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Himmelfahrt am Muttertag - Satirisch Heiteres und Ernstes für Freunde des gepflegten Suizids

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Zukunft hat Angst

ZUKUNFTSANGST - ZUKUNFTSHOFFNUNG

Das Dritte Jahrtausend aus der Sicht der Dichterinnen und Dichter

Das Dritte Jahrtausend nach der Zeitenwende, so eine gequirlte Scheiße. Anscheinend ist die Fortschreibung kalendarischer Daten die weltweit einzige Gemeinsamkeit, die sowohl alle Rassen als auch gesellschaftlichen Klassen schamlos für sich vereinnahmen. Das Dritte Jahrtausend, was ist das schon? Ein kosmischer Furz, ein Hauch, ein Nichts im Ablauf des universalen Gefüges. Die Einteilung unserer unbedeutenden, rein zufälligen Existenz, die Verfügung unseres Lebens auf einem verlorenen Planeten inmitten völliger Dunkelheit und Kälte in kleine und kleinste zeitliche Abläufe, durch die wir uns eine irreale und krankhafte Verlängerung unseres Daseins auf dieser Erde erhoffen und erträumen. Was ist mit den Jahrtausenden vor der Zeitenwende? Was geschieht mit all den grauenhaften Jahrhunderten und Jahrtausenden, die sich zu einem Almanach des Schreckens menschlicher Anwesenheit auf einem ehemals lebenswerten Raumschiff aufsummierten? Da kommt einer daher, erzählt den tumben Massen visionäre Märchen und lässt sich dafür totschlagen. Und aus Dank dafür nimmt die Menschheit einen neuen Anlauf, schmeißt alles bisher Gewesene über Bord, krempelt die Ärmel auf und räumt gründlicher als alle Naturkatastrophen zusammen, auf diesem Planeten auf. Halleluja. Seit wann haben Angst und Hoffnung ihren festen Platz im Bewusstsein des Menschen? Seit wann wird über das nahe Ende und den Beginn eines neuen Jahrtausends debattiert und philosophiert? Die Geschichte des Menschen in allen Völkern und auf allen bewohnten Erdteilen ist voll von Betrachtungen und Mutmaßungen über das Schicksal der Welt und das eigene Dasein. Aber niemals zuvor ist dieser einmalige, geniale Wurf der Schöpfung in so kurzer Zeit von einer einzigen Lebensform misshandelt und an den Rand des Untergangs geführt worden. Die Menschen haben es geschafft ihresgleichen auszurotten, aus welchen Gründen auch immer. Sie haben sich diese Erde unterworfen und zum Selbstbedienungsladen ihrer abgrundtief verkommenen, ausgefaulten und ehrlosen Weltanschauungen gemacht, die von Gewinnmaximierung und Ausbeutung um jeden Preis geprägt sind. Kriege und Hungersnöte, Katastrophen und Seuchen verheeren den Planeten wie noch nie in seiner Milliardenjahre alten Geschichte. Hätte es den Menschen schon früher gegeben, bedürfte es für das Aussterben der Dinosaurier keiner Kometenhypothese. Dann wäre das Verschwinden der Urzeitechsen klar und logisch nachvollziehbar, so wie die Vernichtung der Tropenwälder, die in etwa dreißig Jahren abgeschlossen sein wird. Oder die Ausrottung der sogenannten Wilden, die heute aus ethnischen Gründen als Naturvölker bezeichnet werden. Was bringt uns das Dritte Jahrtausend? Diese Frage ist theoretisch ausschließlich Angelegenheit der christlichen Weltbevölkerung und kann nicht stellvertretend für die gesamte Menschheit in Ansatz gebracht werden. Praktisch hat diese Unterscheidung jedoch keinerlei Bedeutung mehr, da die Beherrschung des Planeten und seiner Ressourcen im wesentlichen von den westlichen Industrienationen reglementiert wird, die in ihrer aufgepfropften, christlichen Denkweise das Evangelium und geistige Allheilmittel für alle Individuen sehen. Diese menschenverachtende Überheblichkeit hat die Welt mit ihrer sogenannten "Zivilisierung" Schritt für Schritt näher an den Abgrund geführt und milliardenfachen Tod über das Leben gebracht. Es ist doch müßig sich hinzustellen und darüber zu schwafeln, wer wie was sieht. Zukunftsangst, Zukunftshoffnung - was soll das sein? Es gibt weder Zukunft noch Vergangenheit, sondern nur das Jetzt. Die Natur kennt keine Zukunft sondern nur den Augenblick. Aus unzähligen Augenblicken setzt sich ein feinmaschiges, engverzahntes Gefüge zusammen, aus dem das Leben in seinen phantastischsten Formen hervorgeht. Ebenso unsinnig ist es über die Zeit zu philosophieren. Der Unterschied zwischen Hell und Dunkel, Tag und Nacht bestimmt über unser Verständnis vom "erfundenen" Ablauf der sogenannten Zeit. Ein Werden und Vergehen, sicher, aber Zeit? Unsere manisch-depressive Angst vor dem sich verändernden Weltgebilde, einhergehend mit der Vision vom Machbaren aller Abläufe und der vollständigen Beherrschung des Kosmos, lässt uns in Bewunderung und gleichzeitigem Erschauern wie hypnotisiert auf das kalendarische Datum des nächsten Tages, des kommenden Monats und des irgendwann ablaufenden Jahres starren, dem ein weiteres folgt, und diesem das nächste bis es dann heißt - wie seht ihr das nächste Jahrtausend? Fragt doch die Chinesen, die Aborigines, die Yanonamis oder Eskimos, was sie vom nächsten Jahrtausend halten, wenn dieses abstrakte Zahlengebäude in der Gedankenwelt dieser Menschen überhaupt vorhanden ist. Wer legt den Stellenwert fest und nach welchen Kriterien wird entschieden, was in die Beurteilung über die Zukunftshoffnung und/oder Zukunftsangst einfließen kann und darf? Welche Wünsche haben Millionen Verhungernder auf dieser Welt an das Dritte Jahrtausend? Wie sieht ein Todeskandidat den Wettlauf zwischen Gaskammer oder elektrischem Stuhl, dem Termin seiner Hinrichtung und dem heraufziehenden Dritten Jahrtausend? Welche Gedanken und Empfindungen durchrasen wie Kometen das Hirn eines Krebskranken im Endstadium? Was erhoffen sich Käfig-Hühner, Boxen-Rinder und Zwinger-Schweine vom Dritten Jahrtausend? In all den blödsinnigen Fragen und philosophischen Kleinkackereien interessiert sich vorrangig nur eine Spezies für ihr eigenes Wohlergehen auf Kosten aller anderen, beschäftigt sich eine Lebensform ausschließlich damit, wie sie ihre parasitäre Anwesenheit auf diesem Stern so angenehm und luxuriös wie möglich gestalten kann. Wie sieht diese Erde, wie sieht unser Planet das Dritte Jahrtausend? Hat unsere Mutter-Erde vielleicht auch Zukunftsangst? Ist es vorstellbar, dass ein ökologisches Gefüge, ein Makrokosmos etwa Gefühle in der Art entwickelt, die wir als Freude und Angst, Hoffnung und Verzweiflung, Lachen und Weinen bezeichnen? Immerhin ist dieser Makrokosmos ja die einzige Institution, die uns darauf vor Ort eine Antwort geben könnte, wenn wir nur Fragen würden. Alle anderen Stellen ergehen sich in mystischer Betrachtung und esoterischem Firlefanz, wodurch keinerlei Klarheit in mögliche Antworten gebracht wird. Allenthalben machen sich, wie zu jedem Jahrhundert- oder Jahrtausendwechsel, die Gesundbeter, Heilsbringer und Propheten auf die Beine, um sich ihr saftiges Stück aus dem großen Kuchen des Überflusses herauszuschneiden, der auf dem Nährboden von Hysterie, Massenangst und kontinentaler Verzweiflung prächtig gedeiht. Danach klingen diese Bewegungen ab wie ein gewöhnlicher Schnupfen, und die Menschheit trabt in gewohnter Apathie und dem Bedürfnis der Masse gehorchend, auf ihrem Weg in die Bedeutungslosigkeit und das Meer des Vergessens ein weiteres Jahrtausend voran. Zukunftsangst - Zukunftshoffnung - was ist das? Die Sorge um ein Dach über dem Kopf, ausreichend Nahrung, Kleidung und Befriedigung der Primärbedürfnisse? Die Angst um den Verlust der Gesundheit, von Hab und Gut, die Angst vor dem Tod, der irgendwo in einer schäbigen Ecke sein Dasein fristet und sich seiner Existenz so sehr schämt, dass seine Angst vor den Menschen fast schon größer ist, als unsere Angst vor ihm. Im nächsten Jahrtausend, so las ich kürzlich, werden die Menschen locker 130 Jahre alt oder noch älter. Methusalem würde dagegen vor Neid erblassen. Welche Möglichkeiten für den Einzelnen, für Immobilienhändler, Börsenspekulanten, Reiseveranstalter und Hersteller von künstlichen Weihnachtsbäumen. So kristallisieren sich die primären Triebfedern des Menschen in einem Maße, der so von den Parametern der Gier und der Angst gleichermaßen beherrscht wird. Welcher Horror für die Versicherungen und Krankenhäuser, für Arbeitsgerichte, Intensivstationen und Verkehrs- teilnehmer, für Schulen und Universitäten. Jungen und Mädchen müssten bis zum zwanzigsten Lebensjahr zur Schule gehen, dann nochmals zwanzig Jahre studieren, dann eine zehnjährige Berufsausbildung in mindestens fünf Berufen gleichzeitig beginnen, und ihren Kinderwunsch dann über das Großversandhaus Amazon oder den Otto Versand realisieren. Die Natur wäre in praktischen und pflegeleichten, virtuellen Nationalparks zu besichtigen, und wer tatsächlich einmal in seinem Leben wirkliches Leben sehen will, der muss schon eine Reise zum Mars buchen, denn dort wird sich der natürliche Rest irdischen Lebens auf einen neuen Anfang vorbereiten, wenn auf der guten alten Erde endgültig alle Lichter ausgehen. Bis dahin haben wir keine Veranlassung irgendwas zu ändern, weil es ohnehin niemanden wirklich interessiert. Diejenigen, die betroffen sind, sterben entweder rasch und still oder werden einfach aus der allgemeinen Betrachtung ausgeklammert, bis auch dort Ruhe einkehrt. Warum sollte ich als Dichter, als Poet und Mensch irgendwelche besonderen Erwartungen an das Dritte Jahrtausend stellen? Zukunftsangst - Zukunftshoffnung. Schlagworte für eine seit langem orientierungslos gewordene Menschheit, die auf einem sterbenden Planeten durch die Finsternis des Nichts rast. Warum sollte ich Angst haben vor dem Dritten Jahrtausend? Diese Welt ist nach wissenschaftlicher Erkenntnis bereits vier Milliarden Jahre alt. Die habe ich nach Lage der Dinge sehr gut überstanden, und sie alle auch, die sich mit der Frage plagen, was das Dritte Jahrtausend bringt. Wir werden sehen, was es bringt, und wenn erst der Silvesterrausch vorbei ist und sich Formen und Farben erneut stabilisieren, dann nehmen auch die Jahre des Dritten Jahrtausends ihren Lauf...