf dem Thingplatz. Halb Björkendal stand auf dem Landungssteg und die andere Hälfte auf dem Dach des Bootsschuppens. Jeder hatte etwas zu sagen und es kam Thurid vor, wie das Gackern der aufgeregten Hühnerschar beim Füttern.



Da sich das Schiff von Osten her näherte, aus Richtung der vormittäglichen Sonne, hielten sich alle eine Hand über die Augen. Das Wasser im Fjorde blendete und die Leute auf dem Schiff waren nur als schwarze Silhouetten auszumachen. Nur der Mann im Bug des Schiffes, diese kräftige Gestalt, das konnte nur Ernir sein.



Dann wurde das Segel eingeholt und die Mannschaft ruderte das letzte Stück zum Anlegesteg.



Es schallten Rufe, vom Steg und auch vom Schiff, Namen und Willkommenswünsche flogen hin und her; die Wiedersehensfreude der Björkendaler loderte auf, wie ein Strohfeuer. Kinder hüpften ungeduldig auf und ab, Arme winkten, Mützen flogen in die Luft und über einige Gesichter kullerten Freudentränen.



Die Mutter stand ganz still hinter Thurid, mit einem glücklich strahlenden Gesicht und Freudentränen rannen unaufhörlich über ihre runden Wangen.



Thurid spürte sofort den Gefühlsausbruch ihrer Mutter. Sie schlüpfte ganz schnell unter Alfgers Arm hervor und nahm sie in den Arm.



„Mama, du bist glücklich, ich merke das“ – und sie drückte ihre Mutter ganz fest.



„Aber mir geht es auch so, Falki hat mir so sehr gefehlt. Es war an manchem Tag ohne ihn so, als ob ich nur halb wäre und die andere Hälfte von mir fehlte.“



Mutter Hilda wuschelte in Thurids Haaren herum und schniefte: „Ja, ich weiß, was du meinst, aber gleich sind wir wieder zusammen, alle vier und dann werden wir tagelang zusammensitzen, Gutes essen und ganz viel zu erzählen haben.“



Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als die Knorr, mit lautem Knirschen, am Steg entlang schabte und beide Frauen richteten ihre Blicke wieder auf das Geschehen.



Noch während das laute Knirschen von Holz auf Holz zu hören war, sprangen schon die Ersten von der Besatzung auf den Steg, Seile wurden geworfen und aufgefangen. Dann ein letztes Knirschen und das Schiff lag fest.



Thurid und die Mutter drängten zur Leiter, um wieder nach unten zu klettern.



Die jungen Männer sprangen einfach vom Dach, Thurid auch und landete prompt in den Armen von Alfger und Arnor.



„Danke, ihr Recken“, hauchte sie schnell, dann war sie auch schon wieder weg und rannte zum Bug des Schiffes, wo sie ihren Vater gesehen hatte.



Nur einen kleinen Augenblick später war auch Mutter Hilda neben ihr und da stand er auch schon vor ihnen, ein breites und glückliches Lächeln im Gesicht: „Meine beiden Frauen, lasst euch umarmen.“



Die Mutter schluchzte lauf auf: „Ernir, mein Liebster“, und warf sich ihm regelrecht in die Arme.



Thurid sprang ihren Vater von der Seite her an und so standen sie einen Moment ganz still; ein sichtlich gerührter Mann, an dem zwei Frauen hingen.



„He, ihr da, lasst mich doch auch mitmachen“ – und schon schlossen sich noch zwei kräftige Arme um die beiden Frauen.



„Falki, Brüderchen“, Thurid drehte sich zu Falki um und umarmte ihn stürmisch.



„Schwester, lass mich am Leben. Hast du mit Kraftprotz Arnor trainiert? Du drückst mir ja die Luft ab.“



Um sie herum waren überall die gleichen Szenen zu sehen: Aldis lag ihrem Hervar in den Armen und Stina sprang an ihm hoch. Feykir und Gerda drückten, zwischen sich, ihre Tochter Elfa platt, Küsse schmatzten auf Wangen, Schultern wurden geklopft, Hände wie wild gedrückt, alle waren aufgeregt und in glücklicher Stimmung.



Nachdem sich alle genug gedrückt hatten, löste sich das riesige Menschenknäuel langsam auf und bewegte sich in kleinen Grüppchen dem Dorf entgegen.



Alvitur und Sölvi kamen den Ankömmlingen entgegen und ein paar Schritte hinter ihnen her, hastete Fifilla.



„Na das wurde ja langsam Zeit, dass ihr Herumtreiber wieder nach Hause kommt. Wir hoffen, dass eure Fahrt ein voller Erfolg war und die Götter mit euch waren. Kommt, lasst euch umarmen.“



Der Reihe nach umarmte Alvitur die heimgekehrten Händler, Sölvi gab jedem einen Willkommensschluck aus einem riesigen Trinkhorn und Fifilla schwenkte über jedem von ihnen einen grünen Birkenzweig. Thurid wusste, dass sie diesen Brauch von ihrem früheren Volk mitgebracht hatte, aber jeder in Björkendal mochte diesen Willkommensgruß.



Als Fifilla den Zweig über Ernirs Kopf hielt, verlor dieser große, starke Mann fast seine Beherrschung und musste sich die Augen wischen, als er sagte: „Auch ihr habt mir gefehlt. Aber dass es uns gut geht und wir bald kommen würden, hat euch doch bestimmt der Mönch Andreas ausgerichtet.“



Im Weitergehen wandte Ernir sich noch an die jungen Männer um Alfger: „Wir müssen noch für das Entladen sorgen“, und er blickte fragend in die Runde, doch da baute sich schon Alfger vor ihm auf und deutete auf die jungen Männer um ihn.



„Ernir, ich glaube, dass wir das schaffen, Arnor, Bjarki und ich. Wir holen uns den Wagen und bringen alles zum Langhaus.“



„Na klar, wir machen das“, bestätigte Sölvi und die Frauen hier machen sicher auch mit.“ Neben ihm standen Kibba und Lipurta, die eifrig nickten. „Na dann brauche ich mir ja keine Sorgen mehr um unsere kostbare Ladung zu machen.“



Ernir schlug Alfger freundschaftlich auf die Schulter und fügte hinzu: „Alfger, du hast das Kommando!“ – und er wandte sich wieder Frau und Tochter zu.



„Alfger, ich darf mich doch freiwillig deinem Kommando unterstellen?“ Mit einem breiten Lächeln stand plötzlich Andreas mitten unter ihnen.



Alfger guckte etwas verunsichert. Da legte Andreas ihm eine Hand auf die Schulter, schaute ihn an und sagte: „Hab keine Bedenken, weil ich älter bin als du. Du kennst dich hier mit den Gepflogenheiten bestens aus, ich nicht. Außerdem habe ich fast mein ganzes Leben lang Befehlen folgen müssen. Wenn es um das Kämpfen geht, ist das etwas anderes, da kann ich dir bestimmt noch einiges beibringen und dich zu einem guten Kämpfer trainieren.“



Alfger war irritiert und antwortete darum etwas hochnäsig: „Ich bin der beste Kämpfer hier in Björkendal, auch mit Ernir und Feykir kann ich es schon aufnehmen. Gegen meine Schnelligkeit kommt keiner an.“



„Na, na, etwas Bescheidenheit ist auch eine lobenswerte Tugend für einen edlen Kämpfer. Wir werden ja sehen. Wenn das hier alles vorbei ist, würde ich euch, dich und deine Freunde gerne trainieren. Ich habe hier ja nicht wirklich viel zu tun und möchte mich doch auch nützlich machen. Organisiere das mit deinen Freunden, suche einen Platz aus und dann sagst du mir, wann und wo wir uns treffen.“



Sölvi ärgerte sich etwas über Alfgers Überheblichkeit und drängte sich neben Andreas. „Ich glaube, dass wir dein Angebot gerne annehmen und ich freue mich schon darauf.“



Andreas musterte Sölvi etwas intensiver, weil Sölvi wohl in seinen Augen nicht grade wie ein

Kämpfer

 aussah.



Sölvi bemerkte das und fuhr etwas verunsichert fort: „Wir machen hier regelmäßig Trainingskämpfe, aber immer mit Holzwaffen, damit keiner wirklichen Schaden nimmt. Nur den armen Arnor hat es einmal heftig erwischt und er hatte dann einen gebrochenen Arm. Thurid hatte sich damals, bei diesem Kampf, ihren Namen verdient. Vorher hieß sie nämlich Hilda, wie ihre Mutter.“

 



Andreas zog die Augenbrauen hoch. „Das ist ja interessant. Thurid eine Kämpferin, ja, das hätte ich mit doch fast denken können. Davon musst du mir mehr erzählen.



Aber jetzt sag schon, was ich hier machen soll und dann, beim

buckeln

 kannst du mir erzählen, wie das war. Ich meine, wie aus der Hilda die Thurid wurde.“



„Leute, ihr habt gehört, ich habe das Kommando!“, rief Alfger. „Also, nehmt alle den Finger aus der Nase und wir entladen das Schiff. Bjarki, du holst den Wagen! Alles klar?“



Zustimmendes Gemurmel.



Den ganzen Tag über waren die Heimkehrer mit der richtigen Verteilung ihrer Waren beschäftigt. Jeder sollte das Äquivalent für seine Waren erhalten, die er den Händlern mitgegeben hatte.



Aber keiner musste sich sorgen, denn Ernir und Feykir waren gute Händler, so dass jeder mit dem zufrieden war, was sie ihm für seine getauschte Ware gaben.



Der, von allen ersehnte, Abend im Langhaus verlief dann auch so, wie es dem Ereignis angemessen war, dass mindestens dreimal im Jahr stattfand.



Alvitur hielt eine kleine Rede auf die glücklichen und erfolgreichen Seefahrer und dann wurde gegessen, getrunken, gesungen und manchmal sogar getanzt.



Es dauerte zwar immer eine geraume Zeit, bis ihre drei Musikanten sich eingespielt hatten, aber dann wurde es immer sehr lustig.



Fifilla schlug auf ihrer großen Handtrommel den Takt, Sölvi spielte seine Oud und der alte Leif blies wunderbar die Flöte.



Ja, es war wirklich ein Wunder, Leif der sich sehr zurückgezogen hatte und mit Ragnar zusammen in einer Hütte lebte, blies die Flöte so, dass man ihn dabei fast nicht wieder erkannte.



Einige Zeit später, nach dem er damals mit Alvitur von ihrer gemeinsamen Fahrt zurückgekehrt war, begann er sich zurückzuziehen und wurde zu einem Sonderling. Viele sagten ja, dass er nicht mehr ganz richtig im Kopf wäre. Er sprach kaum noch mit jemandem und war immer nur für sich allein. Im täglichen Dorfleben nahm ihn kaum jemand wahr, aber bei einem Fest, wie heute war es so, als ob er aus dem Schatten heraus käme und mit seiner Flöte zu neuem Leben erwachte war.



Musik und Gesang verebbten erst spät in der Nacht.



Im hellen Mondschein löste sich das Fest auf und manch einer zog sogar singend bis vor seine Hütte. Thurid, die auf dem Heimweg, links neben ihrem Vater ging, fragte plötzlich: „Wo ist den Falki? Der war doch eben noch hier.“



Im Dunkel der Nacht sahen die beiden Frauen nicht, wie Ernir grinste und dann sagte, dass Falki noch etwas vom Boot holen musste.



Schon tief in ihre Felle gekuschelt, merkte Thurid später, wie sich Falki auf sein Lager legte. Sie rutschte etwas näher an ihn heran und fragte schläfrig: „Was hast du dann noch so wichtiges gemacht?“



„Schlaf, Schwesterchen. Du wirst es schon noch erfahren. Das wird ‚ne tolle Überraschung.“



Seine letzten Worte waren kaum zu verstehen, weil Falki auch sofort einschlief. Thurid rüttelte ihn noch an der Schulter, aber Falki schlief bereits fest.



„Na ja“, dachte sie, „nach so einer Reise, wäre ich wahrscheinlich auch zum Umfallen müde und würde gleicht einschlafen.“



Am nächsten Morgen saßen alle gut gelaunt beim ersten Essen zusammen.



Neben dem Üblichen, wie Hirsebrei, Bohnen und Fisch gab es diesmal auch ein paar Köstlichkeiten, die Ernir bei den Dänen eingetauscht hatte. Da waren getrocknete Früchte, Gebäck mit Früchten und süßes Zeug, das wohl aus Honig gemacht wurde und köstlich schmeckte.



Mutter Hilda schaute während des ganzen Essens verliebt drein und küsste ihren Ernir laufend, so dass Falki und Thurid glaubten, irgendwie fehl am Platz zu sein.



Falki rutschte sowieso schon, die ganze Zeit unruhig auf seinem Sitz herum und Thurid fragte schließlich: „Falki, hast du Flöhe, oder warum kannst du deinen Hintern nicht still halten?“



Man sah, dass Falki etwas angestrengt nachdachte. Dann sagte er leise, im Verschwörerton: „Du wirst schon noch sehen. Ich sagte ja, es wird eine Überraschung.“



Dann stopfte er sich schnell noch einen Bissen in den Mund und verkündete: „Thurid, sagt Steinar bitte, dass ich erst morgen wieder

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?